Schon am frühen Morgen des nächsten Tages erreichte Bruno das Krankenhaus in Périgueux, um den Baron zu besuchen, doch wurde ihm dort, obwohl er Uniform trug, gesagt, er möge nach Mittag wiederkommen. Er fuhr in die Innenstadt, parkte auf dem Platz neben der Kathedrale und wechselte aus seiner Uniformjacke in einen roten Anorak. Nach ein paar Schritten entlang der Rue Taillefer erreichte er hinter dem Place Bugeaud die Rue du Président Wilson. Neben einer Kreditbank fand er das gesuchte Bürogebäude. Im zweiten Obergeschoss hatten Sarrail und Constant ihre Büros. Er zog sein Handy aus der Tasche, schaltete die Kamerafunktion ein und drückte die Klinke zu Constants Büro. Die Tür war verschlossen, und auf sein Klopfen hin meldete sich niemand.
Zurück auf der Straße, sah er einen Schönheitssalon, der mit perfektem Styling von Augenbrauen für sich warb. Unter »Waxing« konnte sich Bruno noch etwas vorstellen, aber was es mit »Sugaring« auf sich haben sollte, war ihm ein Rätsel. Er erinnerte sich, dass Guillaumat die Augenbrauen von Driants Besucherin aufgefallen waren, die er als »wie gemalt« bezeichnet hatte, also betrat er den Salon. Ihn begrüßte eine Frau in seinem Alter. Sie hatte sorgfältig gestylte Augenbrauen und übertrieben rote Haare. Sie klappte ein Geschäftsbuch zu und zeigte lächelnd zwei perfekte Zahnreihen. Bruno öffnete seinen Anorak, um ihr den Blick auf seine Polizeiplakette freizugeben, worauf ihr Lächeln prompt erstarrte. Immerhin schaffte sie ein höfliches »Bonjour, monsieur.«
»Bonjour, madame. Wenn ich mich nicht irre, gehört zu Ihren Kundinnen eine gewisse Lara Saatchi.«
»Ja, Lara von der Versicherungsgesellschaft hier im Haus. Mit ihr ist doch wohl alles in Ordnung, oder?«
»Das versuchen wir herauszufinden. Wissen Sie, wo sie wohnt, oder haben Sie vielleicht eine Telefonnummer, unter der ich sie erreichen kann?«
»Ja, ihre Handynummer.« Sie wandte sich dem Computerbildschirm zu, der auf dem Empfangstresen stand, tippte ein paar Tasten und las die Nummer laut vor. »Die Wohnadresse habe ich leider nicht, nur die des Büros.«
»Danke. Sie zahlt bei Ihnen doch bestimmt mit ihrer Kreditkarte, nicht wahr? Und darüber werden Sie Unterlagen haben. Darüber ließe sich ausfindig machen, wo sie wohnt.«
Aus einem Regal hinter ihr holte sie eine große Schachtel hervor, kramte darin herum und zeigte ihm den Ausdruck einer Kreditkartenabrechnung, die auf die Banque Nationale de Paris verwies. Er machte sich ein paar Notizen und reichte ihr seine Visitenkarte. »Falls Sie Erkundigungen über mich einholen möchten, wenden Sie sich bitte an Commissaire Prunier.«
Er wählte Laras Nummer, erreichte ihre Mailbox und bat um schnellstmöglichen Rückruf.
»Gibt es ein Problem mit ihr?«, fragte die Kosmetikerin.
