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Tenochtitlan

Die Haltung der Mexica und ihres Herrschers war seit Beginn der spanischen Entrada alles andere als unzweideutig. In diesem Punkt sind sich die europäischen und die oft von diesen beeinflussten indigenen Quellen einig. Die Maßnahmen Moteuczomas und seines Kronrats schwankten zwischen Drohungen und Willkommensgeschenken, zwischen Hinterhalt und Eskorte. Zweifellos ist dieser Wankelmut auf die Unsicherheit zurückzuführen, die die Nachrichten von den immer näher kommenden Fremden und ihren indigenen Verbündeten auslösten. Vor den Tlaxcalteken, Cholula, Huexotzinca und Totonaken mussten sich die Mexica nicht fürchten. Die Spanier hingegen stellten das beunruhigende Element dar, ein Element, das Fragen aufwarf, die die Ordnung des Kosmos betrafen. Durch Spione und das bestens funktionierende Nachrichtensystem immer auf dem neuesten Stand, mussten die Machthaber in Tenochtitlan entscheiden, wie sie mit diesen Fremden umgehen wollten, die mit ihren gewaltigen Waffen und Tieren eine unbekannte militärische Schlagkraft entfalten konnten, sich weder durch gute Worte noch durch Zauber von ihrem Vorhaben hatten abbringen lassen und nun vor ihren Toren standen.

Cortés trifft Moteuczoma

Schenkt man den Quellen Glauben, so traf der Tlatoani in diesem kritischen Moment eine Entscheidung, die sich im Nachhinein als folgenschwerer Fehler herausstellen sollte: Er ließ die Armee am 8. November 1519 unbehelligt in die Stadt einziehen. Über diesen Einzug gibt uns der Florentiner Codex so detailliert Auskunft, dass man wohl von der Anwesenheit des von Sahagún befragten Mexica bei dem Ereignis ausgehen kann. Demnach bildeten vier Reiter und die schwer keuchenden Hunde die Spitze des Zugs. Es folgte der Bannerträger, der seine Fahne schwenkte. Danach kamen spanische Infanteristen mit gezogenen und in der Sonne glänzenden Eisenschwertern. Weitere Berittene in voller Rüstung auf wiehernden, geifernden und laut trampelnden Pferden folgten, hinter ihnen die Armbrustschützen und Arkebusiere jeweils mit geschulterten Waffen. Den Abschluss der Spanier bildete Cortés mit seinen höchsten Offizieren natürlich hoch zu Ross. Als Letzte erschienen die indigenen Verbündeten, die teils bewaffnet waren, teils Lasten trugen oder die Kanonen zogen und dabei wildes Kriegsgeschrei von sich gaben.[1]

Abb. 11: Einzug in Tenochtitlan nach Sahagún

Der Zug bewegte sich von Itztapalapa aus über den kunstvoll angelegten, «zwei Speerlängen» breiten Damm inmitten des Sees in Richtung Westen. Vor den Städten Huitzilopochco und Coyoacán wechselten sie auf den deutlich breiteren und mit Zugbrücken abgesicherten großen Damm, dem sie nach Norden direkt nach Tenochtitlan folgten. Cortés wollte einen guten Eindruck machen und hatte seinen Männern unter Androhung schwerer Strafen jegliche Disziplinlosigkeit untersagt. Auf dem See drängten sich Tausende in Kanus, die Straßen, Tempel und Türme der Stadt waren überfüllt. Alle kamen, um die Fremden zu sehen. Der Anblick der riesigen Stadt und der um und im See liegenden weiteren Ortschaften übertraf alles, was die Europäer bis dahin gesehen hatten. Diese fulminanten Szenen verfehlten ihren Eindruck auf die Spanier nicht, weckten jedoch nicht nur Begeisterung, hatten ihre Verbündeten sie doch eindringlich vor den Gefahren gewarnt, die sie dort erwarteten. So bemerkte Bernal Díaz: «Die interessierten Leser sollten sich in das, was ich hier schreibe, einmal hineindenken: Hat es im Universum je Männer gegeben, die ein solches Wagnis auf sich nahmen?»[2]

Karte 8: Tenochtitlan 1519

Eine große Abordnung aztekischer Hochadliger in Festgewändern kam ihnen schon auf dem Damm entgegen. Es folgte das übliche Begrüßungszeremoniell, bei dem die Mexica mit ihren Händen den Boden berührten und küssten. Angesichts der großen Zahl der Würdenträger zog sich das Ritual in die Länge. Erst danach trafen die Spanier auf eine weitere Adelsdelegation, in deren Mitte sich der auf einer Sänfte mit Baldachin getragene, dem Anlass entsprechend festlich gekleidete Herrscher befand. Als die Fremden die eigentliche Stadt Tenochtitlan erreichten, stieg er von seinem Sessel und begab sich unter einem prächtigen Thronhimmel von seinen höchsten Adligen, den Fürsten von Texcoco, Tlacopan und Tlatelolco, geleitet und unter den Armen gefasst zum Generalkapitän der Spanier. Die glanzvolle Kleidung dieser Gruppe erregte die Bewunderung der europäischen Betrachter. Bis auf die vier Fürsten wagte es kein Mexica, den Tlatoani anzusehen. Sein Gefolge breitete Tücher vor ihm aus, damit seine mit kostbaren Schuhen bekleideten Füße nicht den nackten Boden berühren mussten.[3]

Cortés kam ihm mit gezogenem Hut ebenfalls zu Fuß entgegen. Der Moment des Zusammentreffens wird in den Augenzeugenberichten mit leichten Unterschieden wiedergegeben. Laut seinem eigenen Bericht wollte Cortés Moteuczoma umarmen, wurde von dessen Begleitern jedoch daran gehindert, weil er den Körper des Tlatoani nicht berühren durfte. Der Generalkapitän hängte dem Herrscher daraufhin sein edelsteinbesetztes Halsband um, woraufhin ein aztekischer Diener Cortés eine kostbare Kette mit goldenen hummerförmigen Anhängern anlegte. Mit Hilfe von Malinche und Aguilar, die übersetzten, tauschten die beiden Anführer Begrüßungsformeln aus. Dann führte Moteuczoma seinen Gast in die Stadt hinein und wies den Fremden den Palast seines verstorbenen Vaters Axayacatl zu. Dort beschenkten die Mexica Cortés mit kostbarem Goldschmuck und Textilien und versorgten selbst die einfachen spanischen Soldaten fürstlich. Laut Bernal Díaz beherbergte der Palast eine geheime Schatzkammer und zahlreiche religiöse Bilder und Statuen, was den Conquistador in dem Glauben bestärkte, dass sie für Götter gehalten wurden. Da das Gebäude massiv aus Stein gebaut war, eignete es sich außerdem hervorragend als Festung. Die Spanier brachten sogleich ihre Geschütze in Stellung und blieben wachsam. Erst dann widmeten sie sich dem Festmahl, dass die Mexica ihnen kredenzten.[4]

Abb. 12:  Gespräch zwischen Moteuczoma und Cortés/Malinche (Lienzo de Tlaxcala)

In der Forschung hoch umstritten ist der Hergang der darauffolgenden Ereignisse. Folgt man Cortés und den meisten Augenzeugenberichten und Chroniken, so hielt Moteuczoma beim ersten längeren Zusammentreffen der beiden eine Rede, in der er sich für seine widersprüchliche Haltung mit dem Hinweis auf die große Angst entschuldigte, die die Nachricht von der Ankunft der Fremden in Tenochtitlan ausgelöst hätte. Angeblich bezog er sich sodann auf den Mythos der Rückkehr eines Herrschers – von Quetzalcoatl war nicht die Rede –, als dessen Boten er Cortés ansah, da dieser «vom Sonnenaufgang her» gekommen sei. Der mächtige Kaiser in Europa konnte anscheinend niemand anderer als dieser Gebieter sein, der seine rechtmäßige Herrschaft zurückforderte. Laut Cortés sagte Moteuczoma:

«Seid deshalb versichert, dass wir euch gehorchen und als Stellvertreter des großen Herrschers anerkennen, von dem ihr uns erzählt. Und darin wird es keinerlei Fehler und auch keinerlei Betrug geben. Und ihr sollt im gesamten Land, das meiner Herrschaft untersteht, nach eurem Willen befehlen und eure Befehle werden befolgt und ausgeführt werden. Und ihr sollt über alles nach Belieben verfügen, was wir besitzen.»[5]

Seinem eigenen Briefbericht folgend, bestärkte Cortés Moteuczoma in seinem Glauben und antwortete, dass er in der Tat im Auftrag des allgewaltigen Herrschers Karl gekommen sei, um das ihm bereits bekannte Reich der Mexica zu besuchen und dort den wahren christlichen Glauben zu verkünden. Die Chronisten López de Gómara, Sepúlveda und Cervantes de Salazar schrieben Cortés’ Version mit leichten Variationen fort. Auch die anderen Augenzeugen Bernal Díaz, Aguilar, der sogar von einer notariellen Beglaubigung der Unterwerfung spricht, und Tapia berichten mehr oder weniger ausführlich von Moteuczomas Rede, datieren sie aber unterschiedlich. Das gilt ebenso für die indigenen Quellen wie vor allem Sahagún, dessen Informanten die Rede bereits auf die Begrüßung auf dem Damm vordatieren.[6]

Trotz dieser scheinbar eindeutigen Quellenlage gab es in der Forschung schon seit einigen Jahrzehnten Stimmen, die erhebliche Zweifel an der Authentizität der Darstellung äußerten. Um das illegale Unternehmen zu rechtfertigen, war für Cortés Moteuczomas Akt der freiwilligen Selbstunterwerfung und die damit einhergehende translatio imperii an den spanischen König, als dessen Stellvertreter der Generalkapitän agierte, von zentraler Bedeutung. Mit ihr stand und fiel die Legitimität seiner Hueste. Kritiker haben angemerkt, dass die Geschichte der freiwilligen Übergabe von Tenochtitlan den Mythos von der Rückkehr der Götter perfekt ergänzte und sie deshalb als Fiktion bezeichnet. In seinem zweiten Briefbericht, der dieser Schilderung zugrunde liegt, versucht Cortés, der zugleich Protagonist der Handlung ist, sich selbst zu mythisieren, indem er sich als demütiger Untertan zu präsentieren versteht, der die Ziele seines Königs und seines Gottes, nicht aber seine eigenen, durch Überredung und nicht mit Gewalt durchsetzt.[7]

Zweifellos neigte der Generalkapitän in seinen Briefberichten dazu, die Wahrheit zu verdrehen und zu übertreiben. Die stark ritualisierten Höflichkeitsformeln, mit denen Moteuczoma seinen Gast begrüßte, und die Übersetzungsprobleme könnten aber auch dazu geführt haben, dass Cortés das berichtete, was seinem Wunschdenken entsprach: nämlich, dass sich der Tlatoani tatsächlich unterworfen hatte. Andererseits wurden nach aztekischen Geschichtsvorstellungen – heutigen westlichen Standards zufolge ahistorisch – vergangene Ereignisse verständlich gemacht, indem man sie in uralte Geschichten einbettete, die sich im Grenzbereich zwischen Mythos und Historie bewegten und durchaus auch Wahrsagerei und Traumdeutung umfassten. Demnach war Cortés aus der Perspektive der Mexica im Moment des Kontakts tatsächlich eine lokale Verkörperung einer Gottheit oder konnte es werden.[8]

