XXXIII.       
Ich ließ den Tumult hinter mir. Marcellus würde sich um Severus kümmern. Und die toten Wölfe konnten keinen Schaden mehr anrichten.
Ich musste wissen, wie die Bestien in mein Haus gelangt waren. Denn da, wo sie herkamen, aus den zu Eis gefrorenen Wäldern, lauerten noch weit mehr von ihnen.
Ich trommelte meine Dienerschar zusammen, ließ sie Fackeln entzünden und schickte sie los, Türen, Fenster und Mauern meines Hauses zu kontrollieren. Ich selbst schnappte mir zwei Burschen und nahm den direkten Weg in Richtung Haupttor.
Bereits im Atrium stieß ich auf die Spur der Bestien. Ihre Pfoten hatten nasse Flecken hinterlassen – doch da war noch mehr. Da wo die Wölfe entlanggelaufen waren, zog sich auch eine deutliche Blutspur hin. War eines der Tiere verletzt gewesen, schon bevor sie in mein Haus eingedrungen waren?
Das kam mir seltsam vor. Ein verwundeter Wolf schleppte sich doch nicht mit seinem Rudel auf die Jagd. Er wäre nichts als eine Last für die anderen Bestien seines Klans. Und damit eine Gefahr für ihr Überleben. Nein, so verhielt sich kein Tier. Schon gar kein Wolf.
Als ich das Haupttor erreichte, fand ich es verschlossen vor. Der schwere Riegel, der es zusätzlich von innen sicherte, war allerdings zur Seite geschoben worden. Was zu dieser Stunde nicht hätte sein dürfen – aber dafür konnte man wohl kaum einen Wolf verantwortlich machen.
Der Boden war auch hier mit Wasser und Blut verschmiert, und der Gestank von nassem Wolfspelz hing in der Luft. Ich konnte förmlich vor mir sehen, wie die Bestien hier hereingelaufen waren. Auf der Suche nach Beute? Oder was hatte sie in mein Haus gelockt?
Die Frage blieb, wie sie eingedrungen waren. Ich hatte erwartet, eines der Tore meines Hauses aufgebrochen oder auf andere Weise beschädigt vorzufinden. Eingedrückt von den Schneemassen womöglich, obwohl mir das kaum vorstellbar schien.
Keiner der Sklaven jedoch, die ich ausgesandt hatte, um nach dem Rechten zu sehen, kehrte mit einer diesbezüglichen Meldung zu mir zurück. Woraus ich schloss, dass keiner von ihnen einen Einbruch bemerkt hatte.
"Jemand muss die Wölfe ins Haus gelassen haben", sagte eine vertraute Stimme in meinem Rücken.
Layla.
Sie war mir wohl gefolgt, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Ihre Angst schien überwunden, sie trat neben mich hin und besah sich den besudelten Fußboden. "Wolfspfoten, nicht wahr?", sagte sie.
Sie bückte sich und hob ohne Abscheu einen kleinen Klumpen auf, der nach geronnenem Blut aussah. Bei näherer Betrachtung entpuppte er sich jedoch als Rest eines Fleischstückes, das von scharfen Zähnen in Fetzen gerissen worden war.
"Jemand hat die Tiere angelockt", sagte Layla. "Der Geruch von frischem Fleisch war es, der sie in dein Haus einfallen ließ." Sie erhob sich und deutete mit der Hand auf die entriegelte Tür. "Sehen wir draußen nach!"
Ich öffnete das Tor, bevor Layla es tun konnte. Die Kälte biss in meine nackten Arme und Waden. Ich trug nichts als die Tunika, die ich mir in meinem Schlafzimmer hastig übergezogen hatte. Layla senkte den Kopf und stemmte sich gegen den Wind, der uns entgegenblies.
Wir brauchten nicht lang zu suchen. Vor dem Haus hatten meine Sklaven – oder Severus und seine Legionäre? – tagsüber den Kampf gegen die Schneemassen aufgenommen. Ein schmaler Pfad führte, ähnlicher einer Schlucht, durch den Schnee. Soweit ich sehen konnte, erstreckte er sich bis zu den Stallungen und Wirtschaftsgebäuden.