»Ich hoffe nein, aber wir müssen sie in einer wichtigen Sache sprechen«, sagte er und lächelte wieder. »Ich werde von ihrer Bank erfahren, wo sie wohnt.«
»Oder auch nicht«, erwiderte sie. »Sie benutzt eine Firmenkreditkarte, von der Versicherungsgesellschaft.«
»Dann hat sie einen großzügigen Arbeitgeber«, bemerkte er. »Und Ihre Augenbrauen machen Ihnen, madame, alle Ehre. Übrigens, was ist eigentlich mit ›Sugaring‹ gemeint?«
»Das ist eine traditionelle Methode zum Entfernen unerwünschter Härchen, mit Zucker, Zitronensaft und Wasser. Meine Kundinnen halten viel davon; es ist ein ganz natürliches Verfahren.«
»Danke für die Auskunft, madame. Man lernt nie aus. Au revoir.«
Er kehrte in Richtung Kathedrale zur Rue Taillefer zurück und verbrachte eine glückliche halbe Stunde in der antiquarischen Buchhandlung von Henri Millescamps. Zwischen ledergebundenen Folianten, einer erstaunlichen Sammlung von Homilien und Kochbüchern aus dem 19. Jahrhundert, fand er zu seiner Überraschung das Reisetagebuch zweier Engländer, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs eine Bootsfahrt auf der Vézère unternommen hatten. Es wäre ein ungewöhnliches Geburtstagsgeschenk für Pamela. Zufrieden damit, wie er den Vormittag verbracht hatte, ging er ins Restaurant Hercule Poireau, wo er sich mit Jean-Jacques und Goirau, dem Mann vom fisc, verabredet hatte.
Bruno blätterte durch das neu erworbene Buch, als die Tür aufging und Jean-Jacques seinen Begleiter vor sich eintreten ließ. Goirau war mittelgroß, auffallend hager und hatte kurz geschnittene graue Haare. Er trug einen dunklen Anzug und ein blaues Hemd mit papillon, einer Fliege, die diagonal rot, weiß und blau gestreift war. Als er ihm die Hand gab, fielen Bruno dessen manikürte Fingernägel auf. Der Mann wirkte selbstbeherrscht und hatte etwas Berechnendes in seinem Blick, was Bruno an manche der Unteroffiziere erinnerte, die er bei der Armee kennengelernt hatte, Männer, die sehr viel gefährlicher und tüchtiger waren, als es schien.
Goirau lächelte zufrieden, als sie auf einen Tisch unter einem Deckengewölbe zusteuerten, der offenbar der beste im Restaurant war. Er studierte sorgfältig die Speisekarte und wählte, wie Jean-Jacques und Bruno, foie gras als Vorspeise, gefolgt von tête de veau. Nachdem der wichtige Akt der Bestellung vollzogen war, kam Goirau gleich zur Sache.
»Gustave Sarrail ist Belgier aus Charleroi, hat aber in Lille und Paris studiert und ist in den neunziger Jahren nach Menton an die Côte d’Azur gezogen, zu einem Zeitpunkt, als neureiche Russen dort Immobilien kauften.« Er legte eine Pause ein, um von dem Wein zu probieren, den Jean-Jacques bestellt hatte, einem leichten roten Montravel vom Château Moulin Caresse, den auch Bruno sehr schätzte.
»Wie schön, einen so guten Wein zu finden, der auch noch einen so charmanten Namen hat«, sagte Goirau lächelnd.
Mit dieser Bemerkung gewann er bei Bruno, der aber dennoch vorsichtig blieb. Er hatte im Laufe seiner Berufsjahre nur wenige Mitarbeiter des fisc kennengelernt, aber legendäre Geschichten über deren Fähigkeiten erzählen hören; es waren anscheinend Leute, die im Kopf Schach spielten, ohne aufs Brett zu schauen, oder nach einem flüchtigen Blick auf ein Sudoku die Felder auszufüllen vermochten und über die fortlaufenden Notierungen des Aktienindex CAC bestens informiert waren.
