VON AMREI THIEß
»Petra hat gesagt, sie hätten den auffälligsten Campingwagen auf dem ganzen Platz. Und dass wir keine Probleme bekämen, sie zu finden«, meinte Grit und tänzelte freudig auf den Zeltplatz zu. Hier, auf dem Campingplatz Kukuk am Klein Pritzer See, war sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gewesen.
»Dann kann es ja nur dieser sein«, sagte Erik und zeigte nach links. Zwischen all den weißen Wohnmobilen und Anhängern gab es ein Fahrzeug, an dem einfach der Blick hängenblieb.
Es war über und über mit riesigen Fischen bemalt, witzig glotzenden Fischen, die Schmatzmäuler hatten, als wären es Scheibenputzerfische. Wenn man sie anguckte, hatte man das Gefühl, man würde gleich geknutscht.
»Der sieht toll aus«, sagte Grit und lief gleich schneller auf den bunten Kasten zu. Als sie herangekommen waren, hörten sie Stimmen aus dem Innern des Wagens.
»Ich erkenne Petras Stimme!« Grit war aufgeregt. Wie sehr sie sich auf das Wiedersehen freute! Schnell klopfte sie. Sofort wurde es leise im Wagen. Etwas knackte, nach einer kurzen Verzögerung ging die Tür ruckartig auf, und da war sie: Petra, Grits beste Freundin. Dass sie jetzt so weit entfernt wohnte, in der Schweiz nämlich, und sie sich so selten sahen, tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch, sie telefonierten jeden Monat.
»Kuckuck!«, rief Petra und kicherte wie über einen besonders gelungenen Witz. Dann fiel sie Grit um den Hals und drückte sie, dass ihr fast die Luft wegblieb.
»Mensch, siehst du gut aus, so braun gebrannt und erholt«, sagte Grit. »Als wärst du schon zwei Wochen hier!«
»Habt ihr euch ein bisschen umgesehen?«, fragte Petra. »Ist alles ganz anders als früher in Kukuk! Haste gesehen?«
Grit befreite sich aus der engen Umklammerung und antwortete: »Nein, kein bisschen. Haben bloß den Wagen abgestellt und dann gleich nach euch gesucht. Aber ich hab im Internet gelesen, dass es einen Minigolfplatz gibt und ein Westernrestaurant und was nicht alles.«
»Da ist manchmal richtig Stimmung! Linedance kannste da gucken!«
»Ja, das hab ich auch im Internet gelesen. Muss ich sehen!«
Petra klopfte ihr auf die Schulter und grinste übers ganze Gesicht.
»Mensch, ich freu’ mich so«, sagte sie.
Im Türrahmen tauchte jetzt Frank auf, mit dem Petra seit drei Jahren verheiratet war. Gut sah er aus, wie alle Männer, die Petra je gehabt hatte.
»Auf unser Wiedersehen müssen wir anstoßen. Rate mal, was wir trinken werden?«, fragte Petra und zeigte auffällig ins Innere des Wohnwagens. Grit sah auf dem Tisch eine Tüte Milch und daneben waren drei Flaschen aufgereiht: Zitronenlikör, Wodka und Weinbrand.
»Weißer Traum!«, rief sie aus. »Das hab ich seit Wismar nicht mehr getrunken. Oh, das ist gefährlich!«
»Eisgekühlt, hab ich eben erst rausgenommen«, sagte Petra und holte die Flaschen und die Milchtüte. Die Männer sahen zu, wie sie den Weißen Traum mixte.
»Milch mit Zitronenlikör, Wodka und Weinbrand?« Frank staunte. »Davon hast du noch nie erzählt.«
»Gab es in der Milchbar in Wismar«, erklärte Petra. »Wo Grit und ich uns kennen gelernt haben. In Wismar ist dieser Drink legendär. Auf die Freundschaft!«
Sie reichte allen ein Glas. Die Männer nippten vorsichtig. Grit wartete noch und beobachtete Petra, wie sie die Augen beim ersten Schluck schloss und lächelte. »Wie in alten Zeiten!«
Dann trank Grit selbst. Es war köstlich. »Wie konnte ich nur den Weißen Traum vergessen!«, rief sie aus.
