Für die Mexica war die Schlacht am Toltekenkanal ein teuer erkaufter Triumph. Teile der Stadt waren verwüstet und die Basis des Staatswesens, die Autorität des Tlatoani, war erschüttert. Mit Cuitlahuac hatten sie zwar einen neuen, zum Kampf bereiten Tlatoani, doch der schmachvolle Tod von Moteuczoma und vieler Mitglieder der aztekischen Elite schmerzte sehr. Außerdem hatten sich zahlreiche Provinzen gegen die Mexica erhoben. Der Wechsel von Allianzen war in der stark gegliederten Stadtstaatenwelt Mesoamerikas schon in der vorspanischen Zeit gang und gäbe, sodass die Ankunft der Europäer nur ein dynamisierendes Element bildete. Diese Dynamik wollten sich die Tlaxcalteken und die zahlreichen weiteren Stadtstaaten, die sich den Verbündeten anschlossen, zunutze machen. Für die spanischen Conquistadoren war das Desaster mehr als nur eine «traurige Nacht». Durch die enormen Verluste an Männern und Material hatte der Kampfgeist der Truppe schwer gelitten. Die Mehrheit wollte auf dem schnellsten Weg zurück nach Kuba. Sie hatten Angst, wie die gefangenen Landsleute und Verbündeten von der scheinbar unermesslichen Masse der Mexica in Tenochtitlan abgeschlachtet und geopfert zu werden. Für Cortés aber konnte es kein Zurück geben, denn auf Kuba wartete ein rachsüchtiger Velázquez auf ihn. Er war dazu verdammt zu kämpfen.
Während die Schlacht noch tobte, hatte die Vorhut der Spanier Popotlan erreicht, wo sie erneut von aztekischen Kriegern angegriffen und in Richtung Tlacopan (Tacuba) getrieben wurde. Angesichts der andauernden Attacken mussten sie viele Verletzte zurücklassen, die den Feinden in die Hände fielen. Am Otoncalpolco, einem Hügel, den man später Nuestra Señora de los Remedios nannte, kamen sie vorerst zur Ruhe. Die im nicht weit entfernten Teucalhuiacan lebenden Tepaneken empfingen die Flüchtlinge freundlich und versorgten die halb verhungerten und verwundeten Männer mit dringend benötigten Lebensmitteln. Dass die Tepaneken den Aufrufen der Mexica zum gemeinsamen Kampf gegen die Fremden nicht folgten, zeigt, wie sehr die Autorität Tenochtitlans bereits ausgehöhlt war. Folgt man den Quellen, war Cortés selbst wegen der hohen Verluste zunächst sehr niedergeschlagen, fasste sich aber schnell wieder und gab als Marschziel Tlaxcala aus. Die überlebenden Tlaxcalteken sollten die dezimierte Armee auf der Nordroute um den See führen, weil man dadurch mehr Abstand zur Hauptstadt gewann und durch weniger dicht besiedelte Gebiete ziehen konnte.[1]
Nach einer Heerschau, die das ganze Ausmaß der militärischen Katastrophe offenbarte, zogen die Spanier über Tepotzotlan, Citlaltepec und Xoloc nach Norden, wurden aber weiter sporadisch attackiert. Die Bewohner dieser Ortschaften hatten ihre Häuser bei Erscheinen der fremden Soldaten zwar verlassen, doch boten die Gebäude Schutz und Proviant, sodass sich die verausgabten Männer zumindest etwas Erholung verschaffen konnten. Während des Marsches wussten sie sich durch ihre Reiterei effektiv zu wehren, zumal ihre Gegner nicht in großer Zahl zum Kampf antraten. Dennoch bot die Truppe zweifellos ein trauriges Bild: Die Schwerverletzten wurden von den weniger stark Verwundeten in die Mitte genommen und bestimmten das Marschtempo. Viele Männer starben wegen ihrer Wunden oder an Auszehrung, denn eine ausreichende Lebensmittelversorgung war in den dünn besiedelten Gebieten nicht zu haben.[2]
Schließlich stellte sich Anfang Juli in der Nähe der Ortschaft Otumba ein gut gerüstetes, von Cuitlahuac ins Feld geschicktes aztekisches Heer den Spaniern in den Weg. Da außerhalb der üblichen Jahreszeit für den Krieg die eigenen Truppen zunächst ergänzt werden mussten, hatten die Mexica die Verfolgung nicht sofort aufnehmen können. Außerdem war es notwendig, die tributpflichtigen Vasallen zur Ordnung zu rufen, die die Schwächephase Tenochtitlans während der Gefangenschaft Moteuczomas dazu genutzt hatten, die Verbindungen zu lockern. Schließlich stellte das politische Durcheinander nach dem Tod des Tlatoani und großer Teile der Führungsschicht ein Problem dar, dessen Lösung einige Zeit in Anspruch nahm. Die Schlacht bei Otumba zog sich über mehrere Stunden hin und brachte die Spanier und ihre Verbündeten an den Rand einer Niederlage. Ihr Vorteil war jedoch, dass der Kampf in einer Ebene stattfand, sodass die Kavallerie ihre volle Wirkung entfalten konnte. Als es der spanischen Reiterei gelang, den mexikanischen Oberbefehlshaber, der aufgrund seiner auffälligen Kriegskleidung mit Federschmuck und Standarte aus der Masse seiner Krieger herausstach, ausfindig zu machen und zu töten, wendete sich das Blatt. Insbesondere die Eroberung des Banners war für die Mexica ein schlechtes Zeichen, denn damit galt die Schlacht als verloren. Die aztekische Armee zog sich zurück und verpasste damit die große Gelegenheit, einen stark angeschlagenen Feind ein für alle Mal zu vernichten. Einige Spanier beteuerten später, sie hätten die wundersam anmutende Rettung dem Eingreifen des heiligen Jakob auf seinem weißen Pferd zu verdanken gehabt.[3]
Die Erleichterung der Spanier war groß, als sie wenige Tage nach Otumba wieder das Gebiet der Tlaxcalteken erreichten. Díaz del Castillo erinnerte sich: «Wir freuten uns so, als wären wir zuhause angekommen.» Cortés schärfte seinen Männern ein, nicht mehr zu plündern und jegliche Übergriffe gegen die Bevölkerung zu vermeiden. Das Ansehen der Europäer in der Region war gesunken. In der tlaxcaltekischen Ortschaft Hueyutlipan wurden sie zwar freundlich, aber nicht überschwänglich empfangen und erstmals mussten sie die Lebensmittel der Tlaxcalteken mit Gold bezahlen. Nach einigen Tagen erhielten die Spanier Besuch von einer hochrangigen Delegation unter Maxixcatzin. Sie versicherten Cortés ihrer Unterstützung und ihrer Bereitschaft weiterzukämpfen, nicht zuletzt, weil sie die eigenen Toten rächen wollten. Außerdem luden sie die Spanier ein, sich in der Hauptstadt auszuruhen, um wieder zu Kräften zu kommen. Gegen Mitte Juli zogen die ausgemergelten Reste der einst stolzen Armee in Tlaxcala ein, wo sie rund drei Wochen verweilten und ihre Wunden pflegten. Aufgrund der unzureichenden medizinischen Versorgung starben noch weitere Männer an ihren Verwundungen. Die Überlebenden wussten genau, dass sie ohne die Hilfe der Tlaxcalteken verloren gewesen wären.[4]
Die Frage, wie man sich gegenüber den Spaniern verhalten sollte, hatte zuvor in Tlaxcala zu Streit unter den führenden Köpfen geführt. Xicotencatl der Jüngere, der beim ersten Zusammentreffen den Krieg gegen die Fremden angeführt hatte, sprach sich gegen eine Kooperation aus. Hinzu kam, dass die Mexica sechs hochgestellte Abgesandte nach Tlaxcala schickten, die für ein Bündnis warben, was bei einigen Mitgliedern der dortigen Elite auf Interesse stieß. Mit Geschenken und dem Argument, dass Tlaxcalteken und Mexica verwandt seien und dieselben Götter verehrten, während die gierigen Spanier die Herrschaft im ganzen Land anstrebten, versuchten sie, ihre Gesprächspartner zu überzeugen. Angeblich kam es über diese Frage zu handgreiflichen Auseinandersetzungen innerhalb des obersten Rats der Tlaxcalteken, wobei sich die Cortés freundlich gesinnte Partei um Maxixcatzin wohl nicht zuletzt deshalb durchsetzte, weil den Zusicherungen der Mexica nicht unbedingt zu trauen und deren Rache bekanntermaßen grausam war. Allerdings rangen die Tlaxcalteken den Spaniern große Zugeständnisse für die weitere Unterstützung ab. So beanspruchten sie die dauerhafte Befreiung von der Tributpflicht gegenüber Tenochtitlan, eine eigene Festung in der Hauptstadt der Mexica, einen Anteil an der Kriegsbeute, die Herrschaft über Cholula sowie Tribute von Huexotzinco und Tepeyaca.[5]
Angesichts der Bedeutung Tlaxcalas blieb Cortés gar nichts anderes übrig, als in die Forderungen einzuwilligen. Während des Aufenthalts in Tlaxcala ließ der Generalkapitän alles Gold einsammeln, das die Conquistadoren aus Tenochtitlan hatten retten können. Die Maßnahme löste natürlich Unmut in der Truppe aus, allerdings war sie aus Sicht des Generalkapitäns notwendig, um die Kriegskasse der Hueste wieder aufzufüllen. Ohnehin hatten viele der Männer keineswegs euphorisch auf die Ankündigung reagiert, den Krieg fortzusetzen. Sie fühlten sich selbst in Tlaxcala nicht sicher, denn, wie López de Gómara feststellte, «niemals hält die Freundschaft zwischen Personen unterschiedlicher Religion, Kleidung und Sprache lange».[6] Insbesondere einige der erst mit Narváez gekommenen Conquistadoren wollten unbedingt zurück nach Kuba. Unter Führung seines ehemals engen Vertrauten Andrés de Duero rangen sie Cortés die Zusage ab, sich bei nächster Gelegenheit einschiffen zu dürfen. Derweil schickte der Generalkapitän Boten nach Veracruz, die die Lage erkunden und den dortigen Kommandanten einschärfen sollten, zunächst kein Schiff nach Kuba ablegen zu lassen. Da die Wege während der Kämpfe gegen die Mexica unsicher geworden waren, sollten sie sich abseits davon bewegen. Noch während sich Cortés in Tenochtitlan aufhielt, waren ein ganzes Regiment von fünfundvierzig Mann und fünf Reitern unter Juan de Alcántara sowie mehrere hundert Tlaxcalteken, die in Vera Cruz Nachschub holen und Teile des in Tlaxcala zurückgelassenen Schatzes in Sicherheit bringen sollten, in eine Falle der Mexica geraten und umgekommen. Die Nachrichten, die von der Küste kamen, waren gemischt: In der Region herrschte weiterhin Frieden, aber da in der Garnison auch nur wenige Männer abkömmlich waren, blieb der erhoffte Nachschub aus.[7]
Dennoch plante Cortés bereits den nächsten Feldzug, nicht zuletzt um seine unzufriedenen Männer zu beschäftigen. Ihm war klar, dass er die Nachschublinien nach Veracruz besser sichern musste, wenn er die angestrebte Entscheidungsschlacht gewinnen wollte. Außerdem hatte er erkannt, dass der Zusammenhalt innerhalb des Aztekenreichs brüchig war. Eine Machtdemonstration war in der Regel ausreichend, um die tributpflichtigen Städte zu einem Wechsel der Seiten zu bewegen. Cortés entschied sich, die mit Tenochtitlan verbündeten Städte der Region anzugreifen, um die Azteken zu schwächen, neue Alliierte zu gewinnen und den Tlaxcalteken einen Beweis wiedergewonnener Stärke vor Augen zu führen. Rund einen Monat nach der Flucht attackierten seine Truppen – nicht zuletzt auf Drängen seiner Gastgeber – die nahe gelegene Stadt Tepeyaca, die aufgrund ihrer Lage an der Straße zur Küste einen hohen strategischen Wert hatte.
