8

Die drei Prüfungen

Guo Jing folgte dem Zischeln und stieß schon nach wenigen Schritten auf eine sich windende Masse schwarzer Schlangenleiber. Ihre Schuppen glänzten im Mondlicht. Zehn Männer, von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet, trieben die Herde mit Stöcken an.

Bedeutet dies, dass das Gift des Westens schon angekommen ist? Was haben sie mit den vielen Schlangen vor?

Die Schlangenherde glitt Richtung Norden, geführt von Huang Yaoshis taubstummen Dienern. Glücklicherweise bot der dichte Dschungel Guo Jing Deckung, sodass er der Gruppe unerkannt folgen konnte. Nach wenigen Li führte der Weg um einen Hügel auf eine grasbewachsene Lichtung. Pfiffe ertönten, und sofort rollten sich die Schlangen ein und verharrten reglos auf der Stelle. Die dreieckigen Schlangenköpfe waren alle auf einen Bambuswald gerichtet. Um unentdeckt zu bleiben, hielt sich Guo Jing im Dschungel und umging die Lichtung, indem er erst nach Osten rannte und dann wieder weiter nach Norden. Als er den Rand des Bambuswalds erreicht hatte, blieb er kurz stehen und lauschte. Ringsum herrschte Totenstille. Auf Zehenspitzen schlich er vorsichtig weiter. Bald darauf erhaschte er einen Blick auf einen frei stehenden Pavillon aus demselben Bambus wie der Wald, in dem er sich befand. Über einem der Rundbögen hing ein Schild mit drei Schriftzeichen:

PAVILLON DER SCHWERTPRÜFUNGEN

Auf den beiden Säulen rechts und links des Torbogens war ein Verspaar eingraviert:

Die Schatten der Pfirsichblüte fallen auf fliegende Schwerter

Die Wellen des türkisfarbenen Meers wogen zum Klang der Jadeflöte

Der Tisch und die Stühle, die darin standen, waren aus Bambus, dessen Oberfläche, von vielen Jahren des Gebrauchs poliert, warm im Mondlicht glänzte. Der Pavillon war gesäumt von alten Kiefern, deren knorrige, krumme Zweige hoch in den Nachthimmel ragten. Das idyllische Landschaftsbild wurde nur von dem Heer schaukelnder Schlangenköpfe mit ihren tanzenden Zungen getrübt. Die Tiere hatten sich mittlerweile in zwei Kolonnen aufgeteilt, zwischen denen weiß gekleidete Frauen anmutig schlenderten und mit roten Seidenlaternen den Weg leuchteten. Einige Schritte hinter ihnen gingen zwei Männer. Der erste von ihnen hielt einen Fächer in der Hand und trug ein weißes, mit Goldfäden durchwirktes Seidengewand. Guo Jing erkannte ihn sofort.

Als der Meister vom Weißen Kamelberg den Bambushain erreicht hatte, blieb er stehen und sagte laut: »Prinz Ouyang Ke aus dem Westen grüßt den Herrn der Pfirsichblüteninsel.«

So viel Aufwand, um Gift des Westens zu empfangen, dachte Guo Jing und hielt nach dem legendären Großmeister Ausschau.

Auch Ouyang Feng war ganz in Weiß gekleidet. Seine hochgewachsene, kräftige Gestalt war deutlich zu erkennen, aber sein Gesicht lag im Dunkeln. Bei jedem zweiten Schritt schlug sein Stab in strengem Rhythmus auf den Boden. Kaum hatten sich die beiden Ehrengäste zwischen ihrer Entourage postiert, traten zwei Gestalten aus dem Bambushain.

Guo Jing hätte beinah einen lauten Schrei ausgestoßen.

An der Hand ihres Vaters schritt Huang Rong auf die Gäste zu. Ouyang Feng trat vor, legte die Hände ineinander und machte eine tiefe Verbeugung vor Huang Yaoshi, der die Geste erwiderte. Ouyang Ke ging auf die Knie und schlug seine Stirn auf den Boden auf. »Euer Schwiegersohn erweist seinem Schwiegervater Respekt und wünscht Euch goldenen Frieden.«

»Nicht so förmlich«, sagte Huang Yaoshi, reichte ihm die Hand und half ihm auf. Guo Jing wurde bei diesem Austausch speiübel.

Huang Yaoshi legte seine rechte Hand auf Ouyang Kes linken Arm. Eine scheinbar freundliche Geste, die jedoch darauf abzielte, das Kung-Fu des Jüngeren auf die Probe zu stellen. Darauf war Ouyang Ke vorbereitet und sammelte sein Qi, um sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Doch er hatte vergebens gehofft, sich auf den Beinen zu halten. Schon im nächsten Augenblick schrie er laut auf und landete kopfüber im Gras. Schnell wirbelte Ouyang Feng seinen Stab durch die Luft, berührte sachte den Rücken seines Neffen, der die Hebelwirkung des Stabs nutzte, um mit einem Rückwärtssalto wieder zu einer aufrechten Haltung zurückzufinden. »Werter Bruder Huang«, lachte Ouyang Feng, »du wirst doch nicht von deinem Schwiegersohn zur Begrüßung einen Salto erwarten?«

Seine Stimme dröhnte mit metallischer Härte in Guo Jings Ohren.

»Ich wollte nur seine Fähigkeiten auf die Probe stellen. Ich habe gehört, dass er sich mit vier Kung-Fu-Kämpfern gegen meine Schülerin verbündet hat und außerdem mit seinen Schlangen meine Tochter angegriffen hat.«

»Nichts als Kinderspiele waren das«, lachte Ouyang Feng. »Das darfst du nicht so ernst nehmen, werter Bruder Huang.« Er machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Denkst du nicht, dass mein Neffe deine kostbare Tochter wert ist? Ich muss schon sagen, Bruder Huang, sie ist in der Tat eine außergewöhnliche Schönheit.«

Er legte den Kopf schief und betrachtete Huang Rong. Dann zog er ein Kästchen aus Brokat aus seinem Gewand, hob den Deckel auf und brachte eine ockergelbe, taubeneigroße Kugel zum Vorschein, die auf einem seidenen Bett ruhte. »Dieses Amulett nennt sich Rhinozeros und Riesenwurm. Es ist aus den seltenen Tieren des Westens gemacht und wurde unter Verwendung besonderer Kräuter gehärtet.« Er präsentierte Huang Rong den eher schlicht wirkenden Gegenstand. »Trägst du es bei dir, kann dir kein Gift der Welt etwas anhaben. Es ist das einzige seiner Art. Damit gewappnet, musst du dich nicht vor unseren Schlangen und Insekten fürchten, wenn du künftig bei uns wohnst.« Er hielt Huang Rong das Kästchen hin. »Dein Vater hat für dieses ärmliche Geschenk sicher nur Verachtung übrig. Mit den Schätzen, die er kennt, mag es sich nicht messen können, aber dieses Amulett hat durchaus seinen Nutzen.«

Bekanntlich war alles, was mit Gift zu tun hatte, Ouyang Fengs Metier. Ein solches Geschenk sollte zweifellos dazu dienen, Huang Yaoshis Bedenken hinsichtlich seiner Motive für die Brautwerbung zu zerstreuen.

Als er das Geschenk überreichte, trat er aus dem Schatten, und Guo Jing konnte endlich das Gesicht des geheimnisumwitterten Großmeisters sehen. Er hatte eine große Nase und tief liegende Augen. Sein Gesicht war halb von einem hellbraunen Bart bedeckt und auch sein Haar war heller als das der Bewohner der Zentralebene. Man erkannte die Ähnlichkeit mit seinem Neffen Ouyang Ke, aber seine ganze Erscheinung war kantiger, martialischer. Seine Blicke zuckten wie Blitze und waren scharf wie Dolche.

Huang Rong gehört zu mir, sie will dich nicht, sagte Guo Jing sich wieder und wieder. Sie wird dein Geschenk nicht annehmen …

Doch er musste mitansehen, wie Huang Rong mit einem bezaubernden Lächeln auf Ouyang Feng zutrat und mit einem freundlichen »Dankeschön!« das Geschenk entgegennahm.

Ouyang Ke war Huang Rongs schneeweißer Haut und ihrer blühenden Schönheit erlegen, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war. Das Lächeln auf ihren roten Lippen ließ ihn wie auf Wolken schweben. Jetzt, wo ihr Vater sie mir versprochen hat, hat sie endlich ihre Meinung geändert, dachte er freudig.

Sein Glück war nur von kurzer Dauer. Im nächsten Augenblick blitzte es goldglänzend vor seinen Augen. »Oh nein!«, keuchte er und bog sich schnell zurück in eine Eiserne Brücke.

»Was tust du da?«, schrie Huang Yaoshi. Mit einem entschlossenen Schwung seines linken Ärmels lenkte er die vergoldeten Nadeln zur Seite ab, die Huang Rong auf Ouyang Ke abgeschossen hatte. Seine rechte Hand holte zu einem Hieb auf ihre Schulter aus.

»Töte mich, Vater, nur zu!« Sie brach in Tränen aus. »Lieber will ich sterben, als diesen Wüstling zu heiraten.«

Ouyang Feng hatte Huang Rong rasch das Amulett in die Hand gedrückt und blockte Huang Yaoshis Hieb ab. »Nicht doch. Deine reizende Tochter wollte nur das Kung-Fu meines Neffen auf die Probe stellen.« Sein hohles Lachen ließ die Nacht erbeben.

Natürlich hätte Huang Yaoshi seiner Tochter niemals etwas zuleide getan, weshalb Ouyang Feng kaum innere Kraft aufwenden musste, um seinen Schlag abzuwehren. Ouyang Ke dagegen spürte einen pochenden Schmerz in der Brust, als er sich aufrichtete. Die Nadeln waren so unversehens auf ihn zugeschossen, dass einige ihn wohl doch getroffen hatten. Sie will mich wohl doch nicht heiraten, dachte er bitter. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken und verbarg seinen Schmerz und seine Scham hinter einem süffisanten Lächeln.

»Werter Bruder Yaoshi, es ehrt mich, dass du mich nach all den Jahren seit unserer letzten Begegnung auf dem Gipfel des Hua noch immer hochschätzt«, hob Ouyang Feng erneut an. »Du weißt gar nicht, wie sehr es mich freut, dass du der Vermählung deiner Tochter mit meinem Neffen zugestimmt hast. Wenn es etwas gibt, das dein Bruder für dich tun kann, werde ich es dir gewiss nicht abschlagen.«

»Wer würde es wagen, Gift des Westens zur Last zu fallen? Doch gerne möchte ich dich bitten, uns die Ehre einer Kostprobe deines herausragenden Kung-Fus der Westberge zu erweisen.«

Huang Rongs Tränen versiegten sofort, als sie hörte, wie ihr Vater Ouyang Feng zur Demonstration seiner Kampfkünste aufforderte. An ihren Vater gelehnt, betrachtete sie neugierig den knorrigen Stab, den Gift des Westens mit sich führte. Er war pechschwarz, offenbar aus Schmiedeeisen und von ungewöhnlichem Umfang. Das Merkwürdigste daran war die menschliche Fratze, die in den Griff eingearbeitet war. Im Mondlicht sah man weiße Reißzähne in ihrem geöffneten Mund glänzen.

»Meine Kampfkunst war der deinen schon damals unterlegen, und ich bin mit den Jahren etwas eingerostet und werde mich kaum mit dir messen können«, sagte Ouyang Feng. »Doch da wir jetzt eine Familie sind, würde ich gerne die Gelegenheit wahrnehmen und ein paar Tage hier verweilen, um etwas von dir zu lernen.«

Seine falsche Bescheidenheit verwirrte Huang Yaoshi. Ouyang Fengs Worte waren bekanntlich in Honig getauchte Stacheln. Er bezweifelte sehr, dass der berüchtigte Giftmolch sich in den vergangenen Jahren geändert hatte. Sein Stolz verbot es ihm, einem anderen einzugestehen, dass sein Kung-Fu unterlegen sei.

Umso mehr hatte es dem Herrn der Pfirsichblüteninsel geschmeichelt, als Ouyang Feng ihm einen Boten geschickt hatte, um im Namen seines Neffen um die Hand seiner Tochter zu bitten. Der unterwürfige Ton seines Ansinnens war Balsam für Huang Yaoshis eitle Seele gewesen. Da Ouyang Feng ihn persönlich ausgebildet hatte, war zu erwarten, dass jener Neffe einen formidablen Kampfkünstler abgab.

Natürlich kannte er seine Tochter und wusste, dass sie es gewohnt war, ihren Kopf durchzusetzen. Ein Gatte mit minderwertigen Kampfkünsten würde schwerlich Gnade vor ihren Augen finden. Die ausschweifende Lobpreisung der literarischen Bildung des Brautwerbers hatte Huang Yaoshi jedoch mit Vorsicht genossen. Andererseits sagte er sich, dass bestimmt jeder Anwärter klüger und weniger störrisch war als der Bauerntrampel, den sich seine Tochter auserkoren hatte.

Beim Gedanken an Guo Jing wurde Huang Yaoshi wütend. Ein Schwiegersohn, der geistig weniger rege und gebildet war als er selbst oder seine Tochter, kam für ihn nicht infrage. Wie könnte man ihm, dem Ketzer des Ostens, einem der Großmeister des Jianghu, einen so tumben Holzklotz zumuten! Er würde sich zum Gespött der gesamten Welt der Kampfkünste machen.

Noch dazu hatte dieser Holzklotz seinen Schüler Chen Xuanfeng auf dem Gewissen. Ihm das Neun-Yin-Handbuch zu stehlen war fraglos ein unverzeihliches Vergehen gewesen, aber als Schüler der Pfirsichblüteninsel von der Hand eines unbedarften Kindes zu sterben, war eine Schmach. Sein ganzer Zorn auf seinen abtrünnigen Schüler richtete sich jetzt gegen Guo Jing.

Obwohl er seinen Titel der Ablehnung aller orthodoxen Lehren und Konventionen zu verdanken hatte, legte der Ketzer des Ostens immer noch großen Wert auf sein Ansehen – und damit auch auf das Ansehen seines Schwiegersohns. Er war sich sicher, dass Ouyang Ke mit seiner Kampfkunst, seiner Intelligenz und seinem Rang eine gute Partie für seine Tochter darstellte und hatte dem Antrag daher unverzüglich zugestimmt. Es war das erste Mal, dass er einem Wunsch seiner Tochter zuwidergehandelt hatte.

Doch die Wiederbegegnung mit Ouyang Feng ließ sein altes Misstrauen gegen den heimtückischen Giftmolch wiederaufleben. Ob er wohl sein Kröten-Kung-Fu aufgegeben hat, nachdem Wang Chongyang ihn damals mit dem Sonnenfinger verletzt hat? Das lässt sich herausfinden.

»Meine werten Gäste haben eine lange Reise hinter sich. Bitte nehmt Platz, und lasst mich euch eine Melodie auf der Flöte vorspielen«, sagte er und zog seine Xiao aus dem Ärmel.

Ouyang Feng verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. So, du willst also mein Kung-Fu auf den Prüfstand stellen, dachte er. Auf einen beinahe unmerklichen Wink seiner linken Hand hin glitten die weiß gekleideten Frauen auf Huang Yaoshi zu und warfen sich vor ihm in den Staub. Alle waren hochgewachsen und ungewöhnlich blass, manche waren blond, manche braunhaarig, manche hatten blaue, grüne oder graue Augen. Sie sahen ganz anders aus als die Frauen aus der Zentralebene, aber niemand konnte leugnen, dass jede Einzelne eine verführerische Schönheit war.

»Hier bringe ich dir zweiunddreißig Jungfrauen, werter Freund. Meine Diener haben sie in den Regionen des Westens ausfindig gemacht und erworben, und renommierte Lehrer haben sie in Gesang und Tanz unterrichtet, worauf sie sich inzwischen nicht schlecht verstehen. Obwohl natürlich die Schönheit der Weiber aus dem Westen niemals an den Liebreiz der Frauen des Südens heranreichen kann.«

»Erlaubt mir zu gestehen, dass mich derlei Vergnügen nie gereizt haben. Seit dem Tod meiner geliebten Gattin bedeuten mir auch die schönsten Frauen der Welt rein gar nichts. Daher kann ich dein großzügiges Geschenk nicht annehmen.«

»Was schadet es, sie zu behalten, um dir ein wenig die Zeit zu vertreiben und deine Augen und Ohren verwöhnen zu lassen?« Ouyang Feng klatschte dreimal in die Hände.

