Schon lange vor Cortés’ Tod hatte sich die Conquista verselbständigt und zu einem Prozess der Kolonisation gewandelt, in dem der Marqués nur eine, wenn auch gewichtige, Nebenrolle spielte. Die Bildung eines neuen Raums, in dem spanische und indigene Lebenswelten sich unter unterschiedlichen Vorzeichen mischten, hatte mit dem Eintreffen der Europäer 1519 eingesetzt und sich nach dem Fall Tenochtitlans 1521 beschleunigt. Dabei waren die Eroberungen noch keineswegs abgeschlossen und auch die Form der neuen Herrschaft stand zu Beginn keineswegs endgültig fest, sondern entwickelte sich aus der Interaktion unterschiedlicher Elemente, Motive und Interessen. Herrschaft, Wirtschaft, Kultur und Alltag der Menschen veränderten sich nach und nach grundlegend.
Grundlage für diese Entwicklungen war der Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Hauptstadt des Aztekenreichs, der schon einige Monate nach der Einnahme der Stadt Ende 1521 begann. Cortés selbst wollte die Stadt «wegen ihrer Großartigkeit und wunderbaren Lage» an ihrem ursprünglichen Ort wieder aufbauen lassen, obwohl es durchaus Widerstand gegen diese Idee gab.[1] Die Kritiker bemängelten die problematische Trinkwasserversorgung sowie die Überschwemmungsgefahr und plädierten für einen Standort am Festland, beispielsweise in Texcoco oder Coyoacán. Doch Cortés ließ diese Argumente nicht gelten und beauftragte den Baumeister Alonso García Bravo mit der Leitung der Arbeiten. Außerdem setzte er Tlacotzin, den Ciuacoatl, und andere hohe Adlige wieder in ihre Verwaltungsämter ein und befahl die Rückkehr der überlebenden Einwohner nach Tenochtitlan, wo sie auch spanische Landwirtschaftsprodukte anbauen sollten. Sicherheit war Cortés ein großes Bedürfnis, weshalb er ein Fort bauen und durch Kanäle getrennte Stadtviertel errichten ließ, die den Zweck hatten, indigene und europäische Bewohner voneinander zu trennen. Dennoch sollten enge Beziehungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen die Grundlage für das Stadtleben bilden.[2]
Der Wiederaufbau erwies sich aufgrund der umfassenden Zerstörungen als eine gewaltige Herausforderung, wenngleich die aztekische Stadt keineswegs dem Erdboden gleichgemacht worden war, wie die spanischen Chronisten aus propagandistischen Gründen später behaupteten. Die indigenen Sklaven mussten zunächst die Toten begraben, die Stadt reinigen und sodann den Aquädukt wiederaufbauen. Bereits die zeitgenössischen Quellen berichteten von den hohen Menschenverlusten, die die indigenen Arbeiter beim Wiederaufbau erlitten. Motolinía bezeichnete diese Arbeit als sprichwörtlich «siebte Plage» der Mexica, denn sie kostete nach seinen Worten mehr Menschenleben als der Tempelbau zu Jerusalem. Ab Sommer 1522 wurden hunderttausende Einheimische zu dieser Aufgabe gezwungen. Viele stammten aus Chalco, der Stadt der Baumeister. Als Zeichen des christlichen Triumphs entstand eine Kathedrale neben dem großen Tempel, der wie die anderen aztekischen Kultstätten als Steinbruch diente. An der Stelle des Palastes von Moteuczoma ließ Cortés seinen eigenen Stadtpalast bauen. In wenigen Jahren entstanden zahlreiche Kirchenbauten, Klöster, Märkte, Hospitäler und Verwaltungsgebäude. Während der Aufbauarbeiten hielten sich viele Spanier in Coyoacán auf. Cortés etwa lebte dort bis zur Ankunft seiner Frau Catalina mit Malinche zusammen.[3]
Bei den Bauarbeiten lehnte man sich eng an vorspanische Muster an und behielt die indigenen Funktionen des Raums bei. Allerdings wurden europäische Bautechniken und Gerätschaften eingeführt, die die Indigenen rasch übernahmen. Das Stadtzentrum blieb für die Spanier reserviert. Nicht nur als Zwangsarbeiter war die indigene Bevölkerung erheblich an der Gestaltung der neuen Stadt beteiligt. Räumliche Kontinuitäten lassen sich unter anderem daran ablesen, dass die Dämme und die Aufteilung in vier Stadtviertel den Wiederaufbau überdauerten. So entstand um das spanische Zentrum herum eine indigene in die vier aztekischen Viertel aufgeteilte Stadt mit ihren typischen Märkten. Der einzige überlebende Sohn Moteuczomas, der nun den christlichen Namen Don Pedro trug, und andere Fürsten überwachten den Bau. Produkte und Gerüche schufen eine Kontinuität zwischen Tenochtitlan und Mexiko, ein Name, der sich mit der Zeit für die neue Stadt einbürgerte und auch Tlatelolco, das nun Santiago Tlatelolco hieß, einschloss. Christliche und weltliche Feiern wie vor allem das Fest von San Hipólito am 13. August, an dem die Spanier der Kapitulation des Cuauhtemoc gedachten, die indigenen Einwohner aber die Rettung vom Teufel feierten, schufen einen Stadtraum, in dem die unterschiedlichen Gruppen zusammenfanden. Somit wurde Mexiko zu einem Ort, in dem sich indigene und europäische Elemente mischten, wobei die Aufrechterhaltung indigener Identität und Bräuche nicht zuletzt zur effektiven Eintreibung der Tribute im spanischen Interesse war.[4]
Landkarte von México-Tenochtitlan um 1550
Das Leben in der Stadt Mexiko gestaltete sich zunächst sehr teuer. Wie Bernal Díaz berichtet, kosteten vor allem Importartikel wie Medizin und Waffen enorme Summen. Cortés ließ eigens zwei Finanzbeamte einsetzen, um Kredite und Moratorien zu ermöglichen. Außerdem versuchte man, eine eigene Kupferwährung einzuführen, was jedoch auch keine Erleichterung brachte. Viele Conquistadoren mussten schon bald gezwungenermaßen wieder in den Kampf ziehen, weil sie keine andere Wahl hatten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nachdem allen klar geworden war, dass längst nicht so viel Gold zur Verteilung vorhanden war, wie man erwartet und erhofft hatte, strebten die oft hoch verschuldeten Veteranen zur Existenzsicherung eine Encomienda an.[5] Die Regelung der Herrschaft über die indigenen Arbeitskräfte sollte sich zu einem zentralen Problem der neu entstehenden Kolonialgesellschaft entwickeln.
Schon früh hatte Cortés erkannt, dass sich die Fehler im Umgang mit der indigenen Bevölkerung, die auf den Karibikinseln zur katastrophalen Entvölkerung geführt hatten, nicht wiederholen sollten. Mehrfach formulierte er in seinen Schreiben an den Kaiser den Wunsch nach einer Politik, die dafür Sorge tragen sollte, dass die Siedler dauerhaft im Land blieben und dieses nicht einfach nur aussaugten, um schnellstmöglich nach Europa zurückzukehren. Dabei war es nicht gleichgültig, um welche Art von Siedlern es sich handelte. Die spanischen Vorstellungen von der «Reinheit des Bluts» (limpieza de sangre) galten auch in Neu-Spanien. Juden, Mauren, Neuchristen – mit Ausnahme der Indigenen – und Ketzern war die Einreise verboten. Doch ließ sich dies nicht immer effektiv kontrollieren. Gleichzeitig informierte Cortés den Kaiser über die Notwendigkeit, die Indigenen gut zu behandeln, damit ausreichend Arbeiter vorhanden waren, um den Reichtum der Krone zu mehren. Beide Ziele standen im Gegensatz zu den Interessen der Conquistadoren und dem Marqués fehlte bald die Macht, um seine Vorstellungen durchzusetzen, zumal er seinen Grundsätzen in der Behandlung der indigenen Untergebenen selbst nicht gerecht wurde.[6]
Den Bevölkerungsrückgang unter der indigenen Bevölkerung konnte die Politik nicht aufhalten. Ein Untergang, den manche spanischen Beobachter im 16. Jahrhundert erwarteten, sollte sich jedoch nicht einstellen. Vielmehr entstand eine multiethnische Gesellschaft, die in dieser Form damals weltweit einzigartig war. Schon vor den Spaniern zeichneten sich die mesoamerikanischen Gesellschaften und Kulturen ethnisch, sprachlich und kulturell durch eine große Vielfalt aus. Mit den Europäern und bald auch den Afrikanern kamen jedoch neue Elemente hinzu. Infolgedessen entstand die koloniale Kategorie des ‹Indio›, in die die unterschiedlichen indigenen Ethnien subsumiert wurden. Sie war für alle Beteiligten neu und wurde stetig auch neu ausgehandelt. Der soziale Gegensatz zwischen Spaniern und Indigenen bildete sich ebenso wie die Gleichsetzung von ‹Indio› mit Armut und Rückständigkeit erst langsam heraus. Anfangs gab es zahlreiche Allianzen, die dieser Zweiteilung nicht entsprachen. Auch in politischer Hinsicht war Mexiko nach dem Fall Tenochtitlans eine Mischung aus sich überschneidenden und miteinander im Wettbewerb stehenden Herrschaftsordnungen.[7]
