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Totonacapan

Vom Reich der Mexica im Westen hatten die Spanier immerhin schon gehört, als sie im April 1519 das Land der Maya verließen. Eine Vorstellung davon hatten sie jedoch noch nicht, sondern gingen immer noch davon aus, eine Insel zu erkunden. Je weiter sie kamen, umso deutlicher wurde die Vielfalt der ethnischen Gruppen, mit denen sie in Berührung kamen. Die nächste Etappe hielt mit dem Land der Totonaken eine weitere Überraschung für sie bereit. Die kulturelle Heterogenität dieser Region, das sollten selbst einfache Soldaten erkennen, war weitaus größer als alles, was man bis dahin in den Indias erlebt hatte. Dieser Erkenntnisprozess blieb jedoch nicht auf die Europäer beschränkt. So kamen ihnen die Totonaken und die Boten des Aztekenreichs entgegen und entwickelten unterschiedliche eigene Anreize und Aktivitäten, um die Fremden auf ihre Weise in ihre Welt zu integrieren.

Die Gesandtschaften Moteuczomas

Nachdem sich die Spanier noch am Palmsonntag aus Potonchán verabschiedet hatten, erreichte die Flotte am Gründonnerstag, den 21. April, den natürlichen Hafen der Insel San Juan de Ulúa, wo sich ein Jahr zuvor bereits Grijalva aufgehalten hatte. Zur Begrüßung erschienen einige Indigene in zwei großen Kanus beim Kapitänsschiff, gaben sich als Abgesandte Moteuczomas zu erkennen und wollten den Grund der Anwesenheit der Fremden erfahren. Cortés bat die Gesandten an Bord, bewirtete sie freundlich und erklärte ihnen, dass er am nächsten Tag an Land gehen wolle. Vorsichtig probierten sie von den ihnen vorgesetzten Speisen und baten um einige Proben für ihren Gouverneur, Tendile. Dieser hatte seinen Sitz in Cuetlaxtlan und war von Moteuczoma beauftragt, die Tribute in der Provinz Totonacapan einzutreiben. Allerdings gestaltete sich die Kommunikation schwierig, da der Übersetzer Aguilar die Sprache nicht verstand.[1]

Am Karfreitagmorgen begaben sich die Spanier nahe der von den Totonaken bewohnten Ortschaft Chalchiuhcuecan an Land. Dort schlugen sie ihr Lager auf und Cortés ließ alle seine Männer, die Artillerie und auch die Pferde bringen, während die Taino-Sklaven aus Kuba Hütten bauen mussten. Am Ostersamstag erschienen neugierige Bewohner der nahen totonakischen Stadt, die im Auftrag der Mexica beim Aufbau des spanischen Lagers helfen sollten. In der Folge stellte sich ein lebhafter Tauschhandel ein, da die Totonaken großes Interesse an den fremden Objekten wie Glasperlen, Spiegel, Scheren und Messern zeigten, wogegen die Europäer dankbar für die angebotenen Lebensmittel waren. Als die Totonaken sogar noch Goldgegenstände brachten, war die Begeisterung der Spanier groß. Cortés versuchte, die Habgier seiner Männer im Zaum zu halten, und befahl ihnen, kein Gold gegen minderwertigen Tand zu tauschen und vor allem sich ihre Gier danach nicht anmerken zu lassen.[2]

Am Ostersonntag kam dann Tendile selbst, unbewaffnet, mit großem Gefolge in prachtvollen Gewändern und mit zahlreichen Geschenken zu Besuch. Wie es bei den Mexica Brauch war, erwies er Cortés seine Hochachtung mit Weihrauch und Holzstäbchen, die er ihm übergab, nachdem sie in sein eigenes Blut getaucht worden waren. Dies war der große Moment für Malinche, die ihre Fähigkeiten als Dolmetscherin im Verbund mit Aguilar erstmals unter Beweis stellen konnte. Cortés, der darüber höchst erfreut war, erfuhr nun ihre Geschichte und versprach ihr «mehr als die Freiheit», wenn sie ihre Aufgabe zur Zufriedenheit erledigen sollte.[3]

Nach einer gemeinsamen Messe und einem Bankett zogen sich die beiden Befehlshaber mit den Übersetzern und einigen Vertrauten zu einer Besprechung in kleinem Kreis zurück. Über den Inhalt dieses ersten Gesprächs zwischen Cortés und einem hochgestellten Mexica gibt es unterschiedliche Versionen. Laut einer von Cortés inspirierten Quelle habe der Generalkapitän Tendile verkündet, dass er und die Seinen von nun an Vasallen des Königs von Spanien, des mächtigen Herrschers über den «größten Teil der Welt» seien, ihm wie alle Untertanen dienen und von allem, was sie in ihrem Land hätten, abgeben müssten. Angeblich habe sich Tendile darüber sehr erfreut gezeigt und versprochen, einer solch hohen Majestät dienen zu wollen. Daraufhin habe Cortés ihn – zu dessen Entzücken – mit edlen Gewändern eingekleidet. Am Folgetag habe ihm Tendile dann seinerseits reiche Geschenke, unter anderem goldenen Schmuck, präsentiert.[4] Schon die Version von López de Gómara liest sich ganz anders. Demnach antwortete Tendile höflich, aber bestimmt, dass er sich freue, von der Größe und Güte des fremden Monarchen zu erfahren, dass sein eigener Herr Moteuczoma aber nicht weniger groß und gütig sei. Tendile wollte seinen Herrn informieren und abwarten, wie dieser auf die Nachricht reagieren würde, dass es einen weiteren ebenso großen Fürsten wie ihn gab.[5]

Cortés übergab Tendile umgekehrt zahlreiche Geschenke für Moteuczoma. Darunter befanden sich Schmuckstücke, ein kunstvoll gearbeiteter Sessel sowie eine rote Mütze, die mit einer Sankt-Georgs-Medaille geschmückt war. Der Oberbefehlshaber der Spanier drückte seinen Wunsch aus, Moteuczoma möge auf diesem Sessel sitzen und eine der Ketten tragen, wenn er mit ihm zusammenträfe, ein Ansinnen, auf das Tendile sehr zurückhaltend reagierte. Außerdem ließ Cortés erneut seine militärische Macht demonstrieren. Kanonen wurden abgefeuert und die Reiter veranstalteten einen Schaukampf, bei dem die Pferde in vollem Galopp über den sandigen Boden gejagt wurden. All dies beeindruckte die Gesandten der Mexica, die ihrem Herrscher darüber berichten mussten. Tendile hatte Zeichner mitgebracht, die das Geschehen bildlich festhielten. Insbesondere die Kleidung und die Bärte der Spanier, ihre Schiffe, Pferde, Hunde, Rüstungen und Waffen wurden wiedergegeben. Ein teilvergoldeter Helm eines der Spanier hatte es Tendile besonders angetan, denn er erinnerte ihn an eine Kopfbedeckung seines Kriegsgottes Huitzilopochtli. Daraufhin übergab Cortés ihm den Helm mit der Bitte, Tendile möge ihn mit Goldstaub gefüllt zurückbringen. Laut López de Gómara begründete Cortés seinen Wunsch damit, dass seine Gefährten «an einer Krankheit des Herzens litten, die man mit Gold heilen könne».[6]

Schließlich verabschiedete sich Tendile, ließ aber einen Vertreter und eine große Zahl von Dienern bei den Spaniern, um sie zu versorgen. Die Nachrichten vom Zusammentreffen Tendiles mit Cortés erreichten Moteuczoma dank des gut funktionierenden Eilbotensystems mit hoher Geschwindigkeit. Auch die Geschenke schickte der Gouverneur auf schnellstem Weg nach Tenochtitlan. Eine Quelle aus dem Hochland von Tlaxcala berichtete über diese Eindrücke:

Als die Spanier gesehen wurden … sprachen sie (die aztekischen Kundschafter) zu Moteuczoma: «Herrscher! Wir sind ans Meeresufer gegangen, um sie dort zu sehen. Gar sehr schreckt einen das Feuer, das sie ausstoßen … Und sie gehen schnell auf ihren Hirschen … Und das Kleid des Kriegers ist ganz aus Eisen gemacht. Auf seinem Kopf trägt jeder ein Kopfhaus … Wenn sie Feuer speien, versetzt es einen in Schrecken. Du würdest schreien, wenn du es hörtest.»[7]

Die Nachrichten von der Küste kamen überraschend und lösten Sorge im Palast des Tlatoani in Tenochtitlan aus. Allerdings hatte Moteuczoma ja schon im Jahr zuvor von Grijalvas Expedition erfahren, der scheinbar nur zu Handelszwecken gekommen war. Mit den kostbaren Decken, die sie mitgebracht hatten, kleidete sich ausschließlich der Herrscher. Außerdem behauptete Tendile in seinen Unterredungen mit Cortés, dass Moteuczoma schon lange von den Aktivitäten der neuen Flotte gewusst habe, was darauf hindeutet, dass Nachrichten aus Yucatán nach Tenochtitlan durchgedrungen waren. Völlig unvorbereitet waren die Mexica also nicht.[8] Moteuczomas direkte Reaktion bestand darin, eine weitere Delegation mit Geschenken loszuschicken. Als Überbringer bestimmte der Tlatoani den Adligen Teoctlamacazqui.[9]