Tepeyaca war Tenochtitlan tributpflichtig und viele Mexica lebten dort. Angeblich hatten Krieger der Stadt und benachbarter Ortschaften einige Spanier umgebracht, was Cortés als Rebellion gegen den Kaiser auslegte. In einer rund dreiwöchigen besonders grausamen Strafaktion eroberten die Spanier und ihre Verbündeten die ganze Provinz. Diejenigen, die sich nicht freiwillig unterwarfen, und viele andere mehr wurden versklavt und mit einem G für «Guerra» (Krieg) gebrandmarkt. Zahllose Kriegsgefangene wurden von den Tlaxcalteken geopfert. Als Grund für das brutale Vorgehen nannte Cortés im Bericht an den Kaiser nicht zuletzt den Kannibalismus, einen Faktor, über den er bis dato geflissentlich hinweggesehen hatte und bei seinen Verbündeten auch weiterhin hinwegsah. Eigentlich ging es ihm bei der Versklavung der Kriegsgefangenen und ihrer Frauen und Kinder darum, Träger zu gewinnen, da er die Tlaxcalteken als Krieger benötigte. Außerdem konnte er mit der Verteilung von Sklaven an seine Männer den Verlust des Golds bis zu einem gewissen Grad kompensieren. Schließlich wollte Cortés mit seinem gewaltsamen Vorgehen die Bewohner der Region gefügig machen und sie davon abhalten, sich bei nächster Gelegenheit wieder auf die Seite der Feinde zu schlagen. Um die Eroberungen abzusichern, gründeten die Spanier Anfang September in Tepeyaca die Garnisonsstadt La Villa de Segura de la Frontera. Damit kontrollierten sie die Wege zur Karibikküste und hatten den Einfluss der Mexica in dieser Region praktisch zunichte gemacht.[8]
Während Cortés das Hauptquartier in der neuen Stadt einrichtete, liefen insgesamt sieben spanische Schiffe aus unterschiedlichen Gründen Vera Cruz an. Bei Pedro Barba handelte es sich um einen Boten von Velázquez, der davon ausging, dass Narváez mittlerweile das Kommando hatte und Cortés als Gefangenen nach Kuba holen lassen wollte. Es legten aber auch Schiffe aus der Karibik und sogar direkt aus Spanien an, die mit den Kubanern nichts zu tun hatten. So hatte Garay, der Gouverneur von Jamaika, erneut eine kleine Flottille unter dem Kommando von Julián de Alderete mit etwa hundertfünfzig Spaniern und achtzig Pferden zur Erkundung von Pánuco geschickt, die jedoch, nachdem ein Schiff gesunken war, stark dezimiert Vera Cruz erreichte. Die Besatzungen wurden teils unter Vorspiegelung falscher Tatsachen als Verstärkung zu Cortés nach Segura de la Frontera geschickt. Sie brachten wichtigen Nachschub an Waffen und Munition mit. Insgesamt wuchs die spanische Armee durch die Neuankömmlinge um rund 50 Prozent an. Insbesondere die fünfzig Pferde waren der Truppe höchst willkommen.[9]
Mit den Schiffen kamen auch Neuigkeiten aus Spanien. So erfuhr Cortés, dass es um sein Anliegen im Heimatland besser stand, da die Stellung von Bischof Rodríguez de Fonseca nicht mehr unumstritten war. Nach dem Verlust aller Papiere und Akten war es nun an der Zeit, die Geschehnisse der letzten Monate schriftlich zu dokumentieren und die Krone zu unterrichten. Mit Hilfe seiner Notare ließ der Generalkapitän diverse Schreiben aufsetzen, in denen Rechenschaft über den Verbleib des Goldes und die Kosten der Expedition abgelegt wurde. Darüber hinaus verfasste er seinen ausführlichen zweiten Briefbericht an den Kaiser, der als eine der wichtigsten Quellen zu den dramatischen Erlebnissen der Hueste Berühmtheit erlangen sollte. Cortés’ Hauptanliegen war, sein Handeln zu rechtfertigen und das Scheitern in Tenochtitlan in ein milderes Licht zu rücken. Da er sich seiner Sache keineswegs sicher sein konnte, schreckte der Generalkapitän auch vor Verzerrungen der Wahrheit nicht zurück. Insbesondere bemühte er sich darum, Gouverneur Velázquez und Narváez zu diskreditieren. Seinen Vertrauten Alonso de Mendoza beauftragte er damit, die Briefe nach Spanien zu bringen, doch konnte dieser wegen schlechten Wetters erst im März 1521 auslaufen. Ferner schickte Cortés Alonso de Ávila und Francisco Álvarez Chico nach Santo Domingo, um Waffen, Munition und Pferde zu kaufen sowie die dortige Audiencia unter Rodrigo de Figueroa auf seine Seite zu ziehen. Gleichzeitig schickte er die noch seetüchtigen Schiffe los, um unter anderem in Jamaika Nachschub zu besorgen. Was die Unzufriedenen anging, die größtenteils der ehemaligen Truppe von Narváez angehörten, hielt er sein Versprechen und erlaubte deren Abreise. Unter den Leuten befand sich auch sein Vertrauter Andrés de Duero, dem Cortés Gold und Briefe für seine Frau und seinen Schwager in Kuba mit auf den Weg gab.[10]
Während sich die Situation der Spanier konsolidierte, konnten die Mexica ihren Sieg am Toltekenkanal nicht nachhaltig nutzen. Den Feiern, bei denen zahlreiche spanische und tlaxcaltekische Gefangene geopfert wurden, folgte die Ernüchterung, weil sich die Spanier in Tlaxcala festsetzten und die diplomatischen Bemühungen um ein Bündnis nicht nur dort, sondern auch bei den nördlichen Nachbarn, den Tarasken, scheiterten. Die Verhandlungen mit Zuangua, dem Cazonci (Herrscher) des Taraskenreichs, das sich ungefähr auf dem Gebiet der heutigen mexikanischen Bundesstaaten Michoacan und Jalisco befand, hatte bereits Moteuczoma aufgenommen. Die Tarasken, deren Reich das zweitstärkste staatliche Gemeinwesen im damaligen Mesoamerika darstellte, waren als Krieger gefürchtet. Ähnlich wie die Tlaxcalteken misstrauten sie den Azteken, weshalb der Cazonci entschied, die Neutralität zu wahren. Die diplomatischen Fehlschläge überschatteten die feierliche Inthronisierung Cuitlahuacs im September 1520. Auch im Innern war seine Stellung noch nicht gefestigt, konnte er doch nicht den üblichen Schaukrieg durchführen, mit dem ein neuer Herrscher normalerweise Opfer für die Krönungsfeier gewann, seine Stärke unter Beweis stellte und sich dadurch der Treue seiner Vasallen versicherte. Bürgerkriegsartige Unruhen zwischen einer Friedens- und einer Kriegspartei erschütterten das Zusammenleben. Erstere strebte ein Bündnis mit den Spaniern an, um wieder zur Ruhe zu kommen, doch die Gruppe der Kriegsbefürworter setzte sich durch und eliminierte jeglichen Widerstand. Daraufhin ließ der neue Tlatoani die Schäden am Großen Tempel ausbessern und die Götterstatuen wieder aufstellen. Die Verteidigungsanlagen wurden ebenfalls repariert und neue hinzugefügt, zudem wurde die Bewaffnung ergänzt.[11]
Außerdem versuchte Cuitlahuac die spanische Expansion in den Provinzen abzublocken und schickte Truppen in das stark befestigte Quauhquechollan und nach Itzyocan in der Nähe von Cholula, um den Hauptpass in das Tal von Mexiko zu blockieren. Allerdings schlug diese strategisch wichtige Maßnahme fehl, weil die Anführer von Quauhquechollan die Spanier und Tlaxcalteken wegen der Übergriffe der aztekischen Besatzer um Hilfe anriefen. Hierauf zog eine aus einigen hundert Spaniern und mehreren tausend Indigenen bestehende Armee in den Kampf. Die Verbündeten errangen den Sieg nicht zuletzt deshalb, weil die Bewohner Quauhquechollans die militärischen Positionen der Mexica preisgaben und sich ebenfalls auf die verhassten Besatzer stürzten. Danach unternahm das Heer auch einen erfolgreichen Angriff auf Itzyocan. Beide Städte erhielten neue Herrscher und schlossen sich den Verbündeten an. Hier wie auch andernorts verfolgte die Allianz aus Europäern und Indigenen eine Politik, welche eine Befriedung dadurch erreichen wollte, dass man gefügige neue Herrscher einsetzte. Beeindruckt durch diese militärischen Erfolge unterwarfen sich im Umfeld spontan weitere Orte, sodass die Region zwischen Popocatépetl im Westen und Orizaba im Osten unter die Kontrolle der Allianz kam. Zunehmend wendeten sich lokale Herrscher an Cortés, wenn es um Streitschlichtung und Thronfolgeregelungen ging. Nur noch vereinzelt flackerte Widerstand auf, der wie im Fall Xalatzincos und Ixtacamaxtitlans mit kleineren Expeditionskorps niedergeschlagen werden konnte.[12]
Mit den Siegen wuchs das Selbstbewusstsein des Generalkapitäns. Nun fühlte er sich stark genug, um unter seinen eigenen Männern wieder härter durchzugreifen. So ließ er die gesamte Beute inklusive der Sklaven unter Androhung schwerer Strafen zur Registrierung einsammeln. Das königliche Fünftel und der von Cortés selbst beanspruchte fünfte Teil wurden davon abgezogen, was insbesondere unter den Männern von Narváez große Unzufriedenheit auslöste. Als Wortführer tat sich Juan Bono de Quejo hervor, der ankündigte, in Spanien gegen den Generalkapitän zu klagen. Doch auch Cortés’ treueste Gefolgsleute waren verärgert, da man ihnen, wie Bernal Díaz schrieb, die «guten» weiblichen Sklaven abnahm und stattdessen «die alten und hässlichen» wieder verteilte. Das Gold, das die Männer in der Noche triste unter Lebensgefahr hatten retten können, wurde ebenfalls eingezogen und nur ein Drittel sollten die Männer davon zurückerhalten. Doch als die Mannschaften sich weigerten, diesem Befehl Folge zu leisten, zeigte sich der Generalkapitän von der allgemeinen Verdrossenheit beeindruckt und kündigte an, das Verfahren der Verteilung der menschlichen Beute in Zukunft gerechter zu gestalten. Den Einzug des Goldes verfolgte er gar nicht weiter.[13]
Mitte Dezember 1520 zogen die Spanier von Segura de la Frontera, wo Cortés nur eine Mannschaft von zwanzig meist invaliden Männern stationierte, zurück nach Tlaxcala. Dort angekommen, erfuhr Cortés vom Tod seines engsten Parteigängers Maxixcaztzin. Die Spanier trauerten auf ihre Weise um den Verstorbenen. Der Generalkapitän nutzte die Gunst der Stunde, bestimmte dessen minderjährigen Sohn zum neuen Herrscher und ließ ihn auch gleich taufen. Einige tlaxcaltekische Adlige, darunter Xicotencatl der Ältere sowie der junge Heerführer Chichimecatecle, schlossen sich an und erhielten christliche Namen. In der Selbstdarstellung der Tlaxcalteken sollte die Taufe ihrer Fürsten später eine wichtige Rolle spielen, stellten sie sich in ihren Chroniken doch als treue Freunde und fromme Christen dar, die von Beginn an ohne zu wanken hinter den Spaniern gestanden hätten. Realistischer hat Juan Buenaventura Zapata y Mendoza, ein adliger tlaxcaltekischer Geschichtsschreiber des 17. Jahrhunderts, die Geschehnisse dargestellt: So sprachen die christlichen Priester noch kein Nahuatl und zeigten stattdessen mit den Worten «Dios» (Gott) und «Santa María, siempre verdadera virgen» (Heilige Maria, immer wahre Jungfrau») gen Himmel, während sie das Sakrament spendeten.[14]
Taufe der tlaxcaltekischen Herrscher (Lienzo de Tlaxcala)
Der Aufenthalt in Tlaxcala am Jahresende 1520 wurde dazu genutzt, den für das kommende Jahr geplanten großen Feldzug gegen Tenochtitlan vorzubereiten. So übten sich die tlaxcaltekischen Krieger in militärischer Disziplin, während die Spanier ihre Ausrüstung ausbesserten. Da das Schießpulver knapp wurde, schickte Cortés zwei Artilleristen zu den Kratern des Popocatépetl, um Schwefel zu holen. Außerdem erließ er am 22. Dezember strenge disziplinarische Befehle für die eigene Truppe. So wurde das Fluchen und Spielen ebenso verboten wie Übergriffe auf Indigene egal welchen Stammes und Diebstahl von Beute. Dass in diesem Schriftstück auch einige militärische Selbstverständlichkeiten erscheinen wie zum Beispiel das Antreten beim Klang des Tambours, zeigt, wie sehr die Disziplin in der Truppe gelitten hatte. Am 26. Dezember schließlich hielten Cortés und Chichimecatecle eine große Truppenparade ab. Dabei zählte man vierzig Reiter, fünfhundertfünfzig Infanteristen, darunter achtzig Armbrustschützen und Arkebusiere, zehn kleine Kanonen sowie rund zehntausend indigene Krieger hauptsächlich aus Tlaxcala, aber auch aus Huexotzinco, Cholula und Tepeyaca.[15]
Die spanischen Vorbereitungen wurden durch eine Entwicklung begünstigt, an der die Conquistadoren nur mittelbar beteiligt waren. Bereits seit 1518 hatte sich eine Pockenepidemie von Hispaniola aus in der Karibik verbreitet und dort zu horrenden Sterbeziffern unter der indigenen Bevölkerung geführt, die dagegen nicht immun war. Über Kuba kam die Seuche 1520 auch nach Mesoamerika, wo sie zunächst unter den Maya wütete. Der Krankheitsverlauf zog sich über mehrere Wochen hin. Während der ersten zwölf Tage zeigten sich noch keine Symptome. Darauf folgten drei bis fünf Tage mit hohem Fieber, Gliederschmerzen und Übelkeit, denen sich ein Ausschlag anschloss. Zu diesem Zeitpunkt bestand die höchste Ansteckungsgefahr. Der Ausschlag ging mit Verkrustungen einher, die sechs Tage später abfielen, woraufhin wieder Fieber einsetzte. Wer das überlebte, war wie die Europäer gegen die Krankheit immun, doch die meisten Betroffenen starben. Die spanischen Chronisten schoben die Schuld auf einen afrikanischen Sklaven, Francisco de Eguía, der mit Narváez gekommen sein soll. Ausgehend von Totonacapan um die Jahresmitte erreichte die tödliche Epidemie schon bald Zentralmexiko. Das prominenteste Opfer war Ende November oder Anfang Dezember der Tlatoani Cuitlahuac, der nur achtzig Tage regiert hatte. Auch die Herrscher von Tlacopan und Chalco sowie der Cazonci der Tarasken fielen der Seuche zum Opfer. Einer mit der Krankheit einhergehenden Hungersnot, die auf den Ausfall der Produzenten zurückzuführen war, erlagen wahrscheinlich ebenso viele Menschen wie der Epidemie selbst. Nach Berechnungen von Historikern starben innerhalb eines Jahres rund vierzig Prozent der Bevölkerung Zentralmexikos.[16]
Pockenepidemie (Sahagún, Historia general, Bd. 12, fol. 54)
Während die Pockenepidemie Cortés sehr gelegen kam, weil sich ihm dadurch die Möglichkeit eröffnete, in verschiedenen Ortschaften von ihm abhängige Herrscher einzusetzen, war sie für seine Feinde eine Katastrophe. Vermutlich war der Tlatoani bereits Wochen vor seinem Tod wegen der Erkrankung nicht mehr handlungsfähig. Den Mexica fehlte also zum Zeitpunkt der Vorbereitungen für den nächsten Krieg der Anführer und viele Krieger waren durch die Krankheit ebenfalls enorm geschwächt. Der Florentiner Codex beschreibt die Auswirkungen in eindrucksvollen Worten:
«Bevor die Spanier aus Tlaxcala kamen, um Mexiko zu erobern, gab es eine Pockenepidemie unter den Indios in dem Monat, den sie tepeilhuitl nannten, d.h. Ende September. An dieser Krankheit starben sehr viele Indios. Sie hatten den ganzen Körper, das Gesicht und die Gliedmaßen über und über mit Pocken bedeckt, dass sie nicht kochen noch sich bewegen konnten … Diese Epidemie tötete unzählige Menschen. Viele verhungerten, weil niemand das Essen zubereitete. Die, die die Krankheit überstanden, hatten viele Narben im Gesicht und einige erblindeten. Die Seuche dauerte sechzig Tage und nachdem sie in Mexiko nachließ, zog sie weiter nach Chalco …»[17]
Zwar litten auch die Verbündeten der Spanier unter den Pocken und beklagten hohe Verluste, doch führte dies bei ihnen nicht zu einem derart akuten Führungsproblem wie in Tenochtitlan. Zum Nachfolger wählten die Mexica den noch jungen Neffen seiner beiden Vorgänger und Sohn des Ahuizotl, Cuauhtemoc, der zugleich der Ehemann von Moteuczomas Tochter Tecuichpo war. Die Wahl war ein Zugeständnis an Tlatelolco, da Cuauhtemoc seit 1515 Herrscher (Cuauhtlatoani) dieses Dreibundpartners und ab 1520 Oberkommandierender (Tlacatlecutli) des aztekischen Militärs war. Im Februar 1521, dem Monat Izcalli nach dem aztekischen Kalender, wurde der neue Herrscher inthronisiert, was erneut ein Interregnum mit sich brachte, das angesichts des Zeitdrucks fatale Folgen haben konnte. Wie Bernal Díaz später erfahren haben will, neigte der neue Tlatoani anfangs einem Friedensschluss mit den Spaniern zu, seine Priester und Generäle lehnten dies jedoch ab, weil sie eine Koexistenz für unmöglich hielten. Cuauhtemoc ließ sich umstimmen und schwor, bis in den Tod zu kämpfen. Da seine Stellung wie bei seinem Vorgänger noch nicht konsolidiert war, ließ er mehrere Söhne von Cuitláhuac umbringen, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Wie dieser ließ er die Stadt zur Festung ausbauen und Vorräte für den Fall einer Belagerung anlegen. Außerdem schickte er erneut Gesandtschaften zu den Nachbarvölkern und versprach, den Tribut auszusetzen, wenn sie mit den Mexica gemeinsam kämpften. Andernfalls drohte er ihnen mit vollständiger Vernichtung. Die strategische Entscheidung, das Tal von Mexiko nicht zu verlassen, war militärisch sinnvoll, denn nur in ihrer Heimatregion verfügten die Mexica über eine ausreichend große Gefolgschaft, um die eigenen Truppen auch versorgen zu können. In offener Feldschlacht blieben sie ihren Feinden unterlegen. Auf den Dammstraßen dagegen waren die Fremden verwundbar, wie die Schlacht am Toltekenkanal bewiesen hatte. Letztlich stellten sich die aztekischen Eliten auf die Verteidigung Tenochtitlans ein und ließen daher auch die Herrscher der Nachbarstädte in die Hauptstadt bringen.[18]
Zweifellos machten die Mexica ihre Götter für die Seuchenkatastrophe ebenso verantwortlich, wie die Spanier sich bei ihrem Gott und dem heiligen Jakob für die unerwartete Unterstützung bedankten. In einer Gesellschaft wie der aztekischen musste die Zunahme der unglücklichen Fügungen als göttliche Strafe gedeutet werden, während sich die Europäer in ihrem Christianisierungsanspruch bestätigt sahen, was Cortés in seinen Ansprachen an die Truppe auch nicht müde wurde zu betonen. Er machte seinen Männern klar, dass er die militärische Entscheidung anstrebte, um, wie er es ausdrückte, Gott und König nicht zu verraten.[19] Da die Spanier über die Entwicklungen in Tenochtitlan kaum informiert waren, strebte der Generalkapitän eine große Allianz mit den Gegnern und Vasallenstaaten der Mexica an. Wer nicht freiwillig dabei sein wollte, sollte gezwungen werden. Als nächstes Ziel hatte Cortés das Tal von Mexiko, also das Kernland des Aztekenreichs, im Blick.
