Spaten

Heimaterde

VON FRANZISKA STEINHAUER

 

In der dunkelsten Stunde krochen sie aus ihren Häusern und versammelten sich.

Bewaffnet mit Äxten, Steinen, Motorsägen.

Hannah lag zitternd im Bett, die Decke bis über den Kopf gezogen.

Scherben klirrten, Äxte hackten auf das Tor ein und verschafften dem Mob Zutritt zum Garten, voller Entsetzen hörte sie, wie die Motorsäge arbeitete. Meine Linde, dachte sie verzweifelt, schluchzte bitter, meine wunderschöne Linde.

Gert saß aufrecht in seiner Hälfte des Bettes und telefonierte mit der Polizei.

Der Spuk war so plötzlich vorbei, wie er begonnen hatte.

Die Ruhe erschien Hannah fast unheimlicher, als der ohrenbetäubende Lärm zuvor.

»Los, steh auf! Lass uns nachsehen, was die Vandalen angerichtet haben!«, knurrte Gert und riss ihr erbarmungslos die Decke weg.

Das Erdgeschoss bot ein Bild der Verwüstung.

Unter Hannahs Schuhen knirschte es bei jedem Schritt.

Im Schein der Taschenlampe offenbarte sich, warum das Licht sich nicht einschalten ließ: Alle Lampen waren zu Bruch gegangen. Das Geschirr in den Einbauschränken der Küche – unbrauchbar. Die teure Espressomaschine hatte wohl ein gezielter Wurf zertrümmert und von der Arbeitsfläche gefegt.

Als die Polizei endlich eintraf, war Gert schon tot.

Hannah blieb einsam und verlassen im Chaos zurück.

Ein Schreiner sicherte die Fenster mit Holzplatten. Nun war es völlig dunkel im Erdgeschoss. So finster wie in Hannahs Seele. Sie wusste kaum, auf wen sie wütender sein sollte, auf den Mob oder auf Gert.

Wenige Tage später stand sie hasserfüllt an seinem Grab.

Am liebsten hätte sie ihm etwas Unfreundliches, ja Kränkendes hinterhergeschrien. Zwecklos.

Er hatte ja schon zu Lebzeiten nie auf sie gehört.

Herzinfarkt.

War ja eigentlich kein Wunder, bei dem Stress. Dass er den selbst angezettelt hatte, spielte keine Rolle, davon war die Schädlichkeit nicht abhängig. Als er ihr an jenem Nachmittag erklärt hatte, er würde das Haus verkaufen, traf sie das tief. Mehr als die Hälfte ihres Lebens lebte sie nun hier, hielt das Haus in Ordnung und den Garten in Schuss. Hegte ihre Lieblingspflanzen und genoss die Sommertage im Schatten ihrer schönen Linde, die sie vor dem Straßenbau gerettet hatte, als der Baum noch ein winziger Setzling war, dem man noch nicht einmal die Linde ansehen konnte.

Verkauft!

Ohne ihr Einverständnis.

Vom juristischen Standpunkt aus betrachtet, hatte Gert deutlich gemacht, sich lasziv zurückgelehnt, die Arme zu voller Spannweite auf der Rückenlehne der Couch ausgebreitet, brauche er das auch gar nicht. Er sei der alleinige Besitzer von Haus und Garten.

»Eine einmalige Gelegenheit! Die zahlen weit mehr, als das Gemäuer hier wert ist!«, hallte es noch immer in ihren Ohren nach. »Wir haben ausgesorgt.«

Gert hatte den Handel am Ende mit seinem Leben bezahlt.

Hannah seufzte.

Schüttelte unbeteiligt Hände der kondolierenden Brieskowitzer.

Heuchler! Schlimmer noch: Mörder!

Die Neuigkeit hatte sich in Windeseile im Ort herumgesprochen.

Hannah und Gert verkaufen.

Waren Verräter.