Abb. 5: Der Tlillancalqui, Cortés und Malinche (Codex Durán)

Ende April, rund eine Woche nach Tendiles Visite, näherte sich die Abordnung der Mexica in einer hoch differenzierten Begrüßungszeremonie dem Anführer der Europäer, der sich an Bord seines Flaggschiffes befand und sich in seiner Festtagskleidung auf einem thronähnlichen Stuhl niedergelassen hatte. Sie brachten ihm die kostbaren Gaben dar, die dieses Mal noch bedeutender ausfielen: eine wagenradgroße goldene Scheibe, die die Sonne darstellte, eine noch größere silberne Scheibe als Sinnbild des Mondes sowie den tatsächlich mit Goldkörnern gefüllten Helm. Außerdem legten sie ihm kostbare Gewänder an, die symbolische Bedeutung hatten. So setzten sie ihm einen Jaguarkopf auf, legten ihm einen wertvollen Federumhang um und schmückten ihn mit Gold- und Silbergeschmeide. Nach dem Codex Mexicanus, der um 1590 entstand, bekam Cortés unter anderem einen Umhang, zwei Federkopfbedeckungen, zwei Federmäntel, fünf Scheiben mit Türkismosaiken, eine Tunika und zwei Schilde. Schließlich reichten sie ihm aufwendig zubereitete Speisen. Als sie ihm auch ihr eigenes Blut darbringen wollten, lehnte Cortés ab. In der Version des indigenen Chronisten der Annalen von Tlatelolco liest sich das wie folgt:

Im Jahr Eins Rohr erschienen die Spanier in Tecpan Tlayacac. Dann kam der Kapitän. Als er in Tecpan Tlayacac angekommen war, begrüßten ihn die Huaxteken, indem sie ihm eine goldene Sonne, eine goldene und eine silberne, gaben, einen Kreuzspiegel und goldene Helme, goldene Gefäße in Schneckenform, die auf dem Kopf getragen wurden, und den grünen Federschmuck der Leute von der Küste und Schilde aus Muscheln. Vor den Augen des Kapitäns brachten sie ein Opfer dar. Er erzürnte, als man ihm das Blut in einer Adlerschale reichte. Und der Kapitän tötete denjenigen, der ihm das Blut reichte, persönlich mit dem Degen. Dadurch gerieten die, die ihn begrüßt hatten, in völlige Aufregung. Es war [aber] nach dem Willen des Moteuczoma geschehen, dass man dem Kapitän so viele Dinge gegeben hatte, nur damit er, der Kapitän, heimkehre. Nach seinem Befehl hatte der Huaxteke gehandelt.[10]

Ob diese Version den Tatsachen entsprach, oder die vieler spanischer Augenzeugen, die angaben, Cortés habe die Geschenke und Höflichkeiten erwidert, lässt sich nicht endgültig klären. Fest steht, dass er seinem festen Willen Ausdruck gab, Moteuczoma nun auch in seinem Palast zu besuchen. Das wiederum lehnten die mexikanischen Gesandten ab. Der Weg sei zu gefährlich und Feinde der Mexica könnten den Spaniern auflauern, um die Freunde ihres Herrschers zu töten. Von diesen Warnungen ließ sich Cortés nicht einschüchtern. Im Gegenteil, erneut befahl er seiner Artillerie zu feuern und die scharfen Eisenwaffen vorzuführen, um die Gesandten, die er zuvor hatte in Ketten legen lassen, in Angst und Schrecken zu versetzen.[11]

Die komplizierte Kommunikation über große Distanz durch den Austausch von Geschenken war damit noch nicht beendet. Als Tendile nach rund zehn Tagen ein weiteres Mal im Lager der Spanier auftauchte, waren die Geschenke, die er brachte, weniger prachtvoll, dafür fielen seine Forderungen nun aber noch unmissverständlicher aus. Moteuczoma ließ ausrichten, die Spanier sollten ihre Schiffe nehmen und abreisen, denn ein Besuch in Tenochtitlan sei unmöglich. Damit wollte der Herrscher testen, ob sich die Spanier seinem Willen letztlich beugen würden. Als Cortés weiter auf seinem Ansinnen beharrte und damit seinen eigenen Dominanzanspruch verdeutlichte, brach Tendile die Unterredung ab. Gleichzeitig zog auch die große Zahl der Dienerinnen und Diener ab, die den Spaniern bis dahin das Leben erleichtert hatten. Cortés erwartete nun sogar einen Angriff und befahl seinen Truppen sich zu rüsten, doch nichts geschah. Als nach einigen Tagen die Vorräte der Spanier zur Neige gingen, wurde deutlich, dass man sich neu orientieren musste.[12]

Die Rückkehr des Quetzalcoatl?

Wie aber reagierte der Herrscher der Mexica auf die Neuigkeiten? Nach dem Florentiner Codex hatten sich in Moteuczomas Reich bereits vor Ankunft der Spanier Vorzeichen ereignet, die Anlass zur Sorge bereiteten. So soll zehn Jahre zuvor die Morgenröte nachts bedrohlich wirkende Himmelsbilder im Osten gemalt haben, die eine neue Ära anzukündigen schienen. Dann war der Tempel des Gottes Huitzilopochtli in Brand geraten und ließ sich nicht mit Wasser löschen. Das dritte Vorzeichen bestand in einem Blitz, der ohne Donner den Tempel des Feuergottes Xiuhtecuhtli traf. Weiterhin erschien ein Komet am Himmel, der einen Funkenregen nach sich zog. Sodann ereignete sich eine Flutkatastrophe am See von Mexiko, obwohl es keinen Sturm gab. Als sechstes Omen soll nachts eine Frau zu hören gewesen sein, die den Fall der Stadt beweinte. Außerdem fingen Fischer einen seltsamen Vogel mit einem Spiegel zwischen den Kopffedern, in dem Moteuczoma ein Schlachtfeld und Krieger, die auf Hirschen ritten, erkennen konnte. Das achte Vorzeichen waren missgestaltete Wesen, die verschwanden, als der Herrscher sie im Gefängnis ansehen wollte. Laut Muñoz Camargo, der dieselben Omen nannte, verstanden die Menschen in Mexiko alles dies als Vorzeichen für das Ende der Welt und die Ankunft neuer Völker auf der Erde.[13]

Angeblich hatte sich Moteuczoma schon seit der Nachricht von Grijalvas Ankunft auf die Rückkehr des Gottes Quetzalcoatl vorbereitet.[14] Díaz del Castillo berichtete, dass der Herrscher in dem Moment, in dem er den von Tendile geschickten goldenen Helm sah, davon überzeugt war, dass es sich um den gleichen handelte wie den des Huitzilopochtli und die Spanier zu denjenigen gehörten, die nach den Weissagungen der Vorfahren der Mexica dereinst kommen sollten, um sein Land zu regieren.[15] Moteuczoma soll sehr bestürzt und im ersten Moment sogar sprachlos gewesen sein, schrieb der Dominikaner Diego Durán, der sich auf einen unbekannten Mexica-Codex aus der Zeit kurz nach der Conquista stützte. Von seinen Kunsthandwerkern ließ Moteuczoma kostbare Geschenke herstellen und verpflichtete alle zur strengsten Geheimhaltung.[16]

Die Geschenke, die Moteuczoma dem Teoctlamacazqui mitgab, sollen hohen symbolischen Wert gehabt und gleichsam die Kleidung und die Speisen verschiedener Götter repräsentiert haben. Auch die Wahl des Boten war demnach genau überlegt, denn dieser hatte am Hof das Amt des Tlillancalqui inne, des Meisters des Tlillancalco (Tempel der Dunkelheit), der besonders dem Kult der Götter Cihuacoatl und Quetzalcoatl gewidmet war. Moteuczoma soll ihm ferner aufgetragen haben, die Spanier wie Götter zu begrüßen, die zurückgekehrt seien in das Land, das ihnen rechtmäßig gehörte. Außerdem sollte Teoctlamacazqui genau Acht geben, ob der Anführer der Fremden die dargebrachten Speisen und Getränke zu sich nehme, denn dann sei es gewiss, dass es sich um Quetzalcoatl handele.[17] Der Augenzeuge Juan Álvarez, der bereits 1521 in einem von Velázquez angestrengten Ermittlungsverfahren aussagte und der Geschenkübergabe beiwohnte, bestätigte, dass die Mexica die spanischen Offiziere ‹Teule›, beziehungsweise ‹Teotl› in Nahuatl, also Götterwesen, genannt hätten. Auch Malinche zählten die Mexica dazu.[18]