Schon bevor Cortés Anfang 1521 mit seiner Armee dorthin aufbrach, hatte er eine Entscheidung getroffen, die zeigte, dass er die Lektion der Noche triste verstanden hatte. Bereits im Oktober 1520 hatte er den Schiffbaumeister Martín López mit dem Bau von dreizehn Brigantinen beauftragt, um die Kontrolle über den Texcocosee zu gewinnen. Aus Veracruz transportierten mehrere hundert indigene Träger Anker, Segel und weitere Ausrüstungsgegenstände von den alten Schiffen nach Tlaxcala. Ein Schmied und im Schiffbau erfahrene Seeleute folgten. Der Bau der Schiffe sollte außerhalb des Tals von Mexiko vonstattengehen, um die Feinde im Moment der Schlacht damit zu überraschen. In der Nähe Tlaxcalas gab es genügend Holz, Arbeiter und vor allem Sicherheit vor Übergriffen der Mexica. Das Pech zum Kalfatern wurde in den tlaxcaltekischen Pinienwäldern gewonnen. Erneut war die Hilfe der Indigenen bei allen anstehenden Arbeiten von zentraler Bedeutung. Ausprobiert wurden die Schiffe auf dem eigens zu diesem Zweck gestauten Zahuapan-Fluss. Danach zerlegte man sie für den Transport ins Tal von Mexiko. Die Schiffe waren rund dreizehn Meter lang und knapp drei Meter breit, das Kapitänsschiff maß in der Länge zwei Meter mehr. Am Bug gab es Platz für ein Geschütz und die Armbrüste sowie eine Verstärkung zum Rammen anderer Wasserfahrzeuge. Die Hälfte der Schiffe verfügte über einen, die andere über zwei Masten. Zusätzlich waren sie mit Ruderern bemannt. Der Tiefgang der Boote war gering, sodass sie die seichten Gewässer des Texcocosees gefahrlos befahren konnten.[20]
Am 28. Dezember, noch bevor die Arbeit an den Schiffen abgeschlossen war, zog Cortés mit seiner Armee über Tetzmollocan ins Tal von Mexiko. Das Ziel war Texcoco. Auf dem Weg dorthin kam es zu Gefechten mit Kriegern der Mexica, die die Passstraßen verbarrikadiert hatten und sich mit Rauchzeichen untereinander verständigten. Ihrer neuen Strategie folgend, vermieden die Azteken aber eine offene Feldschlacht. Zwar war die Zahl der spanischen Soldaten nun deutlich geringer als beim ersten Zug über die Berge 1519, dafür hatten sie jetzt aber wesentlich mehr indigene Verbündete und nicht nur Tlaxcalteken. Die Stadt Texcoco war Mitglied des Dreibunds und ein strategisch wichtiger Ort für den Nachschub nach Tlaxcala sowie den Zugang zum See. In der Welt der Mexica nahm die Stadt den zweiten Rang hinter Tenochtitlan ein. Seit dem Tod des Herrschers Nezahualpilli 1515 schwelte dort ein Erbfolgestreit, den die Mexica nur teilweise befriedet hatten. Moteuczoma hatte seinen Neffen Cacama durchgesetzt. Nachdem dieser den Spaniern in die Hände gefallen und in der Schlacht am Toltekenkanal gestorben war, übernahm Coanacoch, ein Sohn Nezahualpillis, die Regierung in Texcoco.[21]
Nach zweitägigem Marsch erreichte die alliierte Armee die Ortschaft Coatepec nahe Texcoco. Kurz vor dem Einzug in die menschenleere Stadt kam ihnen eine Delegation aus Texcoco entgegen, der laut Alva Ixtlilxochitl auch sein Ahne Ixtlilxochitl angehörte.[22] Die Gesandten boten den Befehlshabern friedlichen Einzug, eine angemessene Unterbringung und Verpflegung an und baten dafür um Verschonung der Stadt. Die Angriffe der vorangegangenen Tage schoben sie auf die Truppen aus Tenochtitlan. So entschieden die Verbündeten, die Nacht in Coatepec zu verbringen, um von dort am Silvestertag in Texcoco einzumarschieren. Der Marsch verlief ohne Zwischenfälle, doch die Armee betrat erneut eine Stadt, in der sich kaum Menschen aufhielten. Die Spanier witterten einen Hinterhalt, bezogen aber trotzdem ihr Quartier im Palast des Nezahualpilli. Dann machten sie sich daran, ihr Umfeld zu erkunden. Von der obersten Plattform des Haupttempels aus konnten sie sehen, dass die Bevölkerung mitsamt dem Tlatoani Coanacoch über den See nach Tenochtitlan floh. Wütend über den vermeintlichen Verrat brandschatzte und plünderte die Armee die prachtvolle Stadt und tötete oder versklavte die Bewohner, die sich der Flucht nicht angeschlossen hatten. Dem Wüten fielen auch die Königspaläste und die wertvollen Archive Nezahualpillis zum Opfer. Laut Alva Ixtlilxochitl war dies «einer der größten Verluste, den dieses Land erleiden musste, denn damit ging die Erinnerung an ihre Geschichte … für immer verloren.»[23]
In der Folgezeit erwies sich Texcoco wegen seiner zentralen Lage und der Kontrolle über die Verkehrswege als ideale Basis für die weiteren Unternehmungen, obwohl einige Offiziere anfangs für Ayotzinco als Ausgangspunkt plädiert hatten. Zum neuen Herrscher wurde ein weiterer Sohn von Nezahualpilli, Tecocol, erklärt, der aber schon nach kurzer Zeit starb, sodass Anfang Februar 1521 Ixtlilxochitl die Thronfolge antrat und auf den christlichen Namen Fernando getauft wurde. Hier wie auch andernorts nutzten unzufriedene Rivalen die Gunst der Stunde, um mit Hilfe der Spanier an die Macht zu gelangen, während die bisherigen Herrscher, die nach Tenochtitlan geflohen waren, die Verbindung zu ihren Städten verloren. Ixtlilxochitl, der seine Parteigänger in der Region mit in das Bündnis brachte, kannte die Machtverhältnisse genauestens, sodass Rivalitäten gezielt ausgenutzt werden konnten. Nachdem viele Nachbarorte sich freiwillig unterworfen hatten, kontrollierten die Invasoren das Gebiet bis nach Iztapalapa. Einige der neuen Vasallen führten gefangene aztekische Boten mit sich, die Cortés frei ließ, um Cuauhtemoc ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, das dieser jedoch ablehnte. Der Tlatoani war nämlich seinerseits darum bemüht, die Fürsten der umliegenden Stadtstaaten auf der Seite der Mexica zu halten, und hatte die Boten aus diesem Grund ausgesandt.[24]
Die strategisch wichtige, auf einer Halbinsel im See gelegene Stadt Iztapalapa, die den Spaniern von 1519 bekannt war, bildete das Ziel der nächsten Militäraktion. Mit einigen Vornehmen aus Texcoco und einem stattlichen Teil der Truppe, die auf spanischer Seite von Cortés, Olid und Alvarado kommandiert wurde, zogen die Verbündeten gegen den von aztekischen Einheiten verteidigten Ort. Nach ersten Gefechten unternahmen die Mexica einen taktischen Rückzug, womit sie ihre Feinde in die Stadt lockten, die sich über den Sieg freuten, plünderten und brandschatzten und Quartier in den leeren Häusern nahmen. In der Nacht fluteten die aztekischen Krieger den Ort, indem sie Schleusen des Nezahualcoyotl-Damms öffneten. Die Spanier, die von ihren neuen Freunden aus Texcoco gewarnt wurden, konnten sich gerade noch retten, viele indigene Krieger jedoch ertranken. Als es am nächsten Morgen zur Schlacht kam, konnten sich die Alliierten nach dem Verlust ihres Schießpulvers nur mit Mühe halten und mussten wenig ehrenvoll den Rückzug nach Texcoco antreten. Dort verbrachten sie das nächste Vierteljahr, bis zum April 1521.[25]
Trotz dieses Sieges sagten sich auch in der Folgezeit immer mehr Ortschaften von den Mexica los. Dazu zählten etwa Otumba und Mixquic, vor allem aber die bedeutende Stadt Chalco sowie das benachbarte Tlalmanalco. Offensichtlich handelten die Verantwortlichen nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor einer möglichen Vergeltung für die Angriffe auf die Spanier und ihre Verbündeten in der Vergangenheit oder aus Wut über die Misshandlungen durch die Mexica. Scheinbar großmütig wurden Entschuldigungen akzeptiert und Cortés erklärte sie zu Vasallen des spanischen Königs, wobei zu vermuten ist, dass die neuen Untertanen diesen Status und die damit einhergehenden Verbindlichkeiten kaum verstanden. So sehr man sich über die zahlreichen Bündnisangebote im Lager der Alliierten freuen mochte, so brachten diese doch auch Aufgaben mit sich, denn die aztekischen Krieger nutzten jede Gelegenheit, um die Verräter anzugreifen. Kleinere Ortschaften fanden sich zwischen den Fronten wieder und wurden mal von der einen, mal von der anderen Seite angegriffen. Die Verbündeten verfügten nicht über eine ausreichende Anzahl von Männern, um alle bedrängten Partnerstädte zu verteidigen, weshalb sie sich auf die wichtigsten wie etwa Chalco konzentrierten. Da der Herrscher der Stadt ebenfalls an den Pocken gestorben war, bot sich Cortés erneut die Gelegenheit, die Nachfolge zu regeln. Alle diese Vorgänge zeigen, dass Cuauhtemocs Bündnisbemühungen in der eigenen Nachbarschaft trotz Versprechungen und Drohungen kaum noch fruchteten, was angesichts der Abhängigkeit Tenochtitlans von der Versorgung aus dem Umland beunruhigend war.[26]
Nach knapp einem Monat in Texcoco war Ende Januar der Moment gekommen, die Brigantinen aus Tlaxcala zu holen. Sandoval übernahm das Kommando über die Spanier, die von zahlreichen Tlaxcalteken begleitet wurden. Auf dem Weg kam es noch zu einer Vergeltungsaktion in der Stadt Zultepec, die die Europäer Pueblo Morisco nannten. Im Vorjahr hatten dort rund fünfzig Spanier den Tod gefunden und waren geopfert worden. Ihre Schädel und die ihrer Pferde waren noch am örtlichen Tzompantli zu sehen. Nach der blutigen Strafaktion zog die Truppe weiter in Richtung Tlaxcala. Auf halbem Weg traf die Heerschar jedoch auf Martín López und etliche tausend indigene Träger und Krieger unter dem Befehl Chichimecatecles, die die in Einzelteile zerlegten Schiffe in einem mehrere Kilometer langen Zug nach Texcoco transportierten, wo sie unter großem Jubel empfangen wurden. Dieser logistischen Meisterleistung folgte der Zusammenbau der Brigantinen, der sich über Wochen hinzog. Derweil hatten in Texcoco bereits die Arbeiten an einem Kanal begonnen, der den Weg zum See verkürzen sollte. Aztekische Versuche, die Schiffe zu zerstören, schlugen wiederholt fehl.[27]
Während die Werftarbeiten planmäßig vorangingen, starteten die Alliierten ihren zweiten großen Feldzug, wobei Cortés selbst das Kommando über die Spanier innehatte. Er reagierte damit auf Forderungen Chichimecatecles, der die Gefahr erkannte, dass die Mexica das in der Zwischenzeit unter hohen Verlusten gewonnene Terrain wieder zurückgewinnen könnten. Dieses Mal wurde beschlossen, nach Norden zu ziehen und zunächst das auf einer Lagune im gleichnamigen See gelegene Xaltocan anzugreifen, um von dort bis nach Tlacopan vorzurücken. Die Spanier mobilisierten rund die Hälfte ihrer Männer, Sandoval kommandierte die Garnison in Texcoco. Mehrere tausend Indigene bildeten wieder die Hauptmasse der Armee. Nach zweitägigem Marsch, auf dem sie sich wiederholt gegen Angriffe verteidigen mussten, kamen sie nach Xaltocan, dessen Verteidiger keine Anstalten machten aufzugeben, sondern die Zugänge über die Dammstraßen zerstörten. Nach heftigen Kämpfen konnten sich die Angreifer durchsetzen und die Stadt plündern und zerstören. Bewohner der mit Xaltocan verfeindeten Ortschaft Tepetzinco hatten ihnen die Lage einer Furt verraten, über die sie sich Zugang zur Stadt verschafft hatten. Danach zog das Heer weiter in südlicher Richtung und kam nach Cuautitlan, dessen Bewohner geflüchtet waren. Nach fünf Tagen erreichte die Truppe über die Orte Tenayuca und Azcapotzalco, die beide verlassen waren, das eigentliche Ziel der Expedition, Tlacopan.[28]
Die Spanier kannten die Stadt bereits von der Flucht in der für sie «traurigen Nacht», sie waren dort hart attackiert worden. Nun wurden sie von einer mächtigen Armee, die sich aus Kriegern aus Tenochtitlan und den umliegenden Städten zusammensetzte, erwartet. Die erbitterte Schlacht, die sich im Folgenden entwickelte, zog sich über zwei Tage hin. Da die Verbündeten die Oberhand gewannen, ordnete Cuauhtemoc den Rückzug an, schickte aber gleichzeitig Verstärkungen zur Dammstraße, um die Angreifer dort in den Hinterhalt zu locken. Tatsächlich ließen sich die Spanier täuschen und Cortés selbst, der den Flüchtenden nachsetzte, geriet in schwere Bedrängnis. Nur mit großer Not konnten sich die Männer retten und hatten hohe Verluste zu beklagen. Allein unter den Spaniern fielen fünf Männer und es gab zahlreiche Schwerverletzte. Dennoch trugen die Verbündeten den Sieg davon und hielten sich danach sechs Tage in der eroberten Stadt auf, die sie zum ausgiebigen Plündern und Zerstören nutzten. In ihren Berichten schoben die spanischen Augenzeugen die Schuld an der Mordbrennerei auf ihre indigenen Verbündeten. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Europäer sich ebenso wenig zurückhielten, ging es ihnen doch um Rache und um Kriegsbeute, welche nach europäischen Vorstellungen dem persönlichen Eigentum des Soldaten zufiel, der sie geraubt hatte. Die Mexica sahen dem Treiben ihrer Feinde in der Dreibundstadt nicht tatenlos zu, sondern griffen täglich an. Liest man zwischen den Zeilen, so scheint der Rückzug der Verbündeten Mitte Februar keineswegs glorreich gewesen zu sein. Letztlich hatten sie Glück, dass ihnen die Mexica nicht über weite Strecken nachsetzten. In seinem dritten Briefbericht behauptete Cortés, er habe Tlacopan vor allem deshalb angegriffen, um mit Cuauhtemoc zu verhandeln. Allerdings antworteten ihm die Mexica nur mit Schmähungen und mit Krieg. Die Zeit für Verhandlungen war definitiv vorbei.[29]
Zurück in Texcoco verabschiedeten sich die Tlaxcalteken, um ihre Beute nach Hause zu bringen. Vermutlich nicht zuletzt wegen des im Ergebnis erfolglosen und verlustreichen zweiten Feldzugs machten sich unter den Spaniern wieder Spannungen zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen bemerkbar, die während der Kampfhandlungen unter der Oberfläche geblieben waren. Cortés deckte in diesen Tagen ein Komplott auf, das sich direkt gegen ihn richtete. Antonio de Villafaña, ein Freund von Narváez und Gouverneur Velázquez, hatte angeblich bis zu dreihundert Spanier auf seine Seite gebracht und wollte den Generalkapitän und seine engsten Vertrauten ermorden. Der Schwager von Velázquez, Francisco Verdugo, sollte Cortés ersetzen. Gegen ein Bestechungsgeld wollte Kapitän Diego Díaz Narváez und einige der Männer zurück nach Kuba bringen. Der Plan wurde verraten und gemeinsam mit seinen treuesten Gefährten nahm der Generalkapitän die Verschwörer gefangen. Dabei fand sich eine lange Liste mit mehreren hundert Namen von Sympathisanten. Es war unmöglich, rund die Hälfte der eigenen Truppe zu bestrafen, geschweige denn zu inhaftieren. Daher entschloss sich Cortés, zur Abschreckung an Villafaña ein Exempel zu statuieren, aber auf die Verfolgung der Mitwisser zu verzichten. Als Warnung verkündete er öffentlich, dass er die Liste kenne, dass sich darauf aber auch viele Namen von Personen befunden hätten, die gar nichts von der Verschwörung gewusst hätten. Villafaña wurde zum Tode verurteilt und das Urteil schnell vollstreckt. Auch der Seemann Díaz starb durch den Strang, nachdem ihn der Stadtrat von Vera Cruz zum Tod verurteilt hatte. Ab diesem Zeitpunkt umgab sich Cortés mit einer Leibgarde.[30] Wenn die Zahl der Verschwörer auch nur annähernd richtig ist, zeigt das, wie stark die Verwerfungen innerhalb des spanischen Lagers auch noch nach vielen Monaten gemeinsamer Kämpfe waren. Nach der Hinrichtung beruhigte sich die Lage nur teilweise. Weiterhin gab es viel Unzufriedenheit, die sich immer wieder an der Verteilung der Beute, insbesondere der zunehmenden Anzahl an Sklaven, entzündete.