Daran zeigte sich, dass die indigenen Verbündeten und deren Eliten zunächst auf Augenhöhe mit den Spaniern verhandelten. Insbesondere in den 1520er-Jahren, als die Lage in Mexiko noch nicht endgültig gesichert war, legte Cortés großen Wert auf Furcht und Abschreckung, denn noch lebten viele Millionen Indigene in der Region, deren Unterwerfung keineswegs dauerhaft sein musste. Die Spanier waren zahlenmäßig schwach, sie brauchten Verbündete, um ihren Machtanspruch durchzusetzen. Allerdings übte Cortés durch seinen Sieg über die Mexica eine Form von charismatischer Macht aus. Diese sicherte er bereits seit 1520 durch die Bestimmung neuer Tlatoque überall dort ab, wo sich ihm die Gelegenheit dazu bot, etwa nach militärischen Erfolgen oder nach dem Tod von Amtsinhabern. Die von ihm abhängigen Herrscher wurden getauft und dienten sodann als Mittler zwischen Spaniern und Unterworfenen.[8]
Die ehemals tributpflichtigen, mit den Spaniern verbündeten Stadtstaaten dürften große Genugtuung über den Sieg empfunden haben. Für sie bedeutete das Ende des Aztekenreichs einen Akt der Befreiung. Es entsprach darüber hinaus ihrem Erwartungshorizont, der von ständigen Kriegen und dem Aufstieg und Fall mächtiger Reiche geprägt war. Auf den ersten Blick verbesserte sich die Situation merklich. Die Tributzahlungen an die Mexica entfielen ebenso wie die ständige Kriegsgefahr. Direkt nach dem Kriegsende waren die indigenen Verbündeten deutlich stärker als die Europäer, doch gelang es Cortés, sie weiter gegeneinander auszuspielen, sodass es zu keinem Bündnis gegen die Spanier kam. Selbst die Tlaxcalteken blieben nur in ihrer Region stark. Überhaupt war die Verbesserung der Situation nur kurzfristig, denn die Spanier verfolgten langfristige Herrschaftspläne und bauten diese zielbewusst zu einer Territorialherrschaft nach europäischem Vorbild aus mit der Kontrolle über alle Ethnien, der Einführung einer zentralen Herrschaftsstruktur und hohen Tributforderungen. Das konnten die Indigenen nicht ahnen, weil sie diese Form von Staatlichkeit nicht kannten. Die eigentliche Unterwerfung Mesoamerikas setzte in den Jahren nach dem Fall Tenochtitlans schrittweise ein und die ehemaligen Verbündeten erkannten das Ausmaß ihres Machtverlusts erst, als der Prozess der Kolonisierung nicht mehr aufzuhalten war.[9]
Ob sie nun mit den Spaniern verbündet gewesen waren oder nicht, die Adligen erkannten die Oberherrschaft des spanischen Königs mit der Zeit an und bemühten sich, ihre herausgehobene Stellung in der eigenen Gemeinschaft zu erhalten, indem sie die spanische von der indigenen Sphäre getrennt hielten. Gegenüber den eigenen Untertanen konnten sie als Mittler und Interpreten mit größerem Wissen auftreten und daraus ihre Macht ableiten. Von den Spaniern erhielt der Adel der Verbündeten zahlreiche Privilegien wie zum Beispiel die Erlaubnis, Schwerter zu tragen und Pferde zu besitzen, ein Wappen, eigenen Landbesitz, die Befreiung vom Tribut sowie die Ehrentitel eines ‹Don› oder ‹Hidalgo›. In der Umgangssprache setzte sich der aus der Karibik stammende Begriff ‹Kazike› durch, während ‹Tlatoani› keine Verwendung mehr fand. Auch spanische Amtsbezeichnungen wie ‹Alcalde› (Bürgermeister) oder ‹Regidor› (Stadtratsmitglied) wurden den indigenen Adligen übertragen. Auf die Zeichen der Distinktion legte man größten Wert. Eine Heirat mit einer einheimischen adligen Tochter erwies sich anfangs auch für die spanischen Conquistadoren als vorteilhaft und brachte einen Prestigegewinn. In der Theorie erkannte der König also die Rechte der indigenen Adligen an, sollten diese doch das Christentum an ihre Untertanen weitergeben und die Ordnung aufrechterhalten. Erst mit der Zeit offenbarte sich die strukturelle Benachteiligung der einheimischen Amtsträger gegenüber den spanischen Grundherren im Kampf um die knapper werdenden Ressourcen an Tribut und Arbeitskraft. Sie wurden immer weiter zurückgedrängt und verloren den Zugriff auf ihre Untergebenen oder gingen in der kreolischen Elite auf.[10]
Als sich die Spanier als Machthaber etablierten, hatte sich das Machtgefüge des aztekischen Reichs längst aufgelöst und ein Trend zur Fragmentierung eingesetzt. Die Kolonialherren mussten sich direkt mit den einzelnen Altepetl auseinandersetzen, die Wert auf Unterschiede legten. Diesen erlaubten sie eine Selbstregierung, wenn auch nur bis zur Ebene der Stadtverwaltung. Die obersten Instanzen der unterworfenen Reiche verschwanden ersatzlos, die Einheimischen mussten europäische Verwaltungsformen wie Stadträte (Cabildo) und Gerichte übernehmen, wobei die Distriktgrenzen der nun so genannten ‹Repúblicas de Indios› beibehalten wurden. Einfache Macehualtin konnten demnach den Gobernador verklagen, was mit seinem Autoritätsverlust einherging. Zunehmend verdrängten gewählte Ortsvorsteher den alten Adel und die den Herrscherfamilien entstammenden indigenen Gouverneure. Damit geriet auch die Lokalverwaltung verstärkt in die Hand spanischer Beamter. Als Kronbeamte ersetzten die Corregidores in wachsender Zahl die einstigen Tlatoque und trugen zu deren Entmachtung bei.[11]
Besondere Bedeutung kam den Nachfahren Moteuczomas zu, der sich angeblich freiwillig dem spanischen König unterworfen hatte und dessen Linie daher legitime Ansprüche auf die Beteiligung an der Herrschaft stellen konnte. Die Töchter des Tlatoani erhielten zahlreiche Privilegien wie die Mitgliedschaft in angesehenen Ritterorden oder eine Leibrente und heirateten in den spanischen Adel ein. Tecuichpo, die später den christlichen Namen Doña Isabel de Montezuma annahm, war zunächst Ehefrau von Cuitlahuac und wurde nach der Eroberung zur Konkubine von Cortés, mit dem sie eine Tochter hatte. Später verheiratete der Gouverneur sie mit dem Conquistador Alsonso de Grado, nach dessen Tod mit Pedro Gallego und nach dessen Ableben mit Juan Cano, der sich intensiv um die wirtschaftlichen Interessen seiner Frau bemühte und 1536 erfolglos um die Rückerstattung des gesamten Erbes bat. Die Frage des Erbes beschäftigte auch die zahlreichen weiteren Nachfahren Moteuczomas, der angeblich rund hundertfünfzig Kinder gezeugt haben soll.[12]
Don Pedro Tlacahuepan, der einzige von der Krone anerkannte legitime Sohn des Moteuczoma, bereiste 1540 sogar mit Gefolge Spanien. Don Martín Cortés Nezahualteculuchi, ein weiterer Sohn, heiratete in Spanien. Herrschaftsansprüche waren daraus nicht abzuleiten, wenngleich die spanischen Autoritäten nach einer Übergangsphase in den 1520ern und 1530ern, während derer Cortés illegitime und vollständig von ihm abhängige Marionetten einsetzte, durchaus darum bemüht waren, aztekische Legitimitätsvorstellungen bei der Wahl der indigenen Gouverneure von Tenochtitlan zu beachten. So ließ Vizekönig Mendoza den direkten Verwandten Moteuczomas, Diego de Alvarado Huanitzin, der die Anerkennung der Mexica genoss, 1538 einsetzen. Die Herrscherdynastie sollte bis 1565 erhalten bleiben, wenngleich ihrer Machtausübung enge Grenzen gesetzt waren. Zwar riskierte man damit aus spanischer Sicht möglicherweise Rebellionsversuche, jedoch blieb das Risiko überschaubar, weil die indigenen Anführer zu diesem Zeitpunkt bereits in Abhängigkeit von den spanischen Gouverneuren lebten.[13]
Die schleichende Aushöhlung der indigenen Autorität provozierte Konflikte zwischen den alten Herrschern und den neuen spanischen Encomenderos, wobei es in der Regel zu Streit um die Arbeitskräfte kam. Die Indigenen bestanden auf ihren Privilegien und waren um die Jahrhundertmitte bereit und in der Lage, auch auf juristischem Weg darum zu kämpfen. Die Kläger und Bittsteller beriefen sich gegenüber der Krone immer wieder auf die Unterwerfung und die Treue Moteuczomas, auf die eigene uralte und daher rechtmäßige Regierungstradition oder aber auf die geleistete Hilfe während des Eroberungskriegs, aus der sich die Legitimität ihrer Anliegen ableite. So beklagte sich Moteuczomas Sohn Martín bereits 1532 in einer Eingabe an den König über den Verfall der legitimen Herrschaft der Herren von Mexiko und bat um finanzielle Versorgung und Bestätigung seiner Rechte.[14]
Eine besondere Rolle in der entstehenden Kolonialgesellschaft kam zumindest de iure Tlaxcala zu, dem treuesten Verbündeten der Spanier. Cortés bestimmte, dass die Stadt wegen ihrer großen Verdienste von der Abgabe indigener Arbeitskraft an spanische Encomenderos ausgenommen bleiben sollte. Allerdings hatten die Tlaxcalteken Tributabgaben an den spanischen König zu leisten und mussten eine Festung und ein Kloster für die Spanier errichten. Bereits 1527 besuchte eine tlaxcaltekische Delegation Spanien und 1534 erhielt der Ort den Ehrentitel «die treue Stadt» für ihre Kommune sowie ein spanisches Wappen. Der Lienzo de Tlaxcala verbildlichte die aus tlaxcaltekischer Sicht ruhmreiche Geschichte des Bündnisses mit Cortés. Später reklamierten die Tlaxcalteken die Befreiung von der Tributpflicht für sich und beriefen sich auf vermeintliche Zusagen des Marqués. 1585 hatten sie mit ihrem Anliegen Erfolg, wobei sie es geschickt verstanden, historische Fakten in ihrem Sinn zu manipulieren. Dieser Erfolg schützte Tlaxcala jedoch nicht vor einem relativen Abstieg. So wurde der Stadtstaat wie der Rest Mesoamerikas von Epidemien heimgesucht und musste die spanische Nachbarstadt Puebla errichten, deren Siedler schon bald tlaxcaltekischen Landbesitz aufkauften. Trotz der herausgehobenen Stellung und relativen Autonomie zeichnete sich in Tlaxcala unverkennbar ein Prozess der Verarmung ab.[15]