Sie setzten sich auf die vor dem Wohnwagen stehenden Campingstühle und genossen den Cocktail, doch Petra erhob sich gleich wieder und zeigte auf einen Karton, der neben dem Wohnwagen stand.
»Weißt du, was ich dir mitgebracht hab?« Sie holte den Karton und öffnete ihn. »Denk mal nach. Was passt zum Ostalgietreffen in Kukuk? Na?« Sie hob einen Kochtopf aus dem Karton.
»Nein!«, rief Grit aus und hatte sofort einen Verdacht, was in dem Kochtopf sein könnte. Sie beugte sich vor und richtig: Drei leere Weckgläser standen darin, am Boden des Topfes lagen neue Weckringe.
»Weißt du noch, wie du immer Pilze eingeweckt hast?«
Natürlich, so etwas vergaß man doch nicht! Damals, in der DDR, hatte es keine Pilze in den Kaufhallen gegeben. Grit hatte im Urlaub welche gesammelt und sie direkt auf dem Campingplatz eingeweckt, auf dem Elektrokocher. Die Beute hatte sie dann nach Hause mitgenommen, in vielen Gläsern, gut verpackt im Kofferraum. Grit lächelte. »Ich kauf’ meine Pilze jetzt im Laden. Im Urlaub möchte ich mich erholen und nicht Pilze putzen und in Gläser stecken!«
»Ach komm«, sagte Petra lachend. »Es sind nur drei Gläser. Das macht doch nicht viel Arbeit. Soll ja nur ein Gag sein. Wir wollten doch hier alles wie früher machen. Ostalgie-Camping! Da gehört das Kochen dazu.«
»Na gut«, sagte Grit. Pilzesammeln hatte ihr schon immer großen Spaß gemacht. Nur das Putzen der Pilze inklusive Einwecken hatte sie immer genervt. Aber die drei Gläser würden ja im Nu voll sein.
»Weißt du, wer auch hier ist?«, fragte Petra.
Grit hatte keine Ahnung.
»Inga ist da, stell dir vor!« Grit wäre vor Schreck beinahe das Glas aus der Hand gefallen, aber Petra bemerkte nichts und redete fröhlich weiter. »Sie fährt tatsächlich seit zehn Jahren wieder nach Kukuk. Ein richtiger Campingfreak ist sie geworden. Warte mal. Sie steht sogar genau neben euch. Der Wagen mit dem roten Streifen, siehst du?«
Grit schaute hinüber, war aber mehr damit beschäftigt, sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen. Hätte sie gewusst, dass Inga da war, wäre sie nicht gekommen. Verstohlen beobachtete sie Erik, ob er bei Ingas Namen reagierte.
Pokerface, er hatte ein Pokerface. Nichts zu sehen.
Grit lächelte und bemühte sich, die Fassung zu wahren. Hoffentlich sah man ihr nichts an. Sie würde ihre Hände festhalten müssen, wenn Inga auftauchte. Damit sie ihr nicht ins Gesicht schlug. Seit Jahrzehnten verfolgten sie die Bilder von damals: Der Bootssteg, wo ihr nackter Mann mit einer ebenso nackten Frau beschäftigt war. Kaum war Grit am Anfang des Stegs erschienen, war die Frau nixengleich im Wasser verschwunden. Inga!