Immerhin gelangten durch die Ankunft weiterer Verstärkungen in Vera Cruz Anfang März auch positive Nachrichten ins Lager der Spanier. Die Werbebemühungen von Alonso de Ávila und Francisco Álvarez Chico hatten Erfolg gehabt. Der Conquistador und Geschäftsmann Rodrigo de Bastidas brachte aus Santo Domingo auf zwei Schiffen eine große Anzahl abenteuerlustiger Soldaten und Offiziere, Waffen, Schießpulver sowie Pferde mit. Mittlerweile witterten die dortigen Handelskreise ein gutes Geschäft und für die einfachen Siedler war der Anreiz weiterzuziehen angesichts der durch das Massensterben ihrer indigenen Sklaven ausgelösten Krise groß. Unter den Passagieren befand sich der Franziskaner Pedro Melgarejo de Urrea, der päpstliche Bullen bei sich trug, die es ihm erlaubten, den Kriegsteilnehmern einen besonderen Dispens zu erteilen, und der, wie Díaz del Castillo anmerkte, später als reicher Mann nach Kastilien zurückkehrte. Ein weiteres Schiff hatte Vázquez de Ayllón persönlich ausgestattet. Unter anderem kam der von der Audiencia offiziell zum Schatzmeister ernannte Julián de Alderete nach Texcoco. Damit gewann Cortés’ Unternehmen zwar noch nicht die vollständige königliche Legitimierung, aber immerhin die der höchsten königlichen Behörde in den Indias.[31]
Insgesamt verstärkten rund zweihundert Neuankömmlinge die spanischen Conquistadoren. Sie berichteten von der Begeisterung, die die Nachrichten von Cortés’ Erfolgen unter den spanischen Siedlern in der Karibik ausgelöst hatten, auch wenn sie noch immer spärlich waren. Cortés selbst trug dazu bei, dass sich die Neuigkeiten von seinen Taten verbreiteten, denn endlich konnte das Schiff mit seinem im Oktober verfassten Briefbericht an den König, großen Summen Goldes und unzähligen Geschenken aus der bisherigen Kriegsbeute mit Kurs auf Spanien ablegen. Neben dem Kapitän Alonso de Mendoza gingen auch Diego de Ordás und Alonso de Ávila an Bord, die bei Hofe die Sache von Cortés vertreten sollten. Zudem waren die unzufriedenen ehemaligen Gefolgsleute von Narváez mit an Bord, die im kubanischen Matanzas abgesetzt wurden. Ein Zwischenhalt in Santo Domingo gab Gelegenheit, die wertvollen Kunstwerke, Rüstungen, Waffen und andere Merkwürdigkeiten aus dem Aztekenschatz auszustellen. Nicht alle Geschenke sollten in die kaiserlichen Schatzkammern wandern. So verschickte Cortés nicht nur wichtige Dokumente, mit denen er seine Ansprüche auf den Gouverneurstitel für die neuen Länder begründete, sondern auch eine große Geldsumme an seine Familie. Außerdem hatte er erhebliche Mittel, wie viel ist nicht genau bekannt, für die Bestechung einflussreicher Persönlichkeiten in Santo Domingo und vor allem bei Hofe in Spanien vorgesehen.[32]
Mitte März schickten die Verbündeten einen Verband nach Chalco, welcher spanischerseits erneut von Sandoval angeführt wurde, der sich zunehmend als erster Stellvertreter von Cortés etablierte. Der Stadt und ihrem Umland kam wegen der Lage an den strategisch wichtigen Wegen nach Tlaxcala und Vera Cruz und wegen der Maisproduktion große Bedeutung zu. Je länger der Aufenthalt in Texcoco andauerte, desto problematischer gestaltete sich dort die Versorgungslage, denn die vieltausendköpfige Armee und die vielen Sklaven, deren Zahl sich von Feldzug zu Feldzug vergrößerte, beanspruchten die Ressourcen der Stadt aufs Äußerste. Daher war der Nachschub aus Chalco so wichtig. Das galt jedoch auch für Tenochtitlan und entsprechend heftig tobten dort die Auseinandersetzungen mit den Mexica. Mehrere Male schickten sie im März Armeen in die Region, woraufhin sich die Chalca ihre neuen Alliierten zu Hilfe riefen. Den Verbündeten, denen sich vermehrt Ortschaften aus der Nachbarschaft anschlossen, gelang es jedoch immer wieder, die aztekischen Krieger in die Flucht zu schlagen. Als sie einmal nicht rechtzeitig vor Ort sein konnten, verteidigte sich Chalco erfolgreich selbst. Die Machtbasis der Mexica in einer ihrer wichtigsten Kornkammern begann sich aufzulösen.[33]
Ein weiterer aztekischer Angriff auf Chalco veranlasste Anfang April die Verbündeten zum dritten größeren Feldzug, bei dem Cortés persönlich die spanischen Einheiten führte. Die Kampagne richtete sich gegen die Region südlich des Sees, wo man trotz punktueller Erfolge noch keine flächendeckende Kontrolle erlangt hatte. Sie diente zudem der Erkundung dieser Gegend für weitere militärische Vorhaben. Nachdem sie Chimalhuacan hinter sich gelassen hatten, stießen rund zwanzigtausend Mann aus Tlaxcala, Chalco, Texcoco und Huexocingo zu der bereits stattlichen Armee. Laut Bernal Díaz handelte es sich um das bis dahin größte Aufgebot der Verbündeten. Dennoch gestalteten sich die Kämpfe schwieriger als erwartet, weil die Anwohner der Orte, die sie passierten, von Anhöhen aus angriffen und ihre Feinde mit Steinlawinen empfingen. Angeblich ergaben sich die Städte schließlich doch aufgrund des Wassermangels. Über die für ihre Gärten berühmte Stadt Oaxtepec, Yautepec, Jiutepec und Tepotzlan zog die Armee weiter. Vielerorts kam es zu schweren Gefechten mit den Stadtbewohnern und Truppen aus Tenochtitlan. Mitte April erreichten sie die von Schluchten umgebene Bergstadt Cuernavaca, die sie trotz der von den Einwohnern zerstörten Zugangsbrücken einnehmen konnten. Überall kam es zu Mord und Vergewaltigung, Frauen und Kinder wurden versklavt, Städte geplündert und niedergebrannt. Insbesondere die Jagd auf junge Frauen als Kriegsbeute – Bernal Díaz sprach von den «buenas indias» – hatte System und war neben der Gier nach Gold eine der Haupttriebfedern der Conquistadoren. Cortés’ eigene Behauptung, er habe Milde walten lassen und die Bewohner, die sich nach den Kämpfen unterwarfen, gnädig behandelt, liest sich demgegenüber wie Hohn.[34]
Nach einigen Tagen der Rast setzten die Truppen den beschwerlichen Weg über die Gebirgskette in Richtung der Inselstadt Xochimilco, die über drei Dammstraßen mit dem Festland verbunden war, fort. Dort standen die Einwohner treu zu Tenochtitlan und hatten sich auf den Angriff mit dem Bau von Gräben und Barrikaden vorbereitet. Weil die tlaxcaltekischen Pioniere die Breschen auffüllten, gelang es den Alliierten dennoch, in die Stadt einzudringen und große Teile zu erobern. Dann erhielten die Xochimilca, deren Frauen und Kinder bereits über den See geflohen waren, aber Verstärkung durch die Mexica, und es entwickelten sich heftige Gefechte, in deren Verlauf Cortés selbst nur mit knapper Not entkam, nachdem sein Pferd im Getümmel gestürzt war. Die aztekischen Krieger machten in dieser Situation den für ihre Kampfweise typischen Fehler, den Generalkapitän nicht einfach auf der Stelle zu erschlagen; vielmehr versuchten sie, ihn lebend zu fangen, um ihn später zu opfern. Diese traditionelle Art zu kämpfen hatten sie zwar im Lauf der Schlachten gegen die Verbündeten schon zumeist abgelegt, beim Anführer ihrer Feinde aber hielten sie wohl auch aus religiösen Gründen daran fest. Jedenfalls bot sich dem Conquistador Cristóbal de Olea dadurch die Gelegenheit, Cortés zu retten. Einige seiner Männer, die im Rausch der Plünderungen unachtsam waren, hatten weniger Glück. Sie wurden gefangen und Cuauhtemoc vorgeführt, der sie opfern ließ und Leichenteile in die mit ihm verbündeten Städte verschickte, um seine Entschlossenheit unter Beweis zu stellen und letzte Zweifel an der Sterblichkeit der Europäer zu zerstreuen. Die Schlacht um Xochimilco zog sich über mehrere Tage hin und die Mexica führten sie zu Land und zu Wasser. Letztlich mussten sich die Angreifer unter ständigen Attacken der Mexica zurückziehen, nicht ohne die Stadt zuvor niederzubrennen.[35]
Von den aztekischen Truppen verfolgt und in Gefechte verwickelt, zogen die Spanier und ihre Verbündeten weiter nach Coyoacán, dessen Einwohner nach Tenochtitlan geflohen waren. Nach einem kurzen Aufenthalt, während dessen unter anderem der Tempel und Götterbilder zerstört wurden, marschierten die Verbündeten nach Tlacopan, wo es wieder zu heftigen Kämpfen kam. Vom großen Tempel der Stadt aus zeigte Cortés Alderete und Bruder Melgarejo den See und die Hauptstadt, von denen sie sich sehr beeindruckt zeigten. Über den bereits bekannten Weg ging es dann zurück nach Texcoco, wobei sie durch zumeist menschenleere Orte kamen und sich den beständigen Angriffen aztekischer Regimenter erwehren mussten. Innerhalb von drei Wochen hatten die Verbündeten damit den großen See einmal umrundet. Cortés behauptete später, er habe den Feldzug nur zu Erkundungszwecken durchgeführt. Damit konnte er jedoch die Erfolglosigkeit des Unternehmens, das zahlreiche Verluste mit sich gebracht hatte, nicht überspielen.[36]
Eine wichtige Erkenntnis hatte die Kampagne bestätigt: dass es nämlich zwecklos war, die Hauptstadt nur auf dem Landweg anzugreifen, denn so konnten die Mexica ihre Überlegenheit auf dem See voll ausspielen. Außerdem trug der Kriegszug dazu bei, das Prestige und Abschreckungspotenzial Tenochtitlans in der Region weiter zu senken. Je stärker die Verbündeten auftraten, desto mehr Städte schlugen sich auf ihre Seite. Da die Invasoren jedoch ihren stärksten Gegner, Tenochtitlan selbst, noch nicht besiegt hatten, verhielten sich viele Ortschaften erst einmal abwartend und versicherten mal die eine, mal die andere Seite ihres Gehorsams. Doch waren diese Aussagen nur so lange gültig, wie die militärische Bedrohung anhielt. Mit dieser Taktik folgten sie bewährten Überlebensstrategien der Altepetl aus der Zeit vor der Ankunft der Europäer.