»Sarrail belegte Intensivkurse für Russisch – er war der erste französische notaire, der sich für diese Sprache interessierte –, er stellte eine hübsche Russin als seine Assistentin ein und machte ein Vermögen«, fuhr Goirau fort. »Auf unseren Schirm kam er erst, als uns auffiel, dass er zu einer kleinen Gruppe von notaires gehörte, die eng mit Privatbanken zusammenarbeiteten, über die russische Devisengeschäfte abgewickelt wurden, wovon ein Großteil aus dubiosen Quellen stammte. Wir vermuteten, dass Geld von Banken und Investmentfirmen gewaschen wurde, die Russen auf Zypern gegründet hatten. Nach der Einführung des Euro war Sarrail fein raus, und er verdiente fleißig dazu, vor allem, nachdem er Bekanntschaft mit einem in Europa lebenden Oligarchen Namens Igor Iwanowitsch Stichkin schloss. Er, ein alter Weggefährte Putins, gehörte früher dem Militär an und machte dann als Geschäftsmann Karriere. Geboren wurde er im Osten der Ukraine, den Putin inzwischen so gut wie okkupiert hat. Stichkin unterstützt das Vorgehen der prorussischen Milizen mit Geld.«
Bruno hielt an sich, als er den Namen hörte, den Gilles erwähnt hatte, und sagte nichts.
Goirau erklärte, dass Stichkin auf diese Weise bei Putin wieder Gnade zu finden versucht hatte. »Clever, wie er ist, und weil er erkannt hatte, dass die Gunst des Kreml immer teurer wurde, hatte er nach Putins Wiederwahl 2007 Russland verlassen. Seine Frau blieb in Moskau zurück. Er aber nahm die gemeinsame Tochter mit und so viel Geld wie möglich. Er kaufte sich die zypriotische Staatsbürgerschaft, ein Haus in Limassol, ein Appartement in Monaco und eine Luxusjacht, auf der er hin und her schippern konnte. Ausländer brauchen in Monaco keine Einkommenssteuer zu bezahlen, wohl aber Körperschaftsteuer, und die ist ziemlich hoch. Darum operierte er als Investor von seinen Büros auf Zypern und in Luxemburg aus und kassierte sein Einkommen in Monaco.
Diese für ihn schöne Lösung war ihm von Monsieur Sarrail vorgeschlagen worden. Dabei spielt der europäische Kontext eine wichtige Rolle«, führte Goirau weiter aus und tippte mit dem Finger wie zum Nachdruck auf den Tisch. »Die kleineren EU-Mitglieder wie Malta, Zypern, Monaco und Luxemburg machen den größeren immer mehr Ärger, weil sie den Finanzsektor bedienen und das Leben für die Reichen leichter machen.
Dann fiel uns eine interessante PowerPoint-Präsentation in die Hände, die Sarrail auf einer Konferenz von Investoren in Luxemburg eingesetzt hat.« Goirau legte eine Pause ein, als die Vorspeise zusammen mit einem kleinen Glas Monbazillac serviert wurde. Man unterhielt sich jetzt über das Essen, und Goirau kam erst wieder auf Sarrails Präsentation zu sprechen, als das Geschirr abgeräumt wurde.
Sarrail hatte sich über die demographische Entwicklung in Europa ausgelassen und darauf verwiesen, dass die Bevölkerungszahlen zurückgingen. Nur die von Irland, Frankreich und Großbritannien blieben noch in etwa konstant. Aber auch dort bedeute die zunehmende Lebenserwartung, dass in naher Zukunft die am schnellsten wachsende Altersgruppe die der über Sechzigjährigen sein würde. Die der Jüngeren schrumpfe und somit auch das Steueraufkommen, aus dem die Renten und die Gesundheitsvorsorge für die Älteren finanziert werden müssten. Da europäische Sozialstaaten damit bald überfordert wären, käme für die Versorgung der Alten dem privaten Sektor wachsende Bedeutung zu. Erstklassige Altenheime, die Komfort, gutes Essen, medizinische Betreuung und ein interessantes gesellschaftliches Umfeld böten, wären eine ausgezeichnete Investition.