Als man Hannah beim Bäcker nicht mehr bediente, fauchte Gert: »Nicht mit mir! Ich bring die Brötchen nachher mit.«

Doch er brachte keine mit. An jenem Tag nicht und auch an keinem anderen mehr.

Das Leben wurde komplizierter.

Der vorläufige Gipfel war eine an die Garage gesprayte Nachricht: »Verräter verschwindet!«

Gert bearbeitete den Schriftzug mehrere Tage. Ganz zu entfernen waren die bösen Worte nicht mehr.

Weder von der Wand noch von der Seele.

Gert behauptete, die anderen plage nur der schiere Neid, denn ab dem Verkauf des ersten Hauses an den Energiekonzern war der Bann gebrochen, und die Grundstücks- und Hauspreise würden nun rapide sinken, mit jedem weiteren »Abtrünnigen« verfielen die möglichen Erlöse für die ewigen Zauderer.

Hannah litt schweigend.

Niedergeschlagen saß sie oft stundenlang im Wohnzimmer auf der Couch und starrte auf die Mattscheibe des Fernsehgeräts, das sie nicht eingeschaltet hatte.

Ihr Hausarzt riet zu Bewegung an der frischen Luft.

Ausgedehnte Spaziergänge mochte sie aber weder im Dorf noch in dessen Umgebung unternehmen, seit man vor kurzem einen schwarzen, riesigen Hund auf sie gehetzt hatte, der nur deshalb nicht gebissen hatte, weil er mit »Fass die Verräterin!« wohl nichts anzufangen wusste.

Gert, unerschütterlich wie ein Fels, verkündete, man dürfe sich nicht unterkriegen lassen. Sowie der Betrag auf seinem Konto eingegangen sei, würden sie sich eine gemütliche Wohnung suchen.

Aber es sollte anders kommen.

Gert klagte nun häufig über Schmerzen in der Brust.

»Das ist auch kein Wunder, bei dem Ärger.«

»Den hättest du uns ganz leicht ersparen können!«, erinnerte ihn Hannah wütend.

»Dieses Dorf wird abgebaggert! Alle, die es wollen, werden umgesiedelt oder entschädigt, den anderen frisst der Bagger das Land einfach unter dem Arsch weg! Es gab keine Alternative. Begreif das doch endlich!«

Und Hannah gab sich Mühe.

Wenn sie durch die Straßen fuhr, dachte sie daran, dass man nun bald all diese Häuser abreißen würde. Machte sich klar, dass niemand in Brieskowitz bleiben konnte.

Den Schmerz über den Verlust ihres eigenen Zuhauses half das nicht zu überwinden.

 

Ihre einzige Stütze in dieser Zeit war Julia.

Ein paar Tage nach Gerts Beisetzung brachte sie einen Stapel Fotos mit.

»Hier, sieh mal! Dieses Schmuckstück steht in Frauendorf. Nach Cottbus fährt man etwa zehn bis zwanzig Minuten. Sind nur sechs Kilometer.«

Julia blätterte die Bilder auf den Tisch.

Ein Häuschen, verwunschen, gerade groß genug für eine Person. Gelb gestrichen mit grünen Fensterläden.

Hannah blieb skeptisch.

»Und nun der Garten!«, verkündete die Freundin.

»Oh! Der ist ja wirklich unglaublich schön!«, seufzte die Witwe.

»Das Haus gehört einer Bekannten von mir.«

»Es gibt es doch sicher noch mehr Interessenten«, meinte Hannah und klang schon nicht mehr ganz so ablehnend.

