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Tlaxcala

Die Zeit in Totonacapan hatte offenbart, dass sich zwischen Europäern und der einheimischen Bevölkerung wechselseitige Abhängigkeiten herausgebildet hatten, die beide Seiten jeweils zum eigenen Vorteil nutzen wollten. Für die Spanier waren die Allianzen von Beginn an von zentraler Bedeutung, weil sie nicht über ausreichend Truppen und Tross verfügten, um große Inlandszüge auf eigene Faust zu unternehmen. Für die Totonaken wiederum ergab sich daraus die Chance, die Vorherrschaft der Mexica in Frage zu stellen. Durch seine Erfolge im Umgang mit den Maya, Mexica und Totonaken neigte Cortés dazu, die eigene Stärke zu überschätzen. Ihm war wohl nicht klar, dass die Totonaken im Vergleich zu den Mexica über eine weitaus weniger schlagkräftige Armee verfügten. Allerdings blieb ihm auch keine andere Wahl, hatte er doch alle Brücken hinter sich abgebrochen. Er verließ sich auf die optimistischen Zusagen seiner neuen Verbündeten, die ihm vollmundig hunderttausend Krieger versprachen.[1] Auch die Erwartungshaltung der Totonaken war zweifellos groß. Die Fremden stellten eine Art Überraschungswaffe für sie dar, die vielleicht zumindest phasenweise auch übernatürliche Elemente in sich trug. Doch selbst damit konnte man das große Wagnis eines Zugs gegen Tenochtitlan nur dann eingehen, wenn die Bündnisse um weitere Partner erweitert werden konnten. Eine zentrale Rolle sollte dabei Tlaxcala spielen.

Der Beginn der Entrada

Vor dem Einmarsch ins Landesinnere, der Entrada, ließ Cortés seine Truppe zusammentreten und hielt eine Rede, um die Moral der Männer zu stärken. Er berief sich auf antike römische Vorbilder und erinnerte sie an ihre Verantwortung vor Gott und König. Schließlich machte der Generalkapitän deutlich, dass es keinen Weg zurück gab. Sein in schöne Worte gekleideter Appell lautete kurz gefasst: Siegen oder sterben. Laut Bernal Díaz habe ihm seine Armee «wie mit einer Stimme geantwortet, dass wir tun würden, was er befehle; die Würfel seien gefallen, wie Cäsar auf dem Rubikon gesagt habe.»[2] Danach regelte Cortés die Angelegenheiten der Garnison, deren Besatzung Vera Cruz halten sollte. Seinen engen Vertrauten Escalante wählte er zum Oberbefehlshaber und unterstellte ihm 150 Mann, die sich aus den weniger schlagkräftigen und kranken Soldaten zusammensetzten. Den Zurückbleibenden wurde die gleiche Beteiligung an der Beute zugesprochen und Cortés’ Anteil, ein Fünftel der Gewinne, was dem königlichen Fünften entsprach, fand ebenfalls noch einmal eine förmliche Bestätigung. Für die Spanier sollte die Garnison Rückzugsort und Wachtposten gegen von Velázquez entsandte Expeditionen gleichermaßen sein. So wurden auch die großen Geschütze zurückgelassen. Die Rolle der Totonaken blieb dabei von großer Bedeutung. Sie sollten nicht nur die Versorgung der Ortschaft sichern, sondern im Fall eines Angriffs die Spanier militärisch unterstützen. Dazu konnten im Notfall bis zu 20.000 Krieger mobilisiert werden.[3]

Ebenso wenig wie die Garnison konnte Cortés selbst auf die totonakische Unterstützung verzichten. Die indigenen Verbündeten stellten nämlich nicht nur eine große Zahl an Trägern, sondern eben auch Kämpfer zur Verfügung, die sich mit den Spaniern gemeinsam auf den Weg machten. Cortés war schon in Cempoala angekommen, als ihn eine Meldung erreichte, die seine Rückkehr nach Vera Cruz notwendig erscheinen ließ. An der Küste hatte man ein unbekanntes spanisches Schiff gesichtet, das einer kleinen Flotte unter dem Kommando von Alonso Álvarez de Pineda angehörte, der die nordamerikanische Küste von Florida bis zur Mündung des Mississippi erkundet hatte. Einige Besatzungsmitglieder, die teils mit List an Land gelockt worden waren, wurden gefangen genommen. Sie gaben an, das Land um Pánuco, Endpunkt der Reise Grijalvas, im Auftrag von Francisco de Garay, dem Vizegouverneur von Jamaika, der formell Velázquez unterstellt war, in Besitz zu nehmen. Letztlich gelang es Cortés nicht, das Schiff aufzubringen, das sich wieder von der Küste entfernte. Die Gefangenen integrierte Cortés in seine Truppe. Garays Ansprüche blieben zunächst ungeklärt und stellten eine latente Gefahr für den Generalkapitän dar.[4]

Abb. 7: Der Wert der indigenen Träger

Mitte August konnte die Entrada endlich beginnen. Ziel war die mit den Totonaken befreundete Stadt Tlaxcala, deren Bewohner zu den Todfeinden der Mexica zählten. Ein riesiger Tross – rund dreihundert Spanier, wahrscheinlich ca. 40.000 bis 50.000 Totonaken sowie zahlreiche Träger, die insbesondere den Transport der schweren Waffen übernahmen –, machte sich auf den Weg. Über Jalapa, Xicochimalco marschierten sie bis nach Ixhuacan, wo sie bei den dortigen Totonaken, die sich allesamt als Vasallen des Moteuczoma zu erkennen gaben, freundliche Aufnahme fanden. Südlich des Cofre de Perote mussten sie den beschwerlichen Weg über den von ihnen Nombre de Díos genannten Pass der Sierra Madre Oriental erklimmen. Die Landschaft war unwirtlich, das Klima wurde zunehmend rauer und die ungewohnte Kälte im Hochgebirge, das den Spaniern höher als alle heimischen Berge erschien, forderte ihren Tribut. Viele der völlig unvorbereiteten Taino-Sklaven erfroren oder starben an Auszehrung.[5]

Der weitere Marsch durch die menschenleere Ebene gestaltete sich entbehrungsreich, zumal man hier einen Umweg nach Norden nehmen musste, um einen Salzwassersee zu umgehen. Die Vorräte gingen zur Neige, drei Tage sollen die Männer gehungert haben. Durch die großen Strapazen, die schlechte Versorgung und die ständigen Klimawechsel musste Cortés erhebliche krankheitsbedingte Verluste unter seiner Mannschaft verkraften, ohne dass die Kämpfe schon richtig begonnen hatten.[6] Das Abenteuer wäre für die Spanier schon hier beendet gewesen, hätten sie nicht ihre totonakischen Führer gehabt. Schließlich erreichten sie die nächstgrößere Ortschaft, die Stadt Zautla, in der sie einen Zwischenhalt machten. Der dortige Herrscher Olintlece empfing sie freundschaftlich, stellte ihnen ein Quartier und Verpflegung. Als Cortés ihn fragte, ob er ein Vasall des Mexica-Herrschers sei, entgegnete Olintlece angeblich erstaunt: «Gibt es denn überhaupt irgendjemand, der nicht Sklave oder Vasall des Moteuczoma ist?»[7] Wie Cortés anmerkte, wollte er damit sagen, dass er den Tlatoani von Tenochtitlan für den Herrn der Welt hielt. Olintlece berichtete dem Generalkapitän von Moteuczomas enormer Macht, der jedes Jahr 20.000 Menschen opferte, und von der Größe, Pracht und Wehrhaftigkeit seiner Hauptstadt Tenochtitlan. Doch auch Olintlece selbst beeindruckte die Spanier mit seinem Reichtum. 5000 Krieger hatte er unter Waffen und es standen ihm zahllose Diener und Frauen zur Verfügung. Auf den Wunsch der Spanier nach Gold reagierte er ablehnend. Nur mit Zustimmung von Moteuczoma, so sagte Olintlece, würde er das Edelmetall für sie beschaffen.[8]