Acht der Frauen begannen, auf ihren Musikinstrumenten Melodien zu spielen, die in den Ohren der Menschen aus dem Süden seltsam fremd klangen. Die anderen vierundzwanzig tanzten dazu. Die in den vorderen Reihen tanzten tief über dem Boden, während die in den hinteren Reihen sich auf die Zehenspitzen reckten. Sie wirbelten und sprangen mit ihren geschmeidigen Körpern nach rechts und nach links. Jede Bewegung und jeder Körper fügte sich perfekt zu einem harmonischen Bild. Jede schien mit jeder zu einer Einheit verbunden zu sein. Sie reckten die Arme hoch, verdrehten sie, als wären sie knochenlos, und bewegten die Finger beider Hände wellenförmig dazu; sie imitierten ein wogendes Schlangenmeer.

Dieser Tanz erinnerte Huang Rong an Ouyang Kes Wendige Schlangenfaust. Sie schielte zu ihm hin und bemerkte, dass er sie unentwegt anstarrte. Für sie war er die widerlichste Kreatur der Welt. Sie kochte vor Wut auf ihren Vater. Was fiel ihm ein, ihre Nadeln abzulenken? Um diese ungewollte Ehe abzuwenden, musste sie zu drastischen Maßnahmen greifen. Sie dachte an das alte Sprichwort Den Kessel kühlen, indem man das Feuerholz wegnimmt. Der einzige Ausweg war, Ouyang Ke loszuwerden. Wenn der Bräutigam nicht zur Trauung erschien, konnte ihr Vater ihre Hand versprechen, wem er wollte. Dieser Gedanke stimmte sie unwillkürlich heiter. Ouyang Ke verstand ihr Lächeln als gutes Zeichen. Der Schmerz in seiner Brust war sofort vergessen.

Der Tanz wurde immer sinnlicher und verführerischer. Die Frauen ließen die Hüften und die Brüste kreisen und bewegten ihr Becken rhythmisch wie beim Liebesakt.

Huang Yaoshi verzog kaum eine Miene. Dann setzte er mit einem feinen Lächeln die Xiao an die Lippen. Schon die ersten Töne ließen die Tänzerinnen stocken, sie gerieten aus dem Rhythmus und stolperten übereinander. Schließlich folgte ihr Tanz Huang Yaoshis Flötenklängen. Auch die acht Musikerinnen fielen mit ihrem Spiel in die neue Melodie ein. Die Schlangenhirten konnten ebenfalls nicht mehr stillhalten und wuselten und sprangen inmitten ihrer Herde umher.

Ouyang Feng missfiel es, die Darbietung gestört zu sehen. Er klatschte laut in die Hände, packte die Musikerin, die ihm am nächsten stand und nahm ihr das Instrument ab. Es war eine gusseiserne Zheng. Er schlug sie hart an, und martialische Klänge wie von Schwertern in einer Schlacht übertönten das liebliche, ätherische Säuseln der Xiao.

»Komm, lass uns zusammen spielen« sagte Huang Yaoshi lächelnd. Kaum hatte er die Flöte abgesetzt, verlangsamte sich der Tanz.

»Verschließt eure Ohren! Der Herr der Insel und ich werden ein Duett spielen«, verkündete Ouyang Feng.

Sein Gefolge verstand sofort, dass es ihm mit dieser Anweisung ernst war. Eilig rissen sich die Frauen Fetzen von ihren Kleidern, stopften sie in ihre Ohren und schlangen sie mehrmals um ihre Köpfe, damit kein Laut zu ihnen vordrang. Auch Ouyang Ke verstopfte seine Ohren vorsorglich mit Watte.

»Mein Vater spielt für dich! Wie kannst du es wagen, ihn zu beleidigen?«, herrschte Huang Rong ihn an.

»Das ist keine Beleidigung«, sagte Huang Yaoshi. »Dass er nicht noch einmal meiner Xiao lauschen möchte, hat gute Gründe. Und ich fürchte, auch dir wird es nicht möglich sein, die Klänge von Onkel Ouyangs Zheng zu genießen.« Er zog ein Seidentuch hervor, riss es in zwei Streifen und verschloss ihre Ohren damit. »Bedauerlicherweise können sich deine Schlangen wohl kaum vor unseren Melodien schützen«, sagte er dann und gab einem Diener einen Wink, woraufhin dieser den Schlangenhirten bedeutete, ihm zu folgen. Die Hirten sahen Ouyang Ke fragend an. Er nickte. Sie bliesen in ihre Pfeifen und folgten mit der Schlangenherde dem Diener, froh, sich selbst außer Hörweite zu bringen.

Guo Jing schlich sich etwas näher heran. Er war neugierig auf Ouyang Fengs Musik.

»Bitte, sieh es mir nach, wenn meine Darbietung nicht an deine Kunst heranreicht, Bruder Yaoshi.« Ouyang Feng setzte sich im Schneidersitz auf einen Felsblock, die Zheng auf dem Schoß. Dann schloss er die Augen, um sein Qi zu sammeln, und schlug mit der rechten Hand die ersten Töne an.

Die chinesische Qinzheng war bekannt für ihren melancholischen Klang, doch diese gusseiserne Zheng der Westgebiete klang besonders wehmütig. Guo Jing hatte kein Ohr für Musik, aber er spürte, wie jede gezupfte Saite seinen Puls beschleunigte. Je schneller Ouyang Feng spielte, umso mehr raste Guo Jings Herz. Er hatte das Gefühl, als ob es ihm aus dem Hals springen wollte. Rechtzeitig begriff er, wie gefährlich die Melodie war, setzte sich mit gekreuzten Beinen hin, schloss die Augen, lenkte sein Qi, beruhigte seinen Atem und sammelte seinen Geist. Bald konnte ihm die Musik nichts mehr anhaben.

Ouyang Fengs Spiel wurde drängender und drängender. Sein Rhythmus hatte sich inzwischen so sehr beschleunigt, dass man keine einzelnen Töne mehr heraushören konnte. Der Klang von zehntausend galoppierenden Pferden und Hunderten von Kriegstrommeln drückte wie eine mächtige Wand aus Tönen auf Guo Jing. Hin und wieder schlich sich ein zartes Summen in das harte Scheppern der Zheng, erst vorsichtig, dann immer selbstbewusster. Es ließ Guo Jing erröten und sein Herz wieder schneller schlagen. Erneut musste er sich konzentrieren und seine Sinne unter Kontrolle bringen. So wild und laut die Zheng auch tönte, vermochte sie allerdings nicht, das Trillieren der Xiao zu übertönen. Beide Großmeister hielten unverdrossen an ihren eigenen Melodien fest. Die Nacht war erfüllt von einer lärmenden Kakofonie.

Die eiserne Zheng klang nach den Affenschreien in abgelegenen Gebirgen und Eulenrufen in der Tiefe des Waldes. Die Bambusflöte hatte die Wärme von Frühlingssonne und die Zartheit eines Wisperns in der Kammer eines Mädchens. Leidenschaftliches Leid kämpfte gegen sanfte Sinnlichkeit.

Wurde eine Melodie höher, schlug die andere tiefere Töne an, schwoll die eine an, versiegte die andere beinahe. Doch nie gewann eine davon die Oberhand.

Amüsiert betrachtete Huang Rong das stumme Konzert. Verstohlen beobachtete sie, wie ihr Vater, der im Stehen spielte, nach dem Muster der Acht Trigramme hin- und herging, so wie er es immer dann tat, wenn er an seinem inneren Kung-Fu arbeitete. Sein Gegner musste sehr stark sein, um ihm solche Schwierigkeiten zu bereiten. Doch ein Blick auf Ouyang Feng verriet ihr, dass auch er kämpfte. Sein Kopf dampfte wie ein Kochtopf, während er all seine Kraft in die Musik legte und seine Ärmel mit seinen heftigen Zupf- und Streichbewegungen im Wind flatterten.

Guo Jing, der anders als Huang Rong den Wettkampf mit den Ohren wahrnahm, fragte sich, was das Musizieren mit Kampfkunst zu tun hatte und warum ihre Melodien so berauschend und aufwühlend waren. Nachdem er seinen Geist so unter Kontrolle gebracht hatte, dass die Musik ihm nichts anhaben konnte, lauschte er aufmerksam den Klangfarben der beiden Instrumente. Eine war weich, die andere hart, sie wallten auf und ebbten ab, begegneten einander wie Angriff und Verteidigung, ganz wie bei einem Duell zweier Kampfkünstler … Natürlich! Huang Yaoshi und Ouyang Feng messen ihr inneres Kung-Fu miteinander!

Mit dieser Erkenntnis schloss Guo Jing abermals die Augen. Nun fiel es ihm nicht mehr schwer, der Musik zu widerstehen, sie konnte sich nicht länger seiner Sinne bemächtigen. Sein Geist war leer und sein Ohr vermochte nun jedes Detail der Musik zu erlauschen. Unwillkürlich wendete er das Prinzip von Zhou Botongs Strahlender Faust an: durch Leere zum Leuchten bringen. Sein inneres Kung-Fu war gewiss noch nicht stark genug, um es mit den beiden Großmeistern aufzunehmen, aber sein Wissen reichte aus, um ihren Kampf aus einer Haltung wunderbarer geistiger Klarheit zu verfolgen. Mit kühlem Auge betrachten, nannte das Sprichwort diesen Zustand, in diesem Fall war es eher mit kühlem Ohr hören.

Warum Zhou Botong, dessen inneres Kung-Fu dem seinen doch weitaus überlegen war, der Musik Huang Yaoshis so schwer widerstehen konnte, war unbegreiflich. Guo Jing wusste nichts von der fatalen Liebesgeschichte, in die Zhou Botong lange Zeit verstrickt gewesen war; sie war ein Dämon, der in ihm hauste und von der Musik herausgelockt wurde. Es war eher die Reinheit eines Herzens, das frei von Begierde und Reue war, die Guo half, der Musik zu widerstehen, als die Stärke seines inneren Kung-Fu.

Anfangs war Guo Jing überzeugt davon, dass das donnernde Klimpern der Zheng das helle Pfeifen der Xiao übertönen würde. Die Flöte wich aus und sprang hoch, getrieben von der Zither, doch kaum entstand eine winzige Lücke in den Attacken der Zheng, stieß sie hell und leuchtend hinein und übertrumpfte sie mit heroischer Anmut, während die Zheng immer leiser wurde. Guo Jing erinnerte sich an die beiden Merksätze, die ihm Zhou Botong beim Lernen der strahlenden Faust mitgegeben hatte. Das Harte kann nicht bestehen, das Weiche nicht beschützen.

Doch dann, gerade als die Xiao den hohen Halbton namens Qingyu erreichte, explodierte mit einem Mal der Saitenklang der Zheng, und wieder triumphierte sie.

Obwohl Guo Jing die strahlende Faust gründlich gelernt hatte, hatte ihm das grundlegende Verständnis des dahinterstehenden Prinzips gefehlt. Er begriff stets nur einen Bruchteil der Zusammenhänge und Theorien, die er auswendig lernte, und geduldige Erklärungen waren auch nicht gerade die Stärke des Alten Kindskopfs. Doch jetzt, während er dem musikalischen Zweikampf der Großmeister zuhörte, fiel ihm auf, dass ihre Taktik ganz den Prinzipien von Zhou Botongs Kung-Fu entsprach. Diese unverhoffte Erkenntnis machte ihn überglücklich.

Er spürte, dass auch die Lehrsätze, die Zhou Botong ihn zuletzt hatte auswendig lernen lassen, in Verbindung mit dem standen, was er soeben hörte, aber noch war er nicht so weit, ihre obskuren Bedeutungen aufzuschlüsseln. Sobald er anfing, sich über die Lehrsätze den Kopf zu zerbrechen, brachte die Musik sein Herz wieder in Aufruhr. Schnell scheuchte er den Gedanken fort und wagte nicht noch einmal, seine Konzentration abschweifen zu lassen.

Mehrmals hatte Guo Jing den Eindruck, dass Huang Yaoshi kurz davor war, das Duell zu gewinnen. Ihm fehlten nur noch einige wenige Koloraturen. Ihm fiel sogar auf, dass Ouyang Feng immer öfter Fehler machte und Gelegenheiten zum Gegenangriff verpasste. Das verwirrte ihn. Tat er das aus Höflichkeit?

Sie spielten bereits seit einer Stunde. Er hatte die Strategien dieses Kampfs verstanden und ein interessantes Muster ausgemacht, nach dem sich die Schwächen der Kontrahenten offenbarten. Immer dann, wenn einer der Großmeister von den Prinzipien der strahlenden Faust abwich, verpasste er die Gelegenheit, die Schwächen des Gegners ausnutzen. Waren Bruder Botongs Prinzipien dem Kung-Fu dieser beiden Großmeister etwa überlegen?

Unmöglich. Denn wäre das Kung-Fu des Alten Kindskopfs besser als das des Ketzers des Ostens, säße er schon längst nicht mehr in seiner Grotte.

Die Flötentöne wurden höher und höher. Guo Jing konzentrierte sich wieder ganz auf das Duell. Nur noch ein bisschen höher, und Ouyang Feng wird verlieren! Guo Jing wünschte sich innig, dass die Flöte triumphierte, aber sie kam nicht höher hinauf. Plötzlich verstand er und musste über seine eigene Dummheit lachen. Es geht einfach nicht höher! Menschliche Fähigkeiten haben ihre Grenzen. Wenn ich die Kraft von zehntausend Pfund in meine Faust lege, könnte ich jeden Gegner zu Brei schlagen, aber woher sollte ich eine solche Kraft nehmen? Wie hat Vierter Meister immer zu mir gesagt: Wenn andere schwere Lasten mit der Schulterstange tragen, sieht es leicht aus, schulterst du selbst dieselbe Last, bricht sie dir das Rückgrat. Wie viel mehr gilt diese Weisheit für das höchste Kung-Fu!

Das musikalische Duell wurde immer hitziger. Die Kontrahenten kämpften bis aufs Messer, so unbarmherzig und atemlos wie in einem echten Kampf – nur, dass ihre Waffen eine Flöte und eine Zither waren. Jeden Augenblick konnte die Entscheidung fallen.

Plötzlich ertönte vom Meer her ein schriller Pfiff.

Die beiden Großmeister erschraken und ihr Spiel stockte. Die Pfiffe mussten von einem Boot stammen, das sich der Insel näherte. Ouyang Feng hatte sich schnell wieder gefasst und entlockte seiner Zheng mit einem wilden Tremolo Klänge wie von zerreißender Seide. Der unbekannte Dritte antwortete darauf, indem er mit ohrenbetäubend schrillen Tönen in den Wettkampf einstieg. Huang Yaoshi nahm die Herausforderung an, ließ seine Flöte gleichzeitig mit der Pfeife ringen und mit der Zither fechten. Das wüste Handgemenge ihrer Töne ließ Guo Jing an Zhou Botongs doppelte und dreifache Händeduelle denken. Offenbar waren jetzt drei Großmeister auf der Insel versammelt.

Nun kam das Pfeifen bereits aus dem Dschungel. Mit der Macht eines Tigerbrüllens und dem Beben eines Pferdewieherns schwoll es an und ebbte ab. Dann wieder säuselte es wie ein sanfter Wind, der durch die Wälder weht oder murmelte wie Regentropfen, die auf Blüten fallen. Es war wundersam wandelbar. Der Klang der Xiao blieb hell und weich, der Ton der Zither traurig und hart, keiner der Meister gab auch nur einen Fingerbreit nach. Niemand vermochte ein solches Klanggemenge zu entwirren.

Niemand außer Guo Jing, dessen Sinne durch seine Achtsamkeit magisch geschärft waren. Er war völlig hingerissen.

»Bravo!«

Guo Jing hatte gar nicht gemerkt, dass er seine Begeisterung laut herausgeschrien hatte. Noch bevor er an Flucht überhaupt denken konnte, flog ein schwarzer Schatten auf ihn zu. »Du kommst mit mir, junger Mann.«

Die Musik war verstummt.

»Jawohl, Fürst Huang.« Über alle Maßen beschämt, trottete Guo Jing hinter ihm her.

Als Huang Rong Guo Jing erblickte, brach sie in Freudentränen aus. Ihre Ohren waren so fest verstopft gewesen, dass sie nichts mitbekommen hatte. Sie zog die Tücher heraus und fiel in seine Arme.

»Guo Jing, endlich …« Ihre Stimme versagte, denn sofort mischte sich Traurigkeit in ihren Jubel.

