IV.        
Schon am nächsten Nachmittag erwartete ich die Ankunft der Keltin und ihres Gefolges. Auf meinem Anwesen herrschte emsiges Treiben. Überall wurde gefegt und gewischt, in der Küche liefen Vorbereitungen, die angekündigten Gäste angemessen zu verpflegen, und ich selbst stand im Atrium meines Hauses und blickte zum Himmel hinauf. Dunkle Wolken ballten sich über meinem Kopf, und ein schneidend kalter Sturmwind blies mir um die Ohren. Ich zog meinen Pelz enger um meine frierenden Gliedmaßen.
Die Zeichen ließen sich wohl nicht mehr leugnen, dass die Bewohner Vindobonas die Götter erzürnt hatten. Auf die nicht enden wollenden Unwetter, die uns im Herbst geplagt und auf den Landgütern gut die Hälfte der Ernte zerstört hatten, war ein früher, unbarmherziger Wintereinbruch gefolgt. Aus den Wäldern drängten Wölfe und Bären in Siedlungen und Gehöfte. Sie rissen Pferde, Ziegen und Schafe – die traurigen Restbestände des Viehs, das nicht bereits erfroren war. Und ich hätte gar nicht mehr zu sagen gewusst, wie viele Häuser Vindobonas in den letzten Monaten einer Feuersbrunst oder einem sonstigen Unglück zum Opfer gefallen waren.
Erst vor ein paar Tagen hatte ich die Lagervorstadt aufgesucht – und sie beinahe nicht wiedererkannt. Eine unheimliche Stille breitete sich in den Straßen aus, nur der Wind pfiff, kaum ein Lebender war zu sehen. Viele der einfachen Holzhäuser und Verschläge der Armen waren bereits durch die Stürme zerstört worden, und selbst die Bettler und Heimatlosen, die Ärmsten der Armen, hatten sich in irgendwelchen Löchern verkrochen, weil sie sonst unweigerlich erfroren wären.
Hartgefrorene Tierkadaver lagen in den Rinnsalen der Straßen. Immerhin ersparte die Eiseskälte den vorbeihastenden Passanten den bestialischen Gestank der Verwesung.
Es mehrten sich die Stimmen, dass es Iulius Paulus war, der Apostel dieses seltsamen Christengottes, der den Zorn der Unsterblichen auf Vindobona herabbeschwor. Die Strafe der Götter dafür, dass er und die wachsende Zahl der Anhänger, die sich um ihn scharten, Opfer und Gebete in den Tempeln verweigerten.
Und jetzt tauchte auch noch eine Druidin bei uns auf? Die behauptete, sie besäße einen Zauber gegen den Schwarzen Tod?
Stand uns wirklich die Apokalypse, das Ende der Welt bevor, wie Paulus predigte? Der Weltuntergang war eines seiner absoluten Lieblingsthemen. "Der Tag des Gerichts ist nah, Thanar!", hatte er mit verkündet, wann immer ich ihm in den letzten Wochen über den Weg gelaufen war. "Das Ende aller Zeiten, wenn Gott auf die Erde herabsteigen wird, um uns Menschen zu richten. Büße und bekenne dich zum wahren Glauben, bevor es zu spät ist."
Laut Paulus erwarteten die Christen die Apokalypse bereits, seit ihr Anführer ans Kreuz geschlagen worden war. Also seit gut hundert Jahren. Aber Paulus war sich dennoch sicher, dass die Endzeit ausgerechnet jetzt unmittelbar bevorstand. Die Zeichen seien eindeutig, behauptete er.
Meine Gedanken kehrten zu Divicia zurück. Zu dem abscheulichsten aller Übel, das sie angeblich besiegen konnte.
Der Schwarze Tod . Diese beiden Worte weckten die schlimmsten Erinnerungen meines Lebens. Ich war ihr bereits persönlich begegnet, der Pest. Sie hatte mir meine Ehefrau gestohlen. Und auch wenn das ewig lange her war, verging kein Tag, an dem ich nicht meiner geliebten Iduna gedachte und sie schmerzlich vermisste.
Ein Windstoß, der mich beinahe von den Beinen riss, holte mich aus meinen düsteren Erinnerungen in die Gegenwart zurück. Wenn selbst hier, innerhalb der schützenden Mauern meines Atriums, der Sturm solch eine Kraft entwickeln konnte, wie mochte er erst draußen toben?