»Sicher. Aber für dich wäre es perfekt.«

Hannah sagte weinerlich: »Ich wollte in Brieskowitz in Ruhe alt werden und irgendwann sterben.«

»Gert hat das Haus verkauft. Du bekommst Morddrohungen«, erinnerte sie Julia. »Du kannst nicht bleiben.«

»Er hat verkauft. Andere werden schon sehr bald seinem Beispiel folgen. Ich glaube nicht, dass Gert ahnen konnte, mit welch ungerechtfertigtem Hass ihm der Ort begegnen würde. Diese geldgierigen Heuchler!«, fauchte Hannah, bebend vor Zorn. »Brieskowitz hat meinen Mann umgebracht!«

Julia schüttelte energisch den Kopf. »Das war er schon selbst. Er war gierig und das wurde ihm zum Verhängnis.«

Hannah schluchzte. »Sie wollen mich auch am liebsten tot sehen! Diese Schweine haben mein Leben zerstört!«

Julia legte beruhigend ihre Hand auf Hannahs Arm. »Hör auf rumzusitzen. Nimm dein Leben in die Hand.«

Hannah seufzte ergeben.

Was wusste Julia schon vom Witwe sein.

Sie war ihr ganzes bisheriges Leben nur Tochter gewesen.

Nicht einmal zu einer Verlobung hatte es je gereicht.

»Wir könnten uns das Häuschen doch morgen mal ansehen? Ich hole dich ab und wir fahren zusammen hin.«

Zögernd stimmte die Witwe zu.

 

Als sie am nächsten Morgen zu Julia ins Auto stieg, spürte diese sofort den Schwall mieser Laune, der Hannah umwaberte.

»Der ganze Anrufbeantworter ist voll«, stöhnte sie. »Stirb! Warum bist du noch nicht tot? Spring vor einen Zug! Lauter tolle Ratschläge aus der Nachbarschaft.«

Je weiter sie sich von Brieskowitz entfernten, desto mehr hellte sich die Stimmung auf.

Das Häuschen hatte einen ganz eigenen Charme, dem sich die Witwe nicht entziehen konnte. Vier Räume von nahezu quadratischem Zuschnitt, Bad und Toilette getrennt, eine Küche mit moderner Ausstattung. Genau nach Hannahs Geschmack. Der Garten lockte mit romantischen Ecken und einer üppigen Linde, die fast so schön war wie die, die nun Opfer der sinnlosen Zerstörungswut der Brieskowitzer geworden war.

Drei Wochen später schon war der Kauf perfekt.

Und am Ende einer weiteren Woche konnte Hannah mit ihrer Freundin im neuen Wohnzimmer feierlich auf einen neuen Lebensabschnitt anstoßen.

Würde sich nun alles zum Guten wenden?

Das Schicksal hatte anderes vorgesehen.

 

»Kommen Sie doch heute zu meinem Kaffeekränzchen«, lud Heidelore Kantz Hannah ein. »So lernen sie gleich mit einem Schlag das halbe Dorf kennen – und den gesamten Dorftratsch!«

Die Nachbarin hatte nicht übertrieben.

Der Neuzuzug staunte nicht schlecht, als sich etwa zehn Frauen ihres Alters um die lange Kaffeetafel versammelten. Nach der allgemeinen Vorstellung kehrte man schnell zu den wichtigen Themen zurück.

»Meine Linda ist krank. Stellt euch nur vor, die Ärmste hustet! Ganz schrecklich sieht das aus. Sie kauert dann am Boden und reckt keuchend den Kopf weit vor. Das klingt so entsetzlich. Beim ersten Mal dachte ich schon, sie erstickt«, erzählte Claudia Anders aufgeregt, und ihre langen Ohrringe klimperten.

Hannah dachte an Asthma. Wie bei Gert.

Stellte sich ein blondes Mädchen vor, das in einer zugegebenermaßen eigenartigen Körperhaltung hustete. Wahrscheinlich handelte es sich um Claudias Enkelkind. Kleine Kinder konnten schon mal theatralische Gesten wählen.

»Oh! Bertram hatte das auch mal. Spuckt sie auch dabei?«, erkundigte sich die Gastgeberin.

»Nein, ich glaube nicht.« Claudia war verunsichert und strich sich mit ihren langen roten Fingernägeln eine blonde Strähne hinter das Ohr.