Schon der Anblick Guo Jings brachte Ouyang Kes Blut in Wallung. Und jetzt musste er auch noch mitansehen, wie stürmisch Huang Rong diesen Bauerntrampel begrüßte. Rasend vor Eifersucht holte er zu einem gewaltigen Faustschlag aus. »Nimm das, du Wicht!«

Er war sich sicher, dass ein Überraschungsangriff mit seinem überlegenen Kung-Fu seinem Rivalen mindestens eine gebrochene Nase bescheren und ihn fürs Erste außer Gefecht setzen würde. Wie hätte er ahnen können, dass Guo Jings Kung-Fu in wenigen Wochen noch besser geworden war als bei ihrem letzten Kampf im Ahnentempel der Familie Liu? Guo Jing sah den Angriff rechtzeitig aus den Augenwinkeln nahen, wich seitlich aus und wehrte sich mit gleich zwei Varianten der Drachenbezwingenden Hände gleichzeitig: Die Wildgans landet mit der Linken und Die Reue des stolzen Drachen mit der Rechten. Allein einer der Drachenbezwingenden Hände des Bettlerfürsten war schwer genug beizukommen, aber wie wehrte man sich gegen einen Gegner, der unfassbarerweise mit zwei dieser Techniken gleichzeitig angriff, als wäre er nicht einer, sondern zwei Kämpfer?

Selbst Huang Yaoshi und Ouyang Feng staunten. Die beiden Großmeister, die so weit in der Welt der Kampfkünste herumgekommen und so stolz auf ihr unermessliches Kung-Fu waren, hatten dergleichen noch nie gesehen.

Ouyang Ke sah, wie sich Guo Jings Faust seinem rechten Oberkörper näherte. Selbst er musste einer Drachenbezwingenden Hand ausweichen, wenn er nicht seine Lunge bersten sehen wollte. Instinktiv glitt er nach links – wo schon Guo Jings rechte Faust auf ihn wartete. Er wich gerade noch zurück, aber die Energie von Guo Jings mächtigem Schlag verstärkte den Rückwärtsimpuls, und er schoss bis auf das Dach des Bambuspavillons hinauf, wo er taumelnd versuchte, sein Gleichgewicht zu finden, und schließlich hilflos herunterfiel. Gedemütigt und mit furchtbaren Schmerzen in der Brust trottete er zurück an die Seite seines Onkels.

Huang Rong applaudierte jubelnd. Guo Jing war der Einzige, der noch glaubte, dass er einen Zufallstreffer gelandet hatte. Wahrscheinlich war Ouyang Ke einfach nur unaufmerksam, mutmaßte er. Ihm war nicht bewusst, wie groß die Fortschritte waren, die er bei seinen Übungen mit Zhou Botong gemacht hatte. Da er einen wütenden Gegenangriff fürchtete, blieb er auf der Hut.

»Ich gratuliere dir zu deinem formidablen Schüler, Alter Bettler Hong«, sagte Ouyang Feng mit lauter Stimme, während er Guo Jing einen vernichtenden Blick zuwarf.

»Meister!«, rief Huang Rong und rannte in den Bambuswald. Der Himmel hatte Bettlerfürst Hong zu ihrer Rettung geschickt!

Sie nennt ihn Meister?, durchfuhr es Huang Yaoshi. Schon trat Bettlerfürst Hong Qigong aus dem Bambuswald, den jadegrünen Bambusstock in der Rechten und auf dem Rücken der unvermeidliche Flaschenkürbis. Huang Rong hing an seiner linken Hand. Huang Yaoshi begrüßte ihn mit einer Verbeugung. Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeitsfloskeln wandte er sich an seine Tochter. »Wie hast du Bettlerfürst Hong eben genannt?«

»Bettlerfürst Hong hat mich als Schülerin angenommen«, erklärte sie. »Leider kam ich nicht dazu, dich um Erlaubnis zu bitten. Aber ich weiß schließlich, dass du große Stücke auf ihn hältst, nicht wahr? Ich habe so oft gehört, wie du seine Rechtschaffenheit gepriesen hast und war mir sicher, dass du dich für mich freust. Du verzeihst mir doch, Vater?«

»Ich schulde Bruder Qigong großen Dank für die Güte, meine Tochter als Schülerin anzunehmen. Sie ist ungezogen und vorlaut, und ich hoffe, du vermagst sie ein wenig zu disziplinieren.« Huang Yaoshi, ehrlich erfreut über diese Nachricht, machte eine tiefe Verbeugung vor Hong Qigong.

Nicht weniger freute sich der Bettlerfürst darüber, dass der eitle Alte Ketzer ihm so schmeichelte, also schmeichelte er großzügig zurück. »An das herausragende Kung-Fu des Ketzers des Ostens wird seine Tochter ein Leben lang nicht heranreichen, da werde ich nichts ausrichten können. Ich muss gestehen, dass ich sie aus purem Eigennutz unter meine Fittiche genommen habe, denn ihre Kochkunst ist magisch. Solange ich davon kosten darf, gibt es nichts, wofür mir zu danken wäre.«

Die beiden Großmeister brachen in herzhaftes Lachen aus.

Huang Rong zeigte mit dem Finger auf Ouyang Ke. »Hätte Bettlerfürst Hong mich nicht vor diesem Schurken gerettet, hättest du mich nie wiedergesehen, Vater!«

»Was redest du da für einen Unfug! Warum sollte er dich bedrohen?«, fragte Huang Yaoshi.

»Wenn du mir nicht glaubst, dann soll er es selbst gestehen.« Sie wandte sich Ouyang Ke zu. »Schwöre, dass du die Wahrheit sagst, sonst sollen sämtliche Schlangen deines Onkels dein Tod sein.«

Alle Farbe wich aus den Gesichtern der beiden Ouyangs. Zwei dieser Schlangen hausten nämlich in Ouyang Fengs Stab, der über zwei Hohlräume verfügte. Mithilfe eines Mechanismus konnte er jederzeit den Verschluss am Kopfende aufspringen lassen. Er hatte über ein Jahrzehnt damit zugebracht, die beiden Vipern zu züchten, immer wieder hatte er neue, hochgiftige Rassen miteinander gekreuzt. Sie waren seine Waffe, um Verräter zu strafen oder mit Feinden abzurechnen. Ihr Gift verursachte zuerst ein entsetzliches Jucken am ganzen Körper, dem ein rascher Tod folgte. Zwar hatte er ein Gegenmittel entwickelt, aber das Gift dieser Vipern war so gefährlich, dass es in jedem Fall für furchtbare Qualen sorgte. Wer diesen Schlangenbiss erlitt, wäre niemals wieder in der Lage, Kampfkunst auszuüben.

»Wie käme ich dazu, meinen Schwiegervater anzulügen?«, antwortete Ouyang Ke.

»Nenn ihn noch einmal so, und ich verpasse dir eine Ohrfeige!«, sagte Huang Rong. »Aber fangen wir doch beim Anfang an: Wir sind uns zum ersten Mal im Palast des Königs Zhao in Zhongdu begegnet, nicht wahr?«

Ouyang Ke nickte. Schweiß perlte von seiner Stirn. Nur mit großer Mühe konnte er seine Schmerzen unterdrücken. Sobald er den Mund aufmachte, würde er die Kontrolle verlieren und von den Qualen überwältigt werden. Ein Wort zu viel, und jeder sah, wie sehr er litt. Diesen Gesichtsverlust wollte er sich um jeden Preis ersparen.

»In jener Nacht hast du dich mit Sha Tongtian, Peng Lianhu, Liang Ziweng und Lama Erhabene Weisheit gegen mich verbündet, ja oder nein?«

»Nein, ich … ich habe mich nicht mit ihnen …« Der Schmerz schnürte ihm die Kehle zu.

»Gut, sagen musst du nichts, mir genügt ein Nicken oder ein Kopfschütteln. Ich frage dich noch einmal. Sha Tongtian, Peng Lianhu, Liang Ziweng und Lama Erhabene Weisheit haben mich schikaniert, nicht wahr?«

Er nickte.

»Sie haben versucht, mich festzuhalten, aber es ist ihnen nicht gelungen. Und dann hast du sie unterstützt, ja oder nein?«

Er nickte.

»Ich war ganz auf mich allein gestellt dort in der Banketthalle im Palast von König Zhao. Niemand stand mir zur Seite, und mein Vater war weit weg und konnte mir nicht helfen. So war es doch, nicht wahr?«

Ouyang Ke wusste genau, dass sie darauf aus war, ihren Vater gegen ihn aufzubringen. Er hasste sie dafür, aber er konnte nicht leugnen und nickte widerwillig.

Huang Rong fasste ihren Vater an der Hand. »Siehst du jetzt, Vater, wie sehr du mich im Stich gelassen hast? Wäre Mutter noch am Leben, hättest du mich nie so behandelt …« Die Erinnerung an seine Frau versetzte Huang Yaoshi einen Stich. Er legte schützend den Arm um seine Tochter.

Ouyang Feng hielt es für geboten, seinem Neffen beizustehen. »Aber diesen berühmten Kampfkünstlern gelang es nicht, Euch festzuhalten, weil Ihr das außergewöhnliche Kung-Fu Eures Vaters geerbt habt … das stimmt doch, oder?«

Huang Rong nickte grinsend und Huang Yaoshi ließ sich gerne Honig um den Bart schmieren.

»Bei dieser Gelegenheit war es, werter Bruder Yaoshi, dass mein Neffe die außerordentlichen Talente deiner Tochter erleben durfte und sie seither inbrünstig verehrt. Der Zauber der Leidenschaft hat ihn dazu gebracht, unverzüglich eine Brieftaube zum Weißen Kamelberg zu schicken, um mich anzuflehen, den Tausende von Li weiten Weg zur Pfirsichblüteninsel auf mich zu nehmen und um die Hand deiner Tochter zu bitten. Für niemanden sonst auf Welt hätte ich diese beschwerliche Reise auf mich genommen.«

»Ich weiß die Ehre zu schätzen.« In der Tat fühlte sich Huang Yaoshi geschmeichelt.

Ouyang Feng richtete das Wort jetzt an Hong Qigong. »Ich frage mich, warum du die Bewunderung meines Neffen für die Talente der Pfirsichblüteninsel so verachtest, dass du einen Jüngeren angreifst? Wäre mein Neffe nicht so widerstandsfähig, hätte er durch deine Nadelwurfkunst Himmel voller Tautropfen sein Leben eingebüßt.«

Der Bettlerfürst lachte. Ob nun Ouyang Ke seinem Onkel eine falsche Geschichte erzählt hatte oder Ouyang Feng absichtlich die Tatsachen verdrehte – er hatte keine Lust, auf diesen Unfug einzugehen und nahm lieber einen kräftigen Schluck aus seinem Flaschenkürbis.

Guo Jing jedoch konnte das nicht durchgehen lassen. »Es war Meister Hong, der Eurem Neffen das Leben gerettet hat!«

»Wer hat dich nach deiner Meinung gefragt, Junge?«, herrschte Huang Yaoshi ihn an.

»Rong, erzähl du deinem Vater, wie er Fräulein Cheng … entführt hat.«

Huang Rong kannte ihren Vater und seine Abscheu für herkömmliche Moralvorstellungen. Was kümmern mich die Riten und Regeln?, pflegte er oft zu sagen. Er hielt es mit den Freigeistern der Jin-Zeit, die den Staat verachteten und ihren eigenen Vorlieben nachgingen. Nicht von ungefähr war er als Ketzer bekannt. Am Ende würde er das verabscheuungswürdige Verhalten Ouyang Kes noch als die Taten eines weltgewandten Lebemanns gutheißen – allein deshalb, um seiner Verachtung für Guo Jing Ausdruck zu verleihen. Ihr schien es geraten, das Thema zu wechseln. »Ich war noch nicht fertig!«, sagte sie zu Ouyang Ke. »Bei unserem Kampf im Palast des Königs Zhao hast du behauptet, mich ohne Hände und ohne jedes Kung-Fu schlagen zu können, richtig?«

Ouyang Ke nickte.

»Und als wir uns in Baoying duelliert haben, sagtest du, eine besondere Kampfkunstform deines Onkels könne mich besiegen, ganz gleich, ob ich mich mit der Kampfkunst meines Vaters oder der von Bettlerfürst Hong wehre. Das stimmt doch?«

Diese Regel hattest du aufgestellt, nicht ich, dachte Ouyang Ke, aber Huang Rong gab ihm gar nicht erst die Gelegenheit, zu widersprechen. »Du hast mit dem Fuß einen Kreis in den Boden gezeichnet und gesagt, wenn ich dich mit dem Kung-Fu meines Vaters aus dem Kreis beförderte, würde ich gewinnen. Ja oder nein?«

Ouyang Ke nickte.

»Siehst du, Vater, wie geringschätzig er von deinem und Meister Hongs Kung-Fu denkt? Er sagt es selbst. Dein Kung-Fu und das Meister Hongs zusammengenommen sind dem seines Onkels unterlegen. Er denkt also, ihr zwei könntet selbst mit vereinten Kräften seinen Onkel nicht besiegen.«

»Rede nicht so einen Unsinn, mein Kind. Jeder, der sich auf Kampfkunst versteht, weiß, dass der Ketzer des Ostens, Gift des Westens, König des Südens und Bettler des Nordens in ihrem Wissen um die Kampfkunst einander ebenbürtig sind.« Trotz dieser Rüge missfiel Huang Yaoshi die Arroganz Ouyang Kes immer mehr. Er wollte nicht länger über diese Sache reden und wandte sich Bettlerfürst Hong zu. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«

»Ich hätte eine Bitte an dich.«

Der Bettlerfürst war niemand, der sich selbst allzu ernst nahm, aber er war ein aufrechter Mensch, der sich für die Schwachen einsetzte. Dass dieser große Kampfkünstler ihn um Hilfe ersuchte, gefiel dem Alten Ketzer, wusste er doch, dass der Bettler für gewöhnlich niemals um Beistand bat und seine Probleme allein oder mithilfe des Bettlerklans regelte. »Wir sind seit Jahrzehnten Freunde. Wir könnte ich meinem älteren Bruder eine Bitte abschlagen?«

»Nicht so hastig. Es handelt sich um eine heikle Angelegenheit.«

»Ich bezweifle, dass du mich wegen einer Lappalie aufgesucht hättest«, lachte Huang Yaoshi.

»Du kennst mich gut!« Hong Qigong klatschte lachend in die Hände. »Du wirst also meiner Bitte stattgeben?«

»Ich gebe dir mein Wort. Ich gehe mit dir durch Feuer und Wasser.« Jemand wie der Bettlerfürst würde niemals um etwas Ungehöriges bitten, da war sich Huang Yaoshi sicher.

Ouyang Feng hob seinen Schlangenstab. »Sollten wir uns nicht erst anhören, was Bruder Qigong auf dem Herzen hat?«

»Mit dir hat das nichts zu tun, Alter Giftmolch, dein Gestammel dazu will niemand hören. Es reicht, wenn du deine Eingeweide auf ein anständiges Hochzeitsbankett einstimmst.«

»Ein Hochzeitsbankett?«

»Du hast richtig gehört.« Bettler Hong zeigte auf Guo Jing und Huang Rong. »Ich habe meinen Schülern versprochen, dass ich Bruder Yaoshi um die Einwilligung zu ihrer Hochzeit bitten werde, und soeben hat er zugestimmt.«

Erstaunte Freude aufseiten Huang Rongs und Guo Jings, ungläubiges Entsetzen aufseiten der beiden Ouyangs und Huang Yaoshis.

»Ich fürchte, du irrst dich, Bruder Qigong. Bruder Yaoshi hat seine werte Tochter bereits meinem Neffen versprochen. Wir sind auf die Insel gekommen, um die Verlobungsgeschenke zu überreichen.«

»Stimmt das, Bruder Yaoshi?«

»So ist es. Ich hoffe, du erlaubst dir keinen Scherz mit mir, Bruder Qigong?«

»Scherz? Wie käme ich dazu.« Das Gesicht des Bettlers verdunkelte sich. »Deine Tochter ist jetzt also zwei Männern versprochen, in beiden Fällen mit deiner Zustimmung. Ich fungiere als Ehestifter für die Familie Guo. Wo ist euer Ehestifter?«

Ouyang Feng war von dieser Frage völlig überrumpelt. »Wozu braucht es einen Ehestifter, wenn Bruder Yaoshi und ich uns bereits einig sind?«

»Aber es gibt einen, der nicht zugestimmt hat.«

»Wer?«

»Dieser alte Bettler hier.« Hong Qigong lachte.

