XIX. Blitzlicht

Bernat fragte sich ernsthaft, womit er diesen Tag verdient hatte. Seiner bescheidenen Meinung nach hätte man dafür jemanden bestrafen können, der in seinem letzten Leben Hundewelpen ersäuft oder eine spanische Paella mit Fisch aus der Dose zubereitet hatte. Für beides hätte man sich in seinen Augen einen Platz in der Hölle verdient. Oder einen solchen Auftrag in Bad Münstereifel. Jasmin Wegreiter, sechs weitere Spezialisten der RWTH und Forensiker der Polizei leisteten ihm Gesellschaft, um sich gemeinsam mit dieser roten Lichterscheinung die Nacht um die Ohren zu schlagen. Trotz aller Bemühungen machte das Team keine Fortschritte.

»Kaffee?« Jasmin reichte ihm eine von zwei Tassen, die sie aus einer großen Thermoskanne entnommen hatte. Diese Sommernacht hätte man auch besser nutzen können.

»Danke.«

»Milch und Zucker?«

»Nein, danke.« Der schwarze Kaffee reichte schon pur kaum noch, ihn auf den Beinen zu halten. Bis zum Sonnenaufgang sollte es nicht mehr lange dauern.

»Was ist mit den Infrarot-Sensoren auf Position 14?«, rief der Techniker des LKA über das Kopfsteinpflaster, der mit einem Kollegen und reichlich Equipment aus Düsseldorf angereist war. Nur die Wissenschaftler der RWTH Aachen hatten noch mehr Messgeräte angekarrt. Einen ganzen LKW voll. Überall lagen Kabel auf dem Boden. Na ja, trotz dieses massiven Hardware-Einsatzes hatte sich bisher niemand dieser Spezialisten zu einer brauchbaren Aussage über eine mögliche Ursache dieses Licht-Phänomens hinreißen lassen.

»Sind aktiv! Der Stream ist online!«, tönte es zurück, ohne dass Bernat den Mann sehen konnte. Die Leute verstanden ihr Handwerk, daran bestand für ihn kein Zweifel.

»Ein Wink Gottes?«, fragte Jasmin, die sich bedächtig an ihrer Tasse festhielt. Die Polizistin und er konnten den Arbeiten nur aufmerksam folgen.

»Der mag für einiges verantwortlich sein ... aber nicht dafür.« Um in der Religion eine Antwort zu suchen, war er der Falsche. Diesen Ansatz durften gerne andere verfolgen. Er wollte überhaupt nicht darüber nachdenken, was sich die Presse in den nächsten Tagen aus den Fingern saugen würde.

Jasmin nickte, legte den Kopf auf die Seite und stützte mit einer Hand den Nacken. Sie wirkte so müde, wie er sich fühlte. Das Wetter heute war bei dieser unkonventionellen Untersuchung eher ein Kollateralschaden als der Verursacher.

Sein Telefon meldete sich. Er nahm das Gespräch an, ohne auf den Anrufer zu achten. Inzwischen nutzte er ein wetterfestes Headset der Polizei. »De Cabrera.«

»Flugsicherung Köln.«

»Guten Morgen.« Mit dem Anruf hatte Bernat zu dieser Uhrzeit nicht mehr gerechnet. Kaminski durfte offenbar in dieser Nacht ebenfalls einige Überstunden schieben.

»Sie leiten die Untersuchung?«

»Ähm ... ja.« Irgendwie schon, auch wenn Bernat sich bei diesem Job nicht in die erste Reihe gedrängt hatte. Vor einigen Stunden hatte es eine kurze Konferenzschaltung gegeben, bei der sich das Regierungspräsidium in Düsseldorf, die Bürgermeisterin von Bad Münstereifel, das LKA und seine Chefin auf ihn geeinigt hatten. Genau, ausgerechnet auf ihn. Vermutlich hatte er wegen seiner fortgeschrittenen Müdigkeit nicht schnell genug den Kopf aus der Schusslinie genommen.

