Zweifellos war es nicht die kleine Gruppe unbeugsamer Spanier unter ihrem heldenhaften Anführer Cortés, die das barbarische Aztekenreich quasi im Alleingang besiegte, wie es schon der Caudillo selbst mit seinen wirkmächtigen Briefberichten und die vielen Chronisten, die ihm folgten, glauben machen wollten und wie manche Schulgeschichtsbücher es noch immer tun. Doch es bleibt die Tatsache, dass das Reich der Mexica und seine prachtvolle Hauptstadt Tenochtitlan 1521 untergingen und auf ihren Trümmern ein neuartiges Kolonialreich entstand, dass mehrere Jahrhunderte überdauern und zum Modell für europäische Kolonialherrschaft in der Welt werden sollte. Welche Gründe lassen sich dafür anführen?
Schon zeitgenössische Beobachter, angefangen mit Cortés, rückten das psychologische Element in den Mittelpunkt. Die schlechten Vorzeichen und die Sorge vor der Rückkehr der Götter hätten die Mexica und allen voran ihren Herrscher gelähmt und handlungsunfähig gemacht, während die Spanier mit ihrer überlegenen Zivilisation rational gehandelt hätten und nach eigenem Verständnis vom einzig wahren Gott unterstützt wurden. In der Tat waren Moteuczoma und seine Untertanen tief religiös und unsicher, was das Wesen der Spanier anging. Deswegen machten sie Proben aufs Exempel, die zeigten, dass die Fremden keine zurückgekehrten Götter waren. Das schloss aber nicht aus, dass sie zumindest phasenweise zu Teotl, zu von Göttern Beseelten, werden konnten. Moteuczomas Verhalten und insbesondere seine Entscheidung, die Invasoren in die Hauptstadt zu lassen, muss wohl vor diesem Hintergrund gesehen werden. Eine Lähmung der Mexica allerdings lässt sich davon nicht ableiten, denn sie hatten ein anderes Verhältnis zu ihren Göttern als die Europäer. Spätestens während des Kriegs löste sich dann jegliche Form der Ehrfurcht gegenüber den Spaniern auf. In der Endphase betrachteten die Mexica ihre Feinde nur noch als Barbaren. Um auch die Bewohner in den abgelegenen Provinzen davon zu überzeugen, ließ Cuauhtemoc die abgeschlagenen Köpfe getöteter Spanier und ihrer Pferde herumzeigen. Die spanischen Conquistadoren wiederum handelten ebenso wenig frei von Wunderglaube und Geisterfurcht und verklärten dies im retrospektiven Blick der Sieger, indem sie sagten, dass der heilige Jakob auf dem Schimmel ihnen im Kampf angeblich beigestanden hätte.
In der Forschung wurde oftmals die Kampfweise der Mexica dafür verantwortlich gemacht, dass sie sich trotz ihrer deutlichen zahlenmäßigen Überlegenheit nicht gegen ihre Feinde durchsetzen konnten. Die ritualisierte Kriegführung, bei der es mehr auf die Gefangennahme als auf das Töten des Gegners ankam und die zu hohen eigenen Verlusten führte, wurde mit der ‹totalen› Kriegführung der Spanier kontrastiert, die auch vor Zivilisten nicht Halt machte. Außerdem hätten die Europäer öfter Kriegslisten angewendet oder mit ihren Schusswaffen aus der Entfernung getötet, eine Art zu kämpfen, für die die Mexica nur Verachtung übriggehabt hätten. Auch die Idee einer Belagerung mit dem Ziel, den Gegner vor der Schlacht zu schwächen, sei ihnen fremd gewesen. Liest man die Quellen jedoch genau, so wird man der neueren Forschung nur zustimmen können, die davon ausgeht, dass die Spanier die Zahl ihrer Feinde kräftig übertrieben, um die eigenen Heldentaten in ein besseres Licht zu rücken.