Während der Abwesenheit seiner Gesandten, so berichten der Codex Florentinus und Alvarado Tezozomoc, war Moteuczoma unruhig und ängstlich. Als der Tlillancalqui zurückkehrte, wurde ihm ein besonderer Empfang zuteil. So ließ der Herrscher Gefangene opfern und die Gesandten mit deren Blut besprengen. Nachdem er den Bericht über die furchteinflößenden Waffen, Pferde und Hunde, das seltsame Aussehen der Spanier und ihrer schwarzen Sklaven gehört hatte, ergriff Moteuczoma angeblich große Angst. Laut Sahagún schickte er seine Zauberer verkleidet als Handwerker zu den Spaniern, doch konnten sie ebenfalls nichts gegen die vermeintlichen Götter ausrichten. Auch nach anderen Quellen – etwa der Chronik Chimalpahins – sprachen sich die schlechten Nachrichten unter der Bevölkerung herum, woraufhin sich angeblich große Furcht und Traurigkeit verbreiteten. Insbesondere die Bärte, die helle Haut und die langen Haare der Spanier sowie die Reiter hoch zu Ross sollen die Untertanen überzeugt haben, dass es sich um Zauberer handelte.[19] Moteuczoma soll daraufhin eine Art Weltflucht in der Höhle von Cincalco bei Chapultepec versucht haben. Angesichts der Bedeutung, die die Azteken dem Wirken ihrer Götter im täglichen Leben beimaßen und der außergewöhnlichen Herausforderung, die die Ankunft der Fremden darstellte, war dies im damaligen Kontext nicht erstaunlich. Letztlich kehrte Moteuczoma zu seinen Herrscherpflichten zurück, blieb jedoch in stetem Kontakt zu seinen Wahrsagern und Zauberern.[20]

Dass die Spanier von den Mexica als Götter wahrgenommen wurden, ist in den meisten Chroniken der Kolonialzeit zu finden, und zwar sowohl in spanischen als auch in indigenen beziehungsweise mestizischen Autoren. Nach dieser Erzählung gab die Apotheose den Spaniern einen entscheidenden psychologischen Vorteil und führte letztlich zum Untergang von Tenochtitlan. Die zumeist kirchlichen Chronisten europäischen Ursprungs nahmen die Geschichte für bare Münze, weil sie damit eine heilsgeschichtliche Dimension in den Akt der Eroberung hineinlesen konnten: Demnach wurde das Teufelswerk der aztekischen Religion quasi durch sich selbst zu Fall gebracht, was letztlich nur auf die Vorhersehung des Christengottes zurückzuführen sein konnte. Die Vorstellung von «weißen Göttern», deren Rückkehr die Indigenen in Verzweiflung stürzte, findet sich auch in den indigenen Überlieferungen, die jedoch zumeist durch die Hände kolonialer Übersetzer oder Schreiber gegangen sind. Für Zeitzeugen aus der autochthonen Bevölkerung, die ihre Erinnerungen an die Geschehnisse – wie im Fall Sahagúns oder Motolinías – christlichen Missionaren diktierten, erfüllte die Erzählung angeblich den Zweck, das scheinbar unerklärliche Versagen des mächtigen Mexica-Reichs im Nachhinein erklärbar zu machen, denn die Vorherbestimmung der Ereignisse erkläre den fehlenden Widerstandswillen, ja den Fatalismus der Mexica. Dies ließ sich auch mit den Glaubenslehren der indigenen Neuchristen bestens in Einklang bringen, wenngleich der Unterton dieser Interpretation sich durchaus noch aus den vorspanischen religiösen Vorstellungen ableitet. Außerdem konnte mit der Zuspitzung auf die Versäumnisse des Tlatoani Moteuczoma ein Schuldiger ausgemacht werden, der als Sündenbock für die Niederlage und die sich daran anschließenden Katastrophen gelten konnte, weil er die Ordnung des Kosmos durch sein Fehlverhalten gestört hatte.[21]

Die historische und ethnohistorische Forschung hat lange über die Authentizität dieser Interpretation debattiert. Traditionelle Studien gehen davon aus, dass die aztekische Verwechslung der Spanier mit Göttern der wichtigste Grund für den schnellen Zusammenbruch ihres Reichs war.[22] Die ethnohistorische Literatur des späten 20. Jahrhunderts hat dagegen die Prophezeiungen und die Rückkehr der Götter oft als Mythen abgetan, die aus einem kolonialistischen Impetus heraus im Wesentlichen von den christlichen Chronisten erfunden beziehungsweise in die eigenen und indigenen Erzählungen ex post hineininterpretiert wurden, um die Conquista und die daraus resultierende Herrschaft der Spanier sowie die Christianisierung zu legitimieren.[23] Insbesondere Franziskaner hätten daran großen Anteil, da diese Geschichte ideal in das chiliastische Denken der Ordensbrüder der damaligen Zeit passte. Für einen Geschichtsschreiber wie Motolinía etwa waren die Prophezeiungen demnach deshalb so attraktiv, weil sie sich als Vorboten des Christentums deuten ließen. Die Erzählung von der Rückkehr der Götter wiederum ließ sich, so die These, dahingehend interpretieren, dass vor langer Zeit schon einmal ein christlicher Heiliger in Mesoamerika gewesen sei, der nun zurückkam und gegen den Teufel Huitzilopochtli kämpfte. Gerade das Werk Sahagúns, das die Bestandteile der Erzählung erstmals vollständig zusammenführte, war demzufolge nichts anderes als eine Form der Mythisierung der Conquista. Durch die Verbrämung der Vergangenheit sei die Eroberung in eine Schilderung nach dem Nahua-Kalender geformt worden. Für die Indigenen, die dies ‹schrieben›, habe es weder eine Aufgabe ihrer Identität noch eine nostalgische Rückschau bedeutet, sondern einen Weg gewiesen, um in die Zukunft zu schauen.[24]

Zwar sind in diesen Interpretationen wichtige Erkenntnisse enthalten. So ist die Vorstellung von abergläubischen, ihren Traditionen und ihrem zyklischen Geschichtsbild verhafteten Mexica überholt. Die Frage, ob sie die Spanier wirklich für inkarnierte Götter hielten, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Die indigenen Quellen zeigen, dass die Erfahrungen mit den Fremden diesen Glauben, so es ihn denn je gegeben hat, schnell zerstörten. Zudem kannte das altmexikanische Geschichtsbild die sich wiederholende Eroberung durch Einwanderer, die ihre neuen Götter mitbrachten. Die Ankunft der Spanier war daher nichts radikal Neues.[25]

Dennoch lassen sich die vielfach tradierten Prophezeiungen und Erzählungen von der Rückkehr der Götter nicht einfach als ahistorische Erfindungen kolonialistischer Europäer abtun, zumal sie in bildlichen Darstellungen von indigenen Künstlern ebenfalls immer wieder aufscheinen. Das Argument der Kritiker, die Erzählung sei erst lange nach der Conquista aufgekommen, lässt zum Beispiel die Bedeutung der bereits zitierten Aussagen von Álvarez außer Acht, die schon 1521 entstanden.[26] Dieses und andere Indizien lassen darauf schließen, dass die Mexica und die anderen Mesoamerikaner, auf die die Spanier trafen, Probleme mit der Zuordnung der Europäer hatten. Sie waren sich nicht sicher, ob es sich um Götter handelte, weshalb sie die Räucherrituale mehrfach wiederholten und unterschiedliche Götterspeisen anboten. Die Rückkehr des Herrschers und Gottes Quetzalcoatl muss daher als authentische Tradition Mesoamerikas angesehen werden.[27]

Abb. 6: Geschenke für den ‹Teotl› (nach Sahagún)

Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass sich die Weltanschauung der Mexica deutlich von der Geisteshaltung der Europäer unterschied. So gab es in den aztekischen Vorstellungen keine Trennung zwischen weltlicher und göttlicher Sphäre. Ohne inkarnierte Götter sein zu müssen, konnten die Spanier dennoch in bestimmten Momenten und an bestimmten Orten in der Verkörperung von Göttern, in Nahuatl Teixiptlahuan, auftreten. Insofern handelt es sich bei der richtigen Interpretation der Vorgänge um ein Übersetzungsproblem, bei dem es nicht nur um die korrekte wörtliche Übertragung des Begriffs ‹Teotl› ins Spanische, sondern auch um das Verständnis der Bedeutung des dahinterstehenden Konzepts geht.[28] Die Geschenke, die Moteuczoma den Spaniern bringen ließ, waren eben keine üblichen Willkommensgaben, sondern Dinge, mit denen der Tlatoani seinen religiösen Pflichten als höchster Priester seines Volkes gegenüber dem ‹Teotl› nachkam. Im Moment dieses ersten Kontakts war Cortés in den Augen der Mexica somit die lokale Verkörperung eines Gottes oder hätte es zumindest sein beziehungsweise werden können, insbesondere in dem Augenblick, in dem er die symbolträchtigen Kleidungsstücke anlegte.[29]

Cempoala, Hauptstadt der Totonaken

Bereits während der ersten Kontaktaufnahme mit den Mexica in Tabasco hatte sich gezeigt, dass noch andere ethnische Gruppen in der Region lebten. Nach dem Abzug von Moteuczomas Untertanen bekamen die Spanier Besuch von einer Abordnung des Totonaken-Herrschers von Cempoala, Chicomecatl, den sie später den ‹dicken Kaziken› nennen sollten. Wie die spanischen Augenzeugen feststellten, waren diese Männer größer als die Mexica und trugen einen aus ihrer Sicht besonders entstellenden Gesichtsschmuck, ein Piercing, das die Unterlippe bis zum Kinn nach unten zog.[30]