»Was haben Sie?«

»Einen Lichtstreifen, rot, 147 Meter lang, minimal magnetisch, reagiert sonst auf nichts.« Länger brauchte Bernat nicht, um die Summe der bisherigen Erkenntnisse aufzuzählen. Das hätte er auch ohne die anderen Experten herausfinden können.

»Deswegen melde ich mich ...« Der Typ hörte sich an, als ob er Bernat gleich über den Tod seiner Mutter in Kenntnis setzen wollte. »... dieser Magnetismus.«

»Bitte?«

»Unsere Instrumente schlagen an.«

»Wo?« Jetzt war auch Bernat wach.

»Flughafen Köln/Bonn ... was aber schlimmer ist: die Instrumente der Flugzeuge bemerken es auch. Noch ist hier nicht viel los, aber wenn der Magnetismus weiter in diesem Tempo zunimmt, können wir bei Sonnenaufgang den gesamten Luftraum über dem Kölner Becken dichtmachen.«

»Einen Moment!« Bernat stand auf. Das sollte auch der Professor mitbekommen. »Professor Andresen?«

»Dr. de Cabrera.« Der Professor sollte nicht mehr lange auf seine Rente warten müssen, wirkte aber durchaus engagiert und kompetent. Er trug einen Zopf und lange graue Haare.

»Ich habe die Flugsicherung Köln/Bonn in der Leitung ... bitte, das sollten Sie hören.« Bernat aktivierte den Lautsprecher. »Wir bekommen Schwierigkeiten.«

»Professor, haben Sie in der Eifel einen neuen Nordpol installiert? Sämtliche analoge Kompass-Systeme in der Region und in der Luft zeigen auf Sie.«

»Dafür sollte das Signal eigentlich zu schwach sein«, erklärte Andresen überrascht, während er zeitgleich Messwerte von einem Pad-System ablas.

»Na ja, es stört den regionalen Luftverkehr. Schlimmer noch, sogar der Radiokompass und die Satellitenkommunikation fangen an, Abweichungen zu zeigen. Können Sie mir die Entwicklung erklären?«

»Leider nein.«

»Professor, das wird gefährlich.«

»Ich brauche Ihre Daten.«

»Bekommen Sie ... Professor, können Sie das Signal wenigstens dämpfen?« Kaminski klang verzweifelt.

»Ich denke nicht.«

»Hier ist de Cabrera.« Bernat musste eingreifen. »Ich empfehle Ihnen, den Flugverkehr einzuschränken.«

»Doktor, wissen Sie, was das bedeutet?«

»Sie haben über einen Trend gesprochen. Wir können ihn nicht erklären oder brechen. Es wird also schlimmer ...« Bernat war sich durchaus im Klaren, sich mit dieser Entscheidung keine Freunde zu machen. Eine Alternative sah er nicht. Im Hinterkopf rumorten zwei Flugzeug-Wrackteile, für die sich bisher immer noch niemand zuständig gefühlt hatte.

»Die in Düsseldorf und Maastricht werden kotzen.«

Er redete von den beiden anderen Flughäfen in der Nähe.

»Als Lehrstuhlinhaber und Vertreter der RWTH unterstütze ich die Einschätzung von Dr. de Cabrera. Wir haben keine Ahnung, mit was wir es zu tun haben.« Der Professor unterstützte seine Linie. »Bis wir weitere Daten auswerten können, sollten wir vorsichtig sein. Eine regionale Sperrung des Flugraums ist unausweichlich.«

»Verstanden … die Entscheidung kann ich nicht alleine treffen. Das entwickelt sich zu einem internationalen Zwischenfall. Ich werde Düsseldorf und Maastricht einbinden.«

»Einverstanden.« Bernat ahnte bereits, was da auf sie zukam. Das würde den gesamten Großraum Köln/Düsseldorf über Aachen bis nach Maastricht ins Chaos stürzen. Drei Flughäfen gleichzeitig aus dem Rennen zu nehmen, bedeutete eine Verkehrskatastrophe.

Bernat drehte den Kopf auf die Seite, warum glaubte er Regen riechen zu können? In dieser Sommernacht ließ sich nicht ein lausiges Wölkchen am Himmel ausmachen.