»Stichkin investierte in ein Pilotprojekt, dasjenige in der Nähe von Sarlat, für das Sie sich interessieren, Bruno«, sagte Goirau. »Er finanziert die Einrichtung, und Sarrail kann es sich nicht leisten, sie scheitern zu lassen. Stichkin würde ihm das schwer verübeln.«
»Klingt wie eine vernünftige Investition, an der rechtlich auch nicht zu deuteln ist«, meinte Bruno und schnitt ein Stück Fleisch ab, das um die Kalbszunge gewickelt und mit ihr, wie er wusste, über fünf Stunden im Ofen gegart worden war. Es war ein klassisches Gericht, das er nur selten genossen hatte, sich aber jetzt, da es auch von den anderen bestellt worden war, umso besser schmecken ließ. Statt der üblichen sauce ravigote wurde es hier mit der kräftigen Brühe serviert, in der das Fleisch gekocht worden war. Das gefiel ihm besonders.
»Ja, aber vielleicht haben sie sich im Timing geirrt«, sagte Goirau. Er legte Messer und Gabel ab und musterte Bruno mit scharfem Blick. »Das französische Gesundheits- und Rentensystem mag unter Druck stehen, ist aber weit von einem Kollaps entfernt. Und die anvisierte Zielgruppe vermögender, reicher Leute hat andere Vorstellungen. Viele besitzen Zweitwohnungen in Marokko oder in der Karibik, in der Nähe von Flughäfen, damit Kinder und Enkelkinder sie ohne großen Aufwand besuchen können. Auch Arztpraxen und Krankenhäuser stehen zur Verfügung, Golfplätze und etliche Restaurants. Und besonders wichtig ist, dass sie dort in ihren Kreisen verkehren können, statt mit Fremden in irgendeiner Seniorenresidenz vorliebnehmen zu müssen.«
»Wird das Projekt Ihrer Meinung nach scheitern?«, fragte Jean-Jacques und tunkte ein Stück Brot in die Brühe auf seinem Teller.
»Es läuft nicht wirklich gut an. Es ist nur zu rund sechzig Prozent belegt, und manche der bereits eingezogenen alten Leute haben nicht den kulturellen Hintergrund, den man sich erhofft hat.«
Was wohl auch auf Driant zugetroffen wäre, dachte Bruno. »Sind auch andere Anwärter auf einen Platz in dieser Residenz, die sich teuer versichert haben, vorzeitig oder überraschend verstorben?«, fragte er.
»Nicht, dass ich wüsste. Ich hoffe, dass Sie uns helfen. Ich sollte hinzufügen, dass Stichkin, wie Sie sich vorstellen können, im Ruf steht, ein harter, rücksichtsloser Geschäftsmann zu sein. Es heißt, dass Widersacher von ihm von der Bildschwäche verschwunden sind, womöglich von seiner Jacht aus.«
»Kennen Sie Namen?«, fragte Jean-Jacques.
»Nein, aber es gab wohl auf Zypern ein paar Dummköpfe, die während seiner Abwesenheit in sein Haus eingebrochen sind«, antwortete Goirau. »Es liegen allerdings keine Beweise vor, und die zypriotische Polizei scheint sich nicht weiter darum zu kümmern. Anscheinend handelte es sich um zwei von fünfzehntausend Flüchtlingen, die aus Syrien auf die Insel gekommen sind. Sie musste pro Kopf mehr Flüchtlinge aufnehmen als Italien oder Griechenland.«
Es wurde still am Tisch, und Bruno fragte sich, was aus diesem Europa werden würde, in das die Menschen mit so viel Hoffnung und Zuversicht gekommen waren. Schließlich fragte er: »Hat dieser Constant, der sein Büro mit Sarrail teilt, eine Zulassung? Er wird doch Steuern zahlen müssen, oder? Bieten seine Geschäftsunterlagen eine Spur, der Sie folgen könnten?«
»Ja und nein«, antwortete Goirau. »Er ist nur ein Agent, der an Provisionen verdient, und arbeitet für Versicherungsgesellschaften in ganz Europa, großen Unternehmen wie AXA oder Allianz, aber auch kleineren, regionalen. Davon gibt es allein in Luxemburg, wo Constant offiziell wohnt und seine Steuern bezahlt, mehr als hundert. Und über zweihundert haben ihren Sitz auf Zypern. Eine von ihnen gehört Stichkin oder genauer gesagt: Sein Investmentfonds besitzt Anteile, die ihm die Möglichkeit verschaffen, Kontrolle auszuüben.«
»Worin liegt das Problem mit Stichkin?«, wollte Jean-Jacques wissen. »Sie sagten, er habe Russland mit seinem Geld verlassen und eine europäische Staatsbürgerschaft erworben. Soweit ich weiß, steht er nicht auf unserer Sanktionsliste. Halten ihn unsere Behörden für sauber?«
»Das tue ich jedenfalls nicht«, erwiderte Goirau. Er erklärte, dass Stichkin noch eine Menge Geld auf russischen Banken zurückgelassen, aber nicht abgeschrieben hatte. So halte er noch beträchtliche Anteile an Banken und Versicherern und an einem Unternehmen, das Nickelmetall verarbeitete, sowie an mehreren großen Autohandelsfirmen.