Ouyang Feng war sich bewusst, was diese Worte bedeuteten. Der Bettler forderte ihn heraus. Er enthielt sich einer Antwort und verzog keine Miene.

»Wie könnte ein unanständiger Flegel wie dein Neffe eine gute Partie für dieses blütengleiche Mädchen sein? Ihr beiden könnt sie vielleicht zwingen, ihn zu heiraten, aber ihr könnt sie nicht dazu bringen, ihn zu mögen. Sie würden einander tagein, tagaus bis aufs Blut bekriegen. Was soll das für eine Ehe werden?«

Huang Yaoshi warf seiner Tochter einen Blick zu. Natürlich wollte er, dass sie glücklich wurde. Doch als er sah, wie liebevoll sie diesen Guo Jing anlächelte, meldete sich sofort wieder seine alte Abneigung. Dieser hitzköpfige Tölpel war ihm schlicht zuwider.

Als Mann von großer Klugheit, bewandert in jeder künstlerischen und militärischen Disziplin von Literatur und Kriegsführung über Musik und Schach bis hin zu Kalligrafie und Malerei, umgab sich der Herr der Pfirsichblüteninsel ausschließlich mit Geistesgrößen und kultivierten Gelehrten, die seiner wert waren. Und auch Huang Rong war außerordentlich klug, nicht anders, als es seine Ehefrau gewesen war. Seine einzige Tochter diesem tumben Hitzkopf zu geben war für ihn, wie eine duftende Blume in einen Misthaufen zu pflanzen. Niemals! Ein Blick auf Ouyang Ke genügte ihm, um festzustellen, dass dieser elegante, gut aussehende und kultivierte junge Mann in jeder Hinsicht hundertmal besser geeignet war.

Er hatte eine Idee. »Bruder Feng, ich denke, du solltest dich zunächst um die Verletzung deines Neffen kümmern. Wir können später weiterreden.«

Diese Aufforderung kam Ouyang Feng, der sich schon die ganze Zeit Sorgen um den Zustand seines Neffen gemacht hatte, gerade recht. Ohne ein weiteres Wort verschwand er mit Ouyang Ke im Bambuswald.

Huang Yaoshi und Hong Qigong plauderten in der Zwischenzeit freundlich über die Weltläufte. Nach kurzer Zeit schon kehrten die beiden Ouyangs in den Bambuspavillon zurück. Ouyang Kes Rippe war wieder eingerenkt und die Nadeln aus seiner Brust entfernt.

»Es ehrt mich zutiefst, dass sowohl Bruder Qigong als auch Bruder Feng mir ihre Wertschätzung zeigen, indem sie den weiten Weg zu meiner Insel auf sich genommen haben, um meiner launischen und eigensinnigen Tochter einen Ehemann zu präsentieren«, hob Huang Yaoshi an. »Obwohl ich sie bereits der Familie Ouyang versprochen habe, wäre es unlauter von mir, Bruder Qigongs Ansinnen abzuschlagen. Ich hätte einen Vorschlag, auf welche Weise wir dieses Dilemma glücklich lösen könnten.«

»Spuck es schon aus, ein Bettler hat keine Zeit für blasierten Salbader.«

Huang Yaoshi lächelte. »Eures Bruders Tochter verfügt weder über nennenswerte Schönheit noch andere Tugenden oder Talente. Dennoch habe ich zeitlebens gehofft, einen würdigen Gatten für sie zu finden. Da Junker Ouyang der Neffe von Bruder Feng ist und Junker Guo der Schüler von Bruder Qigong, stehen ihre charakterlichen Qualitäten außer Frage. Es ist mir unmöglich, einen dem anderen vorzuziehen. Daher bleibt als einziger Ausweg, drei Prüfungen festzulegen, bei denen sich die beiden Anwärter bewähren müssen. Derjenige mit den größeren Fähigkeiten wird die Hand meiner Tochter gewinnen. Ich verspreche, vollkommen unparteiisch zu bleiben. Was sagt ihr dazu, meine Freunde?«

»Ein ausgezeichneter Vorschlag!«, applaudierte Ouyang Feng. »Nur auf einen Wettstreit der Kampfkünste müssen wir leider verzichten, da mein Neffe noch verwundet ist.«

Ouyang Feng wusste, dass sein Neffe niemals kämpferisch gegen Guo Jing bestehen würde. Seine Verletzung war eine willkommene Ausrede.

»Gewiss. Wir wollen nicht durch blutige Kämpfe Zwietracht säen«, stimmte Huang Yaoshi zu.

Vermaledeiter Alter Ketzer, dachte der Bettlerfürst. Als wären wir nicht alle Männer der Kampfkunst! Willst du uns stattdessen einen Poetenwettstreit austragen lassen, wie? Warum verheiratest du das Mädchen nicht gleich an den höchstrangigen Streber des Landes? Unparteiisch willst du sein, dass ich nicht lache! Mein einfältiger Schüler wird weder in diesem noch im nächsten Leben eine Prüfung in Versklauberei bestehen. Bleibt mir nur, dass ich persönlich den Alten Giftmolch herausfordere. »Wir alle sind Männer des Jianghu, sollen wir uns statt in der Kampfkunst denn im Fressen und Scheißen messen?«, sagte er laut. »Dein Neffe ist verletzt, aber du bist es nicht. Los, lass uns an ihrer Stelle kämpfen.«

Der Bettlerfürst holte zu einem Schlag gegen Ouyang Fengs Schulter aus. Der Großmeister vom Weißen Kamelberg nahm die Schulter zurück und trat ein paar Schritte rückwärts. »Wehr dich!« Der Bettlerfürst legte seinen Stock auf einem der Bambustische ab und legte sieben Schläge nach. Ouyang Feng wich allen Angriffen mit Leichtigkeit aus.

Donnerwetter! Huang Yaoshi ließ seine Gäste gewähren. Er wollte unbedingt sehen, welche Fortschritte die anderen beiden Großmeister seit ihrer letzten Begegnung auf dem Gipfel des Hua gemacht hatten.

Hong Qigong und Ouyang Feng hatten seither hart daran gearbeitet, sich in ihrer Kunst zu immer neuen Höhen aufzuschwingen und ihre ureigenen Techniken zu verfeinern. Sie lieferten sich einen unbarmherzigen Schlagabtausch, zogen aber immer rechtzeitig die Hand zurück. Zuerst wollten sie abschätzen, inwieweit sich das Kung-Fu des anderen gewandelt hatte. Ihre Fäuste wirbelten zwischen den Bambusblättern umher. Schon bei diesem Probekampf boten sie mit jeder einzelnen Form ausgefeilte Kampfkunst dar.

Guo Jing war völlig fasziniert von den erfindungsreichen und unvorhersehbaren Formen. Solch raffiniertes Kung-Fu hätte er sich in seinen wildesten Träumen nicht ausmalen können. Je länger er zusah, desto mehr fielen ihm allerdings die Ähnlichkeiten zwischen diesen Formen und dem Text auf, den er von Zhou Botong gelernt hatte. Was er jetzt vor sich sah, gab ihm endlich eine vage Vorstellung von der Umsetzung dieser Texte in Form. Trotz der rasenden Geschwindigkeit beobachtete er dies genau und prägte es sich so gut er konnte ein. Das unsichtbare innere Kung-Fu hinter dem musikalischen Wettkampf zwischen Huang Yaoshi und Ouyang Feng war viel schwieriger zu entschlüsseln gewesen. Er sah wie gebannt zu.

Im Nu hatten die beiden Großmeister mehrere Hundert Angriffe durchgeführt. Beide waren so verblüfft wie beeindruckt vom Kung-Fu des anderen.

Huang Yaoshi bereitete das, was er zu sehen bekam, großen Kummer. Nun habe ich so viele Jahre auf meiner Insel an meinem Kung-Fu gearbeitet, dass ich überzeugt war, nach Wang Chongyangs Tod zur Nummer eins unter den Großmeistern aufgestiegen zu sein. Aber nun muss ich sehen, dass der Alte Bettler und der Alte Giftmolch sich jeder auf seine Weise fortentwickelt haben. Welch staunenswertes Kung-Fu!

Ouyang Ke und Huang Rong dagegen warteten nur darauf, dass endlich einer von beiden gewann, und achteten kaum auf die virtuosen Details der Darbietung. Irgendwann bemerkte Huang Rong, dass Guo Jing ständig herumzappelte. Mit einem merkwürdigen Funkeln in den Augen folgte er begeistert dem Kampf und zuckte mit den Händen und Füßen, unwillkürlich die Formen imitierend. »Guo Jing!«, flüsterte sie ihm mahnend zu. Aber er hörte sie nicht.

Dann sah sie nach ihrem Vater, aber auch er war völlig fasziniert und betrachtete mit einem seltsamen Gesichtsausdruck das Kampfgeschehen. Ouyang Ke hatte als Einziger nur Augen für Huang Rong und wedelte, überzeugt, eine elegante Figur abzugeben, sachte mit seinem Fächer.

Gebannt verfolgte Guo Jing das Geschehen. Hin und wieder entschlüpfte ihm unwillkürlich ein Jubelschrei. »Mach nicht so einen Rabatz!«, fauchte Ouyang Ke ihn an. »Als ob ein Trottel wie du etwas von solcher Kampfkunst verstehen würde.«

»Unverschämtheit!« gab Huang Rong zurück. »Nur weil du selber nichts davon verstehst.«

»Er tut doch nur so als ob. Wie könnte so ein Grünschnabel das raffinierte Kung-Fu meines Onkels nachvollziehen?«

»Woher willst du wissen, wozu er in der Lage ist?«

Sie stritten weiter, aber weder Guo Jing noch Huang Yaoshi schenkte ihnen Beachtung.

Hong Qigong und Ouyang Feng waren in die Hocke gegangen. Einer schnippte mit dem Mittelfinger gegen einen Punkt zwischen seinen Augenbrauen, der andere hatte den Kopf in die Hände gelegt, hielt sich die Ohren zu und schloss die Augen. Die beiden Großmeister hatten sich inzwischen so mit den Formen des anderen vertraut gemacht, dass sie selbst die tödlichsten Schläge mühelos abzuwehren wussten. Es galt nun, auf der Stelle eine neue Form zu erfinden, um den anderen zu überrumpeln.

Seit dem Wettkampf auf dem Gipfel des Hua waren sich Bettler des Nordens und Gift des Westens nicht mehr begegnet. Die Westgebiete waren so weit von der Zentralebene entfernt, dass sie auch nichts voneinander gehört hatten. Im Lauf dieses Kampfs war ihnen klar geworden, dass sie sich mit all ihren Stärken und Schwächen auch nach vielen Jahren noch immer ebenbürtig waren.

Der Mond war verblasst und im Osten lugte bereits rot die Sonne am Horizont hervor. Die beiden Kämpfer waren mit ihrer Weisheit am Ende. Immer neue Formen und Variationen hatten sie sich ausgedacht, aber trotz aller Anstrengungen vermochte keiner die Oberhand zu gewinnen.

Guo Jing war hin- und hergerissen zwischen Begeisterung und Verwirrung. Vieles von dem, was er gesehen hatte, war wie eine Illustration von Zhou Botongs Lehrsätzen. Während er noch versuchte, es gedanklich nachzuvollziehen, folgte schon die nächste Form und scheuchte das, was er eben zu begreifen geglaubt hatte, wieder aus seinem Kopf. Huang Rong wunderte sich, wie aufmerksam Guo Jing jeder Bewegung folgte, wie er das Geschehen förmlich aufsog. Hatte er in den wenigen Wochen, die wir getrennt waren, eine göttliche Eingebung? Oder ist er vor lauter Sehnsucht nach mir durchgedreht? Ach, mir ist es auch so ergangen. Wäre ich nur nicht so schnell gelaufen, als wir auf der Insel gelandet sind! Zu spät habe ich gemerkt, dass ich ihn verloren hatte. Und dann konnte ich ihn nicht mehr finden. Ich habe mir bestimmt so viele Sorgen um ihn gemacht wie er um mich.

Sie wollte ihn an der Hand fassen. Guo Jing, der eben dabei war, einen von Ouyang Fengs Handkantenschlägen zu imitieren, fuhr abrupt herum und ließ die Hand vorschnellen. Obwohl die Form harmlos aussah, spürte Huang Rong in dem Augenblick, als sie ihn berührte, eine immense Kraft, die sie unversehens in die Luft schleuderte.

Oh nein! Guo Jing sprang sofort auf, um sie aufzufangen, aber Huang Rong war bereits aus dem Flug mit einem grazilen Hüftschwung auf dem Dach des Bambuspavillons gelandet. Guo Jing stieß sich ab, ergriff eine vorstehende Dachtraufe und katapultierte sich mit einem Rückwärtssalto zu ihr auf das Dach.

Dort saßen sie nun nebeneinander und betrachteten den Kampf von oben. Es war ein Moment höchster Anspannung. Ouyang Feng, noch immer in der Hocke, hielt jetzt die Arme waagerecht vor der Brust gekreuzt. Er sah aus wie eine Riesenkröte kurz vor dem Sprung. Dabei stieß er sporadisch seltsame Grunzlaute aus.

»Was er wohl vorhat?«, flüsterte Huang Rong grinsend.

»Das weiß ich auch nicht«, sagte Guo Jing. Doch dann erinnerte er sich an Zhou Botongs Erzählung, wie Wang Chongyang mit seinem Sonnenfinger Ouyang Fengs Kunst der Explodierenden Kröte bezwungen hatte. »Ah, jetzt weiß ich es. Das ist sein furchtbarstes Kung-Fu, es heißt Explodierende Kröte

»So sieht er auch aus. Wie eine widerliche Kröte!«

Eine Kröte bricht, nachdem sie lange Zeit unter der Erde in der Winterstarre verharrt hat, im Frühjahr plötzlich voller Energie aus dem Boden hervor. Daher hatte Ouyang Fengs eigentümliches Kung-Fu seinen Namen. Im Lauf der Jahre hatte er immer wieder neue Arten ausprobiert, um möglichst viel Energie in seinem Körper anzusammeln wie eine Kröte in der Winterstarre, die er dann mit voller Wucht in einen einzigen Angriff legte. Auch die Legende von der Kröte im Mond diente ihm als Vorbild. Nachts hockte er sich unter den Mond und ließ sich von den mysteriösen Schatten auf dessen Oberfläche inspirieren.

Ouyang Ke raste vor Eifersucht, als er sah, wie Huang Rong und Guo Jing eng aneinandergeschmiegt auf dem Dach saßen und miteinander tuschelten. Wie gerne hätte er diesen Kerl verprügelt, aber seine Brust schmerzte noch immer. Und tief in seinem Inneren wusste er, dass er Guo Jing nicht schlagen konnte – auch dann nicht, wenn er bei bester Gesundheit war.

Als er jetzt hörte, wie sich die beiden über die »widerliche Kröte« lustig machten, verlor er endgültig die Beherrschung. Auf Zehenspitzen schlich er auf die Rückseite des Pavillons und schleuderte mit zusammengebissenen Zähnen drei seiner Geheimwaffen, Das fliegende Schwalbenpendel, hinterrücks auf Guo Jing.

Hong Qigong umkreiste gerade Ouyang Feng und ließ von allen Seiten Varianten der drachenbezwingenden Hände auf den kauernden Gegner herabregnen. Die beiden Großmeister brachten nun ihr berühmtes und berüchtigtes Kung-Fu zum Einsatz, warfen alle ihre äußeren und inneren Kampfkünste in die Waagschale. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem sie unter dem Einsatz ihres Lebens kämpften. Als Guo Jing sah, wie versiert und facettenreich sein Meister Die achtzehn drachenbezwingenden Hände variierte, wurde ihm klar, dass er bislang nur eine leise Ahnung von der wahren Macht dieses Kung-Fu gewonnen hatte. In seiner Verzückung bemerkte er nichts von der Gefahr, die hinter ihm lauerte.

Huang Rong, die nicht verstand, dass der Kampf an einer entscheidenden Stelle angelangt war, kicherte und deutete weiter vergnügt auf die beiden Gegner. Da fiel ihr auf, dass Ouyang Ke verschwunden war. Das war kein gutes Zeichen. Im nächsten Augenblick hörte sie etwas hinter ihr durch die Luft zischen. Da Guo Jings Aufmerksamkeit völlig abgelenkt war, warf sie sich kurzerhand vor seinen Rücken. Ein fliegendes Schwalbenpendel nach dem anderen prallte von dem eisernen Igel ab, den sie am Körper trug.