Mit der Fertigstellung der Brigantinen stand im April die Waffe zur Verfügung, die die Erfolgsaussichten eines erneuten Feldzugs erheblich steigerte. Um sie in den See zu verlegen, wurde eigens ein Kanal gegraben. Bei dieser Arbeit setzten die Verbündeten vor allem indigene Arbeiter und Sklaven ein. Angeblich sollen achttausend Mann fünfzig Tage lang rund um die Uhr in Wechselschichten daran gearbeitet haben. Ende des Monats befuhren die Schiffe erstmals den See. Laut Cervantes de Salazar war der Stapellauf nicht ohne Gefahren für die Schiffe. Aus diesem Grund hielten die Spanier einen Bittgottesdienst ab, bei dem sie Gott um den Schutz der Brigantinen anflehten, «ohne die man den Krieg nicht so leicht gegen diejenigen führen konnte, die ihre Häuser im Wasser und so viele Kanus hatten, mit denen sie angreifen und sich verteidigen konnten. Cortés, der in allen moralischen Belangen wie jeder gute Caudillo den anderen voraus war, vergoss an diesem Tag so viele Tränen und betete mit einer solchen Andacht, dass er auch unter seinen Mitstreitern große Frömmigkeit auslöste.»[37] Zweifellos übertrieb der fromme Chronist, jedoch stellte die religiöse Dimension eine wichtige Form der Mobilisierung dar.
Die militärischen Vorbereitungen liefen derweil auf Hochtouren. Die Nachbarstädte Texcocos wurden verpflichtet, je einige tausend Pfeilspitzen aus Kupfer oder Hartholz für die Armbrüste zu liefern. Laut Bernal Díaz waren sie «besser als die spanischen».[38] Außerdem forderte das Oberkommando Verstärkung aus Tlaxcala, Cholula und Huexotzinco an. Zwanzigtausend Mann sollten die Armee verstärken. Schließlich wurde am Pfingsttag 1521 eine Heerschau abgehalten. In den Quellen variiert die Gesamtzahl der spanischen Conquistadoren, die nun für den Angriff auf Tenochtitlan bereitstanden, zwischen 650 und 900 Mann. Die weitaus überwiegende Zahl waren Infanteristen, die Kavallerie umfasste wohl sechsundachtzig Reiter, hinzu kamen mehr als einhundert Armbrustschützen und Arkebusiere. Die Truppe verfügte über drei große Kanonen, fünfzehn Feldschlangen und ausreichend Pulver, das die Schiffe aus Spanien mitgebracht hatten. Cortés erließ erneut einen strengen Tagesbefehl, um die Disziplin seiner Männer bei den bevorstehenden Kampfhandlungen sicherzustellen. Insbesondere schärfte der Generalkapitän seinen Männern ein, Übergriffe gegen die Verbündeten unter allen Umständen zu unterlassen. Dies war vor allem hinsichtlich der Verteilungskämpfe um die Beute wichtig.[39] Außerdem erinnerte er sie an die Tatsache, dass sie Spanier waren und damit «nicht weniger wert als Römer und Griechen» und dass sie für die Sache Gottes kämpften.[40]
Danach teilte das spanische Oberkommando die eigenen Männer ein. Für jede Brigantine waren zwölf Ruderer, sechs Infanteristen, sechs Armbrustschützen, ein Steuermann und ein Kapitän vorgesehen. Da es nicht genügend Ruderer gab, teilten die Offiziere Soldaten aus den Hafenstädten zu diesem Dienst ein. Die Landstreitkräfte wurden in drei etwa gleich starke Bataillone aufgeteilt. Das erste stand unter dem Befehl Alvarados und bestand aus dreißig Reitern, einhundertfünfzig Fußsoldaten, achtzehn Armbrustschützen und etlichen tausend indigenen Kriegern. Als Unterführer sollten Alvarados Bruder Jorge, Gutierrez de Badajoz und Andrés de Monjaras wirken. Die Einheit führte zwei Kanonen mit sich und sollte in Tlacopan Quartier beziehen. Das zweite Bataillon stand unter dem Kommando Olids und seiner Leutnants Andrés de Tapia, Francisco Verdugo und Francisco Lugo. Sein Ziel war Coyoacán. Die dritte Einheit wurde von Sandoval und seinen Unterführern Luis Marín und Pedro de Ircio befehligt. Die indigenen Krieger dieser Truppe stammten aus Cholula, Huexotzinco und Chalco. Diese Einheit sollte nach Itztapalapa marschieren, die Stadt zerstören und dann unter dem Schutz der Brigantinen nach Tenochtitlan ziehen, um sich mit Olids Bataillon zu vereinigen. Die Boote standen unter dem Kommando von Cortés, der sich einige Zeit nach dem Aufbruch der Landstreitkräfte mit seinen rund dreihundert Mann einschiffen sollte. Die Strategie hinter dieser Truppeneinteilung war offensichtlich. Die Befehlshaber hatten aus den negativen Erfahrungen der ersten drei Feldzüge gelernt und waren zur Überzeugung gekommen, dass es notwendig war, Tenochtitlan zu belagern und von seinem Umland abzuschneiden, um die Versorgung der Stadt zu treffen. Gleichzeitig verfolgte wohl zumindest Cortés auch den Plan, den Mexica einen Fluchtweg offen zu halten, um eine totale Zerstörung der Stadt und hohe Verluste auf beiden Seiten zu vermeiden.[41]
Cervantes de Salazar schloss seinen Bericht über die Musterung mit pathetischen Worten: «Nur mit diesen und nicht etwa mit mehr Männern belagerte der sehr tapfere und glückliche Cortés die stärkste, reichste, größte, am stärksten bevölkerte und erlauchteste Stadt in dieser Neuen Welt, die Elemente in sich trägt, um auch in der Alten zu den ersten zu zählen.»[42] Was er nicht erwähnte, war die Tatsache, dass die Spanier nur einen Bruchteil – wahrscheinlich nur rund ein Prozent – der Truppe ausmachten. Eine riesige Heerschar versammelte sich in Texcoco und zog unter Begeisterungsstürmen in die Stadt ein, wobei laut Bernal Díaz Hochrufe auf den Kaiser und «Castilla, Castilla, Tlascala, Tlascala»-Rufe skandiert wurden.[43] Die Zahl der indigenen Verbündeten ist nicht genau bekannt, aber es waren insgesamt sicherlich mehrere zehntausend. Sie rekrutierten sich dem mesoamerikanischen Brauch gemäß aus Einheiten, die unter den Capultin ausgehoben und von lokalen Adligen und kampferprobten Kriegern angeführt wurden. Diese Truppen stellten das Schwergewicht der Armee. Dabei handelte es sich nicht nur um Tlaxcalteken. Die Männer kamen aus zahlreichen Städten, wenngleich nicht alle gleichermaßen zur Mobilisierung beitrugen. So nahm Cholula noch immer eine abwartende Haltung ein. Den Anführern dieser indigenen Kontingente fiel die wichtige Aufgabe zu, die Kämpfer zu koordinieren und die Kommunikation in den bevorstehenden Schlachten zu gewährleisten.[44]
Im Mai 1521 begann der entscheidende Feldzug. Die Masse der tlaxcaltekischen Krieger setzte sich vor dem Rest der Armee in Bewegung, um den Aufmarsch zu entzerren. Dabei stellte Chichimecatecle fest, dass Xicotencatl der Jüngere, der erneut eine Kommandorolle übernehmen sollte, fehlte. Xicotencatl stand im Ruf, die Kooperation mit den Spaniern von Anfang an abgelehnt zu haben. Er soll sich nach Tlaxcala abgesetzt haben, um dort die Macht an sich zu reißen und gegen die Fremden zu kämpfen. Als er trotz wiederholter Aufforderung nicht zurückkehrte, wurde er – so die Chroniken – von einem zehnköpfigen Sonderkommando ergriffen und nach Texcoco verschleppt. Dort machte man ihm einen kurzen Prozess und ließ ihn öffentlich durch den Strang hinrichten. Wenn sich die Ereignisse so abgespielt haben, was sich zumindest bezweifeln lässt, entledigte sich Chichimecatecle auf diese Weise eines Rivalen und Cortés eines potenziellen Unruhestifters.[45]
Cuauhtemoc war in der Zwischenzeit nicht untätig. Seine Spione hatten ihn über die Vorbereitungen seiner Feinde auf dem Laufenden gehalten. Gemeinsam mit dem obersten Rat ließ er die Stadt befestigen und angespitzte Pfähle in den See rammen, um die Brigantinen zu behindern. Außerdem wurden aus von den Eroberern erbeuteten Eisengegenständen und Waffen beispielsweise lange Lanzen gefertigt, die gegen die Reiter eingesetzt werden sollten. Die Tatsache, dass das Frühjahr eigentlich keine Kriegszeit bei den Mexica war, spielte nun keine Rolle mehr, waren doch die traditionellen Regeln durch die Präsenz der Spanier längst außer Kraft gesetzt. So brachten die Mexica in Tenochtitlan Opfer für die Götter dar und beteten mindestens ebenso inbrünstig, wie die Christen dies auf ihre Weise taten. Die aztekischen Götter allerdings gaben durch die Orakel keine Antworten mehr. Bruder Durán, der sich auf zahlreiche indigene Quellen und Augenzeugen stützte, schrieb: «Sie hielten [ihre Götter] für stumm oder tot, oder aber sie glaubten, dass die Götter, die neu gekommen waren, den ihren alle Kräfte und Tugenden geraubt hätten und dass sie nun keinerlei Macht mehr hätten, und darüber weinten sie bitterlich.»[46] Aber aufgeben wollten die Mexica nicht, sondern bis zum Untergang kämpfen. Daher lehnte Cuauhtemoc alle Friedensbotschaften ab, die Cortés ihm angeblich bis ganz zuletzt noch übermitteln ließ. Laut Durán hielt der junge Tlatoani eine Ansprache an sein Volk:
«Furchtlose Mexica, wie ihr seht, haben sich all unsere Vasallen gegen uns erhoben. Wir haben jetzt nicht mehr nur die Tlaxcalteken, Cholula und Huexozinca zu Feinden, sondern auch die Texcoca, Chalca, Xochimilca und die Tepaneken. Alle haben sich von uns abgewendet und uns verlassen. Sie sind zu den Spaniern übergewechselt und marschieren nun gegen uns. Deshalb bitte ich euch, dass ihr euch an das tapfere Herz und den Mut der Mexica-Chichimeca, unserer Vorfahren, erinnert, die es trotz ihrer geringen Anzahl wagten, in dieses Land mit seinen vielen Millionen Menschen zu kommen. Sie unterwarfen mit ihrem starken Arm diese ganze neue Welt …»[47]
Folgt man dem Dominikaner Durán weiter, so antworteten die Mexica Cuauhtemoc mit großer Begeisterung auf diese Beschwörung der glorreichen Vergangenheit. Allerdings hatte der Herrscher, laut Durán, sich nicht darum gekümmert, die Stadt mit ausreichend Lebensmitteln zu versorgen, dass sie einer langen Belagerung hätte standhalten können. Sicherlich hatten der Tlatoani und seine Berater das Versorgungsproblem nicht vergessen. Die Schwierigkeit lag vielmehr darin, dass die Produzenten der Lebensmittel wie beispielsweise die Chalca schlicht ausgefallen waren. Andere Nachbarn nutzten die Notlage der Mexica aus und bereicherten sich, indem sie Mais gegen Juwelen und Gold eintauschten. Die Abhängigkeit der Großstadt vom Umland machte sich nun negativ bemerkbar. Tenochtitlan lebte letztlich von den Tributen, die vor allem über den See in die Stadt gebracht wurden. Auch das Trinkwasser kam von außen, denn das Brackwasser des Sees war ungenießbar. Ein Aquädukt, der Wasser aus den Hügeln von Chapultepec in die Stadt leitete und gegen Ende des 15. Jahrhunderts unter dem Tlatoani Ahuizotl gebaut worden war, stellte die Versorgung sicher.[48]
In der zweiten Maiwoche zogen die Bataillone, deren spanische Elemente von Alvarado und Olid kommandiert wurden, gemeinsam von Texcoco los. Unterwegs kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den beiden spanischen Hauptleuten, die sich an der Zuteilung der Quartiere entzündeten. Daraus entwickelte sich ein persönlicher Antagonismus zwischen den beiden, den Cortés erst durch die Entsendung von Pfarrer Melgarejo de Urrea und Hauptmann Luis Marín vorübergehend schlichten konnte. Danach zogen die Soldaten auf den ihnen bereits bekannten Wegen durch menschenleere Ortschaften, bis sie Tlacopan erreichten. An der dortigen Dammstraße kam es noch in der Nacht der Ankunft zu ersten Scharmützeln zwischen Tlaxcalteken und Mexica, die sich bemühten, ihre Feinde durch Zurufe zu provozieren und auf den Damm zu locken.[49]
Am nächsten Tag nach der Messe marschierte die Armee ihrem ersten größeren Auftrag entgegen, der Zerstörung der Wasserleitung auf dem Chapultepec. Nach schweren Gefechten gelang es den Männern, ihre Mission zu erfüllen. Von diesem Zeitpunkt an waren die Bewohner von Tenochtitlan auf die wenigen Süßwasserbrunnen im Stadtgebiet angewiesen. Die Kämpfe der folgenden Tage konzentrierten sich auf den Damm. Wieder wendeten die Mexica ihre Strategie an, Breschen in die Straße zu schlagen. Die Verbündeten versuchten zwar mit Hilfe ihrer Pioniere die Lücken zu schließen, hatten jedoch nur wenig Erfolg, da sie sich heftigen Angriffen zu Land und zu Wasser ausgesetzt sahen. Nach Bernal Díaz erlitten die Verbündeten eine Niederlage und mussten noch dazu zahlreiche Opfer beklagen. Bald zog das Bataillon, dem Olid angehörte, weiter nach Coyoacán, wo es auf dieselben Schwierigkeiten stieß. Olid und Alvarado hatten sich nicht freundschaftlich getrennt, sondern blieben verfeindet und mieden in der Folgezeit den Kontakt, was Probleme bei der Koordination der Truppen mit sich brachte. Nur wenn es unvermeidbar war, agierten sie gemeinsam, um die Straße für die Reiterei zu befestigen oder im Hinterland Proviant aufzutreiben.[50]
Derweil hatte sich auch das dritte Bataillon mit Sandovals Spaniern in Marsch gesetzt. Ende Mai zogen sie von Texcoco aus durch bereits «befriedetes» Gebiet nach Iztapalapa, wo zahlreiche Häuser zerstört wurden und es zu ersten Gefechten mit den Mexica, die über den See angriffen, kam. Den Verbündeten fielen Rauchzeichen auf, die von einer Insel im See aufstiegen und von anderen Stützpunkten der Mexica aus anscheinend erwidert wurden. Genau diese Nachrichtenstation auf der kleinen Felseninsel Tepepolco wollte Cortés mit seinen Brigantinen und der Kanuflotte aus Texcoco unter dem Kommando Ixtlilxochitls erobern. Einhundertfünfzig Spanier nahmen die Insel ein und ließen bis auf Frauen und Kinder keinen Mexica am Leben. Doch nun sahen sich die Männer einer Seestreitmacht aus Tenochtitlan gegenüber, die durch die Rauchzeichen alarmiert worden war. So kam es zur ersten großen Seeschlacht, wobei Cortés von Glück sagen konnte, dass ein günstiger Wind einsetzte, der es den Brigantinen ermöglichte, ihren Schnelligkeitsvorteil durch die Takelage auszuspielen. In seinem Bericht beschrieb er die Szene: «… obwohl sie flüchteten, wo sie nur konnten, griffen wir sie frontal an und zertrümmerten unzählige Kanus und töteten oder ertränkten viele Feinde; das war ein großartiger Anblick. … Und so gefiel es unserem Herrn, uns einen größeren und schöneren Sieg zu schenken, als wir es erbeten und gewünscht hatten.»[51] In der Tat war der Eindruck, den die Brigantinen auf die Mexica gemacht hatten, nachhaltig. Laut López de Gómara hatten die Spanier damit die Kontrolle über den See gewonnen.[52]
