XIII. Unwetter

Der Tag hatte nicht gut angefangen, war dann schlechter geworden, um bereits in den frühen Nachmittagsstunden im puren Wahnsinn zu münden. So etwas wie diese temporäre Tiefdruckgeschichte hatte Bernat noch nicht erlebt. Er lächelte. Nicht wegen des Wetters, sondern wegen der Polizistin. Er musste zugeben, sich durchaus zu ihr hingezogen zu fühlen. Sie gefiel ihm und besaß auch das gewisse Etwas, von dem er nicht genau wusste, was es war. Zudem trug sie keinen Ring, also warum nicht.

»Flirten Sie etwa mit mir?«

Bernat nickte: »Ich probiere es. Ich bin nicht wirklich gut darin – womöglich versuche ich es zu selten. Der Job und die viele Reiserei bieten wenig Gelegenheit.«

»So so. Ich könnte fest liiert sein ...«

»Dann hätten Sie bereits mein Angebot höflich ausgeschlagen ... wir können am Freitag losfahren und wären dann am Sonntag zurück.«

Keinerlei Widerspruch, das dürfte ein Ja gewesen sein.

»Bekommen Sie immer, was Sie wollen?«

»Sehen Sie nach oben ... ich habe uns Regen versprochen. Und ... wie Sie sehen … nichts.«

Beide starrten in den Himmel.

»Ähm ...« Ein Tropfen klatschte auf Bernats Stirn. Ohne dass sich Wolken zusammengezogen hatten, begann es zu regnen. Zu schütten, es kübelte regelrecht, der Himmel verfinsterte sich binnen Sekunden.

Bernats Herz schlug schneller. Was bitte war das denn wieder? Wo kam plötzlich diese Sintflut her? »Lassen Sie uns gehen.«

»Sie sind mir unheimlich.«

»Ich mir auch ...« Bernat rannte mit Jasmin Wegreiter über die Straße. Das Rathaus befand sich nur dreihundert Meter vor ihnen. Dreihundert Meter Regen, von denen bereits weniger als zehn ausgereicht hätten, um bis auf die Knochen nass zu werden.

Noch ein paar Meter. Der Starkregen reduzierte die Sicht auf wenige Armlängen. Es donnerte, es blitzte, es krachte, der Regen klatschte wie aus schwungvoll geschütteten Wassereimern auf das Kopfsteinpflaster.

Bernat blieb stehen. Vorbei. Der Regen hörte auf. Als ob jemand ein paar Etagen über ihnen den Wasserhahn zugedreht hätte. Das warme Kopfsteinpflaster dampfte. Er blickte erst nach einer Gedankenpause nach oben und sah gerade noch, wie sich die letzte Regenwolke auflöste. Die Sonne blendete ihn.

»Wie ist das möglich?«, fragte die Polizistin.

»Ich weiß es nicht.« Bernat verzog den Mund. Das würde heute ein langer Tag werden. Das Gewitter hatte weniger als eine halbe Minute gedauert. »Ich muss an einen Computer.«

Sie nickte. Beide liefen in das Rathaus, in dem die Behörden ein Krisenbüro eingerichtet hatten.

 

»Doktor de Cabrera!«, rief die Bürgermeisterin von Bad Münstereifel. Hannelore Jäger, einen halben Kopf größer als jeder andere im Raum, und er, würden in diesem Leben keine Freunde mehr werden. Die Dame wog auch das Doppelte von ihm. Sie hatte bereits vorhin jede Gelegenheit genutzt, um ihn wie einen inkompetenten Idioten aussehen zu lassen. Zugegeben, den größten Teil zu dieser Einschätzung hatte er sich selbst zuzuschreiben.

»Frau Bürgermeisterin!«

»Es hat geregnet!«

»Einen Moment ... bitte.« Bernat ging zu dem Meteorologen, der die lokale Wetterstation betreute. Er musste unbedingt Zahlen sehen. »Was haben Sie?«

»Eine spontane Gewitterzelle. Klein. Nur drei Kilometer groß. Luftdruck unter 900 Hektopascal. Dauer 22 Sekunden. Regenmenge 26 Liter je Quadratmeter ... wobei dieser Wert sehr ungenau ist. Für eine genauere Messung hätte es länger regnen müssen.«

»Und jetzt?« Bernat beobachtete auf dem Bildschirm ein Replay des 22-Sekunden-Gewitters aus Sicht eines Satelliten. Ein beeindruckendes Schauspiel.