Am 26. Februar 1557 bestätigte ein königlicher Erlass, der 1560 Eingang in die Gesetzessammlung für Amerika, die Recopilación de Leyes, fand, die Privilegien der indigenen Eliten. Danach kam es zu zahlreichen Petitionen an den König. Die Bittsteller machten meist vier Argumente geltend: erstens, die adlige Herkunft; zweitens, die Rolle in der Conquista; drittens, die Bekehrung zum Christentum und dessen Verbreitung; viertens, der Beitrag zum guten Regieren als Kaziken und Gouverneure. Zunehmend beinhalteten die Eingaben auch Klagen wegen zu hoher Tribute und Frondienste, weil die Bevölkerung überall schrumpfte und sich die Besitzungen der Spanier auf Kosten der indigenen Bevölkerung immer weiter ausdehnten. Zudem verschlangen die europäischen Kriege immer mehr Geld, sodass der steuerliche Druck auf die amerikanischen Besitzungen weiter stieg. Vor diesem Hintergrund verloren die einheimischen Eliten im Laufe des 16. Jahrhunderts an Einfluss mit der Folge, dass ihre Eingaben an den König immer öfter ignoriert wurden.[16]
Die Enttäuschung über diese Entwicklungen war zumal bei den ehemaligen Verbündeten groß. Selbst Tlaxcalteken beklagten sich über die schlechte Behandlung durch die Kolonisatoren, die sie überall aus den Führungspositionen verdrängten. Sogar Misshandlungen waren sie ausgesetzt. Anderen Gruppen wie den Tarasken, deren Anführer sich im Vertrauen auf die spanischen Zusagen aus freien Stücken unterworfen hatten, erging es ähnlich. Bis zur Jahrhundertmitte blieb die Gefahr indigener Aufstände bestehen, wie der Mixton-Krieg in Neu-Galizien eindrucksvoll unter Beweis stellte. Dieser Aufstand, an dessen Spitze Tenamatzle stand, führte 1541 sogar zur Reaktivierung von Pedro de Alvarado, der dann während der Kampagne einem Reitunfall zum Opfer fiel. Letztlich musste Vizekönig Mendoza selbst mit indigenen Truppen ausrücken und die Rebellion niederschlagen. Weitere Kriege gegen Mixteken, Zapoteken und Mixe sollten folgen.[17]
Als hilfreich für die Spanier erwies sich das Weiterleben der Rivalitäten unter den ethnischen Gruppen wie zum Beispiel zwischen Tenochca und Tlatelolca, obwohl diese im Krieg um die Hauptstadt sogar verbündet gewesen waren. So blieb die Zahl der Aufstände im kolonialen Mexiko vergleichsweise gering. Wenn es zu Unruhen kam, so waren diese meist lokal begrenzt und hatten auch lokale Beweggründe. Grundsätzlich wurde die Krone als ferner, aber gerechter Herrscher akzeptiert, der Vertrauen genoss, und Missstände wurden eher den vermeintlich schlechten Verwaltern vor Ort angelastet. Bewaffnete Auseinandersetzungen wurden in der Regel niedergeschlagen, Rädelsführer exemplarisch bestraft und einige Reformen umgesetzt, um die Unzufriedenheit zu mildern.[18]
Die Herrschaft des Kaisers im fernen Europa war unumstritten, ja es verband sich damit die Weltreichsidee, die nicht neu war, jedoch in der Art, wie sie nun hervorgebracht wurde, eine neue Dimension gewann. Cortés sprach Karl V. bereits in seinem zweiten Briefbericht als «neuen Imperator dieses Landes» an, dessen Titel «nicht weniger wert [sei] als der von Deutschland».[19] Diesen Gedanken versuchte er dem Kaiser auch in den Folgeberichten wiederholt schmackhaft zu machen. Cortés kannte die bereits aus dem Mittelalter stammende Vorstellung, wonach Spanien durch Gott zur Weltherrschaft berufen sei, da die Zivilisation und Religion des Landes über der anderer Völker stehe. Diese imperiale Sendung rechtfertigte seines Erachtens die Unterwerfung des Aztekenreichs ebenso gut wie der vermeintlich teuflische Aberglauben der Indigenen. Auch die von Cortés eingeführte Bezeichnung Nueva España, Neu-Spanien, sollte darauf hindeuten, dass eine wegweisende Erweiterung der europäischen Reichsteile stattgefunden hatte.[20]
Die 1516 vom Kaiser angenommene Regierungsdevise ‹Plus Ultra›, die auf die Schaffung eines Weltreichs jenseits der Säulen des Herkules hinzudeuten schien, gab Anlass zu der Vermutung, am Hof mit der Argumentation vom spanischen Weltreich auf Interesse zu stoßen. Das wussten auch Chronisten wie der Höfling Fernández de Oviedo oder López de Gómara, der später in seiner Widmung an Karl V. ausführte: «Ihr habt Euch als Devise ‹Plus ultra› gesetzt und damit zu verstehen gegeben, dass Ihr die Herrschaft über die Neue Welt anstrebt.»[21] Diese Schlussfolgerung gründete auf der Vorstellung von der weltweiten Verbreitung der spanischen Zivilisation und des Christentums, die durch die Eroberung des Aztekenreichs und die Erkenntnis von den Ausmaßen der neuen Gebiete ermöglicht wurde. Der Kaiser selbst verstand sich zwar eher in der Tradition eines Imperator Romanorum und konzentrierte seine Politik auf die Vormachtstellung in Europa. Sein Großkanzler Gattinara jedoch propagierte bereits den Gedanken einer Universalmonarchie vom «Reich, in dem die Sonne nie untergeht.»[22] Dies griffen Chronisten und Geschichtsschreiber wie Cervantes de Salazar, Bernal Díaz oder Alonso de Zuazo auf, wenn sie die Taten der Spanier mit denen der antiken Römer verglichen und zum Schluss kamen, dass Erstere Letztere noch übertrafen.[23]
Für die große Bevölkerungsmehrheit der Gemeinfreien in den Calpultin waren derartige Überlegungen irrelevant, nichtsdestotrotz änderte sich ihr Leben nachhaltig, wenngleich es nicht überall so radikale Brüche gab wie in Tenochtitlan selbst. Sie mussten ihre traditionelle Lebensweise zu guten Teilen aufgeben und erhielten neue Herren, die ihre Arbeitskraft ausbeuteten. Dabei sollte die Einführung der Encomienda durch die Spanier in der Frühphase der Kolonialzeit von entscheidender Bedeutung sein. Diese Form des Arbeitsregimes hatte ihre Wurzeln im mittelalterlichen Spanien und wurde während der Reconquista auf der Iberischen Halbinsel häufig angewendet. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam die Institution unter dem Gouverneur Nicolás de Ovando in die Karibik. Bei diesem System wurden einem siegreichen Eroberer als Belohnung die Arbeitsdienste und Tribute einer bestimmten Zahl Unterworfener ‹anvertraut› (encomendar). Landbesitz war damit ursprünglich ebenso wenig verbunden wie die Gerichtsbarkeit, wenngleich viele Encomenderos sich diese Rechte in der Folgezeit de facto anmaßten. Im Gegenzug waren die Encomenderos für den militärischen Schutz, die Erziehung und Christianisierung der ihnen anvertrauten Indigenen zuständig. Das System war jedoch anfällig für Missbrauch, das hatte sich bereits in den frühen Jahren in der Karibik gezeigt. Conquistadoren und Kolonisten, die schnell reich werden wollten, behandelten die einheimische Bevölkerung wie Sklaven und nahmen ihr massenhaftes Sterben billigend in Kauf.[24]
Nach der Eroberung Tenochtitlans vergab Cortés sehr schnell die ersten Encomiendas. Bei der Zuteilung knüpfte er an indigene Formen der Arbeitspflicht an. Die Tatsache, dass die Encomenderos kulturell fremde Eintreiber von Tributen und Arbeitsleistungen waren, bedeutete im mesoamerikanischen Kontext an sich nichts Neues. Die Pflicht zu öffentlichen Arbeitsleistungen für die Calpultin bestand fort und wurde auf bestimmte Bereiche wie zum Beispiel den Bergbau erweitert. Bei der Organisation dieser Arbeiten kam dem indigenen Adel anfangs eine zentrale Rolle als Mittler zu. Das wurde beispielsweise deutlich, als 1555 die erste große Flutkatastrophe der Kolonialzeit einen umfangreichen Arbeitseinsatz erforderte und Vizekönig Luis de Velasco, der seinen Vorgänger Mendoza 1550 abgelöst hatte, entschied, diesen nach dem Vorbild der aztekischen Gemeinschaftsdienste koordinieren zu lassen. Auch der Zuschnitt der Encomiendabezirke und deren Verwaltung orientierte sich an vorspanischen Strukturen. Ehemalige Stadtstaaten, die als einzelne Encomienda zu groß waren, wurden dagegen aufgeteilt. Die Hauptstädte der Altepetl behielten ihren Status als Justiz- und Verwaltungszentren, man nannte sie nun ‹Cabecera›.[25]