Der Sieg der Spanier und ihrer Verbündeten ging nicht auf ihre zivilisatorische und religiöse Überlegenheit oder ihre unübertreffliche Strategie zurück, wie das die Chronisten im Nachhinein gerne behaupteten. Beide Kriegsparteien konnten die Aktionen ihrer Feinde nur teilweise richtig deuten, worunter ihr Handeln litt. Beide Seiten lernten aber während der Kämpfe auch dazu und veränderten ihre Taktiken. Die Mexica etwa nahmen im Laufe der Zeit aus praktischen Erwägungen heraus immer weniger Rücksicht auf die traditionellen Vorstellungen von Kriegführung und passten ihre eigene Kampfweise den Anforderungen der Situation an. Beiden gemeinsam war die Notwendigkeit, ja der Zwang, diesen Krieg als Entscheidungskrieg zu führen, denn Cortés konnte nicht zurück nach Kuba und für die Azteken kam eine Unterwerfung anders als bei den kleinen Altepetl nicht in Frage.
Im Verlauf der Auseinandersetzungen versuchten die Mexica, sich der eisernen Waffen ihrer Feinde zu bemächtigen und diese einzusetzen. Die Überlegenheit der spanischen Schwerter, Lanzen, Kanonen, Armbrüste und Arkebusen war gerade im Nahkampf offensichtlich. Obsidianschwerter, Bögen, Steinschleudern und Wurfspeere konnten dagegen nicht standhalten. Die Intensität, mit der sich etwa der Florentiner Codex mit den europäischen Rüstungen und Waffen beschäftigt, unterstreicht die Bedeutung, die auch die Mexica diesem Element beimaßen. Das galt ebenso für die Pferde der Spanier. Obwohl der erste Schockmoment nur kurz andauerte, gab die Reiterei den Europäern einen entscheidenden Vorteil in der offenen Feldschlacht, weniger jedoch im Häuserkampf der letzten Wochen. Auch hier lässt sich die Bedeutung, die die Mexica den Reittieren beimaßen, an ihren eigenen Handlungen ablesen: Gefangene Tiere wurden von ihnen ebenso geopfert wie Menschen und ihre Köpfe endeten am Tzompantli.
Die waffentechnische Überlegenheit allein hätte jedoch nicht ausgereicht, um den Sieg gegen das mächtige Tenochtitlan davonzutragen, zumal die große Mehrzahl der Angreifer mit den gleichen Waffen kämpfte wie die Mexica. Die indigenen Verbündeten bildeten nicht nur zahlenmäßig die eindeutige Mehrheit, ihre Kampfkraft war auch in qualitativer Hinsicht ausschlaggebend. Nach den spanischen Berichten waren sie, wenn sie denn überhaupt erwähnt wurden, nur die Hilfstruppen, die die Gräben zuschütteten oder die Ausrüstung schleppten und bei den strapaziösen Märschen erfroren oder verdursteten, während für die Spanier und ihre Pferde genug Wasser vorhanden war. In Wirklichkeit aber waren sie auch Krieger, die an vorderster Front zu kämpfen und den bei Weitem höchsten Blutzoll zu entrichten hatten.
Liest man etwa Bernal Díaz aufmerksam, so stößt man immer wieder auf Hinweise, die in diese Richtung deuten, auch wenn der Conquistador dies nie offen betont hätte, um die eigene Leistung nicht zu schmälern. Die verglichen mit ihren Verbündeten im Verhältnis geringere Zahl der Gefallenen auf Seiten der Spanier könnte darauf hindeuten, dass man den gefährlichsten Teil des Schlachtgeschehens den indigenen Truppen überließ.[1] Die spanischen Chronisten stellten das natürlich ganz anders da. Bei ihnen waren es immer die tapferen eigenen Leute, die vorangingen und die härtesten Kämpfe meisterten, während ihre indigenen Verbündeten sich vor allem dann auf den Gegner stürzten, wenn dieser praktisch schon geschlagen war. Angeblich mordeten, vergewaltigten und plünderten sie hemmungslos und waren kaum zu bremsen. So berichtete Díaz von einer der Schlachten bei Chalco im März 1521:
«… wenn unsere Soldaten den Widerstand gebrochen und [die Feinde] in die Flucht geschlagen hatten, taten sie keinem Indio mehr Gewalt an, denn das erschien ihnen zu grausam. Das Einzige, was sie taten, war, sich eine gute India zu suchen und Beute zu machen. Außerdem stritten sie oft mit ihren Verbündeten, weil die so erbarmungslos waren, und entrissen ihnen einige Indios und Indias, damit sie sie nicht umbrachten.»[2]
Am deutlichsten wird die Zweifelhaftigkeit solcher Beschreibungen, wenn man indigene Quellen wie die Lienzos von Tlaxcala oder Quauquechollan und in Textform etwa den Codex Ramírez oder den berühmten Brief von Xochimilco heranzieht, in dem die Autoritäten der Stadt an König Philipp II. selbstbewusst schrieben: «Wir stellten dem Marqués zweitausend Kanus mit Ausrüstung und zwölftausend Kriegern, die sie retteten und mit denen sie Mexiko eroberten. Auch die Tlaxcalteken, die aus einem fernen Land kamen und müde waren, wurden gerettet. Nach Gott hatte also Xochimilco das größte Verdienst am Sieg.»[3] Hier werden die Spanier als gleichwertige Verbündete oder als respektable Gegner gezeigt, keineswegs aber als Übermenschen. Schenkt man ihnen Glauben, so stürzten sich indigene Fürsten als Erste in den Kampf und führten die verbündeten Heere zum Sieg gegen die angsteinflößenden Mexica. Die Dokumente entstanden in der Regel erst lange nach den Ereignissen und dienten dem Beleg erwiesener Dienste und erworbener Verdienste der eigenen ethnischen Gruppe gegenüber dem König, von dem im Gegenzug Privilegien erwartet werden durften. Das galt jedoch auch für die spanischen Quellen, die ebenfalls die Rechtfertigung und Überhöhung des eigenen Tuns begründen sollten.