»Als ob es nie dagewesen wäre«, antwortete der Kollege mit einem Kopfschütteln. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Luftfeuchtigkeit?«

»Zu trocken ... viel, viel zu trocken. Bei der geringen Luftfeuchtigkeit hätte es heute niemals zu einem derart heftigen Gewitter kommen dürfen.«

»DOKTOR!«, schnaubte die Bürgermeisterin, die ihre blondierten Haare zu einer Hochfrisur zusammengesteckt trug. Damit musste sie bei jedem Türrahmen den Kopf einziehen, um nicht hängenzubleiben. »ICH REDE MIT IHNEN!«

»Hören Sie mir zu.« Bernat versuchte, die Fassung zu bewahren. Die Blicke von einem Dutzend Leute lasteten auf ihm. So als könnte er allein das Unerklärliche erklären. »Mit dem niedrigen Luftdruck haben wir heute das Vorzeichen eines starken Gewitters erlebt, aber zunächst keines bekommen. Und dann vor wenigen Minuten dieser heftige Niederschlag. Sehr stark und sehr kurz, ohne dass wir ein Vorzeichen dazu haben aufzeichnen können.«

Die Bürgermeisterin verschränkte die Arme.

»Diese Wetterphänomene sind außergewöhnlich. Mir sind dazu keine Referenzen bekannt. Das möchte ich mit meinen Kollegen untersuchen. Lassen Sie mich meine Arbeit fortsetzen?«

»Machen Sie schon!« Die Bürgermeisterin drehte sich weg.

»Wir haben keine echten Notrufe! Die Menschen melden sich nur, weil sie sich erschrocken haben«, rief Jasmin Wegreiter dazwischen. »Das Gewitter war zu schnell wieder vorbei, um in der Stadt größeren Schaden anzurichten.«

Bernat zeigte ihr einen Daumen nach oben. Die Sicherheit der Bewohner ging vor. Er nahm sein Telefon und rief einen Kollegen in Offenbach an.

Das Rufzeichen ertönte. »Können Sie mir bitte die ganzen Daten schicken?«, fragte er den Meteorologen neben ihm, der an einem Notebook arbeitete.

»Klar.«

»Bernat ... lang nicht gesprochen?« , fragte Hergé, einer der Analysten beim Deutschen Wetterdienst.

»Ich schicke dir ein Gewitter.«

»Warum keine Flasche Wein?« Hergé kam aus Frankreich und hielt alle Menschen nördlich von Frankfurt für kulturelle Barbaren. Eine durchaus tragfähige Meinung.

»Du wirst es sehen ...« Während Bernat sprach, empfing er die Nachricht und leitete sie an Hergé weiter.

»Ein interessantes Gewitter.« Hergé bekam die Daten.

»Klein und heftig.«

»Sehr heftig.« Hergés Tastaturgeeklimper war durch das Telefon zu hören. »Ist das echt?«

»Sehr echt.«

»So ein Gewitter gibt es nicht ...«

»Jage es durch unsere Datenbank.« Wenn es auch nur irgendwo auf der Welt etwas Ähnliches gegeben hatte, würde Hergé es finden und einen Vergleich ermöglichen.

»Keine Treffer. Bernat, mein kleiner spanischer Filou, so ein kurzes Gewitter, mit solch einer Tiefdruckspitze, kann es bei dieser trockenen Luft überhaupt nicht geben.«

»Schulwissen. Sag mir, was ich nicht weiß!« Bernat hoffte, auf diesem Weg einen neuen Blickwinkel zu bekommen. Hergé war 67, schwul und saß im Rollstuhl. Außerdem stritt er ständig mit seinem Mann. Mit Hergé konnte er arbeiten.

»Magnetismus.«

»Was?«

»Kleiner Bernat, wir sind die Auguren des Wetters, wir sehen alles. Alles, was auf unserer Welt geschieht. Das, was die Natur mit dem Wetter anstellt und das, was wir uns selbst antun.«

»Hergé, komm schon … die Kurzversion.« Hergé war zudem noch ein hoffnungsloser Idealist.

