XXXV.           
Ich wollte nicht untätig herumsitzen, während Marcellus meinen Hauptverdächtigen ins Kreuzverhör nahm. Außerdem war es die Gelegenheit, sich einmal unauffällig im Zimmer des Centurios umzusehen, ohne befürchten zu müssen, dass er mich dabei ertappte.
Layla ließ es sich natürlich nicht nehmen, mich zu begleiten, und so waren wir wenige Minuten später bereits damit beschäftigt, Severus´ Habseligkeiten zu durchwühlen. Wie Diebe in der Nacht.
***
Er hatte es gut versteckt, aber nicht gut genug. Am Ende entdeckte ich es doch: ein kleines Glasfläschchen, in dem sich nur noch wenige Tropfen einer blassgoldenen Flüssigkeit befanden. Severus hatte es in der Kleidertruhe zwischen den Falten einer Tunica verborgen. So geschickt war das kleine Gefäß in das Gewand eingeschlagen, dass es bei einer oberflächlichen Untersuchung wohl unentdeckt geblieben wäre.
Triumphierend hielt ich es hoch und zeigte es Layla. "Wie harmlos es aussieht, findest du nicht? Eher wie ein Liebestrank als ein todbringendes Rauschmittel. Aber ich würde mein bestes Pferd im Stall verwetten, dass dies unser dämonischer Trank ist. Kykeon! Wenn das Fläschchen etwas Harmloses enthielte, hätte Severus es bestimmt nicht so gut versteckt."
"Oh, ich bin mir sicher, dass es sich bei der Flüssigkeit um Kykeon handelt", sagte Layla. Ihr Tonfall mutete seltsam an.
Erneut gewann ich den Eindruck, dass sie mir einen Teil ihrer Gedanken vorenthielt. Den wesentlichen Teil. Sie zog mir das Fläschchen aus der Hand und drehte es zwischen ihren Fingern. Sie studierte es mit kritischem Blick.
Sie musste wohl einsehen, dass ich auf der richtigen Spur war. Dass der Centurio mehr als nur verdächtig war. "Lass uns zu Marcellus zurückkehren", sagte ich und nahm das kleine Gefäß wieder an mich. "Ich finde, er sollte das sehen. Ich bin sehr gespannt, wie Severus sich nun noch herausreden will."
Kurz bevor ich das Zimmer des Legaten erreichte, kam ein Sklave auf mich zugelaufen. "Gut, dass ich dich finde, Herr!", rief er atemlos. "Wir haben inzwischen das ganze Haus abgesucht, wie du es befohlen hast. Es ist alles sicher, Herr. Von außen ist niemand eingebrochen. Die Wölfe können nur durchs Haupttor eingedrungen sein. Jemand muss es unbefugt geöffnet haben."
"Danke, das habe ich mir schon gedacht."
"Im Keller allerdings fanden wir eine der Vorratskammern geplündert", fuhr der Sklave fort. "Jemand hat sich an den Fleischvorräten vergriffen, Herr."
Ich horchte auf. Das ergab nur allzu guten Sinn. Der Mörder – Severus, wie ich mir inzwischen sicher war – musste sich dort bedient haben, um die Wölfe ins Haus zu locken. Was genau er damit bezweckt hatte, verstand ich zwar noch immer nicht. Hatte er wirklich seinen Legaten auf so hinterhältige Weise töten wollen?
Nun, wir würden ihm die Wahrheit schon entlocken. Und Marcellus würde keine Gnade walten lassen. Vier Morde waren ein tödlicher Frevel – aber dann noch den Legaten persönlich zu attackieren? Darauf stand die schlimmste aller Strafen. Der Centurio würde mit einem qualvollen Tod bezahlen, so viel wusste ich jetzt schon.
Ich dankte meinem Sklaven, sandte ihn fort und legte eilig die letzten paar Schritte zu Marcellus´ Zimmer zurück. Layla folgte mir lautlos wie ein Schatten.
Durch die geschlossene Tür des Raums drang zorniges Stimmengewirr.
Was ging hier vor? Das waren nicht Marcellus und Severus, die hier ein Streitgespräch führten. Die befehlsgewohnte Stimme des Legaten war deutlich zu vernehmen, doch es war eine Frau, mit der er sich stritt.