XVII.                      
"Erinnern? Woran denn?" Ich kam mir ein wenig begriffsstutzig vor. Um meine geistige Klarheit war es wohl immer noch schlecht bestellt.
Layla wirkte enttäuscht. "Du kannst es doch nicht vergessen haben ..."
Mich fröstelte. Einem spontanen Impuls folgend, trat ich auf Layla zu und zog sie in meine Arme. Der Sturm heulte noch immer ums Haus, doch ihr Körper war weich und warm.
Sie hob den Kopf und sah mir in die Augen. "Also kannst du dich doch erinnern." Erneut spielte ein Lächeln um ihre Lippen.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprach. Und ich kannte Layla gut genug, dass ich eines wusste: Ich konnte ihr nichts vormachen. Sie durchschaute mich ohne Fehl. So auch jetzt. Ich musste gar nichts sagen.
Sanft entglitt sie meinen Armen und trat einen Schritt zurück. Dabei ließ sie mich nicht aus den Augen. "Du konntest nicht schlafen", sagte sie, "nachdem wir uns in Marcellus´ Zimmer getrennt hatten. Also gingst du in die Bibliothek. Und mir erging es ebenso. Ich kam auch nicht zur Ruhe, meine Gedanken liefen im Kreis. Ich stand auf und wandelte durchs Haus, dann ebenfalls in die Bibliothek. Dort fand ich dich. Das kannst du doch nicht vergessen haben?"
Ich verzog das Gesicht. Meine Sinne waren vernebelt gewesen. Sie waren es noch. Ich hätte nicht sagen können, was sie mir letzte Nacht alles vorgegaukelt hatten – und was real gewesen war. Paulus und Divicia waren tot, dessen war ich mir sicher. Aber dass ich in den letzten Stunden der Nacht die Bibliothek aufgesucht haben sollte? Und dort Layla begegnet war? Daran fehlte mir jede Erinnerung.
Sie fuhr fort, mit leiserer Stimme, sichtlich verunsichert: "Wir waren beide in die Bibliothek gekommen, um uns mit etwas Lektüre abzulenken, doch dann ... Das musst du doch noch wissen, Liebster!", rief sie, von plötzlicher Leidenschaft erfasst. "Ich fand Schutz und Geborgenheit in deinen Armen. Danach sehnte ich mich sehr, nach allem, was geschehen war."
Sie hob den Blick und sah mir direkt in die Augen. Ihre Pupillen waren groß und schwarz wie die Nacht. "Wir haben uns geliebt ... wie früher, weißt du noch? Da bemerkte ich erst, dass ich dich vermisst hatte. Deine Nähe, deine Umarmungen."
"Wir haben uns geliebt ?", wiederholte ich wie in Trance. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, mich in den Arm zu kneifen. Träumte ich noch? Hielt der göttliche Morpheus meine Sinne gefangen?
Layla sah mich erwartungsvoll an, doch ich fand keine Worte. Eine Zeit lang – es erschien mir wie eine halbe Ewigkeit – standen wir einfach nur da, nur einen halben Schritt voneinander entfernt, und sahen uns an.
"Ich bereue nicht, was wir getan haben", sagte Layla schließlich. "Dennoch denke ich, es ist besser, wenn Marcellus nichts davon erfährt. Er würde es nicht verstehen."
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich hatte nicht den Hauch einer Erinnerung, Layla in meiner Bibliothek geliebt zu waren. Und das erst vor wenigen Stunden?
Offensichtlich hatten dunkle Mächte von meinem Haus Besitz ergriffen und letzte Nacht unser aller Sinne verwirrt. Aber an eine Liebesnacht mit Layla hätte ich mich doch wohl erinnern können! Nichts und niemand konnte mich so behexen, dass ich das vergaß!
In Laylas Augen lag eine Zärtlichkeit, die ich schmerzlich vermisst hatte. Seit Monaten hatte sie mich nicht mehr so angesehen. Anscheinend hatte ihr unser Liebesakt in der Bibliothek gefallen – auch wenn er nie stattgefunden hatte. Sie musste unsere Begegnung geträumt haben. Es war ein Trugbild, das sie für real hielt. Hatte sie mich mit Marcellus verwechselt? Oder sich alles von Anfang bis Ende bloß eingebildet?
Was sollte ich tun? Ich konnte doch Layla nicht in dem Glauben lassen, dass wir uns geliebt hätten. Oder doch? War das meine Chance, ihr Herz zurückzugewinnen?
Erneut musste ich an meine Frau denken, die in der Nacht leibhaftig vor mir gestanden hatte. Ein Besuch aus dem Totenreich. Ich hätte schwören können, dass sie aus Fleisch und Blut war. War es mein inneres Sehnen gewesen, dass ihr die seltsamen Worte in den Mund gelegt hatte? Dass ich Layla zurückerobern sollte?
Gehörte das alles zum grausamen Spiel der Götter? Hatten die Unsterblichen Layla ebenso übel mitgespielt wie mir? Aber das Trugbild, dem sie aufgesessen war, musste doch immerhin bedeuten, dass sie sich tief in ihrem Innersten nach mir sehnte. Oder nicht?
Ich entschloss mich, Layla nichts vorzumachen. Wenn eine Chance bestand, dass wir uns einander wieder annäherten, so wollte ich nicht, dass ihre Gefühle auf einer Illusion beruhten. Auf einer Lüge, wenn ich jetzt schwieg. Ich zog sie zurück in meine Arme, strich über ihr Haar ... und sagte ihr die Wahrheit.
"Nur ein Traum?", murmelte sie, als ich geendet hatte. Sieh sah mich seltsam an, was sie oft tat. Layla war eine Meisterin der kryptischen Blicke. Meine schwarze Sphinx nannte ich sie nicht umsonst. Mehr sagte sie aber nicht. Sie schien nur angestrengt vor sich hin zu grübeln.
"Es war eine sehr seltsame Nacht", sagte ich. "So etwas habe ich noch nie erlebt."
Sie nickte langsam. "Und es wird noch seltsamer. Komm mit, du musst dir etwas ansehen. Deswegen schickte ich vorhin den Sklaven aus, dich zu suchen. Es scheint, dass wir allesamt einer weiteren Illusion aufgesessen sind. Anders kann ich es mir nicht erklären."