Kaum gedacht, ging es los, als ob jemand einen Schalter umlegte. Es begann zu regnen. Genau diesen blitzartigen Niederschlag hatten sie heute schon einmal erlebt und bereits beim ersten Mal kaum nachvollziehen können. Warum hatte ihn niemand aus dem Team vorgewarnt? Es blitzte und donnerte, der Regen nahm zu, das extreme Tiefdruckgebiet hätte zuvor jemandem auffallen müssen.

»VERDAMMT!«, rief er wütend. »Wie hoch ist der Luftdruck?« Das Wetter war Bernats Baustelle, dafür hatte er einen Meteorologen keine zehn Meter entfernt an einem Notebook sitzen.

»1015 Hektopascal«, antwortete sein Hilfswetterfrosch, der nervös auf der Tastatur herumhämmerte.

»Das geht doch gar nicht!« Ein Gewitter dürfte es bei diesem hohen Luftdruck überhaupt nicht geben. Hier setzte jemand die Naturgesetze außer Kraft. Was für ein Irrsinn! Verständlicherweise gab es deswegen auch keine Vorzeichen für ein Gewitter.

»Das sind die Messwerte.«

»Es gibt einen Zusammenhang.« Der Professor stand immer noch neben ihm.

Ja, den gab es, nur Bernat kannte ihn nicht. Als spontane Gewitter und unerklärliche Lichtstreifen an der Uni gelehrt wurden, musste er gefehlt haben.

»Das Gewitter ist lokal extrem begrenzt ... an allen drei Flughäfen ist es trocken.«

»Kaminski, wir stellen alle vor Ort erfassten Daten online ... wir brauchen jeden Experten an den Flughäfen, der damit etwas anfangen kann.« Bernat überlegte, wen er noch mit ins Boot holen konnte. Ein schönes Bild, wenn es weiter so schüttete, bräuchte er sogar eine Arche. Die Zeit war der kritische Faktor. Sie mussten sofort eine Erklärung finden und nicht erst Tage später.

»Geht klar.«

 

Das Drama nahm seinen Lauf. Bernat war bereits nass bis auf die Knochen. Das zweite Gewitter vermochte, ihnen länger auf die Nerven zu gehen als das erste. Dabei maß die Gewitterzelle kaum mehr als zehn Kilometer. Im Regen wirkte der rote Lichtstreifen heller als zuvor. Und bedrohlicher, er konnte nicht behaupten, sich in seiner Nähe wohlzufühlen.

Jasmin reichte ihm einen Schirm, immerhin sorgte der dafür, dass ihm nicht ständig das Wasser in die Augen lief. Zwei Dutzend Polizisten sicherten die nächtliche Untersuchung in der Bad Münstereifeler Altstadt. Nach dem Zwischenfall mit dem ausgebrannten Tesla hatte sie die Zone mit mehreren Straßensperren abriegeln lassen. Ebenfalls ein Detail, auf das sich niemand einen Reim machen konnte. Warum brannte der Wagen aus? Den Tesla hatte jemand gestohlen und vom Fahrer fehlte jede Spur. Einer der Beamten glaubte, jemanden in dem obskuren roten Lichtstreifen verschwinden gesehen zu haben. Eine Aussage, für die es keine weiteren Belege gab.

Ein roter Blitz rechts von ihm ließ ihn aufgeschreckt einen Schritt zurückweichen. Der starke Regen änderte nichts daran. Das Licht kam weder von oben noch von der Seite. Jasmin rutschte aus und landete mit dem Hintern auf dem nassen Kopfsteinpflaster. Er half ihr auf und versuchte den Grund des Blitzes auszumachen.

»WERTE! ICH WILL DIE WERTE!«, brüllte Professor Andresen, der für sein Alter noch eine beachtliche Lautstärke hinbekam. Okay, der lustige Teil der Nacht nahm ein jähes Ende.