Die Encomienda blieb jedoch keineswegs unumstritten. Bereits seit 1511 hatte sich in Spanien eine heftige Debatte über die richtige Behandlung der einheimischen Bevölkerung in den Indias entfaltet. Gegen den Missbrauch regte sich Kritik, die insbesondere von Geistlichen der Bettelorden getragen wurde, wobei sich der Dominikaner Bartolomé de las Casas besonders hervortat. Daraufhin hatte die Krone 1512 gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der anvertrauten Bewohner erlassen, die jedoch wenig an der Lage änderten. Als durch Cortés’ Berichte in den frühen 1520er-Jahren die Dimension der Eroberung eines aus Sicht der Spanier weitaus zivilisierteren Reichs bekannt wurde, knüpfte der König an die Schutzpolitik an, um Auswüchse wie auf den karibischen Inseln von vornherein zu unterbinden. Außerdem wollte er die Entwicklung hin zu einer erblichen Feudalherrschaft verhindern. So enthielten die Instruktionen Karls V. an Cortés vom 26. Juni 1523 ein explizites Verbot der Vergabe von Encomiendas. Die indigenen Völker sollten vielmehr wie die auf der Iberischen Halbinsel freie Untertanen der Krone sein und friedlich mit den Spaniern zusammenleben.[26]
Cortés befolgte die königlichen Anweisungen jedoch nicht, ja er hielt sie sogar vor seinen Männern geheim. In seinem Antwortschreiben an Kaiser Karl vom Oktober 1524 begründete er seine Haltung wie folgt:
«… in diesen Ländern haben die Spanier keine anderen Vorteile und auch keine andere Möglichkeit, zu überleben beziehungsweise sich den Unterhalt zu verdienen, als mit der Hilfe, die sie von den Indigenen erhalten. Ohne diese könnten sie sich hier nicht halten und sie müssten das Land verlassen … Wenn sich das herumspricht, kämen auch keine [Spanier] mehr, was nicht wenig Schaden verursachen würde, beispielsweise am Dienst an unserem Herrgott, denn die Christianisierung der Hiesigen würde aufhören. Auch die königlichen Einkünfte würden sich verringern und dieses große Herrschaftsgebiet würde verloren gehen sowie die Gebiete, die damit noch in Zukunft zu haben sein werden, und das wird mehr sein, als die Welt bisher ahnt.»[27]
Sein Hauptargument war also, dass das Überleben der Spanier in den neu eroberten Gebieten und der Erhalt der militärischen Kontrolle von der Zuteilung indigener Arbeitskraft abhängig seien. Überdies stand seines Erachtens nicht genügend materielle Beute für die Soldaten zur Verfügung, die sich deshalb an der einheimischen Bevölkerung schadlos halten mussten. Und nicht zuletzt konnten, wie Cortés schrieb, nur auf diese Weise die Überschüsse für die Krone erarbeitet werden. Auf den Vorwurf, die Encomienda sei eine versteckte Form der Sklaverei, erwiderte der Generalkapitän, dass er die Indigenen im Gegenteil dadurch erst aus der Gefangenschaft befreite, denn: «… so wie sie früher ihren alten Herren dienen mussten, waren sie nicht nur Gefangene, sondern auf unerhörte Weise Unterworfene, denn diese nahmen ihnen nicht nur alles, was sie hatten … sondern entrissen ihnen auch ihre Söhne, Töchter und Verwandten und sogar sie selbst, um sie ihren Götzen zu opfern.»[28]
Außerdem legte Cortés dar, dass er das Schicksal der ‹Indios› auf den karibischen Inseln gut kannte, weil er dort mehr als zwanzig Jahre gelebt hatte. Den Missbrauch, der dort zur Entvölkerung geführt hatte, wollte er in seinem Herrschaftsbereich verhindern, indem er es den Encomenderos zum Beispiel untersagte, ihre anvertrauten Arbeiter für die Goldsuche einzusetzen. Auch durften sie nicht aus ihren Dörfern verschleppt werden. Nur die Abgabe eines Teils der Produktion als Tributleistung an die spanischen Herren sollte gestattet sein. Für weitergehende Dienste sollten sich die Spanier derjenigen Indigenen bedienen, die schon zuvor als Sklaven gedient hatten beziehungsweise aufgrund ihrer Gegenwehr gegen die spanische Eroberung in Kriegsgefangenschaft geraten waren und daher nach damaligen Vorstellungen gerechterweise versklavt werden durften. Die vom König geforderte Einführung direkter Steuern war laut Cortés zum Scheitern verurteilt. Daher schien die Encomienda nach Ansicht des Generalkapitäns die bestmögliche Lösung.[29]
Da die Krone nicht auf dem Verbot insistierte, ja sogar selbst dazu überging, Encomiendas zu vergeben, blieb die Institution bis ins 18. Jahrhundert bestehen. Um 1560 gab es in Neu-Spanien bereits rund 480 Encomiendas und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand eine Encomendero-Schicht, die den erblichen Adelsstatus anstrebte. In der Tat war die Zuteilung als Ersatz für die enttäuschende Beute zu verstehen. Dabei wurden die Encomiendas nach demselben Schlüssel vergeben, nämlich jeweils zwanzig Prozent für Cortés und den König und den Rest an die Truppe. Dieser Verteilungsschlüssel und der Zuschnitt der Bezirke gaben erneut Anlass zu Streitigkeiten und Missgunst unter den Conquistadoren. So kamen wohl nur rund vierzig Prozent der überlebenden Spanier letztlich in den Genuss einer Encomienda. Zumeist blieben sie im Tal von Mexiko, wenngleich dies nicht für alle galt, wie das Beispiel Bernal Díaz zeigt, den es ins heutige Guatemala verschlug. Cortés selbst wollte sich riesige Gebiete wie Texcoco, Chalco, Otumba und Coyoacán sichern, verlor diese aber größtenteils wieder, als er sich auf den Feldzug nach Honduras begab. Als er 1529 das Tal von Oaxaca mit 23.000 Vasallen zugesprochen bekam, avancierte er dadurch zum reichsten Mann der Indias und wahrscheinlich der gesamten spanischen Welt. Doch von seinem einstigen Besitz im Zentrum der Macht blieben nur noch Coyoacán und Tacubaya. Die strategisch wichtigen Encomiendas von Otumba, Chalco und Texcoco hatte man in Kronprovinzen umgewandelt.[30]
Formell hatte Cortés in der Tat schon im März 1524 Anweisungen zum guten Regieren an die spanischen Siedler herausgegeben. Darin hatte er die Encomenderos dazu verpflichtet, mindestens acht Jahre im Land zu bleiben und ihre Frauen nach Neu-Spanien zu holen. Auf diese Weise wollte er verhindern, dass die Grundherren, die wie auf den karibischen Inseln nur auf die schnelle Rückkehr nach Europa aus waren, ihre Untergebenen rücksichtslos ausbeuteten. Cortés befahl, dass die Encomenderos «besondere Umsicht walten lassen sollten, um ihre Indios nicht nur nicht zu zerstören und zu zerstreuen, sondern um sie zu erhalten und zu vermehren». Wenn sie ihre Anvertrauten aber in diesem Sinn behandelten, so versprach der Generalkapitän, ihnen die Vererbbarkeit ihrer Encomienda zu sichern.[31]
An der Ausbeutung der indigenen Arbeitskraft änderte sich dadurch jedoch de facto nichts. Cortés selbst ging mit schlechtem Beispiel voran. Seine Untertanen aus Cuernavaca beschwerten sich im Januar 1533 bei der königlichen Audiencia. Demnach mussten sie nicht nur periodisch Tribute in Form von Naturalien abliefern, den Haushalt ihres Herrn und seiner Untergebenen versorgen, sondern je nach Bedarf zu allen möglichen weiteren Diensten zur Verfügung stehen und wurden dazu noch von den spanischen Dienern misshandelt.[32] Die Grenzen zur Sklaverei waren unter dem Regime der Encomienda also fließend. Grausame körperliche Strafen erließen die Grundherren nach Belieben, zudem vermieteten oder verkauften sie die ihnen anvertrauten indigenen Landarbeiter und das Gemeindeland der Indigenen eigneten sie sich oftmals unrechtmäßig an. Ihre Übergriffe rechtfertigten die Encomenderos mit dem Hinweis auf ihre prekäre Situation in einer feindlichen Umwelt. Die Encomiendas bildeten darüber hinaus ein Reservoir für Soldaten und Träger für die weiteren Kriegszüge bis Ende der 1520er-Jahre.[33]
Misshandlungen der Indigenen durch die spanischen Autoritäten
Die Haltung der Krone gegenüber der Encomienda und damit den indigenen Untertanen blieb uneinheitlich. Einerseits versuchte man, die Macht der Encomenderos in den 1530er- und 40er-Jahren durch Reglementierung der Arbeitsdienste zu beschneiden. Dadurch sollten die ärgsten Auswüchse der Ausbeutung verhindert und ihr Einfluss generell zurückgedrängt werden, nicht zuletzt auch um die königlichen Einnahmen zu erhöhen. Schon die Mitglieder der zweiten Audiencia von 1530 wurden in geheimen Anweisungen mit der Abschaffung der Encomienda beauftragt. An ihre Stelle sollte ein zentralisiertes System der Tributeintreibung durch die Corregidores treten, die auch die religiöse Unterweisung überwachen und vor Ort Recht sprechen sollten. Allerdings wurden diese Beamten anfangs auch mit Tributeinnahmen bezahlt und hatten zudem Anspruch auf indigene Arbeitskraft. Oftmals nutzten sie ihr Amt einzig zum eigenen Vorteil. Obwohl am Ende ihrer Amtszeit eine Residencia stand, mussten sie selbst bei Missbrauch nur selten harte Strafen befürchten. Hinzu kam, dass man vielerorts einfach die Encomenderos zu Corregidores ernannte, was dem Missbrauch des neuen Amtes Tür und Tor öffnete. So konnten die Reglements vor Ort nicht durchgesetzt werden und wurden später durch königliche Anweisungen und Sondergenehmigungen sogar noch konterkariert.[34]