»Es handelt sich um kein natürliches Wetterphänomen. Es ist von Menschenhand gemacht. Die Amerikaner haben damit angefangen, die Russen haben nachgezogen. Die pfuschen in der Natur herum, um ihre beschissenen Waffen zu bauen!«

»Hergé, das ist keine Friedensdemo ... hier gibt es keine Waffen.« Das hoffte Bernat zumindest und sah dabei die Bürgermeisterin an. Na ja, wenn es doch so wäre, würde es dieser Qualle vermutlich niemand erzählen.

»Hast du einen Kompass?«

»Wozu?«

»Sieh mal drauf! Und nimm nicht dein Smartphone. Die Kompass-App ortet nur Sendemasten und interpoliert die Himmelsrichtungen.«

»Hat jemand gerade einen analogen Kompass zur Hand?«, fragte Bernat laut.

Jasmin zeigte ihm einen Kompass, handgroß, mit einer kleinen Nadel unter einer Glasscheibe. Drei andere im Raum zeigten ihm die Displays ihrer Telefone. Die besagte App funktionierte offenbar tadellos. Der analoge Kompass tat es nicht. Oder anders gesagt, er offenbarte eine alternative Sichtweise, wo es zum Nordpol ging.

»Der analoge Kompass spinnt.«

»Magnetismus ... ich habe den Datenfeed eines Satelliten. Ich kann diesen von Menschen gemachten Frevel sehen. Ich schicke dir meine Daten.«

»Danke.«

»Das kostet dich eine Flasche Wein ... einen guten, einen sehr guten aus dem Keller deiner Mutter.« Hergé wusste genau, was er trinken wollte. Bernat hatte den Weinkeller seiner Mutter nicht zum ersten Mal für ihn geplündert.

»Einverstanden.« Bernat empfing die Nachricht und leitete die Daten sofort weiter. Dann legte er auf und klopfte dem Meteorologen auf die Schulter. »Rufen Sie den Feed auf.« Er sah die ungeduldig wartende Bürgermeisterin an, die offenbar jedem seiner Worte in den letzten beiden Minuten gefolgt war. »Wir haben einen neuen Parameter: Magnetismus. Es gibt Unregelmäßigkeiten.«

»Die Stelle, die der Datenfeed als magnetische Interferenz anzeigt, ist nicht weit von hier. Vielleicht fünfhundert Meter. Das ist in der Altstadt«, erklärte der lokale Meteorologe. Der Mann wäre, wenn er nicht sitzen würde, größer als Bernat und mindestens zehn Jahre älter. »Das ist exakt der Mittelpunkt unserer Phantom-Gewitterzelle!«

»Das gehe ich mir ansehen! Entschuldigen Sie mich.« Bernat machte sich auf den Weg. Er musste an den komischen Typen denken, der Jasmin und ihn vorhin angesprochen hatte.

 

Sie brauchten nicht lange, um die Stelle zu finden. Jasmin begleitete ihn mit dem Kompass in der Hand. Der Ausschlag der Nadel wurde, umso näher sie kamen, immer nervöser. Hergé hatte den passenden Riecher gezeigt.

»Hier ist es«, sagte Jasmin. »Die Nadel zuckt und ruckt nur noch.«

Ein Kollege des Zivilschutzes mit mehreren Messgeräten für radiologische, biologische oder chemische Stoffe begleitete sie.

»Können Sie bitte das nähere Umfeld untersuchen?« Bernat wollte vorsichtig sein.

»Natürlich«, sagte der Experte.

»Verrückt, oder?« Jasmin und er standen mitten in der Altstadt von Bad Münstereifel. Türen und Fenster blieben verschlossen. Die Sonne schien und hatte den Regen auf dem Kopfsteinpflaster bereits verdampft.

»Was ist das?«, fragte die Polizistin.

»Sehen Sie das auch?« Bernat erkannte eine feine, nebelhafte rote Linie in der Luft. Ungefähr einen Meter über dem Boden. Die konnte man in der Sonne schnell übersehen.

»Meine Geräte zeigen nichts Verdächtiges an ... ich kann keine Gefahrenquellen ausmachen«, erklärte der Mann vom Zivilschutz. Er startete seine Messgeräte neu.

Jasmin fuhr mit den Händen die unerklärliche Linie entlang. »Als ob jemand rote Schmierereien auf einer unsichtbaren Fensterscheibe hinterlassen hätte. Man kann es berühren, nicht aber spüren oder bewegen.«

»Das hat nichts mit Wetter zu tun.« Bernat stellte mit Schrecken fest, von diesem Problem keinen blassen Schimmer zu haben. Wenn diese rote Linie für die Wetterkapriolen verantwortlich war, war er der völlig falsche Mann für den Job.