Und jetzt tauchte die wirklich auf und nahm auch einen Weißen Traum. Wie schön sie immer noch aussah! Inga war einfach etwas Besonderes. Langes, lockiges Haar, um das Grit sie früher schon beneidet hatte. Gute Zähne, auch das etwas, wovon Grit nur träumen konnte. Gealtert war sie kaum! Nicht zu fassen! Und wieder schaute diese Schönheit Erik so fest in die Augen. Grit hatte nach jener Nacht nur eins gewollt: Niemand sollte davon erfahren! Nicht einmal Petra hatte sie es erzählt, obwohl sie sonst keine Geheimnisse voreinander hatten. Sie spürte, dass sie schlürfte, und im nächsten Moment fiel ihr auf, dass der Weiße Traum schon alle war. So schnell hatte sie getrunken?
Inga und Erik. Und es ging schon wieder los. Inga stand jetzt auf und beugte sich über Erik hinweg, um an eine Verlängerungsschnur zu gelangen, in die sie eine Partylichterkette einsteckte. Ihre Brust berührte kurz seine Stirn, und er schloss die Augen.
»Ist noch zu hell für die Lichterkette«, sagte Inga, beugte sich noch einmal über Erik und zog den Stecker der Lichterkette wieder heraus. Auch dieses Mal schloss er die Augen, als ihre Brust seine Stirn berührte. Diese unverschämte Inga! Und offenbar war sie alleine hier, ohne Mann. Also war sie auf der Jagd, so wie früher.
»Noch einen?«, fragte Petra und zeigte auf Grits leeres Glas.
»Lieber nicht«, sagte sie und ließ sich stattdessen etwas Wasser einschenken. In einem einzigen Weißen Traum waren immerhin drei Schnäpse. Sie starrte Inga an, die fast in Eriks Augen versank und mit den Brüsten wackelte und lachte.
Diese unverschämte Person hatte ihr damals Weckgläser gestohlen. Wie durch Zauberhand verschwand stets ein Drittel der eingeweckten Pilze. War die nicht überhaupt kleptoman gewesen? Natürlich! Ein edler West-Badeanzug war von der Leine der Nachbarn verschwunden, ein Paar Sandaletten von Petra aus dem »Exquisit«, Größe 36, und genau diese Größe hatte auch Inga. Damals waren Gold- und Silbergürtel modern gewesen, man bekam sie in Polen auf dem Markt. Grits Silbergürtel war aus dem Zelt verschwunden. Inga nahm sich eben immer alles, was sie haben wollte. Und Erik würde sie sich auch wieder schnappen, bestimmt. Blitzartig sah Grit die beiden in ihrer Fantasie vor sich, auf dem Steg im Mondlicht. Ihren Mann und Inga, nackt, aufeinander, ineinander.
Oh nein, dieses Mal würde sie es nicht wieder so weit kommen lassen! Bloß, was sollte sie tun? Abreisen? Wie sollte sie das Erik beibringen?
»Ich geh mal ein bisschen spazieren«, sagte sie, stellte das Glas weg und entfernte sich. Erik bekam schon gar nicht mehr mit, dass sie ging, er hatte nur noch Augen für Inga!
Grit fiel in einen wütenden, stampfenden Gang und zwang sich dann aber, ruhig zu gehen. Sie lief zuerst ziellos umher, links am Klein Pritzer See entlang, rechts am Klein Pritzer See entlang, nahm eine Pension wahr, an deren Fassade »Zum Kukuk« stand, und wurde immer wütender. Vergessen war, dass sie sich das Westernrestaurant und den Minigolfplatz ansehen wollte. Sie sah gar nichts und grübelte nur.
Als sie sich langsam wieder zum Wohnwagen mit den schmatzenden Fischen schlich, musste sie sehen, dass Inga inzwischen Eriks Hand in ihrer hielt und offenbar versuchte, aus den Linien darin zu lesen.
Grit setzte sich wieder und nahm ihr Wasserglas auf.
»Wo warst du so lange?«, fragte Petra.
