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NUR WENIGE STUNDEN nach dieser schrecklichen Nacht wurden Boggs und Smith vor Gericht als Zeugen bei einer morgendlichen Verhandlung gebraucht. Boggs hatte sich auf den Zeugenstand als eine der positivsten Erfahrungen seines neuen Jobs gefreut, doch er stellte sich als eine der schlimmsten heraus. Nicht zuletzt, weil die Verhandlungen stets am Morgen nach ihrer Schicht stattfanden und man ihnen die Überstunden nicht bezahlte. Dabei verdienten sie ohnehin nur 196 Dollar, weit weniger als die weißen Cops. Zwischen letzter Nacht und der davor war Boggs innerhalb von zwei Tagen auf maximal fünf Stunden Schlaf gekommen.
Beim ersten Mal, als die Negro-Officer in einem Gerichtssaal gebraucht wurden, wollte der Richter sie nicht in Uniform einlassen, verlangte, dass sie als herkömmliche Schwarze auftraten. Das kam nicht besonders gut bei den Polizisten aus dem Y an, und sie beklagten sich wochenlang bei McInnis. Erst nach diversen Gesprächen, die der Sergeant widerwillig im Hintergrund führte, und der Empfehlung eines anderen Richters, der ihnen »gutes Benehmen« attestierte (als wären sie Hunde, die man lobte, wenn sie ihr Wasser halten konnten), wurde ihnen ein Zugeständnis gemacht: Sie durften ihre Uniformen jetzt auch während der Verhandlung tragen.
Sie durften sie allerdings weder auf dem Weg zum Gericht noch auf dem Rückweg tragen, genauso wenig wie vor und nach dem Dienst im Y. Die aktuelle Regelung besagte, dass sie ihre Uniformen in einem Kleidersack zum Gericht bringen und den Eingang für Farbige benutzen mussten. Dort konnten sie ihre Uniformen dann in der alten Besenkammer neben den Klos für Farbige anziehen. Sie erhielten den Schlüssel zur Kammer, die immer noch nach verschimmelten Wischmobs und Desinfektionszeug roch, obwohl sie längst nicht mehr benutzt wurde. Zumindest roch es dort besser als in den Toiletten nebenan.
So viele ihrer Interaktionen mit Weißen waren nervenaufreibend, verwirrend, gefährlich. Es gab keine Präzedenzfälle, keine Jim-Crow-Gesetze für farbige Polizisten. Jeder von ihnen hatte es nur durch Leisetreterei ins Erwachsenenalter geschafft, doch jetzt erwartete man, dass sie sich entschiedenen Schrittes und in vollem Bewusstsein ihrer neuen Autorität durch ihre Viertel bewegten. In jedem anderen Teil der Stadt hoffte man hingegen immer noch, dass sie wieder verschwanden – oder Schlimmeres.
*
»Euer Ehren«, sagte der Anklagevertreter, »die Stadt ruft auf …« Papier segelte zu Boden. Der junge Anwalt wirkte wie einem Schultheater entsprungen, samt perfekt dazu passender Schmalzlocke. Er war der Neffe von jemand Wichtigem, einer, der ein bis zwei Jahre für die Stadt arbeitete, um die Abgründe der menschlichen Seele kennenzulernen, bevor er es sich im Familienbetrieb bequem machte.
»Ah ja, da ist es ja. Die Stadt ruft den Zeugen Negro-Officer Lucius Boggs auf.«
»Wenn es sein muss«, sagte Seine Ehren, der einem Troll ähnelnde und stets mies gelaunte Richter Gillespie.
Boggs trat in den Zeugenstand des Gerichts in Downtown und wartete, bis der Gerichtsdiener die für Boggs’ Hand geeignete farbige Bibel gefunden hatte. Boggs wurde gefragt, ob er die Wahrheit sagen werde usw., und er bejahte.
Er trug einen Verband um den Kopf, war mit drei Stichen von einem Negro-Arzt und Freund der Familie genäht worden, den er heute Morgen aufgesucht hatte. Wärst du mal ins Grady gegangen, hatte der Arzt beim Anblick der Wunde gesagt und ehrfürchtig gepfiffen. Ein Glück, dass sie sich noch nicht entzündet hat. Boggs hatte sich die Erklärung gespart, warum die Notaufnahme eines Negro-Krankenhauses der letzte Ort war, wo er hinwollte: stundenlanges Warten unter Leuten, die er in den letzten Monaten festgenommen oder bei denen er es zumindest versucht hatte.
