23

»SIND SIE IMMER noch an dem Kerl interessiert, nach dem Sie sich neulich erkundigt haben? Underhill?«

Boggs war gerade dabei gewesen, an seinem Schreibtisch Papierkram zu erledigen, als das Telefon klingelte. Es war die Frauenstimme aus dem Archiv, die zweite, die ihn zurückgerufen und ihm weitergeholfen hatte.

»Ja.«

»Na ja, der ist tot.« Sie klang auch diesmal gedämpft, sprach leise, ihre Kolleginnen saßen vermutlich nicht an ihren Schreibtischen.

»Was ist passiert?«

»Hab den Bericht vorliegen. Die Beamten Delroy und Reardon haben die Leiche um 0:30 Uhr entdeckt. Haben gerade erst ihren Bericht eingereicht. Zwei Schüsse aus nächster Nähe, Kleinkaliber. Die Leiche muss da schon mindestens vierundzwanzig Stunden gelegen haben, steht hier. In der Pathologie arbeiten sie noch dran.«

Er fragte nach der Adresse, notierte sie sich mit dem nächstbesten Stift, dann griff er nach einem Straßenatlas. Er kannte die Gegend nicht besonders gut, sie lag in einem weißen Arbeiterbezirk.

»Die Leiche wurde bei einer Fabrik gefunden, die schon seit einer Weile geschlossen ist«, sagte sie. »Meistens nehmen wir dort Marihuana-Dealer und Prostituierte fest, gelegentlich wird auch Alkohol umgeschlagen.«

»Man fragt sich, was einer wie der da draußen wollte.«

»Die arbeiten dran. Das kann ich Ihnen versichern. Der letzte Mord, wegen dem Sie angerufen haben, das farbige Mädchen … so was juckt die gar nicht. Aber ein Ex-Cop ist was anderes.«

Er war erstaunt, dass sie ihn deswegen anrief. Überhaupt anrief. Auch dass sie bei Lily »farbig« und nicht das geringschätzigere »schwarz« benutzt hatte, war ihm nicht entgangen.

»Was können Sie mir sonst noch über ihn sagen?«, fragte er. »Beim letzten Mal erwähnten Sie, dass man ihm gekündigt hatte.«

Sie erzählte ihm, dass Underhill einer der Cops gewesen sei, die gefeuert wurden, weil sie ihre Finger im Lotteriegeschäft gehabt hatten.

»Wissen Sie, ob er immer noch mit den Kollegen befreundet ist?«

»Scheiße, in dieser Stadt bleibst du für immer Polizist, selbst wenn du deinen Job verlierst. Bin sicher, der hat noch so einige Freunde hier sitzen. Deshalb sollten Sie auch verdammt vorsichtig sein, wenn Sie das denken, von dem ich denke, dass Sie es denken.« Das ließ sie erst mal wirken. »Sie können sich doch von Ihrem Vorgesetzten auf den neusten Stand bringen lassen, wenn Sie das möchten. Wenn er Sie auflaufen lässt, rufen Sie mich an.«

»Ich danke Ihnen sehr für den Anruf, Ma’am. Ich weiß das zu schätzen.«

»Wir sind nicht alle gegen Sie, müssen Sie wissen.«

»Danke.«

»Na ja, die meisten schon, fürchte ich. Aber es gibt mehr von uns, mehr, die auf Ihrer Seite stehen, als Sie glauben. Wir können nur nicht damit hausieren gehen.«

»Das verstehe ich.« Das tat er nicht, nicht so ganz.

»Wollten Sie sonst noch was wissen?«

»Ja, eine Sache.« Er atmete durch. »Haben die weißen Cops wirklich Wetten darauf abgeschlossen, dass sie einen von uns erledigen?«

Schweigen. »Wünschte, ich könnte Ihnen was anderes erzählen, aber ja.«

»Ich weiß Ihre Ehrlichkeit zu schätzen.«

»Ich meine, es ist keine echte Wette, es ist nicht so, dass jemand Dollars sammelt für denjenigen, der irgendwann beschließt, jemandem von euch eine Kugel zu verpassen. Aber es stimmt, dass viel darüber geredet wird.«