Ixtlilxochitl und Cortés nutzten die Gunst der Stunde, fuhren durch den bei der ersten Schlacht von Itztapalapa zerstörten Deich des Nezahualcoyotl und führten einen Angriff auf das gut befestigte Fort Xoloc an der Kreuzung der Dammstraßen von Coyoacán und Itztapalapa. Das Bataillon in Coyoacán deutete die Lage richtig und stieß gleichzeitig zu Land vor, wobei den Kriegern der Schutz durch die Brigantinen auf der östlichen Seite des Damms sehr zugutekam. Die Tlaxcalteken kämpften sich in der blutigen Schlacht weit vor, während Cortés drei große Kanonen von den Schiffen an Land brachte und damit auf die Verteidiger schoss. Allerdings hielt sich die militärische Wirkung der Artillerie in Grenzen, da man wegen eines Feuers, bei dem das restliche Schießpulver verbrannte, keine weiteren Salven abfeuern konnte. Laut Cervantes de Salazar musste «Cortés schwer an sich halten, um den Artilleristen nicht zu malträtieren», so wütend war der Generalkapitän über dieses Missgeschick.[53] Wie wenig die traditionellen Regeln der Kriegführung bei den Mexica noch galten, lässt sich daran erkennen, dass sie nach Mitternacht, also bei Dunkelheit einen Gegenangriff starteten. Allerdings gelang es den Verbündeten – nicht zuletzt dank des Einsatzes der Falkonette –, die Stellung zu halten.[54]
Cuauhtemoc, der den Oberbefehl über die aztekischen Truppen selbst übernahm, teilte seine Krieger in vier Abteilungen auf, von denen drei den Feinden auf den Dammstraßen entgegentreten sollten. Die vierte hatte er als mobile Einsatztruppe vorgesehen, welche die Brigantinen daran hindern sollte zu landen. Der Herrscher selbst zeigte sich seinen Männern an den unterschiedlichen Gefechtsorten in einem Kriegskanu, um sie anzufeuern. In der Tat kämpften die Mexica mit großer Wucht und hatten überdies ihre Taktiken den neuen Umständen angepasst. Um die Angreifer am Vorrücken zu hindern, hoben sie nachts immer wieder neue Gruben auf den Dammstraßen aus, die, getarnt, während der Kämpfe tagsüber zur tödlichen Falle für ihre Feinde wurden. Außerdem kamen nun extra lange Lanzen gegen die Pferde zum Einsatz. Im Widerspruch zu ihren Traditionen mieden sie offenes Terrain und suchten Deckung hinter Schutt und Barrikaden. Der Kampf Mann gegen Mann auf den Dämmen war zwar durchaus vorteilhaft für die Mexica, jedoch konnten die Spanier ihre Feuerwaffen immer wieder auf die Masse der Verteidiger abfeuern und ihnen damit hohe Verluste zufügen. Zumindest anfangs stand Tenochtitlan in diesem Kampf nicht allein. Städte wie Xochimilco, Mixcoac, Colhuacán, Mexicaltzingo und Itztapalapa hielten in dieser Phase noch zu den Azteken und halfen, die Stadt zu versorgen. So gelang es, den Vormarsch der Feinde aufzuhalten, doch stoppen ließ er sich nicht.[55]
Zu Beginn der Belagerung waren die Mexica noch in der Lage, eigene Entlastungsangriffe zu unternehmen. So schickten sie eine Flotte aus Kanus, ihre wirksamste Waffe, nach Itztapalapa, um den dortigen Damm zu durchstechen und dadurch das Bataillon von Sandoval vom Rest der Truppe abzuschneiden. Erneut gelang es den Brigantinen, dieses Manöver zu unterbinden. Allerdings war mit der unerwarteten Kontrolle über das Fort Xoloc die strategische Bedeutung Itztapalapas aus Sicht der Angreifer ohnehin gesunken. Da Tenochtitlan über die nördliche Dammstraße nach Tepeyac mit Nachschub versorgt wurde, beschlossen die Verbündeten, diesen zunächst bewusst offen gehaltenen Weg, der den Belagerten als Fluchtmöglichkeit hatte dienen sollen, zu schließen. Für diese Aufgabe wurde das Bataillon aus Itztapalapa nach Tepeyac beordert, wohin es sich in kurzer Zeit durchkämpfte. Zur Unterstützung sollten einige Brigantinen bereitstehen. Cervantes de Salazar stellte fest: «Auf diese Weise wurde die mächtige und starke Stadt Mexiko vollständig eingeschlossen, sodass keiner der Feinde unbemerkt heraus- oder hineinkommen konnte.»[56]
Auf den Dammstraßen dauerten die harten und verlustreichen Gefechte täglich weiter an, ohne dass eine Seite entscheidende Fortschritte machen konnte. Tagsüber kämpften sich die Angreifer unter schweren Verlusten vor, eroberten einige Barrikaden, schütteten Gräben zu und besserten Brücken aus. Bei diesen aufgrund der ständigen Angriffe hochgefährlichen Arbeiten taten sich vor allem die indigenen Pioniere hervor. Nachts, wenn sie sich in ihre befestigten Lager zurückzogen, machten die Mexica das alles wieder zunichte. Auch der Einsatz von Nachtwachen an eigens errichteten Barrikaden konnte daran nichts Entscheidendes ändern.[57] Bernal Díaz beschrieb die blutigen Kämpfe:
«Während wir kämpften, war der Hagel aus geschleuderten Speeren und Pfeilen so groß, dass wir uns trotz noch so guter Rüstung verletzten. … Die Mexikaner setzten immer wieder neue Divisionen ein, die die Brigantinen von den Dachterrassen aus mit einem Geschosshagel angriffen. Es war mehr als Hagel. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es wird niemand geben, der das verstehen kann, außer denen, die wie wir dabei gewesen sind. … Wenn die Nacht uns von unseren Feinden trennte, verpflegten wir unsere Wunden mit Öl und ein Soldat mit Namen Juan Catalán beschwor die Verletzungen und tatsächlich gab uns unser Herr Jesus Christus Kraft … und sie verheilten schnell. Und so mussten wir Verletzten mit unseren mit Lappen umwickelten Wunden von morgens bis in die Nacht hinein kämpfen. Wenn die Verwundeten alle im Quartier geblieben wären, dann hätten die Kompanien nicht einmal mehr zwanzig Mann gehabt, um in den Kampf zu ziehen.»[58]
Bei den Kampfhandlungen zeigte sich, dass die Brigantinen den Angreifern den entscheidenden Vorteil brachten. Sie machten nämlich auf den Dammstraßen immer dann am meisten Boden gut, wenn die Schiffe als Flankenschutz die aztekischen Kanus abwehrten. Daher teilte Cortés die Flotte unter den einzelnen Einheiten auf. Alvarado erhielt die Unterstützung von vier Schiffen, sechs blieben bei Cortés, der sein Hauptquartier nun ebenfalls in Coyoacán aufschlug. Die restlichen beiden waren bereits bei Sandoval. Das kleinste Boot wurde außer Dienst gestellt, weil es sich gegen die Kanus nicht durchsetzen konnte. Die Mannschaft wurde auf die anderen Schiffe aufgeteilt und ersetzte die vielen Schwerverwundeten. Zudem waren die Brigantinen für logistische Zwecke von fundamentaler Bedeutung, beförderten sie doch Truppen, Material und Proviant. Hinzu kam, dass auf ihnen vorgeschobene Wachen postiert werden konnten, mit deren Hilfe die Nachtruhe der Krieger besser zu schützen war. Allerdings wurden sie in der Nacht auch benötigt, um die Nachschubversorgung Tenochtitlans zu unterbrechen, die über Versorgungsboote aus den mit der Hauptstadt verbündeten Städten erfolgte. Auch wenn dies nicht vollständig gelang, geriet insbesondere die Wasserversorgung Tenochtitlans von Tag zu Tag schwieriger.[59]
Die Heerführer der Mexica erkannten diese Gefahr und waren darum bemüht, die von den Spaniern kommandierten Schiffe auszuschalten. Eines Nachts lockten sie eine der beiden patrouillierenden Brigantinen in eine Falle. Als sie jedoch später versuchten, diese List zu wiederholen, drehten die Spanier den Spieß um und zerstörten zahlreiche Kanus. Die aztekischen Kommandeure sahen durchaus auch andere Schwachstellen ihrer Feinde. So hatten die Verbündeten in Tlacopan nur eine kleine Garnison stationiert, um den Tross aus tlaxcaltekischen Frauen zu schützen, die die Maisfladen und andere Nahrungsmittel für die kämpfende Truppe zubereiteten. Ob die wenigen spanischen Frauen wie Isabel Rodriguez, Beatriz de Palacios, María de Estrada oder Beatriz Bermúdez de Velasco, die die Conquistadoren auf ihren Feldzügen begleiteten, ihnen dabei halfen, ist nicht bekannt. Mit Hilfe seiner Verbündeten versuchte Cuauhtemoc den Feinden diese wichtige Nachschublinie abzuschneiden. Dies scheiterte jedoch daran, dass gefangene aztekische Offiziere – wahrscheinlich unter der Folter – den Plan verraten hatten.[60]
Angesichts der zähen Kämpfe mit hohen Verlusten und nur spärlichem Geländegewinn entschlossen sich die Angreifer zu einem Strategiewechsel. Statt sich nachts in die Quartiere hinter den Linien zurückzuziehen, wurden nun geräumigere Stellen auf den Dammstraßen besetzt, provisorisch gesichert und rund um die Uhr bewacht. Mit dem Schutt zerstörter Häuser sollten die Kanäle zugeschüttet werden, um Passagen für das weitere Vordringen zu schaffen. Erstes Ziel dieser Angriffe waren diejenigen Gebäude, deren Dachterrassen die Mexica für ihren Geschosshagel verwendeten. Die neue Kampfweise führte dazu, dass die Gefechte nun auch nachts ihre Fortsetzung fanden. Der Krieg erschien endlos. Selbst Bernal Díaz, der die detaillierteste Beschreibung dieser Schlachten in seinem über tausend Seiten umfassenden Bericht lieferte, überfielen Zweifel an der Darstellbarkeit der Kämpfe:
«Ich verstehe sehr gut, dass die geneigten Leser überdrüssig werden, von den täglichen Gefechten zu hören, aber ich kann mich nicht stärker einschränken, denn wir führten bei Tag und Nacht einen Krieg, der sich über dreiundneunzig Tage hinzog … Ich erzähle hier schon gar nicht alle Einzelheiten dessen, was wir an jedem Tag durchmachten, denn, mir scheint, das wäre zu weitschweifig, und dann kämen wir wie der Amadís [de Gaula] und die anderen Ritterromane nie zum Ende.»[61]
Die Kämpfe, deren Beschreibung Díaz del Castillo seinen Lesern ersparen wollte, brachten jedoch ein neues Element in die Taktik der Angreifer. Ungefähr am 9. Juni entschlossen sich die Heerführer, den Krieg in die Stadt hineinzutragen. In einer kombinierten Attacke sollte, von den Brigantinen zu Wasser flankiert, von Westen, Norden und Süden gleichzeitig angegriffen werden. Das Südbataillon stand unter dem Kommando von Cortés, der als Ziel für die Vereinigung der Truppen den Palast des Axayacatl ausgegeben hatte, wo die Spanier bis zur Noche triste gewohnt hatten. Nach erneuten blutigen Auseinandersetzungen gelangten die Angreifer bis an das Stadttor, das Tor des Adlers, wo die Brücke abgebrochen war.[62] Dank der Brigantinen, die als Ponton genutzt wurden, gelang der Übergang und dank des Geschützfeuers konnten die Spanier und ihre Verbündeten in die Stadt eindringen. Je weiter sie vordrangen, desto leichter kamen sie voran, denn damit hatten ihre Feinde offensichtlich nicht gerechnet und daher keine Sperren aufgebaut. So erreichten die Invasoren tatsächlich den Bezirk des Großen Tempels. Allerdings hatten sie ihre Kräfte überspannt, hier nämlich stießen sie auf den erbitterten Widerstand der gesammelten aztekischen Streitmacht. Da die Nord- und Westbataillone zu diesem Zeitpunkt noch weit vom Stadtzentrum entfernt waren, konnten sich die Angreifer nur retten, indem sie eines der wertvollen Geschütze zurückließen, das die Mexica später im See versenkten. Immerhin blieb ihnen die Zeit, zahlreiche Gebäude zu zerstören, um beim nächsten Vorstoß leichter voranzukommen.[63]
In den folgenden Wochen kam es zu weiteren Angriffen auf das Stadtzentrum, wobei unter anderem der Palast des Axayacatl zerstörte wurde. Immer mehr entwickelte sich der Krieg zu einem Vernichtungsfeldzug, der Tenochtitlan verwüstete. Das Ziel, die Mexica zur Aufgabe zu zwingen, erreichten die Angreifer jedoch nicht. Die Verteidiger waren immer noch in der Lage, Brücken abzureißen, die Dammstraßen zu zerstören und ihre Gegner zumindest punktuell zurückzutreiben. So wogten die Kämpfe hin und her. Die aztekischen Krieger lockten das Bataillon Alvarados auf der Dammstraße von Tlacopan in einen Hinterhalt und fügten ihm schwere Verluste zu, weil die Brigantinen wegen der Pfahlsperren nicht nah genug herankamen. Trotzdem gelang es den Mexica nicht, wieder in die Offensive zu kommen. Besonders schmerzhaft aus Sicht der Verteidiger war die Tatsache, dass sich verbündete Städte wie Iztapalapa, Mixcoac und Xochimilco zumindest halbherzig auf die Seite ihrer Feinde schlugen. Dabei tat sich Ixtlilxochitl als Vermittler besonders hervor.[64] Gegen Ende Juni kam der Generalkapitän zu einer wichtigen Einsicht:
«Als ich nun sah, dass die Bewohner der Stadt so rebellisch waren und so viel Entschlossenheit zeigten, zu sterben oder sich zu verteidigen, schloss ich daraus zweierlei: erstens, dass wir wenig bis gar nichts von den Schätzen, die sie uns genommen hatten, zurückbekommen sollten; zweitens, dass wir gezwungen waren, die Stadt vollständig zu zerstören.»[65]
Angeblich lastete gerade Letzteres Cortés «schwer auf der Seele», hatte er doch ursprünglich angekündigt, die prachtvolle Stadt seinem Herrscher unversehrt zu übergeben.[66] Wie schwer die Last gedrückt haben mag, sei dahingestellt, jedenfalls hinderte sie den mittlerweile ungeduldig gewordenen Generalkapitän nicht daran, Ende Juni den Todesstoß für Tenochtitlan zu planen. Laut Bernal Díaz berief er einen Kriegsrat zusammen, in den er Alvarado und Sandoval über Briefe mit einbezog. Cortés unterbreitete seinen Hauptleuten den Plan, bis zum Marktplatz von Tlatelolco vorzudringen, die Bataillone dort zu vereinen und das Lager aufzuschlagen. Laut Bernal äußerte das Regiment Alvarados, dem er angehörte, große Bedenken gegen den Plan, denn die Gefahr, eingeschlossen zu werden, erschien ihnen zu groß. Diese Meinung wurde sogar schriftlich niedergelegt, «damit es uns nicht wieder so erging wie bei der Flucht aus Mexiko», als sie im Nachhinein für einen Plan verantwortlich gemacht wurden, den sie gar nicht befürwortet hatten.[67] Im Briefbericht von Cortés las sich das allerdings ganz anders. Angeblich zögerte er, tiefer in die Stadt einzudringen, weil er auf die Kapitulation des Feindes hoffte und die Gefahren scheute, doch «als die Spanier, die nun schon seit zwanzig Tagen ununterbrochen gekämpft hatten, die Verzögerung bemerkten, bedrängten sich mich, … den Markt einzunehmen. … Als ich mich dagegen wehrte, sagte mir der Schatzmeister Eurer Majestät [Alderete], dass das ganze Lager dafür sei und dass ich es daher tun müsse.»[68] Die Frage, wer die Verantwortung trug, sollte später noch von Bedeutung sein. Zunächst aber beschloss man, bereits am nächsten Tag den Angriff von drei Seiten bis nach Tlatelolco zu wagen. Dabei sollten die alten und neuen indigenen Verbündeten mit tausenden von Kriegern und allen ihnen zur Verfügung stehenden Kanus wieder die Hauptlast tragen.