Cempoala, in den Gebirgszügen der Sierra Madre Oriental und den Küstenzonen des Bundesstaats Veracruz im heutigen östlichen Mexiko gelegen, war damals mit rund 30.000 Einwohnern eine der Hauptstädte der totonakischen Provinz des Mexica-Reichs. Allerdings war dieses Totonacapan, wie die Azteken das Land nannten, noch nicht lange Bestandteil des Großreiches. Erst seitdem Moteuczomas Vater Axayacatl Mitte des 15. Jahrhunderts die Region unterworfen hatte, war sie Tenochtitlan tributpflichtig. Da sie traditionell starken äußeren Einflüssen ausgesetzt war, lassen sich zum Beispiel toltekische und chichimekische Elemente nachweisen. Die Gesellschaft war klar hierarchisch gegliedert und durch ihren pluriethnischen Charakter gekennzeichnet. Die vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüsse lassen sich an der Ikonographie ablesen. So gab es in dieser Region eine hohe Mobilität von Menschen, Ideen und Techniken. Totonacapan war sozusagen das Labor für die zunehmende Integration Mesoamerikas im späten Postklassikum.[31]

Aus Sicht der Mexica waren die Totonaken Barbaren. Tatsächlich standen sie ihren Tributherren jedoch zweifellos in nichts nach. Neben den aztekischen sind auch die Einflüsse der Maya-Kulturen erwähnenswert. Die Webkunst der totonakischen Frauen fiel bereits den Spaniern auf. In der späten postklassischen Phase seit ca. 1200 hatten sich hier ähnliche Entwicklungen ergeben wie in anderen Teilen Mesoamerikas. Das rituelle Ballspiel war ebenso verbreitet wie die Menschenopfer und der mesoamerikanische Kalender mit seinen astrologischen Bedeutungen für den Einzelnen, die Gemeinschaft und den Kosmos. Seit diesem Zeitraum setzten sich auch neue Architekturstile und technische Innovationen etwa bei der Obsidianbearbeitung durch. Die Totonaken betrieben Bewässerungswirtschaft und legten Kanäle an. Unter anderem bauten sie Baumwolle an. Sie profitierten von der großen Vielfalt der Ökosysteme, den fruchtbaren Böden in ihrer Region und dem reichhaltigen Wasserangebot. Außerdem gab es einen regen Handel zwischen Cempoala und seinen Nachbarn.[32]

Die Stadt Cempoala verfügte über ein administratives Zentrum, in dem sowohl weltliche als auch geistliche Autoritäten wohnten, über denen der Herrscher und Hohepriester stand. Monumentale Gebäude mit ebensolchen Skulpturen prägten das Bild. Die Tempelpyramiden und Plattformen mit ihrer symbolischen Bildsprache drückten die Macht der Götter und ihrer weltlichen Repräsentanten aus. Besonderes Ansehen genoss die stark gegliederte Priesterkaste, die mit ihren langen und blutverschmierten Haaren und dunklen Kleidern den Spaniern auffiel. Würdenträger, die nicht zuletzt dafür zuständig waren, die Tribute korrekt einzutreiben und abzurechnen, lebten in den ihnen zugeteilten Stadtvierteln ebenfalls in hervorgehobenen, wenn auch mit denen im Zentrum nicht vergleichbaren Gebäuden. Vielleicht, um sich vor Tropenstürmen und Überschwemmungen zu schützen, vielleicht aber auch zur Abgrenzung bestimmter sakraler Bereiche waren zahlreiche Mauern und Innenhöfe errichtet. Als die Spanier kamen, befand sich die Stadt bereits unter dem starken Einfluss der Mexica. Das Nahuatl war die Lingua franca in Totonacapan, selbst der Name Cempoala stammte aus dieser Sprache. Der Einfluss ließ sich auch an der Architektur erkennen, denn die Azteken nutzten diese bewusst, um ihre Herrschaftsansprüche in den unterworfenen Regionen zu unterstreichen.[33]

Die große Mehrzahl der Menschen in dieser damals auch für europäische Verhältnisse großen Stadt hauste jedoch in einfachen Hütten, die zum Schutz gegen die saisonalen Überschwemmungen zumeist auf erhöhten Plattformen gebaut waren und nur über einen ausgedehnten Raum für die Großfamilie verfügten. Wie die Quellen der Kolonialzeit anmerkten, fielen den Spaniern die zahlreichen Gärten mit eigenen Teichen auf. Die Versorgung durch Wasserleitungen, die auch zum Abfluss bei Überschwemmungen dienten, hatte ein hohes Niveau. Damit bekamen unter anderem die Handwerker ausreichend Wasser, deren Arbeiten unerlässlich waren, um die Tributansprüche der Mexica zu erfüllen.[34]

Gründung von Villa Rica de Vera Cruz

Die Gesandten von Chicomecatl gaben zu verstehen, dass ihr Herrscher gerne mit Cortés in Kontakt kommen wollte. Daraufhin ließ dieser ihnen die Waffen und Pferde vorführen, um seine Stärke zu demonstrieren. Cempoala war mit seinem Vasallenstatus gegenüber Tenochtitlan, der nur Belastungen brachte, keineswegs zufrieden. Neben den beträchtlichen Naturalleistungen mussten die Totonaken immer wieder auch ihre Söhne und Töchter zur Opferung an die Azteken ausliefern. Klagen oder gar Aufstände der Unterworfenen bestraften die Mexica drakonisch. Für Cortés waren dies gute Nachrichten, erkannte er doch, dass die mächtigen Mexica Gegner hatten, die ihre Feindschaft nur aus Angst vor Vergeltung nicht offen zu zeigen wagten. Diese Totonaken konnten potenzielle Verbündete sein.[35]

Die Spanier waren jedoch auch selbst um die Verbesserung ihrer Position bemüht. So schickte Cortés zwei seiner Schiffe unter dem Kommando von Montejo und Rodrigo Alvarez und mit Alaminos als Steuermann aus, um die Küste in nördlicher Richtung weiter zu erkunden. Wie die Grijalva-Expedition vor ihnen fuhren sie in Richtung Pánuco, wo sie fast Schiffbruch erlitten, sich aber gerade noch retten konnten. Noch bevor die Schiffe zurückkehrten, schickte der Oberbefehlshaber auch einen Erkundungstrupp unter dem Befehl von Pedro de Alvarado ins Landesinnere, wo die Männer auf ein angeblich verlassenes Dorf trafen und Lebensmittel raubten. Dort stießen sie erneut auf eindeutige Spuren von Menschenopfern.[36]

Nicht alle Mitglieder der spanischen Expedition begrüßten diese Aktivitäten. Schon von Beginn an hatte es Spannungen zwischen Velázquez’ Getreuen und den Anhängern von Cortés gegeben. Diese verschärften sich nun, weil angesichts der Lebensmittelknappheit einige Männer die Rückkehr nach Kuba forderten. Dazu zählten, wie Díaz del Castillo anmerkte, in erster Linie die Begüterten, die zu ihrem Besitz zurückkehren wollten und denen wohl auch angesichts der bedrohlichen indigenen Gruppen mit ihrem Opferkult das Risiko zu hoch war. Die Vertrauten von Velázquez, darunter sein Verwandter Velázquez de León, Diego de Ordás, Montejo, Juan Escudero sowie der Priester Juan Díaz, machten sich zu Wortführern dieser Partei. Sie waren der Meinung, dass die schriftlichen Anweisungen des Gouverneurs keinen längeren Aufenthalt vorsahen und die Expedition bereits genügend Informationen und Kostbarkeiten beschafft hätte, um in Kuba Bericht erstatten zu können. Außerdem beschwerten sie sich über den unkontrollierten Tauschhandel, durch den große Mengen an Gold in den Besitz der Soldaten und von dort an die Seeleute, die sie mit frischem Fisch versorgten, gelangt seien, ohne dass der königliche Fünfte davon abgezogen worden sei. Sie forderten Cortés auf, einen Heeresschatzmeister einzusetzen, obwohl mit Alonso de Ávila bereits ein königlicher Schatzmeister anwesend war. Cortés ging auf die Forderungen ein und sorgte dafür, dass sein Gefolgsmann Gonzalo de Mejía das Amt bekam.[37]