Dafür sah er jetzt wie ein Idiot aus, die halbe Stirn in Weiß und ein Kopfschmerz, der – wie ihm der Doktor versichert hatte – erst in ein, zwei Tagen wieder nachlassen werde. Der Arzt meinte zudem, die Narbe werde nicht so schlimm aussehen. Verleiht dem Gesicht Charakter.
Vor Gericht stand ein gewisser Chandler Poe, ein schlaksiger Negro Ende vierzig mit rötlichen Haaren, die ihm in räudigen Büscheln vom schmalen Kopf abstanden, und einer langen Nase, die seine Cherokee-Abstammung verriet. Boggs und Smith war bereits aufgefallen, dass die weißen Polizisten, die den Fall bearbeiteten, nicht anwesend waren. Ähnlich beunruhigend war die Anwesenheit eines Dutzend weißer, gut gekleideter Zivilisten.
»Also, Boggs«, sagte der kindliche Anwalt mit seinem sanften Tennessee-Akzent, »laut Ihrem Bericht hier haben Sie und ein weiterer Beamter Poe festgenommen, als er seine Wohnung gerade mit mehreren Fässern voller Whiskey verlassen wollte.«
»Ja. Officer Smith und ich nahmen ihn am dritten Juni fest. Mr. Poe hat erst geleugnet, den Inhalt der Fässer zu kennen, doch während wir auf Verstärkung warteten, gab er es zu.«
Richter Gillespie atmete offenbar ziemlich laut, wie Boggs aufgefallen war. Jedes Mal, wenn Boggs Poe »Mister« nannte oder Smith »Officer«, wurde sein Schnaufen heftiger.
»Und was genau hat Poe zugegeben?«
Überall liefen elektrische Ventilatoren und standen Fenster offen, doch es gab hier kein Hemd, das nicht längst nassgeschwitzt war. Im nächsten Jahr sollte der Saal endlich eine Klimaanlage bekommen.
»Mr. Poe hat zugegeben, dass er Großhändlern Whiskey abnimmt und ihn an diverse Trinkstuben weiterverkauft.«
Boggs bereiteten all die mysteriösen weißen Gesichter oben auf dem Balkon Sorgen. Sogar der Reporter der Negro-Daily-Times in der dritten Reihe, der sich Notizen für seine Reportage über das Leben und Wirken der farbigen Polizisten machte, schien ihm irgendwie feindlich gesinnt.
»Hat Poe die Namen der Großhändler genannt?«, wollte der Vertreter der Anklage wissen.
»Nein, diese Information hat Mr. Poe für sich behalten.«
Viel früher als erwartet teilte der Anklagevertreter dem Richter mit, dass er keine weiteren Fragen habe. Der kindliche Anwalt hatte lediglich einen Bruchteil der Beweise vorgebracht, die Boggs und Smith gesammelt hatten.
»Häh?«, machte Richter Gillespie. Er hatte schon eine ganze Weile nicht mehr richtig zugehört und stattdessen Formulare ausgefüllt. »Ach ja, danke. Beantragt die Verteidigung ein Kreuzverhör?«
»Auf gar keinen Fall«, antwortete Poes Anwalt, ein großer, älterer Mann in einem eleganten blauen Anzug und spitzen Schuhen, insgesamt zu gut gekleidet für einen Pflichtverteidiger.
Boggs wurde entlassen, und da die Anklage ihre Beweisaufnahme vorzeitig beendet hatte, rief der Verteidiger einen Mr. Henry Jefferson auf. Ein alter, weißer Mann mit farblosem Haarschopf, der ihm in die Stirn fiel, stieg in den Zeugenstand. Während der Befragung erklärte ihnen Mr. Jefferson, dass »Chandler« ein friedlicher Handwerker war, der seiner Familie bei diversen Aufträgen geholfen hatte. Außerdem ein ausgezeichneter Banjo-Spieler. Tatsächlich war der gute alte Chandler vor ein paar Monaten bei einer besonders großen Familienfeier der Jeffersons vor beinahe hundert Leuten aufgetreten.
»Er ist ein guter Junge«, ließ Mr. Jefferson den Richter wissen. »Ich kann mir schon vorstellen, dass er sich hin und wieder in Schwierigkeiten bringt, und deshalb haben wir auch mit ihm geredet, aber er meint es nicht böse.«
Der Verteidiger bedankte sich bei Mr. Jefferson dafür, dass er sich bei seinem vollen Terminkalender als stellvertretender Leiter der Textilfabrik Marshall & Sons Zeit genommen hatte, herzukommen und auszusagen.