Das Angriffsziel, Tlatelolco, hatte durch die Belagerung eine neue Bedeutung gewonnen. Bislang von den Kämpfen weitgehend verschont, hatten sich die Tlatelolca erfolgreicher gegen die Invasoren gewehrt als die Tenochca im Süden des Stadtgebiets, die die Hauptlast der Angriffe abzuwehren hatten. Daher sah sich Tlatelolco nun in der Lage, Forderungen an ihre Nachbarn zu stellen, denen sie seit der Niederlage im Bruderkrieg 1473 tributpflichtig waren und nun Schwäche, ja sogar Feigheit vorwarfen. Scheinbar gab es zumindest einen erfolglosen Versuch seitens der Spanier, die Tlatelolca auf ihre Seite zu ziehen. Für die Zukunft verlangte der Stadtteil von den Tenochca die Führungsrolle im Dreibund. Unter dem Druck der Invasoren ging Cuauhtemoc scheinbar darauf ein und verlegte im Juni sein Hauptquartier in den Palast von Yacalulco nahe dem großen Marktplatz. Auch die wichtigsten Götterstatuen wurden nach Tlatelolco geschafft. Die aztekische Armee und die Bevölkerung Tenochtitlans zogen sich ebenfalls weitestgehend dorthin zurück.[69]
An diesem Tag sollte sich aus der Perspektive der Spanier «das Glücksrad in die falsche Richtung drehen …»[70] Der Vorstoß, der laut den Annalen von Tlatelolco unter dem Kommando Ixtlilxochitls stand, schien zunächst erfolgreich zu sein. Die drei Truppenverbände wurden zwar in schwere Kämpfe verwickelt, doch kamen die Invasoren scheinbar planmäßig voran, überwanden Barrikaden und setzten dem Feind nach, der sich immer weiter zurückziehen musste. Was sie dabei nicht bemerkten war, dass die aztekischen Krieger sie in einen Hinterhalt lockten. Bei einem Gegenangriff gelang es den Mexica, eine der feindlichen Einheiten in einen Graben zu treiben, der nicht zuvor zugeschüttet worden war. Cortés brachte sich und seine Einheit durch diesen taktischen Fehler in höchste Gefahr. Nur auf Kosten seines eigenen Lebens konnte Cristóbal de Olea den Generalkapitän ein zweites Mal vor dem sicheren Tod retten. Nach Cortés’ eigenem Bericht musste der Hauptmann der Leibgarde Antonio de Quiñones ihn regelrecht vom Schlachtfeld zerren, damit er sich in Sicherheit bringen konnte. Angeblich hätte er es angesichts des schlimmen Schicksals so vieler seiner Männer vorgezogen, «kämpfend zu sterben.»[71]
Der Angriff hatte sich in eine panikartige Flucht verwandelt. Es gelang den Mexica, zahlreiche Feinde lebend zu fangen. Einigen schlugen sie sogleich die Köpfe ab und warfen die noch blutigen Schädel den Einheiten Alvarados und Sandovals vor die Füße, die von dem Desaster noch nichts wussten. Nun erklang die riesige Trommel vom Großen Tempel und die Angreifer vermuteten zu Recht, dass die ersten Gefangenen geopfert wurden. Hinzu kamen die Töne der Hörner, die die Kampfeswut der Mexica anfeuerten. Mittlerweile waren alle Bataillone der Invasoren auf dem Rückzug in ihre Lager, wobei sie sich bis tief in die Nacht hinein heftiger Angriffe erwehren mussten und zahlreiche Tote und Verwundete zu beklagen hatten. Laut Bernal Díaz war es den schweren Geschützen zu verdanken, dass die Attacken der Verfolger letztlich langsam abebbten.[72] Doch die Nacht hielt noch einen schrecklichen Anblick für die Spanier und ihre Verbündeten bereit, von dem Bernal besonders anschaulich berichtete:
«Als wir nun endlich in Sicherheit in der Nähe unserer Lager waren, … begannen die Trommel des Huitzilopochtli und andere Pauken, Muscheltrompeten und Hörner mit einem entsetzlich traurigen Klang zu ertönen. Wir sahen, wie sie unsere Kameraden … unter Schlägen und Stößen gewaltsam oben auf den hohen Tempel trieben, um sie zu opfern. Wir sahen, wie sie vielen von ihnen auf der Plattform, wo sie die Kapellen mit ihren verfluchten Götzen hatten, Federn an die Köpfe steckten und sie zwangen, mit so etwas wie Fächern vor Huitzilopochtli zu tanzen. Dann legten sie sie rücklings auf Opfersteine und sägten ihnen mit großen Messern aus Feuerstein die Brust auf, um ihnen die pochenden Herzen herauszureißen und ihren Götzen darzubringen. Die Körper stießen sie mit den Füßen die Tempelstufen hinab.»[73]
Das grausame Spektakel verfehlte seine Wirkung nicht. Die Überlebenden waren angesichts dieses Anblicks bis ins Mark erschüttert. Díaz del Castillo, der in seiner Chronik nur wenig auf Cortés kommen ließ, beschrieb einen Generalkapitän, der in dieser Situation schwach und überfordert erschien. Gelähmt von seinem Fehler war er zu keiner Entscheidung mehr fähig, sondern versuchte, noch während die Kämpfe andauerten, seinen Hauptleuten gegenüber die Schuld auf Alderete zu schieben, der in der Schlacht angeblich seine Befehle nicht befolgt und dadurch die Panik erst ausgelöst hätte. Die anderen Hauptleute staunten über Cortés’ wehleidiges Verhalten und waren erschüttert über die hohen Verluste, zu denen auch zahlreiche Brigantinen zählten. Immerhin versäumten es die Mexica erneut, ihren schwer geschlagenen Feinden entscheidend nachzusetzen, sodass diese sich in ihren nun zusätzlich befestigten Lagern trotz andauernder Abwehrgefechte ausruhen und neu gruppieren konnten.[74]
Aus Sicht der Mexica war dieser Tag zweifellos einer der größten Triumphe in der für sie an Enttäuschungen reichen Geschichte des Kampfes um ihre Hauptstadt. Durch die Eroberung des spanischen Banners war der Sieg noch dazu symbolisch aufgeladen. Der Florentiner Codex beschreibt die Szene aus Sicht der Mexica:
«Es entwickelte sich eine sehr heftige Schlacht an jenem Tag und die Mexikaner stürzten sich wie Betrunkene auf ihre Feinde und nahmen viele Tlaxcalteken, Chalca und Texcoca gefangen und töteten viele von ihnen. Kämpfend zwangen sie die Spanier und alle ihre befreundeten Indios dazu, in die Kanäle zu springen. … Und die Spanier flüchteten und sie verfolgten sie bis zum Stadtteil, den sie Colhuacatonco nannten. Dort sammelten sie sich. Und die Indios kamen zurück, um zu siegen, und sie nahmen ihre Gefangenen. Sie stellten sie alle aneinandergefesselt in einer Prozession auf, ganz vorne die Spanier, dahinter die Tlaxcalteken und dann die anderen gefangenen Indios. Sie brachten sie zum Tempel Mumuzco. Dort töteten sie sie einzeln und rissen ihnen die Herzen heraus, zuerst die Spanier und dann ihre befreundeten Indios. Nachdem sie sie getötet hatten, stellten sie die Schädel auf einem Gestell vor ihren Götzen auf. Alle waren durch die Schläfen aufgespießt, ganz oben die der Spanier, darunter die der anderen Indios und ganz unten die der Pferde.»[75]
Der Sieg gab den Mexica großen Auftrieb und die obersten Priester sagten einen günstigen Ausgang des Kriegs in nur acht Tagen voraus. Cuauhtemoc nutzte die Gunst der Stunde und schickte Boten nach Chalco, Xochimilco und in weitere Provinzen. Diese zeigten die Schädel und Gebeine von Pferden und Conquistadoren, verkündeten die Prophezeiung ihrer Oberpriester und forderten die Provinzherrscher bei schwerer Strafe auf, sich wieder an die Seite Tenochtitlans zu stellen. Die Besiegbarkeit der Europäer war erneut unter Beweis gestellt, und die Azteken verhöhnten ihre Feinde. Außerdem setzten sie die psychologische Kriegführung weiter fort, indem sie auch in den Folgetagen noch des Nachts ihre Gefangenen opferten. Tatsächlich fielen die meisten Städte in unmittelbarer Seenähe von den Alliierten ab und verhielten sich abwartend. Nur wenige Verbündete wie Ixtlilxochitl und Chichimecatecle hielten den Spaniern noch die Treue, doch ihre Truppenkontingente waren aufgrund der Verluste sowie durch Desertionen stark zusammengeschrumpft.[76]
Darüber hinaus kam es zu Unruhen im Hinterland. Boten aus dem befreundeten Cuernavaca meldeten, dass die mit Tenochtitlan verbündete Nachbarstadt Malinalco sie attackierte. Trotz der eigenen Notlage entsandte Cortés daraufhin Hauptmann Andrés de Tapia mit einer kleinen Truppe, um die Region wieder zu «befrieden». Das war insofern wichtig, als die – wenn auch geschwächte – Kontrolle über das Hinterland eine Lebensader der Spanier blieb. Das galt auch für die Otomí, die sich ebenfalls an die Europäer wendeten, weil sie von Matalcingo aus bedroht wurden. Erneut beauftragte Cortés eine Einheit unter Sandoval damit, die Verbündeten zu beschützen und die «Rebellen», wie Cortés sie nannte, zu bestrafen. Beide Expeditionen waren erfolgreich, was ihren Verbündeten neuen Mut einflößte. Zu diesem Stimmungsumschwung trug auch bei, dass der von der Tatenlosigkeit seiner spanischen Verbündeten enttäuschte Chichimecatecle mit vierhundert Männern einen erneuten Vorstoß nach Tenochtitlan unternahm und sich dabei erfolgreich schlug.[77]
Als wichtigster Faktor für die erneute Wendung erwies sich indes die katastrophale Versorgungslage in der Hauptstadt der Mexica, die sich täglich verschlechterte. Zwar litten die Invasoren ebenfalls wiederholt Hunger, wie Bernal Díaz eindringlich berichtete, jedoch stand ihnen das Hinterland zur Verfügung, aus dem sie sich bedienten. Trotz des Verlusts von einigen Brigantinen gelang es den Angreifern im Verbund mit den Kanus der indigenen Verbündeten, den Belagerungsring wieder abzudichten, nicht zuletzt deshalb, weil man gelernt hatte, den Pfahlsperren auszuweichen. Laut Bruder Durán starben «mehr Menschen an Hunger als durch das Eisen» der Spanier.[78] Die Annalen von Tlatelolco berichteten, dass die Bewohner sogar das Holz der Schädelgerüste aßen.[79] Sahagúns Augenzeugen beschrieben die Notlage am umfassendsten: «Es herrschte großer Hunger unter den Mexica und viele waren krank, denn sie tranken das Wasser aus der Lagune und aßen Ungeziefer, Eidechsen, Mäuse etc., weil sie von außen keinerlei Lebensmittel erreichten. Nach und nach kreisten sie die Mexica ein und belagerten sie von allen Seiten.»[80]
Angesichts dieser Notlage war es kein Wunder, dass die Mexica nicht mehr zum entscheidenden Schlag gegen ihre Feinde in der Lage waren. So hatte sich die Weissagung ihrer Priester auch nach vierzehn Tagen noch nicht erfüllt. Für die Spanier war das eine sehr gute Nachricht, da die Verbündeten aus Texcoco, Cholula und Tlaxcala, die die Prophezeiungen und die vermeintliche Stärke der Mexica sehr ernst genommen hatten, nun mit frischen Kräften zurückkehrten. Cortés begrüßte sie mit einer Ansprache zwar freundlich, ermahnte sie aber wegen der Fahnenflucht. Außerdem versprach er ihnen reiche Beute, wenn sie ihn bei der bevorstehenden Entscheidungsschlacht unterstützten. Schließlich bat er die Verbündeten um Schonung der eroberten Stadtteile. Noch immer hoffte er, zumindest Teile der Stadt unzerstört in Besitz nehmen zu können. Dass man die militärischen Aussichten nun wieder positiver beurteilte, lag auch an der Verstärkung, die aus Vera Cruz kam, wo ein Schiff mit Schießpulver, Waffen und frischen Soldaten eingetroffen war.[81]
Der letzte Angriff gegen die Hauptstadt der Azteken sollte sich noch einmal über mehrere Wochen hinziehen. Mitte Juli begannen die Invasoren erneut mit ihren Attacken und stießen auf hartnäckigen Widerstand der Verteidiger, doch die Gegenwehr wurde schwächer. Was den Mexica blieb, war der Mut der Verzweiflung und die Entschlossenheit, bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Cortés, der dies nicht verstand, schrieb in seinem Bericht: «Als ich nun sah, dass die Stadtbewohner so rebellisch und wie keine Generation zuvor entschlossen waren zu sterben, wusste ich nicht was ich tun sollte, … ohne ihre Stadt zu vernichten, denn sie war die schönste Sache auf der ganzen Welt.»[82] Nichtsdestotrotz beschloss der Generalkapitän, seine Kriegführung weiter zu radikalisieren, um sich endgültig durchzusetzen und den Widerstandswillen der Mexica zu brechen: «[So beschloss ich,] dass wir bei unserem Vordringen in den Straßen der Stadt alle Häuser zu beiden Seiten niederreißen sollten, sodass wir keinen Schritt vorwärts machten, ohne alles verwüstet und das Wasser zu festem Boden gemacht zu haben.»[83] Mit diesem Vernichtungswerk beauftragte er die indigenen Pioniere, die sich auf das Schleifen von Städten durchaus verstanden.[84]