Unmittelbar vor dem Haustor war eine quadratische Fläche so gut es ging freigeräumt worden. Hier ließen sich unschwer die Spuren zahlreicher Pfoten erkennen. Sie verloren sich rasch in der Dunkelheit, führten vermutlich über die mannshohen Schneeverwehungen bis hinein in den Wald.
Der Schnee war kein Hindernis für die leichtgewichtigen, vierpfötigen Bestien gewesen. Sie waren darüber hinweggelaufen, ohne besonders tief einzusinken. Und ich wusste auch, was sie angelockt hatte. Layla sollte wieder einmal recht behalten. Denn inmitten des Gewirrs aus Pfotenabdrücken fanden sich auch die Fußspuren eines Menschen. Und Reste von Blut. Leuchtend rot zeichnete es sich im Schnee ab.
Diesmal war ich es, der sich bückte und einige Fleischbrocken aufsammelte. Jemand hatte sich mitten in der Nacht aus dem Haus geschlichen und den Wölfen ein königliches Mahl bereitet. Erst hier draußen, um sie aus dem Wald zu locken. Dann, als sie Blut geleckt hatten, wartete drinnen noch mehr auf sie.
Der Mörder – denn ich war mir sicher, dass er hinter dieser neuen Abscheulichkeit steckte – hatte den Bestien das Tor geöffnet und sie mit einem Pfad weiterer ausgestreuter Fleischstücke durchs Haus gelotst. Die Blutspur, der ich nun gemeinsam mit Layla folgte, verlief vom Haupttor ins Atrium, und von dort geradewegs weiter bis zu Marcellus´ Zimmer – durch einen schmalen Gang, der ansonsten wenig benutzt wurde. Speziell zu nachtschlafender Stunde.
Jetzt, wo ich wusste, wonach ich suchte, waren die kleinen Fleischreste und die Blutspuren nicht zu übersehen, selbst im flackernden Licht der Fackeln. Der Mörder hatte es darauf angelegt, möglichst niemandem zu begegnen, aber er hatte keinen Hehl aus seiner jüngsten Abscheulichkeit gemacht. Wölfe als Mordwaffe . Nachdem er bereits erdolcht und vergiftet hatte ... Was kam wohl als Nächstes?
Neuer Hass auf diese Bestie in Menschengestalt ergriff von mir Besitz. Auf diesen Dämon, neben dem sich selbst die Wölfe wie unschuldige Welpen ausnahmen. Er musste wahrlich mit den dunkelsten Mächten im Bunde sein, die man sich nur ausmalen konnte.
Ihre Gier nach rohem, blutigem Fleisch hatte die Wölfe genau dorthin geführt, wo der Mörder sie haben wollte. Am Ende der Köderspur angelangt, war ihr Hunger noch lange nicht gestillt gewesen. In Marcellus´ Schlafzimmer hätten sie sich die zwei schlafenden Menschen vorgenommen – lange bevor der Legat die Chance gehabt hätte, an sein Schwert zu gelangen und sich zur Wehr zu setzen.
Wenn dieser Retter, angeblich vom Gott der Christen gesandt, nicht so beherzt eingegriffen hätte, wären Marcellus und Layla unweigerlich verloren gewesen.
"Denkst du wirklich, dein Legat könnte ... auserwählt sein?", wandte ich mich an Layla.
Sie zog eine Augenbraue hoch. Kaute einen Augenblick lang an ihrer Unterlippe. "Ich weiß es nicht", sagte sie dann. "Wer vermag schon den Willen der Götter zu ergründen?"
Sie stand eine ganze Weile reglos da und schien über die Frage nachzudenken. "Marcellus ist ein großer Mann, nicht wahr?", sagte sie schließlich. "Und diesen Retter haben wir uns nicht eingebildet. Er war kein Trugbild. Wir alle sahen und hörten ihn."
Doch warum hatte der Mörder sich Marcellus als sein jüngstes Opfer auserkoren? Fürchtete er, dass der Legat ihn entlarven und zur Rechenschaft ziehen könnte? Oder galt der Anschlag am Ende gar Layla?