»Woher hast du gewusst, dass es mich am Rücken juckt?«, fragte sie spöttisch. »Besten Dank. Hier, du kannst sie wiederhaben.« Sie hielt Ouyang Ke seine Geheimwaffen hin. Ihr Eingreifen machte Ouyang Ke noch eifersüchtiger. Als sie ihm die Pendel nicht zuwarf, sondern nur die Hand ausstreckte und sie ihm lächelnd zeigte, stieß er sich ab und landete elegant auf einer Ecke des Dachs. Seine weiße Robe flatterte im Wind. Selbst Huang Rong musste gestehen, dass er eine schneidige Figur abgab. »Hervorragende Schwebekunst!«, lobte sie, tat einen Schritt auf ihn zu und hielt ihm die Pendel hin.

Beim Anblick der weißen Jadehaut ihres Handgelenks, das unter dem Ärmel hervorblitzte, wurde ihm ganz anders. Er musste sie berühren! Doch kaum hatte er gierig die Hand ausgestreckt, ging auch schon ein goldener Nadelregen auf ihn nieder. Nicht schon wieder! Mit wehenden Ärmeln wehrte er die Nadeln ab und katapultierte sich mit einem Rückwärtssalto zurück auf den Boden.

Lachend schleuderte Huang Rong die drei Pendel auf den am Boden kauernden Ouyang Feng.

»Nicht!«, rief Guo Jing, packte sie schnell an der Taille und sprang mit ihr vom Dach. Ihre Füße hatten den Boden noch nicht berührt, als er Huang Yaoshis Stimme hörte. »Halt, Bruder Feng!«

Guo Jing spürte einen überwältigenden Energiestoß auf sich zukommen. Huang Rong! Ohne nachzudenken stellte er sie außer Reichweite ab und holte mit beiden Händen zu Der Drache im Feld aus. Er legte seine ganze Kraft in den Stoß, ohne etwas zurückzubehalten. Mit einem lauten Knall beförderte ihn Ouyang Fengs explodierende Kröte einige Schritte rückwärts. In Guo Jings Brust herrschte Aufruhr, sein Qi spielte verrückt, sein Blut geriet in Wallung und ihm war hundeelend, aber er landete sicher auf beiden Füßen.

Er atmete tief durch und brachte sich in Abwehrstellung, bereit für den nächsten tödlichen Angriff.

Doch schon hatten sich Huang Yaoshi und Hong Qigong zwischen ihn und den nun wieder kauernden Ouyang Feng gestellt. Gift des Westens erhob sich. »Verzeiht!«, rief er leichthin. »Ein Versehen! Ich konnte den Schlag nicht schnell genug zurückziehen. Die junge Dame ist doch hoffentlich unversehrt?«

Huang Rong hatte sich zu Tode erschrocken. Aber seine Heuchelei konnte sie dennoch nicht auf sich beruhen lassen. »Als ob Ihr den Mut hättet, mir im Beisein meines Vaters etwas anzutun!«

Besorgt fasste Huang Yaoshi sie an der Hand. »Ist alles in Ordnung? Tut etwas weh? Atme tief durch.«

Huang Rong atmete langsam ein und schnell aus. Sie spürte nichts. Lächelnd schüttelte sie den Kopf.

»Die beiden Onkel haben ihre Kampfkünste miteinander gemessen, wie kommst du dazu, dich einzumischen, Kind?«, schimpfte Huang Yaoshi, doch in seiner Stimme schwang große Erleichterung mit. »Onkel Ouyangs explodierende Kröte ist keine Kleinigkeit, was meinst du, was mit dir geschehen wäre, wenn er keine Gnade gezeigt hätte?«

Das Kung-Fu der explodierenden Kröte setzte auf die Nutzung der Angriffskraft des Gegners. Ouyang Feng nahm einfach alle Kraft zusammen und wartete auf den Angriff des Gegners, um die Wucht dieser Attacke zusammen mit seiner eigenen konzentrierten Energie auf den Gegner zurückzuwerfen. Obwohl Wang Chongyang seinem Kung-Fu damals mit dem Sonnenfinger einen schweren Rückschlag verpasst hatte, war es ihm gelungen, den Verlust durch harte Arbeit wieder wettzumachen. Soeben hatte er alle Kraft gesammelt, um dem Angriff des Bettlerfürsten zu begegnen, und war so stramm wie ein zum Zerreißen gespannter Bogen. In diesem Augenblick die Pendel nach ihm zu werfen war ein geradezu selbstmörderischer Akt gewesen. Als er den Ruf ihres Vaters gehört hatte, war es schon zu spät gewesen: Ouyang Feng hatte seine volle Kraft bereits freigesetzt. Was für eine Tragödie, dieses bezaubernde Mädchen von meiner Hand sterben zu sehen!, hatte er noch gedacht. Doch dann hatte er völlig unerwartet die Gegenkraft von zwei Handflächen gespürt und es war ihm geglückt, etwas von seiner Energie aus dem eigenen Schlag herauszunehmen. Erst da war ihm bewusst geworden, dass es Guo Jing war, der das Mädchen gerettet hatte. Der Alte Bettler ist wirklich unglaublich, staunte er. Was für ein herausragendes Kung-Fu er diesen jungen Schüler gelehrt hat!

Huang Yaoshi dagegen nahm an, dass sich der Alte Giftmolch aus Hochachtung vor ihm gezügelt hatte. Der Guo Jing, dem er im Wanderwolkenpalast begegnet war, hätte der explodierenden Kröte nicht standhalten können. War dieser Grünschnabel wirklich so dumm zu denken, er könne gegen Ouyang Fengs einzigartigen Meisterschlag bestehen? Ihm war nicht bewusst, dass Guo Jing soeben seiner Tochter das Leben gerettet hatte. Aber die Tatsache, dass Guo Jing unter Einsatz seines eigenen Lebens Huang Rong beschützt hatte, stimmte ihn etwas versöhnlicher. Als Schwiegersohn kam ein so einfältiges Bürschchen zwar immer noch nicht infrage, seine blinde Vernarrtheit in eine Frau jedoch kannte Huang Yaoshi von sich selbst. Immerhin hat der Trottel Charakter. Ich werde ihm seine Liebe zu Rong mit einem großzügigen Geschenk vergelten.

»Wir sind noch nicht fertig miteinander, Alter Giftmolch!«, rief Hong Qigong.

»Wie es Euch beliebt, mein Herr«, erwiderte Ouyang Feng spöttisch und machte sich bereit für die nächste Runde.

Huang Yaoshi hob seinen linken Arm, um ihm Einhalt zu gebieten. »Halt! Bruder Qigong, Bruder Feng, ihr habt schon gut tausend Angriffe hinter euch und noch immer steht kein Sieger fest. Beide seid ihr heute Gäste der Pfirsichblüteninsel. Warum gönnen wir uns nicht einen Becher meines selbstgekelterten Weins? Schon bald steht uns der zweite Wettkampf auf dem Gipfel des Hua bevor. Außer euch werden auch König Duan und ich dort sein. Dort können wir uns miteinander messen und sehen, wer wem überlegen ist. Lassen wir es für heute dabei bewenden, einverstanden?«

»Gut«, sagte Ouyang Feng. »Wenn wir das Ganze jetzt beenden, dann will ich für heute meine Niederlage eingestehen.«

Lachend verließ auch Hong Qigong den Kampfplatz. »Da der Giftmolch aus dem Westen ein weltbekannter Heuchler ist, soll dein freimütiges Eingeständnis wohl bedeuten, dass du dir gewiss bist, beim nächsten Mal zu gewinnen. Da ist sich der alte Bettler nicht so sicher.«

»Dann will ich gern noch ein wenig mehr von Bruder Qigong lernen.«

Der Bettlerfürst schlug die Ärmel zurück. »So gefällst du mir.«

»Ihr beide seid doch nicht etwa auf meine Insel gekommen, um einen Wettkampf auszutragen?«, lächelte Huang Yaoshi.

»Haha!«, lachte Hong Qigong. »Du hast recht, Bruder Yaoshi. Wir sind als Ehestifter hier und nicht, um zu kämpfen.«

»Wie bereits erwähnt, möchte ich unsere jungen Freunde drei Prüfungen unterziehen«, sagte Huang Yaoshi. »Demjenigen, der die Prüfungen besteht, soll die Hand meiner Tochter gehören, aber auch der Unterlegene soll nicht mit leeren Händen gehen müssen.«

»Wie? Hast du noch eine zweite Tochter?«, fragte der Bettlerfürst.

»Leider nicht, und ich bezweifle, dass ich bald eine neue Frau finde, um rasch noch eine zu machen. Wie auch immer, euer Bruder hat sich im Lauf seines Lebens in den drei Religionen und den neun philosophischen Schulen sowie in Medizin, Wahrsagekunst und Astrologie ein wenig Wissen angeeignet. Wenn derjenige der jungen Herren, der die Prüfung nicht besteht, willens ist, dann werde ich ihn gern in einem Fach seiner Wahl unterrichten, sodass er nicht umsonst die Reise zur Pfirsichblüteninsel angetreten hat.«

Hong Qigong wusste um Huang Yaoshis umfangreiche Bildung. Natürlich hat der Alte Ketzer sich längst entschieden und wird Aufgaben stellen, bei denen Guo Jing von vornherein im Nachteil ist. Aber wenn der Dummkopf wenigstens etwas von Yaoshis Kung-Fu lernen darf, wird er sein ganzes Leben lang davon profitieren.

Während der Bettlerfürst noch zögerte, stimmte Ouyang Feng schnell zu. »Ein ausgezeichneter Vorschlag. Obgleich Bruder Yaoshi dem Antrag meines Neffen eigentlich bereits zugestimmt hat, sollten wir aus Hochachtung vor Bruder Qigong die beiden jungen Männer gegeneinander antreten lassen.« Dann wandte er sich Ouyang Ke zu. »Falls Junker Guo sich als überlegen erweist, dann trägt daran niemand Schuld außer dir selbst und wir werden fröhlich auf sein Wohl anstoßen. Wenn du irgendwelche faulen Tricks versuchst, dann werden das nicht nur die beiden anwesenden Meister zu verhindern wissen, sondern auch ich werde es nicht durchgehen lassen.«

Hong Qigong warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Du bist dir doch ohnehin sicher, dass er gewinnt, Alter Giftmolch. Du willst dich nur vergewissern, dass wir uns brav geschlagen geben.«

»Wer weiß denn im Voraus, wie es ausgehen wird? Gewiss ist allein, dass Ehrenmänner wie wir ihre Niederlage ohne Murren eingestehen«, sagte Ouyang Feng grinsend. »Nenne uns die erste Prüfung, Bruder Yaoshi.«

Obwohl Huang Yaoshi entschlossen war, seine Tochter mit Ouyang Ke zu vermählen, geziemte es sich für einen Großmeister nicht, parteiisch zu erscheinen. Und mit Bettlerfürst Hong wollte er es sich auch nicht verderben. Er überlegte.

»Wir alle sind Männer des Faustkampfs, und deshalb sollten deine Prüfungen auch etwas mit Kampfkunst zu tun haben, Yaoshi«, mahnte der Bettler. »Wenn du sie jetzt in Dichtkunst und abergläubischem Firlefanz prüfen willst, dann geben mein Schüler und ich besser gleich auf, geben uns einen Klaps auf den Hintern und gehen nach Hause, bevor wir uns zum Narren machen lassen.«

»Selbstverständlich wird die erste Prüfung der Kampfkunst gelten«, entgegnete Huang Yaoshi.

»Das geht nicht«, protestierte Ouyang Feng. »Mein Neffe ist verwundet.«

»Das weiß ich, und ich habe auch nicht die Absicht, Zwietracht zu säen, indem ich die beiden jungen Männer hier, auf der Pfirsichblüteninsel, gegeneinander antreten lasse.«

»Sie sollen nicht gegeneinander kämpfen?«, fragte Ouyang Feng.

»Nein.«

»Aha, du willst also selbst ihre Fähigkeiten prüfen?«

»Nein, denn ich muss unparteiisch bleiben. Soeben haben wir uns davon überzeugen können, dass dein Kung-Fu und das von Bruder Qigong jeweils die höchsten Gipfel der Kampfkunst erreicht hat und dabei in höchstem Maße ebenbürtig ist. Mein Vorschlag ist daher, dass du das Kung-Fu des Junkers Guo auf die Probe stellst und Bruder Qigong das deines Neffen.«

Der Alte Ketzer ist wirklich ein kluger Mensch, dachte der Bettlerfürst. Eine gerechtere Lösung wäre mir auch nicht eingefallen. »Nicht schlecht«, sagte er laut. »Also los, fangen wir an.«

»Zuerst müssen wir die Regeln festlegen«, sagte Huang Yaoshi. »Erstens: Der junge Herr Ouyang ist verletzt und kann daher sein inneres Kung-Fu nicht in vollem Maß einsetzen. Aus diesem Grund prüfen wir nur die äußeren Formen und nicht das innere Kung-Fu. Zweitens: Der Kampf soll auf zwei hohen Kiefern ausgetragen werden. Wer zuerst herunterfällt, verliert. Drittens: Feng und Qigong, wenn einer von euch zu hart zuschlägt und dadurch einen der beiden jungen Herren verletzt, verliert seine Seite.«

»Ich verliere, wenn ich ihn verletze?«, fragte Hong Qigong.

»So ist es. Wie sollte einer der beiden in der Lage sein, ernsthaft gegen einen Großmeister zu kämpfen, ohne Blessuren davonzutragen? Daher, Bruder Qigong, wenn du Ouyang Ke auch nur ein Haar krümmst, verliert deine Seite. Dasselbe gilt für Bruder Feng. Einer der beiden jungen Männer wird mein Schwiegersohn, wie könnte ich zulassen, dass er zu Schaden kommt?«

»Von einer solchen Regel hat man im ganzen Jianghu noch nicht gehört«, sagte der Bettlerfürst. »Der Alte Ketzer macht seinem Ruf einmal wieder alle Ehre. Aber gut, solange es gerecht zugeht, bin ich einverstanden.«

Huang Yaoshi forderte die vier Männer auf, ihre Positionen einzunehmen. Hong Qigong und Ouyang Ke sprangen auf die nächste Kiefer auf der rechten, Ouyang Feng und Guo Jing auf die nächste Kiefer auf der linken Seite. Alle außer dem fröhlich grinsenden Bettlerfürsten gingen voller Ernst und Ehrfurcht in den Kampf.

Huang Rong hätte Guo Jing zu gerne geholfen, aber was konnte sie gegen einen Großmeister wie Ouyang Feng schon ausrichten? Und darüber hinaus war Ouyang Ke selbst mit einer Verletzung der erfahrenere Kampfkünstler. In diesem Fall geriet ihm seine hervorragende Schwebekunst zum Vorteil.

»Bei drei fangt ihr an. Wer von den beiden Junkern zuerst auf dem Boden landet, verliert«, rief Huang Yaoshi. »Eins … zwei … drei!«

Sofort kam Bewegung in die Baumwipfel. In der Dauer eines Wimpernschlags hatten sich Guo Jing und Ouyang Feng mehrere Angriffe geliefert. Huang Rong traute ihren Augen kaum. Wie fabelhaft Guo Jing sich hält! Ihr Vater hatte den gleichen Gedanken. Seit wann war Guo Jing so gut? Sein Kung-Fu schien sprunghaft Fortschritte gemacht zu haben.

Ouyang Feng wurde ungeduldig. Er schlug immer kräftiger zu, doch da er Guo Jing nicht verletzen durfte, sprang er aus einer plötzlichen Eingebung heraus in die Höhe und trat schnell mit seinen Füßen wie mit einem Wagenrad auf Guo Jing ein, um ihn vom Baum zu stoßen. Guo Jing wehrte sich mit aufsteigender Drache und sprang höher und höher, um von oben auf Ouyangs Fengs Beine einzuschlagen.

Mit wild klopfendem Herzen verfolgte Huang Rong das Geschehen. Dann ertrug sie es nicht länger und ließ ihren Blick zu den anderen beiden Kontrahenten schweifen.