Es war deutlich, dass Cortés hier nicht mit derselben Aggressivität auftreten konnte wie in Cempoala. Zwar predigte er dem Herrscher vom Christengott und versuchte ihm die Macht seines Königs zu erklären. Doch sah er nach Rücksprache mit Pater Olmedo von einem erneuten Bildersturz wie in Cempoala ab, ja ließ nicht einmal ein Kreuz aufstellen, weil er nicht sicher sein konnte, dass dieses nach seinem Abmarsch nicht entweiht würde. Dass die Bewohner kein Interesse an einer Bekehrung hatten, bewies nicht zuletzt die enorme Größe des Tzompantli – Bernal will 100.000 Totenschädel gezählt haben –, die die Spanier erschreckte. Daher bereitete Cortés lieber den weiteren Marsch vor und schickte Boten mit Geschenken nach Tlaxcala, um sein Kommen anzukündigen. Angeblich empfahlen Olintlece und einige Anführer aus benachbarten Ortschaften den Spaniern, statt nach Tlaxcala direkt nach Cholula zu ziehen. Die Totonaken, die die Stärke der dortigen Mexica-Garnison kannten, lehnten das aber strikt ab und konnten sich durchsetzen.[9]

So marschierte die Truppe nach mehrtägiger Rast in Zautla weiter bis zum stark befestigten Ort Ixtacamaxtitlan. Die eindrucksvolle Bastion der Stadt löste bei den Spaniern erneut Staunen aus. Sie wurden sehr gastfreundlich bewirtet, obwohl auch diese Stadt Tenochtitlan tributpflichtig war. Letztlich zeigte sich daran, dass Moteuczoma eine neue Strategie anwendete, indem er die Spanier nun näher kommen ließ, um ihre Eigenschaften und vor allem ihre Schwächen näher zu erkunden. Ohne Nachricht von den eigenen Boten zogen diese jedoch schon bald weiter, bis sie auf eine wuchtige Grenzmauer stießen, die mehrere Kilometer breit und mehrere Meter hoch von einer Talseite zur anderen reichte. Gebaut hatten sie die Bewohner von Ixtacamaxtitlan, um sich gegen die Tlaxcalteken zu verteidigen, deren Gebiet auf der anderen Seite begann. Mit denen befanden sie sich fast ständig im Kriegszustand, weil Tlaxcala ein gefährlicher Feind der Mexica, ihrer Herren, war.[10]

Die Sonderrolle Tlaxcalas

Bei Ankunft der Spanier war Tlaxcala ein kleiner föderaler Militärstaat aus diversen ethnischen Gruppen, die Nahuatl sprachen und der chichimekischen Kultur angehörten. Die Abstammung von den Chichimeken und insbesondere deren Kämpfergeist deuteten die Tlaxcalteken positiv. In der göttlichen Rangfolge an erster Stelle stand der Kriegs- und Jagdgott Camaxtli. Die ritualisierten Menschenopfer und die Vorstellungen vom Kosmos teilten sie mit den Mexica.[11] Auf einer Höhe von rund 2000 Metern gelegen, waren große Teile des Gebiets gebirgig. Die Siedlungen konzentrierten sich auf drei Täler. Obwohl die Region nur rund einhundert Kilometer von Tenochtitlan entfernt lag und komplett vom Aztekenreich umschlossen war, konnte sich der Verbund wiederholt gegen den mächtigen Dreibund der Mexica durchsetzen und seine Unabhängigkeit bewahren. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt auf dem Territorium von Tlaxcala mit einer Ausdehnung von nicht mehr als 2500 km² zwischen 100.000 und 200.000 Menschen lebten.[12]

Zunächst im Schatten der großen Zeremonialzentren in Teotihuacan und Cholula entstand gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends im Süden der Region die Stadt Cacaxtla, die von Angehörigen der neu eingewanderten Olmeca-Xicalanca-Kultur bewohnt wurde. In dieser Zeit siedelten sich Otomí im Norden des Gebiets an. Während um das Jahr 1000 toltekisch-chichimekische Gruppen die Olmeken verdrängten, konnten sich die Otomí ihre relative Autonomie bewahren. Es entwickelte sich eine in viele kleine Machtbereiche einzelner Kaziken gegliederte politische Landschaft. Seit dem 13. Jahrhundert bildeten sich dann in der fruchtbaren Region am Zahuapan-Fluss die vier größeren Zentren Tepeticpac, Ocotelulco, Tizatlán und Quiahuiztlán heraus, die freundschaftliche Beziehungen zu den Otomí-Völkern im Norden pflegten. Im Nordwesten grenzte das Gebiet an das Zentraltal von Mexiko, im Süden an die Städte Huexotzinco und Cholula. Migrationen anderer Gruppen blieben an der Tagesordnung und führten zu Kriegen, jedoch auch zur Verschmelzung unterschiedlicher Ethnien. Trotz der Feindschaft zu den Nachbarn im Nordwesten und Süden erlebte Tlaxcala im 14. und 15. Jahrhundert eine Blütephase, die sich unter anderem am wachsenden Fernhandel ablesen lässt.[13]

Karte 7: Tal von Tlaxcala

Mit der Expansion des aztekischen Dreibunds sahen sich die Tlaxcalteken zunehmend in die Defensive gedrängt, sie verloren tributpflichtige Gebiete und wurden von ihren Handelswegen abgeschnitten. Den Mexica ging es um die Kontrolle der Verkehrswege zum Golf von Mexiko, die durch Tlaxcala führten. Außerdem betrachteten sie Tlaxcala als Reservoir für ihre Menschenopfer und als Feld für ihre militärischen Manöver. Zu diesem Zweck führten sie die Blumenkriege ein.[14]

Im späteren 15. Jahrhundert, als das durch innere Kriege geschwächte Huexotzinco dem Aztekenreich tributpflichtig wurde, wuchs der Druck auf Tlaxcala. So kam es dort zum Beispiel zu Versorgungsengpässen bei Salz und Zucker. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts führten die Mexica unter Moteuczoma II. zwar mehrere Eroberungsfeldzüge gegen die Tlaxcalteken, doch gelang es ihnen trotz der zahlenmäßigen Übermacht nicht, sich durchzusetzen. Die ständige Bedrohung und die militärischen Auseinandersetzungen hatten indes zur Folge, dass das ressourcenarme Tlaxcala verarmte und eine Belagerungsmentalität entwickelte, die sich unter anderem im aufwendigen Ausbau der Grenzbefestigungen mit Gräben und Mauern niederschlug.[15]

Städtebündnisse, die sich zu speziellen Verteidigungs- oder Eroberungszwecken schnell formierten und auch schnell wieder auflösten, waren im vorspanischen Mesoamerika keine Seltenheit. Anlass war oft ein Aufstand gegen die tyrannische Herrschaft anderer Städte.[16] Im Fall Tlaxcalas blieb der Verbund aber lange Zeit bestehen und schuf die Basis für eine Staatenbildung. Die Forschung hat jüngst herausgefunden, dass für die erstaunliche Beharrungskraft Tlaxcalas die Veränderungen im politischen System dieses Staats verantwortlich waren. Angesichts des äußeren Drucks konzentrierten die Tlaxcalteken die höchste exekutive Gewalt in einem Regierungsrat, der aus bis zu 100 Mitgliedern bestand. Diesem Rat stand die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Bildung von Bündnissen und die Absetzung von Amtsträgern zu. Der Zugang zu Ämtern wurde für alle sozialen Schichten geöffnet. Nach einem harten Initiationsritual konnten sogar Gemeine in den Adelsstand aufsteigen. Auch aufgrund besonderer Verdienste in Krieg, Religion oder Handel war der Aufstieg möglich. Landbesitz verknüpfte man mit dem Amt, das bei Versagen wieder entzogen werden konnte. Der Prunk der Adelsschicht wie in anderen mesoamerikanischen Gemeinwesen war in Tlaxcala weit weniger entwickelt.[17]

