XLIV.               
Marcellus warf mir einen düsteren Blick zu. Vermutlich hasste er sich gerade ebenso sehr wie ich mich.
"Du", wandte er sich mit schroffer Stimme Caecilia zu, die noch immer auf dem Boden kauerte, "steh auf und komm her. Ich habe Fragen an dich!"
Die Christin erhob sich wie eine Frau, die um dreißig Jahre gealtert war. Mit krummem Rücken und schlurfenden Schritten trat sie vor den Legaten hin. Sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu blicken.
"Sag mir, Weib, bekennst du dich schuldig?", fragte Marcellus in schneidendem Tonfall. Dabei fixierte er Caecilia mit seinen dunklen Augen, als schlüge er sie bereits ans Kreuz. Wie es für Mörder eine beliebte Strafe war. "Hast du die Freveltaten, die Layla uns geschildert hat, gemeinsam mit Paulus begangen? Hat es sich so abgespielt, wie wir gehört haben?"
"Ja, Herr", erwiderte Caecilia. Ihre Stimme war nicht mehr als ein trockenes Flüstern.
"Welches Gift habt ihr uns verabreicht, um uns zu betören? Uns Wunder und Dämonen sehen zu lassen und uns empfänglich zu machen für eure listigen Täuschungen? War es Kykeon?"
Die Christin nickte kaum merklich.
"Antworte mir, wenn ich eine Frage an dich richte", donnerte Marcellus.
Caecilia riss erschrocken die Augen auf. "Ja, Herr, Kykeon. Paulus mischte eine geringe Menge davon in die Weinamphoren und unter einige der Speisen. Wir selbst tranken nur Wasser seit dem Abend, als ... alles begann."
"Und du warst der sogenannte Götterbote, der zu uns sprach?"
"Auch das ist wahr, Herr. Aber siehst du denn nicht, dass Paulus damit nur euer aller Augen öffnen wollte?", fügte sie hinzu. Ihre Stimme gewann an Kraft. "Die Menschen unseres verderbten Zeitalters sind mit Blindheit und Taubheit geschlagen. Sie beten falsche Idole und Dämonen an. Sie hören Gottes Stimme nicht, verkennen seine Zeichen! Wir haben nur etwas nachgeholfen, um dich zum Herrn zu führen. Ich habe Gott als Sprachrohr gedient. Aber ich tat und sagte nur, was er mir auftrug. Denkt ihr wahrlich, ihr könntet den Anblick eines wahren Himmelsboten ertragen? Die Engel Gottes sind von solcher Herrlichkeit, dass wir bei ihrem Anblick erblinden würden. Oder Schlimmeres!"
Caecilia hob jetzt ihren Kopf. Von ihrem Glauben zu sprechen, schien ihr neuen Mut zu verleihen. "Es war Gott selbst, der Paulus das Geheimnis des Kykeons enthüllte", erklärte sie. "Auf seinen Reisen, als er noch der Argentarius war, stieß er auf einen Adepten der Eleusinischen Mysterien – der ihm das Geheimnis des Gebräus und seiner Zutaten verriet. Paulus trank davon, doch im Heiligen Rausch sah er nicht die falschen Götter der Griechen! Er begegnete Christus, unserem Herrn. Die Heiden missbrauchen die Heiligen Pflanzen für ihre verderbten Orgien. Jene aber, die reinen Herzens sind, finden mit Hilfe dieser Kräuter den Weg zum wahren, zum einzigen Gott. Paulus hat viele Wunder mit Hilfe des Tranks gewirkt. Er heilte Menschen damit. Er trieb Dämonen aus. Und Gott sprach zu ihm und trug ihm auf, die frohe Botschaft zu verkünden. Überall im Imperium, wohin er auch ging. Jesus Christus war mit ihm, zu jeder Zeit."
"Dann führte dieser Gott wohl auch Paulus´ Hand, als dieser zum Mörder wurde?", fuhr Marcellus dazwischen. "Ist dir nicht klar, was für einen Unsinn du redest, Weib?"
Doch Caecilia ließ sich nicht beirren. "Wir alle sind verdammt, wenn Gott uns nicht rettet", rief sie voller Inbrunst. "Paulus wollte den Menschen den rechten Weg zeigen. Dafür ist jedes Opfer recht. Es war Gottes Wille, dass wir hier in Thanars Haus auf diese Hexe stießen. Die dich, Marcellus, mit ihrem dunklen Zauber verführen wollte. Dem konnten wir doch nicht tatenlos zusehen! Das Imperium muss zum wahren Glauben finden – statt sich von einer druidischen Hexe vereinnahmen zu lassen. Wir zerstörten ihr dämonisches Zauberpulver und brachten sie für immer zum Schweigen!"
Caecilia hatte jetzt die Arme vor der Brust verschränkt. Aufrecht, geradezu trotzig stand sie vor Marcellus und bot ihm die Stirn.
Mein Freund sah sich nach seinen beiden Legionären um. "Schafft sie mir aus den Augen", befahl er. "Legt sie in Fesseln. Wenn wir zurück im Lager sind, werde ich über ihr Schicksal entscheiden. Aber rechne nicht mit meiner Gnade, Weib", wandte er sich wieder an Caecilia.
"Nur Gott kann mich richten", erwiderte sie – und spuckte Marcellus vor die Füße. Dann jedoch ließ sie sich widerstandslos von den beiden Soldaten aus dem Raum führen.