»Na, ich sage dir! Mit Bertram bin ich zum Arzt gefahren. Spulwürmer!«

»Spulwürmer?«, meldete sich Lisbeth pikiert zu Wort. »Ich hoffe, die sind weg und konnten nicht übergreifen!«

»Selbstverständlich konnten sie das nicht! Zu meiner Zeit hat man noch gelernt, sich gründlich die Hände zu waschen!«

Maria Planter steuerte eine Erläuterung über den Entwicklungsweg dieser speziellen Würmer bei: Über den Magen in die Lunge, dann abgehustet und wieder verschluckt, und der Kreislauf beginnt von vorn.

Hannah sah etwa ratlos von einer zur anderen.

Seltsame Themen wählte man hier für ein Kaffeekränzchen.

Inge lud sich schon das zweite Stück Torte auf den Teller während sie erklärte: »Wenn mein kleiner Schatz sich mal erbricht, kontrolliere ich immer!«

Die Neue schauderte.

Das war eben Frauendorf.

»Petra hatte eine Magenverstimmung.«

»Deine Petra ist zu dick! Wenn sie vor ihrer Zeit stirbt, liegt das an deiner Mästerei. Ich sage nur: Diabetes!«

»Was soll ich denn tun. Ihr glaubt ja gar nicht, was die alles anstellt, wenn sie Hunger hat.«

Hannah war plötzlich froh, keine Kinder zu haben – und keine Enkel.

 

Am nächsten Tag ging sie mit Julia spazieren.

»Hat dir schon jemand vom Schloss des Gutsherrn erzählt? Ich zeig dir die Geheimnisse deiner neuen Heimat!«

Julia führte sie in ein kleines Waldstück.

»Gestern war ich zum Kaffee eingeladen. Lauter Frauen in meinem Alter mit nur einem Thema: die Enkel.«

Julias Schritt stockte.

Sie kicherte. »Herrjeh. Das hast du falsch verstanden. Sie reden gern über ihre Katzen! Die Damen sind ganz vernarrt in ihre Lieblinge!«

Hannah war beinahe erleichtert. »Und ich dachte schon, was für eine komische Art haben die Menschen hier, über ihre Enkel zu sprechen!«Schweigend gingen sie weiter.

Lange hörte man nur ihre Schritte.

»Sieh mal! Hier war das Schloss von Franz Hitze. Er hat eine Bilderbuchkarriere gemacht, es mit seinen Weinverkäufen zum Millionär gebracht. Das Geld hat er hier investiert und ein tolles Schloss gebaut. Eine großzügige Anlage, sogar mit einem hohen Turm mit Spitze. Stallungen gab es ebenfalls, diesen Pavillon und noch mehr. Leider wurde das ›Rittergut‹ 1983 abgerissen.«

Hannah sah sich um.

Tatsächlich war vom Schloss nichts mehr zu erkennen.

»Der Teich wurde von ihm angelegt – und das dort«, Julia wies mit dem Finger auf ein ungewöhnliches Gebäude, »das ist der Teepavillon. Der Eiskeller ist auch noch erhalten.«

»Hu!« Hannah fuhr zusammen. »Bei Eiskeller muss ich immer an den Krimi von Minette Walters denken – mit einer Leiche in so einem Ding.«

Die Freundin lachte. »Lies doch mal eine gute Biografie! Dann schläfst du sicher auch wieder besser.«

Julia führte sie weiter.

Der Wald trat zurück.

Dominiert wurde die Lichtung von einem Rundbau ohne Fenster mit einer Kuppel, die von mit der Mauer verschmelzenden Säulen getragen wurde.

»Was ist das?«, hauchte Hannah beeindruckt.

»Das ist das Mausoleum der Hitzes.«

»Er ist dort bestattet?«

»Nein. Dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht von Stöhnen, Wimmern und Jammern an diesem Ort. Gespensterglaube mit Gänsehautfaktor.«

In einem Rund waren große Steinplatten aufgestellt.