Diese Interpretation ist geeignet, Antworten auf weitere offene Fragen zu geben. Moteuczomas Verzicht auf eine militärische Verteidigung der Hauptstadt lässt sich vor diesem Hintergrund ebenfalls leichter deuten. Schon seit längerer Zeit kamen beunruhigende Nachrichten über die Entrada, die in Tenochtitlan wiederholt Anlass zu Konsultationen des Herrschers mit seinen Beratern und Priestern gegeben hatten. Die Unsicherheit über die Identität der Spanier bestand fort, zumal diese ja vorgeblich mit friedlichen Absichten kamen. Außerdem spielte die kalendarische Koinzidenz – die Fremden kamen im aztekischen Jahr ‹1 Rohr›, das mit dem Quetzalcoatl-Mythos in Verbindung gebracht wurde – ebenfalls eine Rolle. Hinzu kamen pragmatische Überlegungen, denn der November zählte nicht zur Saison für Feldzüge. Es fehlte an Trägern, die noch in der Landwirtschaft arbeiteten, und an Vorräten. Die stehende Elitetruppe allein reichte nicht aus, um der Armee entgegenzutreten. Deshalb war ein leichter Sieg ohne hohe eigene Verluste nicht zu erwarten. Die eigene Schwächung hätte aber den Aufstand unterworfener Völker wahrscheinlich gemacht. Schließlich wollte Moteuczoma die interne politische Opposition gegen seine Herrschaft nicht noch weiter provozieren, um das Machtgleichgewicht im Tal von Mexiko nicht zu zerstören.[9]

Umgekehrt ist die Frage zu stellen, warum sich Cortés mit seiner Truppe in die Höhle des Löwen wagte. Sicherlich spielte dabei das große Selbstbewusstsein der Spanier nach den Erfolgen im Umgang mit den Totonaken und im Kampf gegen die Tlaxcalteken eine große Rolle. Dadurch und durch den Glauben an den ihres Erachtens einzig wahren Gott fühlten sich die Europäer den Indigenen natürlich überlegen. Zweifellos unterschätzten sie auch die Macht der Mexica und die Größe ihrer Hauptstadt. Als sie dann in das Tal von Mexiko hinabstiegen, war es für eine Umkehr zu spät. Zu stark hingen sie von der Unterstützung ihrer Verbündeten ab, die ihnen nur so lange sicher war, wie man sie als mächtige Partner einschätzte, die effektiven Schutz vor der Rache der Azteken boten.[10]

Schon am Tag nach der Ankunft besuchte Cortés in Begleitung von Velázquez de León, Ordás, Alvarado und Sandoval und einigen Soldaten, darunter Bernal, den Tlatoani. In der Unterredung versuchte der Generalkapitän den Herrscher über die Vorzüge des Christentums aufzuklären. In kurzen Worten erklärte er das christliche Glaubensbekenntnis und die Schöpfungsgeschichte. Insbesondere bat der Spanier Moteuczoma, die Opferung von Menschen zu beenden, und versuchte ihn von der Wertlosigkeit seiner «Götzen» zu überzeugen. Außerdem kündigte er die baldige Entsendung von Missionaren an, die die Mexica im christlichen Glauben unterweisen würden. Moteuczoma antwortete darauf mit höflichen, aber ausweichenden Worten, dass er wohl glaube, dass der christliche Gott gut sei, aber auch seine Götter seien gute Götter und er beabsichtige nicht, ihnen abzuschwören. Zum Abschied ließ der Tlatoani die Spanier ein weiteres Mal reich beschenken.[11]

Einmal in der Stadt weckte die Pracht Tenochtitlans schnell die Neugier der Neuankömmlinge. Nach einigen Tagen im Palast entdeckten sie gemeinsam mit dem Generalkapitän und in Begleitung Moteuczomas und seiner Berater ihr Umfeld. Besonders ausführlich berichtete Díaz del Castillo von diesem Stadtrundgang. Zunächst erreichten sie den Marktplatz von Tlatelolco. Dort zeigten sich die Europäer beeindruckt von der Fülle des gut sortierten Warenangebots, das von Gold- und Silberschmuck über Sklaven bis hin zu groben Stoffen und jeglicher Art von Lebensmitteln alles bereithielt, was man sich nur vorstellen konnte. Die Ordnung, die durch ein Marktgericht aufrechterhalten wurde, erregte ebenso Interesse wie das Geld aus Kakaobohnen oder Goldkörnern sowie die Kunstfertigkeit der unterschiedlichsten Handwerker. Selbst die Weitgereisten unter den Conquistadoren, die schon Rom oder Konstantinopel gesehen hatten, waren sich einig, dass sie noch nirgends einen solch riesigen Marktplatz gesehen hatten.[12]

Faszinierend und beängstigend zugleich war danach der Aufstieg auf den Haupttempel in Tenochtitlan, an dessen Spitze sich eine breite Plattform mit zahlreichen Opfersteinen befand. Der Tempel beherrschte die gesamte Umgegend. Die Dammstraßen, Holzbrücken und Heiligtümer der Stadt, die quirligen Bewegungen der Kanus auf dem See und die unüberschaubare Menge auf dem Markt unter ihnen waren imposant. Auf Cortés’ Bitten hin zeigte Moteuczoma ihnen das Innere des Tempels. Die Götterbilder und Statuen erschreckten die Spanier. Besonders angewidert waren sie vom Gestank, vom Anblick des frischen Menschenbluts, das überall klebte, sowie von den blutverschmierten Priestern in ihren langen schwarzen Mänteln. Laut Bernal Díaz kam es in diesem Moment zu einer ersten Konfrontation zwischen Cortés und Moteuczoma, da der Generalkapitän bat, auf der Pyramide ein Kreuz und einen Altar mit Marienbild aufstellen zu dürfen, was der Tlatoani entrüstet ablehnte.[13] Aus dem lebhaften Markttreiben lässt sich schließen, dass die Anwesenheit der Fremden für die Einwohner Tenochtitlans keinen Schock mehr darstellte. Neugierig hatten sie die Ankunft der Spanier begleitet und zweifellos betrachteten sie die Conquistadoren auch mit großer Neugier, sobald diese sich in der Stadt zeigten. Einen Bruch im Alltagsleben schien es noch nicht gegeben zu haben.

Die Gefangennahme Moteuczomas

Cortés war am Ziel seiner Entrada angelangt. Was kam als Nächstes? Hatte er einen Plan für das weitere Vorgehen? Diese und ähnliche Fragen dürften sich die Conquistadoren gestellt haben, nachdem sie sich in ihrem Palast ausgeruht hatten. Es ist fraglich, ob der Generalkapitän selbst wusste, wie er weiter verfahren sollte. Moteuczoma vom Übertritt zum Christentum zu überzeugen, war ihm nicht gelungen. Das für ihn zweifellos noch viel wichtigere Vorhaben, Ruhm und Reichtum zu erwerben, war noch nicht in derart ausreichendem Maß geglückt, dass er damit sein unautorisiertes Verhalten gegenüber Velázquez und der Krone hätte rechtfertigen können. In dieser prinzipiell offenen Situation kamen wiederum diverse, von den Europäern nicht beeinflussbare Faktoren zusammen, die die weitere Entwicklung bestimmten.

Da Cortés sich mit seinem Wunsch nach einem christlichen Altar auf der großen Pyramide nicht hatte durchsetzen können, ließ er mit Erlaubnis Moteuczomas eine Kapelle im Palast errichten. Dabei stießen die Arbeiter auf eine Schatzkammer, deren Inhalt – Gold, Edelsteine und Federarbeiten – die Spanier schwer beeindruckte. Man beschloss jedoch, die Kammer zunächst wieder zu schließen. Unter den Männern braute sich, nicht nur deswegen, Unruhe zusammen, denn nüchtern betrachtet, war ihre Lage angesichts der Stärke der Stadt mit ihren Befestigungen, der Abhängigkeit von der Versorgung durch die Mexica und der Unsicherheit, was die Haltung ihres Herrschers den Fremden gegenüber anging, durchaus bedrohlich. Die Tlaxcalteken warnten weiterhin vor der Verschlagenheit ihrer Feinde, die nur darauf lauerten, sie alle den Göttern zu opfern. Laut Bernal Díaz sprach eine Abordnung der Truppe unter Ordás den Generalkapitän darauf an: «Wir sagten ihm, dass er sich klarmachen solle, in welchem Netz und in welcher Falle wir uns befanden.» Sie schlugen vor, Moteuczoma gefangen zu nehmen, um ein Faustpfand gegen die Übermacht der Mexica in der Hand zu haben. Aguilar zufolge lehnte Cortés das Ansinnen zunächst noch ab, weil der Tlatoani ja bereits ein Vasall des Königs sei und sich nichts habe zuschulden kommen lassen. Nach Bernal Díaz jedoch stand eher die pragmatische Überlegung, wie die Gefangennahme zu bewerkstelligen und der Palast danach zu verteidigen sei, hinter dem Zaudern des Generalkapitäns.[14]

Doch dann brachten tlaxcaltekische Boten heimlich schlechte Nachrichten aus Villa Rica de Vera Cruz. Dort hatten die totonakischen Verbündeten weitere Tributzahlungen an die Mexica verweigert und sahen sich daraufhin den Angriffen von Truppen unter dem Hauptmann Qualpopoca ausgesetzt, der angeblich im Auftrag Moteuczomas handelte. Obwohl Statthalter Escalante den Totonaken mit seinen wenigen kampffähigen Männern zu Hilfe kam, ging die Schlacht bei Nauhtla verloren. Escalante und mehrere seiner Männer wurden schwer verwundet. Ein Conquistador fiel den Feinden lebend in die Hände, starb aber schon bald an seinen Wunden, woraufhin Qualpopoca dessen Kopf an Moteuczoma schicken ließ. Wenige Tage später erfuhr Cortés, dass Escalante seinen Wunden erlegen war und die Totonaken aus Furcht nicht mehr dazu bereit waren, die Stadt zu versorgen und die Spanier militärisch zu unterstützen. Die Fremden hatten sich als verwundbar erwiesen, der Glaube an ihre Unbesiegbarkeit bekam Risse. Außerdem zeigte sich, dass es unter den Mexica Anführer gab, die beweisen wollten und konnten, dass die Spanier auch nur gemeine Sterbliche waren.[15]