Außerdem lassen die indigenen Überlieferungen erkennen, dass die spanische Truppe und ihr Anführer keineswegs durchgängig den Verlauf der Feldzüge bestimmten, sondern oftmals selbst nur eine – wenn auch besonders schlagkräftige – Hilfstruppe bei der Verfolgung der Kriegsziele zum Beispiel der Tlaxcalteken waren. Das Massaker von Cholula ist dafür das beste Beispiel. Die Flucht nach der Noche triste und die Schlacht von Otumba zählten keineswegs zu den spanischen Heldentaten, sondern stellten die Schwäche der Europäer und ihre Abhängigkeit in der ihnen fremden Umwelt unter Beweis. Auch das wilde Plündern und Morden in der besiegten Stadt Tenochtitlan unterstreicht, wie wenig Einfluss Cortés auf seine Verbündeten hatte. Nach dem Fall der Hauptstadt konsolidierte sich die Kolonialherrschaft nur langsam und die Unterstützung durch indigene Alliierte blieb von entscheidender Bedeutung für den Statuserhalt.
Die Gründe, warum die Bündnispartner den Spaniern folgten, waren vielfältig. Manche marschierten gezwungenermaßen mit, andere zogen freiwillig in den Kampf und gingen nach den gewonnenen Schlachten wieder nach Hause und wieder andere kämpften gemeinsam mit den Spaniern auch nach 1521 weiter. Junge Krieger wollten für sich und ihren Altepetl Ruhm und Ehre erobern. Neben dem Prestigestreben ließen sich durch erfolgreiche Kriegszüge mit den Spaniern auch materielle Vorteile erzielen. Neue Siedlungsgebiete, Tribute, männliche und weibliche Sklaven winkten als Belohnung. Auch die Heiratspolitik der Spanier trug dazu bei, Bündnisse zu schmieden, so etwa wenn Cortés die ihm als Geschenk entgegengebrachten Töchter der indigenen Herrscher akzeptierte und seinen Offizieren zur Frau gab.
Man muss sich also von der Vorstellung verabschieden, dass die Eroberung Tenochtitlans einzig ein Kampf zwischen Europäern und Indigenen war. Die holzschnittartigen Auffassungen von barbarischen Menschenfressern einerseits und völkermordenden Conquistadoren andererseits sind obsolet und sagen mehr über den ideologischen Kontext der Zeit, in der sie propagiert wurden und werden, als dass sie zur Interpretation vergangener Welten beitragen können. Unterschiedliche indigene Gruppen kämpften gemeinsam mit den Spaniern gegen die Mexica und ihre Verbündeten, wobei sich die Bündnisse unter dem Druck der Kriegsereignisse schnell veränderten. Für Cortés und seine Männer waren diese Allianzen überlebenswichtig, benötigte er doch das Wissen, wie die Rivalitäten zwischen und innerhalb der Stadtstaaten auszunutzen waren. Unentbehrlich dabei war die Übersetzungsleistung Malinches.