»Kann man es betreten?«, flüsterte die Witwe.

»Nein. Es ist abgeschlossen. Bestimmt fürchtet man Vandalismus!«

»Ich glaube, man ist so berührt von diesem Ort, weil man unerwartet auf ihn trifft. Mitten in dieser üppigen Vegetation, im Zentrum der Vogelgesänge und dem Geschrei der Krähen ein Mausoleum!«

»›Stätte der Stille und des Schweigens‹ hat er diesen Ort genannt.«

»Und von diesem berühmten Frauendorfer ist kaum mehr etwas geblieben!«, seufzte Hannah.

»Den Pavillon zeige ich dir noch – und an manchen der Häuser sind noch seine Initialen zu sehen. An der Stallgebäuden. Na, komm!«

 

An jenem Nachmittag verschwand Lukas.

Simone Vogelsänger war untröstlich.

»Kommt es nicht öfter vor, dass Kater mal streunen?«, fragte Hannah. »Der steht sicher in ein paar Tagen wieder vor der Tür und hat einen Bärenhunger!«

Doch so war es nicht.

Zwei Tage später wurde auch Linda von ihrem Frauchen vermisst.

Gerüchte über einen fremden Kleintransporter machten die Runde. Katzenfänger! Zum Glück bestätigte sich dieser schreckliche Verdacht nicht. Es stellte sich sehr schnell heraus, dass die Familie Bresan wegen der Geburt des fünften Kindes ein neues Gefährt hatte anschaffen müssen.

Phillip wurde mit üblen Verletzungen tot am Straßenrand entdeckt.

Zur Bestattung des haarigen Lieblings im Garten der Planters fand sich das gesamte Kränzchen ein. Ein schlichtes Holzkreuz wurde errichtet, ein Kranz auf dem Grab abgelegt.

»Jemand bringt unsere Lieblinge um!«, stellte Heiderose mit Entschiedenheit fest. »Es gilt herausfinden, wer das ist!«

Beifälliges Gemurmel antwortete ihr.

»Irgendein Vogelfan wahrscheinlich. Der alte Postel kreischt auch immer durchs Dorf, unsere Katzen nähmen die Nester der einzigartigen Singvögel in seinem Garten aus!«

»Aufgehetzte Kinder? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte Mann unseren Katzen nachschleicht.«

»Eben. Katzen spüren die Aura eines Menschen. Sie merken, wenn man Böses im Schilde führt!«

»Sind Sie sicher, dass Phillip nicht einfach von einem Auto überfahren wurde?«, fragte Hannah freundlich.

Ein giftiger Blick der Katzenmutter strafte sie für diese ketzerische Äußerung. »Er wurde gequält und dann getötet!«

»Tatsache ist, dass es von jeher die Katze war, die das Überleben der Zivilisation gewährleistet hat. Ohne ihre Künste im Mäusefang wäre die Menschheit verhungert«, dozierte Herr Planter grantig und schloss seine Frau tröstend in die Arme.

Es bildeten sich diskutierende Grüppchen, bei Grillsteak, Sekt und Bier.

Heiderose setzte sich zu Hannah und fragte: »Sie haben kein Haustier?«

»Nein, mein Gert war allergisch. Tierhaare auf dem Sofa waren ihm ein Gräuel. Irgendwann habe ich mich damit abgefunden.«

»Wenn Sie es sich anders überlegen, lassen Sie es mich wissen. Es ist gar nicht so einfach zu erkennen, welche Katze zu einem passt.«

»Dankeschön!« Dass sie sich im Zweifel lieber für einen Hund entschieden hätte, erwähnte sie wohlweißlich nicht.

Als am nächsten Nachmittag Lucinda die Chance nutzte, aus einem geöffneten Fenster in den Garten sprang und nicht nach Hause zurückkehrte, beschlossen die Damen, Kriegsrat zu halten.

