Als Christoph Kolumbus am 20. Mai 1506 im spanischen Valla dolid starb, war die Euphorie um seine Westfahrt und die neu entdeckten Gebiete in den Indias in Ernüchterung umgeschlagen. Seit dem Tag von Guanahani 1492 hatten sich die Hoffnungen auf die Entdeckung des Seewegs zu sagenhaften Goldländern des Ostens nicht erfüllt. Die Inseln der Karibik, deren Reichtümer Kolumbus einst so blumig beschrieben hatte, brachten nicht den erhofften Ertrag. Während die portugiesischen Rivalen schon 1498 den Seeweg nach Indien erschlossen, machten die eigenen Siedler, allen voran die Familie des Kolumbus, der Krone so viel Ärger, dass sie – obwohl die Politik in Europa ihr eigentlich viel wichtiger war – wiederholt eingreifen musste. Eine menschenwürdige Behandlung der indigenen Bevölkerung und das Streben nach wirtschaftlichem Gewinn ließen sich außerdem nur schwer in Einklang bringen. Aus Sicht der spanischen Kolonisatoren waren die Menschen, die sie verallgemeinernd und abwertend «Indios» nannten, wenig wert. Als Sklaven eigneten sie sich kaum, denn sie starben schnell an Überarbeitung und an den von den Europäern eingeschleppten Krankheiten, weshalb der Bevölkerungsrückgang auf den karibischen Inseln dramatisch war. Die Attraktion der Neuen Welt hatte eindeutig nachgelassen. Es bedurfte eines neuen Anreizes, um das Entdeckungsfieber wieder zu entfachen.
Hernán Cortés war zu diesem Zeitpunkt ein junger Mann. Geboren wurde er wahrscheinlich 1485 in Medellín in der spanischen Provinz Extremadura weitab von den Zentren der Macht. Damals stand die spätmittelalterliche Welt am Anfang eines tiefgreifenden Wandlungsprozesses. Der Großteil von Spanien wurde von Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien regiert, die 1469 in Valladolid geheiratet hatten. Unter den beiden erlebte das durch Pest und innere Kriege ausgeblutete Land einen Prozess der Konsolidierung und Expansion. Der Krieg gegen das muslimische Reich von Granada fand mit der Eroberung der Stadt 1492 seinen Abschluss. Dies bedeutete gleichzeitig den Startschuss für das Unternehmen des Kolumbus. Zwar war Spanien zu diesem Zeitpunkt alles andere als ein Einheitsstaat, sondern bestand aus zahlreichen, teils in Personalunion verbundenen Teilkönigreichen, jedoch hatte die Zentralisierung unter Ferdinand und Isabella Fortschritte gemacht. Religiöse Spannungen wurden durch die 1478 eingeführte Inquisition unterdrückt und mit dem Abschluss der Reconquista standen finanzielle Mittel bereit, die nicht zuletzt die verfolgten jüdischen und muslimischen Minderheiten aufbringen mussten.[1]
Über Cortés’ Leben zu dieser Zeit ist nur wenig bekannt, was schon früh Anlass zur Legendenbildung gab. So behauptete der aus Sizilien stammende Humanist am spanischen Hof, Lucio Marineo Sículo, der 1530 die erste Biographie des Conquistadors schrieb, dieser stamme aus der Ewigen Stadt Rom.[2] Andere spanische Chronisten behaupteten später, Cortés sei im selben Jahr – also 1483 – geboren wie Martin Luther, das «schreckliche und grausame Monster gegen die Kirche», quasi als dessen rechtgläubiges Gegenbild, was aber ebenso wenig den Tatsachen entsprach.[3]
Die reichhaltige biographische Forschung hat herausgearbeitet, dass Cortés’ Vater, Martín, um die Mitte des 15. Jahrhunderts geboren wurde und in Medellín als Mitglied des niederen Adels lebte. Seine militärischen Verdienste in den zahlreichen blutigen Auseinandersetzungen, die damals die Region erschütterten, sowie in der Reconquista brachten ihm eine gewisse Anerkennung und Privilegien. Sein persönlicher Besitz blieb bescheiden, jedoch war die Familie nach der Meinung mancher Chronisten wohl auch nicht arm. Zur Frau nahm er Catalina Pizarro, die ebenfalls aus einer Hidalgo-Familie aus der benachbarten Stadt Trujillo stammte.[4] Der Teil der Extremadura, in der die Familie lebte, war durchaus fruchtbar, allerdings befand sich das Land im Besitz einiger weniger; so herrschten in Medellín beispielsweise die Grafen von Portocarrero. Für den niederen Adel gab es nach Kriegsende nur wenig Perspektiven, was die hohe Zahl an Auswanderern in die Neue Welt aus diesem Landstrich erklären mag. Darunter waren große Namen wie etwa die Gebrüder Pizarro, die das Inkareich eroberten, Nicolás de Ovando, der Gouverneur von Hispaniola, und eben auch Cortés.[5]
Nach López de Gómara war Cortés ein kränkliches Kind, das nur knapp dem Tod entging.[6] Als einziger Erbe entwickelte er eine besonders enge Beziehung zu seinem Vater, was für seinen späteren Lebensweg von Bedeutung sein sollte. Dieser brachte Hernán wahrscheinlich die für einen jungen Adligen unabdingbaren militärischen Kenntnisse und das Reiten bei.[7] Darüber hinaus lernte er lesen und schreiben in einer Zeit, in der auch die spanische Kultur einen Aufschwung nahm. 1492 legte der Gelehrte Antonio de Nebrija erstmals eine Grammatik der kastilischen Sprache vor, hatte er doch erkannt, dass «die Sprache immer die Begleiterin des Imperiums war.»[8] Wahrscheinlich fand der junge Cortés wie viele seiner Zeitgenossen Gefallen an den beliebten Ritterromanen wie etwa der Sammlung Amadís de Gaula von Garci Rodríguez de Montalvo (1508), die vom Verlagshaus des aus Nürnberg stammenden Jacob Cromberger in Sevilla publiziert wurde.[9] Auch die teils fiktiven Reiseberichte von Jean de Mandeville oder Marco Polo, die in Form von Volksbüchern in Umlauf waren, könnten Cortés’ Interesse an fernen Ländern geweckt haben.[10]
Den 14- oder 15-Jährigen schickte der Vater zur weiteren Ausbildung wohl nach Salamanca, wo dessen Stiefschwester Inés Gómez de Paz mit ihrem Mann, dem Schreiber Francisco Núñez de Valera lebte. Ob Cortés dort tatsächlich an der Universität studierte, ohne einen akademischen Grad zu erwerben, was damals durchaus nicht unüblich war, oder ob er nur die Grundbegriffe der lateinischen Grammatik und des Rechtswesens als Vorbereitung für die weitere akademische Ausbildung erlernte, bleibt letztlich ungewiss. Wichtig ist, dass er sich in diesen zwei bis drei Jahren wertvolle Fähigkeiten aneignete. Mit dem geschriebenen Wort, auch auf Latein, konnte er gut umgehen, und er verstand es, juristisch geschickt zu seinen Gunsten zu argumentieren. In seiner Korrespondenz untermauerte er die Bedeutung seiner Worte gerne durch Zitate aus den Klassikern, die er den beliebten Sammlungen von Sentenzen der damaligen Zeit entnahm. Diese Fertigkeiten sollten ihm in der Neuen Welt sehr nützen.[11]
Nach dieser Lehrzeit reifte in Cortés der Plan, sich an kriegerischen Abenteuern zu beteiligen, um seinen Mut und seine Kraft unter Beweis zu stellen. Trotz der Belesenheit, mit der er sich gern brüstete, über deren Tiefgang aber nur Vermutungen möglich sind, neigte er eher dem Militärhandwerk und dem Glücksspiel zu.[12] Unterschiedliche Schauplätze boten sich dafür an. So interessierte er sich wohl zunächst für die spanischen Kampagnen in Italien, fasste dann aber den Entschluss, sich der Flotte von Ovando anzuschließen, mit der unter anderem Bartolomé de las Casas nach den Indias reisen sollte. Laut López de Gomara kehrte Cortés vor seiner Abreise noch einmal nach Medellín zurück, um sich dort den Segen seiner Eltern und Geld für die Reise zu holen.[13] Die Quellen sprechen ferner davon, dass er nach Sevilla zog, wo er im Zuge eines amourösen Abenteuers einen Unfall erlitt und deshalb die Abfahrt verpasste.[14] Einerseits deutet die lückenhafte und sehr widersprüchliche Überlieferung über die Frühphase seines Lebens auf eine Herkunft, die keineswegs Anlass zu großen Zukunftsaussichten bot. Andererseits verfügte Cortés als junger Hidalgo jedoch über ausreichend soziales Kapital und Verwandtschaftsbeziehungen, um die Gelegenheiten zu nutzen, die sich ihm boten, und wenn diese auf der Iberischen Halbinsel nicht zu finden waren, dann eben in den Indias, wo das Siedlungsunternehmen Ovandos einen Neubeginn zu versprechen schien.