Durch die stärkere Betonung des Kults um Tezcatlipoca, den Gott der Nacht, bildete sich eine meritokratische und relativ egalitäre Ideologie heraus. Die Umverteilung bei staatlichen Fest- und Ritualpraktiken, die effektive Herstellung von öffentlicher innerer und äußerer Sicherheit, die Gleichbehandlung und der Ausbau von Infrastrukturen untermauerten diese Ideologie. Überdies wurden zunehmend neue ethnische Gruppen integriert. Auch die Gründung einer Zeremonialhauptstadt, Tizatlan (die spätere Stadt Tlaxcala), auf neutralem Grund diente dem stärkeren Zusammenhalt. Indem man auch den Oberhäuptern kleiner und von den Zentren entfernter Orte Zugang zum obersten Rat verschaffte, wuchs dort ebenfalls die Bereitschaft, für das Gemeinwesen zu kämpfen, was insbesondere das Beispiel der Otomí im Norden zeigte. Durch diesen Umbau gelang es dem Staat von Tlaxcala – trotz hoher Steuern und Dienstleistungsanforderungen an die Einwohner aus unterschiedlichen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen –, ein außergewöhnlich hohes Maß an Zustimmung zu erreichen und die eigene Unabhängigkeit erfolgreich zu verteidigen.[18]

Als die Spanier Anfang September 1519 an der Grenze zu Tlaxcala auftauchten, stellte sich die Frage, wie auf die Fremden zu reagieren war. Zu dieser Zeit regierten Maxixcatzin in Ocotelulco, Xicotencatl in Tizatlan, Tlehuexolotzin in Tepectipac und Citlapopoca in Quiahuiztlan. Sie empfingen Cortés’ Boten aus Cempoala im Regierungsrat und hörten sich an, was die Spanier von ihnen wollten. Der Generalkapitän ließ ausrichten, er komme im Namen des wahren Gottes und wolle den Tlaxcalteken beim Kampf gegen Moteuczoma helfen. Bei den anschließenden Beratungen zeigten sich unterschiedliche Ansichten. So forderte Maxixcatzin die Annahme des Friedensangebots, während vor allem Xicotencatls Sohn gleichen Namens, einer der wichtigen militärischen Befehlshaber, den Krieg favorisierte. Tlehuexolotzin hingegen sprach sich für eine variablere Taktik aus. Die Otomís sollten die Eindringlinge zunächst in Gefechte verwickeln. Sollten Sie gewinnen, hätte sich das Problem erledigt, falls nicht, könnte man immer noch verhandeln und den Otomís die Schuld für den Krieg geben.[19]

Von der Feindschaft zum Bündnis

Über das erste Zusammentreffen von Spaniern und Tlaxcalteken im September 1519 finden sich in den Quellen unterschiedliche Versionen. Nach den tlaxcaltekischen Berichten empfingen die Bewohner die Europäer freundlich. Allerdings entstanden diese Quellen nach Abschluss der Conquista, als die Tlaxcalteken darum bemüht waren, ihre privilegierte Sonderstellung als Verbündete der Spanier zu sichern.[20] Daher neigten sie dazu, die anfänglichen blutigen Auseinandersetzungen zu verschweigen, von denen wiederum die spanischen Chroniken und Berichte ausführlich erzählten. Grund für die zunächst abwehrende Haltung war die Tatsache, dass die Spanier in vielen Städten, die Moteuczoma, ihrem Todfeind, tributpflichtig waren, freundliche Aufnahme gefunden hatten und sogar einige von deren Kriegern in ihren Reihen hatten.[21]

Zunächst bekamen es die Totonaken und Spanier nur mit einer Vorhut der Tlaxcalteken zu tun. Die Bemühungen des Generalkapitäns, sie zu Verhandlungen zu überreden, schlugen fehl und wurden wohl auch gar nicht verstanden. So lockten die Tlaxcalteken die Fremden in einen Hinterhalt. Obwohl die spanischen Reiter sie durchaus schockten, schreckten sie davor nicht zurück, sondern töteten zwei Pferde. Die tlaxcaltekische Armee war mit ihren kriegsbemalten Kämpfern und dem fürchterlichen Kriegsgeschrei sehr wohl angsteinflößend, wie Bernal Díaz feststellte. Es kam zu einem heftigen Gefecht, bei dem schließlich der Einsatz der Artillerie den Ausschlag zugunsten der Europäer brachte. Auf einer Ebene lagerten sie und versorgten ihre Verwundeten. Bernal Díaz beschrieb die damals üblichen Methoden der Wundarznei: «Mit dem Fett eines dicken Indio, den wir dort getötet hatten und aufschnitten, versorgten wir die Wunden.»[22]

Der angebliche Verbündete, den die Totonaken den Spaniern versprochen hatten, entpuppte sich als starker Widersacher, der am nächsten Tag erneut zur Schlacht antrat. Wiederum mussten sich die Spanier und ihre indigenen Verbündeten einer tlaxcaltekischen Übermacht erwehren, die sie in einen Hinterhalt lockte. Bernal Díaz betonte, dass Cortés erneut das Requerimiento hatte verlesen lassen und auch sonst keinen Versuch ausließ, die Gegner an den Verhandlungstisch zu bringen, jedoch ohne Erfolg. Diese Zeilen wurden natürlich vor allem mit Blick auf die Wirkung bei Hofe geschrieben, um die Rechtmäßigkeit des spanischen Vorgehens gegen die Tlaxcalteken zu begründen. Laut Bernal hatte aber auch Cortés selbst in dieser Hinsicht Vorsorge getroffen, denn er wies den königlichen Schreiber Diego de Godoy an, alles genau zu notieren.[23]

Trotz der großen Gefahr, in der sich die Europäer und ihre Verbündeten befanden, konnten sie sich nicht zuletzt aufgrund der Überlegenheit der eisernen Waffen, der Reiterei, der Armbrüste und der Kanonen durchsetzen. Ein Tempel auf einem Berggipfel wurde nun zum Basislager ausgebaut, was jedoch Versorgungsschwierigkeiten nach sich ziehen sollte. Die spanischen Soldaten sollten sich hier abwechselnd erholen, während den indigenen Truppen keine Ruhepause gegönnt wurde. Über den Einsatz der den Spaniern zahlenmäßig überlegenen indigenen Verbündeten schweigen die europäischen Quellen ansonsten. In den Folgetagen zog Cortés mit seiner Truppe plündernd, brandschatzend und mordend durch die Gegend, um die Gegner durch Terror zu zermürben. Fünfzig Gefangenen ließ er die Hände abhacken und schickte sie zu den Ihren mit der Drohung zurück, alle umzubringen, wenn sie nicht endlich Verhandlungen aufnehmen würden.[24]

Doch auch diese Gräueltaten konnten den Kampfeswillen der Tlaxcalteken nicht brechen. Bei Tag und Nacht setzten sie ihre Attacken fort. Zwischendurch schickten sie wiederholt Abordnungen, die angeblich Geschenke brachten, jedoch eigentlich spionieren sollten, war man sich in Tlaxcala doch unsicher, mit wem man es eigentlich zu tun hatte. Diese Taktik zeigte auch die weiterhin bestehende Uneinigkeit im Lager der Tlaxcalteken über die richtige Vorgehensweise gegen die Spanier, was die gemischte Strategie aus Angriffen und Friedensbotschaften zumindest teilweise erklärt. Obwohl die eigenen Zauberer und Priester versichert hatten, es handele sich bei den Spaniern um gewöhnliche Sterbliche, blieben die wütenden Angriffe der Tlaxcalteken immer wieder erfolglos. Selbst ein von den Geistlichen empfohlener nächtlicher Großangriff führte zu nichts.[25]