»So etwas habe ich noch nie gesehen!« Der Experte vom Zivilschutz schüttelte an seinen Geräten arbeitend den Kopf. »Keine Strahlen, keine Bakterien, keine Viren oder chemische Kampfstoffe. Eigentlich eine gute Nachricht ... eigentlich. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, um was es sich handelt.«

Jasmin entfernte sich ein Stück von ihnen. Vielleicht 170 Meter. Sie stand mitten auf der Straße. Autos fuhren hier nicht entlang. »Bernat?«

Er sah zu ihr. »Ja.«

»Hier endet die Spur«, sagte sie.

Bernat nickte. »Vielleicht beginnt sie auch an dieser Stelle.« Er stand an der Hauswand, hier ging es auch nicht weiter.

»Haben Sie eine Stoppuhr?«

»Ja, eine App.« Bernard zog sein Smartphone aus der Tasche.

»Bitte geben Sie mir ein Zeichen und stoppen die Zeit.«

Das tat er und zeigte mit dem Finger auf sie. »Start!«

Sie sprintete los. Die Polizistin war gut in Form und brauchte nicht lange bis zu ihm. Er stoppte die Zeit.

»Und?« Sie atmete kaum schneller.

»21 Sekunden.« Worauf sie hinauswollte, hatte sich ihm noch nicht erschlossen.

»Wie lange hat das Gewitter gedauert?«

»22 Sekunden.«

»Passt, oder? Das ist in etwa die Zeit, um diese seltsame rote Linie entlang zu rennen.«

»Kennen Sie den Roadrunner?« Was für ein Vergleich. Jetzt ließen sie die Wissenschaft hinter sich.

»Miep, miep ... mein Neffe liebt den Cartoon. Der ist mir bei der roten Linie auch in den Sinn gekommen.« Jasmin lachte und strich sich ihre langen dunklen Haare aus dem Gesicht.

Bernats Telefon klingelte.

»De Cabrera.«

»Doktor ... was haben Sie?«, fragte der Bürgermeister von Bad Münstereifel. Hans Vogelmeister war ein feiner Kerl, nicht mehr der Jüngste, der aber sein Städtchen gut im Griff hatte. Er ermöglichte dem gesamten Team die bestmöglichen Arbeitsbedingungen. »Haben wir mit weiteren Gewittern zu rechnen?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.« Bernat hätte gerne eine bessere Vorhersage gemacht. Die Angst vor einem Starkregen steckte hier jedem in den Knochen. »Das Kurzgewitter, das wir erlebt haben, ist vermutlich nur ein sekundäres Phänomen.«

»Die Staatskanzlei in Düsseldorf hängt mir im Nacken.«

»Das verstehe ich ... wir brauchen weitere Messungen.«

»Ich mache es möglich.«

»Jasmin, können Sie bitte die gesamte Straße absperren?«, fragte Bernat. Diese unerklärlichen roten Spuren sollten sich auch andere Experten ansehen. Er filmte den Spuk mit seinem Smartphone und hoffte, dass dieser auf dem Video gut zu erkennen war.

»Wird gemacht.«

 

Bernat lief wieder zurück ins Rathaus. Er rannte die Treppe zur Einsatzzentrale herauf und sah die Bürgermeisterin von Bad Münstereifel, die ihn vom Treppenabsatz ansah wie ein hungriger Raubvogel. Hannelore Jäger hatte feuerrote Haare und schulterlange Haare auf den Zähnen. Es kam einem Wunder gleich, dass sie alle trotz ihrer störenden Anwesenheit überhaupt arbeiten konnten.

»Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, was die Staatskanzlei in Düsseldorf von diesem Irrsinn hält?«

»Sie werden es mir sagen.« Bernat wusste immer noch nicht, wen er um Hilfe bitten sollte. Der Deutsche Wetterdienst würde ihm kaum einen Experten für magische Phänomene entsenden können. Ob er es bei der RWTH, der technischen Hochschule in Aachen, probieren sollte? Er kannte dort leider niemanden.

»Wir haben über 300 Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr und vom Zivilschutz aktiviert. Das kostet Geld. Sehr viel Geld sogar. Zuerst soll es wieder einen Starkregen geben und jetzt präsentieren Sie mir einen lauen Schauer am Nachmittag?« Die Jäger konnte und wollte es offenbar nicht verstehen.