Im Jahre 1504 jedenfalls trat Hernán Cortés – darüber sind sich die Chronisten relativ einig – im Alter von circa 19 Jahren die große Reise an. Laut López de Gomara segelte er auf einer Nao des Alonso Quintero aus Palos de Moguer über die Kanareninsel La Gomera nach Santo Domingo auf der Insel Hispaniola, dem Zentrum der spanischen Herrschaft in der Karibik.[15] Hier hatte Kolumbus die erste Siedlung La Navidad anlegen lassen und hier befand sich der Sitz des Gouverneurs. 1492 hatten schätzungsweise rund eine Million Menschen die Großen und Kleinen Antillen bevölkert, doch war die Zahl seit der Ankunft der Spanier rapide zurückgegangen. Der Traum vom friedlichen Zusammenleben, wenn es ihn denn je gegeben hatte, löste sich sehr schnell in Luft auf. Seit der Zerstörung von La Navidad durch die Taino 1493 hatte es eine nicht enden wollende Serie von Bluttaten sowie Ausbeutung und Unterdrückung gegeben. Schon das Massaker an den ersten Siedlern wurde höchstwahrscheinlich durch die Übergriffe der Spanier ausgelöst, die sich mit Brutalität die autochthone Bevölkerung gefügig machen wollten.[16]
Die Menschen, die damals in der Karibik lebten, hatten eine lange Geschichte. Schon im 4. Jahrtausend v. Chr. waren Jäger und Sammler von der Halbinsel Yucatán auf die Inseln der Antillen gelangt. Zwei Jahrtausende später kamen sesshafte Gruppen aus der Region von Saladero im heutigen Venezuela hinzu, die bereits das Töpferhandwerk beherrschten und Feldbau betrieben. Diese Saladoiden überlagerten die «Urbevölkerung» und mischten sich mit ihr. Im ersten Jahrtausend n. Chr. stieg die Zahl der Siedlungen stark an und es wurden bis dahin unbewohnte Inseln erschlossen. In diesem Zeitraum entwickelten sich komplexe gesellschaftliche Hierarchien wie zum Beispiel bei den Taino, die sich in Untergruppen gliederten und unter anderem die Inseln der großen Antillen bewohnten: Haiti (Hispaniola), Kuba (Fernandina) und Boriquén (Puerto Rico).[17]
Die Taino lebten von der Landwirtschaft – insbesondere von Maniok – sowie vom Fischfang. Später sollten fremdartige Produkte wie Ananas und Tabak die Europäer beeindrucken. Kleidung war angesichts der klimatischen Bedingungen kaum notwendig, doch fertigten die Taino Hängematten und anderes. Große Hütten aus Holz und Stroh, in denen viele Personen Platz fanden, boten ihnen Schutz und als Waffen dienten ihnen die keulenartigen Macanas, aber auch Speere sowie Pfeil und Bogen. Die Taino waren hervorragende Seefahrer und ihre nur auf den ersten Blick simplen Kanus waren hochseetüchtige Gefährte, mit denen sie Handel zwischen den Inseln betrieben. Es gab sogar mehrere Inseln umspannende Herrschaftsgebiete, deren Kern die Dörfer bildeten, in denen teils über 1000 Menschen lebten. Die Religion durchzog das Leben der Taino und ihre Kunstwerke und Rituale standen damit im Zusammenhang. Dazu zählte das Ballspiel, das wohl aus Mesoamerika übernommen worden war. Angesichts der häufigen Naturkatastrophen – Hurrikane und Überschwemmungen – dienten die religiösen Handlungen der Daseinsfürsorge, stellten indes auch eine Verbindung zum Reich der Toten dar, denen in einem ausgeprägten Ahnenkult gehuldigt wurde.[18]
Den Spaniern standen die Taino anfangs, von Ausnahmen abgesehen, durchaus freundlich oder abwartend gegenüber, allerdings hielt der Frieden nicht lange. Dem zweiten Versuch der Spanier, eine Siedlung zu gründen, La Isabela an der Nordküste der Insel, war daher nach 1494 auch kein Erfolg beschieden. Die zunächst friedlichen Beziehungen zu den umliegenden Dörfern verschlechterten sich schnell, nachdem deren Kaziken festgestellt hatten, dass die Europäer langfristig bleiben wollten und es auf ihre Ressourcen abgesehen hatten. Zudem provozierten die spanischen Streifzüge ins Landesinnere auf der Suche nach Gold und der Bau des Forts Santo Tomás Konflikte. Als die Spanier dann noch die Herausgabe von Nahrungsmitteln forderten und im Falle etwaigen Widerstands grausame Strafen verhängten, kam es zur bewaffneten Auseinandersetzung. Erneut wurde die Siedlung verlegt, dieses Mal in den Süden der Insel, und 1502 nach einem weiteren Umzug ans andere Flussufer entstand daraus Santo Domingo.[19]
Nachdem die Spanier auf der Suche nach den erhofften Reichtümern keinen Erfolg hatten, gingen sie ab 1495 dazu über, Teile der einheimischen Bevölkerung zu versklaven und nach Europa zu verschiffen. Dahinter standen rein wirtschaftliche Motive, doch wurde das Missionsinteresse zur Legitimation ins Feld geführt. Dennoch verbot die spanische Krone 1500 diese Praxis nicht zuletzt deshalb, weil die Betroffenen in Europa unter den ungewohnten Bedingungen in der Regel schnell starben. Nur die Versklavung der vermeintlich menschenfressenden Kariben, einer den Taino benachbarten Bevölkerungsgruppe, wurde freigegeben, was vielfach zu Missbrauch führte. Überhaupt ließ sich mit dem Vorwurf des Kannibalismus der Krieg zu einem «gerechten Krieg» umdeuten. Das erbarmungslose Vorgehen der Spanier und die Krankheiten, die sie einschleppten, hatten zur Folge, dass die Bevölkerung Hispaniolas stark schrumpfte und es zu einem Mangel an Arbeitskräften kam. Daher ging man dazu über, die Bewohner der Nachbarinseln zu versklaven und ab 1505 auch Sklaven aus Afrika einzuführen.[20]
Doch die Sklaveneinfuhr konnte den dramatischen Bevölkerungsverlust nicht aufhalten. Wiederholt kam es zu Aufständen, die die Spanier blutig unterdrückten. Der seit 1502 amtierende Gouverneur Ovando, dessen Flotte Cortés seinerzeit verpasst hatte, war für seine – euphemistisch ‹Befriedung› (pacificación) bezeichneten – Maßnahmen berüchtigt.[21] Allerdings wurden unter ihm auch der Ausbau der Siedlungen vorangetrieben und neue Städte angelegt. Als 1518/19 eine Pockenepidemie wütete, verflüchtigte sich die Hoffnung auf eine langfristige Besiedlung der Insel auf der Basis indigener Zwangsarbeit. Insgesamt gesehen war das große Sterben der Bevölkerung zumeist auf die mörderische Fron und die Gewalttaten der Spanier zurückzuführen. Hinzu kamen ansteckende Krankheiten wie Masern, Mumps, Pocken, Typhus oder Grippe, gegen die die einheimischen Bewohner keine Immunabwehr hatten. «Die Zahl der unglücklichen Einwohner ist erheblich zurückgegangen», schrieb Pietro Martire d’Anghiera schon um 1530.[22] 1570 stellte der Chronist Juan López de Velasco fest, dass von der einst großen Taino-Bevölkerung nur noch zwei Dörfer mit weniger als hundert Einwohnern überlebt hatten.[23]
Über Cortés’ frühe Jahre in der Karibik wissen wir wenig. In den Quellen findet sich der Hinweis, dass er zunächst bei Gouverneur Ovando vorstellig wurde, der wie er aus der Extremadura stammte. Wahrscheinlich brachte er Empfehlungsschreiben von Verwandten aus der Region mit.[24] Für den jungen Mann dürfte es dennoch nicht einfach gewesen sein, sich in der Kolonialgesellschaft zu etablieren, auch wenn die Goldförderung aufgrund der brutalen Ausbeutung der Arbeitskräfte und der Einfuhr von Sklaven aus Afrika unter Ovando zwischen 1502 und 1508 noch einmal florierte. Die Profite hatten die alten Conquistadoren unter sich aufgeteilt.[25]