Der geballten Feuerkraft der Spanier waren die Krieger schutzlos ausgeliefert. Ihre Angriffsweise in gedrängter und geschlossener Formation machte sie zu dankbaren Zielen für die spanischen Schützen, sodass die Verluste hoch waren. Auch im Nahkampf konnten sie mit ihren Obsidianschwertern, die beim Aufprall der Eisenwaffen schnell zerbrachen, wenig erwirken. Zwar fügten sie den Spaniern mit Pfeilen und Steinwürfen durchaus schmerzhafte Verwundungen zu, durch die viele Conquistadoren und Pferde ausfielen, eine entscheidende Wendung ließ sich aber nicht erzielen, denn die Spanier hatten trotz der intensiven Gefechte nur wenige Tote zu beklagen. Bereits Bernal Díaz fiel auf, dass die Tlaxcalteken im Kampf wenig diszipliniert waren. Vor allem fehlte die Abstimmung zwischen den zahlreichen unterschiedlichen Heerhaufen mit je eigenen Hauptleuten, die teilweise miteinander rivalisierten und wie im Fall der Truppen aus Ocotelolco sogar abzogen, wenn sie mit einer Entscheidung ihres Oberbefehlshabers Xicotencatl unzufrieden waren. Für die naheliegende Lösung, die Spanier zu belagern, fehlte dem indigenen Militär die notwendige Logistik.[26]

Auf der anderen Seite gestaltete sich die Lage für die verbündeten Spanier und Totonaken ebenfalls hochgefährlich. Vorräte und Munition waren nicht endlos vorhanden und die Tlaxcalteken zeigten im Gegensatz zu allen anderen indigenen Armeen, auf welche die Europäer bis dahin getroffen waren, keine Anzeichen, aufgeben zu wollen. In Tlaxcala traf Cortés erstmals auf einen militärisch starken indigenen Gegner, was ihn sichtlich überraschte. Hätte er vorher Erkundungen eingezogen, wäre er das Risiko wohl nicht eingegangen, sondern hätte die Region großräumig umgangen. Nun konnte er nicht mehr zurück, schon um vor seinen indigenen Verbündeten das Gesicht nicht zu verlieren. Unter seinen Männern machte sich jedoch Unmut breit, da die Übermacht der Feinde erdrückend schien und die Intensität der Kämpfe von Tag zu Tag zunahm. Die Versorgungslage war mittlerweile kritisch und die Kälte setzte den Männern so zu, dass der Großteil wenn nicht verwundet, so doch krank war. Eine Gruppe von Velázquisten unter dem Alcalde Mayor Alonso de Grado, der sich von Cortés abgewandt hatte, meldete sich zu Wort und forderte die Rückkehr nach Vera Cruz, um den Gouverneur um Hilfe zu bitten. Mit knapper Not konnte der Generalkapitän eine Meuterei vereiteln. Vor diesem Hintergrund sind seine Plünderungsaktionen als Beschaffungsunternehmungen zur Verproviantierung seiner Truppe, aber auch als Beschäftigungsstrategie für die Männer sowie als Zeichen der ungebrochenen eigenen Stärke gegenüber den Feinden zu sehen.[27]

In dieser Situation kam den Verbündeten das Glück zu Hilfe, denn die Tlaxcalteken lenkten plötzlich ein. Bei ihren internen Beratungen im Regierungsrat hatten sich die Stimmen durchgesetzt, die in den Spaniern einen nur unter hohen Verlusten zu überwindenden Feind erkannten. Damit hatte sich die Fraktion um Maxixcatzin von Ocotelulco gegen Xicotencatl den Jüngeren von Tizatlan durchgesetzt, der zur Fortsetzung des Kriegs gedrängt hatte. Die Gründe für diese Wende waren vielfältig. Erstens hatte man, was die militärische Schlagkraft anging, bereits starke Ausfälle zu beklagen, was zweitens eine Schwächung im permanenten Kampf gegen die Mexica bedeutete. Drittens reifte die Erkenntnis, dass die Spanier wegen ihrer überlegenen Waffen wertvolle Verbündete sein konnten, mit denen gemeinsam ein erfolgreicher Krieg gegen die Mexica denkbar war. Schließlich hatte Cortés in seinen Friedensangeboten wiederholt vorgeschlagen, ihnen Beistand gegen die aztekischen Unterdrücker leisten zu wollen. Die Tlaxcalteken glaubten nicht daran, dass es sich bei den Fremden um Götter handelte, wenngleich die Vorstellung einer temporären Verkörperung von Göttern die Entscheidung durchaus beeinflusst haben könnte.[28]

Laut Bernal Díaz gaben sich die Tlaxcalteken letztlich nur geschlagen, weil sie nicht ahnten, wie sehr die Spanier und ihre Verbündeten schon geschwächt waren, hatten sich bei den unterschiedlichen Gefechten doch fast alle Spanier und auch die meisten Pferde verletzt. Rund fünfzig Conquistadoren waren gefallen, was angesichts der Härte der Kämpfe relativ wenig war. Über die Zahl der Toten unter den Totonaken schwieg der Chronist. Man kann davon ausgehen, dass sie deutlich höher lag, weil die indigenen Verbündeten weniger gut geschützt waren und vom Oberbefehlshaber bewusst für riskantere Manöver eingesetzt wurden.[29]

Daher war die Erleichterung groß, als sich zunächst vier tlaxcaltekische Unterhändler mit einem ernsthaften Friedens- und Bündnisangebot näherten. Nach den spanischen Quellen entschuldigten sie ihren Widerstand mit der Annahme, sie hätten es mit Verbündeten ihrer Todfeinde, den Azteken, zu tun gehabt. Außerdem schoben sie die wiederholten Angriffe auf die Otomí. Durch diese Argumentation war es beiden Seiten möglich, das Gesicht zu wahren. Cortés reagierte angeblich mit Härte auf das Friedensangebot und verlangte die Anwesenheit der Herrscher selbst. Daraufhin kam eine größere Abordnung unter Xicotencatl dem Jüngeren, der sich der Entscheidung des Regierungsrats letztlich hatte beugen müssen. Die spanischen Quellen stellten dieses Zusammentreffen so dar, als hätten sich die Tlaxcalteken damit förmlich dem spanischen König unterworfen und ihm Vasallentreue geschworen.[30]

Cortés beabsichtigte daraufhin nach Tizatlan zu ziehen, aber aztekische Unterhändler, die sich während der Kämpfe bei seiner Truppe aufgehalten hatten, baten ihn um Aufschub. Rund eine Woche später, die Cortés zum Auskurieren der eigenen Krankheit nutzte, erhielten sie Antwort aus Tenochtitlan. Die Boten der Mexica, die mit großem Gefolge anrückten, brachten reiche Geschenke und wollten den Generalkapitän überreden, von einem Besuch bei den Tlaxcalteken abzusehen. Moteuczoma und seine Berater hatten erkannt, dass ein Bündnis der Fremden mit ihren Erzfeinden gefährlich werden konnte, und wollten dies unbedingt verhindern. Deshalb boten sie den Spaniern militärische Unterstützung gegen Tlaxcala an. Angeblich ließ Moteuczoma in diesem Zusammenhang sogar ausrichten, er sei ein treuer Vasall des spanischen Königs und zahle die geforderten Tribute. Dagegen spricht jedoch, dass er die spanische Hueste weiterhin von seiner Stadt fernhalten wollte. Cortés sah sich plötzlich in der komfortablen Situation, dass sowohl die Mexica als auch die Tlaxcalteken ihn umwarben. Er nutzte dies und verhandelte mit beiden Seiten.[31]

