Das Café »Zur Meeresbrise« war bis in die letzte Ecke besetzt. Einige Gäste hatten sich für die Suppe oder den kleinen Salat entschieden, aber die Mehrheit hatte mit ihren Bestellungen große Löcher in die Bestände der Kuchentheke gerissen. Dabei war es erst Mittag. Annemie erkannte mit einem Blick, dass sie am besten direkt in der Backstube verschwinden und Nachschub produzieren sollte, wollten sie in zwei Stunden nicht komplett ausverkauft sein. Aber zuerst musste sie wissen, was Frieda herausgefunden hatte.
Sonja Hansen stand an der Kaffeemaschine. Sie hatte mittlerweile den Bogen raus, wie sie mit ihrer gesunden Hand die Maschine bedienen und eine schöne Crema auf den Kaffee zaubern konnte. Es dauerte zwar etwas länger, aber es klappte. Hubertus Klein half ihr mit stoischer Ruhe, hievte Kuchenstücke auf Teller, kümmerte sich um die übrigen Getränke und stellte alles für Werner Assenmacher bereit, der mit flinken Schritten um die Tische eilte und alles und jeden im Blick behielt.
»Du hast keine Schuhe an«, bemerkte er im Vorbeigehen, einen Tellerstapel balancierend.
»Ja. Mir war kurz danach.« Annemie blieb mitten im Café stehen und sah sich suchend um. »Wo ist Frieda?«
Werner deutete mit seiner freien Hand zur Decke. »Oben. Sie ist eben erst nach Hause gekommen, hat was von wichtigen Recherchen gemurmelt und ist direkt die Treppe hinaufgestürmt.« Er musterte Annemie. »Deine Beine sind ganz zerkratzt. Was ist passiert?«
Annemie und Gerburg folgten ihm zur Theke, wo er die Teller abstellte.
»Wir mussten fliehen«, raunte Gerburg Manderscheidt-Ziesemann Werner verschwörerisch zu.
»Vor wem?« Sonja Hansen hielt mitten in der Bewegung inne und legte das Geschirrtuch ab. »Dem Mörder? Mein Gott! Ist euch etwas passiert? Ist was mit dem Auto?«
»Fast.« Gerburg schaute so erschöpft in die Runde, als hätte sie sich den ganzen Weg über die Dünen zum Parkplatz durchgeschlagen. »Vor der Polizei. Wir mussten vor der Polizei fliehen. Aber das Auto ist okay.«
»Haben sie euch erwischt?« Sonja Hansen wurde blass. »Ich habe ja gesagt, dass das gegen das Gesetz ist.«
»Nein. Gerburg wurde im Auto kontrolliert, und mich haben sie nicht erwischt, sondern ich bin ihnen entwischt. Über die Dünen und durch die Dornen.« Annemie hob ihr rechtes Bein und deutete auf die Schrammen. »Das heilt aber wieder. Viel wichtiger ist jetzt Frieda. Ich möchte wissen, was sie herausgefunden hat.« Sie ging in die Backstube, legte das Album auf das Regal über der Arbeitsfläche. Wenn sie zwischendurch Zeit fand, konnte sie weiter darin blättern. Vielleicht gab es darin doch ein paar Hinweise, die ihr weiterhelfen würden. »Und ich werde mir meine Füße waschen und neue Strumpfhosen anziehen, damit ich wieder anständig aussehe. So halb nackt kann ich doch nicht unter die Leute.
Frieda saß mit dem Rücken zur Zimmertür und wirkte ganz fasziniert von dem, was vor ihr auf dem Bildschirm zu sehen war. Annemie klopfte an den Türrahmen, bevor sie eintrat.
Frieda schaute nur kurz über die Schulter, bevor sie sich wieder ihrem Rechner zuwandte.