Cortés begab sich wohl tatsächlich zunächst auf Goldsuche und versuchte sich dann als Landwirt. Außerdem beteiligte er sich wie Las Casas an den Kämpfen gegen die Taino, die Diego Velázquez im Auftrag Ovandos anführte. Konkret zeichnete sich Cortés in den Feldzügen gegen die Ortschaften Baoruco, Aniguayagua und Higüey aus. Zum Dank für ihre Dienste erhielten die Kämpfer einige indigene Arbeitskräfte zugeteilt.[26] Dieses System der Zuteilung (repartimiento) oder – euphemistischer – der Anvertrauung (encomienda) der indigenen Bevölkerung hatte Ovando eingeführt, um die offene Versklavung zu vermeiden. Es bedeutete, dass die Eroberer und später die Siedler eine bestimmte Zahl von arbeitspflichtigen Indigenen zugeteilt bekamen. Im Gegenzug waren die encomenderos für die Erziehung und Christianisierung der ihnen anvertrauten Indios verantwortlich. In der Praxis sah dies allerdings anders aus, denn die Spanier, die schnell reich werden wollten, sahen die Indigenen als billige Sklaven, die sie willkürlich ausbeuteten und deren Dezimierung sie in Kauf nahmen, weil sie ihnen als Heiden und Barbaren galten.[27]
Neben der encomienda erhielt Cortés als Belohnung das Amt eines Schreibers in der kleinen Ortschaft Azua. Laut Cervantes de Salazar übte er diese Tätigkeit zur vollen Zufriedenheit der wenigen Einwohner aus. Ob er darüber hinaus wirklich Schwierigkeiten wegen einiger Liebesaffären hatte, wie der Humanist andeutete, sei dahingestellt. Dass Cortés den Frauen zugetan war, ist angesichts der häufigen Hinweise in den Quellen jedenfalls anzunehmen. Die Hoffnungen auf Ruhm und Reichtum, die ihn dazu bewegt hatten, die riskante Überfahrt nach den Indias zu unternehmen, hatten sich bis dahin nicht erfüllt, er lebte in ärmlichen Verhältnissen. Daher war er bemüht, die für sein Fortkommen wichtigen persönlichen Beziehungen etwa zu Velázquez auszubauen.[28]
Eine Gelegenheit, sein Glück zu machen, schien sich endlich zu bieten, als Diego de Nicuesa Ende 1509 seinen Feldzug zum Festland am Golf von Darién plante. Doch obwohl die Truppe längere Zeit auf ihn wartete, konnte Cortés wegen einer Erkrankung nicht daran teilnehmen. Nach Cervantes de Salazar soll Cortés an Syphilis gelitten haben.[29] So musste er warten, bis 1511 eine Expedition aufbrach, um die Nachbarinsel Kuba zu erobern. Die Machtverhältnisse auf Hispaniola hatten sich zu diesem Zeitpunkt verändert. Nach langem Rechtsstreit hatte die Krone Diego Colón, dem Sohn von Kolumbus, die Privilegien des Vaters bestätigt. 1509 kam er nach Santo Domingo und löste Ovando ab. Begleitet von seiner Familie ging der neue Admiral und Vizekönig daran, seine Herrschaft in der Karibik auszubauen. Dabei profitierte er von den Aktionen Ovandos, der 1508 Sebastián de Ocampo und Juan Ponce de León ausgesandt hatte, um die Inseln Kuba und Boriquén, das heutige Puerto Rico, zu erkunden.[30]
1511 bekam Diego Velázquez, der aus einem angesehenen Adelsgeschlecht stammte, von Diego Colón den Auftrag, Kuba zu erobern. Es war kein Zufall, dass Velázquez den Oberbefehl erhielt, hatte er doch Kolumbus auf der zweiten Reise begleitet und war seit 1493 in den Indias. Ovando hatte ihn zu seinem Stellvertreter gemacht, und nach mehr als 15 Jahren vor Ort verfügte er über beste Kenntnisse sowie hervorragende Beziehungen und hatte großen Reichtum erworben. Vor allem aber war er erfahren und galt als skrupellos im Kampf gegen die indigenen Bewohner, was er beim Massaker von Xaragua 1503 eindringlich unter Beweis gestellt hatte.[31] Cortés ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und nahm an der Expedition teil. Seine Beziehungen zu Velázquez waren zu diesem Zeitpunkt gut, weil er es verstand, sich anzudienen. Viele verarmte und verschuldete Spanier taten es Cortés gleich, denn Kuba versprach den Enttäuschten einen kolonisatorischen Neuanfang. Mit vier Schiffen und rund dreihundert Mann, darunter später so bekannte Namen wie Cortés, Las Casas, Bernal Díaz del Castillo, Juan de Grijalva, Pedro de Alvarado und Diego de Ordás, brach man im August des Jahres 1511 auf.[32]
Die Ankunft im Südosten Kubas verlief problemlos. Im Vergleich zu Hispaniola war die Insel, auf der ebenfalls Taino lebten, dünn besiedelt. Schon Mitte August erfolgte die Gründung von Nuestra Señora de la Asunción de Baracoa, die Velázquez zur ersten Hauptstadt machte. Weitere Städtegründungen folgten. Die indigene Bevölkerung, die versklavt oder getötet wurde, leistete Widerstand, den die Spanier jedoch gewaltsam niederschlugen. Las Casas, der 1507 im Zuge einer Europareise in Rom die Priesterweihe empfangen hatte und als Feldkaplan an den Kriegszügen teilnahm, berichtete später ausführlich von der besonderen Brutalität der spanischen Kriegführung auf dieser einst fruchtbaren und reichen Insel, die sie «durchgehends zur Wüste und Einöde gemacht» hätten.[33] Berüchtigt ist die Geschichte des Kaziken Hatuey aus Hispaniola, der vor den Spaniern nach Kuba geflüchtet war und zu einem Anführer der Gegenwehr wurde. Als man ihn gefangen nahm und er bereits auf dem Scheiterhaufen stand, lehnte er die Taufe ab, um nicht im Himmel der Christen enden zu müssen.[34]
Im Gegensatz zu Las Casas hatte Cortés keine Gewissensbisse. Im Gegenteil, bei den Kampfhandlungen, die ihm wie immer Freude bereiteten, konnte er sich erneut auszeichnen und machte sich außerdem als effizienter Sekretär für Velázquez unverzichtbar. Allerdings wurde, wie Las Casas in seiner Historia de las Indias berichtet, nicht Cortés, sondern der Hauptmann Pánfilo de Narváez der zweite Mann der neuen Regierung und Velázquez’ engster Vertrauter. Narváez war mit einigen Soldaten von Jamaika aus, wo er unter dem Conquistador Juan de Esquivel gedient hatte, nach Kuba gekommen, um sich Velázquez anzuschließen, den er aus Spanien kannte.[35] Cortés bekam immerhin eine großzügige Encomienda und wurde zum Schreiber der neuen Hauptstadt Santiago ernannt. In der Folgezeit ließ er die ihm anvertrauten Taino Gold suchen und betrieb erfolgreich Viehzucht, was ihm zu einigem Wohlstand verhalf und in die überschaubare Oberschicht der Kolonisatoren aufsteigen ließ.[36]
Laut López de Gomara erregte Cortés’ moderater Aufstieg den Neid einer Gruppe von Velázquez’ Gefolgsleuten, die anscheinend erfolgreich gegen ihn intrigierten, denn tatsächlich fiel er nach einigen Jahren beim Gouverneur in Ungnade. Nach der Darstellung von Las Casas schloss sich Cortés 1514 einer Verschwörung an, die den Gouverneur vor den gerade neu eingetroffenen Richtern anklagen wollten. López de Gomara hingegen berichtet, dass Cortés den Zorn auf sich gezogen habe, weil er Catalina Suárez, der er den Hof gemacht hatte, nicht heiraten wollte. Der Encomendero Juan Suárez de Ávila hatte seine Schwester Catalina kurz zuvor mit weiteren Geschwistern und der Mutter María de Marcayda als eine der ersten spanischen Frauen nach Kuba gebracht. Velázquez nahm die Angelegenheit angeblich persönlich, weil er selbst ein Verhältnis mit einer der Schwestern hatte. Kurzum, er ließ Cortés inhaftieren und wollte ihn gar hängen sehen. Doch gelang es diesem, zu fliehen und danach den Gouverneur mit einem riskanten Unterwerfungsakt erfolgreich um Gnade zu bitten. Letztlich heiratete er Catalina Suárez und machte damit eine schlechte Partie, war seine Frau doch wenig begütert. Vor der Heirat hatte sie María de Cuellar, die Velázquez seinerseits zur Frau nahm, als Zofe gedient. Schließlich ernannte der Gouverneur Cortés zum Alcalde (Bürgermeister) von Santiago de Baracoa und übernahm später noch die Patenschaft für dessen erstes Kind.[37]