Den Tlaxcalteken gegenüber ließ Cortés sich bitten, obwohl sie seine Truppe seit dem ersten Friedensangebot bereits mit Lebensmitteln versorgten. Nach einigen Tagen erschienen sogar die alten Oberhäupter mit ihrem Hofstaat und Xicotencatl der Ältere appellierte an den Generalkapitän, die angebotene Gastfreundschaft anzunehmen. Sie wollten ihm darüber hinaus Lastenträger zur Verfügung stellen, um die Kanonen zu tragen. Cortés nahm das Angebot an und begab sich um den 20. September herum nach Tlaxcala. Um den Kontakt zu den Mexica nicht vollständig abbrechen zu lassen, forderte er, in Begleitung einiger der aztekischen Adligen kommen zu dürfen, während die anderen zu Moteuczoma zurückkehrten, um ihm Bericht zu erstatten. Der fürstliche Empfang in der Stadt Tlaxcala beeindruckte die Spanier. Um die Allianz zu untermauern, wurden ihnen reiche Geschenke gewährt und die Töchter von Adligen sowie Sklavinnen übergeben. Insgesamt soll es sich um dreihundert Frauen gehandelt haben, sodass fast alle Männer in den Genuss dieses ‹Geschenks› kamen. Auch die Stadt selbst machte einen sehr guten Eindruck. Laut Cortés übertraf sie Granada an Größe und Pracht. Vor allem die politische Ordnung hatte es ihm angetan, denn sie bewies die Vernunft der Einwohner. Ihn erinnerte dieses System an das der aristokratischen Stadtrepubliken Venedig, Genua oder Pisa. Dennoch sprach er Maxixcatzin wie einen Gesamtherrscher an und wertete ihn dadurch auf.[32]

Die Religionsfrage war weniger leicht zu klären. Folgt man den spanischen Quellen, so ermahnte Cortés auch die Tlaxcalteken, ihrem Glauben abzuschwören und den christlichen anzunehmen. Insbesondere die Menschenopfer und der rituelle Kannibalismus sollten eingestellt werden. Für die polytheistischen Tlaxcalteken war die Annahme neuer Götter keineswegs undenkbar. Den Verzicht auf die eigenen Götter allerdings konnten sie nicht akzeptieren. Einige Mitglieder der tlaxcaltekischen Aristokratie, mit denen die Spanier verhandelten, fürchteten einen Volksaufstand, andere wollten ihre jahrhundertealten Traditionen nicht einfach abwerfen. Wieder andere meinten, die neue Religion erst nach einer Lern- und Eingewöhnungsphase annehmen zu können. Cortés versprach, so bald als möglich Missionare zu ihnen zu schicken. Für die Zwischenzeit einigte man sich auf einen Kompromiss, denn eine Zwangschristianisierung kam angesichts des bevorstehenden Zugs nach Tenochtitlan auch aus Sicht des Priesters Olmedo nicht in Frage. So erhielten die Christen einen eigenen gereinigten Tempel, wo sie Kreuz, Marienstatue und Altar aufstellen und ihre religiösen Feiern begehen konnten. Die Töchter, die die Spanier als Geschenk bekommen hatten, wurden wieder zuerst getauft, bevor Cortés sie unter seinen Offizieren verteilte. Die Vornehmste, eine Tochter des Xicotencatl, gab er seinem Hauptmann Pedro de Alvarado.[33]

Dieser vermeintlich große Sieg über die Tlaxcalteken bestärkte Cortés in seiner Grundhaltung, die Macht der Azteken zu unterschätzen. Denn noch immer ließ Moteuczoma ihm Geschenke bringen, anstatt die Spanier anzugreifen. Diese abwartende Haltung war aus spanischer Sicht ein Beweis seiner Schwäche, die sich auch daran ablesen ließ, dass die Mexica Tlaxcala bisher nicht hatten erobern können. Die Praxis der Blumenkriege war Cortés ebenso unbekannt wie die Tatsache, dass die Geschenke keineswegs nur als Zeichen der Unterwerfung verstanden werden konnten, sondern als Beweis des enormen Reichtums und damit auch der Macht der Mexica. Immerhin lernte der Generalkapitän aus den heftigen Gefechten mit den Tlaxcalteken, dass er mehr indigene Unterstützung benötigte, wenn er seine Ziele durchsetzen wollte. Im Gegensatz zu seinem Zug gegen Tlaxcala, bei dem die Anzahl der totonakischen Verbündeten noch relativ klein war, sollte Cortés in Zukunft mit Armeen in den Kampf ziehen, in denen nur höchstens zehn Prozent der Kämpfer Spanier waren.[34]

Die tlaxcaltekische Sicht des Kontakts mit den Spaniern, der ihre weitere Existenz so entscheidend verändern sollte, unterschied sich erheblich von der der Spanier. Erst nachdem das Bündnis mit den Spaniern geschlossen war, verbreiteten Tlaxcalteken die Version, dass die Spanier unbesiegbare Götter seien. Auf diese Weise wollten sie die eigene Politik begründen, die Mexica einschüchtern und neue Verbündete anlocken. Der sogenannte Lienzo de Tlaxcala, dessen nicht mehr erhaltenes Original lange nach der Conquista entstand, erzählt auf einer fünf mal zwei Meter großen Leinwand die Geschichte in Bildern. In chronologischer Abfolge wurde hier die Begegnung mit den Spaniern geschildert. Es handelte sich um eine hybride Darstellung, die zeigt, dass die Indigenen es sehr gut verstanden, die Geschichten der Spanier zu vereinnahmen und auf eigene Weise und zum eigenen Nutzen darzustellen. Die anfänglichen Kämpfe fanden hier keine Erwähnung. Stattdessen betonte die Quelle die freundliche Aufnahme der Spanier, die sich immerhin rund drei Wochen in ihrer Stadt ausruhen sollten, sowie die frühe Akzeptanz des Christentums mit dem Hintergrund, sich selbst als christliche Conquistadoren darstellen zu können. Überdies werden die militärischen Dienste beschrieben, die Tlaxcala den Spaniern in der Folgezeit leistete.[35]

Abb. 8: Malinche im Lienzo de Tlaxcala

Auffällig ist, wie häufig Malinche im Codex abgebildet wird. Bernal Díaz berichtete, dass die Tlaxcalteken Cortés mit dem Namen Malintzin/Malinche anredeten. Sie war die Zunge, durch die der Spanier zu ihnen sprach und genoss daher großes Ansehen.[36] Da die Quelle nach der Christianisierung entstand, ist wohl anzunehmen, dass die Tlaxcalteken Malinche als menschgewordene Verkörperung in die Nähe der Gottesmutter Maria rückten, die den Schlachtensieg gewährleistete. Überhaupt waren Frauen – auch die verschenkten – in den frühen Darstellungen der Tlaxcalteken oft zu sehen. Frauen und Töchter zu verschenken, entsprach einer mesoamerikanischen Tradition, die ihr Pendant in der adligen Heiratspolitik im Europa der damaligen Zeit hatte. Damit wollten die Tlaxcalteken die Dauerhaftigkeit der Bande zu den Spaniern versinnbildlichen. Gleichzeitig ging es ihnen darum, den eigenen Status als freiwillige und nicht unterworfene Verbündete zu dokumentieren und für zukünftige Generationen durch gemeinsame Kinder abzusichern.[37]