»Er wird Milliardär sein. Der Kreml könnte ihn gehörig unter Druck setzen, was vielleicht seine entschiedene Parteinahme im Ukraine-Konflikt erklärt«, fuhr Goirau fort. »Außerdem hat er in Russland noch Familie, einen jüngeren Bruder, Nichten und Neffen. Auch darüber könnte er gefügig gemacht werden. Da er aber gebürtiger Ukrainer und kein Russe ist, war er für uns bislang kein Prüfungsfall. Er genießt in Europa alle Freiheiten, die der Kreml vielleicht zu nutzen versucht. Es würde mich wundern, wenn er ihm nicht weiter gefällig ist, und sei es nur, um sein in Russland verbliebenes Kapital zu schützen. So hält der Kreml seine Oligarchen bei der Stange. Dafür gibt es etliche Beispiele. Es sind nicht wenige ins Gefängnis gekommen oder gestorben, manchmal unter mysteriösen Umständen. Stichkin scheint Putin aber immer noch nahezustehen. Und wie die meisten Diktatoren vertraut der mit zunehmendem Alter nur noch Familienangehörigen oder alten Freunden.«
»Wenn ich richtig verstanden habe, geht es in dieser Stichkin-Angelegenheit um sehr viel mehr als um eine Seniorenresidenz«, sagte Bruno.
»Natürlich, und um sehr viel mehr als französische Steuern. Es gefällt uns nicht, dass kleine Länder wie Zypern und Malta Aufenthaltsvisa und Pässe meistbietend verkaufen. Aber wenn wir ein bisschen aufräumen und auf einheitliche Regelungen für Europa drängen wollen, brauchen wir handfeste Indizien, um unsere Partner zu überzeugen.«
»Und Sie rechnen damit, solche Indizien zu finden?«, fragte Jean-Jacques in einem Unterton, der in Bruno den Verdacht aufkeimen ließ, dass Jean-Jacques und Goirau dieses Gespräch inszeniert hatten. Vielleicht wurden auch andere auf diese Weise gebrieft.