»Und wenn die Leute drüber reden, dann muss was dran sein.«

Er hörte sie förmlich lächeln, als sie sagte: »Seien Sie kein Klugscheißer, Officer Boggs.«

Als er auflegte, lächelte er auch. So sehr, dass ihm erst Stunden später wieder einfiel, dass er bei ihrem ersten Gespräch eigentlich nur nach der Akte von Underhill gefragt hatte. Lily Ellsworth hatte er gar nicht erwähnt. Und doch hatte sie gesagt, dass sein letzter Anruf wegen des ermordeten »farbigen Mädchens« erfolgt sei. Woher wusste sie also, dass es um den Mord an Lily ging, als er sich nach Underhill erkundigt hatte?

*

Am nächsten Tag stand Boggs im riesigen Schatten eines Magnolienbaums im Vierten Bezirk und wartete auf seinen Partner. Drei kleine Kinder kletterten auf den dicken Ästen des Baums herum, von denen einer nur etwa einen Meter über dem Boden hing, nach circa fünf Metern unvermittelt im Boden verschwand und einen Meter weiter wie eine baumgewordene Seeschlange wieder daraus hervortauchte.

Es herrschte diese Hitze eines späten Nachmittags, die so lange heißer wurde, bis die Sonne unterging. Die hohe Luftfeuchtigkeit ließ einen fast nach Luft ringen. Bis zur Dunkelheit waren es noch viele Stunden, als Smith zu ihm stieß und sie gemeinsam zum Haus von Lily Ellsworths ehemaligem Lehrer gingen. Boggs war bereits gestern hier gewesen, und eine hübsche junge Frau hatte ihn wissen lassen, dass ihr Mann nicht zu Hause sei.

Der gedrungene Bungalow hätte einen neuen Anstrich vertragen können, aber ansonsten war Boggs wirklich Schlimmeres gewohnt. Der Garten war gepflegt, zwei Meter hohe Hecken aus dunkelroten Blumenrohrgewächsen flankierten das Haus, ihre tropischen Blätter wirkten wie Flügel und ihre roten Blütenblätter wie Drachenköpfe, deren Kiefer gen Himmel schnappten. Darunter schlappe Kaladienblätter mit pinken Adern in der stehenden Luft, so groß wie Elefantenohren. Die Fenster des Bungalows standen offen, drinnen surrte ein elektrischer Ventilator. Diese Wohngegend lag zwar in ihrem Revier, allerdings gab es nur selten einen Grund, ein Haus zu betreten, außer um einen Einbruch aufzunehmen. Die Familien hier gingen anständigen Berufen nach und ihre sich häufenden Besitztümer lockten Einbrecher an.

Boggs klopfte an die Tür. Zwei Stunden vor Dienstantritt waren sie noch nicht in Uniform. Die Tür wurde von derselben Frau wie gestern geöffnet. Hübsch und schlank, sanfte Augen, rund wie Pralinen. Und doch mit Augenringen: Beim ersten Mal hatte sie ein Kleinkind bei sich gehabt und jetzt hielt sie ein schlafendes Baby im Arm.

»Tag, Mrs. Hurst. Ist Ihr Mann da?«

Gestern hatte er ihr nicht verraten, dass er Polizist war, hatte sich stattdessen als alter Freund vom Morehouse ausgegeben. Nicht unbedingt, weil er den Mann für verdächtig hielt, aber warum sollte er bereits im Vorfeld ankündigen, dass jemand von der Polizei im Anmarsch war. Sie hatte gesagt, ihr Mann arbeite, dass er in der Sommerschule unterrichte und man ihn am besten am späten Nachmittag antreffe, und da waren sie jetzt. Sie wirkte nicht argwöhnisch bei ihrem Wiedersehen, obwohl er jetzt in Begleitung erschien. Vielleicht war sie auch zu müde für Argwohn. Sie hole ihren Mann, versicherte sie, und die Fliegengittertür fiel hinter ihr zu.

Smith zog die Augenbrauen hoch, wie immer, wenn er eine schöne Frau sah.