Folgt man den Quellen, so nahm Cortés diese Ereignisse zum Anlass, Moteuczoma gefangen zu nehmen. Mit seinen wichtigsten Hauptleuten Alvarado, Sandoval, Velázquez de León, Lugo, Ávila und einigen Soldaten bat er um eine Privataudienz im Palast des Herrschers. Dort machte er dem Tlatoani schwere Vorwürfe und erklärte, dass Moteuczoma in das Quartier der Spanier übersiedeln müsse, damit deren Sicherheit gewahrt bleibe. Es kam zu einem längeren Wortwechsel, in dem Moteuczoma die Anschuldigungen bestritt und ankündigte, den Verantwortlichen, der ohne sein Wissen gehandelt habe, zu bestrafen. Angeblich bot er sogar seine Kinder als Geiseln an. Doch Cortés blieb bei seiner Forderung und vermittelte den Eindruck, als handele er unter dem Druck seiner Männer. Nach einigem Hin und Her drohten die schwer bewaffneten Offiziere Moteuczoma scheinbar tatsächlich mit dem Tod. Daraufhin lenkte der Tlatoani ein. Vermeintlich freiwillig zog er auf seiner prächtigen Sänfte in den Palast des Axayacatl, wo er sofort unter strenge Bewachung gestellt wurde. Gegenüber seinen Adligen und Verwandten, die schon bald kamen, um ihre Bestürzung auszudrücken und nach dem Grund für diese Wendung zu fragen, gab Moteuczoma vor, sich dafür frei entschieden zu haben. Cortés versuchte, diesen Schein zu wahren, und erlaubte ihm, seine Diener und hohen Beamten mitzunehmen. Nichtsdestotrotz verbreitete die Maßnahme Angst und Schrecken um den Beschützer und Bewahrer des Universums in der Stadt.[16]

Abb. 13: Gefangennahme Moteuczomas

Die Regierungsgeschäfte leitete der Tlatoani in den folgenden Monaten weiter, wenn auch unter spanischer Aufsicht. Als erste Maßnahme ließ er den Gouverneur Qualpopoca, dessen Sohn und fünfzehn adlige Hauptleute zur Untersuchung der Vorkommnisse von Nauhtla in die Hauptstadt kommen. Zunächst sagte der Gouverneur aus, dass Moteuczoma den Angriff nicht angeordnet habe, er widerrief diese Aussage aber später, als Cortés ihm das Urteil verkündete: Qualpopoca und seine Männer sollten auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leib verbrannt werden. Moteuczoma, den der Generalkapitän mit dem Geständnis konfrontierte und den er beschuldigte, die Verantwortung zu tragen, bestritt weiterhin seine Schuld. Zwar wollte Cortés ihn «aus Freundschaft» nicht bestrafen, doch musste Moteuczoma in Ketten der Hinrichtung beiwohnen, die vor dem großen Tempel in aller Öffentlichkeit stattfand, wobei es wie Cortés und López de Gómara betonten, zu keinerlei Ausschreitungen kam. Die Bestürzung unter den Zuschauern, die ihre Adligen auf einem Scheiterhaufen, der aus den Waffen der eigenen Arsenale bestand, brennen und ihren gottgleichen Herrscher in Ketten gelegt sahen, dürfte jedoch groß gewesen sein.[17]

In seinem Bericht an den König, bemühte sich der Generalkapitän, seine Brutalität gegenüber einem Fürsten, der nach eigener Darstellung ja ein Vasall des Königs von Spanien war, zu begründen. Neben der allgemeinen Unsicherheit nannte er die Überlegung, dass die Untertanen der Mexica sich schneller den Spaniern unterwerfen würden, wenn er ihren Tlatoani in seiner Gewalt hatte. Die Conquistadoren kannten das Verfahren schon seit den Eroberungszügen auf den Kanaren und in der Karibik, wo sie es wiederholt erfolgreich angewendet hatten.[18] Die Aktion erfolgte für die Mexica so überraschend, dass sie nicht rechtzeitig reagieren konnten. Insofern war das Kalkül der Spanier aufgegangen. Dennoch stellt sich die Frage, warum die Mexica beziehungsweise ihr Herrscher die Gefangennahme widerstandslos zuließen.

Nach der öffentlichen Demütigung Moteuczomas ging das Leben nur scheinbar normal weiter. Cortés selbst behauptete, dem Tlatoani sogar die Freiheit angeboten zu haben, doch dieser hätte dankend abgelehnt. Wenngleich der Wahrheitsgehalt dieses Angebots zweifelhaft ist, spürte Moteuczoma den schleichenden Verlust seiner Autorität und befürchtete einen Aufstand. Nur scheinbar ungestört ging der Herrscher seinen alltäglichen Geschäften nach, empfing seine Beamten, beriet Regierungsangelegenheiten und gab Anweisungen, die weiterhin befolgt wurden. Unter Bewachung erlaubten ihm die Spanier, Vergnügungen wie der Jagd, dem Besuch seines Zoos oder eines Ballspiels nachzugehen. Auch seinen Glauben durfte er ungestört praktizieren, ja die Europäer duldeten sogar die Fortsetzung der Menschenopfer, auch wenn die Quellen darüber schweigen. Laut Bernal Díaz war Moteuczoma ein im täglichen Umgang liebenswürdiger Mensch, der sich für die Europäer interessierte, auch mit den einfachen Soldaten plauderte und Scherze machte. Schenkt man diesen Berichten Glauben, dann erlebte der Herrscher in der Gefangenschaft vielleicht tatsächlich so etwas wie eine Befreiung von den Zwängen, die ein Leben als Tlatoani mit sich brachte.[19]

Für Cortés zahlte sich die Gefangennahme Moteuczomas noch in anderer Hinsicht aus. Die Bedrohung für Villa Rica de la Vera Cruz war beendet und die Totonaken, die auch von der drakonischen Bestrafung Qualpopocas beeindruckt waren, nahmen die Versorgung der Stadt wieder auf. Mit Alonso de Grado schickte Cortés einen seiner Gegner als Ersatz für Escalante an die Küste. Dieser fiel jedoch schnell durch seine Arroganz und seinen anmaßenden Lebenswandel unangenehm auf und erregte den Widerstand seiner Untergebenen. Schon bald beauftragte der Generalkapitän, dem die Missstände zu Ohren gekommen waren, seinen Vertrauten Sandoval, Grado abzulösen, der zurück nach Tenochtitlan beordert wurde. Die Spanier nutzten die Ruhephase auch dazu, ihre Umgebung und insbesondere den Texcocosee noch besser zu erkunden. Zu diesem Zweck ließ Cortés von seinen Zimmerleuten drei Brigantinen bauen, mit denen um das Jahresende 1519 herum das aus fünf miteinander verbundenen Gewässern bestehende Seensystem befahren werden konnte.[20]

Neben diesen militärstrategischen Maßnahmen besannen sich die Conquistadoren wieder ihres ursprünglichen Ziels, der Suche nach Gold und Reichtum. Bis dahin hatten die Mexica ihnen die Schätze zugetragen, ohne dass sie sich besonders darum bemühen mussten. Gerade die Funde in Tenochtitlan weckten jedoch neue Begehrlichkeiten. Auf Cortés’ Nachfrage zeigte sich Moteuczoma bereit, den Europäern den Weg zu den Edelmetallfunden zu weisen. Der Generalkapitän schickte daraufhin Anfang 1520 Abordnungen aus Mexica und spanischen Offizieren in verschiedene Landesteile. So machte sich der Steuermann Gonzalo de Umbria nach Zacatula im heutigen Oaxaca auf, wo die von den Mexica unterworfenen Mixteken lebten, die für ihr Goldhandwerk berühmt waren. Der Hauptmann Diego Pizarro, ein Verwandter des Generalkapitäns, reiste ins nordwestlich gelegene Pánuco. In dieser Zeit präsentierte Moteuczoma auch eine Landkarte seines Reichs, die bei Cortés das Interesse an Siedlungsmöglichkeiten weckte. Daher schickte er Ordás nach Coatzacoalcos in Veracruz, eine Region, die die Spanier bereits kannten. Gonzalo de Umbria und Pizarro kamen mit reichlich Gold zurück und Ordás berichtete vom freundlichen Empfang, den ihm die Einwohner bereitet hätten. Alle drei wussten jedoch auch von den Grenzen des Aztekenreichs, von feindlichen Nachbarn und von Klagen der Tributpflichtigen zu erzählen.[21]

Gleichzeitig waren die Europäer darauf aus, nach Kräften Abgaben in Gold einzutreiben. Offiziell im Auftrag Moteuczomas forderten dessen Beamte die Provinzen auf, noch einmal dieselbe Tributmenge abzugeben, die sie in dem Jahr bereits erbracht hatten. Moteuczoma selbst soll mit gutem Beispiel vorangegangen sein und den gesamten Schatz seines Vaters, den die Spanier ja bereits entdeckt hatten, dem König im fernen Europa zum Geschenk gemacht haben. Angeblich tat er dies mit Berufung auf die alte Prophezeiung, nach der die Kostbarkeiten dem fremden Herrscher zustanden. Alle Arten von Schätzen gelangten daraufhin in die Hauptstadt. Laut eigener Aussage ließ Cortés sie kennzeichnen, um einer Veruntreuung vorzubeugen. Dann wurde das wertvolle Goldhandwerk zu Barren eingeschmolzen.[22] Was in den europäischen Berichten wie ein Akt freiwilliger Schenkung beziehungsweise legitimer Abgaben dargestellt wurde, liest sich in den indigenen Quellen anders.

Und nachdem sich die Spanier in der Stadt festgesetzt hatten, fragten sie Moteuczoma nach allem, was zum Staatsschatz gehört, den Rangabzeichen, den Schilden; sie lagen ihm in den Ohren, erkundigten sich eifrig nach dem Gold. … Und nachdem sie am Schatzhaus, das Teocalco genannt wird, angelangt waren, wurden alle Schmucksachen hervorgeholt … und nachdem alles Gold abgelöst war, zündeten sie alle die verschiedenen Kostbarkeiten an … alles verbrannte. Und das Gold schmolzen die Spanier in Barren, und die grünen Edelsteine … nahmen sie an sich und die anderen Edelsteine stahlen die Tlaxcalteken. Und sie gingen überall hin, stöberten alles durch, überall, an allen Orten, wo etwas verborgen war … Sie nahmen alles, was sie fanden, was ihnen gefiel.[23]

Die Beute wurde unter den Conquistadoren aufgeteilt, doch geschah dies keineswegs konfliktlos, wie Bernal Díaz berichtete. Das königliche Fünftel wurde ebenso abgezogen wie das vereinbarte Fünftel für Cortés. Sodann stellte der Generalkapitän die Auslagen für Schiffe und Ausrüstung in Rechnung, zog die Kosten für die Reise der Gesandten nach Spanien, den Wert der getöteten Pferde und den Anteil der Garnison in Vera Cruz ab. Der Rest wurde an die Truppe verteilt, wobei es jedoch Abstufungen gab. Die beiden Priester, die Hauptleute, die Pferdebesitzer sowie die Arkebusen- und Armbrustschützen erhielten je das Doppelte. Für die Mannschaften, die schwere Entbehrungen in Kauf genommen hatten und deren gesamte Existenz von diesen Gewinnen abhing, blieb danach kaum noch etwas übrig. So war es nicht verwunderlich, dass sie Betrug witterten und die Unruhe unter ihnen zunahm. Als bekannt wurde, dass einige Anführer, darunter Velázquez de León, Teile des Schatzes veruntreut hatten, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Cortés musste sich sehr anstrengen, um seine Männer mit Reden, Geschenken und Versprechungen wieder zur Räson zu bringen.[24]