»Spannungszunahme um 70.000 Prozent«, antwortete jemand aus seinem Team. »Die Erscheinung bewegt sich!«

Hatte in der Nähe ein Blitz eingeschlagen?

Die Dynamik der Situation legte noch eine Schippe drauf. Von der seltsamen Lichterscheinung, die ohnehin schon niemand erklären konnte, schoss in der nächsten Sekunde eine pulsierende Lichtwalze hinweg. Die Spur verlor sich in einem Fachwerkhaus, um direkt dahinter weiter in die Dunkelheit zu rasen. Die Rückkehr von E.T. samt Familie wäre kaum spektakulärer gewesen.

»WAS IST DAS?«, rief Jasmin, die bereits die Hand an die Waffe legte.

»SPANNUNGSZUNAHME 250.000 PROZENT!«, brüllte der Professor wie von Sinnen. »WEG HIER!«

»Wir evakuier...!«, rief einer seiner Mitarbeiter in einem weißen Schutzanzug. Der mochte gegen sonst etwas schützen, nicht aber gegen den Stromschlag, den er in diesem Moment abbekam. Der Mann flog im strömenden Regen brennend durch die Luft. Es knallte. Messgeräte zerbarsten oder fingen Feuer. Über ihnen wurde das Gewitter noch stärker. Der nächste Blitz schoss förmlich auf sie zu und schlug in unmittelbarer Nähe ein. Zu nah. Eine rote Druckwelle holte Bernat von den Beinen.

 

Bernat schwebte. Hatte es ihn gerade erwischt? Er versuchte sich zu orientieren. Mit wenig Erfolg, als erstes sollte er wieder seinen Körper unter Kontrolle bringen. Er wackelte mit den Händen. Sehr gut, Finger schienen alle noch dran zu sein. Damit auch die Arme, schlussfolgerte er gewieft – dafür hatte er schließlich studiert. Ob der Rest von ihm auch noch komplett war?

»Bernat! Können Sie mich verstehen!«, rief Jasmin, deren hübsches Gesicht von Ruß und Dreck geschwärzt war. An der Stirn zeigte sich eine Schürfwunde.

»Ähm ... ja.« Nach den Armen kamen die Beine an die Reihe, definitiv der schwierigere Teil.

»Sie müssen aufstehen! Hören Sie! Wir müssen sofort weg hier!«, rief sie aufgebracht. »Es gab Verletzte ... drei Häuser brennen. Ich vermute, Professor Andresen wurde verschüttet. Kommen Sie, ich bringe Sie aus der Gefahrenzone.«

Bernat nickte in Gedanken, für die richtigen Worte brauchte er einen Moment. Jasmin half ihm hoch, sie stützte ihn während seiner ersten Schritte. Dann ging es wieder besser. Seine Beine hatten offenbar nichts abbekommen. Rechts von ihm brannte es. Eines der Fachwerkhäuser in der Altstadt hatte Feuer gefangen. Der starke Regen vermochte es nicht auf Anhieb zu löschen. Die Flammen schlugen meterhoch aus dem völlig zerstörten Dach. In der gesamten Untersuchungszone herrschte blankes Chaos. Überall konnte er Menschen sich auf dem Boden winden sehen. Was für ein Horror, einige bewegten sich nicht mehr.

»Wir müssen helfen ...«, stammelte er und wollte zurück. Er konnte doch die Verletzten nicht einfach im Regen liegen lassen.

Jasmin ließ ihn nicht los. Als könnte sie Gedanken lesen, sagte sie: »Verstärkung ist unterwegs: Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen. Kommen Sie, wir können nicht hierbleiben.«

Der nächste Blitz schlug ein, der einem Fachwerkhaus förmlich den gesamten Dachstuhl vom Ständerwerk riss. Der Donner, der Knall, die Explosion, alles toste in derselben Sekunde. Weiß, gelb, orange, der rote Lichtstreifen schlug wie eine Peitsche durch die Luft. Was hatte sich verändert?

Telefon. Das Headset befand sich immer noch auf seinem Kopf. Zum Glück einsatzfähig. »Ja.«

»WAS UM HIMMELSWILLEN TUN SIE DA!«, schrie Kaminski, auch seine Panik kannte noch eine Steigerungsstufe.