»Das ist kein Problem«, sagte Jefferson, »ich wollte sichergehen, dass Chandler nicht wegen eines dummen kleinen Fehlers unnötig bestraft wird. Er ist ein guter Neger, und es ist doch eine Schande, dass die Stadt ihre Mittel an so eine Anhörung verschwendet, obwohl das nichts weiter war als ein Missverständnis unter Farbigen.«
Boggs biss die Zähne zusammen. Smith ballte die Faust im Schoß. Mr. Jefferson war nur der erste in einer Parade von Leumundszeugen, die dem Angeklagten alle ein gutmütiges Naturell attestierten, alle waren sich einig, dass er keine Gefahr für die Gesellschaft darstellte, vorausgesetzt, es gab eine harte weiße Hand, die ihm den Weg wies, und alle merkten an, dass es bedauerlich wäre, die Stadt seiner musikalischen Fähigkeiten zu berauben. Dass der Staatsanwalt beim Kreuzverhör besagte weiße Bürger dazu brachte, zuzugeben, dass Boggs’ Beweise nicht von der Hand zu weisen waren, spielte kaum eine Rolle. Nach den letzten Zeugen sprach der Richter sein Urteil. Er ermahnte Poe eindringlich, sich von jetzt an unauffällig zu verhalten. Dann sprach er ihn von den Anklagepunkten frei, und der Hammer fiel.
Poe nahm Blickkontakt mit den farbigen Polizisten auf, und obwohl er ihnen weder zuzwinkerte noch lächelte, lag da etwas in seinem Blick und darin, wie er den Kopf hielt, das genau das ausdrückte: ein unsichtbares Zuzwinkern. Dann verließ der Schmuggler den Saal.
Boggs und Smith traten an den jungen Staatsanwalt heran, während der seine Unterlagen zusammensuchte.
»Das erste Mal im Gerichtssaal?«, fragte Smith.
»Sie denken, das macht mir Spaß? Ich habe stundenlang an diesem Fall gearbeitet.« In seiner Stimme lagen nun wesentlich mehr Autorität und Überzeugung als noch vor dem Richter. »Ich schätze es nicht, wenn mein Ruf durch nachlässige Berichte beschmutzt wird, von den geringen Erfolgsaussichten ganz abgesehen.«
Er hatte stundenlang an dem Fall gearbeitet? Vielleicht acht oder neun? Boggs und Smith waren Poe zwei Monate lang hinterhergejagt, und das nicht nur während der Dienstzeit. Wochen ihres Lebens waren mit dem Hammerschlag des Richters für sinnlos erklärt worden.
»Tut uns leid, dass wir Sie beschmutzt haben«, war alles, was Boggs rausbrachte.
Der junge Anwalt schaute die Beamten an, als begriffe er jetzt erst, dass er sie beleidigt hatte. Da war ein Funke von etwas in seinen Augen, das Boggs zu seiner eigenen Überraschung nicht hassen konnte. Ein Quäntchen Menschlichkeit, eine gewisse Scham über sein Versagen, vielleicht eine Ahnung davon, wie sehr er diese hart arbeitenden, wenn auch minderwertigen Polizeibeamten enttäuscht hatte.
»Ihr wollt tatsächlich helfen?«, fragte der Anwalt. »Dann stellt das nächste Mal sicher, dass euer Department auch ein paar weiße Polizisten in den Zeugenstand schickt, wenn ihr jemandem was nachweisen wollt.«
*
»Also, Leute, was ist da drin passiert?«, fragte sie Jeremy Toon im Korridor. Er war zwei Klassen über Boggs auf der Booker T. Washington gewesen, Atlantas einziger Highschool für Negroes. Damals schon ein dünner Hering. Seine Finger umklammerten ein Notizbuch und einen Stift, genau so hatte Boggs ihn in Erinnerung.
»Du bist doch ein cleverer Typ«, sagte Smith. »Find’s raus.«
»Jetzt kommt schon.« Toon war Reporter für die Atlanta Daily Times. Er war tüchtig, anständig und ehrgeizig, und weder Boggs noch Smith konnten ihn ausstehen.