Spannungen ergaben sich nicht nur in der eigenen Truppe, sondern auch in den Beziehungen zu den Mexica. Cacama, der Herrscher von Texcoco, setzte sich an die Spitze einer Gruppe unzufriedener Adliger, die den Respekt vor dem Tlatoani ablegten, weil dessen sakrale Legitimitätsbasis sich durch die Gefangenschaft zunehmend auflöste. Laut Cervantes de Salazar bildete Cacamas Zurückhaltung, was die Zahlung der von Cortés geforderten Tribute angeht, den Stein des Anstoßes. Auch der mestizische Historiker Alva Ixtlilxochitl stellte diesen Faktor in den Mittelpunkt seiner Darstellung, erwähnte jedoch zudem, dass der Generalkapitän drohte, einen der jüngeren Brüder Cacamas zu hängen, was nur durch die Intervention Moteuczomas abgewendet wurde. Gemäß dieser Darstellung war es ein anderer Bruder, der einstige Thronrivale Ixtlilxochitl, der Cacama in einen Hinterhalt lockte und an Cortés auslieferte. Damit rächte er sich dafür, dass Moteuczoma seinen Bruder gegen interne Widerstände nach dem Tod des Vaters Nezahualpilli an die Macht gebracht hatte.[25]

Nach Bernal Díaz del Castillo hatte Cacama eine Verschwörung geplant, durch die die Spanier vernichtet und Moteuczoma gestürzt werden sollte. Die Tlatoque von Toluca, Coyoacan, Tacuba, Itztapalapa und Matalcingo hatte er für seine Sache gewonnen. Allerdings konnten sich die Verschwörer nicht auf einen Nachfolger für Moteuczoma einigen. Cacama beanspruchte diese Würde für sich, doch der Herrscher von Matalcingo fühlte sich übergangen und weihte Moteuczoma ein, der wiederum Cortés davon in Kenntnis setzte. Den Vorschlag des Generalkapitäns, Texcoco mit militärischer Unterstützung aus Tenochtitlan anzugreifen, wies der Herrscher zurück. Moteuczoma wollte Cacama zu sich rufen lassen, um ihn umzustimmen. Dieser lehnte jedoch ab und machte seinem Onkel schwere Vorwürfe. Unter anderem lastete er ihm an, unter dem bösen Einfluss der europäischen Zauberer «Schmach und Schande» über das Reich gebracht zu haben, und versprach, die Spanier zu vernichten. Moteuczoma ließ Cacama daraufhin aus Texcoco entführen und übergab ihn Cortés, der ihn sofort absetzte und an seiner Stelle einen gefügigen Verwandten zum Herrscher der Stadt ernennen ließ. Auch die anderen Verschwörer wurden gefangen genommen und in Ketten gelegt.[26]

López de Gómara beschrieb diesen Moment in seiner Chronik mit den Worten: «Cortés machte Könige und befahl mit so viel Autorität, als ob er schon das gesamte mexikanische Reich gewonnen hätte.»[27] In der Tat war die Lage für ihn günstig und der Generalkapitän nutzte sie zu einem aus spanischer Sicht weitgehenden Schritt. Er wies Moteuczoma an, nun offiziell im Beisein des Adels und der verbündeten Herrscher für das gesamte Reich und alle seine Untertanen dem spanischen König den Treueid zu leisten. Dazu berief man eine Versammlung aller Großen des Reichs ein, der Cortés, der königliche Notar, die Offiziere und zahlreiche Soldaten beiwohnten. Moteuczoma soll in diesem Zusammenhang die Legende von der Rückkehr des mythischen Herrschers aus dem Osten wiederholt haben, der gekommen sei, sein Land zurückzufordern; nun sei der Moment gekommen, sich diesem wieder zu unterwerfen. Angeblich unter vielen Tränen leistete Moteuczoma den Eid, der sofort notariell beglaubigt wurde, woraufhin die anwesenden Mexica es ihrem Tlatoani gleichtaten.[28]

Scheinbar auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, kehrte Cortés nun zum heiklen Thema der Religion zurück. In Gesprächen mit Moteuczoma hatte der Generalkapitän die Frage wiederholt erfolglos angeschnitten. Bruder Olmedo, dem Cortés besonders vertraute, wurde beauftragt, den Herrscher zu überzeugen. Auch dieses Mal lehnte der Tlatoani die Bekehrungsversuche ab und verwies auf die zu erwartende Gegenwehr seiner Untertanen gegen jeglichen Angriff auf ihre Götter. Doch die Spanier schätzten ihre Stellung als so stark ein, dass sie selbst in dieser sensiblen Angelegenheit glaubten, Widerstände überwinden zu können. Nach Besprechungen mit seinen Männern soll der Generalkapitän beschlossen haben, die Bilder und Skulpturen auf dem Haupttempel ersetzen oder zerstören zu lassen. Die beiden Conquistadoren Bernal Díaz und Andrés de Tapia berichteten unterschiedlich über die Ereignisse. Nach Díaz einigten sich Cortés und Moteuczoma auf einen Kompromiss, wonach die Spanier zwei Altäre mit Muttergottesbild und Kreuz in einem Saal des großen Tempels neben den Götterbildern der Mexica aufstellen durften. Tapia zufolge zerstörte Cortés mit einigen Soldaten eigenhändig diverse Bildwerke und stürzte sie in die Tiefe. Cervantes de Salazar wiederum, der von einem weiteren Conquistador, Alonso de Ojeda, informiert war, schreibt, dass die aztekischen Priester ihre Götterbilder in einer groß angelegten Rettungsaktion mit höchster Sorgfalt abtransportiert und vor den Spaniern versteckt hätten.[29]

Welche Version auch immer der Realität am nächsten kam, auf jeden Fall standen als Resultat christliche Symbole auf dem Haupttempel und die Spanier nutzten diesen erneuten Erfolg zu einer triumphalen Messfeier, die die Mexica laut Cervantes de Salazar schweigend über sich ergehen ließen. Der christliche Altar sollte in der Folgezeit von den Mexica-Priestern gepflegt und gesäubert werden, und damit das wirklich geschah, wurde zur Überwachung dieses Befehls ein älterer Soldat eingeteilt. Glaubt man Cortés, so fanden seit diesem Tag auch keine Menschenopfer in Tenochtitlan mehr statt, zumindest sah er keine mehr.[30]

Allerdings muss der Generalkapitän bemerkt haben, dass die Mexica Moteuczoma von Tag zu Tag weniger Respekt entgegenbrachten, kam er doch seinen religiösen Pflichten nicht mehr nach. Dadurch verlor die Geisel immer mehr an Wert. In einem Akt des Aufbegehrens soll der Tlatoani Cortés im Frühjahr zu sich gebeten und ihm eröffnet haben, dass es auf Befehl der Götter zu einem Aufstand gegen die Spanier kommen werde, dem diese sich nur entziehen könnten, wenn sie schleunigst in ihre Heimat zurückkehrten. Moteuczoma bot sogar große Mengen Gold an für den Fall, dass Cortés den Befehl zur Rückkehr geben würde. Vermutlich reagierte der Tlatoani damit auf den steigenden Druck seiner eigenen Leute, insbesondere der mächtigen Priesterkaste, deren Geduld nach dem Sakrileg der Spanier, aber auch wegen der Belastungen, die die Versorgung der mehrtausendköpfigen Gästeschar verursachte, zu Ende ging. Im Hintergrund bereiteten die Mexica militärische Maßnahmen gegen die Fremden vor und mobilisierten die ihnen tributpflichten Städte. Wahrscheinlich als Ablenkungsmanöver und um Zeit zu gewinnen, schickte Cortés daraufhin einige Männer nach Vera Cruz, um Schiffe zu bauen. Ob der Generalkapitän tatsächlich eine Flucht in Erwägung zog, ist zweifelhaft. Jedenfalls machte er Moteuczoma wohl klar, dass er ihn in dem Fall als Geisel mitnehmen würde. Zweifellos hatte sich die Lage der Spanier durch den Sturz der Götterbilder verschlechtert. Darüber waren sie sich selbst im Klaren und in der Truppe stieg die Angst vor dem Opfertod.[31]

Die Strafexpedition von Narváez

Mittlerweile hatte sich für Cortés noch eine zweite Front aufgetan, denn bereits bald nach seiner Abreise hatte sich Gouverneur Velázquez bei den vorgesetzten Stellen über ihn beschwert. Zunächst wendete er sich an die Hieronymiten in Santo Domingo, die ihm aber erwiderten, dass man Cortés und seinen Männern keinen Vorwurf machen könnte. Zudem schickten sie den Richter Alonso de Zuazo, um ein Amtsprüfungsverfahren gegen den Gouverneur durchzuführen. Der war darüber laut Díaz del Castillo so bekümmert, dass er ganz krank wurde: «Während er zuvor sehr fett war, so war er in jenen Tagen ganz abgemagert.»[32] Im Oktober 1519 schickte Velázquez einen Brief an Bischof Fonseca in Spanien, in dem er die Klagen über den Vertrauensbruch seines Untertanen zusammenfasste und eine harte Bestrafung forderte. Darüber hinaus kündigte er an, Pánfilo de Narváez mit allen auf Kuba zur Verfügung stehenden Schiffen zu entsenden, um Cortés dingfest zu machen.[33]

Narváez war ein langjähriger Gefolgsmann des Gouverneurs und hatte militärische Erfahrungen bei der Eroberung Jamaikas und Kubas erworben. Seit 1518 bekleidete er ein öffentliches Amt und stand im Ruf, brutal und rücksichtslos zu sein. Im März 1520 stach Narváez laut Bernal Díaz mit einer Flotte von neunzehn Schiffen, tausendvierhundert Mann, darunter viele kampferprobte Conquistadoren, zwanzig Geschützen, achtzig Reitern, neunzig Armbrustschützen und siebzig Musketieren in See. Eine unbekannte Anzahl indigener und afrikanischer Sklaven war ebenfalls mit an Bord. Es handelte sich um die größte Armada, die Amerika bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte. Zahlreiche Männer schlossen sich dem Unternehmen freiwillig an, wobei einige eigens aus Santo Domingo kamen, weil sie sich leichte Beute versprachen. Dagegen mussten die professionellen Soldaten gezwungen werden, weil Velázquez keinen Sold zahlen wollte. Die Größe der Expedition hatte eine regelrechte Entvölkerung der Karibikinsel zur Folge, die noch dazu von einer ersten Pockenepidemie heimgesucht wurde, der viele Taino zum Opfer fielen. Die Krankheit sollte die Armee mit ins Aztekenreich nehmen.[34]