 

»Wir können sie nicht einsperren! Jedenfalls nicht auf Dauer.«

»Meine Lucinda kommt nie mehr zurück zu mir«, jammerte das verzweifelte Frauchen, das immer an die Beisetzung von Phillip denken musste.

»Lucinda ist eine weiße Maine Coon. Die rennt nicht in ein Auto, und wehren kann sie sich auch«, meinte Heiderose tröstend und ahnte doch, dass die wunderschöne Katze verloren war.

»Ich werde sicher nicht abwarten, bis mein Liebling auch verschwunden ist!«, verkündete Jochens Frauchen kämpferisch. »Wir müssen unsere Nachbarn im Auge behalten und sofort Alarm geben, wenn ein Fremder auftaucht.«

»Wenn ich es mir genau überlege, habe ich da eine Idee«, begann Claudia zögernd.

 

Hannah fühlte sich beobachtet.

Sie hörte Schritte, die ihr folgten.

Glaubte einen Schatten um die Hausecke verschwinden zu sehen.

»Julia, mir schleicht jemand nach!«, informierte sie die Freundin.

»Rede dir nichts ein!«

»Brieskowitz ist hinter mir her!«

»Wie kommst du denn darauf?« Julia klang nun doch besorgt.

»Ein Auto. Mit diesem ›Wir sind keine Kohleopfer‹-Text.«

»Mein Auto parkt doch auch oft vor deiner Tür!«

»Seit Gert tot ist, sehe ich manchmal Gespenster«, lachte Hannah unsicher. »Einsame alte Frau eben.«

Das Unbehagen blieb.

Wenn sie nun von ihren Spaziergängen zurückkehrte, kontrollierte sie die Wege im Garten auf Spuren fremder Füße, ans Telefon ging sie nur noch, wenn Julias Nummer angezeigt wurde. Allerdings beteiligte sie sich an den Patrouillen der Frauendorfer Katzendamen – schon, um dabei selbst im Schutze der Gruppe die Umgebung im Auge behalten zu können.

Zu Gerts Grab zu fahren, traute sie sich nur selten.

Sie wählte ihre »Besuchszeiten« nach dem Fernsehprogramm.

Dann war sie auf dem Friedhof mit Gert allein.

Zu sagen hatte sie ihm nicht viel.

Eines Tages entdeckte sie ganz in der Nähe zwei neue Gräber. Frisch war die Erde aufgehäuft, die Holzkreuze glänzten in der untergehenden Sonne.

Sie dachte an die Vergänglichkeit des Seins und meinte damit das der anderen. »Wer mag da gestorben sein!«, murmelte sie im Hinübergehen. »Gleich zwei Gräber nebeneinander.«

Ein Ehepaar.

Es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich, dass Julia mit keinem Wort den Tod ihrer Eltern erwähnt hatte.

»Im ewigen liebevollen Gedenken«, stand auf der Schleife des größten Kranzes. »Hier ruht ihr nun in eurer geliebten Heimaterde«.

»Fragt sich nur wie lang!«, sagte Hannah leise. »Julia verkauft euer Haus jedenfalls nicht, da könnt ihr sicher sein.«

Auf der Rückfahrt nach Frauendorf machte sie sich bittere Vorwürfe.

Gefangen in ihrer eigenen Bitterkeit, hatte sie vom Schmerz der Freundin nichts bemerkt!

 

Der Schuppen für die Gartengeräte war aufgebrochen.

Die Tür quietschte im Wind hin und her.

Rechen, Hacke und den grüne Liegestuhl hatte jemand herausgezerrt und auf den Rasen geworfen. Mit weichen Knien schlich Hannah sich näher.

»Brieskowitz gönnt mir keine Ruhe!«, fluchte sie vor sich hin. »Die haben sich durch den gesamten Schuppen gewühlt. Um was zu finden? Hier gibt es nichts. Nur Grassamen!«

Sie griff nach der Tür und wollte sie schließen.