Mit der Einführung der ‹Neuen Gesetze› (Leyes Nuevas) von 1542/43 unternahm die Krone einen erneuten Versuch, die Willkür und den Missbrauch im Umgang mit der indigenen Bevölkerung zu bekämpfen und die Macht der Encomenderos zu begrenzen. Die Versklavung der Indigenen – eigentlich schon seit langem verboten – sollte endgültig eingestellt werden. Darüber hinaus wurde ein Verbot zur Vererbung der Encomienda beschlossen, jedoch auf die Proteste der Encomenderos hin später wieder abgeschwächt, sodass zumindest die einmalige Vererbung möglich blieb. Neue Encomiendas sollten nur noch vom Vizekönig vergeben werden. Die schon in den 1530er-Jahren festgesetzten Tributobergrenzen wurden nun verschärft durchgesetzt. Außerdem bestimmte der König, dass die Grundherren zwar noch weiter den Tribut beziehen, aber keine Arbeitsleistungen mehr verlangen durften. Seit der Jahrhundertmitte wurden Visitationen durch königliche Beamte angestrengt, um die Umsetzung der Bestimmungen vor Ort zu kontrollieren. Überdies bekamen die Einheimischen nun Einspruchsrechte, was zu zahlreichen Gerichtsfällen führte, wie der Codex Osuna dokumentiert. Dennoch blieben Formen der Zwangsarbeit und auch der indigenen Sklaverei noch viele Jahre bestehen.[35]
Die königlichen Bestimmungen erregten viel Kritik und Widerstand unter den betroffenen neuspanischen Encomenderos. Nach der Einführung des Vizekönigreichs, der Audiencia und der Corregidores hatten sie in permanenter Auseinandersetzung mit den königlichen Autoritäten beständig an Einfluss eingebüßt, eine Entwicklung, die sich um die Jahrhundertmitte verschärfte. Die Reaktion der Krone auf eine vermeintliche Verschwörung der Encomenderos in den 1560er-Jahren zeigte, wie stark deren Stellung mittlerweile ausgehöhlt war. Die mutmaßlich Verantwortlichen wurden hart, teils mit dem Tod, bestraft und ihre Besitzungen fielen an die Krone. Cortés’ Söhne, darunter sein legitimer Erbe Martín, die nach dem Tod ihres Vaters nach Neu-Spanien gekommen waren, wurden der Mitwisserschaft, wenn nicht gar der Anstiftung verdächtigt und mussten sich schließlich in Spanien verantworten. Nach Neu-Spanien durften sie nicht mehr zurückkehren. Die Krone beschlagnahmte die reichen Besitzungen des Marquesado del Valle de Oaxaca und gab sie erst 1593 wieder frei, obwohl der Marqués Martín Cortés schon 1574 rehabilitiert worden war.[36]
Ein wichtiges Argument der Befürworter der Encomienda lag in ihrer Bedeutung für die Christianisierung der indigenen Bevölkerung und die Vernichtung ihrer religiösen Vorstellungen, die aus Sicht der Eroberer nichts anderes als Teufelswerk waren. In der Tat stand die Mission im Mittelpunkt des Aufbaus der Kolonialgesellschaft. In den Quellen wird dieser Aspekt besonders betont, wird der Sieg der Spanier doch als Folge göttlicher Fügung präsentiert, aus dem sich der Auftrag zur Christianisierung in besonderem Maß ableitete. Die spanischen Conquistadoren beriefen sich darauf, um die Eroberung eines hoch organisierten Reiches zu legitimieren. Von Beginn an diente die Christianisierung jedoch auch politischen Zwecken und untermauerte die Fremdherrschaft. Außerdem wurde sie erst nach einigen Jahren planmäßig umgesetzt, als die Gefahr eines großen Aufstands unterschiedlicher indigener Gruppen gebannt war. Von Mitte der 1520er-Jahre an begann die systematische Zerstörung von Tempeln, Büchern und weiteren Kultgegenständen. Ab diesem Zeitpunkt ging die militärische Unterwerfung mit der geistlichen Hand in Hand.
Bereits während des Zugs ins Landesinnere 1519 hatte Cortés die Vernichtung der indigenen Kultgegenstände angeordnet, wo immer die Spanier sich militärisch durchgesetzt hatten. Nach dem Fall Tenochtitlans wurden die Maßnahmen zunächst nur im ehemaligen Herzland des Aztekenreichs systematisch vorangetrieben. Insbesondere die Zerstörung des Haupttempels war eine Aktion, die ihre Auswirkung auf den Widerstandswillen der Mexica nicht verfehlte. Die öffentliche Ausübung des alten Glaubens stellten die Spanier unter Strafe und die indigenen Priester wurden massiv verfolgt und getötet. Mit den Priestern, so kalkulierten die Spanier, würde auch die Erinnerung an die religiösen Praktiken und Riten verloren gehen. Aus Sicht der mesoamerikanischen Völker war die Zerstörung der Tempel nach einer militärischen Niederlage sowie die religiöse Unterwerfung unter die Sieger nichts Neues. Dass man jedoch die eigene Religion vollständig ablegen und einen gänzlich anderen Glauben annehmen sollte, war neu und schockierend. Aus Sicht der Spanier gab es dazu angesichts der Erfahrungen der Reconquista, der Vertreibung von Juden und Mauren von der Iberischen Halbinsel und der bedrohlich erscheinenden Reformation in Mitteleuropa jedoch keine Alternative.[37]
Direkt nach der Kapitulation der Azteken untersagte Cortés zwar die Praxis der Menschenopfer, allerdings fehlte ihm die Macht, dieses Verbot auch flächendeckend durchzusetzen. Zudem hatte er in seinen Anweisungen zum guten Regieren vom März 1524 den Encomenderos die Verantwortung dafür übertragen, ihren indigenen Hörigen den Götzendienst und vor allem die Menschenopfer zu verbieten sowie in deren Dörfern eine Kirche zu errichten. Die Söhne der indigenen Adligen sollten in Klöstern oder Pfarreien im christlichen Glauben erzogen werden. Große Encomiendas mit mehr als zweitausend Hörigen mussten einen eigenen Pfarrer oder Ordensbruder unterhalten. Kleinere Encomenderos sollten sich zu diesem Zweck zusammentun.[38] Zur Durchsetzung dieser Maßnahmen fehlten allerdings zu Beginn der 1520er-Jahre noch die Mittel. So schrieb der Franziskaner Toribio de Benavente alias ‹Motolinía› auf die Anfangsphase der Mission zurückblickend um 1541:
«In allen Götzentempeln Mexikos, die noch nicht zerstört oder verbrannt waren, diente und huldigte man den Dämonen nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt. Die Spanier waren damit beschäftigt, ihre Häuser und Wohnungen zu bauen, und gaben sich daher damit zufrieden, wenn die Menschenopfer nicht direkt vor ihren Augen in der Öffentlichkeit stattfanden. Im Geheimen gingen sie aber in ganz Mexiko weiter.»[39]
Schon während der Feldzüge hatte Cortés immer mal wieder predigtartige Ansprachen nicht nur an seine Männer, sondern auch an die unterworfene Bevölkerung gehalten. Die Gottesdienste, die die der Hueste angehörenden Priester Díaz, Olmedo und Pedro de Villagrán öffentlich abhielten, richteten sich auch immer an die Einheimischen. Malinche wurde zwar mit der Übersetzung beauftragt, doch der Erfolg blieb gering. Daher forderte Cortés bei der Krone schon bald die Entsendung von Geistlichen an. Dabei kam es ihm darauf an, dass die zukünftigen Missionare einen einwandfreien Lebenswandel an den Tag legten, damit ihre Arbeit Früchte tragen konnte, denn sie sollten durch ihr gutes Beispiel wirken. Nach Cortés’ Auffassung kamen dafür vor allem Angehörige der Bettelorden, vor allem Franziskaner, in Frage.[40] Seines Erachtens konnte die Entsendung von Weltgeistlichen dagegen kontraproduktiv sein:
«Denn wenn wir Bischöfe und Prälaten bekämen, dann würden sie ihrer Gewohnheit folgen […] und über die Kirchengüter verfügen, das heißt in Pomp und anderen Lastern schwelgen und Erbschaften für ihre Kinder und Verwandten vergeben. Daraus würde sich noch eine weitere große Schwierigkeit ergeben, denn die hiesigen Eingeborenen hatten zu ihrer Zeit ihre Geistlichen, die alle Riten und Zeremonien kannten und so erzogen in Ehrbarkeit und Keuschheit lebten, dass sie bei jeglicher Abweichung mit dem Tod bestraft wurden. Wenn sie nun unsere kirchlichen Angelegenheiten und unsere Gottesdienste in den Händen jener Chorherren und anderer Würdenträger sähen und erführen, dass diese Gottesdiener seien, und sie alle die Laster und Profanitäten sähen, die sie zurzeit in diesen Königreichen üben, dann wäre uns das sehr zum Schaden, denn sie würden keine der Predigten mehr glauben, die man ihnen hält.»[41]
Dass in Spanien gut vernetzte adlige Prälaten auch eine Bedrohung für seine Herrschaftsansprüche hätten darstellen können, darauf ging Cortés in seinem Schreiben nicht ein.