Akribisch wurde die neue Strategie vorbereitet und nach einigen Tagen Kampfpause griffen die Verbündeten umso heftiger wieder an, wobei sie das Zerstörungswerk gründlich betrieben. Während der Kämpfe gelang es Ixtlilxochitl, seinen Bruder Coanacoch gefangen zu nehmen, der die loyalen Texcocas in der aztekischen Armee anführte. Die Truppen aus Texcoco wechselten daraufhin die Seite.[85] Vergleichsweise problemlos konnten die Angreifer nun tagsüber bis zum Tempelbezirk Tenochtitlans vorstoßen, wo Cortés regelmäßig den höchsten Tempel bestieg, um den Mexica seine Macht zu demonstrieren. Systematisch schütteten die Eroberer die Gräben zu und gewannen auch den vollständigen Zugang zur Dammstraße von Tlacopan, sodass sie sich nun im Zentrum Tenochtitlans frei bewegen konnten. Die ausgezehrten und dezimierten Mexica hatten nicht mehr die Kraft, die Gräben wie zuvor des Nachts wieder aufzureißen. Gegen Ende Juli erkämpfte sich das Bataillon Alvarados erstmals Zugang zum Marktplatz von Tlaltelolco, konnte ihn jedoch zunächst nicht halten, da die Mexica hier den Großteil ihrer Krieger stationiert hatten. Am nächsten Tag stellten die Truppen Alvarados die Verbindung mit Cortés’ Männern her. Der Generalkapitän bestieg den Haupttempel Tlatelolcos und fand dort die Köpfe der geopferten Kameraden. So sehr ihn der Anblick auch getroffen haben mochte, so sehr erfreute er sich an der Tatsache, dass nun wohl fast neunzig Prozent des Stadtgebiets in der Hand der Angreifer und ihr Vormarsch unaufhaltsam war. Zumindest unter der aztekischen Zivilbevölkerung machten sich aus schierer Not Auflösungstendenzen bemerkbar, wenngleich das Los, in die Hände der Feinde zu fallen, nicht wesentlich besser war, als zu verhungern oder zu verdursten. Denn, wie Cortés selbst berichtete: «Unsere Verbündeten verfuhren mit den Gefangenen mit einer solchen Grausamkeit, dass sie keinen einzigen am Leben ließen, obgleich sie von uns getadelt und bestraft wurden.»[86]
Angesichts dieser Entwicklungen kam es unter den Mexica zu ersten Überlegungen, Verhandlungen aufzunehmen. Da ihre indigenen Feinde allergrößtes Interesse an der vollständigen Zerstörung der Stadt hatten, waren eher die Spanier ihre Ansprechpartner. Allerdings schwankten die ersten Initiativen zwischen Propagandamaßnahmen, Hinterhalten und den verzweifelten Versuchen, Zeit zu gewinnen. Laut den spanischen Quellen ging Cortés immer wieder auf Verhandlungsangebote der Mexica ein, auch nachdem man ihn schon mehrfach getäuscht hatte. Seinerseits machte er wohl ebenfalls mehrere Verhandlungsangebote. So soll er drei hochgestellte Gefangene mit einem Friedensangebot an Cuauhtemoc geschickt haben, woraufhin sich laut Díaz del Castillo der Thronrat beriet, was auch die Annalen von Tlatelolco bestätigen. Der Tlatoani selbst soll dabei zu einer Einstellung der Kämpfe geneigt haben, weil die Feinde mittlerweile fast das gesamte Umland kontrollierten und die Versorgungslage katastrophal war. Seine Berater sprachen sich jedoch dagegen aus, da alle Zugeständnisse an die Feinde, die vor allem Moteuczoma gemacht hatte, bisher für die Mexica immer nur Nachteile eingebracht hätten. Die aztekischen Priester, die bei einer Kapitulation zweifellos am meisten zu verlieren hatten, bestärkten diese Argumentation und sagten die Gunst der Götter und den baldigen Sieg voraus. Daraufhin soll sich auch Cuauhtemoc endgültig gegen weitere Verhandlungen ausgesprochen haben.[87]
Der letzte Angriff auf Tlatelolco nahm im August seinen Lauf. Trotz der verzweifelten Gegenwehr der Verteidiger konnten sich die Invasoren bald schon auf dem riesigen Marktplatz frei bewegen und vor allem ihre Reiterei zielführend einsetzen. Wenig später schlugen sie dort sogar ihr Hauptquartier auf. Cuauhtemoc musste sich in den Ostteil des Stadtteils zurückziehen, der von Wasser umgeben war. Noch einmal scheinen die Mexica ein Verhandlungsangebot gemacht zu haben, das sich aber als Finte entpuppte. Auch eine von Cortés einseitig erklärte zweitägige Waffenruhe nutzte das letzte aztekische Aufgebot nur zum Aufbau weiterer Barrikaden und Gräben. Die spanischen Verbündeten, deren Zahl in die tausende ging und die unmöglich zu kontrollieren waren, hielten sich ohnehin nicht daran. Durch das abschreckende Beispiel der Massaker, die angeblich nur von den Indigenen begangen wurden, blieb die Attraktivität einer Kapitulation jedoch gering. Laut Cortés kosteten die Gräueltaten in diesen Tagen zehntausenden von halb verhungerten aztekischen Alten, Frauen und Kindern, die verzweifelt zu fliehen versuchten, das Leben. Die Tlaxcalteken kamen ihrem Kriegsziel, der endgültigen Zerstörung Tenochtitlans, immer näher.[88]
Doch auch unter den aztekischen Kriegern war die Verzweiflung groß und so wurde zum letzten Mittel gegriffen. Cuauhtemoc überantwortete dem hervorragenden Krieger Tlapaltecatl Opuchtzin die Waffen und die Rüstung seines Vaters Ahuizotl, die man «Quetzalteculotl» nannte. Außerdem erhielt er Pfeil und Bogen des Gottes Huitzilopochtli. Man gab ihm vier Hauptleute an die Seite, mit denen er gemeinsam in den Kampf gehen sollte, und der Tlatoani sprach: «Unsere Feinde sollen diese Rüstung sehen. Es kann sein, dass sie sich dann erschrecken.»[89] Tatsächlich berichtet der Florentiner Codex, dass die Feinde beim Anblick des Quetzalteculotl erstarrten und in die Flucht geschlagen wurden. Schon in der nächsten Nacht aber sahen sie ein Feuer, das sich «wie ein Wirbelwind, der große und kleine Funken und wirbelnde Blitze sprüht» näherte und dann in der Mitte der Lagune einschlug.[90] Da die spanischen Quellen dieses Naturwunder nicht erwähnen, ist wohl davon auszugehen, dass dieses himmlische Zeichen zur Erklärung des Untergangs von Sahagúns Augen- und Ohrenzeugen erst nachträglich in die Erzählung eingebunden wurde.
Am 13. August 1521 erfolgte ein letzter Großangriff, bei dem auch die schwere Artillerie zum Einsatz kam. Sandoval bekam den Auftrag, mit den Brigantinen von der Seeseite loszuschlagen und die aztekischen Krieger und vor allem die Adligen an der Flucht zu hindern. Diese Attacke brach den letzten Widerstand. Laut Alva Ixtlilxochitl «brachten sie an jenem Tag eine der größten Grausamkeiten über die unglücklichen Mexikaner, die diese Welt je gesehen hat. Das Jammern der Frauen und Kinder war so laut, das die Herzen der Männer brachen.»[91] Nach den indigenen Quellen begab sich Cuauhtemoc in einem Kanu zu seinen Feinden, um sich zu ergeben; sein Volk weinte und sagte: «Da geht unser Herrscher. Er geht, sich den spanischen Göttern zu ergeben.»[92] Die spanischen Quellen behaupten dagegen, der Tlatoani habe versucht, mit den höchsten Adligen auf zahlreichen Kanus über den See zu fliehen, sei aber von Kapitän García de Holguín in der schnellsten Brigantine gestellt und gefangen worden. Sein Vorgesetzter, Sandoval, beanspruchte den königlichen Gefangenen für sich, um ihn Cortés zu übergeben. Darüber kam es zwischen den Spaniern sogar zum Streit, den der Generalkapitän schlichten musste. Letztlich durften beide Cuauhtemoc vorführen. Cortés empfing ihn angeblich freundlich, doch der Tlatoani sagte laut Bernal Díaz: «Herr Malinche, ich habe getan, wozu ich zur Verteidigung meiner Stadt und meiner Untertanen verpflichtet war. Jetzt stehe ich als Gefangener vor dir und bitte dich: Nimm den Dolch, den du an deinem Gürtel trägst, und töte mich.»[93] Doch Cortés wollte davon nichts wissen, denn er benötigte seinen königlichen Häftling noch.[94]
Kapitulation der Mexica (Lienzo de Tlaxcala)
Nach Monaten erbitterter Kämpfe war Tenochtitlan gefallen. Obwohl laut Bernal ein furchtbares Unwetter niederging, kam es ihm und seinen Kameraden so vor, als sei nach dem höllischen Schlachtenlärm bei Tag und Nacht endlich große Ruhe eingekehrt. Die Stadt war ein Ort der Verwüstung. Leichen und Leichenteile verstopften die Wege und der Verwesungsgestank war so fürchterlich, dass Cortés schlecht davon wurde. Die letzten verbliebenen Mexica entstiegen den Ruinen und schleppten sich in Richtung Festland. Dabei wurden sie leichte Beute nicht nur der indigenen Verbündeten, sondern auch der spanischen Conquistadoren, die ans Beutemachen und Plündern gingen und den Flüchtlingen die letzte Habe abnahmen. Doch konnten die Mexica froh sein, wenn sie überhaupt mit dem Leben davonkamen, denn weiterhin wurde nach Gutdünken gemordet, obwohl der Generalkapitän angeblich freies Geleit versprochen hatte. Wer noch einigermaßen bei Kräften war, wurde versklavt und gebrandmarkt. Junge Frauen wurden vergewaltigt. Wie der Florentiner Codex berichtet, beschmierten sich viele Frauen die Gesichter mit Dreck und kleideten sich in Lumpen, um diesem Schicksal zu entgehen. Das Beutemachen, Morden, Vergewaltigen und Plündern an sich war sowohl auf mesoamerikanischen als auch auf europäischen Schlachtfeldern jener Zeit durchaus üblich, nur das Ausmaß der Gräuel, die sich über mehrere Tage hinzogen, erschütterte selbst einen Veteranen wie Bernal Díaz.[95]
Einen Tag nach der Kapitulation beriefen die Sieger ein weiteres offizielles Treffen mit Cuauhtemoc und seinen höchsten Beratern Coanacoch, dem Herrscher von Texcoco, und Tetlepanquetzal, dem Herrscher von Tlacopan, ein, die ebenfalls gefangen worden waren. Alle drei trugen prachtvolle Gewänder, die jedoch zum Zeichen der Niederlage verschmutzt waren. Nun kam Cortés zur Sache. Durch Malinche, die nach wie vor die unverzichtbare Übersetzungsarbeit übernahm, ließ er fragen, wo das Gold war, das er bei der Flucht aus Tenochtitlan in der Noche triste hatte zurücklassen müssen. Daraufhin ließen die Fürsten ihm alles Gold bringen, über das sie noch verfügten. Als laut Sahagún Cortés daraufhin ausrief: «Gibt es nicht mehr Gold als dies in Mexiko?»,[96] reagierten die Fürsten ausweichend. Der Cihuacoatl meinte gar, dass nur die Tlatelolca in der Schlacht am Toltekenkanal von den Kanus aus gekämpft hätten. Sie müssten daher auch das Gold haben. Doch Cuauhtemoc stellte klar, dass man damals alles Gold sichergestellt hatte und dass das, was sie zusammengetragen hätten, alles sei, über das sie nun verfügten. Andere Fürsten fügten noch hinzu, dass sich möglicherweise Flüchtlinge aus dem einfachen Volk Gold angeeignet hätten und Frauen es unter ihren Kleidern versteckten. Doch die Spanier in ihrer Gier nach dem Edelmetall machten klar, dass sie mit diesen Antworten keineswegs zufrieden waren.[97]
Sehr rasch schickte der Generalkapitän die Verbündeten mit ihrem Anteil an der Beute nach Hause. Zahllose Mexica mussten den Rest ihres Lebens als Sklaven in den Städten der Sieger verbringen oder wurden dort geopfert. Zur Feier des Sieges ordnete Cortés ein Festbankett für die spanischen Offiziere und ausgewählte Soldaten an. Wein und Schweinefleisch ließ man aus Vera Cruz kommen, wo wieder ein Schiff mit Nachschub aus Santo Domingo eingetroffen war. Wegen fehlender Sitzplätze kam es von Beginn an zu Missstimmung. Die Conquistadoren prahlten mit ihrem neuen Reichtum, von dem sie sich goldene Sättel oder goldene Pfeilspitzen kaufen wollten. Bald waren die meisten betrunken, es wurden Karten gespielt und getanzt. Díaz del Castillo, der die Szene ausgiebig schilderte, betonte, dass es so manche «Fehlgriffe» gab. Die wenigen spanischen Damen, die dem Tross angehörten, und ihre Galane in ihren Rüstungen hinterließen einen recht lächerlichen Eindruck. Pater Olmedo war sehr erbost über die orgiastischen Ausmaße der Feier. Doch Cortés sagte, er könne seinen Männern am Tag ihres Triumphes die Ausgelassenheit nicht verbieten. Für den nächsten Tag ordnete der Priester aber eine Messfeier mit Prozession und Strafpredigt an, zu der alle erscheinen mussten, um für ihre Sünden zu büßen.[98]
Was seinerzeit nicht als besonders zu büßende Sünde angesehen wurde, war der Tod von zehntausenden Menschen, den der Fall von Tenochtitlan zur Folge hatte. Hatten die Spanier seit ihrer Ankunft in Mesoamerika rund die Hälfte ihrer Soldaten verloren, so entsprach das vielleicht eintausend Mann. Das war zwar ein hoher Verlust, aber er verblasst im Vergleich zu den abertausenden indigenen Kriegern und Zivilisten, die an der Seite der Europäer und gegen sie kämpfend ihr Leben auf den Schlachtfeldern ließen. Natürlich waren die Mexica, die fast ihre gesamte Führungsschicht, aber auch zahllose Frauen und Kinder verloren, am stärksten betroffen. Ausgelöscht waren sie aber keineswegs, ausgelöscht war nicht einmal ihre Stadt, obwohl man das angesichts der Trümmer vom August 1521 noch nicht absehen konnte.[99]