Mühsam stemmte Alberto Bonetti seinen schwergewichtigen Körper aus dem ledernen Schreibtischsessel hoch und schloss die Knöpfe seines maßgeschneiderten Zweireihers. Langsam trat er an den Wandsafe und starrte auf das metallene Rad zum Einstellen der Zahlenkombination. Eine einzelne Schweißperle rann seine Stirn hinunter und dann über das rechte Glas seiner unmodischen Hornbrille. Seine manikürten Hände zitterten leicht. Die antike Standuhr neben der Tür schlug einmal zur Viertelstunde, und ihm wurde das Groteske der Situation bewusst. Er war schließlich kein Juwelendieb. Dies war sein eigenes Büro. Sein eigener Safe. Wenn er ihn öffnen wollte, würde er ihn einfach öffnen. Andererseits, das, was dort in seinem Safe lag und ihn seit drei Nächten nicht schlafen ließ, gehörte ihm nicht. Er hatte präzise Anweisungen erhalten, was damit zu geschehen hatte. Schon Tausende Male hatte er solche und ähnliche Anweisungen bekommen, und in den letzten vierundvierzig Jahren hatte er sie jedes Mal bis aufs i-Tüpfelchen korrekt ausgeführt.
Aber dieses Mal ...
Das hier war anders.
Bonetti schluckte.
Zögernd stellte er die Kombination ein und öffnete den Safe.
Dort lag er: der dünne weiße Umschlag. Nach wie vor mit einem intakten roten Wachssiegel verschlossen. Die Frage war: Wusste der Empfänger von dem Siegel? Falls ja, konnte Bonetti immer noch behaupten, der Umschlag sei zu Boden gefallen und das Siegel dabei zerbrochen. Das Gegenteil würde sich nicht beweisen lassen. Bonetti nahm den Umschlag heraus und legte ihn behutsam auf seinen pompösen Schreibtisch. Er setzte sich vorsichtig in den ledernen Drehsessel und untersuchte das Siegel. Wenn man ganz vorsichtig ... Erneut rann ihm eine Schweißperle über die Brille, bevor sie auf den Umschlag tropfte. Bonetti zuckte zusammen. Schlagartig war ihm klar geworden, dass es glatter Irrsinn war, überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, den Umschlag zu öffnen. Die Kanzlei Bonetti war seit vier Generationen eines der renommiertesten Notariate von Rom. Fast schon so etwas wie eine staatliche Institution. Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er ihn so sehen müsste. Bonetti richtete reflexartig seine akkurat gebundene Krawatte. Jedes noch so kleine Abweichen vom vorschriftsmäßigen Weg stand doch außerhalb jeder Diskussion. Auch wenn er fast umkam vor Neugierde, was sich in diesem Umschlag befand, er würde ihn korrekt dem rechtmäßigen Empfänger übergeben. Basta!
Entschlossen drückte er den abgeschabten Knopf der Gegensprechanlage. »Gabriella, verbinden Sie mich mit dem Vatikan ... Ein Signor Donato Cavelli ...«