Würde Marcellus mit meinen keltischen Gästen überhaupt bis zu meinem Haus vordringen können? Die Wegstrecke vom Legionslager betrug keine zwei Meilen, aber selbst eine so kurze Reise konnte zum Überlebenskampf werden, wenn man in einen Orkan geriet. Würde der Nordwind die Reiter aus den Sätteln fegen? Würde die Brücke, die den Danubius überspannte, dem Zorn der Götter standhalten?
Erst als die Dämmerung hereinbrach, war endlich Hufgetrappel vor dem Tor zu vernehmen. Noch vor jenem Sklaven, der Dienst an der Pforte versah, war ich selbst zur Stelle, um die Ankömmlinge zu empfangen.
Layla fiel mir zur Begrüßung um den Hals, was mein Herz mehr wärmte als jedes noch so schöne Feuer im Kamin.
Marcellus war ohne seine Legionäre unterwegs. Er stieg noch nicht einmal aus dem Sattel, sondern kehrte auf direktem Wege ins Legionslager zurück. Er brummte etwas von dringenden Angelegenheiten, die dort auf ihn warteten, dann war er fort.
Divicia, die Druidin, ritt in Begleitung zweier keltischer Krieger und einer wunderhübschen jungen Frau, die ähnlich wie sie selbst in weit fließende Gewänder gehüllt war. Eine ihrer Adeptinnen, vermutete ich. Zugleich Schülerin und Gehilfin. Es hieß, junge Anwärter mussten bis zu zwanzig Jahre im Gefolge eines erfahrenen Druiden studieren und praktizieren, bis sie selbst diesen ehrenvollen Titel beanspruchen durften.
Divicia glitt wie eine geübte Reiterin aus dem Sattel ihres stattlichen Pferdes und schritt wie eine Königin auf mich zu. Der Wind und die Kälte schienen ihr nichts anhaben zu können. Hieß es nicht, dass die Druiden selbst den Elementen ihren Willen aufzwingen konnten?
Rasch gab ich meinen Sklaven Anweisung, die Reittiere meiner Gäste zu versorgen, und geleitete Layla, Divicia und die anderen in mein Haus. Ich hielt warmen Wein für sie bereit, sprach die traditionellen Grußworte meines Volkes und hieß sie in meinem Heim willkommen.
Divicia setzte ein Lächeln auf, das fast so geheimnisvoll wie jenes wirkte, mit dem Layla mich so oft verzauberte, und dankte mir auf sehr herzliche Art für meine Gastfreundschaft.
Sie war eine beeindruckende Erscheinung, ganz so wie ich sie mir vorgestellt hatte. Obwohl sie bestimmt noch keine dreißig Jahre alt war, fiel ihr das Haar in schneeweißen Strähnen bis hinab auf die Hüften. Vielleicht hatte sie in ihren Visionen schon zu viel gesehen, war dem Reich der Götter zu nah gekommen und hatte vorzeitige Zeichen des Alters davongetragen. Ähnlich jenen Prophetinnen und Orakeln, die bei ihrer heiligen Pflicht oftmals sogar das Augenlicht einbüßten.
Um Divicias Hals lag ein prächtiger Torque aus Gold – einer jener Halsreifen, mit denen sich der keltische Adel so gern schmückte. Die Kelten hegten mehr als jedes andere Volk eine Leidenschaft für das edelste aller Metalle. Sie horteten Gold in ihren Tempeln, versenkten es in Seen und Teichen zum Ruhme ihrer Götter, und sie trugen es zur Schau in Form des herrlichen Schmucks, den ihre Kunstschmiede schufen.
Auch Divicias Adeptin, die Morann hieß, trug ihr Haar offen. Von den komplizierten Frisuren, die bei den Römerinnen so beliebt waren, schienen beide Frauen nichts zu halten. Morann war eine bildschöne junge Frau, aber so klein und zart gebaut, dass ihr etwas Kindliches anhaftete.
Die beiden Krieger hingegen, die die Frauen begleiteten, überragten selbst mich, der ich wahrlich kein Zwerg bin, um eine gute Handbreit. Auch sie trugen goldene Torques und unter ihren Umhängen blitzten kunstvoll gearbeitete Schwerter aus bestem keltischem Stahl.