Das Festland, die Tierra firme, war zu diesem Zeitpunkt für die Spanier kein völlig unbeschriebenes Blatt mehr, allerdings wusste man auch noch nicht viel darüber. Kolumbus hatte zwar auf seiner dritten Reise (1498–1500) nahe der Orinocomündung das südamerikanische Festland entdeckt und segelte auf seiner vierten und letzten Fahrt (1502–1504) entlang der zentralamerikanischen Küste bis nach Panama, wo er die Stadt Portobelo gründete, doch blieb ihm der Kontinentalcharakter dieser Regionen verborgen. Schon seit 1499 hatten auch andere Seefahrer die Küsten Südamerikas bis nach Florida im Norden erkundet und Raubzüge durchgeführt. Der Golf von Darién und die Landbrücke zwischen Zentral- und Südamerika, das heutige Panama, waren bevorzugte Ziele. 1513 durchquerte Vasco Núñez de Balboa, der 1510 die Stadt Santa María la Antigua del Darién gegründet hatte, die Landenge von Panama und entdeckte den Pazifik.[38]
Trotz dieser Aktivitäten sollte es doch noch länger dauern, bis die weiter im Norden gelegene Halbinsel Yucatán in den Blick der Spanier geriet. Obwohl die Straße von Yucatán, die den Golf von Mexiko mit dem Karibischen Meer verbindet, an ihrer engsten Stelle nur rund 200 km breit ist, war der Sprung vom westlichen Kuba dorthin nicht zuletzt aufgrund der dort vorherrschenden Meeresströmungen nicht einfach.[39] Zudem wurde die Insel von Osten her besiedelt und die Stadt Havanna als Zentrum des Westens wurde erst 1519 an ihren heutigen Standort verlegt. Darüber hinaus bot Kuba den Eroberern zunächst genügend Beute und Ertrag. Das sollte sich jedoch nach einigen Jahren wieder ändern.
Das Interesse an den unbekannten Ländern im Westen war erstmals aufgeflackert, als Kolumbus auf seiner vierten Reise 1502 vor der honduranischen Küste zufällig auf ein großes Handelskanu stieß. Sein Sohn Fernando berichtete lange nach dem Fall Tenochtitláns, dass das Boot von zahlreichen Paddlern bewegt wurde und sich unter der Besatzung auch einige reich gekleidete Männer befanden. Geladen hatten die Händler viele interessante und den Europäern unbekannte Waren, die sorgfältig mit Palmblättern gegen die Unbilden des Wetters geschützt waren. Die Spanier staunten über die kostbaren und fein verarbeiteten Kleidungsstücke, die Waffen mit «Steinklingen» (wahrscheinlich aus Obsidian), Äxte aus Metall und Schmelztiegel, um das Material zu bearbeiten. Als Proviant hatten die Fremden Wurzeln und Getreide dabei sowie «aus Mais hergestellten Wein», den Pulque. Die Spanier meinten, auch Mandeln zu erkennen, die man dort als Geld benutzte. Es handelte sich um Kakaobohnen.[40] Offensichtlich hatte man es hier mit Menschen zu tun, die einer anderen Kultur angehörten als die Taino der Karibik. Sie kleideten sich aufwendig, zeigten ausgeprägtes Schamgefühl und ihre Handelsgüter deuteten auf ein hohes Maß an technischen Kenntnissen hin. Kolumbus und die Seinen zeigten sich höchst interessiert und tauschten einige Waren aus. Es gelang ihnen jedoch wohl nicht, vom Anführer weitere Informationen zu bekommen, denn letztlich entschied sich der Admiral seine Reise nach Süden fortzusetzen.[41]
Für einige Jahre lang blieb dies der einzige direkte Kontakt zwischen Spaniern und Repräsentanten der ihnen unbekannten Kulturen. Erst 1508 unternahm Vicente Yáñez Pinzón, der 1492 die Niña befehligt und 1500 als erster Europäer die brasilianische Küste gesehen hatte, gemeinsam mit dem erfahrenen Seefahrer Juan Díaz de Solís eine Fahrt in die fremden Gewässer. Auf der Suche nach dem Seeweg zu den Gewürzinseln segelten sie vom Golf von Paria aus westwärts und dann über den Golf von Darién in nördlicher Richtung bis nach Honduras und Guatemala, von wo sie die Halbinsel Yucatán erreichten, die sie ebenfalls umfuhren. Wie weit sie dabei kamen, ist unklar. Man vermutet, dass sie bis in das Gebiet des Tabasco-Flusses und vielleicht sogar bis ins Herrschaftsgebiet der Mexica gekommen sein könnten. Doch 1509 brachen die beiden ihre Reise ab, weil sie ihr Ziel, die Passage nach Asien zu finden, nicht erreicht hatten und kehrten nach Spanien zurück, ohne von Kontakten zur dortigen Bevölkerung zu berichten.[42]
Zwei Jahre später verschlug es eine Gruppe schiffbrüchiger Spanier tatsächlich nach Yucatán. Sie waren auf der Fahrt von Darién nach Santo Domingo, wo sie über die Auseinandersetzungen zwischen Diego de Nicuesa und Núñez de Balboa berichten sollten, in einen schweren Sturm geraten und hatten sich nur mit Mühe retten können.[43] An Land wurden sie von Maya angegriffen, die die Überlebenden versklavten. Nach Cervantes de Salazar berichtete ein Zeuge der Geschehnisse, der Priester Gerónimo de Aguilar, später, dass die meisten seiner Leidensgenossen geopfert wurden oder an den Entbehrungen der Sklavenarbeit starben. Nur Aguilar und einigen Begleitern, darunter Gonzalo Guerrero, gelang es zu fliehen. Allerdings wurde die kleine Gruppe von einem anderen Kaziken gefangen genommen und musste erneut Sklavenarbeit leisten. Letztlich überlebten laut diesem Bericht nur Aguilar und Guerrero, die später noch eine wichtige Rolle spielen sollten. Wahrscheinlich kam es auch in den Folgejahren zu punktuellen Kontakten, sodass sich die Hinweise langsam verdichteten.[44]
Anfang 1517 unternahmen die Spanier eine erste Expedition nach Yucatán. Ob es sich tatsächlich um eine gezielte Entdeckungsfahrt auf der Suche nach neuen Ländern oder aber nur um eine der üblichen Kampagnen zum Sklavenfang auf die benachbarten Inseln handelte, ist nicht genau bekannt. Wahrscheinlich spielten beide Elemente mit hinein. Einer der Teilnehmer war Bernal Díaz del Castillo, der in seiner Historia verdadera darüber berichtet. Nach einem kurzen Aufenthalt im Darién, wohin er mit der Flotte des neuen Gouverneurs der Tierra firme, Pedro Arias de Ávila, gelangt war, segelte er mit einigen Kameraden nach Kuba weiter, weil ihre Dienste auf dem Festland nicht mehr nötig waren. Dort versprach ihnen Velázquez zwar «die nächsten freiwerdenden Indios», doch genau wie zuvor auf Hispaniola waren nun auch auf Kuba die Pfründe bereits verteilt und indigene Arbeitskräfte trotz der steten Sklavenjagden auf den Nachbarinseln rar.[45]