Ouyang Ke wich den Schlägen des Bettlerfürsten geschickt mit seiner ausgezeichneten Schwebekunst aus und flatterte wie ein Vögelchen zwischen den Zweigen der Kiefer hin und her. Hong Qigong schielte verstohlen zum anderen Baum. Dieser Kerl hier will nur Zeit totschlagen, ärgerte er sich, während dieser einfältige Guo Jing dort drüben alles gibt, um sich mit Ouyang Feng einen echten Kampf zu liefern. Na warte, wenn du aufgeblasener Lustmolch glaubst, mich mit deinen billigen Spielchen hereinlegen zu können, irrst du dich gewaltig …

Er sprang hoch in die Luft und zielte mit seinen zu Krallen gekrümmten zehn Fingern auf Ouyang Kes Kopf. Ouyang Ke erschrak. Das ist kein Wettkampf mehr, dachte er, der Bettler will mich töten! Schnell wich er nach rechts aus. Aber der Bettlerfürst hatte die Bewegung nur angetäuscht und Ouyang Fengs Reaktion darauf vorausgesehen. Er drehte sich in der Luft um die eigene Achse und landete direkt vor Ouyang Ke, der am Ende eines Zweigs stand, hob die Hände zum entscheidenden Schlag und rief: »Es ist mir gleich, ob ich verliere, aber jetzt bist du dran. Mal sehen, ob dein Geist die Braut heiraten kann!« Ouyang Ke, starr vor Staunen über die unvorhergesehene Wendigkeit des Bettlers, verlor mit einem Schlag allen Mut und hatte nichts anderes mehr im Sinn als sein Leben zu retten. Er wich zurück und trat ins Leere. Ich habe verloren!, fuhr es ihm während des Sturzes durch den Kopf.

Da spürte er den Wind eines anderen fallenden Körpers neben sich.

Nachdem Guo Jing seinen aggressiven Schlägen so tapfer standgehalten hatte, war es Ouyang Feng leid, sich von einem Novizen vorführen zu lassen. Was bist du für ein Großmeister, wenn du nach fünfzig Schlägen so ein Kerlchen immer noch nicht vom Baum getrieben hast?, dachte er wütend. Blitzschnell griff er nach Guo Jings Kragen. »Runter mit dir!«

Guo Jing duckte sich weg und holte zu einem Gegenschlag aus. »Ihr … Ihr …«

Er wollte eben protestieren, dass Ouyang Feng sich nicht an die Regeln hielt, als der Gegner seine Kraft plötzlich zurücknahm.

»Ja?«, grinste Ouyang Feng.

Guo Jing hatte seine ganze innere Energie in den Gegenschlag gelegt, weil er fürchtete, Ouyang Feng würde ihm sonst mit der Explodierenden Kröte die Eingeweide zu Brei schlagen. Jetzt stieß er mit dieser vollen Kraft ins Leere. Doch das Studium der zweiundsiebzig Varianten der Strahlenden Faust hatte ihn das Konzept der »Reue«, welches ihm schon der Bettlerfürst auseinandergesetzt hatte, besser verstehen lassen. Im letzten Augenblick vermied er, denselben Fehler wie bei seinem Kampf mit Huang Yaoshi im Wanderwolkenpalast noch einmal zu machen, sonst hätte er sich diesmal durch seine eigene Kraft die Schulter ausgerenkt. Dennoch geriet er aus dem Gleichgewicht, taumelte vorwärts und fiel kopfüber vom Baum.

Seite an Seite stürzten die beiden jungen Männer gleichzeitig aus den Kiefern. Ouyang Ke gratulierte sich zu seinem unverhofften Glück, breitete die Arme aus und versetzte Guo Jings Füßen einen Stoß – einerseits, damit dieser früher landete, andererseits, um sich selbst Auftrieb zu verschaffen.

»Nein!« Huang Rong war sich sicher, dass Guo Jing verloren hatte.

Aber schon einen Herzschlag später war Guo Jing wieder in der Luft, und Ouyang Ke schlug horizontal auf der Erde auf, während Guo Jing heiter auf einem Baumzweig wippte. Wie hatte er das bloß angestellt? »Nein!«, schrie sie noch einmal, doch diesmal war es ein Ausruf des Erstaunens.

Lachend sprang Bettlerfürst Hong vom Baum. Ouyang Feng war aschfahl geworden. »Der Kung-Fu-Mischmasch deines Schülers ist nicht übel«, sagte er mit frostiger Miene zum Bettlerfürsten. »Sogar auf mongolische Sprungkunst versteht er sich.«

»Von mir hat er das nicht«, lachte der Bettlerfürst vergnügt.

Als Ouyang Ke versucht hatte, Guo Jing an den Füßen nach unten zu stoßen, waren seine eigenen Füße auf Höhe von Guo Jings Gesicht gewesen. Kurzerhand hatte dieser Ouyang Kes Waden umschlungen, um sich daran mit einem Ruck hochzureißen. Es handelte sich um eine typisch mongolische Ringtechnik, die Guo Jing schon gelernt hatte, bevor die Sechs Sonderlinge ihm Kung-Fu beibrachten. Auch danach hatte er nie aufgehört, sich mit seinem Schwurbruder Tolui und mit Dschinghis Khans Generälen im Ringkampf zu üben. Diese Kampfformen waren ihm so in Fleisch und Blut übergegangen wie Gehen und Essen, sodass er eben in der Not ganz instinktiv und ohne nachzudenken darauf zurückgegriffen hatte. Daher verstand Guo Jing selbst am allerwenigsten, warum er gewonnen hatte.

Huang Yaoshi schüttelte angesichts dieses Ergebnisses unmerklich den Kopf. Der Dummkopf hat einfach unverschämtes Glück gehabt, sagte er sich. »Junker Guo hat die erste Prüfung gewonnen. Mach dir keine Sorgen, Bruder Feng. Dein Neffe verfügt über ausreichend Wissen, um diesen Verlust in den nächsten beiden Runden wettzumachen.«

»Bitte, lass uns die nächste Aufgabe hören«, sagte Ouyang Feng.

»Wir werden uns nun musischen Fragen zuwenden …«

»Das gilt nicht!«, protestierte Huang Rong. »Du hast gesagt, dass sie sich in der Kampfkunst messen werden, warum jetzt also plötzlich zu den schönen Künsten wechseln? Du darfst dir das nicht gefallen lassen, Jing.«

»Als ob du das beurteilen könntest, mein Kind. Wenn die Kampfkunst einen bestimmten Grad erreicht hat, balgt man sich nicht mehr wie die Barbaren. Als ob wir uns wie die einfachen Leute mit lächerlichen Veranstaltungen wie etwa einem Duell um die Braut abgeben würden.«

Huang Rong und Guo Jing wechselten einen Blick. Beide dachten an den Wintertag in Zhongdu, als Mu Nianci sich mit Yang Kang im Duell um die Braut gemessen hatte.

»Als zweite Prüfung möchte ich die werten Herren um ihre geschätzte Würdigung meines stümperhaften Flötenspiels bitten.«

Voller Genugtuung warf Ouyang Ke Guo Jing einen Blick zu. Diese Runde geht an mich, dachte er. Was hat dieser Trampel schon für eine Ahnung von Musik?

Sein Onkel war da skeptischer. Ihm war klar geworden, über welches beachtliche innere Kung-Fu Guo Jing verfügte und er fürchtete, dass genau dies jetzt geprüft werden sollte. Und was die Beherrschung des Neigong betraf, konnte sein Neffe möglicherweise nicht mit diesem Guo Jing mithalten – und mit seinen inneren Verletzungen schon gar nicht … »Ich fürchte, die jungen Herren verstehen sich nicht sonderlich gut auf Musik. Dürfte ich fragen …«

»Kein Grund zur Beunruhigung, Bruder Feng. Ich spiele eine schlichte Melodie, es geht nicht um die Prüfung ihres inneren Kung-Fu.« Er wandte sich Guo Jing und Ouyang Ke zu: »Bitte, nehmt euch jeder einen Bambuszweig und schlagt den Takt zu der Melodie, die ich spielen werde. Der Bessere gewinnt diese Runde.«

Guo Jing trat auf ihn zu und machte eine tiefe Verbeugung. »Leider bin ich in Fragen der Musik vollkommen ungebildet, mein Herr. Erlaubt mir, meine Niederlage gleich einzugestehen.«

»Nicht so voreilig!« Der Bettlerfürst sprang ihm bei, bevor Huang Yaoshi antworten konnte. »Wenn du dir so sicher bist, sowieso zu verlieren, kannst du es ebenso gut zuerst einmal versuchen. Hast du Angst, dass wir dich auslachen?«

Seinem Meister zu widersprechen gehörte sich nicht, also folgte Guo Jing Ouyang Kes Beispiel und brach einen Bambuszweig ab.

»Ich bitte euch um Nachsicht mit meinem stümperhaften Spiel«, sagte Huang Yaoshi und setzte seine Xiao an die Lippen. Eine milde, klagende Melodie setzte ein. Er spielte so schlicht und oberflächlich wie jemand, der über keinerlei inneres Kung-Fu verfügt.

Ouyang Ke verstand das Metrum sofort und schlug den Bambusstock im Takt, während Guo Jing reglos seinen Zweig in der Hand hielt und Löcher in die Luft starrte.

Huang Yaoshi spielte unverdrossen weiter. Die beiden Ouyangs waren sich bereits sicher, dass diese Runde an sie gehen würde und höchstwahrscheinlich auch die nächste, sofern es bei kulturellen Aufgabenstellungen blieb.

Huang Rong klopfte nervös mit dem rechten Zeigefinger im Takt auf ihr linkes Handgelenk, in der Hoffnung, dass Guo Jing sie nachahmen würde. Aber er starrte einfach weiterhin in die Luft, ohne wahrzunehmen, was um ihn herum vorging.

Schließlich hob er den Arm. Sein Bambuszweig sauste genau zwischen zwei Taktschlägen nieder. Ouyang Ke kicherte. Gleich beim ersten Schlag daneben!, dachte er zufrieden.

Auch Guo Jings nächster Schlag lag außerhalb des Takts. Wieder und wieder ging Guo Jings Bambuszweig zwischen den Taktschlägen nieder, einmal, zweimal, dreimal, viermal.

Vater ist so ungerecht, ärgerte sich Huang Rong. Guo Jing hat doch keine Ahnung von Musik! Nervös überlegte sie, wie sie die Prüfung stören könnte, um den Wettbewerb ungültig zu machen. Dann bemerkte sie das Staunen auf dem Gesicht ihres Vaters und hatte den Eindruck, dass sein Spiel für einen kurzen Augenblick aussetzte.

Guo Jing schlug jetzt unverdrossen weiter mit seinem Bambuszweig, immer genau außerhalb des Takts. Manchmal lag er knapp vor, manchmal knapp hinter dem Rhythmus, mal schlug er zu schnell, mal zu langsam.

Da Guo Jing nicht wusste, was ein Takt überhaupt ist, ging er davon aus, dass es, wie zuvor beim musikalischen Wettkampf der Großmeister, darum ging, den Rhythmus der Xiao durcheinander zu bringen. Dass er eben so genau hingehört hatte, verschaffte ihm jetzt einen Vorteil: Er ahmte einfach die Taktik nach, die er aus den Dissonanzen der Xiao, der Zheng und dem Pfeifen entschlüsselt hatte. Ebensolche kratzenden, blechernen Dissonanzen erzielte er jetzt mit seinen Zwischenschlägen. Sie waren so unmusikalisch, dass er damit Huang Yaoshis Konzentration strapazierte. Mehrmals gelang es Guo Jing beinahe, den Alten Ketzer aus dem Takt zu bringen und seinem eigenen Rhythmus folgen zu lassen. Hong Qigong und Ouyang Feng trauten ihren Augen und Ohren nicht.

Huang Yaoshi war beeindruckt genug, um die Herausforderung anzunehmen. Er veränderte das Tempo und spielte jetzt eine sinnlichere, verführerische Melodie.

Ouyang Ke hingegen war nun nicht mehr in der Lage, den Taktschlag zu treffen. Stattdessen schwang er seinen Bambuszweig wild herum, während er sich selbst im Takt der Musik wog. Seufzend packte sein Onkel ihn am Handgelenk und stopfte ihm Seidentücher in die Ohren. Bevor er ihn losließ, wartete er so lange, bis sich Ouyang Kes Puls beruhigt hatte.

Huang Rong war mit dieser Melodie – wogende Wellen auf türkisfarbenem Meer – aufgewachsen. Ihr Vater hatte ihr die komplexe Tonfolge und ihre Variationen genau erklärt. Durch dieses Verständnis konnte sie die Musik intellektuell erfassen, ohne sich von ihr verführen zu lassen. Das Wissen um die Macht dieser Musik schürte jedoch ihre Sorge um Guo Jing.

Die Melodie begann ebenmäßig, wie ein ruhiges Meer, auf dem sich nicht die leiseste Welle kräuselte. Dann schwollen die Wasser an, erhoben sich immer stärker, aufgewühlt und schäumend. Aus dem glatten Meeresspiegel wurde ein sprühendes, sich auftürmendes Durcheinander, Fische sprangen, Seemöwen tauchten hinein, der Wind heulte, Meereskobolde und Seeungeheuer lugten aus den stürmischen Wellen hervor, Eisberge glitten vorüber. Das Meer kochte, sprudelte und dampfte. Bald sah man Seejungfrauen und Seejunggesellen miteinander in der Brandung tollen, tanzend, einander umgarnend, umschlingend, so sinnlich und erotisch, wie es nur im Wasser möglich war. Auf die Flut folgte Ebbe, die Brandung zog sich zurück, eine düstere Strömung unter der Meeresoberfläche riss die berauschten Zuhörer in einem unvorsichtigen Augenblick sofort mit sich.

Guo Jing saß jetzt mit gekreuzten Beinen auf der Erde und nahm nach dem Vorbild seiner Quanzhen-Meister alle innere Energie zusammen, um den verführerischen Klängen zu widerstehen. Dabei gelang es ihm sogar, weiter seinen Arm zu bewegen und den Bambuszweig unentwegt gegen den Rhythmus auf den Boden zu schlagen.

Als Huang Yaoshi, Ouyang Feng und Hong Qigong musikalisch gestritten hatten, waren sie dabei in der Lage gewesen, gleichzeitig anzugreifen und abzuwehren. Ihre Herzen und Gedanken waren ruhig und konzentriert geblieben, während sie gleichzeitig die Schwächen des Gegners aufspürten und ausnutzten.

Das war unzweifelhaft zu viel erwartet von einem unerfahrenen jungen Mann wie Guo Jing. Seine Gedanken nicht abschweifen zu lassen und dennoch die Fehler in Huang Yaoshis Spiel zu finden, das vermochte er nicht. Er begnügte sich damit, aufmerksam zu bleiben und sich zu wehren, indem er Huang Yaoshi durch seinen chaotischen Taktschlag aus dem Tritt brachte.

Obwohl der Alte Ketzer mehrmals die Melodie wechselte, gelang es ihm nicht, Guo Jing dazu zu bringen, sich seinem Rhythmus zu unterwerfen. Immer wieder veränderte er die Intensität seiner Töne, spielte erst ein lautes Crescendo, dann ein langsames Adagio und dann wieder so leise, dass die Xiao kaum mehr zu hören war und Guo Jing sich anstrengen musste, die Töne überhaupt wahrzunehmen. Je leiser die Melodie gespielt wurde, umso verführerischer war sie. Es fehlte wenig, dann wäre Guo Jing ihrem Sog erlegen.

Aus Furcht, nicht länger widerstehen zu können, teilte Guo Jing seine Aufmerksamkeit mit der Methode des Duells der Hände in zwei Hälften. Mit letzter Kraft riss er sich den linken Schuh vom Fuß und schlug damit – dong dong dong – auf das hohle Bambusrohr.

Dieser Junge verfügt über beachtliche verborgene Talente, dachte Huang Yaoshi beeindruckt. Er ging dazu über, im Rhythmus des Wechsels der Acht Trigramme zu spielen. Durch den Lärm, den er mit seinem Schuh verursachte, hatte Guo Jing seine rechte Hand wieder unter Kontrolle gebracht. Er erzeugte jetzt zweifache Dissonanzen, sodass es schien, als würden ein weiteres Mal drei Großmeister gegeneinander anspielen. Guo Jings rechte und linke Hand schlugen jeweils einen anderen, wilden Takt: ding ding ding, dong dong dong, ding ding ding, dong dong dong.

Sein rauer Lärm schepperte gegen die sanfte Beharrlichkeit der Flötentöne an.