»Lassen Sie mich arbeiten!« Bernat musste telefonieren. Ob es überhaupt eine Welt gab, in der ein Politiker nicht wertvolle Zeit vergeudete und stattdessen echte Probleme aus dem Weg räumte? Bernat würde einiges dafür geben, um einen solchen Menschen in verantwortlicher Position kennenzulernen.

»Ich werde Sie für dieses Chaos zur Rechenschaft ziehen! Ich lasse mir doch nicht von so einem dahergelaufenen Schnösel aus Hessen meine Stadt auf Links drehen!«

»Der Bereich ist abgesperrt!«, rief Jasmin die Treppe herauf. Wenigstens sie half ihm. »Ich habe einen passenden Sichtschutz aufbauen lassen.«

»Danke.« Bernat ließ die Jäger stehen.

»DREHEN SIE MIR GEFÄLLIGST NICHT DEN RÜCKEN ZU!«

Bernat ging weiter. Der lokale Meteorologe sah ihn an. Bernat kannte noch nicht einmal seinen Namen. »Bitte halten Sie das Wetter im Auge. Und auch magnetische Störungen. Ändert sich etwas ... sagen Sie es mir.«

»Mache ich.«

»Das ist Hans Vogelmeister! Er ist ein langjähriger Angestellter der Stadt! Er überwacht unsere Wetterstationen! Glauben Sie bloß nicht, Sie wären gegenüber diesem Mann weisungsbefugt.«

»Danke, Hans!« Bernat nickte ihm zu. Immerhin hatte die Jäger mit ihrer Wuttirade seinen Namen wiederholt. Definitiv das Beste, was sie heute von sich gegeben hatte.

»Ich werde dafür sorgen, dass man Sie feuert!« Sie tobte weiter. »Sie werden diesen Tag nicht überstehen!«

Bernat rief Hergé an.

»Bernat ...« Hergé begrüßte ihn mit einem in die Länge gezogenen A.

»Magnetismus.«

»Ich habe es dir gesagt.«

»Ich sende dir ein Video ... hast du eine Meinung dazu?« Die Übertragung ging schnell.

»Wenn ich es nicht besser wüsste ... sieht aus wie in einem dieser schlecht gemachten YouTube-Filmchen, die die Existenz einer Hohlerde beweisen sollen.«

»Hergé, ich habe es gesehen!« Sonst hätte sich Bernat diesen Blödsinn selbst nicht geglaubt.

»Keine Waffe.«

»Soll mich das beruhigen?« Das tat es nicht. Wenn dieses Phänomen ein schweres Unwetter auslösen konnte, dann könnte sich dieser Wahnsinn auch wiederholen.

»Was sollen wir der Presse sagen?«, fragte eine junge Frau, die für die Jäger arbeitete. Allein dafür verdiente sie Bernats Mitleid. »Die liegen mir schon wegen des kurzen Gewitters in den Ohren. Jetzt fragen sie mich, was die Polizei in der Altstadt abgesperrt hat?«

»Oh, eine gute Frage. Die kommt überraschend«, erklärte die Jäger überzogen. »Fragen Sie doch einfach Doktor de Cabrera, er wird sicher eine passende Antwort wissen!«

»Wir bauen Messgeräte auf. Ich versuche, passende Experten zu aktivieren ... ich hoffe, es dauert nicht lange. Aktuell besteht keine Gefahr. Kein Regen. Kein Unwetter. Alles ist gut. Sagen Sie der Öffentlichkeit einfach die Wahrheit«, rief Bernat, der Hergé noch in der Leitung hatte.

»Sie mag dich. Soll ich dir meine kleine Voodoo-Puppe und das Nadelkissen leihen?«

»Funktionierts?«

»Bei meinem Mann, dieser Heulsuse, leider nicht, dafür beruhigt es ungemein.«

»Hergé, ich brauche Kontakte!« Bernat schreckte zusammen. Irgendetwas war gerade dicht über das Rathaus hinweggeflogen. Das Brummen ließ die Wände wackeln. »Wir müssen herauskriegen, was das ist!«

»Aachen ... ich kenne jemanden in Aachen! Ein Professor für Elektrotechnik!«

»Treib ihn auf! Sofort!« Bernat registrierte eine nahe Explosion. Am Fenster zeigte sich ein Feuerpilz. Ein Flugzeugunglück inmitten der alten Häuser?