»Ich vertrag’ nichts mehr. Musste mir die Beine vertreten. Hab mich ein bisschen umgesehen. Und an die alten Zeiten gedacht. Mensch, das ist über zwanzig Jahre her, seit wir zuletzt hier waren.«
Petra nickte. »Jetzt kannst du hier reiten, und überhaupt ist mehr los. Morgen wollen wir nach Dabel. Kennst du das noch? Da steht doch diese Mühle, aus der sie immer im Radio die Plappermöhl gesendet haben.«
»Ich kann kein plattdeutsch«, sagte Grit. »Hab’ das nie gehört. Aber ich würde mitkommen, klar.«
Später lag sie auf dem Bett und starrte zum verdunkelten Fenster. Sie ließ den Abend Revue passieren, hörte in Gedanken noch einmal das Lachen, mit dem Inga seit jeher die Männer in ihren Bann geschlagen hatte.
Und dann fiel ihr der Kochtopf wieder ein. Plötzlich wusste sie, was sie tun würde.
»Du willst echt nicht mitkommen?«, fragte Erik am nächsten Morgen.
»Ich geh’ Pilze suchen. Ich hab’ so große Lust dazu. Da muss ich früh los, sonst kommen mir andere Sammler zuvor. Sag Petra, ich nehm’ ihr Fahrrad. Die schläft noch. Viel Spaß in Dabel!«
Erik schaute sie verwundert an. »Ich dachte, du hattest keine Lust, Pilze einzuwecken.«
»Das mit dem Einwecken stimmt«, sagte Grit. »Aber ich liebe das Sammeln. Und Petra hat ja extra die Gläser mitgebracht. Fährt Inga eigentlich mit nach Dabel?«
»Nein, sie hat gesagt, sie will ausschlafen.«
»Ach, na dann tschüss. Ich hab meinen Schlüssel mit, okay?«
Sie gab ihm einen Kuss und verließ den Wohnwagen. Jetzt war sie richtig beschwingt. Erik würde den Vormittag nicht mit Inga verbringen. Wunderbar! Sie ging zu dem Wohnwagen mit den aufgemalten Fischen und schnappte sich das Fahrrad, das dort an der Rückseite lehnte. Petra war seit jeher zu faul gewesen, ihr Rad anzuschließen, schon in Wismar hatte sie das nie getan. Seltsamerweise war es ihr nie geklaut worden.
Grit fuhr los, in die Richtung, wo sie das größte Waldgebiet vermutete. Es roch fast nach Herbst, jetzt, im Spätsommer, und natürlich gab es auch Pilze. Maronen und Pfifferlinge würde sie schon auftreiben. Aber einen Giftpilz? Sie trat in die Pedale und grübelte. Wovor war sie stets am meisten gewarnt worden? Dem Knollenblätterpilz natürlich. Aber der wirkte erst einen Tag später. Sollte sie Inga umbringen? Oder reichte es, wenn sie für die Zeit des Urlaubs aus dem Wege war?
Sie schlug jetzt einen Weg ein, der schmal und wenig betreten aussah. Ihre Blicke glitten über den Boden. Was war, wenn Inga die Pilze nicht stahl wie erhofft? Dann konnte sie sie ihr schenken. Natürlich konnte man dann vermuten, dass sie absichtlich einen Giftpilz daruntergemischt hatte. Aber beweisen konnte man es ihr nicht! Solange sie nichts zugab, war sie auf der sicheren Seite. Ob Erik ihr aber auch glauben würde? Sie wollte nicht, dass er hinter die Wahrheit kam. Sie seufzte. Hier am Weg wuchsen einfach keine Pilze. Sie musste sich ins Unterholz schlagen, wenn sie etwas finden wollte! Schnell schob sie das Fahrrad in ein Gebüsch und prägte sich die Stelle ein. Und nun ab in den Wald!