»Sie haben keine Schuhe an.«
»Ich weiß.«
»Cool.« Frieda lehnte sich ein Stück zur Seite, damit Annemie freie Sicht hatte, und deutete mit dem Finger auf ein Bild. »Gucken Sie hier. Sehen Sie das?«
Annemie beugte sich vor und blinzelte. Es war ein Schwarz-Weiß-Bild, auf dem eine Gruppe von drei Männern zu erkennen war, die allem Anschein nach von drei Polizisten in Uniform abgeführt wurden. Das Bild hatte eine schlechte Qualität, es war schon älter und grobkörnig. Es wirkte wie die Kopie eines alten Zeitungsausschnittes. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Was soll ich sehen?«
»Na, der Typ hier.« Frieda tippte mit der Fingerspitze auf eines der Gesichter. »Moment, ich vergrößere es.« Sie machte etwas an der Tastatur, und jetzt konnte Annemie das Gesicht deutlich sehen.
»Peter Juwel«, entfuhr es ihr. »Aber er hat eine ganz andere Frisur. Und die Haare sind viel heller.«
»Ja. Also nein. Eben nicht Peter Juwel.« Frieda hackte wieder auf ihrer Tastatur herum, das Bild verschwand, und stattdessen tauchten viele Fotos auf. Die meisten waren Porträtbilder des Schlagerstars. Sie sahen aus wie in den Presseordnern, die Annemie von Kurzem noch in der Hand gehalten hatte. »Ich habe ein paar von den Bildern, die Ihre Freundin mir geschickt hat, durch die Rückwärtssuche laufen lassen. Natürlich waren da ganz viele Treffer, die haben halt alle wieder auf den Sänger zurückgeführt. Aber ich hatte eine Freistunde in der Schule, darum konnte ich die in aller Ruhe swipen. Ich hatte eigentlich schon keinen Bock mehr auf den Müll, hab dann aber irgendwie noch das hier gefunden.« Wieder erschien der Zeitungsartikel. Diesmal las Annemie auch die Überschrift: »Spektakulärer Museumsraub aufgeklärt«. Und darunter, etwas kleiner: »Diebe zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilt, ein Teil der Beute bleibt verschwunden«.
»Anfang der achtziger Jahre wurden einige wertvolle Bilder aus dem Stadtmuseum in Salling gestohlen. Die Typen sind als Reinigungstrupp verkleidet in das Museum gegangen, haben die Bilder aus den Rahmen gelöst und sind wieder verschwunden, bevor jemand reagiert hat. Man konnte sie dann trotzdem recht schnell überführen. Sie haben alle jeweils zehn Jahre bekommen.« Das Bild auf dem Rechner wechselte. »Als ich das dann einmal entdeckt hatte und entsprechend gesucht habe, gab es auch noch mehr. Mehrere Zeitungen haben darüber berichtet. Vor allem, weil eines der Bilder, irgendeine sehr wertvolle kleine Zeichnung eines berühmten Malers, Klee oder so, bis heute verschwunden ist.«
»Paul Klee?«
»Ja, kann sein. Keine Ahnung. Ich kenn den Typen nicht. Ist aber auch egal. Wichtig ist doch, wie der Typ heißt, der aussieht wie der Sänger.« Frieda drehte sich auf ihrem Schreibtischstuhl einmal um sich selbst und breitete die Arme aus. »Er heißt Dieter S. aus J.«
»Dieter S. aus J.?«, echote Annemie.