»Blitze schlagen ein. Mehrere. Es brennt. Wir sind offline. Es gibt Verletzte ... vermutlich Tote.« In dem Moment konnte Bernat den leblosen Körper des Professors erkennen. Sein verkohltes linkes Bein qualmte noch.

»WIR MÜSSEN DEN GESAMTEN LUFTRAUM ÜBER NORDEUROPA SPERREN! JEDES FLUGZEUG NÖRDLICH DER ALPEN FLIEGT BLIND ... GPS-NAVIGATION AUSGEFALLEN, FUNK-NAVIGATION AUSGEFALLEN, KOMPASS-NAVIGATION VERZERRT, DER NORDPOL LIEGT JETZT IN BAD MÜNSTEREIFEL!«

»Hier spricht Jasmin Wegreiter, Polizei Bad Münstereifel, hören Sie, wir können hier nichts mehr machen. Die Techniker und Forensiker sind alle ausgefallen ... ich hoffe, sie leben überhaupt noch. Dr. de Cabrera ist ebenfalls verletzt, er ...«

»Ich bin in Ordnung ...« Bernat schüttelte den Kopf, noch hatte er seine Sinne beisammen. Sein Rücken fühlte sich zwar an, als ob ihn ein vollbesetzter Reisebus überrollt hätte, aber er würde weitermachen. »Kaminski, fragen Sie bei der Nato in Geilenkirchen nach, ob die eine Awacs in der Luft haben.«

»Der Kontakt steht ... die Awacs-Maschine fliegt bereits, hat jedoch gerade ernsthafte Probleme oben zu bleiben. Das Gewitter zeigt extreme Entladungen. Das Leitwerk des Flugzeugs wurde beschädigt ... die werden wieder landen. Im Moment ist der bodennahe Luftraum über der Eifel unpassierbar.«

»Gibt es Daten?« Bernat suchte zwischen der zerstörten Ausrüstung einen betriebsbereiten Computer. Die ersten beiden Geräte, die er fand, qualmten nur.

»Bernat, wir müssen gehen!« Jasmin zog an seinem Arm. In ihrer Nähe splitterte Glas. Rechts von ihnen stürzte ein brennendes Fachwerkhaus ein. Die alten Hütten brannten selbst im Regen wie Zunder.

»Noch einen Moment!« Er nahm sich ein nicht aktiviertes Pad-System und meldete sich an. Seine Kennung in dem in Hektik erstellten Netzwerk funktionierte.

»Neben der aktiven Gewitterzone gibt es eine magnetische Abtastung der Eifel ... so etwas habe ich noch nie gesehen. Das Zentrum liegt in Bad Münstereifel. Man kann die magnetisch aktive Kennlinie in der Altstadt erkennen.«

»147 Meter lang.« Eine alte Bekannte.

Kaminski machte weiter. »Es gibt eine weitere Kennlinie oder auch Bruchkante oder wie sie das Ding auch nennen wollen. 1.800 Meter lang. Sie zeigt von Ihnen nach Norden. Zwischen den Linien schlagen Spannungswellen hin und her ... hören Sie, auch die von der Nato wissen nicht, was das ist.«

»Eine Waffe?«

»Jedenfalls keine von uns.«

»DA VORNE LIEGEN VERLETZTE! DIE BITTE ZUERST!« Jasmin wies die Ersthelfer ein, die an der Unglücksstelle eintrafen. »Achten Sie auf ihre Eigensicherung! Die brennenden Häuser werden bald einstürzen!«

Bernat drehte sich herum, waren das Motoren, die auf sie zukamen? Er konnte den infernalen Krach trotz des starken Regens hören. Er hatte keine Idee, welches Fahrzeug zu diesen Geräuschen passte. Das Getöse wurde immer lauter.