Die Vorbereitungen für das Großunternehmen sprachen sich in der Karibik herum und kamen dem Interimsgouverneur in Santo Domingo, Rodrigo de Figueroa, zu Ohren, der den Auditor Lucas Vázquez de Ayllón von der Audiencia nach Kuba schickte, um einen Kampf zwischen den Spaniern zu verhindern. Da es Ayllón nicht gelang, Velázquez und Narváez von ihrem Vorhaben abzubringen, entschloss er sich kurzerhand die Flotte mit seinen eigenen Schiffen zu begleiten, um zwischen den Conquistadoren zu vermitteln. Aufgrund des stürmischen Wetters erreichte die Strafexpedition erst Mitte April San Juan de Ulúa, wo Ayllón bereits einige Tage zuvor eingetroffen war. Von Francisco Serrantes, der zu Cortés’ Truppe gehörte, sich jedoch von dem Erkundungstrupp des Diego Pizarro abgesetzt hatte, erhielten Ayllón und Narváez wichtige Informationen über die Geschehnisse und die aktuelle Lage. Narváez entschied sich, Cortés’ Vorgehen zu kopieren. Er gründete die Stadt San Salvador bei San Juan de Ulúa und ließ sich von den Totonaken mit Lebensmitteln versorgen. Gleichzeitig machte er Stimmung gegen Cortés. Dadurch verschärften sich die Spannungen mit Ayllón, bis Narváez diesen festnehmen ließ und auf seinem Schiff zusammen mit einigen weiteren Sympathisanten von Cortés zurück nach Kuba schickte. Ayllón konnte den Kapitän mit Drohungen dazu bringen, ihn nach Santo Domingo zu befördern, wo er sofort einen Brief an die Krone verfasste, in dem er sich bitter über Velázquez und Narváez beklagte.[35]

Währenddessen hatte man im nahe gelegenen Villa Rica von den Neuankömmlingen Kunde bekommen, woraufhin Garnisonskommandeur Sandoval sie sofort ausspionieren ließ. Mit seinen Männern bereitete er sich auf eine Belagerung vor. Zur Abschreckung ließ er einen Galgen aufstellen, um jeglichen Desertionsvorhaben vorzubeugen. Bald musste er sich mit einer Gesandtschaft von Narváez unter dem Geistlichen Antonio de Guevara auseinandersetzen, die ihn im Auftrag des Gouverneurs von Kuba aufforderte, sich zu unterwerfen. Sandoval hielt seinem Herrn jedoch die Treue und nahm die Gesandten, die ihm Vorhaltungen gemacht hatten, sogar fest. Gefesselt ließ er sie unter dem Kommando von Pedro de Solís nach Tenochtitlan tragen. Außerdem schickte er Eilboten, um Cortés zu warnen.[36]

Dieser hatte mittlerweile über andere Kanäle von der Ankunft der spanischen Flotte erfahren, wusste aber nicht, um wen es sich handelte. Daher entsandte er mehrere Kundschafter zur Küste. Die spanischen Quellen behaupten, dass auch Moteuczoma ohne Wissen des Generalkapitäns von Narváez’ Eintreffen erfahren hatte. Die beiden hätten sogar in Kontakt gestanden, und der Spanier hätte dem Tlatoani ausrichten lassen, er sei gekommen, um Cortés zu bestrafen und ihn zu befreien. Moteuczoma hätte die neue Expedition daher hinter dem Rücken von Cortés von seinen Leuten versorgen lassen und gehofft, die Rivalen gegeneinander ausspielen zu können. Ob sich dies tatsächlich so zugetragen hat oder ob es sich um einen Versuch der Chronisten handelte, Moteuczoma und Narváez in ein schlechtes Licht zu rücken, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Der Tlatoani entschied sich indes nach einiger Zeit wohl doch, Cortés an seinem Wissen teilhaben zu lassen, und zeigte ihm die Bildnachrichten, die seine Späher ihm auf einem Tuch aufgezeichnet hatten. Er wollte den Generalkapitän überzeugen, die Gelegenheit zu nutzen und mit den Schiffen abzureisen. Cortés besann sich jedoch auf seine Vertrauten und schickte Andrés de Tapia zu Sandoval und Bruder Olmedo zu Narváez. Der Geistliche sollte herausfinden, was die Neuankömmlinge im Schilde führten.[37]

Als wenig später de Solís mit Sandovals Gefangenen in Tenochtitlan eintraf, empfing der Generalkapitän die Gruppe ehrerbietig und entschuldigte sich bei Guevara für die grobe Behandlung durch seine Untergebenen. Der Geistliche und seine Begleiter zeigten sich beeindruckt von diesem gastlichen Empfang und mehr noch von der Größe und Pracht der Hauptstadt. Auch die enorme Machtfülle, die Cortés und seine Verbündeten sich darin geschaffen hatten, rief bei ihnen Bewunderung hervor. Der Generalkapitän wollte Narváez’ Gesandte auf seine Seite ziehen, was ihm laut Bernal Díaz in kürzester Zeit gelang:

Sie waren noch keine zwei Tage bei uns, da hatte Cortés sie schon auf eine Weise mit Versprechungen umschmeichelt und ihre Hände mit Goldbarren und goldenen Juwelen geschmiert, … dass die, die als wilde Löwen ankamen, sehr zahm zurückkehrten und Cortés zu Diensten sein wollten.[38]

Cortés schickte die Emissäre mit einem Brief an die Küste zurück und gab ihnen reichlich Gold mit auf den Weg. Dort angekommen, berichtete Guevara von der Herrlichkeit des Landes, dem Reichtum und der Schönheit Tenochtitlans. Die Expeditionsteilnehmer drängten Narváez, den Ausgleich mit Cortés zu suchen, weil das Land genug Schätze für alle bereithielt. Cortés’ Diener verteilten derweil das Gold an Narváez’ Soldaten, um diese für den Generalkapitän zu gewinnen. Bei Männern wie Cortes’ altem Unterstützer Andrés de Duero hatten sie leichtes Spiel. Überhaupt waren sie durchaus erfolgreich, denn Narváez hatte sich mit seinem Geiz bei der Truppe keineswegs beliebt gemacht. Während sich in San Salvador ein Stimmungsumschwung anbahnte, blieb Velázquez’ Günstling hart und jagte seine Emissäre wütend fort. Die Zusammenarbeit, die Cortés in seinem Schreiben angeboten hatte, lehnte er ab. Im Bewusstsein der eigenen numerischen Überlegenheit wollte Narváez Cortés dazu bringen, sich unbewaffnet zur Küste zu begeben und sich seinen Befehlen zu unterwerfen.[39]

Für den Mann aus Medellín stellte sich die Lage kritisch dar. Während seine Soldaten sich anfangs noch über die Nachricht von der Ankunft spanischer Schiffe gefreut hatten, weil sie auf Verstärkung hofften, hatte ihr Kommandeur wohl von Beginn an vermutet, dass die Neuankömmlinge im Auftrag von Velázquez handelten. Die Nachrichten vom Verhalten der Totonaken – selbst Chicomecatl war auf Narváez’ Seite gewechselt – verhießen nichts Gutes. Cortés reagierte auf die Bedrohung, indem er zunächst seine Männer enger an sich band und sie mit Gold aus seinem eigenen Schatz beschenkte. Als klar war, dass Narváez keinerlei Interesse an einem Kompromiss zeigte, hielt Cortés einen Kriegsrat ab, in dem er die Truppe auf den bevorstehenden Kampf gegen die eigenen Landsleute einschwor. Als Generalkapitän und oberster Richter Neuspaniens habe er das Recht auf seiner Seite, hatten die Neuankömmlinge doch keinerlei königlichen Auftrag für ihr Handeln.[40]

Cortés plante, knapp die Hälfte der Männer auf seinem Zug zur Küste mitzunehmen. Auf dem Weg dorthin wollte er bei Cholula seine Truppe mit denen von Velázquez de León und Rodrigo Rangel vereinigen, die er noch vor Narváez’ Ankunft zu Erkundungen nach Coatzacoalcos beziehungsweise in die Chinantla geschickt hatte. Insgesamt hatte er damit ungefähr dreihundert Soldaten unter seinem Kommando. Den Rest, rund einhundertzwanzig Mann, ließ er unter dem Befehl Alvarados zur Bewachung Moteuczomas und der angehäuften Schätze in Tenochtitlan zurück. Da sich unter diesen Männern viele echte und vermeintliche Sympathisanten von Velázquez befanden, wie etwa der Geistliche Juan Díaz, mussten sie einen Treueid auf Alvarado schwören. Mit seiner Bitte um militärischen Beistand hatte Cortés bei den Tlaxcalteken keinen Erfolg, weil sie nicht gegen Spanier kämpfen wollten. Sie unterstützten das Unternehmen jedoch mit Proviantlieferungen. Die aztekische Eskorte, die Moteuczoma anbot, wollte Cortés nicht annehmen, denn er bezweifelte deren Zuverlässigkeit.[41]

Nach der Vereinigung der Truppen in Cholula zog der Generalkapitän in Richtung Totonacapan, wo sich ihnen bald Sandoval mit den kampffähigen Männern aus Vera Cruz und einige Deserteure aus Narváez’ Lager anschlossen. Auf dem Weg traf er Olmedo und seine Männer, die von ihrer erfolglosen Mission und von den geheimen Absprachen zwischen Moteuczoma und Narváez berichteten. Cortés sah sich in seiner Skepsis gegenüber dem Tlatoani bestätigt. Wenig später trafen Emissäre aus San Salvador unter dem Schreiber Alonso de Mata bei ihm ein, die Narváez’ Forderungen wiederholten, der mittlerweile nach Cempoala gezogen war. Cortés war nicht bereit nachzugeben, behandelte die Gesandten aber gut und schickte sie unversehrt nach Cempoala zurück. Beide Seiten setzten in der Folgezeit diesen unergiebigen Austausch über weite Entfernungen fort. So sandte Cortés seinen Hauptmann Rodrigo Álvarez Chico mit dem Notar Pero Hernández, ein weiteres Mal Bruder Olmedo und später sogar Velázquez de León, während sich für Narváez zwei Mal Andrés de Duero zur Gegenseite begab, ohne dass ein Sinneswandel erzielt worden wäre. Im Gegenteil, am Ende drohte Cortés Narváez unverblümt mit einem Angriff, sollte er das Land nicht verlassen. Dieser wiederum setzte ein Kopfgeld auf Cortés aus. Letztlich ging es in dem Geplänkel darum, die jeweiligen Handlungen gegenüber dem König und für die in Zukunft zu erwartende gerichtliche Auseinandersetzung zu rechtfertigen. Entsprechend ausführlich wurde diese Sache von Cortés in seinem Bericht behandelt.[42]

Nur noch eine Wegstunde von Cempoala entfernt, entwarf Cortés seinen wagemutigen Schlachtplan und versäumte es nicht, seine Männer mit pathetischen Reden auf sich einzuschwören. Sodann bereitete er einen nächtlichen Überraschungsangriff vor. Die erste Kompanie unter Diego Pizarro sollte die Artillerie ausschalten, die zweite unter Sandoval den Anführer Narváez, auf dessen Kopf Cortés nun ebenfalls einen Preis aussetzte, die dritte und die vierte unter Velázquez de León und Ordás sollten die wichtigsten gegnerischen Hauptleute überwältigen, die fünfte unter dem Generalkapitän selbst bildete die Nachhut, um dort einzugreifen, wo Not am Mann war. Der starke Regen, der schon seit Tagen andauerte, hatte an der Aufmerksamkeit in Narváez’ Lager gezehrt. Siegessicher rechnete er nicht mit einem Angriff seines Widersachers. Außerdem unterschätzte er die Wirkung der Bestechungen, die Cortés mittels seiner Emissäre unter seinen Männern betrieben hatte. Sie hatten die Moral der Truppe mittlerweile erheblich geschwächt.[43]