Seine eigenen Parteigänger, darunter die Brüder Alvarado, Portocarrero, Escalante, Olid, Lugo, Ávila und Sandoval, stellten sich gegen die Rückkehr und damit an die Spitze derjenigen, die wie Bernal Díaz del Castillo in Kuba nichts mehr zu verlieren hatten, und das waren nicht wenige. Nachdem die Spanier nicht zuletzt durch die Geschenke der Mexica vom Reichtum des Landes überzeugt worden waren, hatte die Habgier von ihnen noch stärker als zuvor Besitz ergriffen. Die Gruppe forderte Cortés auf, eine Siedlung zu gründen, da sie im Vertrauen darauf überhaupt erst an der Expedition teilgenommen hätten. Da die Mexica die Spanier sicher nicht noch einmal friedlich an Land kommen lassen würden, diene eine Ansiedlung letztlich den Interessen des Königs. Mit denselben Forderungen seitens seiner Mannschaft sei auch Grijalva konfrontiert gewesen, so sagten sie, der sich aber darüber hinweggesetzt habe. Sie erinnerten Cortés daran, dass der Gouverneur Grijalva wenige Monate zuvor für diese Unterlassung heftig zurechtgewiesen hatte. Sollten doch diejenigen nach Kuba zurückkehren, die dies unbedingt wollten.[38]

Ob es sich um ein abgekartetes Spiel handelte oder ob Cortés tatsächlich die Rückfahrt nach Kuba in Erwägung gezogen hatte, ehe die Männer ihn zum Bleiben aufforderten, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Die Tatsache, dass mit Montejo einer von Velázquez’ wichtigsten Parteigängern noch auf Erkundungsfahrt war, spricht für Ersteres. Nach der Darstellung im Brief des Stadtrats, des Cabildo, an den König vom Juli 1519 trat die gesamte Hueste Mitte Mai zusammen und forderte den Caudillo einstimmig dazu auf, eine Siedlung anzulegen.[39] Einen Tag später traf Cortés seine Entscheidung. Er stimmte der Forderung zu und erklärte, dass zur Gewährleistung einer funktionsfähigen Regierung ein Stadtrat, ein Cabildo, notwendig sei, für den Bürgermeister (Alcaldes), Ratsmitglieder (Regidores) und Funktionsträger nominiert werden müssten. Alle Mitglieder der Hueste würden Vecinos, also Bürger, der neuen Stadt sein, die im Anklang an den Reichtum des Landes und die Tatsache, dass man an einem Karfreitag an Land gegangen war, Villa Rica de la Vera Cruz heißen sollte. Den Aussagen von Cortés’ Parteigängern zufolge kam es sodann zur Wahl der Beamten, bei der sich hauptsächlich Kandidaten aus Cortés’ Heimatregion, der Extremadura, durchsetzten, darunter Portocarrero als einer der beiden Bürgermeister (Alcalde Mayor), Alvarado als Ratsmitglied und Sandoval als Amtsbote (Alguacil). Dass dieser Wahlvorgang eine Farce war – oder «böswillig und absurd», wie Las Casas es ausdrückte –, ist offensichtlich.[40]

Durch den notariell verbrieften Akt wurde die Stadt praktisch erfunden, ohne dass es sie schon gegeben hätte, denn das Lager bei San Juan de Ulúa war auf dem sandigen, von Mücken verseuchten und malariagefährdeten Strand kaum als Ort der Besiedlung geeignet. Der Akt der Stadtgründung an sich war jedoch keine Neuerfindung von Cortés. Er selbst hatte ähnlichen Handlungen bei der Eroberung Kubas unter dem Kommando von Velázquez mehrfach beigewohnt und kannte durch seine juristische Grundbildung die zu beachtenden Formalitäten. Legitimationsstiftend war dabei, dass es sich nicht um die Entscheidung des Oberbefehlshabers allein, sondern der Truppe insgesamt handelte. Da der Hof weit weg und kein legitimer Vertreter vor Ort war, fiel die Regierungsgewalt quasi an die Gemeinschaft der Regierten zurück. Daher kam dem Akt der Versammlung und des einstimmigen Beschlusses, den Cortés und seine Sympathisanten in ihren Berichten betonten, so hohe Bedeutung zu.[41]

Die Vorteile für den Caudillo lagen klar auf der Hand: Der Cabildo hatte das Recht, direkt schriftlich mit dem König in Kontakt zu treten und vorläufig einen obersten Richter und Militärbefehlshaber zu bestimmen. Auf diese Weise konnte sich Cortés von seinem Status als Velázquez’ Beauftragter lösen und sich direkt dem Befehl seiner Majestät unterstellen. Damit galt für ihn sozusagen höheres Recht und die Instruktionen verloren ihre Gültigkeit. In der Tat bestand eine der ersten Amtshandlungen des neuen Stadtrats darin, die Anweisungen von Velázquez für erledigt zu erklären, weil Cortés alle Bestimmungen erfüllt hätte. Dieser legte daraufhin pro forma sein Amt nieder, worauf ihn seine Männer postwendend zum militärischen Oberbefehlshaber (Capitán General) und obersten Richter (Justicia Mayor) wählten. So gelang es ihm, sich die Unterstützung seiner Männer zu sichern. Wer gegen ihn aufbegehren wollte, beging nach dieser Logik nun quasi Hochverrat. Die ursprünglich nur auf Handel ausgelegte Expedition hatte sich zu einer politischen Unternehmung gewandelt.[42]

Ohne Widerstand sollte Cortés’ «Manöver»– wie selbst der mit ihm sympathisierende Sepúlveda es nannte – jedoch nicht vonstattengehen.[43] Einige von Velázquez’ Anhängern waren verärgert und beriefen sich auf die Instruktionen, die eine Siedlungstätigkeit nicht vorgesehen hätten. Wahrscheinlich warfen sie dem Befehlshaber ihrerseits Hochverrat vor und hatten das Argument, dass Velázquez der vom König bestellte Gouverneur war, auf ihrer Seite. Doch gelang es Cortés, diese Stimmen mit guten Worten, Drohungen und Bestechung zum Verstummen zu bringen. Das beste Beispiel war Montejo, der nach der Rückkehr von seiner Erkundung erfuhr, dass er wie Portocarrero zum Alcalde Mayor berufen worden war. Die hartnäckigsten Widersacher – darunter Velázquez de León und Diego de Ordás – ließ Cortés kurzfristig in Ketten legen, nur um sie danach mit großzügigen Goldgeschenken für sich zu gewinnen. Letztlich argumentierte er überzeugend, dass der Anteil aller an der Beute deutlich steige, weil man nun Velázquez nicht mehr zu bedenken brauche. Gleichzeitig ließ er sich selbst durch den Cabildo in einer keineswegs üblichen Maßnahme den fünften Teil aller Profite zusichern, derselbe Anteil, der auch dem König zustand.[44]

Die Eigenmächtigkeit, mit der Cortés in diesem Kontext handelte, war durchaus keine Ausnahme. Die spanischen Beamten mussten immer wieder Entscheidungen treffen, die der König noch nicht bestätigt hatte. Das hatte Cortés schon während seiner Tätigkeit als Bürgermeister von Santiago de Cuba gelernt. Durch die Entfernung zu Spanien hätte die Zustimmung des Hofes zu lange gedauert. Rund viereinhalb Monate zog sich die Seereise von Mexiko nach Spanien bei guten Winden zwischen Mai und Juni hin. Eine Anfrage an den König mitsamt der Antwort nahm im günstigen Fall mindestens ein Jahr in Anspruch. Daraus ergab sich für die Amtsträger vor Ort eine relative Autonomie. Das wussten sowohl Cortés als auch Velázquez, der nicht zuletzt deshalb so lange mit der Wahl seines Flottenkapitäns gezögert hatte, weil er das Risiko der Verselbständigung eines Untertanen aus eigener Erfahrung kannte.[45]

Nach der Regelung der Konflikte befahl Generalkapitän Cortés, ihren Standort rund siebzig Kilometer auf dem Landweg weiter nach Norden zu verlegen an einen Platz, den Alaminos als günstig ausgemacht hatte. Er befand sich nahe der von Totonaken bewohnten Ortschaft Quiahuiztlan, die auf einem Hügel in Meeresnähe lag. Proviant und schwere Waffen wurden auf die Schiffe verladen, während sich Cortés mit vierhundert Mann zu Fuß in Bewegung setzte. Auf ihrem Marsch versorgten Totonaken die Männer mit Lebensmitteln und bereiteten ihnen in einem Dorf ein Nachtquartier. Nach ungefähr fünfzig Kilometern gelangte die Truppe nach Cempoala, wo Chicomecatl die Spanier freundlich empfing und ihnen Verpflegung und Unterkunft stellte. Laut den spanischen Quellen zeigte sich der Totonake regelrecht unterwürfig und begrüßte Cortés als seinen neuen Herrn. Mit Blumengaben und zum Klang von Trompeten sollen die Stadtbewohner die Spanier willkommen geheißen haben. Die Stadt der Totonaken, welche die größte war, die sie bis dahin in den Indias zu sehen bekommen hatten und von der sie sehr beeindruckt waren, benannten sie in Neu-Sevilla um, weil die Häuser sie an die Paläste der andalusischen Hauptstadt erinnerten. Die frisch gekalkten Häuser glitzerten so stark in der Sonne, dass die berittene Vorhut im ersten Moment dachte, sie seien mit Silber überzogen.[46]