Das Schloss war aus dem Rahmen gehebelt.

»Toll! Dabei geht die Tür schon auf, wenn man nur kräftig daran rüttelt! Typisch Brieskowitz! Lieber gleich mit Gewalt!«

Irgendwo knackte ein Ast.

Hannah fuhr elektrisiert herum.

Schlich der Einbrecher etwa noch ums Haus?

Schnell fischte das Mobiltelefon aus der Handtasche und wählte Julias Nummer.

»Bei mir ist eingebrochen worden. Und im Garten schleicht auch jemand rum. Solltest du von mir nichts mehr hören, hat Brieskowitz mich ermordet.«

»Hannah! Mach keinen Quatsch!«

 

Es war nicht Brieskowitz.

Frauendorf hatte den Schuppen geöffnet.

»Wir glaubten, eine der Katzen könnte sich hineinverirrt haben. Es waren ja auch so eigenartige Geräusche zu hören gewesen.«

»Nun gut. Jetzt wisst ihr, dass keine Katze drin war.«

»Wir haben was anderes gefunden«, säuselte Heiderose an ihr Ohr und schob sie ins Haus, drückte sie auf den Sessel, dem einzigen Stück aus ihrer Vergangenheit, an dem sie wirklich hing.

Irritiert sah Hannah von einer zu anderen. »Ihr seid alle bei mir eingebrochen?«, fragte sie eher erstaunt als verängstigt.

»Aber ja. Was blieb uns anderes übrig. Wir haben das Gift gefunden. Also mussten wir uns davon überzeugen.«

»Wovon überzeugen?« Die Neufrauendorferin begann ich zu ärgern.

»Unsere Katzen.«

»Sind nicht bei mir.«

»Das hat Julia uns auch gesagt.«

Julia? Was hatte das nun wieder mit Julia zu tun?

»Sie meinte, du würdest das nicht tun. Du habest zwar ihre Eltern getötet, aber an den Katzen vergreifst du dich nicht. Verschwindenlassen käme eher in Frage.«

»Ich? Was hätte ich wohl mit dem Tod von Julias Eltern zu tun? Heute habe ich überhaupt erst entdeckt, dass sie nicht mehr leben!«, wehrte sich Hannah und empfand nun doch so etwas wie Angst. »Und warum sollte ich die Katzen wegfangen?«

»So ein Unschuldslamm!«, höhnte Claudia.

»Du hast die alten Leutchen in den Selbstmord getrieben. Die beiden wollten ihre Heimat nicht verlassen, ihr größter Wunsch war, in Brieskowitz sterben zu dürfen. Durch den Verkauf des ersten Hauses wurde das unmöglich. Sie haben den Tod gewählt, um in Heimaterde bestattet zu werden!«

»Das ist doch Blödsinn! Wenn der Bagger kommt, zieht der Friedhof um!«

Empörung schlug ihr entgegen.

»Wir wissen genau, dass die Katzen erst weg sind, seit du hier wohnst. Du magst keine Tiere. Wo sind unsere Kleinen?«

Das ist nicht wahr, dachte Hannah, so etwas träume ich nur. Ich muss aufwachen, und der Spuk ist vorbei. Doch das funktionierte nicht.

Ratternd ließ jemand die Rollos herunter.

»Seht mal! Ein Dietrich«, triumphierend zog Lisbeth den Metallhaken aus Hannahs Jackentasche. Die Witwe staunte. »Das gehört mir nicht!«

»Hinter der Tür, zu der dieses Ding passt, hält sie unsere Katzen gefangen!«

»Julia hat mal erzählt, sie sei vom Mausoleum so begeistert gewesen! Vielleicht passt der dort.«

Alle redeten durcheinander. Man überließ die Gefangene der Obhut von Maria Planter, die sie mit einem Hammer in Schach halten sollte.