Abb. 14: Cortés gegen Narváez (Lienzo de Tlaxcala)

Cortés’ Überraschungsangriff in der Nacht des Pfingstsonntags, 28. Mai 1520, verlief wie geplant. Auf der großen Tempelpyramide stellte Sandoval Narváez, der im Handgemenge ein Auge verlor und sich schließlich ergeben musste. Danach brach der Widerstand seiner Männer schnell in sich zusammen. Die Verluste hielten sich in Grenzen. Insgesamt forderte der kurze Kampf dreizehn Tote und einige Verletzte. Laut Cortés waren Narváez’ Männer erleichtert, so glimpflich davongekommen zu sein. Angeblich hätten sie sich alle freudig und bereitwillig auf Cortés einschwören lassen, nachdem sie dessen Version der Sachlage vernommen hatten. Im Folgenden erhielten sie ihre Waffen zurück, was unter den siegreichen Conquistadoren, die mit Beute gerechnet hatten, einige Unruhe auslöste. Sogar einige Frauen, die mit Narváez gekommen waren, schlossen sich der Armee an. Nur Narváez selbst und seine höchsten Offiziere Gerónimo Martínez Salvatierra und Diego Velázquez der Jüngere, ein Neffe des Gouverneurs, wurden ins Gefängnis in Vera Cruz überführt. Die Flotte nahm Cortés in Besitz, ließ Vorräte, Segel, Ruder, Kompass und die erbeuteten Schätze an Land bringen und die Schiffe seeuntüchtig machen. Im Hochgefühl des Sieges entsandte der Generalkapitän zwei Expeditionen unter Velázquez de León und Ordás, die in den Provinzen Pánuco und Coatzacoalcos Siedlungen anlegen lassen sollten. Dazu wurden vor allem Männer von Narváez abgeordnet, die noch als unsichere Kantonisten galten.[44]

Glaubt man den spanischen Quellen, so hatte Cortés erneut einen glänzenden Sieg errungen. Die Gründe für den Erfolg waren vielfältig. Zweifellos fühlte sich Narváez zu sicher, verhielt sich zu passiv und überließ seinem Widersacher die Initiative. Auch wenn sie ihm keine militärische Unterstützung leisteten, so profitierte Cortés doch auf vielfältige Weise von der Ortskenntnis und den Dienstleistungen seiner indigenen Verbündeten. Er verstand es außerdem, die Conquistadoren beider Seiten durch Bestechung für sich zu gewinnen. Wichtig war darüber hinaus, dass es dem Generalkapitän im Gegensatz zu Narváez gelang, die Loyalität seiner Männer auch in Krisensituationen zu erhalten. Dafür waren die Aufrechterhaltung einer eisernen Disziplin und die Durchsetzung strenger Strafen bei Verstößen ebenso wichtig wie die Tatsache, dass Cortés die Leute richtig ansprach und mit gutem Beispiel voranging. Im Gegensatz zu Kommandeuren vom Schlag eines Narváez war sich der Generalkapitän nicht zu schade, die Unbilden des Alltags mit seinen Leuten zu teilen.

Alvarados Massaker

Allerdings blieb Cortés keine Zeit, den Triumph auszukosten, denn er erhielt noch in Cempoala schlechte Nachrichten aus Tenochtitlan durch Boten von Alvarado und von Moteuczoma: Die Mexica hatten sich erhoben und der Palast, der den Spaniern als Unterkunft diente, wurde belagert.[45] Über die Geschehnisse, die zu dieser Wendung führten, berichten detailliert fast ausschließlich indigene Quellen. Die spanischen Berichte schweigen zumeist darüber, handelte es sich doch keineswegs um ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Conquista. Nur die Akten von Pedro de Alvarados Residencia, eines am Ende einer Amtsperiode nach spanischem Recht erforderlichen Amtsüberprüfungsverfahrens, geben Einzelheiten aus der Perspektive spanischer Augenzeugen wieder.[46]

Der Festkalender der Mexica sah im Mai zum Ende der Trockenzeit das bedeutende Fest Toxcatl vor. Moteuczoma hatte sich von Cortés und nach dessen Abzug auch von Alvarado die Erlaubnis eingeholt, diese Festlichkeit wie üblich zu begehen. Höhepunkt der mehrtägigen Feierlichkeiten zu Ehren des Gottes Tezcatlipoca war die Opferung eines jungen Gefangenen, der aufgrund seiner Schönheit, seiner körperlichen Vorzüge und seiner intellektuellen Fähigkeiten aufgefallen war. Als sogenannter Ixiptla verkörperte er zuvor ein Jahr lang den Gott, lernte Flöte zu spielen, sich mit Düften zu schmücken, ehrenvoll zu reden und sich edel zu kleiden. Zudem behängte man ihn mit Edelsteinen und Blumengirlanden. Zwanzig Tage vor dem Fest wurde seine Kleidung gewechselt und er bekam vier Jungfrauen als Bräute, die ihrerseits Göttinnen verkörperten. Nun erhielt er die Ausstattung eines hohen Kriegers. Fünf Tage vor dem eigentlichen Fest wurde er wie ein Gott verehrt, unter anderem durch ein großes Bankett, an dem alle Adligen außer dem Tlatoani teilnahmen. Zur feierlichen Opferung schritt er freiwillig die Stufen zum großen Tempel hoch und zerbrach dabei Flöten. Danach wurde der leblose Körper nicht wie sonst üblich die Tempeltreppen hinuntergestürzt und rituell verspeist, vielmehr steckte man seinen Kopf auf ein Tzompantli und verteilte das Fleisch an die hohen Adligen.[47]

Abb. 15: Das Fest Toxcatl nach dem Codex Borbonicus

Stein des Anstoßes war nicht die Feierlichkeit an sich, auch wenn Alvarado angeblich das Menschenopfer untersagt hatte. Doch bereits im Vorfeld gab es Anzeichen, die auf einen Wandel in der Haltung der Mexica hindeuteten und die Nervosität unter den Spaniern ansteigen ließ. Die Belieferung mit Lebensmitteln stockte plötzlich. Alvarado gegenüber behaupteten die Tlaxcalteken, dass die Mexica die Verbündeten nach der Feier angreifen und opfern wollten, weil sie den Moment für die Befreiung ihres Tlatoani nach dem Abzug von Cortés aus rituellen und strategischen Gründen für günstig hielten. Laut Alva Ixtlilxochitl verbreiteten die Tlaxcalteken dieses Gerücht, um sich an den Mexica zu rächen, die beim Toxcatl-Fest oft unzählige tlaxcaltekische Gefangene geopfert hatten. Angeblich befeuerte auch Narváez’ Ankündigung, Moteuczoma zu befreien, die Bereitschaft der Mexica, gegen den dezimierten Feind zu kämpfen. Auf Seiten der Spanier dagegen taten die eigene Schwäche und die Unsicherheit über den Ausgang des Konflikts mit Narváez ein Übriges, um das Gefühl der Bedrohung zu verstärken.[48]

Zu den Vorbereitungen des Festes gehörte die Herstellung einer großen Statue des Huitzilopochtli, die aus einem Teig aus Samen, geschmückt mit den Insignien des Gottes, bestand. Am Festtag wurde die Statue enthüllt, jedoch nicht – wie vor dem Einzug der Spanier üblich – auf den Großen Tempel gebracht. Angeblich erfuhr Alvarado von einem Gefangenen der Mexica, dass die Statue schon bald wieder an dem dafür vorgesehenen Ort stehen sollte, nämlich da, wo sich noch der christliche Altar und die Marienbilder befanden. Laut der späteren Zeugenaussage von Bernardino Vázquez de Tapia, einem Gegner Alvarados, ließ der Hauptmann daraufhin mehrere zur Opferung vorgesehene Gefangene sowie zwei Familienangehörige Moteuczomas verhören, die unter der Folter bestätigten, was der Hauptmann hatte hören wollen: dass ein Angriff unmittelbar bevorstehe. Um sein Handeln zu rechtfertigen, stellte Alvarado eine ganze Reihe von – wahren oder erfundenen – Behauptungen auf, die den Eindruck vermitteln sollten, dass es sich dabei um nichts anderes als einen vernünftigen Präventivschlag handelte, der das Leben der Spanier retten sollte. Unter anderem beharrte er darauf, dass die Mexica versucht hätten, den christlichen Altar zu entfernen, und ihn dabei beschmutzt hätten.[49]

So entschied Alvarado, die Hälfte seiner Männer zur Bewachung von Moteuczoma und der aztekischen Adligen im Palast zu lassen und mit der anderen Hälfte sowie zahlreichen Tlaxcalteken zum Platz vor dem Großen Tempel zu gehen, wo einige hundert formvollendet geschmückte männliche Hochadlige zum Klang der großen Trommeln vor mehreren tausend Zuschauern tanzten. Im Zentrum stand der Schlangentanz, Macehualiztli, bei dem sich die Tänzer und Zuschauer in eine Ekstase hineinsteigerten. Dieser von Gesängen begleitete rituelle Gruppentanz war eine Form des Gebets, und die Priester wachten streng darüber, dass die Disziplin eingehalten wurde und sich niemand unerlaubt entfernte. Alvarado stationierte seine schwer bewaffneten Männer an den Ausgängen des Platzes und umzingelte die Mexica. Sodann gab er den Befehl zum Angriff auf die wehrlosen Feiernden.[50] Was folgte, beschreibt der Codex Durán mit eindrucksvollen Worten:

… diese Prediger des Evangeliums Jesu Christo oder besser gesagt diese Zöglinge der Gemeinheit traten ohne zu zögern zwischen die Unglücklichen, die bis auf einen Baumwollmantel alle nackt waren und nichts in den Händen hielten außer Rosen und Federn, mit denen sie tanzten, und brachten sie alle um. Als die anderen dies sahen, stürzten sie zu den Toren, wo die Wachen sie töteten. Sie versuchten sich in den Gewölben zu verstecken, um vor diesen Gesandten des Teufels zu fliehen, doch es gelang ihnen nicht und sie wurden alle ermordet. Der Hof war voll von Blut, Eingeweiden, abgeschlagenen Köpfen, Händen und Füßen dieser Unglücklichen. Anderen quollen die Gedärme aus den aufgeschlitzten Bäuchen und das war der bejammernswerteste Anblick, den man sich vorstellen konnte; besonders wegen des schmerzerfüllten Wimmerns und der Schreie, die man in diesem Hof hörte, ohne dass man helfen oder etwas dagegen tun konnte.[51]

Abb. 16: Alvarados Massaker (Durán, Historia 1579, fol. 211)