Die Fliegengittertür öffnete sich erneut. Nathaniel Hurst war ein groß gewachsener Mann, gute fünf Zentimeter größer als Boggs und zwei größer als Smith. Er entsprach durchaus dem Bild eines Lehrers, dünn, Brille, die Schultern leicht nach vorne geneigt, als wäre er es gewohnt, sich zu seinen Schülern hinunterzubeugen. Seine Stirn glänzte, und es standen mehr Knöpfe seines rot karierten Hemdes offen, als sich normalerweise ziemte, wenn nicht so eine erbarmungslose Hitze geherrscht hätte.

»Guten Tag, Gentlemen. Kann ich Ihnen helfen?«

Boggs streckte die Hand aus. »Mein Name ist Officer Lucius Boggs, Mr. Hurst.« Hurst wartete zwei Sekunden, bevor er Boggs’ Hand nahm. »Das hier ist mein Partner, Tommy Smith.«

Noch ein Händedruck, und Hurst zog seine Schultern zurück, wuchs um ein paar Zentimeter, während er sie hereinbat.

»Wir hatten gehofft, Ihnen ein paar Fragen stellen zu dürfen.«

Er war einverstanden und bedeutete ihnen, auf den alten Holzstühlen der schmalen Betonveranda Platz zu nehmen.

»Drinnen ist es sogar noch heißer«, sagte er, als wollte er sich für seine vermeintlich mangelnde Gastfreundlichkeit entschuldigen.

Smith entschied sich gegen das Sitzen, lehnte sich stattdessen an die Brüstung der Veranda und blickte auf den Lehrer hinab. Mandarinenfarbene Wespen zischten vorbei.

»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Die Stühle waren nicht besonders hoch, Boggs’ Ellenbogen lagen auf seinen Knien, seine Hände waren gefaltet, als er sagte: »Wir ermitteln im Mordfall einer ehemaligen Schülerin von Ihnen. Lily Ellsworth.«

Der Lehrer nickte, sein Gesicht nahm einen angemessen traurigen Ausdruck an. »Ja.«

»Sie wussten, dass sie tot ist?«, fragte Smith.

»Es stand vor ein paar Tagen in der Daily Times. Ich war … geschockt. Bin’s immer noch. Sie … sie war eine so wunderbare junge Frau.«

Boggs holte ein kleines Notizbuch und einen Stift hervor. »Was können Sie uns sonst noch über sie sagen?«

»Nun, wie Sie ja offensichtlich wissen, habe ich sie in Peacedale unterrichtet. Ein paar Jahre lang. Sie war so um die, weiß nicht, vielleicht zwölf, als ich sie kennengelernt habe? Konnte kaum lesen, genau wie die anderen Kinder in ihrem Alter dort. Ich war der neue Lehrer, hatte erst vor ein, zwei Jahren den Abschluss am Morehouse gemacht. Ich habe sie fünf Jahre lang unterrichtet, schätze ich.«

»Also bis vor einem Jahr?«, fragte Boggs.

»Das kommt ungefähr hin.«

Boggs notierte sich das im Geiste und außerdem, dass Hurst öfter Phrasen wie »vielleicht« oder »ich schätze« benutzte, als man das von einem gebildeten Mann wie ihm im Verlauf eines herkömmlichen Gesprächs erwarten würde.

Boggs stellte noch mehr Fragen und bekam Antworten, die er bereits woanders gehört hatte. Dass Lily nach Atlanta gezogen war, weil sie das Leben auf dem Land mit seinen Einschränkungen satt hatte. So was wie »Nein, tut mir leid, ich weiß nicht genau, mit wem sie befreundet war oder mit wem sie in ihren letzten Tagen verkehrte.«

»Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht … vor drei Monaten?«

»Bei einem Treffen des Rats zur Rassenkooperation?«

Er wirkte überrascht. »Ja.«

»Wie genau hat sie Sie unterstützt?«

Hurst setzte sich anders hin. Boggs fand die Stühle wirklich verdammt unbequem. »Wir haben eine Menge Briefe aufgesetzt. Petitionen an Politiker, Schreiben an andere Gruppierungen, mit denen wir uns zusammentun wollten. Anfragen an farbige Highschools und Colleges. Mühsame Plackerei, von der manche Leute glauben, sie führe einen ans große Ziel.«

Boggs fand es merkwürdig, wie lustlos jeder über die Gruppe sprach. Hier gibt es nichts zu sehen.