»Ich brauche einen Kommentar von euch beiden.«
»Du weißt doch, dass wir uns nicht äußern dürfen«, sagte Boggs leise, sich der Anwälte und Bürokraten ringsum durchaus bewusst. Mit lauterer, aber höflicher Stimme ergänzte er: »Für einen Kommentar melden Sie sich bitte bei unserem Vorgesetzten.«
Der Schreiberling senkte sein Notizbuch. Er trug ein braunes Tweed-Jackett, das nicht zu seiner dicken schwarzen Krawatte passte. »Ihr wisst doch, dass die nicht mit uns reden. Ich schreibe über den Fall, seit ihr euren ersten Bericht eingereicht habt. Ihr hattet doch Tonnen von Beweismaterial, die der Anwalt nicht verwendet hat, und alles, was der Richter hören wollte, waren Geschichten über Banjos? Was sollen unsere Leser denn davon halten?«
Smith ging einen Schritt auf den Reporter zu, halbierte den Abstand zwischen ihnen. »Willst du wirklich, dass wir in deiner Zeitung unseren Staatsanwalt bloßstellen? Oder uns über unsere Vorgesetzten beklagen? Oder hast du vielleicht ein Kündigungsschreiben für uns in deinem Notizbuch da? Dann sparen wir uns das Ganze. Wär einfacher, oder?«
Eine der zahlreichen Komplikationen, mit denen sich die Negro-Polizisten konfrontiert sahen, war die Tatsache, dass einer von ihnen, Xavier Little, zufällig der Neffe des Besitzers der Daily Times war. Nachdem die Beamten ihren Eid abgelegt hatten, veröffentlichte die Times ein ausführliches Interview mit ihm. Soweit Boggs das beurteilen konnte, hatte Little darin nicht ansatzweise irgendetwas Kontroverses von sich gegeben, und doch stauchte McInnis sie kollektiv zusammen, sobald die Ausgabe erschienen war. Redet niemals wieder mit der Zeitung. Ihr seid keine Sprecher eures Volkes. Ihr seid gottverdammte Streifenpolizisten, mehr nicht, sonst seid ihr euren Job los. Dass die Zeitung schon früh die Idee von farbigen Polizeibeamten unterstützt hatte und über jeden weiteren ihrer Schritte berichten wollte, machte die Angelegenheit für alle acht zum Eiertanz.
Toon streckte die Hände aus. »Ich bin doch auf eurer Seite, Gentlemen.«
»Auf wessen Seite?« Smith schaute sich in sämtliche Richtungen um. »Auf welcher Seite? Was meinst du denn damit?«
Boggs hatte bohrende Kopfschmerzen und brauchte dringend Schlaf. Er konnte nicht klar denken. Das erklärte vielleicht, warum er sagte: »Du willst tatsächlich helfen? Ich hab da was für deine Zeitung, aber von mir hast du’s nicht. Klar?«
»Worum geht’s?«
»Wir haben eine Leiche«, sagte Boggs. »Farbiges Mädchen, Teenager oder vielleicht Anfang zwanzig. Tot aufgefunden, Schuss in die Brust. Kein Ausweis, nichts.«
Smith entfernte sich ein paar Schritte, sog scharf die Luft ein, als wollte er jeden Moment rufen: Fehler, Fehler, Fehler. Wenn McInnis wüsste, dass Boggs das ausplauderte, bekäme er ernsthaft Ärger. Doch Boggs war stinksauer auf den Richter, stinksauer auf Dunlow wegen letzter Nacht und stinksauer, dass die weißen Ermittler nichts in dem Mordfall unternommen hatten. »Alles, was sie hatte, war ein gelbes Kleid und ein herzförmiges Medaillon. Wir könnten warten, bis jemandem einfällt, dass seine Tochter oder seine Frau vermisst wird, aber wenn du das in die Zeitung setzt …«
»Was noch?«
»Das ist alles, was ich weiß.« Er wollte Toon nicht verraten, dass sie sie im Müll gefunden hatten. Wenn schon ein Ehemann oder Elternteil davon erfahren musste, dann persönlich von einem Polizeibeamten.
Toon setzte einen beeindruckend eindringlichen Blick auf. »Ihr verschweigt mir doch was.«
Es war ein Fehler gewesen, ihm überhaupt etwas zu erzählen. Aber Boggs war so wütend, dass er sich nicht hatte zurückhalten können. Die weißen Cops hatten seine Ermittlungen gegen Poe einfach so zunichtegemacht. Dunlow hatte einen Mann vor seinen Augen zusammengeschlagen, und jemand – höchstwahrscheinlich sein eigener Vorgesetzter – hatte seinen Bericht über die namenlose Tote neu geschrieben. Ihn verfälscht, indem er Brian Underhill rausgenommen hatte, die letzte bekannte Person, die zusammen mit dem Opfer gesehen worden war. Vermutlich, um den Ex-Cop zu schützen. Die Leute sabotierten Boggs, wie es ihnen passte, ließen ihn hilflos und dumm dastehen. Doch er weigerte sich, hilflos dazustehen.