So schloss sich Díaz nach drei Jahren Wartezeit mit über einhundert unzufriedenen Landsleuten zu einer Hueste zusammen. Sie wählten den begüterten Hidalgo Francisco Hernández de Córdoba zu ihrem Hauptmann und kauften von ihren letzten Ersparnissen zwei Schiffe und Proviant. Ein drittes Schiff stellte ihnen Gouverneur Velázquez zur Verfügung, der die Erlaubnis für das Unternehmen erteilt hatte. Neben Hernández de Córdoba beteiligten sich Lope Ochoa de Caicedo und Cristóbal Morante an der Finanzierung und Leitung. Wie üblich waren auch ein Priester und ein königlicher Inspektor dabei. Zum Steuermann und Kapitän wurde Antón de Alaminos aus Palos in Andalusien gewählt, der die Gewässer der Karibik wie kein Zweiter kannte und auf einer der Fahrten von Ponce de León den Golfstrom entdeckt hatte. Am 8. Februar 1517 legte das Geschwader in Havanna ab.[46]
Alaminos führte das Schiff auf einer unruhigen Reise an die bis dato unbekannte Küste Yucatáns. Diego de Landa, der spätere Bischof der Halbinsel, schrieb in seiner 1566 erschienenen Chronik, dass die Reisenden bei der vorgelagerten Isla Mujeres auf Land gestoßen seien. Hernández taufte die Insel auf diesen Namen, weil die Spanier dort Standbilder von halbbekleideten Göttinnen entdeckten, die sie scheinbar genauso sehr beeindruckten wie die Tatsache, dass die Häuser aus Stein gebaut waren. Das kannte man von den Karibikinseln bisher nicht.[47] Natürlich versäumte Hernández es nicht, die Insel offiziell im Namen der spanischen Krone in Besitz zu nehmen und dies notariell bestätigen zu lassen.[48]
In der Tat unterschieden sich die Kulturen, auf die die Spanier hier erstmals trafen, erheblich von denjenigen der Taino und anderer ethnischer Gruppen in der Karibik. Es handelte sich um die heterogenen Maya-Kulturen, die vom Südwesten des heutigen Mexiko bis zum nördlichen Zentralamerika ins heutige El Salvador und Honduras verbreitet waren. Ein wichtiges Zentrum bildete die Halbinsel Yucatán, deren Küstenlinie am Golf von Mexiko und am Karibischen Meer entlang verläuft. Der Norden, den die Spanier umschifften, ist eine Tieflandregion mit Kalksteinböden, in denen sich wasserhaltige Löcher, die sogenannten Cenoten, finden.[49] Diese Region war in zahlreiche unterschiedliche politische Einheiten unterteilt, die sich zum Teil untereinander bekriegten. Zunächst stießen Hernández de Córdoba und seine Männer auf die Ecab, später passierten sie die Gebiete der Ah Kin Chel, Chikinchel, Ah Canul und anderer Gruppen, deren Siedlungszentren in der Nähe von Wasserstellen lagen.[50]
Die Maya konnten auf eine jahrtausendealte Geschichte zurückblicken. Ihre klassische Phase erreichten sie zwischen 250 und 900 n. Chr. Im dritten Jahrhundert wuchs die Bevölkerung stark an und es wurden städtische Zentren mit Monumentalbauten angelegt; aus dieser Zeit stammen viele der typischen Maya-Pyramiden. Reiche wie Tikal und Calakmul wurden von Gottkönigen beherrscht, die prunkvolle Höfe betrieben. War der König der Vermittler zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre, so verfügte eine Priesterkaste über genaue astronomische Kenntnisse. Außerdem entwickelten die Maya in der klassischen Epoche eine Hieroglyphenschrift, die auf Stelen und in Büchern aus Rindenpapier festgehalten wurde. Sie erlaubt die Rekonstruktion der ereignisreichen Geschichte. Vermutlich durch das Zusammenwirken von ökologischen Krisen, Überbevölkerung, Kriegen, Hungerkatastrophen, sozialen Konflikten, epidemischen Krankheiten und Naturkatastrophen setzte um 900 der Verfall der großen Stadtstaaten ein.[51] Mit Chichen Itzá und ihrer Nachfolgerin Mayapan kristallisierten sich in der Folgezeit neue Zentren heraus, doch war ihre Zeit im 15. Jahrhundert bereits abgelaufen. Als die Spanier kamen, bildeten Sotuta und Tutul Xiue mit dem Hauptort Maní die wichtigsten der zahlreichen kleinen Stadtstaaten, die durch Handelsaustausch und kulturelle Gemeinsamkeiten auf vielfältige Weise miteinander verbunden waren.[52]
Das astronomische Wissen der Maya hatte eine zentrale Bedeutung, da es für die Erstellung des Ritualkalenders notwendig war, nach dem schicksalhafte Ereignisse vorausberechnet wurden. Jeder einzelne Tag hatte gewisse, unabwendbare Qualitäten, die zum Beispiel den Charakter der Neugeborenen oder den günstigen Moment für die Aussaat bestimmten. Den Kalenderpriestern, die über dieses Wissen verfügten, kam die wichtige Aufgabe zu, die Zukunft durch rituelle Handlungen positiv zu beeinflussen. Dazu mussten sie regelmäßig astronomische Beobachtungen über den Lauf der Gestirne durchführen.[53] Auch die Zukunftsvorhersage fiel in ihre Zuständigkeit. So konnte man in den Chilam Balam-Prophezeiungen lesen, dass es eine Invasion bärtiger Fremder geben werde, die vielleicht Abgesandte des Kulturheros Kukulkaan, der gefiederten Schlange, seien.[54]
Die ersten Kommunikationsversuche mit den Maya verliefen unbefriedigend. Laut Pietro Martire riefen sie in ihrer Sprache: «Ma c’ubab than» («Wir verstehen euch nicht»). Die spanischen Eindringlinge machten daraus Yucatán und tauften die für sie neue Gegend auf diesen Namen.[55] Bald setzten sie ihre Reise die Küste entlang weiter zum Kap Catoche im Nordosten der Halbinsel fort, wo ihnen Maya in großen Kanus entgegenkamen. Hernández bewirtete sie an Bord und es wurden friedlich Geschenke ausgetauscht. Den Europäern fiel die «zivilisierte» Kleidung der Maya ins Auge. Für den nächsten Tag wurde ein Landbesuch verabredet, und der Kazike wollte seine Gäste mit Kanus abholen. Allerdings misstrauten die Spanier dem Frieden und begaben sich schwer bewaffnet auf eigenen Booten an Land. Tatsächlich gerieten sie in einen Hinterhalt. Durch den Pfeilhagel der Angreifer wurden fünfzehn Männer verletzt. Im Nahkampf erwiesen sich die spanischen Waffen jedoch als überlegen.[56]
Die Ecab zeigten sich wie alle Maya-Völker als disziplinierte und erfahrene Kämpfer, waren Kriege doch in Yucatán schon vor der Ankunft der Spanier an der Tagesordnung. Zwar verfügten sie nicht über stehende Heere, aber zu gegebenem Anlass riefen sie alle tauglichen Männer unter Kriegshauptleuten zu den Waffen. Dabei ging es nicht in erster Linie um die Vernichtung des Gegners, sondern vor allem um die Gefangennahme von Feinden, die dann versklavt oder geopfert werden konnten. Die Maya kämpften mit Pfeil und Bogen, mit Obsidianschwertern sowie mit Lanzen und Steinen und schützten sich mit Panzern aus Baumwolle. In den Kampf zogen sie mit kriegerischer Bemalung und angsteinflößenden Klängen, mit geschmückten Wappen und Standarten.[57] Die kriegerische Auseinandersetzung mit Hernández de Córdoba zeigt, dass die bei den Maya beliebte Kriegslist des Hinterhalts durchaus schlagkräftig war und dass auch die psychologische Kriegführung Wirkung zeigte. Außerdem ist sie ein Beweis dafür, dass keineswegs die ganze indigene Bevölkerung angesichts der Spanier in Ehrfurcht erstarrte. Die Nachrichten über das skrupellose Verhalten der Europäer hatten sich zweifellos bereits verbreitet und die Maya hatten daraus ihre Schlüsse gezogen. Angesichts der überlegenen Waffen ihrer Feinde reagierten sie mit einer flexiblen Taktik aus vermeintlich freundschaftlichem Entgegenkommen, Drohgebärden und militärischen Schlägen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.