Für Cortés erwies sich diese Konstellation als Glücksfall. Die Spannungen zu den Mexica ließen nichts Gutes ahnen und aus Kuba Nachschub anzufordern, war wegen der Probleme mit Velázquez ausgeschlossen. Um der Isolation zu entgehen, blieb ihm daher nur die Alternative, Bündnisse mit anderen indigenen Gruppen zu suchen. Der Generalkapitän ging selbstbewusst in die Verhandlungen mit Chicomecatl. Er versuchte dem Totonaken die christliche Religion näherzubringen, sah aber den Zeitpunkt noch nicht gekommen, gegen die Menschenopfer einzuschreiten, die auch in Cempoala häufig dargebracht wurden.[47]

Cortés war auf der Hut und ließ die Behausungen, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte, Tag und Nacht streng bewachen. In der Tat erfolgte der freundliche Empfang nicht ohne Hintergedanken. Allerdings bestand kein Grund zur Sorge, hoffte Chicomecatl doch auf ein Bündnis mit den mächtigen Fremden. In ihren Unterredungen klagte er über die Unterdrückung und die Grausamkeiten durch die Mexica und gab Cortés außerdem wichtige Informationen über den Aufbau von Moteuczomas Reich, den Dreibund sowie über die Städte Tlaxcala und Cholula weiter. Der Generalkapitän sagte die gewünschte Unterstützung gegen die Mexica zu, denn ein Auftrag seines Königs sei es, Frieden und Gerechtigkeit zu stiften. Dafür sollen sich die Totonaken angeblich dem spanischen König unterworfen haben. Chicomecatl war scheinbar zu allem bereit und stellte den Spaniern sogar Dienstboten und Träger zur Verfügung. Außerdem schenkte er Cortés zwanzig junge Frauen aus dem totonakischen Adel, die von ihren Dienerinnen begleitet wurden.[48]

Circa Anfang Juni, nach einem Aufenthalt von rund zwei Wochen in Cempoala, zog Cortés mit seinen Männern weiter zu der kleineren totonakischen Ortschaft Quiahuiztlan nahe der Stelle, die die Kundschafter für die Anlage der Siedlung empfohlen hatten. Die Strecke war zwar kurz, doch stellte ihm Chicomecatl vierhundert Lastenträger, zur Verfügung, die auch die weiteren Feldzüge begleiten und eine wichtige Entlastung für die Soldaten bringen sollten. Auch in Quiahuiztlan fanden sie nach anfänglichem Zögern freundliche Aufnahme und erneut wurde ein Räucherritual durchgeführt. In den Gesprächen, die Cortés mit dem lokalen Herrscher führte, klagte dieser ebenfalls über die Mexica und bat angeblich um Hilfe. Ob diese Angaben, die von spanischen Chroniken weiterverbreitet wurden, mit der Realität übereinstimmten, ist allerdings fraglich, denn zu deutlich wird hier erneut Cortés’ Versuch, den Feldzug mit dem gallischen Krieg in Verbindung zu bringen, in dem Cäsar gleichfalls von unterworfenen Völkern zur Hilfe gerufen wurde.[49]

Die Rebellion der Totonaken

Durch einen günstigen Zufall trafen in dieser Zeit Abgesandte der Mexica ein, die den Tribut eintreiben sollten. So bot sich dem Generalkapitän gleich die Gelegenheit, seine Entschiedenheit zu demonstrieren. Die adligen Würdenträger traten angeblich mit großer Arroganz auf, ignorierten die anwesenden Spanier und erklärten den Totonaken, dass ihr Herrscher Moteuczoma das freundliche Verhalten gegenüber den Fremden nicht dulden werde. Als Strafe sollten je zwanzig Männer und Frauen zur Opferung zur Verfügung gestellt werden, um die Götter wieder zu versöhnen. Dies nahm Cortés zum Anlass einzugreifen. Nach spanischer Darstellung musste er die zunächst zögerlichen und angsterfüllten Totonaken mit Verweis auf seine Freundschaft zu Moteuczoma erst überreden, um danach die Tributeintreiber festzunehmen und auf die Schiffe zu verfrachten. Laut Bernal Díaz erzeugte diese Vorgehensweise bei den Gastgebern große Bewunderung, sodass die Spanier nun umso mehr für Götter gehalten wurden. Angesichts der Ausgangslage in Totonacapan war allerdings wohl nicht so viel Überredungskunst notwendig, denn die Totonaken waren keineswegs die ängstlichen Zeitgenossen, als die die Spanier sie hinstellen wollten. Vielmehr erkannten sie die Chance, sich mit Hilfe der Fremden und ihren mächtigen Waffen von dem noch vergleichsweise jungen Joch der Mexica zu befreien. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass Chicomecatl in der Folgezeit bei den Nachbarstädten um Unterstützung warb.[50]

Dass sich die Spanier ihrer Führungsrolle in den Beziehungen zu den Totonaken keineswegs sicher waren, zeigt eine weitere Wendung, die die europäischen Quellen übereinstimmend überliefert haben. Noch in derselben Nacht nämlich ließ Cortés zwei der Mexica heimlich, ohne dass die Totonaken es bemerkten, wieder frei und schickte sie zu Moteuczoma mit der Botschaft, dass er dessen Freund sei, die Adligen deshalb aus der Hand der treulosen Totonaken befreit habe und auch in Zukunft alles für den Erhalt der Freundschaft tun wolle. Mit dieser List wollte der Generalkapitän sich einerseits eine Brücke zu den Mexica offenhalten und andererseits die Zwietracht zwischen diesen und den Totonaken verschärfen, die nun schwerlich zurückkonnten. Außerdem hieß Cortés die Totonaken formell als Vasallen seines Königs willkommen, wobei davon auszugehen ist, dass ihnen die von dem Spanier intendierte Tragweite dieser Handlung keineswegs bewusst war.[51]

Nun endlich konnten die Männer um Cortés beginnen, ihre Stadt in einer Ebene einige hundert Meter von Quiahuiztlan entfernt anzulegen. Das formelle Gründungsdatum war der 28. Juni 1519. Den zentralen Platz mit Kirche, Markplatz, öffentlichen Gebäuden – darunter das Gefängnis – sowie einige weitere Häuser legten die Männer mit tatkräftiger Hilfe der Totonaken und der Taino-Sklaven an. Außerdem bauten sie in der Nähe des Hafens ein Fort mit Palisaden, Schießscharten, Brustwehren, Wachtürmen und einem Burgtor. Erst als die Gebäude fertiggestellt waren, ließ Cortés die Schiffe vollständig entladen. Die Stadt, die den Namen Villa Rica de la Vera Cruz erhielt, entwickelte sich zu einem wertvollen Basislager für die Spanier. Darüber hinaus erfüllte sie noch eine wichtige Funktion: Mit ihrer Gründung konnten sich die Conquistadoren direkt dem König unterstellen und den Statthalter von Kuba und die Audiencia in Santo Domingo umgehen.[52]

Folgt man den spanischen Chroniken, so reagierte Moteuczoma im Folgenden mit einer weiteren Gesandtschaft, die sich aus zwei Neffen des Herrschers, vier älteren Ratgebern und großem Gefolge zusammensetzte und wiederum Geschenke brachte. Er ließ indes wissen, dass er über die Gefangennahme seiner Tributeintreiber verärgert sei, für die Freilassung aber danke. Zudem klagte er über seine abtrünnigen Untertanen, die Totonaken. In seiner Antwort versicherte Cortés, der die Gesandtschaft zuvorkommend empfing und einige Tage bewirtete, die Mexica erneut seiner Freundschaft, überreichte Gegengeschenke und schenkte den drei weiteren Gefangenen sogar die Freiheit. Schließlich ließ Cortés Moteuczoma ausrichten, dass die Totonaken nun Vasallen seines Königs seien, sie aber auch den Befehlen des Mexica folgen würden, wenn der spanische Generalkapitän das anordne.[53] Nach der Gefangennahme seiner Beamten musste der Tlatoani dies zweifellos als weiteren unfreundlichen Akt der Fremden bewerten, stellten sie damit doch seine Oberherrschaft in einem prinzipiell unsicheren Grenzgebiet in Frage.