Nicht nur durch das Verschenken der Frauen zeigte sich die Kontinuität der indigenen Politik, die durch das Auftauchen der Spanier nicht gebrochen wurde. Auch die Form der Bündnispolitik, die schon der «fette Kazike» von Cempoala vorgeschlagen hatte, um Tenochtitlan zu erobern, folgte diesem Schema. So wurden die Bündnisse der Spanier mit Cempoala, Tlaxcala und später noch anderen Stadtstaaten in rascher Folge abgeschlossen, was typisch für ganz Mesoamerika war. Die Tatsache, dass die Tlaxcalteken um das Abkommen baten, nachdem sie sich militärisch nicht hatten durchsetzen können, folgte den üblichen Gebräuchen. Wie die Krieger aus Cempoala wurden nun die Tlaxcalteken in das Bündnis integriert und zogen unter eigenem Oberbefehl mit. Das sprungbrettartige Vorstoßen von Stadt zu Stadt passte ins gewohnte Bild. Auch in der Folgezeit sollte diese Taktik bei der Eroberung Mesoamerikas immer wieder angewendet werden, mit dem einzigen Unterschied, dass sich nun die Fremden daran beteiligten. Die Spanier waren somit zu einem Bestandteil einer von indigenen Praktiken durchzogenen Welt geworden, ohne dass ihnen das selbst bewusst gewesen wäre.[38]

Die in der Forschung oft diskutierte Frage, warum sich ein Staat wie Tlaxcala mit den Spaniern verbündete – die nationalistische Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verdammte dies manchmal gar als Verrat –, stellt sich vor diesem Hintergrund anders. Die Dichotomie von Europäern und Indigenen, wie sie die Spanier empfanden, gab es für die Einheimischen nicht in derselben Form. Natürlich erkannten sie die großen Unterschiede, jedoch war ihre eigene Welt keineswegs homogen. Mesoamerika bestand vielmehr aus vielen kleinen miteinander konkurrierenden Einheiten, die auch intern ethnische Unterschiede aufwiesen. Bündnisse mit fremden Eindringlingen stellten in einer Welt kultureller Heterogenität keine Ausnahme und schon gar keinen Verrat, sondern den Normalfall dar, ging es doch um nicht weniger als das eigene Überleben.

Das Blutbad von Cholula

Das Bündnis zwischen Tlaxcalteken, Spaniern und Totonaken schien allen Beteiligten zum Vorteil zu gereichen. Gemeinsam stellten sie nun eine schlagkräftige Armee, die dem ärgsten Feind Tlaxcalas und Cempoalas die Stirn bieten konnte. Aus Sicht der Spanier zeigten sich die Vorteile ebenfalls überdeutlich. Nicht nur als Krieger, sondern auch als Tross, als Köche, Bäcker, Diener, Pfadfinder, Spione, Dolmetscher und Konkubinen bildeten die indigenen Partner eine willkommene Verstärkung. Da es keine Lasttiere gab, blieb ihre Arbeit als Träger unverzichtbar. Wichtig waren darüber hinaus die Nachrichtenläufer. Durch sie konnten die Spanier das Kommunikationsnetz der Mexica fast nahtlos übernehmen. Die enorme Bedeutung der Dolmetscher, insbesondere Malinches, hatte der Umgang mit den Tlaxcalteken erneut derart eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Bernal Díaz regelrecht ins Schwärmen geriet.[39]

Angesichts dieser günstigen Wendung bestand kein Zweifel, dass der Weg nun nach Tenochtitlan führen sollte. Dennoch hielten die Spanier zuvor noch einen Kriegsrat mit allen Teilnehmern der Hueste ab, den der Generalkapitän nutzte, um die Truppe fest hinter sich zu scharen. Sodann galt es die Route festzulegen. Als eine neue Gesandtschaft Moteuczomas mit wertvollen Geschenken eintraf und den Weg über die Stadt Cholula empfahl, die mit den Mexica befreundet war, rieten die Tlaxcalteken genau wegen dieser Freundschaft von dieser Strecke ab, weil sie befürchteten, dort in einen Hinterhalt zu geraten. Stattdessen schlugen sie vor, über das mit ihnen alliierte Huexotzinco zu ziehen. Cortés jedoch, der seine Taktik weiterverfolgte, mit beiden Seiten im Gespräch zu bleiben, entschied sich für Cholula, weil der Marsch dorthin weniger beschwerlich war und weil er hoffte, die Stadt ebenfalls zur Verbündeten zu machen, um die Nachschublinie frei zu haben. Die tlaxcaltekischen Anführer wollten ihm daraufhin eine große Schutztruppe mitgeben.[40]

Während sich die Streitmacht noch auf den Marsch vorbereitete, ließ Cortés seine Hauptleute Pedro de Alvarado und Bernardino Vázquez de Tapia mit einem Teil der aztekischen Gesandtschaft nach Tenochtitlan ziehen, um Informationen aus erster Hand zu bekommen. Weil es sich dabei um ein riskantes Unternehmen handelte, mussten sie ihre Pferde zurücklassen und zu Fuß gehen. Vázquez de Tapia beschrieb den mühevollen und gefährlichen Weg, auf dem es immer wieder zu Gefechten kam. Die Mexica trieben ihre spanischen Begleiter zur Eile an, zogen und trugen sie sogar. So kamen sie bis nach Texcoco am östlichen Ufer des gleichnamigen Sees, von wo aus sie in der Ferne das mächtige Tenochtitlan sehen konnten. Dorthin hatte Moteuczoma eine Delegation aus sieben hohen Würdenträgern geschickt, darunter sein Sohn Chimalpopoca und sein Bruder Cuitláhuac. Alvarado und Vázquez übergaben Geschenke und machten deutlich, dass ihr Generalkapitän Moteuczoma zu sehen wünschte, doch die Mexica gaben den beiden Spaniern zu verstehen, dass man sie nicht zu Moteuczoma und auch nicht in die Stadt lassen würde, woraufhin sie umkehren mussten. Immerhin brachte die Exkursion Kenntnis von den Wegen ins Tal von Mexiko.[41]

Gegenüber Cholula traten die Verbündeten aggressiv auf. Nachdem sie eine Abordnung hoher Würdenträger gefordert hatten, aber nur unwichtige Personen als Gesandte nach Tlaxcala gekommen waren, verstärkten sie den Druck. Ultimativ verlangten sie von den Herrschern der Stadt, binnen dreier Tage zu erscheinen, sonst würde Cholula als offen rebellisch angesehen und entsprechend bestraft werden. Währenddessen intrigierten die tlaxcaltekischen Anführer weiter gegen die Nachbarstadt und streuten das Gerücht, dass man dort einen Hinterhalt vorbereite. Laut López de Gómara ließ Cortés sogar einen tlaxcaltekischen Hauptmann erdrosseln, der mit Cholula gemeinsame Sache gemacht hatte. In diesem Klima der Verdächtigungen fand sich die Abordnung hoher Würdenträger in Tlaxcala ein. Diese gaben an, aus Furcht vor den Feinden zuvor nicht erschienen zu sein und waren, folgt man Cortés, sogar bereit, sich dem spanischen König als Vasallen zu unterwerfen, was sogleich notariell bestätigt wurde. Außerdem luden sie die Spanier ein, in ihre Stadt zu kommen.[42]

In Cholula wurde den Spaniern, nachdem sie auf Wunsch ihrer Gastgeber den Großteil ihrer Verbündeten vor den Toren der Stadt zurückgelassen hatten, Mitte Oktober ein festlicher öffentlicher Empfang zuteil, der wie immer von einem Räucherritual begleitet wurde. Die Stadt am Fuß der Vulkane Popocatépetl und Iztaccíhuatl blickte auf eine tausendjährige Geschichte zurück und war schon zu Zeiten Teotihuacans ein wichtiges geistliches Zentrum für die gesamte Region. Adlige aus umliegenden Stadtstaaten kamen dorthin, um Symbole ihrer rechtmäßigen Herrschaft in Empfang zu nehmen. Spanische Chronisten vergleichen die Stadt daher auch mit Rom oder Mekka. Neben einer großen Anzahl von Tempeln gab es dort die dem Gott Quetzalcoatl gewidmete große Pyramide, die vom Volumen her die größte der Welt war. Der Conquistador Andrés de Tapia berichtete später, Quetzalcoatl sei der mythische Gründer der Stadt gewesen, der die Menschenopfer dereinst verboten habe und dessen Rückkehr man erwarte. Ob Cholula tatsächlich tributpflichtig gegenüber Tenochtitlan war oder ob es sich um eine bewusste Fehlinformation der verfeindeten Tlaxcalteken handelte, ist umstritten. Wenn es so war, dann bestand sie noch nicht lange, vermutlich erst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.[43]