In der Tat erließ Papst Leo X. bereits 1521 eine Bulle, in der er zwei Franziskanern erlaubte, nach Neu-Spanien zu gehen. Sein Nachfolger Hadrian VI. modifizierte den Erlass im Folgejahr und sprach von Minderbrüdern ‹strenger Observanz›. Allerdings sollte es aus unterschiedlichen Gründen noch mehr als zwei Jahre dauern, ehe die ersten Ordensbrüder dort eintrafen. Aus eigenem Antrieb begaben sich 1523 drei flämische Franziskaner in die Neue Welt, von denen insbesondere Pieter van Gent, oder Pedro de Gante, eine lange und erfolgreiche Schaffenszeit haben sollte. Ihrer millenaristischen Ausrichtung gemäß hofften sie auf die Wiederherstellung einer reinen Urchristenheit im neuspanischen Kontext. Sie betrachteten die Indigenen als unschuldige Kinder, mit denen sie eine sündenfreie Gemeinde schaffen wollten. Diese Tendenzen sollten sich noch verstärken, als im Mai des Folgejahres eine offizielle Abordnung von zwölf Franziskanern – die sogenannten zwölf Apostel, darunter auch Motolinía – aus Spanien eintraf. Cortés verstand es, ihre Ankunft im Beisein indigener Adliger eindrucksvoll zu inszenieren, indem er ihnen entgegenzog, vor ihnen niederkniete und allen die Hände küsste.[42]
Der Marqués bot den Franziskanern eine Parzelle am zentralen Platz der Hauptstadt an, doch sie zogen es vor, in das Stadtviertel Moyotlan im Südwesten umzusiedeln, wo sie ihren Konvent San José de los Naturales mit Schule und indigener Kapelle unterhalten sollten. Außerdem verteilten sie sich in ihrer neuen Franziskanerprovinz auch nach Tlaxcala, Texcoco und Huexotzinco. Von den spanischen Autoritäten erhielten sie im Lauf der Zeit weitreichende Vollmachten. Die Abgeschiedenheit von den Stadtzentren wählten sie bewusst, um ihre utopischen Ideale fernab von den ihres Erachtens bereits verdorbenen Europäern und dem Säkularklerus verfolgen zu können. Zumindest ein Teil der Franziskaner verfolgte das Ziel, eine neue Kirche zu schaffen, die sich von der sündenbeladenen Alten Welt abwenden sollte. Der erste Bischof Michoacáns, Vasco de Quiroga, etwa sollte in den 1530er-Jahren Modellgemeinden nach dem Vorbild von Thomas Mores 1516 erschienenem Werk Utopia anlegen lassen, um auf diese Weise das Urchristentum wiederzubeleben.[43]
In ihrer Missionstätigkeit arbeiteten die Minderbrüder mit einer Doppelstrategie. Einerseits zerstörten sie unerbittlich die aus ihrer Sicht heidnischen Kultobjekte, wozu sie auch die Bücher der Azteken und Maya zählten. Die rituell so bedeutsamen indigenen Kalender wurden abgeschafft und durch die christliche Zeitrechnung ersetzt. Zu tausenden unterzog man die einheimischen Bewohner unter freiem Himmel Massentaufen in den Vorhöfen der noch nicht fertiggestellten Kirchen. Der Sinn dieser Handlungen erschloss sich den Täuflingen zweifellos nur selten. Andererseits gingen die Minoriten auf die einheimische Bevölkerung zu. In der alltäglichen Missionspraxis gründeten sie religiöse Bruderschaften für die Indigenen und knüpften bewusst an aztekische religiöse Traditionen an. Sie verwendeten Lieder, theatralische Elemente, Blumen und integrierten sogar manche mesoamerikanischen Gottheiten, indem sie sie mit christlichen Heiligen gleichsetzten. Beispielhaft war die Verwendung einer eigens entwickelten und an die indigenen Glyphen angelehnten Bildersprache in den Katechismen. Durch ihr Auftreten als arme Bettelmönche erwarteten die Franziskaner, insbesondere die Masse der Bevölkerung, die Gemeinfreien, zu erreichen. Noch im Jahr ihrer Ankunft führten sie darüber hinaus ein Religionsstreitgespräch mit aztekischen Priestern, um sie vom Christentum zu überzeugen. Es zeigte sich jedoch, dass die Mexica keineswegs bereit waren, ihre Glaubensvorstellungen ohne Weiteres abzulegen, worauf die christlichen Missionare mit unterschiedlichen Strategien reagierten.[44]
Wichtig war den Franziskanern die frühe Vermittlung des Christentums an die Kinder durch die Gründung von Schulen. Direkt nach ihrer Ankunft wurden 1523 die ersten Lehranstalten in Tenochtitlan und Texcoco gegründet und 1532 wohl bereits an die fünftausend Kinder in ihren diversen Konventen unterrichtet. Die größte Einrichtung hatte Pedro de Gante in der Hauptstadt geschaffen. Einen ersten Höhepunkt bildete seine Gründung der ersten höheren Lehranstalt, Santa Cruz de Tlaltelolco, die es sich zum Ziel setzte, junge indigene Adlige als neue Elite für Neu-Spanien auszubilden. Dabei ging es nicht darum, einen indigenen Klerus heranzuziehen. Vielmehr sollten die in spanischer Sprache und christlichem Glauben geschulten Absolventen die Werte der Europäer in ihre Gemeinden tragen und als Beispiel wirken. Außerdem brachten sie die lateinische Schrift mit, sodass sich das Nahuatl zur Schriftsprache wandelte, was einen starken Kulturwandel nach sich zog. Die Schrift war in vorspanischer Zeit ein Privileg der Eliten, um Besitzrechte aus der Vergangenheit festzuschreiben. In der Kolonialzeit sollten die Indigenen dieses Instrument nun ausgiebig unter anderem in unzähligen Gerichtsverfahren nutzen. Dennoch lässt sich festhalten, dass die kirchlichen Anstrengungen das untergegangene aztekische Bildungssystem nur in sehr begrenztem Maß ersetzen konnten.[45]
In den ersten Jahren nach der Eroberung bestimmten die Bettelorden das kirchliche Leben in Neu-Spanien. Nach den Franziskanern kamen 1526 die Dominikaner und 1533 die Augustiner ins Land. Auch der Weltklerus verbreitete sich mit der Zeit. Die Encomienda entsprach in der Regel einem Pfarrbezirk, wobei die kirchliche Unterweisung in der Cabecera stattfand, wo auch die ersten Kirchen entstanden. Den indigenen Ortsnamen wurde nun eine christliche Bezeichnung vorangestellt. Diözesen gründete man in der Hauptstadt und später in Tlaxcala, Antequera, Michoacán, Chiapas und Guadalajara. 1546 erfuhr das Bistum in Mexiko die Erhebung zum Erzbistum. Gemäß dem königlichen Patronatsrecht bestimmte die Krone über die Einrichtung der kirchlichen Verwaltungsstrukturen, die Bestellung der hohen Würdenträger sowie über den Kirchenzehnten.[46]
Prinzipiell waren die Missionare zunächst die einzigen Europäer, denen es erlaubt war, direkt in den Siedlungen der indigenen Bevölkerung zu leben, denn die Krone verfolgte zum Schutz ihrer neuen Untertanen eine Politik der Trennung der Sphären. Traten die Mitglieder der Bettelorden anfangs als Beschützer der Indigenen auf und prangerten die Ausbeutung durch die Encomenderos an, so gerieten sie im Lauf der Zeit in wirtschaftlicher Hinsicht zunehmend selbst in die Rolle der Ausbeuter indigener Arbeitskraft. Außerdem stieg der Klerus insgesamt durch die Übernahme des Besitzes der aztekischen Priester sowie später durch Erbschaften zunehmend zum Großgrundbesitzer auf. In ihrem Verhalten gegenüber den ihnen Anvertrauten glich er sich zunehmend den weltlichen Grundherren an. Die Folge war, dass die Zahl der Kirchenbesuche und die Frömmigkeit im Allgemeinen allmählich nachließen. Diese schrittweise Entfremdung war unter anderem auf die Anwendung von körperlicher Gewalt seitens des Klerus im Umgang mit denjenigen indigenen Bewohnern zurückzuführen, die nicht den Erwartungen entsprachen und die «heidnischen Gebräuche» nicht schnell genug ablegten. Auf Kritik reagierten die Franziskaner mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Bestrafung als erzieherische Maßnahme, denn die «Indios» waren aus ihrer Sicht nichts anderes als störrische Kinder, die noch dazu körperliche Züchtigungen gewöhnt waren.[47]
Eine Politik der harten Hand gegenüber allen echten oder vermuteten Formen religiöser Abweichung verfolgte der erste Bischof Neu-Spaniens, der Franziskaner Juan de Zumárraga. Mit dem Titel eines «Beschützers der Indios» ausgestattet, kam Zumárraga 1528 gemeinsam mit den Mitgliedern der ersten Audiencia in die Neue Welt. Nachdem ihm 1535 das Amt des Generalinquisitors übertragen worden war, verstärkte der Bischof die Anstrengungen im Kampf gegen die materiellen Überreste der mesoamerikanischen Religionen. So ließ er im selben Jahr zahlreiche wertvolle Codices zusammentragen und auf dem Markt von Texcoco verbrennen. Außerdem wurden auf seine Veranlassung hin Tempel zerstört und Inquisitionsprozesse durchgeführt. Letztere richteten sich vor allem gegen Conquistadoren und Siedler, die beispielsweise wegen Blasphemie und anderen Verfehlungen verfolgt wurden, aber auch gegen Indigene, die schon konvertiert waren und gegen die Glaubensregeln verstoßen hatten. Der prominenteste Angeklagte war der Tlatoani Don Carlos Ometochtzin von Texcoco, der Ende November 1539 auf dem Scheiterhaufen starb. Die Radikalität Zumárragas ging der Krone jedoch zu weit. Einerseits befürchtete man einen Aufstand, andererseits erwies sich die Inquisition als kontraproduktiv, denn die Zahl der Konvertiten unter der vorsichtig gewordenen Bevölkerung ging rapide zurück. Der Kaiser untersagte daraufhin die Auswüchse und später auch Inquisitionsprozesse gegen Indigene insgesamt.[48]