Während die Mexica-Gesandtschaft bei den Spaniern war, hielt Cortés auch den Kontakt mit den Totonaken, die mittlerweile die Nachbarstädte von den unerhörten Aktivitäten der mächtigen Fremden unterrichtet und weitere Bündnispartner hinzugewonnen hatten. Eine erste Bewährungsprobe des Bündnisses ergab sich wenig später, denn Cempoala bat die Spanier um Unterstützung gegen die rund 30 Kilometer entfernte Garnisonsstadt der Mexica, Tizapantzinco, deren Truppen als Vergeltung für die Rebellion der Vasallen die Ernten der totonakischen Ortschaften zerstörten. Nun befand sich Cortés in einer Zwickmühle, weil er einerseits noch keinen offenen Krieg gegen die Mexica wagen wollte, andererseits aber seine Bündnistreue unter Beweis stellen musste. Also zogen viertausend Totonaken und rund vierhundert Conquistadoren das erste Mal gemeinsam in den Kampf. Wie Bernal Díaz berichtet, fand jedoch keine Schlacht statt, da sich die Mexica aus der Stadt zurückgezogen hatten. Andere Chronisten wie Cervantes de Salazar erwähnen eine kurze Schlacht, die mit der Flucht der Mexica endete. Danach hätten die Spanier erstmals mit eigenen Augen gesehen, wie die Totonaken gefallene Feinde brieten und aßen. Laut Bernal nahm Cortés die verbliebenen Stadtbewohner als neue Vasallen des Königs an und gebot seinen Verbündeten, die traditionellen Feindseligkeiten gegenüber Tizapantzinco einzustellen. Offensichtlich wurden die Spanier von den Bewohnern Cempoalas in ihrem Kampf gegen eine Nachbarstadt instrumentalisiert, ohne dass es diesen aufgefallen wäre.[54]

Diese erste erfolgreiche gemeinsame militärische Aktion steigerte die Bereitschaft der Totonaken, den offenen Aufstand zu wagen. Den mesoamerikanischen Gebräuchen jener Zeit entsprach es, interdynastische Beziehungen durch Eheschließungen zu verstetigen. So schenkte Chicomecatl Cortés und seinen Offizieren acht hochadlige Frauen, darunter auch seine Nichte. Zwar akzeptierte Cortés das Geschenk, bestand aber auf der Taufe der Frauen. Auf dem Rückweg in Cempoala nutzte er die Gunst der Stunde, um die Götterbilder der Totonaken zerstören zu lassen. Fast hätte es einen Aufstand gegeben, als einige Spanier die Statuen von den Stufen der höchsten Tempelpyramide stürzten. Die Conquistadoren mussten sogar den «dicken Kaziken» und seine Edelleute als Geiseln nehmen, um einen Kampf zu verhindern und den Handstreich erfolgreich zu beenden. Allerdings zeigt auch diese Episode, dass die Stellung der Spanier keineswegs so unumstritten war, wie die spanischen Quellen vorgaukeln. Cortés dozierte sodann über den christlichen Glauben und gegen die Menschenopfer und die totonakischen Götzen. Angeblich konnte er durchsetzen, dass der Tempelinnenraum frisch gekalkt und ein Altar mit Marienstatue installiert wurde. Außerdem errichteten die Spanier, so berichten die Quellen, ein hohes Holzkreuz. Als Wächter ließen sie einen der Conquistadoren, einen alten Invaliden, zurück. Während einer feierlichen Messe, an der die städtische Elite teilnehmen musste, wurden die Frauen getauft und erhielten christliche Namen. Den Totonaken, die an diesen rituellen Handlungen teilnahmen, dürfte keineswegs klar gewesen sein, dass die Spanier zumindest mittelfristig von den neuen Vasallen des Königs erwarteten, der eigenen Religion abzuschwören.[55]

Erneut zeigte sich, dass Cortés’ Bekehrungseifer erst dann erwachte, wenn er sich seiner Sache in militärischer Hinsicht sicher war und von einer Position der Stärke aus agieren konnte. Zwar war diese Christianisierung zweifellos nur oberflächlich, doch hatte das für den Augenblick keine große Bedeutung, da man in Kirchenkreisen ohnehin davon ausging, dass der notwendige religiöse Tiefgang bei den Neuchristen mit der Zeit eintreten werde.[56] Für Cortés war es jedenfalls wichtig, im Bedarfsfall dem König von seinem Erfolg auf diesem Gebiet berichten zu können. Für die Anführer der Totonaken hingegen ging die Zerstörung der Götterstatuen mit einem Ansehensverlust im eigenen Volk einher und sie verloren die Unterstützung ihrer Priester. Nun waren sie noch stärker von den Spaniern abhängig. Die Abhängigkeit war jedoch keineswegs einseitig, hatte sich doch bereits in Cempoala die Bedeutung der indigenen Ortskenntnisse, der Versorgung mit Lebensmitteln und auch der militärischen Unterstützung durch die Totonaken erwiesen.

Die ersten Berichte an den Kaiser

Bei der Rückkehr nach Veracruz konnten sich die Spanier über das Eintreffen eines weiteren Schiffes aus Kuba freuen unter dem Kommando von Kapitän Francisco de Salcedo, genannt ‹El Pulido›, der Hübsche, einem Freund von Cortés. Zur Mannschaft zählte Luis Marín, der sich später als Hauptmann in der Conquista auszeichnen sollte. Außerdem brachte das Schiff zehn weitere Kämpfer und zwei Pferde.[57] Allerdings hatte Salcedo nicht nur gute Nachrichten zu vermelden. Im Gegenteil: Er musste Cortés mitteilen, dass auf Kuba mittlerweile eine königliche Capitulación, eine Vereinbarung, eingetroffen war, die Velázquez das Privileg der Entdeckung, Eroberung und Besiedlung neuer Länder in Mesoamerika, das man damals noch nach dem von Hernández de Córdoba gewählten Namen Santa María de los Remedios nannte, auf eigene Kosten zubilligte. Dafür sollten ihm der Gewinn der Expedition abzüglich des königlichen Fünften, der in den Anfangsjahren reduziert sein sollte, sowie weitere wirtschaftliche Privilegien zustehen, die teils sogar vererbbar waren. Zudem erhielt Velázquez den Adelantado-Titel für die entdeckten Gebiete. Die Neuigkeit dürfte bei Cortés großen Schrecken ausgelöst haben.[58]

Plötzlich war die vom Generalkapitän kunstvoll geschaffene und mit Glück unter den Conquistadoren durchgesetzte Konstruktion seines Legitimitätsanspruchs null und nichtig. Aus der Capitulación ergab sich, dass man ihn nun wegen Verrats an einem loyalen Gouverneur anklagen konnte. Für Cortés konnte es nur eine Lösung dieses Problems geben: Er musste nun selbst nach der direkten Anerkennung durch den König trachten, die nur dann zu erwarten war, wenn er nachweisen konnte, dass der Erfolg des Unternehmens einzig sein Verdienst war und das weitere Gelingen von seiner Initiative abhing. Dazu musste er seine Sicht der Dinge dem König schriftlich vortragen, was nur durch eine eigene Gesandtschaft nach Europa möglich war. Überdies war Cortés gewieft genug, um zu wissen, dass ohne reiche Geschenke am Hof nicht viel auszurichten war.[59]

Nach Bernal Díaz del Castillos Darstellung ergriff nicht Cortés selbst, sondern die Mannschaft die Initiative. Danach sollen die Männer Cortés gebeten haben, trotz der neuen Sachlage nicht von dem Zug ins Landesinnere abzusehen. Angeblich schlugen sie auch vor, dem König Bericht zu erstatten und ihm alles Gold zu schicken, das sie bis dahin eingetauscht hatten. Ordás und Montejo gingen von Mann zu Mann und holten das Einverständnis ein. López de Gómara dagegen schrieb, dass Cortés das Vorgehen lenkte und die Conquistadoren ihm freudig folgten. Ob es die Möglichkeit der Ablehnung überhaupt gab, sei dahingestellt. Welche Version auch immer historisch korrekt war, in jedem Fall hatte der Generalkapitän die Aktivitäten im Hintergrund vorbereitet und gesteuert. Denn der Anschein, im Auftrag des Cabildo und seiner Männer zu operieren, verlieh seinem Handeln ein gewisses Maß an Legitimität. Nicht zuletzt auch innerhalb der Hueste wirkten diese Ereignisse bereinigend. Velázquez’ Anhänger nämlich, die Cortés’ Autorität nach Bekanntwerden der Vollmacht in Frage stellten, sahen sich erneut in die Defensive gedrängt. Zwar hätten sie mit Recht protestieren und Anklage erheben können, doch die Richter waren weit weg.[60]

So machte sich der Cabildo im Auftrag von Cortés daran, die Instruktionen für die Gesandten zu schreiben, die man auf den langen Weg nach Spanien schicken wollte. Die Männer, die mit dieser Aufgabe betraut werden sollten, wählte Cortés mit Bedacht aus. Die beiden Alcaldes mayores Portocarrero und Montejo schienen bestens geeignet zu sein, denn einerseits waren sie von angesehenem Adelsstand, andererseits repräsentierten sie je eine der beiden Fraktionen der Hueste. Also teilte der Cabildo dem königlichen Prokurator Francisco Álvarez Chico, einem Vertrauten von Cortés aus der Extremadura, die Wahl der beiden offiziell mit, woraufhin dieser die Stadtbürger informierte. Die Gemeinschaft der Vecinos sprach ihre Zustimmung aus, forderte die Beteiligung an der Abfassung der Instruktionen und beantragte die Bestätigung des Oberbefehls für Cortés, dem wegen seiner großen Verdienste auch ein guter Teil der Gewinne zugesichert werden sollte. Daraufhin schrieben sowohl Cortés als auch Offiziere und Mannschaften einen ersten Briefbericht, während die Stadtbeamten die Geschenke für den König vorbereiteten. Ferner entstand ein weiterer, dritter Bericht aus der Feder des Cabildo. Dieses reichlich kasuistisch anmutende Vorgehen, das die Historikerin María del Carmen Martínez minutiös rekonstruiert hat, ist nur vor dem Hintergrund des Legitimationsdefizits von Cortés zu verstehen, der jeglichen Formfehler unbedingt vermeiden wollte.[61]