»Ja. Das muss Dieter Schneider sein.«
»Hast du dazu noch irgendetwas anderes gefunden? Irgendeinen Beweis?«
»Reicht das Bild nicht aus?« Frieda holte es wieder auf den Bildschirm. »Moment.« Der kleine Pfeil sauste über die Fläche, es erschienen Linien, Abschnitte färbten sich blau, und plötzlich hatte die Person keine Haare mehr. Jetzt war die Ähnlichkeit zu Peter Juwel alias Peter Preuschoff überdeutlich. »Außerdem hat viel später auch noch mal eine Zeitung darüber berichtet, dass die Haftstrafe jetzt abgelaufen, das Rätsel um das verschwundene Bild aber immer noch nicht gelöst sei. Das war …« Klack, klack, klack. »Das war 1994.«
»Mitte der Neunziger hat Peter Preuschoff sich aus dem Showgeschäft zurückgezogen. Dieter Schneider ist an seine Stelle getreten und hat ihn damit sozusagen unsichtbar gemacht.« Annemie zog sich einen mit weißem Flokati überzogenen Hocker an den Schreibtisch und setzte sich. Sie zeigte auf den Bildschirm. »Kannst du mir diese Sachen irgendwie ausdrucken?«
»Klar. Kein Thema. Der Drucker im Café hat WLAN. Ich schick das dahin.« Frieda drehte sich mit ihrem Stuhl so, dass sie Annemie frontal gegenübersaß. »Kann ich denn sonst noch was für Sie tun, Frau Engel?«
Annemie lächelte. Frieda war wirklich ein sehr nettes Mädchen. Wie hatte sie nur vor ein paar Tagen noch denken können, Teenager seien nur anstrengend und nervig? »Danke. Du hast mir damit sehr geholfen. Wenn ich noch etwas wissen muss, werde ich mich sofort bei dir melden.« Sie stand auf und schob den Hocker wieder an seinen Platz unter einem schmalen Tisch, auf dem sich in wildem Chaos Schminkutensilien angehäuft hatten. Hier müsste auch dringend aufgeräumt und sauber gemacht werden. Sie setzte zu einer entsprechenden Bemerkung an, besann sich jedoch und sagte: »Du kannst aber trotzdem noch etwas für mich tun. Du kannst mich sehr gerne duzen, Frieda.«
»Wenn das für dich klargeht, Frau Engel, mach ich das gerne.«
In den nächsten beiden Stunden, nachdem Annemie sich gewaschen und umgezogen hatte, war nicht daran zu denken, über die neuen Informationen nachzudenken, geschweige denn mit Werner und Gerburg darüber zu reden. Hubertus Klein hatte die beiden Ausdrucke in die Backstube gebracht und zuerst einen kurzen Blick auf das Papier, dann einen längeren auf Annemie geworfen. Als die aber nicht reagierte, sondern die Zeitungsartikel nur entgegennahm und an die Magnetleiste über dem Arbeitstisch heftete, an der Sonjas Rezepte und eine Einkaufsliste hingen, zog er schulterzuckend wieder ab.
Annemie buk Mini-Windbeutel mit Lavendelpudding und Rosmarin-Ganache, einen Möhrenkuchen und einen Mallorquinischen Mandelkuchen, um den nicht abreißenden Strom der hungrigen Gäste zu befriedigen. Den Mandelkuchen sogar in der Low-Carb-Version, da Maike ihr erklärt hatte, dass immer mehr Leute auf eine gesunde Ernährung achteten. Wobei für Annemie Kuchen und Gesundheit nur hinsichtlich der Wirkung des ersten auf das zweite zusammengehörten. Ein gutes Stück Kuchen half oft mehr als die beste Medizin. Zumindest was die Stimmung anging, und die trug ja bekanntermaßen wesentlich zur Gesundheit bei.
Zum Ausgleich schickte sie dann gleich noch eine Lage Guinness-Whiskey-Cupcakes hinterher.
Gerburg Manderscheidt-Ziesemann hatte entschieden, sich endgültig von der Urlaubs- auf die Helferseite zu schlagen, sie entledigte sich einiger ihrer wallenden Stoffschichten und bezwang den Berg des dreckigen Geschirrs.
Irgendwann erschien Sonja Hansen im Türrahmen, lehnte sich dagegen und wischte sich mit dem gesunden Arm über die Stirn. »Ich weiß gar nicht, was ich machen soll, wenn Sie wieder nach Hause fahren, Frau Engel. Ihr Kuchen erreicht Stellen, da kommt Motivation gar nicht hin. Der macht regelrecht süchtig. So viel Betrieb hatte ich hier noch nie. Die Gäste werden alle wegbleiben, wenn ich wieder selbst backe.«
»Ich verrate Ihnen ein paar meiner Rezepte und zeige Ihnen, was dabei zu beachten ist. Sie schaffen das. Mein Herr Farin hat das auch alles gelernt. Backen ist keine Zauberei.«
»Nein. Aber Kuchen ist aus Teig geformte Liebe.« Sonja ging auf Annemie zu, nahm sie in den Arm und drückte sie.
»Wenn hier Umarmungen verteilt werden, möchte ich auch gerne eine«, mischte sich Werner ein und stellte Gerburg ein weiteres Tablett mit Geschirr vor die Nase. »Allerdings werden wir das etwas vertagen müssen, denn du hast Besuch, Annemie.« Sein Ton wurde ernster. »Draußen steht die Polizei.«
Annemie löste behutsam einen Kuchen aus einer Springform, ging zum Waschbecken und wusch sich gründlich die Hände, bevor sie Werner ansah.