»Was ist bei dir passiert?«

»Da ist etwas abgestürzt. Hergé, bring du mir einen Experten, der mir bei dieser roten Signatur helfen kann. Um die Explosion kümmern sich andere.«

»WAS ... WAS WAR DAS?«, schrie die Bürgermeisterin. Sie wich erschrocken zurück und verschwand in einem Nebenzimmer. Gute Entscheidung.

Niemand antwortete ihr.

»Hans, das Wetter und der Satellit!«

»Geht klar.« Hans arbeitete bereits an den Themen. »Keine Veränderungen.«

»Hergé, du holst mir jemanden von der RWTH!«

»Mache ich.«

Bernat legte auf.

»Jasmin, halten Sie den Fundbereich der roten Signatur abgesperrt. Zivilschutz und Feuerwehr sollen sich um den Absturz kümmern.« Bernat zeigte auf den Einsatzleiter der Feuerwehr, der ihm zunickte.

»Wer übernimmt die Flugsicherung?«, rief er in den Raum. Ein weiteres Brausen wurde lauter. Da kam noch mehr runter. Na Klasse, das hatte ihnen noch gefehlt.

»Das mache ich«, rief ein Mann mit Halbglatze und Brille.

Bernat zeigte bestätigend auf ihn.

 

»Ich habe Leute an der Absturzstelle«, rief der Feuerwehrmann. »Das ist ein Wrackteil eines Flugzeugs. Vermutlich von einer Tragfläche. Es ist in einen Dachstuhl gestürzt. Wir haben das Feuer gelöscht.«

»Und die zweite Bruchlandung?« Bernat hatte immer noch nicht verstanden, wie ein Flugzeug stückweise abstürzen konnte. Wenn es denn eines war.

»Ist auf einer Wiese runtergekommen. Keine weiteren Schäden. Beide Wrackteile sind geborgen und werden zu uns gebracht.«

»Danke.« Die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr klappte zumindest. Bernat betrachtete den Mann, der die Flugsicherung am Telefon hatte. »Und?«

»Es wird kein Flugzeug vermisst. Es gab keinen Absturz.« Eine positive Nachricht, die Bernat jedoch nicht befriedigen konnte. »Der Typ von der Flugsicherung hält mich für bescheuert.«

»Ich brauche die Seriennummern der Wrackteile«, rief Bernat dem Einsatzleiter der Feuerwehr zu.

»Die beiden Teile kommen gerade am Rathaus an«, sagte der Feuerwehrmann.

Bernat lief aus dem Raum, das wollte er sich selbst ansehen.

 

Die Einsatzkräfte der Feuerwehr hatten die beiden geborgenen Wrackteile auf der Ladefläche eines Pickups vorbeigebracht. Sehr groß waren sie nicht. Von der ehemaligen Lackierung war nicht mehr viel zu sehen. Ein Bruchstück war verbrannt, an dem anderen klebte Kuhscheiße. Zwei Feuerwehrleute standen abgekämpft daneben.

»Guten Tag«, erklärte ein Mann bedeutungsschwanger, der sich von der Seite dazwischendrängte. Er trug einen dunklen Blouson und Vollbart. Ihn begleitete eine Frau.

»Hallo ... Sie sind bitte?«

»MAD - Militärischer Abschirmdienst.« Der Typ zeigte seinen Ausweis, die Frau tat es ihm gleich.

»Kommen Sie wegen der Wrackteile?«

»Nein.«

»Es ist gerade kein guter Zeitpunkt.« Bernat verspürte keine Motivation, sich mit den beiden zu beschäftigen. Er hatte auch keine Idee, warum sich der MAD in die Geschichte involvierte.

»Das ist es nie ... Dr. de Cabrera, es ist wichtig.« Der MAD-Mensch, Hugo Almira, zeigte ein dünnes Lächeln.

»Sie wollen bestimmt mit der Bürgermeisterin sprechen.« Bernat lächelte ebenfalls, Ehre wem Ehre gebührte, die zwei sollten ihr ruhig auf den Sack gehen.

»Wir wollen zu Ihnen.«

»Ah.«

»Haben Sie kurz Zeit für uns? Es dauert nicht lange. Kommen Sie.« Almira ging zwei Schritte vor.

»Natürlich.« Bernat mochte das Pärchen nicht. Weder die Dame noch den Herrn, die würden Ärger machen.