Die Reaktion kam für die Spanier überraschend, denn angeführt von den überlebenden Adligen und Anführern der Calputin griffen die Mexica zu den Waffen und attackierten die Spanier. Diese zogen sich, in heftige Gefechte verwickelt, in ihre Palastfestung zurück, wobei sie allerdings sieben Tote und viele Verletzte zu beklagen hatten. Fürs Erste konnten sie den Angreifern mit dem Feuer ihrer Artillerie Einhalt gebieten. Die Mexica zogen daraufhin einen Belagerungsring um das Gebäude, verbrannten die Brigantinen, um den Spaniern die Fluchtmöglichkeit zu nehmen, und griffen weiter an. Alvarado gelang es, zwei Tlaxcalteken hinauszuschmuggeln, die Cortés von den besorgniserregenden Vorgängen unterrichteten. Die wütenden Angriffe der aztekischen Krieger zogen sich über mehrere Tage hin und brachten die Spanier an den Rand einer Niederlage. Nachdem sie die Gefahr überstanden hatten, suchten einige den Grund dafür in einer Marienerscheinung und der Hilfe durch den heiligen Jakob. Entscheidender war jedoch das Eingreifen des Moteuczoma, der zusammen mit seinem Bruder Cuitlahuac und Itzquauhtzin, dem Gouverneur von Tlatelolco, das Gemetzel überlebt hatte, das die spanischen Wachen unter den gefangenen aztekischen Fürsten im Palast angerichtet hatten. Angeblich von Alvarado in Ketten gelegt und mit dem Tod bedroht, rief er gemeinsam mit Itzquauhtzin vom Dach des Gebäudes aus seine Landsleute zur Zurückhaltung auf, was deren kriegerischen Elan ebenso merklich schwächte wie die Nachricht von Narváez’ Niederlage. Moteuczoma handelte aus Selbsterhaltungstrieb, büßte aber an Ansehen unter seinen Leuten ein. Laut Vázquez de Tapia rettete seine Rede den Spaniern in dieser hochgefährlichen Lage das Leben.[52]

Cortés reagierte unmittelbar auf den Hilferuf: Er vertraute Rodrigo Rangel das Kommando über Vera Cruz an, wo auch die Kranken und Verletzten sowie die Gefangenen zurückgelassen wurden. Sodann berief er die beiden Expeditionen unter Velázquez de León und Ordás zurück. In Tlaxcala hielt er eine Heerschau ab mit dem Ergebnis, dass ihm tausenddreihundert spanische Soldaten, sechsundneunzig Reiter, achtzig Armbrustschützen und achtzig Arkebusiere zur Verfügung standen. Die Tlaxcalteken stellten weitere zweitausend Krieger. Auf dem schnellsten Weg begab sich die Armee nun zurück nach Mexiko. Unterwegs erfuhren sie dieses Mal von den am Wege liegenden Ortschaften keine freundliche Aufnahme und auch keine Versorgung. Allerdings konnte der Generalkapitän am Johannistag, dem 24. Juni 1520, unbedrängt in die totenstille und scheinbar menschenleere Stadt zur Palastfestung zurückkehren.[53]

Schon den damals aktiv am Geschehen Beteiligten war die Tragweite der Ereignisse bewusst. Alvarados Massaker bedeutete einen Wendepunkt, hinter den es kein Zurück gab. Sofort stellte sich natürlich auch die Schuldfrage. In diesem Zusammenhang verhörte Cortés Alvarado, der die angeblich bevorstehende Attacke der Mexica als Grund vorschützte. Mit dieser Erklärung gab sich der Generalkapitän nicht zufrieden, vielmehr warf er seinem Hauptmann vor, einen schweren Fehler gemacht zu haben. Von einer Bestrafung sah er jedoch ab und schob die Schuld später auf Narváez, dessen Erscheinen den Widerstandswillen der Mexica erst geweckt habe. Trotz des offensichtlichen und folgenreichen Rechtsbruchs entging Alvarado auch in der Folgezeit einer Verurteilung. Die spanischen und indigenen Chronisten waren sich später mehr oder weniger einig, dass Alvarado die Verantwortung für das Massaker trug, das sie indes unterschiedlich bewerteten. Cortés selbst breitete in seinem Briefbericht den Mantel des Schweigens darüber, während andere das Thema nur kurz streiften.[54]

Nach den indigenen Quellen Sahagúns und des Codex Durán tanzten die Adligen auf besonderen Wunsch von Cortés. Laut Durán war der Generalkapitän sogar anwesend während des Massakers, womit die Quelle allerdings alleinsteht. Diese Aussagen haben in der Forschung zu Vermutungen geführt, dass Cortés die Ermordung der aztekischen Elite nach dem Vorbild des Massakers von Cholula beauftragt haben könnte, um den Gegner entscheidend zu schwächen. Angesichts der Parallelen zwischen beiden Bluttaten ist der Gedanke nicht abwegig, allerdings findet er sich in den Quellen nur als Vermutung im Codex Ramírez und lässt sich sonst nicht weiter belegen.[55]

Zweifellos stand hinter der spanischen Gräueltat einerseits Angst und andererseits das Beispiel von Cholula, wo bereits einmal ein Massaker unter der Führungsschicht angerichtet worden war. Ohne Frage trug Alvarado als Befehlshaber vor Ort dafür die Verantwortung, während Cortés’ Rolle dubios bleibt. Das Verbrechen erwies sich jedoch als kontraproduktiv, weil damit die Unterstützung für Moteuczoma seitens der Mexica endgültig aufhörte. Von nun an waren die Geiseln für die Spanier wertlos. Dies und der heftige Kampf, den die aztekischen Krieger ihren spanischen Feinden lieferten, lassen kein anderes Fazit zu, als dass die politischen Kosten des Blutbads, das Alvarado angerichtet hatte, zu hoch waren.

Der Tod Moteuczomas und die «traurige Nacht»

Warum die Mexica Cortés und seine Männer kampflos wieder in die Stadt ließen, ist ungeklärt. Taten sie dies, um die Spanier dort besser bekämpfen zu können oder weil sie noch um die Gefallenen trauerten? Beide Thesen können nicht völlig überzeugen und die Quellen geben keine Antwort auf diese Frage. Die Angaben in den Anales de Tlatelolco und bei Sahagún könnten darauf hindeuten, dass der Respekt gegenüber Cortés noch immer groß war und die Mexica eventuell weiterhin verhandlungsbereit waren.[56] Immerhin hatte Cortés mit seinen Männern die Zahl der Verteidiger entscheidend erhöht. Ein Entsatz war ihnen jedoch nicht möglich. Zwar konnten sie hin und wieder noch Boten durch den Belagerungsring schleusen, die Versorgungslage gestaltete sich aber trotz der Entdeckung einer Brackwasserquelle im Innenhof von Tag zu Tag schwieriger. Während der gut dreiwöchigen Belagerung zogen die Azteken die Dammbrücken hoch und griffen die Spanier an, sobald diese sich aus ihrer Festung herauswagten. Cortés befahl mehrere Ausfälle, einmal mit selbst gezimmerten «Türmen», die die Soldaten schützen sollten. Tagsüber gelang es den Spaniern auf diese Weise, Häuser in der Nachbarschaft und einmal sogar den Palast von Moteuczoma einzunehmen. Nachts aber, wenn sie sich in ihren Palast zurückzogen, nahmen die Mexica die Gebäude wieder ein. Außer Verlusten und Verwundungen brachten die Attacken nichts ein. Besonders schwer hatten es laut Bernal Díaz die Reiter in den Gassen und Kanälen der Stadt. Nach kurzer Zeit waren fast alle Pferde mehr oder weniger stark verletzt.[57]

Die Mexica zeigten erst am Tag nach Cortés’ Rückkehr, «als man uns angriff», ihre volle Kampfkraft, die die Spanier überraschte.[58] Sie attackierten den Palast, legten Brände und bewarfen die eingeschlossenen Feinde von benachbarten Gebäuden aus mit Steinen und Speeren, was sich als wirksamste Kampfweise herausstellte. Insbesondere die großen Tempel wurden als Basis für diese Angriffe genutzt, woraufhin Cortés eine der Pyramiden erfolgreich stürmen ließ, ohne dass er das Bauwerk hätte halten können. Von den schweren Verlusten, die ihnen die spanische Artillerie und die Schützen zufügten, ließen sie sich nicht beeindrucken. Es schien den Spaniern, als kämen auf jeden erschlagenen aztekischen Krieger zwei neue auf das Schlachtfeld. Doch die Mexica passten auch ihre Kampfweise an, um die Ausfälle zu reduzieren. So zogen sie sich strategisch zurück, griffen aus der Deckung an und behinderten die spanischen Ausbesserungsarbeiten an der Palastfestung. Zudem lernten sie, den Schusswaffen aus dem Weg zu gehen. Die psychologische Kriegführung spielte ebenfalls eine wichtige Rolle. Gezielt veranstalteten die Mexica Kriegsgeschrei bei Nacht, um ihren Feinden Angst einzujagen und ihnen den Schlaf zu rauben, und setzten Schmähungen und Drohungen bewusst ein. Sie befragten auch ihre Priester nach günstigen Vorzeichen und beteten zu ihren Göttern. Der größte Vorteil der Mexica bestand in der hohen numerischen Überlegenheit, die durch die Mobilisierung der tributpflichtigen Städte des Umlands noch stieg. Díaz del Castillo, der die Tapferkeit seiner Feinde bewunderte, bemerkte treffend: «… und selbst zehntausend trojanische Hektor und noch einmal so viele Rolands hätten sie nicht alle umbringen können».[59]

Abb. 17: Die Belagerung (Durán, Historia 1579, fol. 217)

Währenddessen verschlechterte sich die Stimmung unter Cortés’ Männern, insbesondere unter den Neuzugängen aus Narváez’ Armee, merklich, weshalb sich Cortés gezwungen sah, erneut zu verhandeln. Schon einige Tage zuvor hatte er das versucht und sogar eine seiner wichtigsten Geiseln, Cuitlahuac, den Herrscher von Itztapalapa, wahrscheinlich im Austausch gegen Proviant freigelassen. Diese Maßnahme hatte jedoch nicht die gewünschte beruhigende Wirkung, denn der Bruder Moteuczomas, der schon im Vorfeld einen harten Kurs gegen die Spanier befürwortet hatte, organisierte den großen Rat der Mexica, der ihm die Macht übertrug, ihn aber noch nicht inthronisierte. Er wurde somit zum neuen Oberbefehlshaber der aztekischen Truppen. In dieser Situation war Moteuczoma Cortés letzter Trumpf, allerdings hatte der Generalkapitän seit seiner Rückkehr den Kontakt mit dem Tlatoani gemieden und ihn wegen seines vermeintlichen Verrats auch beschimpft. Nun befahl er ihm, seine Untertanen vom Dach des Palasts aus zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen aufzurufen.[60]

Die spanischen Quellen berichten, dass der Fürst mit einigen anderen adligen Gefangenen seinen Kriegern Einhalt gebot. Einigen Berichten zufolge herrschte für einen Moment Ruhe und man hörte ihn an. Andere Chroniken berichten dagegen, dass das Erscheinen des von spanischen Schilden gedeckten Herrschers im Kampfgetümmel gar nicht bemerkt wurde. Nach der ersten Version befahl der Tlatoani seinen Untertanen, den Kampf einzustellen, weil die Spanier sofort abziehen wollten. Dies lehnten die Mexica jedoch ab – laut Díaz del Castillo unter Tränen, laut Cervantes de Salazar unter Fluchen und Verwünschungen gegen Moteuczoma. Angeblich gingen sie sofort wieder zum Angriff über und verletzten mit ihren Wurfgeschossen den nur ungenügend geschützten Tlatoani so schwer, dass er nach kurzer Zeit – einige Quellen sprechen auch von mehreren Tagen – seinen Verletzungen erlag. Laut Díaz del Castillo ließ Cortés einige aztekische Priester frei und gab auch den Leichnam zur Übergabe an die Mexica frei, die jedoch immer noch nicht zum Einlenken bereit waren.[61]

