Doug Reardens Stadthaus mit Blick auf den Potomac war vielleicht nicht die größte und bestimmt nicht die schönste Villa in Georgetown, aber wahrscheinlich die sicherste. Und das wollte in dieser Gegend schon etwas heißen. In Washingtons nobelstem Wohnviertel lebten viele hochrangige Regierungsmitglieder, die schon von Berufs wegen erstklassigen Schutz genossen. Doug Rearden allerdings arbeitete nicht für die Regierung. Nicht mehr. Vor Jahrzehnten hatte er sich mit einer zunächst noch kleinen Security-Firma selbständig gemacht. Dank seiner erstklassigen Kontakte war der Betrieb schnell zur führenden Firma in ganz Maryland aufgestiegen und ermöglichte ihm ein Leben, das luxuriöser war, als er je erwartet hatte. Es verstand sich von selbst, dass sein Know-how im Security-Bereich nun auch ihm selbst zugute kam.
Wie jeden Morgen saß Rearden pünktlich um sieben in Anzug und Krawatte am Frühstückstisch. Dass seine Firma seit nun fast sechs Jahren von seinem Schwiegersohn geführt wurde und er nicht mehr so oft aus dem Haus ging, war für ihn kein Grund, sich gehen zu lassen. Semper paratus! Immer noch. Er goss etwas dampfenden Kaffee aus der silbernen Art-Deco-Kanne in seine Tasse, nahm einen kleinen Schluck und griff nach der Tageszeitung, nur um sie im nächsten Augenblick wütend auf den glänzenden Mahagonitisch zu klatschen.
Dieses gottverfluchte mexikanische Mistweib! Es war zum ...! Nein! Das war nicht fair. Rearden rief sich innerlich zur Ordnung. Marciella war fleißig, ehrlich und – das Wichtigste von allem – zutiefst gottesfürchtig. Aus diesem Grund hatte er sie vor über zwanzig Jahren eingestellt und es kaum jemals bereut. Aber das mit der Zeitung wollte einfach nicht in ihren mexikanischen Schädel. Warum konnte sie nicht begreifen, dass Zeitung nicht Zeitung war, sondern dass es gravierende Unterschiede gab? Nicht zum ersten Mal hatte sie ihm nicht die Washington Times besorgt, sondern dieses kommunistische Schmierblatt, das sich Washington Post nannte.
Washington Prawda wäre passender, dachte Rearden verächtlich. Dieses widerliche Propagandaorgan hatte doch kein anderes Ziel, als Tag für Tag Amerika in den Dreck zu ziehen.
Sicher, auch Amerika war nicht perfekt – welches Land war das schon? Aber warum immer nur das Negative breittreten, statt das Positive nach vorn zu stellen? Angefangen damals mit Watergate. Dieser Drecksack Bob Woodward hatte alles ans Licht der Öffentlichkeit zerren müssen und damit letztlich die Amtszeit von Präsident Nixon beendet. Danach redete niemand mehr von Nixons zahlreichen Verdiensten, sondern nur noch von Skandalen, und schließlich musste er seinen Stuhl für den Versager Gerald Ford räumen, einen Mann, von dem es hieß, dass er nicht gleichzeitig geradeaus gehen und Kaugummi kauen konnte. Was für eine Verbesserung! Vielen Dank auch, Bob!
Bob Woodward stand auf der Liste der Personen, die Rearden aus tiefster Seele verachtete, weit oben, und es war eine lange Liste. Woodward! Zu allem Überfluss wohnte der Kerl nur zwei Straßen weiter. Wenn Rearden ihn gelegentlich von weitem erblickte, wechselte er die Straßenseite. Hollywood hatte dann noch einen draufgesetzt und einen Film über diesen Verräter gedreht. Mit Robert Redford als Woodward. Redford! Auch so ein Kommunistenfreund. Was hatten diese Leute bloß gegen Amerika, das großartigste Land auf der ganzen Welt?
God’s own country!
Ein Land, das von mutigen und frommen Siedlern aus dem Nichts aufgebaut worden und zur mächtigsten Nation aller Zeiten aufgestiegen war. Auch jetzt noch war Amerika die stärkste Macht der Welt, aber seit einigen Jahrzehnten ging es stetig bergab, das war unübersehbar. An allen Ecken bröckelte es. In erster Linie durch den rasanten Verfall der christlichen Werte im ganzen Land. Das Christentum geriet zunehmend in die Defensive, man musste sich ja inzwischen schon fast schämen, öffentlich zu seinem Glauben zu stehen.
Rearden wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis man auch das Bekenntnis In God we trust von den Geldscheinen und Münzen entfernen würde. Er hoffte inständig, das nicht mehr miterleben zu müssen, und die Chancen dafür standen gar nicht mal schlecht. Dr. Cooper hatte ihm noch drei Monate gegeben. Bestenfalls. Die 1,4 Millionen Marlboro-Zigaretten, die er in den letzten zweiundsechzig Jahren geraucht hatte, waren nicht spurlos an seiner Lunge vorübergegangen, und jetzt bekam er die Rechnung präsentiert. Und wenn schon! Er hatte sein Leben gelebt und Spuren hinterlassen, auf die er stolz war. Er hatte für sein Land mehr getan als – mit zwei Ausnahmen – jede andere Person, die er in seinem Leben gekannt hatte, und wenn jetzt Schluss war, hatte er damit kein Problem. Rearden zündete sich eine Zigarette an und griff mit spitzen Fingern nach der Washington Post.