»Die letzte uns bekannte Person, die mit ihr zusammen war, war ein weißer Mann mittleren Alters«, sagte er. »Aber das behältst du für dich.«
Toon nickte langsam. »Okay, ich setz was rein. Ruft mich an, sobald ihr mehr habt.«
*
Es war natürlich nicht das erste Mal, dass sie vor Gericht gedemütigt worden waren, doch dadurch wurde es nicht einfacher zu ertragen. Sie hatten ja gerade deshalb so viel Zeit in den Fall gesteckt, weil sie dachten, ihre Bemühungen würden die Voreingenommenheit des schnaufenden Richters am Ende bezwingen. Sie hatten angenommen, dass ihre harte Arbeit den Ausschlag geben würde.
»Ich dachte, du hättest abgeschlossen«, sagte Smith, als er die Tür zur ehemaligen Besenkammer öffnete.
»Hab ich auch.«
Smith schaltete das Licht ein, und Boggs schloss die Tür hinter ihnen. Ihre Zivilkleidung, die sie an Haken aufgehängt hatten, lag quer über den Boden verstreut.
»Herrgott noch mal.« Smith hob sein T-Shirt und seine Hose auf und klopfte den Staub ab.
Boggs tat es ihm mit seinem Hemd gleich. Er sah sich nach seiner Hose um. »Das ist doch ein Witz.«
Er schaute in den Regalen nach, die noch zur Hälfte mit alten Reinigungsmitteln gefüllt waren, und in den Kisten mit Gerichtsprotokollen und alten Zeitungen. Seine Hose war weg.
Einen Moment lang standen sie schweigend da, dann boxte Smith eine Packung mit Mottenkugeln aus dem Regal. Kleine giftige Bällchen prallten kreuz und quer von den Wänden ab. Boggs schloss kurz die Augen. Er wollte auch nach etwas schlagen, aber er riss sich zusammen.
»Ganz ruhig«, sagte er eher zu sich als zu seinem Partner.
»Ganz ruhig? Du bist derjenige ohne Hose.«
»Deshalb sollst du dich auch beruhigen. Schließlich musst du mir eine bringen.«
»Und du versteckst dich hier drin?«
»Ich warte hier, bist du eine hast, ja.«
»Zur Hölle damit. Wir gehen einfach beide in Uniform zurück zum Y. Scheiß auf ihre Regeln.«
»Nein. Für so was lasse ich mich nicht abmahnen. Nicht nach dem, was gerade passiert ist.«
»Wette fünf Dollar, dass die Hose im Richterzimmer ist.«
»Er kann sie behalten.« Boggs griff in seine Tasche und kramte einen Schlüssel heraus. »Ich hab eine zusätzliche in meinem Spind. Beeil dich, dann bekommen wir noch ein bisschen Schlaf vor der nächsten Schicht.«
Smith lehnte sich an eins der Regale. Er schaute auf seine Füße.
»Warum machen wir das alles noch mal?«
Boggs holte Luft. »Weil wir anständige Bürger sind und Musterbeispiele unserer Rasse«, sagte er in sanft spöttischem Anklang an die Rede des Bürgermeisters an ihrem ersten Tag.
»Nenn mir einen besseren Grund.«
»Damit wir den farbigen Kids ein Vorbild sind.«
Irgendwo klingelte ein Telefon in einem Büro.
»Einen besseren Grund.«
Einen Moment lang dachte Boggs nach, dann sagte er: »Maceo Snipes.«
In den Rücken geschossen, weil er der erste farbige Wähler im Bezirk Taylor gewesen war.
»Isaac Woodard.« Kriegsveteran, vor zwei Jahren von Cops aus South Carolina geblendet, weil er es gewagt hatte, seine Uniform zu tragen.
»Die Malcolms und die Dorseys.« Zwei verheiratete Paare, darunter ein weiterer Veteran und eine schwangere Frau, die auf einer Brücke über dem Apalachee River überfallen und ermordet worden waren.
Smith öffnete die Augen. »Gib mir schon den Schlüssel.«