XXXIII

Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit betraten Cavelli und Pia das Foyer des Hotel Columbus.

Was die schlichte Fassade nicht ahnen ließ, war, dass es sich um eines der legendärsten Hotels in Rom handelte. Nicht nur wegen seiner unschlagbar nahen Lage zum Vatikan, sondern auch aufgrund seiner gleichzeitig schlichten, aber hochwertigen Innenausstattung erfreute sich der ehemalige Kardinalspalazzo aus dem 15. Jahrhundert bei vielen kirchlichen und auch nichtkirchlichen Würdenträgern größter Beliebtheit. Cavelli hatte schon bei verschiedenen Anlässen hier zu Abend gegessen. Der Speisesaal mit seinen prächtigen Fresken an Decke und Wänden war ein architektonischer Kunstgenuss, der das gute Essen beinahe in den Hintergrund treten ließ. Cavelli hatte immer schon gewusst, dass das Hotel den Rittern vom Heiligen Grab gehörte, aber irgendwelche sichtbaren Anzeichen dafür waren ihm nie aufgefallen. Er sah sich um. Ein Schild mit einem entsprechenden Hinweis ließ sich nirgendwo entdecken.

Pia stupste ihm unauffällig mit dem Ellenbogen in die Rippen.

»Wo sind die Ritter?«, flüsterte sie, fast ohne die Lippen zu bewegen. »Tragen die nicht so weiße Gewänder mit ’nem Kreuz drauf? Aber in diesem Hotel sehe ich höchstens Spesenritter.«

Sie kicherte. Neben ihnen hatte ein gut gekleideter Mann das Foyer betreten und begrüßte einen weiteren Mann, der offenbar bereits auf ihn gewartet hatte und sich mühsam aus einem Sessel hochquälte.

»Pax.«

»In Aeternum.«

Sie schüttelten sich die Hände und nahmen beide Platz.

»Ritter?«, flüsterte Pia mit Verschwörermiene.

Cavelli schüttelte den Kopf. »Opus Dei.«

Pia riss die Augen auf. Cavelli wandte sich an die Dame hinter dem Rezeptionstresen. »Verzeihung, wir haben einen Termin bei Kardinal Marigonda.«

Die Rezeptionistin sah ihn freundlich über ihre Brille hinweg an und deutete mit dem Zeigefinger in einer fließenden Bewegung erst nach links, dann nach rechts und erneut zweimal nach links. »Außen herum bitte, erste Tür.«

Cavelli und Pia verließen das Hotel, bogen nach rechts ab und durchquerten die Hoteleinfahrt, wandten sich dann auf der Straße nach links und bogen gleich wieder links in die Via dei Cavalieri del Santo Sepolcro ein. Im Gegensatz zum Hotel war die Straße nach den Rittern benannt. Cavelli war schon Tausende von Malen durch sie hindurch gegangen und hatte sich nie etwas dabei gedacht. Man sieht nur, was man weiß, ging es ihm durch den Kopf. Ein paar Meter weiter befand sich eine schwarze Doppeltür und darüber ein Wappen der Ritterschaft – ein großes rotes Prankenkreuz und vier kleine rote Kreuze. Über dem Briefschlitz befand sich ein kleines Messingschild mit der Aufschrift Ordine Equestre del santo Sepolcro di Gerusalemme.

»Die Ritter vom Orden des Heiligen Grabes in Jerusalem«, übersetzte Cavelli. Pia nickte gespannt. Cavelli drückte auf die erstaunlich billig aussehende Klingel mit der Aufschrift OESSG. Nach etwa dreißig Sekunden wurde die Tür geöffnet. Vor ihnen stand ein kleiner dünner Mann mit schütterem Haar in einem schwarzen Anzug. Obwohl Cavelli direkt vor ihm stand, schien er für den Mann unsichtbar zu sein.

»Signorina Randall?«

»Si.«

Der Dünne deutete mit säuerlicher Miene eine Verbeugung an. Der typische Duft von Pomade stieg Cavelli in die Nase. Cavelli liebte diesen ganz eigenen Geruch, dem man nur noch selten begegnete. Er erinnerte ihn an seinen Vater.