Bei ihren weiteren Erkundungen entdeckten die Spanier steinerne Tempel mit goldenem Schmuck. Bernal Díaz schilderte, welche Freude dieser Anblick auslöste, auch wenn die «Teufelsfratzen» und die scheinbar sodomitischen Darstellungen der Maya bei ihm Abscheu erregten. Diese Zeugnisse kulturellen Schaffens ließen die Hoffnung auf reiche Beute wachsen, und als sie in eine Stadt eingeladen wurden, die sie in Anspielung auf ihre Größe und die Pyramiden Kairo nannten, schien sich dieser Eindruck zu bestätigen. Dort erblickten sie große Häuser und Tempel, gepflasterte Straßen und Marktplätze sowie saubere und gepflegte Maisfelder. Die Ecab bewirteten die Spanier und erneut wurden Geschenke getauscht, wobei sich die Gastgeber von den spanischen Glaskugeln und Glöckchen nicht so beeindrucken ließen wie zuvor die Taino. Expeditionsteilnehmer berichteten Pietro Martire später, dass die Frauen sich dort «sittsam» kleideten und alle Bewohner eifrig ihren «Götzen» huldigten. Sogar Kreuze hätten sie dort gesehen, was zweifellos zu Spekulationen Anlass gab.[58]
Auch wenn Europäer wie der Franziskanermissionar de Landa immer wieder nach Parallelen zum Christentum suchten, so waren die religiösen Vorstellungen der Maya doch völlig anders. Sie verehrten ein Pantheon von Göttern, insbesondere den Maisgott, wobei auch verstorbene Angehörige der Herrscherdynastien zu Göttern mutieren konnten, was der Herrschaftsstabilisierung diente. Diesen Göttern mussten Blutopfer dargebracht werden, um ihre Wiedergeburt zu ermöglichen, durchliefen sie doch dieselbe Abfolge von Geburt, Leben und Tod wie die Menschen. Es mussten jedoch nicht zwingend Menschen geopfert werden, auch Blutstropfen der Priester und Adligen oder Tierblut gemischt mit duftendem Harz fanden Verwendung.[59]
Die Marktplätze und Nutzflächen, die die spanischen Chronisten staunend beschrieben, legten Zeugnis ab von der intensiven wirtschaftlichen Betätigung der Maya. Im Mittelpunkt stand wie in Europa die Landwirtschaft, in der der Maisanbau dominierte. Daneben wurden unter anderem Bohnen, Süßkartoffeln, Kürbis, Chilischoten, Avocados und Baumwolle gepflanzt. Als besonders wertvoll galten ihnen die Kakao-Plantagen und die in Meeresnähe gelegenen Salinen. Die Jagd auf Jaguare, Hirsche, Schildkröten, Schlangen, Affen sowie die Fischerei ergänzten das Nahrungsangebot. Handel wurde zu Land und zur See zum Beispiel mit Kakao, Salz, Körben, Keramik oder Textilien betrieben, dabei tauschten die Kaufleute ihre Waren mit anderen Maya-Gemeinden, aber auch mit anderen ethnischen Gruppen wie den Mexica. Wichtige Importgüter waren Obsidian, Kupfer, Gold und Federn für die Waffen und Luxusgüterherstellung.[60]
Als die Spanier ihre Fahrt in westlicher Richtung entlang der Küste fortsetzten, meinten sie noch immer, es handele sich um eine Insel, doch je länger sich die Reise hinzog, desto mehr wuchsen die Zweifel an dieser Auffassung. Sie staunten über die riesigen Tempelbauten, während die Maya, die sich am Strand versammelten, von den großen Schiffen beeindruckt waren. Nach vierzehn Tagen kamen sie zur Stadt Campeche, die sie zu Ehren des Tagesheiligen Lázaro tauften. Wegen des schlechten Zustands der Fässer mussten sie erneut an Land gehen, um Wasser zu holen. Mit einer Salve ihrer Schiffsgeschütze wollten sie sich vorab Respekt verschaffen. Der Anführer der Maya bewirtete sie fürstlich mit unbekanntem Geflügel und Wild, das in den Worten Pietro Martires zu Rebhühnern, Hirschen, Löwen und Tigern wurde. Allerdings zeigten die Einheimischen den Europäern auch ihre Tempel, die mit frischem Blut besudelt waren. Ihre Priester räucherten die Besucher ein, was nicht nur rituellen Zwecken, sondern auch der Abwehr der unangenehmen Gerüche der Europäer gedient haben mag, die im Gegensatz zu ihren Gastgebern andere Vorstellungen von Körperpflege hatten. Einen tiefen Eindruck bei den Spaniern hinterließen auch die Reliefs und Skulpturen, die unbekannte Gottheiten und blutige Gemetzel zeigten. Als dann noch die bedrohlich klingende Musik der Muscheltrompeten und Trommeln einsetzte, hatte Hernández die Botschaft verstanden und ließ seine Männer in militärischer Ordnung auf schnellstem Weg zurück zu den Schiffen marschieren. Man nahm noch zwei Gefangene, die die Spitznamen Melchorejo und Julianillo erhielten, sowie allerlei goldene Gegenstände mit und setzte die Fahrt fort.[61]
Die beiden Gefangenen gehörten einer Gesellschaft an, die hierarchisch gegliedert und arbeitsteilig war. An der Spitze stand eine kleine erbliche Adelsschicht, die die führenden politischen und religiösen Ämter bekleidete. Auch die größten wirtschaftlichen Unternehmen wie Plantagen und Salinen gehörten den Adligen. Darunter war die Gruppe der Gemeinfreien angesiedelt, die den größten Teil der Bevölkerung ausmachte. Sie war intern gegliedert und umfasste reiche Kaufleute ebenso wie Bauern. Am unteren Ende der Hierarchie standen die Sklaven, bei denen es sich um Gefangene oder Verbrecher handelte.[62]
Aufgrund widriger Winde kamen die Schiffe nur sehr langsam voran, und die Männer mussten nahe der heutigen Stadt Champotón erneut an Land gehen, um die Wasservorräte aufzufüllen. Dort allerdings traten ihnen die Maya sofort kriegerisch entgegen. Schwerbewaffnet, in Kriegsbemalung, mit einschüchternder Militärmusik und Kriegsgeschrei umzingelten sie die Spanier, denen es nur unter hohen Verlusten gelang, sich auf ihre Schiffe zu retten. Am Ende war mehr als die Hälfte der Männer tot, weitere fünf erlagen auf der Rückfahrt ihren schweren Verletzungen. Hauptmann Hernández de Córdoba hatte ebenfalls zahlreiche Verwundungen davongetragen.[63]
Die Niederlage gegen eine indigene Streitmacht war eine neue Erfahrung für die bis dahin sieggewohnten Spanier. Das kleinste der drei Schiffe mussten sie opfern und an eine Fortsetzung der Reise war nicht zu denken. Nach Bernals Schilderung war die Rückfahrt eine Qual, denn sie hatten kein Wasser an Bord. Wegen der ungünstigen Wetterlage führte Alaminos die verbliebenen Schiffe zunächst nach Florida, wo er sich auskannte. Doch als sie an Land Wasser aufnehmen wollten, kam es zu einem Angriff der Einheimischen, der weitere Opfer forderte. Nach zwei Monaten erreichten die wenigen Überlebenden glücklich den Hafen von Havanna.[64]
Sodann erstattete Hernández de Córdoba dem Gouverneur in Santiago Bericht. Schnell verbreitete sich die Kunde von der Entdeckung wunderbarer neuer Länder mit großer Bevölkerung und ungekannten Reichtümern. Durch einen Brief des Siedlers Bernardino de Santa Clara vom Oktober 1517 erfuhr der einflussreiche Staatssekretär des Königs Francisco de los Cobos die viel versprechenden Neuigkeiten.[65] Geschickt verstand es Velázquez derweil, die Fahrt als sein Unternehmen umzudeuten. Hernández de Córdoba, der schon zehn Tage nach der Rückkehr auf seine Güter starb, konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Die Männer, die von seiner Truppe übrig geblieben waren, gingen ihrer Wege und waren so arm wie zuvor.[66]
Obwohl Gold in Yucatán ein Importgut war, bejahten die Gefangenen, die Hernández de Córdoba verschleppt hatte und die nun von Velázquez vernommen wurden, die Frage, ob es in ihrem Land Gold gebe. Durch diese Nachricht bestärkt, begann der Gouverneur sogleich damit, eine weitere Flotte auszurüsten. Dazu kaufte er zwei weitere Schiffe und stattete diese und die beiden, die von Yucatán zurückgekehrt waren, mit allem Nötigen aus. Das Oberkommando erteilte Velázquez seinem jungen Neffen Juan de Grijalva. Zu Kommandeuren der anderen Schiffe – die allerdings ihren Proviant aus eigener Tasche bezahlen mussten – bestimmte er die Hidalgos Francisco de Montejo, Alonso de Ávila und Pedro de Alvarado, der wie der etwa gleichaltrige Cortés aus der Extremadura stammte. Die beiden hatten sich bereits angefreundet.[67] Die Truppe anzuheuern, machte keine Probleme. Schnell fanden sich wieder mehr als genug Abenteurer, die bereit waren, Risiken einzugehen, um der Armut auf Kuba zu entkommen. Erneut waren Antonio de Alaminos als Steuermann, Julianillo als Dolmetscher und auch Bernal Díaz mit von der Partie. Die Aufgabe des königlichen Aufsehers übernahm Francisco de Peñalosa, während Juan Díaz aus Sevilla die Expedition als Geistlicher begleitete. Er war es, der der Nachwelt einen Bericht hinterließ, welcher schon 1520 erstmals erschien, zahlreiche Auflagen erreichte und schnell ins Spanische, Italienische und Deutsche übersetzt wurde.[68] Im Gegensatz zu seinem Namensvetter, dem Soldaten, verfasste der Geistliche seinen Bericht unmittelbar nach dem Erlebten, weshalb dieser als wichtigste von den Quellen angesehen werden muss, an denen sich spätere Chronisten wie Pietro Martire und Gonzalo Fernández de Oviedo orientierten.