Laut Darstellung der spanischen und der tlaxcaltekischen Quellen trübte sich der erste Eindruck allerdings schnell. Nach zwei Tagen in der Stadt soll die Versorgung der Gäste merklich nachgelassen haben und dann sogar ganz eingestellt worden sein. Die Verantwortlichen schoben dies auf den Mangel an Vorräten. Beobachter wie unter anderem Alvarado, der auf seinem Marsch nach Tenochtitlan bereits durch die Stadt gekommen war, erkannten angeblich Anzeichen eines Hinterhalts. So habe Moteuczoma große Truppenverbände geschickt, die sich nahe der Stadt versammelten, um die Fremden zu vernichten. In der Stadt seien Barrikaden und Fallgruben angelegt sowie Wurfgeschosse auf den Hausdächern platziert worden. Zudem sollen wohlgesinnte Cholulteken die Spanier durch Malinche vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt haben, was die daraufhin gefangenen hochgestellten Geiseln bestätigten, sich aber darauf beriefen, auf Befehl Moteuczomas gehandelt zu haben.[44]

Die Spanier und ihre Verbündeten entschieden sich jedenfalls für einen Präventivschlag. Auf dem Hauptplatz Cholulas, den man zuvor abgeriegelt hatte, rief Cortés die Autoritäten der Stadt zusammen, die sich unbewaffnet einfanden. Im Folgenden kam es zu einem mehrstündigen Massaker, bei dem Frauen und Kinder nicht verschont wurden. Mehrere tausend Menschen sollen dabei umgekommen sein. Die herbeigerufenen Tlaxcalteken beteiligten sich an dem blutigen Gemetzel. Sie sollten auch an den darauffolgenden Tagen weitermorden, während die Spanier die Stadt plünderten und die Tempel niederbrannten. Das Blutbad konzentrierte sich vor allem auf die Stadtviertel, in denen der Adel und die hohen Priester wohnten, sowie auf die Mexica-Kolonien. Andere Bezirke blieben demgegenüber verschont, was dafür spricht, dass die Stadt in verschiedene Lager gespalten war, wie schon Cervantes de Salazar berichtete. Das Lager, das mit den Mexica sympathisiert und die Stadt regiert hatte, wurde erbarmungslos umgebracht. Als neuer Bündnispartner bot sich dagegen die Opposition an, die vor der Unterwerfung durch Moteuczoma die Geschicke der Stadt bestimmt hatte und mit den Tlaxcalteken verwandt und verbündet gewesen war. Tatsächlich ließ Cortés diese Adligen am Leben und nahm ihre Unterwerfung unter den spanischen König gnädig an. Seinen eigenen, wenig glaubwürdigen Worten zufolge war die Stadt «nach den fünfzehn oder zwanzig Tagen, die ich dort verbrachte, wieder so friedlich und bevölkert, als ob niemand gefehlt hätte».[45]

Ob sich die Verschwörung von Cholulteken und Mexica wirklich so zugetragen hat, ist in der Forschung nicht unumstritten. Der Historiker Ross Hassig glaubt nicht daran, sondern hält diese Version für eine von Cortés erfundene Legende, um seine Brutalität nachträglich zu rechtfertigen. Wie schon zuvor in Tlaxcala könnte es Cortés’ Kalkül gewesen sein, durch Terror ein Exempel zu statuieren, um die Nachbarorte zur widerstandslosen Unterwerfung zu bewegen. Die spanischen Augenzeugenberichte bestätigen dagegen die Version des indigenen Komplotts. Dafür spricht, dass die Spanier in der für sie gefährlichen Situation in Cholula eigentlich kein Interesse an einer kriegerischen Auseinandersetzung haben konnten. Schließlich wollten sie ja auf dem schnellsten Weg nach Tenochtitlan und als Befreier auftreten. Zweifellos war Cortés auch der Überzeugung, dass sein Handeln einem «gerechten Krieg» gegen Aufständische entsprach, die die spanische Oberhoheit nicht anerkennen wollten.[46]

Letztlich kam das Ergebnis des Massakers vor allem den Interessen der Tlaxcalteken entgegen. Die Spanier hatten sich als zuverlässige Verbündete erwiesen. Für Maxixcatzin ging der Wunsch in Erfüllung, dass in Cholula die alte Herrscherfamilie, mit der er verwandt war, wieder an die Macht kam. Die Tlaxcalteken gewannen dadurch einen strategisch wichtigen Verbündeten zurück, nachdem sie an ihren Feinden Rache genommen und außerdem viele Gefangene zu Opferzwecken gemacht hatten. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Tlaxcalteken das Massaker entweder selbst auslösten oder aber die Spanier dazu anstifteten.[47]

Der Marsch über die Berge

Als Moteuczoma von seinen Abgesandten, die das Morden in Cholula miterlebt hatten, von dem Massaker erfuhr, reagierte er angeblich mit Verzweiflung. Cortés ließ ihm ausrichten, dass die Cholulteken ihn als den Anstifter der Verschwörung beschuldigt hatten. Zweifellos wirkte Cortés’ Wunsch, nach Tenochtitlan zu kommen, um den Tlatoani von Angesicht zu Angesicht zu sehen, auf Moteuczoma bedrohlich. Sogleich schickte der Tlatoani Boten mit reichlich Gold, Kleidung und Lebensmitteln zu den Spaniern zurück und bat um Entschuldigung. Seine Befehlshaber vor Ort hätten mit den Cholulteken gemeinsame Sache gemacht. Außerdem versuchten die Boten im Namen Moteuczomas die Spanier von einem Weitermarsch nach Tenochtitlan abzubringen, weil die Stadt Not leide. Dafür versprach der Herrscher, die Spanier aus der Ferne zu versorgen. Erst als Cortés mit Hilfe eines weiteren Boten mitteilte, dass er keineswegs gewillt sei, den Befehl seines königlichen Auftraggebers zu missachten, lenkte Moteuczoma ein. Dieses Einlenken war zweifellos auf den großen Druck zurückzuführen, den die Mexica angesichts der Entwicklungen in ihren Provinzen spürten. Dass man die Einladung keineswegs aus voller Überzeugung ausgesprochen hatte, sollte sich bald zeigen.[48]

Noch während des Aufenthalts in Cholula schickte Cortés einige Männer unter Führung von Ordás aus, um den Aufstieg zum Popocatepetl zu erkunden. Sie kamen zwar nicht ganz bis zum Gipfel, konnten aber den aktiven Vulkan bewundern und das Hochtal von Mexiko auf der anderen Seite des Gebirges sehen. Ordás schien es, als habe er «eine weitere neue Welt» gesehen.[49] Der Generalkapitän war mit dem Rest der Truppe Ende Oktober oder Anfang November bereits aufgebrochen und hatte sich für die schwierige Route zwischen dem Popocatepetl und dem Iztaccíhuatl entschieden, über den rund 3700 Meter hoch gelegenen Pass, der heute seinen Namen, Paso de Cortés, trägt. Die Tlaxcalteken hatten zu diesem Weg geraten, da die Nordroute direkt ins Gebiet von Texcoco führte, wo man Moteuczoma bedingungslos unterstützte. Im Süden dagegen lag der erst in den 1460er-Jahren nach langen Blumenkriegen eroberte Stadtstaat von Chalco, der zwar von aztekischen Gouverneuren regiert wurde, aber mit dieser Situation sehr unzufrieden war. Überhaupt hatte die Bedeutung der rund eintausend tlaxcaltekischen Verbündeten, die durch Männer aus Cholula ergänzt wurden, zugenommen, nachdem sich die Totonaken nach den strapaziösen Märschen in ihre Heimat verabschiedet hatten, nicht ohne von Cortés reich beschenkt worden zu sein.[50]