Einen entscheidenden Faktor stellte also die strukturelle Instabilität der mesoamerikanischen Staatenwelt dar, in der die Beteiligten nur auf die Schwäche eines Nachbarn warteten, um ihn zu unterwerfen beziehungsweise um sich aus der drückenden Tributpflicht zu befreien. Für manche indigene Gruppe mochten die Spanier zumindest im ersten Moment tatsächlich als die Befreier vom Joch der Azteken erschienen sein, als die sie sich später gerne zeigten. Auch Stadtstaaten, die nicht direkt mit den Angreifern kooperierten, nutzten die Schwächung des Aztekenreichs, indem sie ihre Tributzahlungen einstellten und damit die Krise Tenochtitlans verschärften. Innerhalb der Altepetl trug eine Erbfolgeregelung, die eine Vielzahl unzufriedener Söhne der Tlatoque produzierte, zu Rivalitäten und offen ausgetragenen Konflikten bei, von denen die Spanier profitierten. Der Krieg um Tenochtitlan hatte auch den Charakter eines erbittert geführten Bruderkriegs. In dieser wechselhaften Umwelt konnte Cortés zum Königsmacher werden, weil er lernte, die Zerstrittenheit für seine Zwecke zu nutzen, wobei ihm oft der Zufall zu Hilfe kam.
Die Eroberung Tenochtitlans war also das Ergebnis eines mesoamerikanischen Kriegs, der in der Kontinuität einer langen Geschichte von militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Mexica und ihren zahlreichen Feinden zu verstehen ist. Es handelte sich um einen erfolgreichen Aufstand indigener Ethnien gegen ihre Tributherren. Cortés und seine Hueste spielten darin eigentlich eine Nebenrolle. Dass die Mexica einen Krieg verloren, war auch nichts Neues. Neu war, dass die Spanier die Regeln der mesoamerikanischen Kriegführung außer Kraft setzten und dass es Cortés gelang, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, die Herrschaft in Tenochtitlan zu übernehmen und auf dieser Grundlage später das gesamte Aztekenreich zu erobern. Auch bei diesen späteren Feldzügen spielten die indigenen Bündnispartner wieder eine zentrale Rolle. Entscheidend war jedoch, dass keine dieser verbündeten Altepetl, sei es Tlaxcala, sei es Texcoco, seien es die vielen anderen, einen eigenen Plan zur Erringung der Gesamtherrschaft verfolgte.
Von zentraler Bedeutung dafür, dass die indigenen Stadtstaaten mit der Zeit die Vorherrschaft der Fremden akzeptierten, waren sicherlich die aus Europa eingeschleppten Seuchen, die in wenigen Wochen Tausende dahinrafften und nicht nur die Mexica folgenschwer schwächten. Hier hatten die Spanier durch ihre Immunität einen substanziellen, ja lebenswichtigen Vorteil. Dass man die Gründe für diese demographische Katastrophe auf beiden Seiten im Wirken übernatürlicher Mächte suchte, entsprach den Vorstellungen der damaligen Zeit. Darin unterschieden sich Europäer und Indigene kaum. Die «große Lepra» (Hueyzahuatl), wie die Nahua die Epidemie nannten, raffte die Mexica und ihre Feinde massenhaft dahin und schwächte die Widerstandskraft der indigenen Bevölkerung Mesoamerikas gravierend im kritischen Moment des Aufbaus der Kolonialherrschaft.[4]
Die an der Conquista beteiligten Akteure hatten diverse Wert- und Weltvorstellungen, die sich durch die umwälzenden Ereignisse einschneidend veränderten. Mit ihren Interpretationen versuchten sie das Neue und Fremde einzuordnen und zu kategorisieren, um es in eine verständliche Form für sich selbst und die soziale und ethnische Gruppe, der sie angehörten, zu bringen. Dabei gab es viele Missverständnisse und Zweideutigkeiten in der Kommunikation, die durch die Notwendigkeit der Übersetzung nicht nur von Wörtern, sondern auch der dahinterstehenden Konzepte erschwert wurde. Die Textberichte und bildlichen Darstellungen, Lienzos, Landkarten, Chroniken, Annalen und Archivalien, die uns überliefert sind, legen Rechenschaft davon ab. Gleichzeitig sind sie Ausdruck einer Welterzeugung, die den Atlantik überspannte und neue Ordnungen schuf, in der mesoamerikanische und europäische Elemente miteinander verschmolzen.