Die Flotte erreichte zunächst die Insel Cozumel, die am Feiertag des Heiligen Kreuzes am 3. Mai 1518 erstmals gesichtet wurde und die von nun an Santa Cruz heißen sollte. Die Ecab begegneten den Spaniern mit großer Vorsicht, denn die Nachrichten über die Erfahrungen mit Hernández de Córdoba hatten sich unter den Maya schnell verbreitet. Erneut sahen die Spanier vom Schiff aus anspruchsvolle Architektur und landwirtschaftlich intensiv genutzte Ländereien. Als sie am 6. Mai erstmals an Land gingen, waren die Ecab bereits geflüchtet. Grijalva ließ daraufhin einen Gottesdienst abhalten und nahm die Insel offiziell für die Krone in Besitz. Laut Feldkaplan Díaz näherten sich ihnen nun einige Ecab-Priester, die Lebensmittel und Räucherzeug brachten, dann aber wieder abzogen. Juan Díaz beschrieb staunend die Häuser und Straßen, die fast so aussahen, «[…] als wären sie von Spaniern erbaut worden.»[69] Es wurden zwar auch einige goldene Gegenstände gefunden, allerdings nicht die erhofften Goldvorkommen. Deshalb verließen sie Cozumel schnell wieder und steuerten nun auf Yucatán zu.[70]
Zunächst folgten die Schiffe der yucatekischen Küste südwärts in der Annahme, bald den Kontinent zu finden. Bei den prachtvollen Bauten, welche die Männer von Bord aus sahen, handelte es sich wahrscheinlich um die Stadt Tulum, die Juan Díaz so groß erschien wie Sevilla.[71] Laut Pietro Martire kehrten sie bei der Bahía de la Ascensión um, weil Klippen und Sandbänke die Weiterfahrt unmöglich machten. Sie folgten der bekannten Route in Richtung Norden und landeten erneut auf Cozumel zum Wasserfassen.[72] Auf einem Kap entdeckten die Männer eine Pyramide, die wie Díaz anmerkte, angeblich nur von Frauen bewohnt sei, welche «vermutlich dem Stamm der Amazonen angehörten.»[73] Doch der Kapitän erlaubte keine Reiseunterbrechung. Einige Tage später erreichte die Flotte Champoton, das den Teilnehmern der vorherigen Entdeckungsfahrt noch in schlechter Erinnerung war. Der Wassermangel an Bord – seit drei Tagen hatte die Mannschaft nur noch Wein getrunken – machte einen Landgang nun aber unabdingbar.[74]
Unter großer Vorsicht sowie schwer bewaffnet und gerüstet näherte sich Grijalva mit einem Großteil seiner Männer den Maya, deren Rauchzeichen und Trommeln schon vom Schiff aus zu sehen und zu hören gewesen waren. Die Spanier wussten nicht, dass es sich um die Putún der Region Chakán Putum, oder Champotón, handelte. Zunächst kam es zu vorsichtigen und friedlichen Kontakten und nachdem man sich mit Hilfe des Dolmetschers verständlich gemacht hatte, brachten einige Putún den Fremden sogar etwas zu essen. Doch als Grijalva nach Gold fragte, das er gegen die mitgebrachten Waren eintauschen wollte, reagierten die Maya abweisend. Schließlich schickten sie einen Bruder und einen Sohn ihres Anführers, um den Abzug der Spanier zu fordern. Nachdem Grijalva dies abgelehnt hatte, kam es am nächsten Tag zum Kampf. Die spanischen Geschütze und Armbrüste machten zwar Eindruck, doch auch die Pfeile und Lanzen der Maya verfehlten ihre Wirkung nicht. Auf beiden Seiten gab es Tote und Verletzte, darunter Grijalva selbst. Der Soldat Díaz del Castillo berichtet eindringlich von einer Heuschreckenplage, die den Spaniern das Kämpfen erschwert habe, und der Priester Díaz war überzeugt davon, dass es den Europäern ohne die Artillerie schlecht ergangen wäre.[75]
Grijalva, der die Gefahr erkannt hatte, ließ seine rachedurstigen Männer auf die Schiffe zurückkehren und setzte die Fahrt fort. An der Laguna de Términos fanden sie endlich einen guten Hafen, wo die Besatzung fast zwei Wochen an Land rasten und die Schiffe überholen konnte. Hier gab es genug Trinkwasser und Fische und den regen Kanuverkehr nutzte Grijalva dazu, Gefangene zu machen. Nach der Ruhepause entdeckten die Spanier am 8. Juni einen großen Fluss, den Tabasco, den sie Río Grijalva tauften. Hier wurden sie von den Chontal-Maya der zentralen Ortschaft Potonchan sogleich in Seegefechte verstrickt. Beeindruckt von der Wirkung der Schiffsgeschütze, gingen die Einheimischen am nächsten Tag jedoch zu Verhandlungen über. Nun wurden Geschenke ausgetauscht, ein Vorgang, den Juan Díaz wie folgt beschrieb:
«Am Morgen des nächsten Tags kam der Kazike oder Herr in einem Kanu und forderte den Kapitän auf, in das Boot zu steigen. Als dieser dem Wunsch folgte, wies der Kazike einen seiner Indios an, den Kapitän einzukleiden. Und der Indio legte ihm einen Harnisch und Armbänder aus Gold an, und auf den Kopf setzte er ihm eine Krone aus Gold oder vielmehr aus fein gearbeitetem Blattgold; und der Kapitän befahl den Seinen, auch den Kaziken einzukleiden. Und sie zogen ihm ein Wams aus grünem Samt, rosa Strümpfe, einen Leibrock und Leinenschuhe an und setzten ihm eine samtene Mütze auf.»[76]
Diesem vom Herrscher von Potonchan initiierten kommunikativen Akt des Gabentauschs kam eine hohe symbolische Bedeutung zu. Ob es sich um einen Huldigungsakt handelte, ist zweifelhaft.[77] Es ist eher zu vermuten, dass die Gegengabe keinesfalls als gleichwertig gelten konnte, was eine Asymmetrie im Verhältnis der beiden Anführer auslöste. Dafür spricht die Forderung des Herrschers, Grijalva solle ihm einen der gefangenen Maya geben. Eventuell handelte es sich sogar um den gezielten Versuch eines Freikaufs, den der Spanier freilich ablehnte. Obwohl seine Männer gerne die Quelle des Goldes gesucht hätten, befahl er die Fahrt fortzusetzen.[78] Vielleicht war für diesen Entschluss auch eine Episode verantwortlich, an die sich Bernal Díaz Jahrzehnte später erinnerte. Demnach hätten die Maya auf die Wünsche der Spanier nach weiterem Gold mit dem Ausruf «Culúa, Culúa, México, México» geantwortet und nach Westen gewiesen.[79] Zweifellos wollten sie die mächtigen Fremden, deren Gier nach dem Edelmetall so unverkennbar groß war, schnellstmöglich loswerden.