Die Inquisitionsprozesse gaben einen weiteren wichtigen Anstoß für die Sammlung von Informationen über die unterworfenen Gesellschaften. Schon in den Instruktionen an Cortés vom Juni 1523 hatte der Kaiser seinen Optimismus hinsichtlich der Bekehrung der indigenen Bevölkerung deutlich gemacht, hatte man es doch mit einem scheinbar hoch entwickelten Reich zu tun. Wenn erst die Menschenopfer und der rituelle Kannibalismus ausgerottet waren, so hoffte die Krone, werde sich die Bevölkerung zweifellos schnell dem «wahren» Glauben zuwenden. In den ersten zehn Jahren der Kolonie galt das Interesse zunächst vor allem geographischen und wirtschaftlichen Informationen zur Planung weiterer Eroberungen und zur Aufteilung der Encomiendas. Je deutlicher sich jedoch herausstellte, dass sich die Missionierung schwieriger gestaltete als ursprünglich angenommen, desto mehr konzentrierte sich die Informationsbeschaffung auf ethnographische Details. Einen Anstoß gab der Prozess gegen den Priester Martín Ocelotl, der insgeheim in Texcoco den alten Glauben weiterpraktiziert hatte und dort aufgrund seiner magischen Kräfte geachtet und gefürchtet wurde. Die Angst vor einer indigenen Verschwörung ließ insbesondere die Franziskaner nun systematische ethnographische Anstrengungen unternehmen. Es ging ihnen darum, die indigene Religion zu verstehen, um sie besser verfolgen zu können.[49]
Dafür war es von grundlegender Bedeutung, die indigenen Sprachen zu erlernen. Die Krone hatte großes Interesse daran, dass die Missionare Nahuatl lernten und den Einheimischen Spanisch beibrachten. In der Tat erschlossen sich die Franziskaner das Nahuatl, die Lingua franca im vielsprachigen Mesoamerika, schnell und erlernten später auch viele weitere regionale Sprachen. Andrés de Olmos erarbeitete bereits 1547 eine erste Grammatik des Nahuatl. Später sollten Missionare in abgelegenen Regionen mit unbekannten Sprachen sogar das Nahuatl lehren, weil die indigene Bevölkerung dieses leichter erlernte als das Spanische.[50]
Das Wissen über die vielen unterschiedlichen Gesellschaften, mit denen es die Missionare in Mesoamerika zu tun hatten, wurde im Lauf des 16. Jahrhunderts stetig erweitert. Bereits früh befahl die Krone eine möglichst vollständige Bestandsaufnahme über das Leben ihrer neuen Untertanen. Zunächst wurde eine Wirtschaftsgeographie Neu-Spaniens, die nicht mehr erhaltene Descripción de la Nueva España, erstellt, die schon 1532 fertig war. Später forderte der Indienrat kontinuierlich weitere Dokumente an und stieß damit die ersten ethnographischen Studien an. Vor allem die daran beteiligten Franziskaner interessierten sich für soziale und kulturelle Aspekte der verschiedenen Ethnien vor und während der Conquista. Zur Informationsbeschaffung befragten sie Kaziken und religiöse Experten. So entstanden zahlreiche Berichte und Chroniken, zu deren berühmtesten diejenige von Bernardino de Sahagún zählt. Doch die vermeintliche Rebellion des Martín Cortés weckte Befürchtungen der Krone, so dass König Philipp II. die ethnographischen Bücher über Alt-Mexiko 1577 konfiszieren und in der Folgezeit unter Verschluss halten ließ.[51]
Das Ergebnis der Christianisierung war gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf den ersten Blick durchaus beeindruckend. Ein Netz von Kirchen und Klöstern hatte sich in Neu-Spanien auf den Ruinen der indigenen Tempel ausgebreitet. Hunderttausende hatten die Missionare getauft und die vorspanischen Glaubensvorstellungen waren in der Öffentlichkeit ebenso wenig existent wie die Menschenopfer oder der Kannibalismus. Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass der alte Glauben im Privaten durchaus weiterlebte, denn der aztekische Alltag war wie gesagt von religiösen Bedeutungen durchzogen, die sich unter anderem in der Ernährung, in Kleidung, Sprache und sogar in den Frisuren niederschlugen. Die Mexica und ihre Nachbarn hatten die großen Kirchenbauten, Zeremonien, Prozessionen und Heiligenbilder zwar durchaus schnell akzeptiert, jedoch zumeist kein tieferes Verständnis des Christentums entwickelt. Die freiwillige Annahme der Taufe war oft nur eine Strategie, um möglichst unbehelligt weiterzuleben und dabei als überlebenswichtig erachtete Rituale so weit wie möglich beizubehalten. Die indigene Bevölkerung der Kolonialzeit blieb in der Regel polytheistisch und integrierte den Christengott mit seinen Heiligen in das eigene Pantheon.[52]
Die Legitimität der Eroberung gründete aus Sicht der Spanier auf der erfolgreichen Christianisierung einer zuvor heidnischen, ja vom Teufel besessenen Welt. Für die mit der Aufgabe betrauten Geistlichen vor Ort jedoch war die Realität ernüchternd. Oft beklagten sich die Missionare in ihren Schriften darüber, dass Idolatrie und Aberglaube weiterlebten. Gerade in den 1520er-Jahren blieben die mesoamerikanischen Kulte sogar mit Menschenopfern noch vielerorts erhalten und wurden besonders während der Abwesenheit von Cortés im Geheimen betrieben. Gemäß ihrem eigenen Anspruch hatten die Prediger auch in der Folgezeit nur sehr begrenzte Erfolge aufzuweisen, was die Geistlichen in ihrer Überzeugung bestärkte, dass die Indigenen wie schwache und unreife Kinder waren, die es zu beherrschen galt. In Neu-Spanien entstanden indes neue hybride Formen des Katholizismus, die auf einer Anpassungsleistung beider Seiten basierte. An diesem Zustand sollte sich bis zum Ende der Kolonialzeit und darüber hinaus nur wenig ändern.[53]
Das Alltagsleben in der Kolonialgesellschaft war überschattet vom großen Sterben der indigenen Bevölkerung, das das gesamte 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts über anhielt. Ross Hassig schätzt, dass die Bevölkerung von rund 25 Millionen im Jahr 1519 auf ca. eine Million 1599 zurückging, was einem Verlust von mehr als 95 % entsprach. Nach der Seuche von 1520/21, die mit dazu beigetragen hatte, den Sieg der Verbündeten zu ermöglichen, erschütterten diverse Wellen von Epidemien Mesoamerika. Krankheiten wie Pocken, Typhus, Masern, Mumps, Diphterie und die Grippe rafften unzählige Menschen dahin und sorgten für Verzweiflung unter den Hinterbliebenen. Auch die Haushaltsstrukturen veränderten sich dadurch und es kam zu einer stärkeren Konzentration auf die Kernfamilie. Die fehlende Immunität der indigenen Bevölkerung gegen die europäischen Pathogene, die nicht nur durch Menschen, sondern auch durch Tiere übertragen wurden, aber ebenso die allgemeine Schwächung und Demoralisierung, die die Anfälligkeit für Krankheiten erhöhte, führten zu einem Teufelskreis von Hungersnot und Epidemien.[54]
Die Mühen um die tägliche Tlaxcalli (Maistortilla) standen im Mittelpunkt des täglichen Lebens der großen Mehrheit der Überlebenden. So war es, bevor die Spanier kamen, und so sollte es nach dem Fall des Aztekenreichs bleiben. Der Maisanbau blieb traditionell und warf unter den günstigen klimatischen Bedingungen im Tal von Mexiko zunächst weiter gute Ernten ab. Auch die indigenen Märkte blieben bestehen oder wurden wiederbelebt. Die spanischen Neuankömmlinge waren für ihre Ernährung zunächst auf das angewiesen, was das Land hergab. Allerdings bemühten sie sich nach Kriegsende schnell darum, diesen Zustand zu ändern. Neben der Nachfrage nach Brot und Wein aus liturgischen Gründen galt die Beibehaltung südeuropäischer Ernährungsgewohnheiten wie zum Beispiel der Verzehr von Weizenprodukten, Wein und Olivenöl als Grundlage für den Erhalt der körperlichen Identität. So meinte man, dass die indigenen Nahrungsmittel die Körper der Spanier verwandeln und schwächen würden. Ernährung wurde in der Kolonialgesellschaft neben dem Phänotyp, der Kleidung, der Sprache, dem Beruf und dem Namen zu einem zentralen Merkmal sozialer Distinktion.[55]