Einige Stunden später schaute sie den Gläsern im Kochtopf zu, die leise aneinanderklangen beim Einwecken. Sie hatte Pfifferlinge und sogar vier Steinpilze gefunden, dazu Maronen, Stockschwämmchen und Rotkappen. Sehr schön. Und einen Risspilz. Es sollte einer sein, von dem Inga sehr schnell schlecht werden würde. Nichts, was erst nach zwei oder drei Tagen wirkte wie beim Knollenblätterpilz. Als die Gläser fertig waren, trug sie sie nach draußen und stellte sie zum Abkühlen auf den Boden unter dem Wagen. Inga würde die Gläser von ihrem Fenster aus sehen können. Nun musste sie sie nur noch stehlen! Bislang hatte sich im Wagen gegenüber nichts gerührt. Grit spähte durch die Gardine. Aber Inga war schon immer viel zu gerissen gewesen, um sich erwischen zu lassen. Also verließ Grit möglichst lautstark den Wagen. Sie tat, als würde die Tür nicht richtig schließen, schlug sie heftig zu, schloss ab und ging zu den Toiletten. Da setzte sie sich auf einen Klodeckel und wartete. Wenn Inga doch nur zugreifen würde …
Aber sie griff nicht zu. Immer wieder schaute Grit auf die Gläser, doch stets waren alle vollzählig da. Erst am nächsten Morgen fehlte ein Glas!
Selbstverständlich gab es bei Grit an diesem Tag keine Pilze. Sie aß zusammen mit Erik eine Dose Kartoffelsuppe. Dann gingen sie Schwimmen, die letzten Augusttage hatten das Wasser noch einmal gewärmt.
»Was ist da denn los?«, fragte Erik und zeigte auf einen Krankenwagen, der auf dem Campingplatz stand.
»Keine Ahnung«, sagte Grit und tat uninteressiert. Doch Erik packte offenbar die Neugier, er schwamm an Grit vorbei Richtung Ufer, und ihr blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.
»Der steht ja vor Ingas Wagen!«, rief Erik.
Da fuhr der Krankenwagen schon wieder ab. Mit Blaulicht.
»Vielleicht hat sie eine Gallenkolik«, sagte Petra, die plötzlich neben ihnen stand.
Gemeinsam schauten sie dem Krankenwagen nach, der kurz darauf aus ihrem Blickfeld verschwand. Eine Weile sagte niemand etwas.
»Sie hat überhaupt nicht gut ausgesehen«, meinte Petra kopfschüttelnd, es klang sorgenvoll. »Der Arzt hat ein sehr ernstes Gesicht gemacht.«
Ein ernstes Gesicht machte allerdings auch Erik. Oder war es nachdenklich? Ob er sich doch daran erinnerte, dass Inga früher immer Weckgläser gestohlen hatte? Eigentlich hatte Grit nicht groß darüber gesprochen. Es waren so viele gewesen, und es war ihr nur aufgefallen, weil sie sie beim Einpacken aus Langeweile gezählt hatte. Möglicherweise hatte sie es Erik gegenüber niemals erwähnt. Oder doch?
»Auf den Schreck muss ich einen trinken. Du auch?«, fragte Petra.
»Na klar«, antwortete Grit.
Ihr war ein bisschen mulmig zumute. War die Pilzvergiftung doch ernster als gedacht? Sie wollte nicht, dass Inga starb. Sie wollte sie nur ein paar Tage lang aus dem Weg haben. Petras Geplapper würde sie ablenken.
Doch Petra war zunächst seltsam einsilbig. Das besserte sich erst, nachdem sie zwei Weiße Träume intus hatte. Grit staunte. Zwei Drinks. Das waren sechs Schnäpse! Das Gefährliche am Weißen Traum war ja, dass er so gut schmeckte und man so leicht vergaß, wie viel Alkohol man da in sich hineinschüttete. Eigentlich genau wie heute bei den Alko-Pops.
Grit setzte sich zu Petra und legte ihr den Arm auf die Schulter. Petra war schon immer sehr mitfühlend gewesen. Sicher machte sie sich Sorgen um Inga! Grit strich Petra übers Haar und hörte zu, was ihre Freundin ihr mit schwerer Zunge erzählte. Sie redete von früher. Grit brauchte nur noch zu nicken. Was das doch für eine ulkige Mode gewesen war, damals in den Achtzigern, mit diesen Karottenhosen und den Schulterpolstern.