»Was möchte die Polizei?«
»Mit dir sprechen. Ich habe gesagt, du wärst beschäftigt, aber das interessiert sie nicht.«
Annemie nickte stumm und ging an Sonja Hansen und Werner vorbei in den Gastraum.
Sie waren zu zweit. Die junge Polizistin in Uniform, die Annemie bereits kennengelernt hatte, wurde von einem Mann um die vierzig in Zivilkleidung begleitet, der sich als Kriminalhauptkommissar vorstellte.
»Sie sind Frau Annemie Engel?«
»Ja, die bin ich.«
»Frau Engel. Sie wohnen in Niedelsingen. Ist das richtig?«
»Schon mein ganzes Leben lang.«
»Kennen Sie eine Frau Gerburg Manderscheidt-Ziesemann aus Niedelsingen?«
»Ich bin mit ihr befreundet.«
»Frau Engel. Wir haben die Personalien Ihrer Freundin in der Nähe bei einer Kontrolle aufgenommen. Wissen Sie, warum?«
»Nein. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, warum Sie das gemacht haben, Herr Kommissar. Ich kenne Ihre Dienstabläufe nicht.«
»Frau Engel«, mischte sich jetzt die junge Polizistin ein, und die beiden Worte klangen wie: Jetzt halten Sie uns doch nicht für blöde, wir wissen genau, was hier läuft. »Wir haben Sie nachdrücklich darauf hingewiesen, sich nicht in polizeiliche Angelegenheiten einzumischen. Und dann stoßen wir ganz in der Nähe des Hauses des Mordopfers, in dem auch noch ein Einbruch stattgefunden hat, auf Ihre Freundin Frau Gerburg Manderscheidt-Ziesemann. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass das ein Zufall ist, oder?«
»Da ich auf unbestimmte Zeit in Bad Nordersielergroden bleiben muss, hat Gerburg beschlossen, ebenfalls hier Urlaub zu machen. Damit ich nicht so allein bin.«
»Sie machen Urlaub?« Der Kommissar sah sich stirnrunzelnd um, deutete auf Annemies Schürze und auf Gerburg, die gerade aus der Backstube kam. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab, und es machte den Eindruck, als versuchte sie, es zu erwürgen. »Das sieht mir aber gar nicht nach Urlaub aus. Eher nach Arbeit. Sind Sie beide hier überhaupt als Arbeitskräfte angemeldet? Haben Sie die erforderlichen Papiere? Gesundheitszeugnis et cetera et cetera?«
Annemie musterte den Kommissar, der sie um beinahe zwei Köpfe überragte, von oben bis unten und stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt will ich Ihnen gerne einmal etwas erklären. Ich stehe schon länger in der Backstube, als Sie überhaupt auf der Welt sind. Und wenn ich meinen Urlaub dazu nutze, jemandem zu helfen, der in Not geraten ist, dann ist das keine Arbeit, sondern meine Art der Entspannung. Aber falls es Sie beruhigt: Selbstverständlich habe ich die entsprechenden Papiere. Vom Meisterbrief bis zum Gesundheitszeugnis ist alles vorhanden, was der deutsche Amtsschimmel sich nur wünschen kann. Ich bin Konditorin, keine Verbrecherin.«
»Um das zu klären, sind wir ja hier«, warf die Polizistin ein.
»In das Haus, bei dem wir Ihre Freundin angetroffen haben, wurde eingebrochen. Zufälligerweise handelt es sich um das Haus des verstorbenen Schlagersängers Peter Juwel, mit bürgerlichem Namen Peter Preuschoff. Der Mann, dessen Leiche Sie angeblich gleich zweimal gefunden haben.
Annemie erwiderte seinen Blick schweigend.
»Nun?« Er hob beide Augenbrauen gleichzeitig.
»Nun was? Bisher haben Sie mir keine Frage gestellt.« Annemie fand diesen Kommissar ausgesprochen unsympathisch. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre wieder in der Backstube verschwunden.