Zunächst erreichten die Verbündeten Calpan, wo Abgesandte aus Huexotzinco erschienen, die mit den Tlaxcalteken befreundet waren, ebenfalls Truppen für den Zug des Cortés abstellten und ihnen Ratschläge für ihre Route gaben. An einer Weggabelung sollten die Truppen den überwucherten Pfad nehmen, da es sich um eine Falle der Mexica handelte, die ihnen auf dem anscheinend frei begehbaren Weg auflauerten. Die Expedition folgte dem Rat und legte auf dem Marsch durch das eisige und schneebedeckte Hochgebirge und bei den Ruhepausen besondere Aufmerksamkeit an den Tag, da jederzeit mit einem Angriff zu rechnen war. Schließlich erreichten sie das Territorium Chalcos, wo sie die ihnen bereits bekannten Klagen über das aztekische Joch und die hohen Tributforderungen anhörten.[51]

Moteuczoma hatte inzwischen eine Gesandtschaft mit großem Gefolge – darunter einige Zauberer – unter der Führung des hohen Fürsten Tziuacpopocatzin losgeschickt, um die Fremden von ihren Plänen abzubringen. Unter den wertvollen Geschenken, die sie mitbrachten, waren ein Goldbanner, ein Banner aus Quetzalfedern und eine goldene Halskette. Den Moment, in dem die Schätze den Spaniern übergeben wurden, beschreibt der Codex Florentinus:

Und als sie es ihnen gegeben hatten, lachten die Spanier über das ganze Gesicht, freuten sich sehr, wie Affen griffen sie nach dem Golde, ihr ganzes Herz richtete sich gleichsam darauf, ihr Herz war gleichsam blank, ihr Herz war gleichsam frisch. Denn danach dürsten sie sehr, sie verlangen danach, hungern danach, suchen das Gold wie die Schweine und die goldene Fahne schwenken sie hin und her, prüfen sie, wie sie gleichsam eine unverständliche Sprache spricht, was sie in unverständlicher Sprache spricht.[52]

Tziuacpopocatzin hatte prächtige Gewänder angelegt, um den Spaniern vorzugaukeln, er sei Moteuczoma. Doch ließ Cortés sich dadurch nicht täuschen, weil seine indigenen Verbündeten ihn über das Manöver aufklärten. Wie der Codex Florentinus berichtet, lachten die Spanier den Gesandten aus und gaben ihm drohend auf den Weg mit, Moteuczoma könne sich nun nicht mehr vor ihnen verstecken.[53]

Abb. 9: Die Boten des Moteuczoma aus Sahagún

Auch den Zauberern Moteuczomas gelang es nicht, die Spanier aufzuhalten. Sie erzählten dem Tlatoani nach ihrer Rückkehr von einer Vision. Demnach waren sie angeblich einem betrunkenen Mann begegnet, der den Herrscher anklagte und sagte: «Was steht ihr hier unnütz? Es wird niemals mehr ein Mexiko geben. Es ist ein für alle Mal aus.»[54] Als sie sich umschauten, hätten sie alle Tempel und Häuser Mexikos brennen sehen. Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, wissen wir nicht. Folgt man Sahagún, so löste das gescheiterte Täuschungsmanöver in der Hauptstadt große Sorge aus.[55]

Die Spanier und Tlaxcalteken ließen sich nicht aufhalten, sondern erreichten nach ihrem Abstieg aus dem Gebirge die Stadt Amacameca, wo sie sich einige Tage aufhielten und sehr gastfreundlich versorgt wurden. Cortés beschreibt in seinem Bericht, dass er dennoch auf der Hut sein musste, waren sie doch nun in Feindesland. Der Ort wurde von einem Verwandten Moteuczomas regiert und überall lauerten Spione. Doch auch dort klagten die Einwohner angeblich über die Tributeintreiber aus Tenochtitlan. Danach zog die Armee weiter in die Stadt Chalco, die direkt am Seeufer lag. Hier wiederholten sich die Beschwerden, woraufhin Cortés erneut Hilfe versprach.[56]

Laut Sahagún verdüsterte sich die Stimmung in Tenochtitlan derweil zusehends. Die Straßen waren wie ausgestorben und die Bewohner hatten großer Angst. Im Kronrat soll es Stimmen gegeben haben, die für ein militärisches Vorgehen plädierten, was Moteuczoma aber verwarf. Inwiefern die Erzählung hier wiederum versucht, den Tlatoani im Nachhinein als zaudernden Sündenbock hinzustellen, der allein am Untergang des Reichs schuld war, ist unklar. Ein weiteres Mal schickte der Herrscher vier hohe Adlige, die mit einer Mischung aus Versprechungen und Drohungen versuchen sollten, die Verbündeten von ihrem Marsch in die Hauptstadt abzuhalten. Angeblich versprach Moteuczoma den Fremden sogar Tributzahlungen, wenn sie nur fortblieben. Die Verbündeten zogen jedoch unbeeindruckt weiter. Als sie sich über Ayotzingo Tenochtitlan näherten, kam ihnen eine weitere Abordnung, angeführt von Cacama, dem Herrscher von Texcoco und Neffen Moteuczomas, entgegen, um ihnen Geleit zu geben. Über die kleine Ortschaft Mixquic gelangten sie nach Culhuacan. Das letzte Stück Wegstrecke führte die Armee, die mittlerweile von hunderten Mexica – Würdenträgern und Schaulustigen – begleitet wurde, bis nach Itztapalapa, wo sie der Stadtherrscher, Moteuczomas Bruder Cuitlahuac, und weitere Adlige empfingen. Cortés und seine Hauptleute wurden in prunkvollen Palästen untergebracht und bewunderten die Baukunst ihrer Gastgeber. Eine Nacht sollten sie dort ruhen, danach war der Einzug nach Tenochtitlan vorgesehen. Fast hatten sie ihr Ziel erreicht.[57]

Abb. 10: Der Aufmarsch der Spanier

Die Spanier hatten schnell gelernt. Sie waren als fremder, aber durchaus integrierbarer Faktor in eine Welt aus Bündnissen eingedrungen, in der Über- und Unterordnung beständig neu ausgefochten wurde. Durch das Schmieden von Allianzen wurden sie Bestandteil dieser Welt. Totonaken und Tlaxcalteken zogen mit den Spaniern, weil diese ihnen für die Verfolgung eigener Ziele nützlich waren. Das beweist nicht zuletzt das Massaker von Cholula. Für Cortés heiligte der Zweck die Mittel. Folgt man den spanischen Quellen, so verwendete er klassische Methoden der damaligen Staatskunst, um seine Ziele durchzusetzen. Seine Strategie, den Gegner im Unklaren zu lassen, verfeindete indigene Gruppen gegeneinander auszuspielen und dann wieder miteinander zu versöhnen und hinter sich zu scharen, war bisher aufgegangen. Die Fälle waren im Einzelnen sehr unterschiedlich, doch die Spanier konnten die schwelenden ethnischen Konflikte immer zu ihren Gunsten nutzen, wobei ihnen auch das Glück zur Seite stand. Ihre Gewinne sicherten sie durch die Nutzung von Quellen traditioneller Legitimität ab, indem sie scheinbar Verbindungen mit adligen indigenen Frauen eingingen und gefügige Unterherrscher einsetzten. Die schwierigste Prüfung stand ihnen jedoch noch bevor.