»Wir sehen da mehrere Möglichkeiten. Wenn sich Stichkin Sorgen machen muss, dass ihm der Kreml Schwierigkeiten bereitet, bittet er uns vielleicht um Schutz und erzählt uns alles, was er weiß. Oder wir finden hinreichende Beweise für Geldwäsche und andere Straftaten, mit denen wir ihn unter Druck setzen können. Ideal wäre, wenn jemand aus seinem Team dazu gebracht werden könnte, uns mit Hinweisen auf seine Aktivitäten zu versorgen. Ist vielleicht nicht ganz sauber und wahrscheinlich gefährlich, aber für uns perfekt.«
Goirau genoss einen Schluck aus seinem Glas und richtete seinen Blick von Jean-Jacques auf Bruno. »Schließlich gäbe es da noch einen persönlichen Ansatzpunkt. Er hat nur ein Kind, eine Tochter, die am Pariser Konservatorium Musik studiert. Und junge Leute scheinen dieser Tage ein ziemlich wildes, unangepasstes Leben zu führen.« Wieder legte er eine Pause ein, schüttelte den Kopf und setzte eine bedeutungsvolle Miene auf. »Sex und Drogen – so viele Risiken.«
Mon Dieu, dachte Bruno. Er ahnte, was nun kommen würde, und das gefiel ihm nicht. Goirau konnte nur Galina meinen. Aber statt ihren Namen zu nennen, sagte Bruno: »Wir leben in einem Rechtsstaat, der unbescholtene Bürgerinnen und Bürger vor Willkür und Übergriffen behördlicherseits schützt. Ich vermute also, Sie denken an diesen windigen notaire, an Sarrail. Aus dem wollen Sie einen Informanten machen?«
Goirau schnaubte. »Ich mag solche Ausdrücke nicht. Sprechen wir doch lieber davon, diesen Monsieur an seine bürgerlichen Pflichten zu erinnern und um Hilfe zu bitten.« Der auf Bruno gerichtete Blick seiner hellblauen Augen nahm an Intensität zu. »An dieser Stelle hätten Sie die Möglichkeit, uns zu helfen, Bruno«, sagte er. »Ihre Aufgabe wäre es, im Namen von Driants Kindern Erkundigungen einzuziehen und Kopien von relevanten Dokumenten zu verlangen. Ich will sachdienliche Hinweise, die erkennen lassen, inwieweit Sarrail in die Eigentumsverhältnisse der Seniorenresidenz eingebunden ist. Als notaire, der Driants Hofverkauf beurkundet hat, und als mutmaßlicher Anteilseigner an diesem Château stünde er in einem Interessenkonflikt, der Driants Kindern die Möglichkeit gäbe, ihn wegen Untreue vor Gericht zu bringen.«
Goirau beugte sich über den Tisch und ergriff Brunos Hand. »Übrigens hat mir sehr gefallen, wie Sie in dieser Sache unsere Tierschutzbestimmungen ins Spiel gebracht haben. Wirklich sehr einfallsreich von Ihnen. Aber Sie könnten noch weitergehen. Sie haben da einen ausgezeichneten Hebel, und ich hoffe, Sie werden ihn ansetzen.«
»Um einen Vergleich aus der Jagd heranzuziehen«, erwiderte Bruno, »Sie wollen, dass ich das Wild vor Ihre Büchse treibe. Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Das ist etwas dramatisch ausgedrückt, Bruno, aber ja, so etwas in der Art erwarte ich von Ihnen. Und nicht nur ich erwarte das, sondern auch der Finanzminister. Auch das Innenministerium interessiert sich für Stichkin, und zwar aus Sicherheitsgründen. Und vergessen Sie nicht, welche Rolle er in der Ukraine spielt. Ihre Freunde von der piscine wären ebenfalls sehr interessiert«, fügte er hinzu und benutzte den umgangssprachlichen Begriff für den französischen Geheimdienst, der darauf zurückging, dass dessen Zentrale in der Nähe des Schwimmstadions der französischen Fédération Française de Natation gelegen war.
Goirau lehnte sich mit selbstgefälliger Miene zurück. »Wie sich herausgestellt hat, haben wir in General Lannes einen gemeinsamen Bekannten. Wir arbeiten seit einiger Zeit immer häufiger zusammen, da fiskalische Angelegenheiten häufig auch Fragen der nationalen Sicherheit betreffen.«
»Unser alter Freund, der Brigadier«, sagte Jean-Jacques und verdrehte mit Blick auf Bruno die Augen, als wollte er damit andeuten, dass ihn die Verbindung zu General Lannes überraschte.