Aus diesem Grund wurden neue landwirtschaftliche Techniken und Anbauprodukte aus Europa eingeführt. So fand der von Zugtieren gezogene Pflug bald vielerorts Verwendung und der Anbau von Weizen, Roggen, Reis, Wein, Obst, Zitrusfrüchten, Zuckerrohr, Oliven, Zwiebeln, Knoblauch, Linsen und vielem mehr sollte die standesgemäße Ernährung ermöglichen. Manche dieser Produkte wie zum Beispiel der Zucker verlangten große Flächen und veränderten das Landschaftsbild. Durch die Einfuhr neuer Werkzeuge und Haushaltsgegenstände aus Eisen, Keramik und Glas änderte sich auch die Zubereitung der Speisen. Darüber hinaus wurden europäische Nutztiere in großer Zahl importiert. Esel, Ziegen, Schafe, Rinder, Pferde, Hunde, Maultiere, aber auch Ratten machten die weite Reise über den Atlantik. Während die indigene Bevölkerung Nutztiere wie Hühner und Schweine schnell übernahm, blieben Pferde aus militärischen und Distinktionsgründen den Spaniern vorbehalten. Die Viehhaltung im großen wie im kleinen Stil setzte sich flächendeckend durch.[56]
Die ökologischen und sozialen Folgen dieser Veränderungen waren tiefgreifend. So verbreiteten und vermehrten sich die europäischen Vieharten in Mesoamerika sehr schnell. Ein Grund dafür lag in der Entvölkerung weiter Landstriche durch die demographische Katastrophe der indigenen Bevölkerung. Die expansiven spanischen Encomenderos trugen zur Ausbreitung dieser für die Region völlig neuartigen Wirtschaftsform bei. Europäische Anbauprodukte wie Weizen und Zuckerrohr, die noch dazu das fruchtbarste Land beanspruchten, verlangten ein erheblich höheres Maß an Arbeit und Bewässerung als der einheimische Mais, kamen aber in der Regel nur auf den Speiseplan der Spanier beziehungsweise wurden exportiert.[57]
Eine unerwartete Folge war die Bodenerosion, die in einzelnen Regionen Mesoamerikas zu erheblichen Produktivitätsrückgängen führte und unter anderem auf die Entwaldung im Zuge des Wiederaufbaus des Landes zurückzuführen war. Wegen der Auswaschung der Erde stiegen die Wasserpegel der Seen während der Sommerregen an, was zu Überflutungen in Städten, insbesondere in der Hauptstadt, führte. Als die Spanier daraufhin die Seen trockenlegen ließen, entstand eine Salzwüste. Dies hatte zur Folge, dass der Kanuverkehr zusammenbrach und der teurere Landtransport notwendig wurde. Zwar ermöglichten die neuen Nutztiere den Transport von landwirtschaftlichen Produkten über weite Strecken, vieles floss jedoch nun in die Hauptstadt, was in den Provinzen zu Problemen führte. Außerdem brauchten Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen, die alle zumeist in spanischem Besitz blieben, Land, das die indigenen Bauern nicht mehr für den Anbau nutzen konnten. Noch dazu zertrampelte das Vieh der Encomenderos immer wieder die Felder der indigenen Gemeinschaften, was zu häufigen Klagen führte.[58]
Insgesamt sollte die Landbesitzfrage für den Alltag weiter Teile der Bevölkerung zum großen Problem werden. Durch die Entstehung von Latifundien, der Haciendas, auf Kosten des indigenen Gemeindebesitzes ging immer mehr Land an die Nachfahren der Conquistadoren und die spanischen Einwanderer. Cortés’ riesiger Besitz im Tal von Oaxaca war nur der Anfang. Hinzu kam, dass es aufgrund der notorisch zu hoch geschätzten Bevölkerungszahl, die noch dazu durch die demographische Katastrophe ständig sank, für die indigenen Ortschaften zunehmend schwieriger wurde, die Tribute aufzubringen. Selbst der Richter an der Audiencia in Mexiko (1556–1566), Alonso de Zorita, beschrieb die Tributforderungen der Spanier in manchen Gegenden als so «exorbitant hoch», dass sie jeglicher Vernunft widersprochen hätten.[59] Die Tributeintreiber setzten diese Forderungen rücksichtslos und gewaltsam durch. Dies zog die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung nach sich, so mussten viele Bauern ihre Häuser verkaufen. Auch die Landverkäufe aus der Notlage heraus nahmen zu, wenn die spanischen Käufer nicht ohnehin mit Gewalt nachhalfen. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatte die Verarmung der stetig sinkenden Zahl der Indigenen bereits so stark zugenommen, dass die Kolonialherren Umsiedlungen veranlassen mussten, damit überhaupt Tribut erwirtschaftet und kontrolliert eingetrieben werden konnte.[60]
Es erstaunt wenig, dass sich angesichts dieser Entwicklungen unterschiedliche Formen von Widerstand verbreiteten. Zu Beginn der Kolonialherrschaft kam es wiederholt zu lokalen Aufständen gegen Encomenderos und ihre Tributeintreiber. Das galt insbesondere für abgelegene Provinzen wie Oaxaca oder Chiapas. Die wirtschaftliche Not führte zur Entwurzelung, was sich in einer Zunahme des Vagabundentums niederschlug. Gerade Waisen waren davon betroffen, aber auch viele Mestizen, die aus den nicht immer freiwilligen Verbindungen von spanischen Männern und indigenen Frauen hervorgegangen waren. Notorisch war darüber hinaus der Alkoholmissbrauch. Spanier betrachteten diesen Makel als geradezu endemisch und «rassetypisch» für die einheimische Bevölkerung.[61]
Das abweichende Verhalten blieb aber die Ausnahme. Prägend für die mesoamerikanische Kolonialzeit war die Anpassungsleistung der indigenen Gruppen. Mangels Alternativen gewöhnten sie sich an die Herrschaft der Spanier, einerseits aus Furcht vor Strafen, aber wie im Fall der Verbündeten auch in Erwartung von Vorteilen. Mit der Zeit erschien die Kolonialherrschaft als normale, ja sogar natürliche Ordnung, zumal im lokalen Kontext des Altepetl durchaus Freiräume bestanden. Die Quellen zeigen, dass die Einheimischen schnell lernten, unter den verschiedenen Gruppen der Spanier, den Priestern, Beamten, Soldaten etc. zu differenzieren. Sie passten sie in ihre eigene Welt ein und suchten unter den neuen Gegebenheiten nach dem eigenen Vorteil. Das zeigte sich etwa an Alltäglichkeiten wie der vorbehaltlosen Übernahme von Rad, Flaschenzug, Nägeln, Kerzen und Stahl. In anderen Belangen blieben sie zurückhaltender. So nahm die spanische Geldwirtschaft zwar mit der Zeit zu, doch blieben Tauschhandel und sogar die Kakaowährung noch einige Zeit erhalten. Auch Spanier beteiligten sich daran, wie sie beispielsweise manche indigenen Produkte wie Pharmazeutika, Tabak oder Kautschuk übernahmen. Die Kleidung der Mexica, die die Bewunderung der Conquistadoren hervorgerufen hatte, änderte sich ebenfalls nur schrittweise. Anfangs erhielten lediglich die Adligen das Privileg, sich wie Spanier zu kleiden. Später traf das lange Hemd schneller auf Akzeptanz auch der einfachen Bevölkerung als die Hosen.[62]
Trotz aller Anpassungs- und Hybridisierungsprozesse blieben die indigenen Identitäten hochgradig lokal. Die Menschen definierten sich über die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, zu ihrem Altepetl mit dem eigenen Ursprungsmythos, der eigenen Dynastie und dem zentralen Markt. Ihre Anführer bedienten sich unterschiedlicher Strategien, um bestimmte Privilegien zu erlangen: von Kampagnen bis hin zu Gerichtsverfahren, um das Gemeindeland zu schützen. Die Schriftstücke in indigenen Sprachen, die dabei entstanden, waren sehr wichtig, schufen sie doch Vorstellungen von gemeinsamer Identität und Geschichte und legitimierten die Regierenden. Diese Identitäten veränderten sich dynamisch und wurden durch die Einwanderer aus Europa und Afrika ebenso beeinflusst wie durch die fortschreitende Mestizisierung. Eine homogene indigene Identität entstand weder während der Kolonialzeit noch danach.[63]
Aus Sicht der verschiedenen ethnischen Gruppen bedeutete die Conquista zwar einen tiefgreifenden Wandel der politischen Strukturen, jedoch kein abruptes Ende der alten Lebensweise der großen Mehrheit der Bevölkerung. Zumal in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lassen sich auf allen Ebenen viele Kontinuitäten erkennen, denn die Eroberer wollten und konnten nicht alle angestrebten Veränderungen sofort umsetzen. Die Transformation ging graduell vonstatten. Die Herrschaft der spanischen Eroberer legte sich wie zuvor die aztekische über die Eroberten, doch ihre Altepetl blieben weitgehend intakt. Im Laufe der Zeit nahm der Druck aber durch die demographische Katastrophe und die verfehlte Politik der Spanier enorm zu. Um 1570 setzte in Neu-Spanien eine langwierige wirtschaftliche Depression ein. Der einst integrierte Wirtschaftsraum Mesoamerikas hatte sich aufgelöst und es erfolgte ein Rückzug zu lokalen Märkten. Letztlich schadeten sich die neuen Kolonialherren damit selbst, weil sie die schwerwiegenden Folgen ihres Tuns nicht abgesehen hatten.