Während sie ihre Fahrt entlang der Küste fortsetzten, meinten die Spanier erneut in der Sonne glitzerndes Gold auf Schilden, Armbändern und Gewändern der Maya zu erkennen, unter denen Juan Díaz auch Frauen ausmachte. In diesem Reiseabschnitt kam es erstmals zu Spannungen zwischen Grijalva und einem seiner Offiziere. Pedro de Alvarado hatte sich unerlaubterweise von der Flotte entfernt, um einen Flusslauf zu erkunden, wofür der Oberbefehlshaber ihn schwer rügte.[80] Rund 75 Seemeilen weiter westlich nahe der heutigen Stadt Coatzacoalcos richtet sich der Küstenverlauf des Golfs von Mexiko zunehmend nach Norden aus. Nach weiteren 120 Seemeilen stießen die Spanier auf eine Insel, wo ihnen ein erschütterndes Erlebnis bevorstand. Laut Juan Díaz erblickten sie massive Gebäude auf hohen steinernen Podesten, die mit fremdartigen Skulpturen – scheinbar aus Marmor – geschmückt waren und vor denen sich ein Steinbecken voller Blut befand. Dort entdeckten die Männer einen Opferstein und die Leichen einiger gerade geopferter Menschen sowie ein Gerüst mit Totenschädeln und Knochen, ein Tzompantli. So etwas hatten sie bis dahin noch nie zu Gesicht bekommen. Grijalva ließ einen der Gefangenen von den Schiffen holen, um sich das Ritual erklären zu lassen. So erfuhren die Europäer vom blutigen Opferritus: wie die Priester den im Krieg gefangenen Feinden die Herzen herausrissen und als Brandopfer darbrachten, die Köpfe abschnitten und später Arme und Beine verzehrten. Passenderweise tauften die Spanier die Insel Isla de los Sacrificios.[81]
Die Bevölkerung, die diese Opferriten pflegte, unterschied sich von den Maya, auf die die Spanier bis dahin getroffen waren. Ihre Übersetzer konnten sich nur schwer verständlich machen, denn hier sprach man eine andere Sprache. Es handelte sich um die Totonaken, die seit ca. 1100 im Osten Mexikos vor allem im heutigen Bundesstaat Veracruz siedelten. Die Mexica nannten die Region Totonacapan. Ähnlich wie bei den Maya gab es auch bei den Totonaken keinen Zentralstaat, sondern vielmehr zahlreiche städtische Zentren. Zu den wichtigsten zählten Papantla im Norden und Cempoala im Süden sowie Xalapa. Archäologen gehen davon aus, dass Totonaken auch die damals bereits verlassene Stadt El Tajín mit der berühmten Nischenpyramide bewohnt hatten. Über die üblichen landwirtschaftlichen Produkte Mesoamerikas hinaus war das Land der Totonaken bekannt für seinen Baumwoll- und Vanilleanbau. Insbesondere ihre Webkunst erfreute sich großer Beliebtheit im Tauschhandel.[82]
Als Grijalva vor der Isla de los Sacrificios ankerte, waren die totonakischen Städte bereits den Mexica tributpflichtig, denn Moteuczoma I. hatte sie im 15. Jahrhundert unterworfen. Die Mexica unterhielten in der Region zahlreiche Garnisonen und ihre Abgesandten waren es denn auch, die Grijalva per Zeichen aufforderten, an Land zu kommen. Nachdem die Vorhut unter Francisco de Montejo, der Bernal Díaz angehörte, freundlich empfangen worden war, setzte Grijalva selbst mit der restlichen Mannschaft bei der Ortschaft Chalchicueyacan nahe der Insel Kulúa, die die Spanier San Juan de Ulúa tauften, über. Tendile, der Statthalter Moteuczomas, begrüßte sie ehrerbietig mit einem Räucherritual. Erneut nahmen die Spanier das Land für die Krone in Besitz und machten in ihrer Zeichensprache deutlich, dass sie nichts anderes wollten, als Gold einzutauschen. In den zehn Tagen ihres Aufenthalts an der Küste brachten Abgesandte der Mexica verschiedene Gegenstände aus Gold und Juan Díaz berichtete, dass die Indigenen ihnen sogar erklärten, wie sie das Gold geschmolzen hatten. Überhaupt wurden sie mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt, umsorgt und mit Geschenken – darunter eine kostbar gekleidete Frau für den Oberbefehlshaber – überhäuft. Das Land erschien ihnen so reich und die Bewohner so freundlich, dass der Geistliche es sehr bedauerte, weiterfahren zu müssen. Grijalva hatte die Weiterfahrt befohlen, ohne auf den Wunsch vieler seiner Leute und Offiziere einzugehen, die bleiben und eine Siedlung anlegen wollten.[83] Mittlerweile war jedoch längst klar geworden, dass es sich hier nicht um eine weitere Insel, sondern um Festland handelte, für dessen Besiedlung weit mehr Männer notwendig waren.[84]
Viele Besatzungsmitglieder teilten die Enttäuschung und Verärgerung von Juan Díaz. Grijalva begründete seinen Beschluss mit den Befehlen, die Gouverneur Velázquez ihm mit auf den Weg gegeben hatte, allerdings ließen diese durchaus einen gewissen Spielraum. Grijalva jedoch entschied, Alvarado, der das schnellste Schiff befehligte, mit den Schätzen und den Verwundeten an Bord als Vorhut nach Kuba zu schicken. Der Rest der Flotte kam indes nicht viel weiter nordwärts. Die Stadt Nautla erinnerte die Spanier von Ferne an Almería, weshalb sie diese danach benannten. Rund 100 Seemeilen weiter trafen sie erneut auf feindlich gesinnte Einheimische, die ihnen ein Seegefecht lieferten. Beim Cabo Rojo unweit der heutigen Stadt Tuxpan wurden sie durch widrige Winde und Meeresströmungen an der Weiterfahrt gehindert. Aufgrund des schlechten Zustands der Schiffe, des fehlenden Proviants und der Erschöpfung der Männer beschloss der Schiffsrat umzukehren. Die Rückreise war nicht frei von Schwierigkeiten, so mussten sie an der Mündung des Río Tonalá eine längere Pause einlegen, um eines der Schiffe wieder flott zu machen. Danach benötigten sie nochmals 45 Tage, ehe sie wieder in Santiago de Cuba landeten.[85]
Auf Kuba hatte Velázquez derweil begonnen, sich um die Expedition Sorgen zu machen und Cristóbal de Olid auf die Suche geschickt, der aber unverrichteter Dinge wieder zurückkam. Als Alvarado nur wenig später den heimischen Hafen erreichte und von den reichen Ländern berichtete sowie das Gold und die luxuriösen Federgewänder zeigte, gab es ein mehrtägiges großes Freudenfest. Mitte November traf dann endlich auch Grijalva nach einem Erholungsaufenthalt in Westkuba in Santiago ein.[86] Velázquez dankte ihm die treue Befolgung seiner Anweisungen allerdings nicht, sondern machte ihm gar Vorwürfe, weil er trotz der Forderungen seiner Männer keine Siedlung gegründet hatte. Las Casas, dem Grijalva später sein Leid klagte, berichtete, wie dieser in Ungnade fiel und später in Zentralamerika sein Glück versuchte, wo er in Nicaragua den Tod fand.[87]
Der Priester Juan Díaz, der seinem Erstaunen und seiner Bewunderung für die neu entdeckten Länder und Völker beredt Ausdruck gegeben hatte, konnte seinen Bericht nicht schließen, ohne zu versuchen, das geschlossene biblische Weltbild zumindest annähernd wiederherzustellen. So schrieb er, dass die einheimischen Bewohner, die die Spanier unterwegs getroffen hätten, allesamt beschnitten gewesen seien und nicht weit vom Endpunkt ihrer Reise Araber und Juden lebten. Außerdem merkte er an, dass die Bevölkerung ein großes weißes Marmorkreuz mit einer goldenen Krone anbetete, an dem jemand gestorben sei, der heller und glänzender als die Sonne gewesen sei.[88] Angefangen mit Kolumbus wollten Europäer in der für sie neuen Welt ihrer Wahrnehmung nicht trauen, sondern das Fremde so sehen, dass es in traditionelle Deutungsschemata passte.