»Rufen Sie ihn an, Bruno«, sagte Goirau. »Ich soll Ihnen von ihm ausrichten, dass er Ihrem Bürgermeister wieder einmal geschrieben hat und darum bittet, Sie für Aufgaben des Ministeriums freizustellen. Er lässt übrigens herzlich grüßen. Ihre Mitarbeit wird also von den Bestimmungen der Notstandsverordnung gedeckt. Das heißt, Sie brauchen mit Durchsuchungsanträgen keine Zeit zu verlieren.«
Bruno holte tief Luft, schaute von Jean-Jacques zurück auf Goirau und seufzte. Dann hob er sein Glas, nippte daran und überlegte, was er antworten sollte.
»Ihre Ausführungen haben mir bestätigt, dass ich mit meinem Verdacht gegen Sarrail und Constant nicht falschlag. Natürlich bin ich bereit zu helfen«, sagte er. »Aber dazu brauche ich noch etwas von Ihnen. Ich möchte, dass die Aufzeichnungen aller Überwachungskameras in der Rue du Président Wilson gesichtet werden und dabei nach einer jungen, großgewachsenen schlanken Frau mit dunklen Haaren gesucht wird. Sie ist wahrscheinlich arabischer Herkunft, nennt sich Lara Saatchi und arbeitet für Constant. Sie fährt ein blaues Beetle-Cabrio, und ich wette, dass sie es regelmäßig in der Tiefgarage an der Ecke abstellt. Dort befinden sich, wie ich weiß, ebenfalls Überwachungskameras. Ich habe einen Zeugen, der sie mit Driant auf dessen Hof gesehen haben will, und zwar kurz vor seinem Tod. Diesem Zeugen würde ich gern Bilder von ihr vorlegen. Und ich will, dass die Kriminaltechnik auf Driants Hof nach Spuren von ihr sucht.«
»Aber Driant ist doch eines natürlichen Todes gestorben, an Herzversagen«, sagte Jean-Jacques. »Und sein Leichnam wurde verbrannt.«
»Die Todesursache ist nicht eindeutig geklärt. Deshalb will ich, dass dieser Hof durchsucht wird.« Bruno riss eine Seite aus seinem Notizbuch, schrieb die Nummer von Driants Handy darauf und reichte sie Jean-Jacques. »Bitte beschaffen Sie mir eine Auflistung aller Verbindungen dieses Anschlusses während der letzten drei Monate bis zu seinem Tod. Ich habe bei einer Staatsanwältin aus Sarlat einen entsprechenden Antrag gestellt, aber offenbar reichen Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen nicht, um eine Telefonabfrage zu rechtfertigen. Und was diesen Constant betrifft … Hier ist die Nummer seiner Firmenkreditkarte, ausgestellt auf Lara Saatchi.«
Als er auf die herausgerissene Seite auch ihren Namen, ihre Telefon- und Kreditkartennummer geschrieben hatte, sah er Goiraus Augen aufleuchten.
»Damit müssten Sie in der Lage sein, einen Blick auf Constants Konten zu werfen. Und eins noch …«, fügte Bruno hinzu. »Am Pariser Konservatorium studiert tatsächlich eine sehr talentierte Flötistin ukrainischer Herkunft. Ihr Name ist Galina. Sie hält sich zurzeit mit mehreren Kommilitonen in Saint-Denis auf. Sie wollen an Musikveranstaltungen in der Region teilnehmen. Angeblich begleitet die junge Frau ein Cousin, der für mich aber wie ein professioneller Bodyguard aussieht. Könnte es sein, dass sie im Zusammenhang mit Ihren Ermittlungen steht?«
»Sie ist Stichkins Tochter«, antwortete Goirau. »Interessant, dass Sie sie schon kennengelernt haben.«
»Ihr Freund ist mir seit langem bekannt, ein guter Musiker und anständiger Kerl. Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, muss ich darauf drängen, dass Galina außen vor bleibt«, sagte Bruno. Er faltete seine Serviette und stand auf. »Vielen Dank für das Essen. Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss jetzt einen Freund im Krankenhaus besuchen.«