»Mein Name ist Aldo Cavalluccio, ich bin der persönliche Sekretär von Kardinal Marigonda. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«

Bevor Pia oder Cavelli etwas erwidern konnten, hatte er sich umgedreht und wieselte mit kurzen schnellen Schritten zu einem Fahrstuhl. Er steckte einen kleinen Schlüssel in ein Schloss und drehte ihn. Die Lifttür öffnete sich augenblicklich.

Cavalluccio ließ Pia und Cavelli den Vortritt und quetschte sich dann ebenfalls in den kleinen Aufzug. Er führte den Schlüssel in ein Schloss auf dem Schaltbrett ein, dann drückte er auf den obersten Knopf. Der Lift setzte sich sanft in Bewegung. Cavalluccio senkte den Kopf, nur um ihn im nächsten Moment abrupt zur Decke zu wenden. Cavelli musste innerlich grinsen. Cavalluccio hatte versehentlich auf Pias Beine geblickt und es sich dann augenblicklich verboten.

Augenzucht.

Eine ständig geübte Angewohnheit der Männer, die sich voll und ganz dem Herrn verschrieben hatten.

Mit einem scharfen Ruck kam der Aufzug zum Stillstand, und die Türen öffneten sich. Sie betraten einen langgestreckten Raum mit gewölbtem Glasdach. Außer einem prächtigen Läufer auf dem Marmorboden befanden sich in dem Raum nur zwei altmodische Sofas an einem großen Fenster, das fast die gesamte Wand ersetzte.

Cavalluccio deutete auf die Sofas.

»Bitte nehmen Sie einen Augenblick Platz, ich melde seiner Eminenz, dass Sie hier sind.«

Während Pia und Cavelli sich setzten, begab sich Cavalluccio zu einer großen zweiflügeligen Mahagonitür gegenüber dem Lift. Ohne anzuklopfen, schlüpfte er hinein und schloss die Tür hinter sich. Cavelli sah aus dem Fenster. Weiter unten erblickte er einen idyllischen Palmengarten, der ringsum von Mauern umschlossen war und in dem Hotelgäste an Tischen beim Essen saßen. In der Mitte sprudelte ein Springbrunnen. Ein schattiger Garten in Rom. Direkt am Vatikan. Eine kostbare Rarität. Cavelli beschloss, bei nächster Gelegenheit einmal wieder als Gast zu kommen.

»Psst, Don ...« Pia tippte seinen Fuß mit der Schuhspitze an.

»Hm?«

»Wieso ist der Oberritter auch Kardinal? Gehören die doch zum Vatikan?«

»Das ist etwas kompliziert. Es ist ein selbständiger Orden für Kleriker und Laien, der unter dem Schutz des Heiligen Stuhls steht. Sie sind im Prinzip unabhängig, aber die Vergabe bestimmter hoher Ämter muss erst vom Vatikan genehmigt werden.«

Pia zog verächtlich die Mundwinkel runter. »Und wozu der ganze Quatsch?«

Cavelli hielt es nicht für ratsam, jetzt und hier eine größere Diskussion anzufangen. Stattdessen deutete er knapp auf das Motto auf dem großen Ordenswappen, das über der Mahagonitür prangte.

DEUS LO VULT.

»Deshalb!«

Pia entzifferte es mit zusammengekniffenen Augen. »Ich kann kein Latein. Ich hatte in der Schule Französisch, und nicht mal das hab ich verstanden.«

»Gott will es«, übersetzte Cavelli. »Es war auch der Wahlspruch der Kreuzritter.«

»Na toll!«, stöhnte Pia.

Leise öffnete sich ein Flügel der Mahagonitür, und Cavalluccio trat heraus.

»Kardinal Marigonda empfängt Sie nun.«

Cavelli und Pia erhoben sich und gingen auf die Tür zu.

Erneut wandte Cavalluccio den Blick ab.