»Heute findet man das hässlich. Aber wir sahen damals trotzdem scharf aus!«, sagte Petra lachend.
»Du besonders«, erwiderte Grit lächelnd und strich weiter über Petras Haar.
Irgendwann kauerten Frank und Erik am Heck des Wohnwagens und bestaunten gegenseitig ihre Angeln und das Zubehör.
Petra redete und redete. Grit spürte plötzlich, wie sie innerlich verkrampfte und die Hand von Petra zurückzog.
»Das mit Erik und mir damals, das weißte doch längst, oder?« Petra redete irres Zeug! Grit wurde heiß. Sie beobachtete die Männer mit den Angeln. Täuschte sie sich oder sah Erik irgendwie angespannt aus, als würde er lauschen?
Jetzt redete Petra von der Nacht auf dem Steg!
»Is ja so lange her. Haste mir doch nicht mehr übel genommen, oder?«
Grits Hände waren eiskalt. Ihre beste Freundin! Unglaublich! Konnte sie sich so geirrt haben? Petra hatte damals genauso lange Haare wie Inga gehabt. Dunkel und glatt. Doch die Haare der Nixe waren nass gewesen, das Licht spärlich trotz des hellen Mondes, da konnte man sich schon mal täuschen. Petra, ihre beste Freundin.
»Möchtest du eigentlich eins von den Pilzgläsern haben? Die gehören ja doch eigentlich dir«, hörte sie sich sagen.
Petra lächelte.
»Biste mir nicht böse? Ich bin so erleichtert!« Sie hing plötzlich an Grits Hals, umarmte sie, heulte sogar und atmete ihr heiß ins Ohr.
»Willst du nun eins von den Gläsern haben? Beste Freundinnen teilen doch alles.«
Petra nickte. Grit stand auf und ging zum Wohnwagen. Sie bückte sich und nahm die beiden verbliebenen Gläser auf. Welches sollte sie nehmen? Das größere! Da kam Erik plötzlich ungelenk auf sie zu und stieß sie an. Grit stolperte und musste die Gläser loslassen. Sie knallten auf den harten Weg, der neben dem Wagen zu den Waschräumen führte.
»Was hast du getan?«, rief sie ärgerlich.
»Was hattest du vor?«, flüsterte er leise in ihr Ohr und hielt sie ganz fest. Dann zog er sie in den Wagen und schloss die Tür.
»Frank kann doch wirklich nichts dafür. Er hätte aber mitgegessen. Und ich … Ich bin doch jetzt ruhiger geworden. Ich will doch gar keine andere Frau. Du musst keine Angst mehr haben.« Als Grit ihn nur anstarrte, fuhr Erik fort: »Inga hat eben aus dem Krankenhaus angerufen und vor den giftigen Pilzen gewarnt.«
Grit atmete tief durch.
»Sie hat zugegeben, dass sie dir ein Glas geklaut hat. Und sie war so nett, dass sie dich warnen wollte. Damit du dich nicht auch vergiftest. Und dass sie durchkommt, wollte sie sagen.«
Grit war gar nicht erleichtert, im Gegenteil. Die Eifersucht ließ ihr Herz sofort wieder schneller schlagen. »Sie hat dich angerufen? Woher hat sie deine Handynummer?«
»Sie hat meine Handynummer nicht«, antwortete Erik. »Sie hat auf Franks Handy angerufen. Das war ihm gar nicht angenehm, das kannst du mir glauben. Aber Petra ist so betrunken, dass ihr das nicht aufgefallen ist.«
Grit schwieg. Mechanisch ging sie nach draußen, setzte sich neben Petra und strich ihr wieder übers Haar. Sie konnte einem wirklich leidtun, dachte Grit.