»Wo waren Sie vor etwa zwei Stunden?«
»Schauen Sie sich mal um.« Werner kam und stellte sein Tablett auf den Tisch neben Annemie. »Sieht das hier so aus, als könnten wir auf die Frau verzichten, die für Nachschub sorgt?« Er stellte sich hinter sie und legte ihr beide Hände auf die Schultern. »Meine Verlobte hat gebacken«, sagte er sehr laut.
Der Kommissar blickte erst Annemie, dann Werner und seine Kollegin an und nickte, bevor er sich umdrehte, zu Hubertus Klein ging, mit ihm sprach und sich anschließend, nachdem Hubertus eine Antwort gebrummt hatte, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, an Sonja Hansen wandte, die Werners Aussage ebenfalls zu bestätigen schien. Unverrichteter Dinge kehrte er an den Tisch zurück. Hubertus Klein und Sonja Hansen folgten ihm und stellten sich neben Werner hinter Annemie auf.
»Also gut, Frau Engel. Alle, die ich gefragt habe, bestätigen, dass Sie in der fraglichen Zeit hier gewesen sind.« Er räusperte sich, nickte in die Runde und bedeutete seiner Kollegin mit einer knappen Geste aufzubrechen. Die vier sahen den beiden nach, bis die Eingangstür hinter ihnen zufiel.
Annemie strich ihre Schürze glatt und drehte sich zu den anderen um.
»Ihr habt gelogen«, sagte sie streng.
»Nicht gelogen.« Werner Assenmacher machte eine abwägende Geste. »Ich habe mich interpretationsfähig ausgedrückt. Ich sagte, du hättest gebacken und dass wir nicht auf dich verzichten könnten. Was ja auch stimmt. Auf die Uhrzeit habe ich keinen Bezug genommen. Das ist ein Unterschied, auch wenn es dem Herrn wohl nicht im Detail aufgefallen ist. Sprachliche Feinheiten erschließen sich halt nicht jedem.«
»Ach, der hat nach dem Zeitraum gefragt, als ihr beiden Hübschen unterwegs wart? Da war ich wohl wieder ’n büschen tüddelig.« Hubertus kratzte sich am Kopf. »Kann ja mal passieren.«
»Ich habe ihn auf den Betrieb hier im Café hingewiesen und nur bestätigt, dass ich Frau Manderscheidt-Ziesemann mein Auto für einen Ausflug zur Verfügung gestellt habe«, sagte Sonja mit ernster Stimme, bevor sich ein Grinsen in ihre Mundwinkel schlich.
Ein warmes Gefühl kroch in Annemie hoch, wie eine Welle schwappte es über ihr Herz. Diese Menschen hier waren ihre Freunde. Mehr noch. Sie hielten zu ihr und halfen ihr.
»Trotzdem hast du gelogen.« Sie fixierte Werner Assenmacher, der ihrem Blick standhielt. Täuschte sie sich, oder wurden seine Ohren rot? »Du hast gesagt, ich wäre deine Verlobte.«
Werner räusperte sich. »Dann sorgen wir doch dafür, dass es keine Lüge mehr ist.« Er trat einen Schritt zurück und deutete eine Verbeugung an. »Verehrte Annemie, ich weiß, dass ich jetzt nach alter Schule im Anzug und mit Blumen ausstaffiert sein müsste, aber beides ist leider gerade nicht zur Hand. Und ich möchte mir diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen. Ich hoffe, du verzeihst mir das.« Er kniete vor Annemie nieder und griff nach ihrer Hand. »Annemie, möchtest du …«
Weiter kam er nicht. Die Tür des Cafés schlug auf, Claudia Wilhelms, Jürgen Adams’ Haushälterin, stürmte herein und blickte sich hektisch suchend um, bis sie Annemie entdeckt hatte. Sie bahnte sich einen Weg durch die eng gestellten Stühle und Tische.
»Sie müssen mit mir kommen.« Sie rang nach Atem und bedachte den immer noch am Boden knienden Werner mit einem kurzen Blick. »Sind Sie gestolpert?«, fragte sie irritiert, reichte ihm automatisch die Hand, um ihm aufzuhelfen, und wandte sich sofort wieder Annemie zu. »Jürgen ist verschwunden.«