In den Quellen, die sich auf indigene Zeitzeugen stützen, wird Moteuczomas Tod teils anders geschildert. Auch hier gibt es kein einheitliches Bild, doch laut Sahagún und dem Codex Ramírez entdeckten die Mexica die Leiche vor den Toren des Palastes und schlossen daraus, dass er auf Befehl des Cortés ermordet worden war. Die beiden Versionen lassen sich insoweit in Einklang bringen, als die Azteken nicht wussten, dass der Tlatoani einer nicht unbedingt gezielten Verletzung zum Opfer gefallen war.[62] Auch der Umgang mit der Leiche ist umstritten. Während die einen behaupten, die Mexica hätten ihrem Tlatoani keine Träne nachgeweint, weil er seine Legitimität verloren hatte und vom Volk verachtet wurde, berichten andere Augenzeugen und Sahagúns Gesprächspartner, dass die Untertanen ihren verstorbenen Herrscher mit großen Zeremonien geehrt und nach aztekischem Brauch verbrannt und betrauert hätten.[63]

Abb. 18: Der Umgang mit der Leiche Moteuczomas nach Sahagún

Nun bestimmten die Mexica auch formell Cuitlahuac zum Tlatoani von Tenochtitlan. Cortés, der von europäischen Erbrechtsvorstellungen ausging, ließ daraufhin einen aztekischen Gefangenen frei, der seinen Landsleuten ausrichten sollte, dass die ebenfalls in spanischem Gewahrsam befindlichen Söhne oder der Neffe Moteuczomas rechtmäßige Nachfolger seien. Allerdings ignorierten die Mexica dieses verzweifelt anmutende Manöver und griffen weiter an. Frustriert vom Scheitern seiner Verhandlungsversuche ließ der Generalkapitän mit Zustimmung seiner Offiziere bis auf Chimalpopoca und zwei Töchter Moteuczomas alle weiteren Geiseln, die sich in spanischer Gewalt befanden, ermorden und die Leichen vor den Palast werfen. Darunter befanden sich so illustre Namen wie Itzquauhtzin und Cacama.[64] Aguilar, ein Augenzeuge der Vorgänge, schilderte eindringlich, was dann geschah:

Einige der Indios, die nicht getötet worden waren, trugen die Leichen hinaus. Bei Nacht, etwa gegen zehn Uhr, kamen dann so viele Frauen mit brennenden Fackeln, Kohlenbecken und Feuern, dass wir einen großen Schreck bekamen. Sie kamen, um nach ihren Männern und Verwandten zu suchen, die tot im Säulengang lagen … und als die Frauen ihre Verwandten und Angehörigen erkannten (was wir, die wir auf dem Dach Wache hielten, genau sehen konnten), warfen sie sich, von tiefem Kummer und Schmerz ergriffen, auf die Leichen und stimmten ein so lautes Geschrei und Wehklagen an, dass uns Angst und Schrecken in die Glieder fuhr […][65]

Für die Conquistadoren wurde die Lage derweil immer aussichtsloser, sodass der Druck auf den Generalkapitän wuchs. Die Männer wollten aus der Umklammerung ausbrechen und aus Tenochtitlan fliehen, ein Gedanke, der Cortés höchst zuwider war, hatte er sich doch vorgenommen, die Stadt seinem König zu übergeben. Weitere Versuche der Spanier auszubrechen, sich zu den Dammbrücken durchzukämpfen und dabei die anliegenden Häuser zu zerstören, um mit dem Schutt die von den Mexica angelegten Breschen zu überbrücken, verpufften, da ihre Gegner die Lücken in den Kampfpausen wieder aufbrachen. Als die Versorgungslage unerträglich und die Munition knapp wurde, entschloss sich Cortés in Abstimmung mit seinen Hauptleuten zum Handeln. Ohne weiter zu zögern, wollten die Spanier um Mitternacht mit allen Männern über die letzte passierbare Dammstraße nach Tlacopan im Westen aus der Falle, zu der sich der Palast des Axayacatl entwickelt hatte, ausbrechen. Ein Conquistador, der sich selbst als Astrologe ausgab und als Beweis für seine Seriosität anführen konnte, dass er schon einmal in Rom gewesen war, gab mit seiner Prophezeiung den Ausschlag für die Entscheidung. Die Uhrzeit hatte aber auch praktische Gründe, da die Mexica bei Nacht in der Regel nicht kämpften. Zur Vorbereitung ließ der Generalkapitän eine bewegliche Behelfsbrücke bauen. Die Truppe wurde unterteilt, wobei Sandoval die Vorhut anführte, Cortés mit dem größten Teil der Armee, den Gefangenen und Geistlichen die Mitte bildeten, Velázquez de León und Alvarado hinten marschierten und die stark dezimierten Tlaxcalteken den Abschluss bildeten. Die Frage, die viele der Spanier in diesem Moment größter Anspannung am meisten umzutreiben schien, war, wie man den in Tenochtitlan zusammengeraubten Goldschatz mitnehmen konnte. Eine Stute wurde mit dem Anteil des Königs beladen, der so schwer war, dass das Tier kaum noch laufen konnte. Auch die Soldaten durften sich nun am Gold bedienen und steckten sich so viele Barren wie möglich unter die Rüstung. Die große Flucht konnte beginnen.[66]

In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1520 – einige Quellen nennen den 10. Juli – schlichen sich die Spanier, die ein gutes halbes Jahr zuvor arrogant und siegesgewiss in die Hauptstadt eingezogen waren, nun verängstigt davon. Das Wetter begünstigte ihr Vorhaben, denn es regnete in Strömen, was die Augenzeugen als göttliche Fügung deuteten. Bis zu den Stadtgrenzen kamen sie unbemerkt und hatten schon den Dammweg erreicht, als eine aztekische Frau und ein Wachtposten auf einem der Tempel Alarm schlugen. Was dann passierte, ist eine der schwärzesten Stunden der Spanier in der Geschichte der Eroberung der Neuen Welt. Zu Land und zu Wasser griffen die Mexica die Conquistadoren von allen Seiten wütend an. Die Behelfsbrücke, mit der sie die ersten Kanäle überwunden hatten, stürzte um, als zwei Pferde auf dem rutschigen Boden scheuten. Der Kanal füllte sich mit toten Tieren und Männern, die von den nachrückenden Soldaten ins Wasser geschoben wurden. Angesichts der Enge konnten die Berittenen nichts ausrichten und die Waffen der Schützen waren aufgrund der Nässe nicht einsatzbereit. Rasch löste sich die Kampfordnung auf, jeder war sich selbst der Nächste. Viele Spanier ertranken, weil die Last des Goldes sie in die Tiefe zog. Die Tlaxcalteken, die die undankbare Rolle der Nachhut übernommen hatten, wurden fast vollständig aufgerieben. Zahlreiche Männer fielen in die Hände der Mexica, obwohl jene nicht mehr in erster Linie auf Gefangene aus waren, sondern ihre Feinde töteten, wo sie konnten. Die Vorhut unter Sandoval und das Hauptheer unter Cortés erreichten unter schweren Verlusten das Ufer bei Tlacopan. Alvarado konnte sich schwer verletzt zu Fuß retten, doch Velázquez de León und der größte Teil der den beiden unterstehenden Männer waren ebenso tot wie die aztekischen Geiseln, darunter Chimalpopoca, der von Cortés vorgesehene Thronfolger. Einige Angehörige der Nachhut mussten sich zurück zur Palastfestung durchschlagen, wo sie sich noch einige Tage halten konnten und dann getötet wurden.[67]

Abb. 19: Die ‹Noche triste› (Lienzo de Tlaxcala)

Das Ergebnis dieser Schlacht, die als «Noche triste», als «traurige Nacht», in die Geschichtsschreibung der Europäer und als Schlacht am Toltekenkanal in die der Mexica eingehen sollte, war aus spanischer Sicht verheerend. Cortés selbst spielte die Zahl der Gefallenen in seinem Bericht an den Kaiser herunter, doch andere Augenzeugen schätzten, dass mehrere hundert Conquistadoren und mehrere tausend Tlaxcalteken umgekommen waren. Laut Aguilar und Vázquez de Tapia lagen die Verluste bei rund fünfzig Prozent. Außerdem hatte man den Ausfall von rund fünfundvierzig Pferden und der gesamten Artillerie zu beklagen. Was noch schwerer wog: Das Gold ging vollständig verloren. Die Mexica und ihre Verbündeten verloren in dieser Nacht ebenfalls eine große Anzahl von Kriegern, machten allerdings trotz der veränderten Kampfweise auch viele Gefangene, die sie später opfern sollten. Aus ihrer Sicht war die Nacht ein großer Erfolg, war es ihnen doch gelungen, die Feinde aus der Stadt zu vertreiben. Falls es unter den Indigenen jemand gegeben haben sollte, der die Europäer für unsterbliche Götter gehalten hatte, so war diese Überzeugung spätestens nach dieser Nacht zerstört. [68]

Der Aufenthalt der Spanier in Tenochtitlan von November 1519 bis Juli 1520 lässt viele Fragen offen. Die Differenzen zwischen den zahlreichen Berichten und Chroniken sind groß und es lässt sich dabei auch keine klare Trennung zwischen indigenen und europäischen Autoren ziehen. Trotz der Vielzahl von Versionen der Ereignisse lassen sich manche Geschehnisse nicht erklären. Die Eckpunkte stehen jedoch außer Zweifel und sie lassen einige Schlüsse zu. So lässt sich festhalten, dass die Conquistadoren ohne die Unterstützung ihrer indigenen Verbündeten die Flucht nicht überlebt hätten. Die Gestaltungsspielräume der Spanier waren wesentlich geringer, als sie selbst dies darstellten, obschon sie sich dessen nicht immer bewusst waren. So folgten sie mit ihren Handlungen auch der Logik der Mexica, in deren Kosmos sie eingebrochen waren. Glaubt man ihren Schilderungen, so verschafften sie sich mit Lug und Trug insbesondere durch die handstreichartige Gefangennahme des Tlatoani einen entscheidenden Vorteil. Jedoch zeigten die Entwicklungen im Frühjahr 1520, dass Moteuczomas Macht nicht allumfassend und seine Person nicht unantastbar war. In der spannungsreichen Phase zwischen April und Juni vertrauten beide Seiten auf höhere Mächte, in der großen Schlacht am Toltekenkanal oder der «traurigen Nacht» erkannten sie das Wirken ihrer Götter. Die Mexica feierten sie mit Siegesfeiern, die Spanier, die mit knapper Not ihre Haut gerettet hatten, trauerten mit Gebeten. Doch der Krieg war noch nicht zu Ende, er sollte vielmehr erst richtig beginnen.