Ein erst jüngst wieder entdecktes Dokument vom 20. Juni 1519, eine Petition des Cabildo, enthält die wichtigsten Punkte des ausführlicheren Briefberichts vom 10. Juli. Darin bitten die Vertreter der Stadtregierung die Majestäten darum, Diego Velázquez keine Befehlsgewalt in den neuen Regionen zu übertragen, weil die Mitglieder der Hueste, die von ihm abgefallen seien, sonst von ihm verfolgt würden. Sie begründen ihre Lossagung vom Gouverneur damit, dass sie unter der Führung von Cortés den königlichen Interessen besser dienen konnten. Zudem bitten sie darum, die Übertragung des Generalkapitäns- und Oberrichteramts an Cortés zu bestätigen, weil er sich unter hohen Risiken und finanziellem Einsatz verdient gemacht habe. Außerdem solle er nach Abschluss der Eroberung auch Gouverneur werden.[62]

Die detaillierte Eingabe des Cabildo, die die Ereignisgeschichte des Unternehmens seit den Fahrten von Hernández de Córdoba zusammenfasst, ist seit längerem bekannt. Darin wurde die Rechtsgrundlage der Ansprüche in Frage gestellt, die Velázquez anmeldete, da Cortés von Beginn an mehr beigesteuert habe als der Gouverneur, unter anderem sieben der zehn Schiffe. Überdies handele es sich beim neu entdeckten Land gar nicht um Yucatán, sondern um ein bislang völlig unbekanntes Gebiet. Der Briefbericht stellte Velázquez als habgierigen und rücksichtslosen Mann dar, dem es nur um den eigenen Nutzen, nicht aber um die Interessen der Krone oder seiner Untertanen gehe. Cortés dagegen wurde als umsichtiger und selbstloser, nur am Vorteil des Königs interessierter Anführer beschrieben, der das Wohl der Indigenen achte, mit denen er in Kontakt trete, der aber gleichzeitig auch mit aller Härte gegen deren ‹Götzendienst› und vor allem gegen die Menschenopfer vorgehe. Gerade um diese Praxis abzuschaffen, so der Bericht, sei die Eroberung und Christianisierung dieser Völker zwingend notwendig. Vor allem wurde der enorme Reichtum und die trotz der beschriebenen blutigen Praktiken hoch entwickelte Kultur dieses neuen Landes hervorgehoben, das sich mit nichts vergleichen lasse, was die Spanier bisher in den Indias gefunden hätten: «Nach unserer Auffassung gibt es in diesem Land ebenso viel [Schätze] wie in jenem, aus dem Salomon sich das Gold für den Tempel geholt haben soll.» Der Bericht enthielt zudem die Version, nach der die Mexica sich freiwillig unter die spanische Oberherrschaft gestellt hätten. All dies lässt darauf schließen, dass Cortés das Schreiben maßgeblich beeinflusste, wenn nicht sogar selbst verfasste.[63]

Die Schätze wurden für alle sichtbar auf dem Marktplatz von Villa Rica zusammengetragen. Der Wert der goldenen Gegenstände und Edelsteine war gewaltig, der der baumwollenen Kleidungsstücke, der Federarbeiten und anderer Kunstwerke ließ sich gar nicht schätzen. Auch einige der geheimnisvollen bebilderten Bücher wurden mitgeschickt. Sie gehören zu den wenigen Codices, die die Conquista überstanden haben. Insgesamt sollte damit der König einen Schatz von enormer Größe erhalten, der geeignet war, in Europa für Aufsehen zu sorgen. Cortés behielt jedoch insgeheim einiges vom Gewinn für sich zurück, wie der Historiker Henry Wagner schon 1942 herausgearbeitet hat.[64]

Am 26. Juli brachen Portocarrero und Montejo auf dem von Alaminos geführten Schiff Santa Maria de la Concepción mit den wichtigen Dokumenten, den Schätzen und sechs Einheimischen nach Spanien auf. Cortés gab dem Steuermann noch einige persönliche Briefe an seine Eltern mit, in denen er seinen Vater um die Vertretung seiner Interessen und die Unterstützung der Mittelsmänner bat. Gegen Cortés’ Weisungen beziehungsweise des Cabildo machte das Schiff Halt in Havanna, angeblich weil Montejo auf einem seiner nahe gelegenen Güter Proviant aufnehmen wollte. In Wahrheit wollte er Velázquez, dem er noch immer nahestand, warnen. Der Gouverneur versuchte sofort, das Schiff an der Weiterfahrt zu hindern, aber es hatte bereits die Bahamas passiert und war nicht mehr einzuholen. Alaminos hatte das Manöver durchschaut und noch rechtzeitig abgelegt.[65]

Anfang November 1519 trafen Cortés’ Prokuratoren in Sevilla ein und wurden keineswegs freundlich begrüßt. Der Buchhalter der Casa de la Contratación, der obersten Behörde für den Handel mit den Indias, beschlagnahmte den Goldschatz der Mexica. Rodríguez de Fonseca beschuldigte die Beauftragten und ihren Herrn, Cortés, den königlichen Gouverneur umgangen und damit gegen Recht und Ordnung verstoßen zu haben. Diese Anschuldigung war nicht zuletzt auf das Wirken von Velázquez’ Kaplan Benito Martín zurückzuführen, der das Vertrauen Fonsecas gewonnen hatte. Die Prokuratoren von Cortés, sein Vater Martín und Portocarrero, verstanden es aber, die Geldmittel geschickt einzusetzen, um ihrerseits eine Lobby für Cortés insbesondere in den Handelskreisen aufzubauen. Eine Ausstellung der Schätze aus dem Aztekenreich in Sevilla Ende 1519 tat das Ihre, um in Spanien wieder Euphorie für das Versprechen der Neuen Welt zu wecken. Fonseca sparte gegenüber dem Kaiser nicht mit Anschuldigungen gegen Cortés, doch dessen Unterstützer lancierten Gegendarstellungen. Dabei war ihnen vor allem Francisco Núñez, ein einflussreicher Höfling und Cousin von Hernán Cortés, behilflich. Der Kaiser schrieb ihnen sogar einen entgegenkommenden Brief und beorderte sie an seinen Hof, wo sie Anfang März 1520 eintrafen. Der Schatz und die Totonaken machten dort großen Eindruck. Erst Ende April wurden die Prokuratoren, die den Anlass zur Übergabe der verschiedenen Schreiben nutzten, aber auch die Gegner von Cortés vor dem Kronrat gehört, der mittlerweile in Santiago de Compostela weilte. Zu einer Entscheidung über den Status von Cortés kam es jedoch noch nicht und das Verfahren wurde vertagt. Als der Kaiser Richtung Deutsches Reich absegelte, führte er einen Teil des aztekischen Goldschatzes mit, der ihm helfen sollte, seine finanziellen Probleme zu lindern.[66]

In Totonacapan braute sich derweil bereits kurz nach der Abreise des Schiffs Ende Juli 1519 erneut Unruhe unter den Spaniern zusammen. Einige von Velázquez’ Anhängern sahen die letzte Gelegenheit gekommen, sich nach Kuba abzusetzen, ehe man ins Landesinnere aufbrach, und planten, ein Schiff zu stehlen. Das Vorhaben wurde verraten, und die Strafen, die Cortés verhängen ließ, waren drakonisch. Die beiden Anführer Pedro Escudero und Juan Cermeño wurden gehängt und dem Steuermann Gonzalo de Umbría die Zehen abgeschnitten. Einige einfache Seeleute verurteilte er zu je 200 Peitschenhieben. Andere Verdächtige, darunter Ordás und der Priester Díaz, verfolgte er dagegen angesichts der kritischen Lage seiner Truppe nicht mit derselben Härte. Gleichzeitig erließ er unter Androhung der Todesstrafe ein Verbot jeglicher Rückkehrversuche nach Kuba.[67]

Darüber hinaus berichtete bereits die Präambel der Eingabe des Cabildo an den König vom 10. Juli davon, dass Cortés einige seiner Schiffe auf Grund hatte setzen lassen, um zu verhindern, dass es zu Meutereien oder Fahnenflucht kam. Er hatte also die Umtriebe der Unzufriedenen bereits bemerkt oder geahnt. Nach dem Fluchtversuch ließ er auch die weiteren Schiffe seeuntüchtig machen. Die wertvollen Schiffsinstrumente und die Ausrüstung wurden in der Stadt unter Aufsicht von Juan de Escalante und der beiden neuen Bürgermeister Alonso de Ávila und Alonso de Grado, alles Parteigänger von Cortés, sicher verwahrt. Die Seeleute teilte der Generalkapitän als Fußsoldaten der Truppe zu. Zwar steigerte diese Maßnahme erneut den Unmut bei Teilen der Mannschaft, aber den Männern blieb nun keine andere Wahl. Der Marsch nach Tenochtitlan ließ sich nicht mehr aufhalten.[68]

Karte 6: Cortés’ Zug nach Tenochtitlan