 

Julia stand am Grab und kämpfte gegen das Jauchzen an. Ihre dunkle Sonnenbrille verbarg das halbe Gesicht. Sie hoffte, so bliebe das glückliche Funkeln ihrer Augen unbemerkt.

Während sie schweigend auf den Sarg blickte, dachte sie voller Zufriedenheit darüber nach, wie perfekt ihr genialer Plan funktioniert hatte. Erst starb Gert. Dieser Mistkerl, der ihr versprochen hatte, nach dem Verkauf des Hauses Hannah an die frische Luft zu setzen und mit ihr ein neues Leben anzufangen! Jahrelang diese Heimlichtuerei, ein ganzes Leben in der Warteschleife, immer neue Versprechungen, immer wieder der Neid auf die Frau, die Gert zu jeder Zeit um sich haben durfte und das nicht einmal zu schätzen wusste! Damit sollte dann endlich Schluss sein! Schluss war auch – aber mit seiner Beziehung zu ihr! Sie stürzte ins Bodenlose. Wenn schon nicht mit ihm, so wollte sie wenigsten den Rest ihres Lebens sorgenfrei genießen. Dummerweise gehörte das Haus ihren Eltern. Kein unlösbares Problem – nur ein bisschen Entschlossenheit war nötig, ein Gashahn und eine tüchtige Prise Schlafmittel im Tee. Und Rache an Hannah. Frauendorf, das richtige Pflaster, um so etwas einzufädeln. Sie war sehr stolz auf ihre wunderbare Intrige. Das Schicksal half kräftig mit und steuerte einen überfahrenen Kater bei!

Hinter ihrem Rücken wurde getuschelt.

»Meine Lucinda hat sich prächtig erholt. Der Tierarzt meint, sie sei nur leicht betäubt gewesen. Gerade so viel, dass sie nicht randalieren konnte.«

»Genau wie bei meinem Lukas!«

»Tja, dabei hat die Frau erst einen ganz netten Eindruck gemacht. Ich hätte nie gedacht, dass sie zu solch einer Gemeinheit fähig ist«, hörte Julia Heiderose Stimme.

»Tja, Hannah, wer anderen das Liebste nimmt … Du nahmst mir Gert und mein Glück – ich sorgte dafür, dass Frauendorfs Katzendamen glaubten, du nähmest ihnen ihre Lieblinge. Jeder hat seine Rache bekommen!«, flüsterte sie leise, warf einen Bund roter Rosen in die Grube und trat zur Seite.

»Ein bisschen traurig ist es schon, nicht wahr?«, fragte Claudia, als sie neben sie trat. »Aber woher hätten wir denn wissen sollen, dass das Gift im Schuppen nicht ihr gehörte, sondern schon seit Jahren da rumgammelte?«

»Den Einbrecher wird man wohl nie finden«, gab Julia scheinbar zusammenhanglos zurück. »Solch eine brutale Vorgehensweise. Den Schädel gnadenlos eingeschlagen!«

Rasch löste sich die Gruppe auf.

Julia ging als Letzte.

Ganz mit dem Gedanken an die zerstörerische Kraft der Liebe beschäftigt. Schlimmer als Hass kann sie sein, vernichtender als Zorn, hartnäckiger als Rachedurst, erbarmungsloser als 

»Entschuldigen Sie bitte«, sprach ein großer Mann sie unvermittelt an. »Kriminalpolizei Cottbus. Würden Sie mich bitte begleiten. Ich glaube, wir müssen uns über einige Punkte unterhalten. Nach der Exhumierung …«

Aus und vorbei, dachte Julia überrascht.

»Sehen Sie, dieses Schlafmittel. Es stammt aus Ihrem Bestand. Ihren Eltern wurde nie dergleichen verordnet. Vielleicht können Sie uns auch helfen herauszufinden, warum Ihre Mutter einer Freundin beichtete, sie habe Angst, Sie könnten ihr etwas antun?«