»Kaminski, befindet sich ein Flugzeug über der Stadt?«

»Nein, das wäre Wahnsinn!«

»Ich kann es hören.«

»Doktor, nein, kein Pilot fliegt freiwillig in diese Gewitterzelle. Sämtliche Flugzeuge sind angewiesen, auf dem nächsten Flughafen notzulanden. Das ist zwar schlimm, aber kein Chaos. Ihre Region ist aktuell eine No-Go-Zone. Wir haben in Köln bestes Wetter und weisen die Flugzeuge mit Lichtzeichen ein.«

»Die Dinger sind noch nicht einmal schnell!« Bernat konnte jetzt die beiden Flugzeuge sehen. Britische Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg, die wie aus dem Nichts auftauchten, im Tiefflug über die Stadt flogen und in der nächsten Sekunde verschwanden. Also sich nicht nur aus seinem Sichtfeld verdrückten, sondern auch akustisch verstummten. So, als ob sie nie dagewesen wären.

»Welche Dinger?«

»Britische Lancaster-Bomber.« Vier Propeller, zwanzig Meter lang und ein doppeltes Leitwerk am Heck. Bernat hatte von denen als Kind einige Modelle gebastelt.

»Doktor, da ist nichts ... warten Sie, ich sehe gerade einen Schatten auf dem Radar. Okay, zwei Schatten. Was machen die Flugzeuge da? Sind die wahnsinnig! Das Signal geht über eine Relaisstation in Geilenkirchen und hat deswegen einen Zeitversatz.«

Für einen Moment sagte Kaminski nichts.

»Die Flugzeuge sind verschwunden.«

»Fragen?«

»Mehr als eine ...« Kaminski kämpfte hörbar mit seiner Fassung. »Was sagten Sie? Lancaster-Bomber?«

»Ich habe sie gesehen. Die sind in nur 200 Metern Höhe über die Stadt geflogen.«

»Dazu fällt mir nichts mehr ein.«

»Wo kamen die her?«

»Im Krieg sind die über die Eifel angeflogen, wenn sie Düsseldorf bombardieren wollten ... oder Essen ... aber ...«

»Können Sie die Maschinen orten?«

»Jetzt nicht mehr.« Kaminskis Kampf mit seiner Tastatur konnte Bernat deutlich hören. Die Feuerwehr hatte begonnen, die Brände zu löschen. Ersthelfer trugen die Verletzten fort. Jasmin Wegreiter koordinierte die Einsatzkräfte mit einer völlig verdreckten Uniform. »Warten Sie, ich habe eine neue Ortung.«

»Noch höre und sehe ich nichts.«

»Ein Airbus 320neo, Höhe 6.700 Meter, das ist zu tief, den muss das Gewitter voll erwischt haben. Er droht abzustürzen. Bisher konnten meine Leute keine Verbindung mit den Piloten aufnehmen. Doktor, die kommen runter, ich weiß noch nicht wo, aber das wird in Ihrer unmittelbaren Nähe passieren.«

Was für eine Nacht. Bernat streckte das Gesicht in die Höhe und ließ den warmen Regen auf sich einprasseln. 320neo, die Kennung kannte er bereits. Verdammt, ein Airbus 320neo! Der Flugzeugtyp, von dem sie zwei Wrackteile gefunden hatten. Ihm schwirrte der Kopf, zwei Wrackteile, die sie bereits gestern gefunden hatten. Wow, jetzt wurde es heftig. Dagegen war ‚Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI‘ eine beglaubigte Dokumentationssendung. »Kaminski?«

»Ja.«

»Überprüfen Sie die Kennung. Ist das die Maschine, deren Wrackteile wir gefunden haben?«

»Echt jetzt?«

»Tun Sie es!«

»Aber die befand sich doch noch im Bau ...«

»Vergleichen Sie die Kennung!«

»Oh ... also ... ähm.«

»Kaminski!«

»Sie ist es!«

»Ich kann sie sehen.« Sehr hoch befand sich das Flugzeug nicht mehr, das schnurstracks auf sie zuhielt. Ein Blitz schlug in das hintere Leitwerk, von dem bereits ein Stück fehlte. Bernat glaubte zu wissen, was denen da abhandengekommen war. Na ja, die beiden Wrackstücke lagen in der Dienstgarage der lokalen Polizei.