Sowohl Hong Qigong als auch Ouyang Feng mussten ihr Neigong bemühen, um konzentriert zu bleiben. Sie durften sich keinesfalls anmerken lassen, welche Anstrengung es sie kostete, der Musik zu widerstehen. Würden sie sich davon mitreißen lassen, wäre ihr ganzes Ansehen dahin.

Die Xiao erging sich in extremen Tonlagenwechseln, ihre Melodie ließ sich nicht mehr vorausahnen. Davon unbeeindruckt, klopfte Guo Jing wacker seinen eigenen Rhythmus.

Die Musik wehte ihn an wie ein Schwall eiskalter Luft, als stünde er in einem Schneesturm. Er zitterte und bibberte vor Kälte, während die Flötentöne immer schriller, immer drängender an ihm nagten. Die Kälte fuhr Guo Jing in die Knochen. Erneut teilte er seine Konzentration, rief sich die warme Sommersonne ins Gedächtnis, dachte an sengende Hitze auf dem Kopf und heiße Kohlen in den Händen, tauchte gedanklich in einen Glutofen ein. Die eisige Kälte verließ ihn.

Staunend sah Huang Yaoshi, wie Guo Jings linke Körperhälfte unter dem eiskalten Hauch der winterlichen Klänge zitterte, während seine rechte Hälfte unter der gedanklich beschworenen Hitze schwitzte. Wieder änderte er die Melodie, ein strahlender Sommer löste den Winter ab. Guo Jing versuchte zu widerstehen, aber schon ging der Bambuszweig im Takt der gespielten Musik nieder. Vielleicht kann er meiner Musik noch etwas länger widerstehen, aber dieser ständige Wechsel von Hitze und Kälte wird ihn auf Dauer krank machen. Ein einziger anmutiger Ton noch schallte in den Bambuswald, und das Spiel der Xiao versiegte.

Guo Jing atmete tief und erleichtert aus. Er stand auf, war aber ganz wacklig auf den Beinen und musste sich noch einmal hinsetzen und sich sammeln. Als sein Atem wieder gleichmäßig ging, erhob er sich wieder und verbeugte sich tief vor Huang Yaoshi. »Danke für Eure gnädige Nachsicht, Fürst Huang, danke von ganzem Herzen.«

Kichernd sah Huang Rong, dass Guo Jing immer noch seinen Schuh in der Hand hielt. »Zieh deinen Schuh wieder an!«, flüsterte sie Guo Jing zu.

»Oh …« Schnell schlüpfte er wieder in seinen Schuh.

Huang Yaoshi war dieser junge Kerl ein Rätsel. Trotz seines jugendlichen Alters besitzt er bereits ein beachtliches Kung-Fu. Vielleicht stellt er sich nur so dumm und ist in Wahrheit ausgesprochen intelligent? Dann könnte ich ihm auch getrost meine Tochter zur Frau geben. »Warum nennst du mich immer noch Fürst Huang?«, fragte er lächelnd.

Es war seine Art zu sagen, dass Guo Jing bereits zwei der drei Prüfungen für sich entschieden hatte und ihn mit Fug und Recht mit »Schwiegervater« anreden konnte.

»Ich …« Guo Jing wusste nicht, ob er richtig verstanden hatte. Fragend sah er Huang Rong an.

Freudestrahlend gab sie Guo Jing mit dem Daumen ihrer rechten Hand ein Zeichen, dass er Kotau machen solle. Guo Jing fiel auf die Knie und machte vier Mal Kotau.

»Was soll das nun wieder?«, fragte Huang Yaoshi lachend.

»Huang Rong hat mich geheißen, Kotaus zu machen.«

Er ist und bleibt doch ein Trottel!, seufzte Huang Yaoshi innerlich und gab Ouyang Ke ein Zeichen, die Taschentücher aus den Ohren zu ziehen. »Das innere Kung-Fu des Junkers Guo ist stärker, doch was das musikalische Wissen angeht, ist der junge Herr Ouyang ihm weitaus überlegen. Ich erkläre diesen Wettkampf für unentschieden. Die letzte Prüfung soll entscheiden, wer die Hand meiner Tochter bekommt.«

»Ja, lasst uns zur nächsten Prüfung schreiten«, stimmte Ouyang Feng rasch zu. Es war offensichtlich, dass sein Neffe zweimal verloren hatte. Trotzdem gab Huang Yaoshi ihm noch eine letzte Chance.

Sie ist deine Tochter, du kannst sie mit diesem arroganten Strolch verheiraten, wenn du willst, das geht niemanden etwas an, dachte der Bettlerfürst grimmig. Aber wartet nur ab. Allein kann ich euch beide nicht herausfordern, aber ich werde König Duan um Hilfe bitten, und dann werden wir weitersehen.

Huang Yaoshi zog ein abgegriffenes, fadengebundenes Heft aus seiner Brusttasche. »Ich hatte mit meiner Frau, die leider im Kindbett gestorben ist, nur diese eine Tochter. Es ehrt mich, dass Bruder Feng und Bruder Qigong beide um die Hand meines einzigen Kindes bitten. Wäre meine gute Frau noch am Leben, sie wäre überglücklich.«

Bei der Erwähnung ihrer Mutter bekam Huang Rong feuchte Augen.

»Dieses Buch ist in der Handschrift meiner Frau abgefasst, ihr ganzes Herzblut steckt darin. Eine lange Zeit war es verloren, aber es hat seinen Weg zu mir zurückgefunden. Es ist mein wertvollster Besitz. Ich werde jetzt die anwesenden jungen Herren bitten, es zusammen zu lesen. Die Hand meiner Tochter wird demjenigen gehören, der den längeren Teil des Textes auswendig behalten kann und ihn möglichst fehlerfrei rezitiert.«

Er machte eine Pause. Mit einem Blick auf das kalte Lächeln des Bettlerfürsten fuhr er fort. »Es ist richtig, dass der junge Herr Guo bereits eine Runde für sich entschieden hat. Aber dieses Buch hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt, es ist der Grund für den Tod meiner Frau. Ich hoffe, dass ihre Seele den richtigen Ehemann für meine Tochter finden und ihm helfen wird, diese Prüfung zu bestehen.«

»Schluss mit dem Humbug, Alter Ketzer!« Bettlerfürst Hong riss der Geduldsfaden. »Du weißt genau, dass mein Schüler nicht der Hellste ist und sich nicht auf Bücher versteht. Und trotzdem mutest du ihm eine Prüfung zu, bei der er ein Buch auswendig lernen soll, und schiebst noch dazu deine tote Frau als Ausrede vor. Schämst du dich denn gar nicht?« Er warf seine Ärmel zurück, drehte sich um und wollte gehen.

»Bruder Qigong, wenn du auf diese Insel gekommen bist, um dich aufzuspielen, musst du noch ein paar Jahre studieren, fürchte ich.«

Der Bettlerfürst sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Was willst du damit sagen? Drohst du mir damit, mich hier festzuhalten?«

»Da du nicht in der Kunst der Magischen Tore und der Fünf Elemente bewandert bist, findest du ohne meine Erlaubnis niemals den Weg hier heraus.«

»Dann brenne ich deine verdammte Insel eben nieder.«

»Versuch es doch.«

Auf keinen Fall darf mein Meister meinetwegen zu Schaden kommen!, dachte Guo Jing und trat vor. »Fürst Huang, Meister, ich werde an dieser letzten Prüfung teilnehmen. Ich bin dumm und werde sie wahrscheinlich nicht bestehen. Aber das ist dann eben so.«

Für Guo Jing war allein entscheidend, Meister Hong zu helfen, von der Insel fortzukommen. Huang Rong und er könnten notfalls einfach ins Meer springen und schwimmen, so weit fort, wie sie konnten.

»Gut, wenn dir so daran gelegen ist, gedemütigt zu werden, nur zu!« Dieser Vollidiot!, dachte der Bettlerfürst. Was glaubt der, wozu ich mich mit dem Alten Ketzer anlege? Er hatte vorgehabt, einen Streit vom Zaun zu brechen und den entstehenden Tumult auszunutzen, um mit seinen beiden Schülern zur Küste zu fliehen und ein Boot zu stehlen. Danach könnte man immer noch weitersehen. Aber dieser brave Tölpel machte ihm mit seiner Aufrichtigkeit einen Strich durch die Rechnung. Es war zum Verzweifeln.

»Und du bleibst mir brav sitzen, keine Possen mehr«, sagte Huang Yaoshi zu seiner Tochter.

Huang Rong entgegnete nichts. Da ihr Vater ihre verstorbene Mutter ins Spiel gebracht hatte, wusste sie, dass diese letzte Prüfung die entscheidende sein würde. Guo Jing würde sie verlieren, und die beiden ersten Runden zählten nichts. Oder ihr Vater stellte es einfach so dar, als hätten Guo Jing und Ouyang Ke jeder eine Runde gewonnen. Dann würde er sich eben noch eine Prüfung ausdenken und noch eine – so lange, bis dieser Widerling gewonnen hätte. Wenn wir nur einfach zusammen fliehen könnten, Jing und ich …

Huang Yaoshi ließ Guo Jing und Ouyang Ke nebeneinander auf einem Felsblock Platz nehmen und breitete das Buch vor ihnen aus. Sein weißes Papier war schon vergilbt, es war zerfleddert und abgenutzt von vielen Jahren des Gebrauchs. Viele Schriftzeichen waren kaum lesbar, verdeckt von schmutzigen Fingerabdrücken und zerflossen unter Wasserflecken, wie von verschüttetem Tee oder von Tränen. Dann diese dunklen Kleckse … ob das Blut war?

Ouyang Ke geriet beim Anblick des Titels in Verzückung. Der wahre Weg der Neun Yin! Mein künftiger Schwiegervater hat mich bereits ins Herz geschlossen, das ist sicher. Warum sonst gewährt er mir Einblick in diese wertvolle Schrift?

Guo Jing konnte den Titel, der in altertümlicher Siegelschrift geschrieben war, nicht lesen. Wer soll diese seltsame runde Froschschrift entziffern können? Er will mich ohnehin nicht gewinnen lassen. Ich gestehe meine Niederlage besser gleich ein.

Huang Yaoshi blätterte die erste Seite auf. Sie sah aus, als wäre sie erst kürzlich ausgebessert worden. Die Handschrift selbst war leserlich und in regulärer Kalligrafie gehalten, elegant und zierlich, eine typische Frauenschrift.

Guo Jings Herz klopfte wild, als er die ersten Zeilen las.

Es ist der Weg des Himmels, vom Überschüssigen zu nehmen und das Unvollständige zu füllen. Auf diese Weise schlägt das Substanzlose die Substanz, und der Mangel triumphiert über den Überfluss.

Das ist einer von Bruder Botongs Leitsätzen! Guo Jing ließ seinen Blick über den Rest der Seite schweifen. Er kannte jedes Wort und jeden Satz davon auswendig.

Huang Yaoshi wartete einen Augenblick, dann schlug er die Seite um. Wieder fielen Guo Jing die Lehrsätze ins Auge, die Zhou Botong ihn hatte lernen lassen.

Das Schwache überwindet das Starke, das Weiche erobert das Harte. Jeder unter dem Himmel weiß das, aber niemand handelt danach.

Er las weiter.

Das Weichste unter dem Himmel galoppiert durch das Härteste unter dem Himmel.

Das Schriftzeichen für galoppiert kannte Guo Jing nicht, aber da die Sätze exakt dem entsprachen, was Zhou Botong ihm beigebracht hatte, erschloss er sich so seine Bedeutung.

Hat Zhou Botong mir etwa dieses Buch beigebracht? Guo Jing war nie in den Sinn gekommen, dass das weise Kung-Fu des Alten Kindskopfs gar nicht von ihm selbst stammen könnte. Und wie kam es, dass der Herr der Pfirsichblüteninsel in Besitz derselben Schrift war? Und warum sollte seine verstorbene Frau damit ihren Schwiegersohn auserwählen? Mit ausdrucksloser Miene starrte Guo Jing auf die Schrift.

Huang Yaoshi nahm an, dass der komplexe Inhalt Guo Jing überforderte und ganz wirr im Kopf machte. Ohne sich darum zu kümmern, blätterte er langsam die Seiten um.

Anfangs war Ouyang Ke sehr zufrieden mit sich, denn er konnte sich den Text gut merken. Doch dann wurde der Text immer abstruser, voll von schwer fassbaren daoistischen Fachbegriffen und Theorien des Neigong, mit denen er nicht vertraut war. Der Inhalt wurde immer komplexer, und er hatte zunehmend Schwierigkeiten, die mysteriösen Aussagen ganz oder auch nur zur Hälfte zu behalten. Ratlos starrte er auf Sätze wie

Die Kraft strömt durch die Finger und nichts kann sie aufhalten, sie zerschmettert den Schädel des Feindes, als grabe man in fauliger Erde.

Was sollte das bloß heißen? Der wahre Weg der Neun Yin war ein durch und durch unverständliches Buch! Aber ein Blick auf Guo Jings verwirrte Miene genügte ihm, um seine Selbstsicherheit wiederzuerlangen. Mehr als dieser Einfaltspinsel kann ich mir allemal merken! Den Sieg habe ich schon in der Tasche.

Bei diesem Gedanken kam ihm seine zukünftige Braut in den Sinn und er sah sich freudestrahlend nach ihr um.

Huang Rong streckte ihm die Zunge heraus und schnitt Grimassen. »Erinnerst du dich an meine Schwester Mu Nianci, die du entführt hast? Du hast sie in diesem verfallenen Ahnentempel in einem Sarg zurückgelassen, und sie ist erstickt! Vergangene Nacht habe ich sie im Traum gesehen, mit wirrem Haar und blutunterlaufenen Augen. Ihr Geist wird dich heimsuchen!«

»Oh, ich habe ganz vergessen, sie herauszulassen«, murmelte Ouyang Ke beschämt. Schade um das hübsche junge Ding, dachte er. Dann bemerkte er Huang Rongs Grinsen. »Woher weißt du das? Du hast sie befreit, nicht wahr?«

»Konzentrier dich auf den Text!«, zischte Ouyang Feng ihm zu, der genau wusste, dass Huang Rong seinen Neffen durcheinanderbringen wollte, damit der sich den Text schlechter merken konnte.

»Ja, Onkel.« Ouyang Feng widmete sich wieder ganz seiner Aufgabe.

Guo Jing las schon gar nicht mehr. Jeder einzelne Satz, den er bislang gesehen hatte, entsprach Wort für Wort Zhou Botongs Kampfkunsttheorie, und die konnte er im Schlaf hersagen. Statt in das Buch starrte er in die Baumwipfel und fragte sich: Warum?

Da er den Titel nicht hatte entziffern können, wusste Guo Jing immer noch nicht, dass sie gerade den zweiten Band des Neun-Yin-Handbuchs lasen, eben den Band, den Mei Chaofeng ihrem Meister im Wanderwolkenpalast zurückgegeben hatte.

Der Alte Ketzer hatte den beiden diesen Band vorgelegt, weil die Lektüre seines Inhalts nichts nützte, wenn man die Grundlagen zum Umgang mit dem inneren Kung-Fu aus dem ersten Band nicht kannte. Wenn der Bettler des Nordens davon um ein paar Erkenntnisse reicher würde, spielte das keine große Rolle, aber mit Gift des Westens wollte er ganz bestimmt nichts teilen, was dessen bösartiges Kung-Fu hätte beflügeln können.

Abgesehen davon, endete der zweite Band mit einer langen, völlig unverständlichen Passage. Nach ihrer Begegnung mit Zhou Botong hatte seine Frau diesen Abschnitt als Erstes niedergeschrieben, denn so sicher sie sich gewesen war, den übrigen Text mühelos aus dem Gedächtnis abrufen zu können, so schwer hatte sie sich mit dieser Stelle getan. Wiederholt hatte sie die bedeutungslose Beschwörungsformel überprüft und korrigiert und daran gezweifelt, dass sie sie richtig wiedergegeben hatte. Dass Ouyang Ke viel von diesem Text im Kopf behalten würde, war kaum anzunehmen, und das wenige, das er sich merken konnte, würde sicher entschieden von dem abweichen, was Frau Huang niedergeschrieben hatte. So würde ein Fehler zum nächsten führen. Selbst wenn er ein Zehntel davon gelernt hatte, wäre es äußerst unwahrscheinlich, dass er oder sein Onkel je vom Inhalt profitieren würden.

In gleichmäßiger Geschwindigkeit blätterte Huang Yaoshi Seite um Seite um. Auf manchen Seiten verbargen der Schmutz und die Wasserflecke ganze Wörter und Halbsätze.