Der Stahl der Kelten war im ganzen Imperium berühmt und gesucht. Selbst die römischen Legionen nutzten ihn gern für ihre Waffen.
Diese beiden Männer, die sich Granis und Cobanix nannten, waren keine einfachen Wächter von niedrigem Stand. Ihre Kleidung, ihr Auftreten und ihre Wortwahl machten deutlich, dass sie selbst dem Adel angehörten. Eine wahrhaft noble Eskorte. Divicia musste höchstes Ansehen genießen. Und die beiden Krieger waren wohl Zwillingsbrüder, denn sie sahen einander so ähnlich, dass man sie kaum unterscheiden konnte.
Ich gab den beiden Frauen zwei meiner behaglichsten Gästezimmer und brachte die beiden Krieger im Raum direkt daneben unter. Bestimmt würden Divicia und Morann sich am sichersten fühlen, wenn sie ihre Begleiter in unmittelbarer Nähe wussten. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt hätte schwören können, dass die Sicherheit meines Hauses ganz hervorragend war. Welch grobe Fehleinschätzung ...
Ich hatte mein Heim in den letzten Monaten nicht nur schöner und komfortabler ausgestattet, sondern den ungewöhnlich trockenen Sommer auch für umfassende Erweiterungsarbeiten genutzt. Insgeheim wusste ich, warum ich das tat: um mich davon abzulenken, dass ich Layla an Marcellus verloren hatte.
Nach dem Tod meiner Ehefrau vor vielen Jahren hatte ich mich in die Arbeit gestürzt. Hatte jahraus, jahrein Geschäftsreisen unternommen, bei denen ich kein Risiko scheute. Damals hatte ich den Grundstein dafür gelegt, dass ich mich heute wohlhabend nennen konnte. Aber nun, zwei Jahrzehnte später, war mein Herz so leer wie damals in jener dunkelsten Zeit meines Lebens.
Diesmal jedoch verspürte ich wenig Lust auf Handelsreisen. Meine Diener übernahmen das inzwischen für mich. Jedenfalls die längeren, beschwerlichen Fahrten. Also hatte ich mich in die Verschönerung meines Heims gestürzt.
Nun, wenigstens konnte ich den keltischen Adeligen eine Unterkunft bieten, die sie bestimmt ansprechend fanden. Ursprünglich hatte ich mein Haus im Stil meiner Vorfahren errichtet. Ein kleines germanisches Gehöft war es einst gewesen, aber nunmehr hatte ich es fast vollständig in eine luxuriöse römische Landvilla verwandelt. Nur noch wenige Räume erinnerten an mein barbarisches Erbe, wie Marcellus gern scherzte.
Für Layla hielt ich wie immer ihr gewohntes Zimmer bereit, direkt neben dem meinen gelegen. Im Sommer bot es einen wundervollen Blick über den Danubius, und was die Ausstattung betraf, so war es mittlerweile vermutlich der schönste Raum im ganzen Haus. Layla hatte neben dem neuen Bett mit seinen grazilen Elfenbeinschnitzereien eine geräumige Kleidertruhe mit Silberbeschlägen zu ihrer Verfügung. Neben dem Ausgang, der im Sommer auf die Terrasse führte, hatte ich eine Bronzestatue des göttlichen Merkur platziert.
Es sollte Layla an nichts fehlen, wenn sie bei mir war. Obwohl ich natürlich wusste, dass mein Haus nicht mit dem Legatenpalast konkurrieren konnte, den Marcellus neuerdings bewohnte. Gleichgültig, wieviel Mühe ich mir auch gab. Doch ich wusste auch, dass Layla zwar schöne Dinge liebte, aber ihre wahre Leidenschaft ganz anderen Interessen galt. Meiner Büchersammlung zum Beispiel, die ich in meiner Bibliothek aus allen Winkeln des Imperiums zusammengetragen hatte. Zweitens dem Reisen, der Erkundung der Welt. Drittens einer für Frauen eigentlich gänzlich ungeeigneten Beschäftigung: der Untersuchung von Verbrechen, am liebsten Mord. Allerdings dachte ich zu diesem Zeitpunkt kaum noch an Laylas diesbezügliche Fähigkeiten.