»Machen Sie, dass Sie da wegkommen!«

»Zu spät.« Das wars. Keine Zeit mehr zu flüchten, noch nicht einmal, um mit Jasmin ein letztes Wort zu wechseln. Sie zeigte mit dem Finger auf einen Feuerwehrmann und bemerkte nicht, was da hinter ihrem Rücken auf sie zukam. Den letzten Moment glaubte Bernat extrem verlangsamt wahrzunehmen. Das Flugzeug brannte. Vorwiegend schlugen die Flammen aus dem Cockpit. Die Maschine steuerte niemand mehr.

Rotes Licht, überall rotes Licht, das wie ein Derwisch durch die Luft schnalzte. Bernat schloss die Augen und schreckte einen Moment später auf, als ein armlanges Wrackteil einige Meter vor ihm auf das Kopfsteinpflaster knallte. Kleine Steine flogen durch die Luft. Und natürlich Regen. Nicht mehr.

»Wo kommt das her?«, fragte Jasmin und zeigte auf das dampfende Wrackteil. »Ist das von dem Tesla?«

»Ich denke schon.« Bernat war sich selbst nicht sicher, was er gerade erlebt hatte.

»Okay.« Jasmin drehte sich um und arbeitete weiter. Offenbar hatte niemand der Rettungskräfte den Absturz erlebt. Bernats Puls lag knapp unter Zweihundert.

»Doktor?« Die Verbindung zu Kaminski stand, das Headset funktionierte jedenfalls noch.

»Ich bin ... ich bin noch da.«

»Der Airbus ist weg ... abgestürzt.«

»Nicht bei uns.«

»Aber ...«

»Ich kann Ihnen ein weiteres Wrackteil anbieten. Vermutlich ebenfalls vom hinteren Leitwerk. Direkt vor meinen Füßen ... ich wette, das ist die Maschine, die noch in Hamburg im Hangar steht.« Bernat überlegte, ob er gerade den Verstand verlor, träumte oder einfach nur unter Drogen stand.

»Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet?«

»Leider nein.«

»Das glaubt uns doch keiner!«

»Da gebe ich Ihnen recht.« Bernat hätte sich diesen Schwachsinn selbst nicht abgekauft. »Können Sie mir eine genaue Ortung der magnetischen Kennlinie geben?«

»Bekommen Sie.«

»Kaminski, die Geschichte mit dem Airbus bleibt erst einmal unter uns. Ich werde mir den Ort ansehen ... dann reden wir miteinander. Bei der Story landen wir ansonsten in der Gummizelle.«

»Einverstanden.«

Bernat trennte die Verbindung und machte sich auf den Weg. Würde ihn diese Exkursion weiterbringen? Er wusste es nicht. Der Regen ließ nicht nach, aber zumindest fielen ihnen keine weiteren Flugzeugteile vor die Füße.

»Wo wollen Sie jetzt hin?« Jasmin Wegreiter kam erneut auf ihn zu. Helfer hatten die Verletzten inzwischen weggebracht. Mindestens drei der Opfer schienen schwer verletzt oder tot zu sein.

»Hermann-Löher-Weg ... dort endet die zweite magnetische Kennlinie. Ich muss mir das ansehen.« Auch wenn es Bernat nicht wahrhaben wollte, niemand sonst aus dem Forscher- und Technikerteam stand noch auf den Beinen.

»Haben Sie die Toten gesehen?«, fragte sie mit ernstem Blick. »Das könnte Sie ebenfalls den Kopf kosten.«

»Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich mir das ansehen muss.« Bernat hatte die Verantwortung für den Job bekommen, also würde er sich auch nicht drücken.

»Ich fahre Sie und fordere Verstärkung an.« Jasmin Wegreiter zeigte auf einen Streifenwagen, der erst vor zwei Minuten dort abgestellt wurde. Direkt neben einem ausgebrannten Dienstwagen, der die Überspannung nicht gut vertragen hatte.