Sie kamen zur letzten Seite. Nach einem Blick auf die erste Zeile fragte Ouyang Ke: »Mahabharata, prajñabharata … Was bedeutet dieses Gebrabbel, Onkel Huang? Das ergibt keinen Sinn für mich, das kann ich mir niemals merken.«

»Du musst das nicht verstehen, es genügt, wenn du es auswendig lernst. Zugegeben, das ist nicht so einfach, aber wenn es zu einfach wäre, könntet ihr euer Talent nicht beweisen, nicht wahr?«

Guo Jing erinnerte sich nur zu gut an diese seltsame Beschwörungsformel. Sie zu lernen hatte ihm nächtelang den Schlaf geraubt. Am Ende hatte er zehn Tage allein damit zugebracht, die Lautabfolge so zu verinnerlichen, dass er sie nie mehr vergaß. Ein Blick auf die Seite genügte ihm, und der Text stand ihm wieder vor Augen.

Das Buch endete mit diesen unverständlichen Schriftzeichen. Danach folgten noch Verszeilen aus Gedichten, die jedoch in einer anderen Handschrift verfasst waren. Nur Huang Yaoshi wusste, von wem diese Schrift stammte, schließlich hatte er selbst dieser jungen Frau Lesen und Schreiben beigebracht. Diese Gedichte hatte sie dereinst nach seiner eigenen Kalligrafie kopiert.

Kaum sah ich dich, bliebst du in meinem Herzen

und bist es heute mehr denn je.

Dann folgten Zeilen aus einem anderen Gedicht.

Am Morgen nach der durchzechten Nacht seh ich den Freund nicht mehr.

Tausendfach

fortgetrieben von strömenden Wassern und wehenden Winden.

Und schließlich:

Man wird alt, die Dinge ändern sich.

Trinkt nicht mehr Wein unter Blüten, wenn Tränen das Kleid durchweichen.

Heute möchte ich lieber schlafen, bei geschlossener Tür,

lasse die Pflaumenblüten draußen wirbeln wie Schnee.

Ganz am Ende der Seite, in beinahe unleserlicher, verworrener Schrift, standen die Worte Ich habe dich betrogen, Meister, töte mich! Bitte, Meister, lass mich durch deine Hand sterben. Meister!

Beim Anblick des von Blut und Tränen seiner Schülerin fleckig gewordenen Handbuchs hatte Mitleid die große Bitterkeit verdrängt, die Mei Chaofengs Verrat bei Huang Yaoshi hinterlassen hatte. Ihre Handschrift erinnerte ihn an die Zeit, als das Mädchen seine Hand zu nehmen pflegte, sie hin und her geschwungen und ihn dabei angestrahlt hatte. Meister!

Seufzend erinnerte sich Huang Yaoshi an seine Kalligrafien der Gedichte von Ouyang Xiu und Zhu Xizhen und daran, wie sein eifersüchtiger Schüler Qu Lingfeng sie in seinem Studierzimmer gefunden und Mei Chaofeng gezeigt hatte. Alle Verse hatte sie sich tief eingeprägt und über die Jahre in ihrem Innern bewahrt. Gewiss hatte sie verstanden, was sie bedeuteten. Die Schrift war klar und fest, sie musste es geschrieben haben, bevor sie erblindet war.

Nach seiner Heirat hatte seine ganze Aufmerksamkeit seiner jungen Frau gegolten und er hatte nur noch selten mit Mei Chaofeng gesprochen. Er erinnerte sich, wie Qu Lingfeng die Liebesgeschichte zwischen ihr und Chen Xuanfeng entdeckt hatte und sich seine beiden ältesten Schüler einen erbitterten Kampf um die Liebe ihrer kleinen Kampfschulschwester geliefert hatten. Und er erinnerte sich noch zu gut an seinen eigenen Jähzorn, als er Qu Lingfeng von der Insel verbannt und Mei Chaofeng und Chen Xuanfeng als Schüler verstoßen hatte. Erst zu spät war ihm bewusst geworden, dass sein eigenes Verhalten sie dazu gebracht hatte, ihren Meister zu verraten und das Neun-Yin-Handbuch zu stehlen. Der Gedanke daran erfüllte ihn mit bitterer Reue.

Ouyang Ke war immer noch darum bemüht, sich die seltsame Mahabharata-Passage einzuprägen. Kurzerhand schlug Huang Yaoshi das Buch zu. Er wollte nicht, dass die beiden das von Mei Chaofeng Geschriebene zu lesen bekamen.

»Das genügt. Dieser letzte Abschnitt ist zu schwierig.« Huang Yaoshi musterte die beiden jungen Männer, ihre aus unterschiedlichen Gründen verdatterten Mienen. »Wer von euch möchte anfangen?«

»Ich würde es gerne versuchen«, sagte Ouyang Ke schnell. Der Text war so abstrus und schwer zu merken, dass es besser war, ihn nachzubeten, solange seine Erinnerung noch frisch war.

Huang Yaoshi nickte. »Geh in den Bambuswald, bis du außer Hörweite bist«, wies er Guo Jing an.

Folgsam entfernte sich Guo Jing gut hundert Schritte vom Geschehen. Huang Rong wollte ihm hinterherschleichen, in der Hoffnung, die Gelegenheit zur gemeinsamen Flucht nutzen zu können.

»Huang Rong! Du setzt dich hier neben mich. So kannst du dich davon überzeugen, dass ich unvoreingenommen bin«, rief Huang Yaoshi.

»Du bist voreingenommen, das weißt du ganz genau.«

»Wo sind deine Manieren, Kind?«, schimpfte Huang Yaoshi. »Komm her.«

»Ich will aber nicht.« Huang Rong wusste, dass ihr Vater auf der Hut war. So leicht würde sie ihm nicht entkommen. Sie kehrte zurück und stellte sich vor Ouyang Ke. »Was ist so besonders an mir, Herr Ouyang? Warum seid Ihr so vernarrt in mich?«, fragte sie herausfordernd.

Völlig perplex von dieser Frage brachte Ouyang Ke kein Wort heraus. »Meine Dame, Ihr seid … Ihr …«

»Ihr müsst nicht zurück in den Westen gehen, dort ist es sicher furchtbar kalt. Bleibt doch ein paar Tage auf der Pfirsichblüteninsel.«

»Der Westen ist groß, meine Dame. Natürlich ist es in vielen Gegenden sehr kalt, aber in anderen ist es sonnig und warm wie hier im Süden.«

»Das glaube ich nicht. Ihr seid ein Betrüger!«

»Heb dir dein Geplänkel für später auf, Kind«, fuhr Ouyang Feng dazwischen, bevor Ouyang Ke antworten konnte.

Huang Rongs überraschende Fragen hatten Ouyang Ke so durcheinandergebracht, dass er einen großen Teil des Texts, den er auswendig gelernt hatte, vergaß. Er sammelte sich und fing an. »Es ist der Weg des Himmels, vom Überschüssigen zu nehmen und das Unvollständige zu füllen. Auf diese Weise schlägt das Substanzlose die Substanz und der Mangel triumphiert über den Überfluss«, begann er. Sein Gedächtnis war trotz allem beeindruckend. Die ersten Seiten betete er wortgetreu und mühelos herunter. Als er aber zum Haupttext kam, begann er zu stocken und zu stammeln. Die dunklen und komplexen daoistischen Lehren über den Fluss der Lebensenergie Qi, die richtige Atmung und die Harmonisierung von Yin und Yang waren zu abstrus, um sie zu behalten, und er vermochte nur einen geringen Teil des Inhalts wiederzugeben. Jedes Mal, wenn seine Erinnerung versagte, rief Huang Rong laut: »Falsch!«

Bald rief sie so oft dazwischen, dass er gar nicht mehr zu Wort kam. Als er bei der unverständlichen Beschwörungsformel auf der letzten Seite angelangt war, gab er auf. Davon hatte er kein Wort behalten.

»Nicht schlecht«, lobte Huang Yaoshi. »Es kostet große Mühe, so viel Text zu verinnerlichen.« Dann rief er laut nach Guo Jing.

Als Guo Jing das selbstgefällige Lächeln auf Ouyang Kes Gesicht sah, verlor er den Mut. Wie klug er sein muss, um sich das alles merken zu können! Das könnte ich nie. Ich sage einfach das auf, was ich von Bruder Botong gelernt habe. Das ist bestimmt falsch, aber was soll ich machen?

»Du darfst auch gern deine Niederlage eingestehen«, sagte der Bettlerfürst. »Es ist nicht nötig, dass du dich lächerlich machst, Junge.«

In diesem Augenblick stieß sich Huang Rong ab, landete auf dem Dach des Pavillons, zog einen glänzenden Dolch hervor und hielt sich die Spitze an die Brust. »Wenn du mich zwingst, mit diesem Wüstling in den Westen zu gehen, Vater, dann bringe ich mich um!«

Huang Yaoshi kannte seine Tochter. Sie hatte keine Skrupel, ihre Worte in die Tat umzusetzen. »Leg das Messer weg, Kind. Wir reden darüber.«

Ouyang Feng fackelte nicht lange. Kurzerhand schlug er seinen Stab auf den Boden, und mit einem beängstigenden Heulen schnellte ein seltsames Etwas durch die Luft und schlug Huang Rong den Dolch aus der Hand. Dann sprang Huang Yaoshi zu ihr auf das Dach und legte den Arm um sie. »Wenn du nicht heiraten willst, dann bin ich auch zufrieden«, sagte er leise. »Du weißt, dass ich dich am liebsten für immer bei mir auf der Insel hätte.«

»Du liebst mich nicht!«, schrie Huang Rong und strampelte mit den Beinen. »Du liebst mich einfach nicht!«

Der Bettlerfürst hielt sich den Bauch vor Lachen. Ein kleiner Wutanfall seiner geliebten Tochter, und der gefürchtete Ketzer des Ostens, Beherrscher der Meere, der Tyrann, der mordete, ohne mit der Wimper zu zucken, wurde zahm wie ein Lämmchen.

Ouyang Feng beobachtete mit Unmut, wie der Alte Ketzer seine trotzige Tochter zu besänftigen suchte. Sobald wir ihre Hand gewonnen und den Alten Bettler und den Trottel davongejagt haben, werden wir ihr die Launen schon austreiben. Wozu sich mit diesem Kinderkram aufhalten?

Er beschloss, die Sache etwas zu beschleunigen. »Junker Guo hat beachtliches äußeres Kung-Fu und hervorragendes inneres Kung-Fu bewiesen, gewiss verfügt er ebenfalls über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Willst du ihn nicht bitten, es uns vorzuführen, Bruder Yaoshi?«

»Du hast recht, Bruder Feng«, antwortete Huang Yaoshi. »Merkst du nicht, dass du mit deinen Launen die Konzentration des Junkers Guo störst?«, ermahnte er seine Tochter. Huang Rong verstummte.

»Fangt an, Junker Guo, wenn ich bitten darf. Wir können Euren Vortrag kaum erwarten«, sagte Ouyang Feng.

Guo Jing lief rot an. Mir bleibt wohl keine andere Wahl, dachte er und begann.

Die Worte flossen ohne Zögern aus seinem Mund. »Es ist der Weg des Himmels, vom Überschüssigen zu nehmen und das Unvollständige zu füllen …« Hunderte Male hatte er dieselben Worte für Zhou Botong wiederholt. Nach nur wenigen Sätzen sahen sich die Zuhörer entgeistert an. Der Junge hat uns alle zum Narren gehalten! Dieser Gedanke schoss den beiden Ouyangs und Huang Yaoshi gleichzeitig durch den Kopf.

Huang Rong und Hong Qigong wiederum kannten Guo Jing zu gut – sie wussten genau, dass er den Text auf keinen Fall soeben auswendig gelernt haben konnte. Für den Augenblick waren sie aber viel zu glücklich über diese unerwartete Wendung, um sich die Frage zu stellen, wieso er ihn trotzdem aufsagen konnte.

Guo Jing hatte die ersten Seiten in einem Atemzug heruntergespult. Huang Yaoshi, der unterdessen mitlas, staunte. Jedes einzelne Wort stimmte, selbst die Stellen, die kaum leserlich waren, weil Blut, Schweiß und Tränen sie befleckt hatten oder die Seiten aufgrund der groben Behandlung durch Chen Xuanfeng und Mei Chaofeng zerrissen und angestoßen waren.

Was ihn aber vor allem beeindruckte, war, dass Guo Jing in zusammenhängenden Sätzen sprach. Der Sinn der Worte und ihre Betonung kamen logisch und folgerichtig über seine Lippen und selbst fehlende Schriftzeichen philosophischer Sinnsprüche aus dem Buch des Wegs und der Tugend des Meistes Laozi und dem wahren Buch vom Südlichen Blütenland des Meisters Zhuangzi ergänzte er mühelos, obwohl seine Frau darauf verzichtet hatte, die bekannten Weisheiten vollständig zu zitieren.

Sein Herz tat einen Sprung, und kalter Schweiß lief ihm über den Rücken. Bist du es, die durch den Mund dieses jungen Mannes zu mir spricht, Liebes? Hast du die Worte aus dem Handbuch mit ins Jenseits genommen und sie ihm von dort auf geheimnisvolle Weise übermittelt?

Guo Jings Stimme stockte kein einziges Mal. Jedes einzelne Wort aus dem Handbuch schallte Huang Yaoshi entgegen wie eine Mahnung. Sogar die letzte unverständliche Passage sprudelte bis zum letzten Satz aus Guo Jing heraus wie Wasser.

Huang Yaoshi war jetzt davon überzeugt, dass er es mit einem übernatürlichen Phänomen zu tun hatte, und wandte den Blick zum Himmel. »Bist du es, Ah Heng? Wenn du es bist, die durch diesen Jungen zu mir spricht, dann zeig dich mir! Jede Nacht spiele ich auf der Flöte für dich. Hast du meine Rufe vernommen?«, murmelte er. Seine Frau hatte die Wahl getroffen, daran bestand kein Zweifel. Die Umstehenden verstanden gar nichts mehr, sie wussten auch nicht, dass er zu seiner verstorbenen Frau sprach, deren Mädchenname Ah Heng lautete. Der verklärte Gesichtsausdruck des Alten Ketzers war beunruhigend.

Doch plötzlich änderte sich seine Miene. »Du hast heimlich das Neun-Yin-Handbuch gelesen, als es in Mei Chaofengs Besitz war, hab ich recht?«, herrschte er Guo Jing an.

»Sie … sie hat mich festgehalten …«, stammelte Guo Jing, erschrocken über den eisigen Ton. »Sie wollte mich erwürgen, als Rache für ihren toten Gatten … Aber sie war auf mich angewiesen, weil sie nicht gehen konnte, und ich habe sie getragen … Sie saß auf meinen Schultern und kämpfte, damals, in jener Nacht im Palast von König Zhao. Das Handbuch hat sie mir nicht gezeigt, und ich habe es nie gesehen.«

Guo Jing war wie ein offenes Buch. Sein ehrliches Entsetzen verriet Huang Yaoshi, dass er die Wahrheit sagte. Außerdem hatte Guo Jing eine vollständigere Version rezitiert als diejenige, die sich in seinem Besitz befand – vor allem, was den seltsamen letzten Abschnitt betraf. Der Junge musste es von seiner Frau haben, die ihr Wissen mit ins Reich der Geister genommen hatte.

Normalerweise war der Ketzer des Ostens viel zu klug und vernünftig, um an haarsträubende Geistergeschichten zu glauben. Aber die Liebe zu seiner Frau, die gewaltige Trauer über ihren frühen Tod und die Hoffnung auf ein Zeichen von ihr benebelten seinen Verstand. Er war überzeugt, dass sie für ihn die Entscheidung getroffen und ihren Schwiegersohn auserwählt hatte.

»Bruder Qigong, Bruder Feng!«, hob er an, von Trauer und Freude bewegt. »Meine verstorbene Frau hat gesprochen, und ihre Entscheidung ist unanfechtbar. Guo Jing, mein Sohn, hiermit vertraue ich dir die Hand meiner Tochter an, kümmere dich gut um sie. Rong ist ein verzogenes Kind. Ich hoffe, du wirst mit ihren Launen zurechtkommen.«

»Ich bin nicht verzogen!«, rief Huang Rong, überglücklich. »Wer muss mit meinen Launen zurechtkommen?«

Diesmal fiel Guo Jing auf die Knie, ohne dass sie ihm ein Zeichen geben musste. »Ich danke Euch, Vater!«