»Was hat Sie nach Atlanta verschlagen?«, fragte Smith.

»Auch ich hatte die Provinz satt. Ich bin dorthin, um den Kindern zu helfen, Kindern wie Lily. Und ich denke, das habe ich auch. Ich sag’s noch mal: Das Mädchen war bereits eine halbe Frau und konnte immer noch nicht lesen. Ich habe ihr das Tor zur Welt aufgestoßen. Ihr und vielen anderen. Zumindest rede ich mir das an schlechten Tagen ein, wenn ich mich frage, was mich dazu getrieben hat. Ich hab das ein paar Jahre lang gemacht. Auf gewisse Weise hat es mich erfüllt, aber es hat mich auch zermürbt.«

»Und trotzdem machen Sie hier dasselbe, also unterrichten?«

»Ich habe einen Job am Booker T, richtig. Und ja, auch das stellt einen vor Herausforderungen, aber immerhin kann ich in Atlanta leben.«

»Also sind Sie und Lily ungefähr gleichzeitig hergezogen?«

»Wenn das so ist, dann ist das reiner Zufall. Meine Frau und ich haben Peacedale vor einem Jahr verlassen, sind rauf nach Macon gezogen, aber nach ein paar Monaten haben wir beschlossen, zurück nach Atlanta zu kommen. Ich hatte im letzten Jahr keinen Kontakt zu Lily und hab sie erst wieder in Atlanta bei einer Zusammenkunft des Rats getroffen. Ich war sehr überrascht, sie zu sehen, aber, ganz ehrlich, irgendwie auch geschmeichelt.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Boggs.

»Mein Unterricht hat ihren Sinn für Politik geweckt, ich habe das schon in Peacedale erkannt. Und dann nimmt sie hier an einer politischen Versammlung teil, das hat mir etwas bedeutet. Ich war stolz auf sie.«

Und stolz auf dich, dachte Boggs. Eine winzige Eidechse, die aus dem hohen Gras am anderen Ende der Veranda schoss, lenkte ihn kurz ab. Er wandte sich wieder Hurst zu. »Was können Sie mir über ihre Familie erzählen?«

»Nicht viel. Hab sie nur ein-, zweimal getroffen. Farmer. Pächter. Unsere Leute da arbeiten unter schlimmen Bedingungen. Noch mal: Ich hab versucht zu helfen, aber …« Er schüttelte den Kopf.

»Ihr Vater vermittelte den Eindruck, als könnte er Sie nicht leiden«, bohrte Smith nach. »Meinte, Sie haben ihr Flausen in den Kopf gesetzt. Seien schuld, dass sie die Familie verlassen hat.«

Hurst atmete langsam ein, lehnte sich zurück, legte seine Handflächen auf die Oberschenkel. »Ich kann mir vorstellen, wie das auf einen ungebildeten Mann wirken mag. Und ja, hätte ich dort nie unterrichtet, wäre Lily wohl immer noch Analphabetin und arm, würde fremde Kühe melken und schwanger werden. Und sie wäre am Leben, schätze ich.«

Boggs wollte abwarten, bevor er die nächste Frage stellte, wollte sehen, ob sich diese Emotionen bei ihm noch verstärkten, aber sein Partner war anderer Meinung.

»Was hat sie von dem Kongressabgeordneten gehalten?«, fragte Smith.

»Welchem?«

»Dem, für den sie gearbeitet hat.«

»Der, ach ja, stimmt. Prescott. Ich bin nicht sicher, ob sie ihn je kennengelernt hat.«

Ein Alarm schrillte in Boggs’ Schädel. Daran, wie Smith sich leicht zurücklehnte, erkannte er, dass sein Partner es ebenfalls gehört hatte: Hursts verlogene Art, so zu tun, als könnte er sich nicht erinnern, nur um sich dann doch zu erinnern – an genau die eine Sache, von der er gehofft hatte, die Beamten würden sie nicht ansprechen.

»Was hat sie Ihnen über die Arbeit dort erzählt?«, fragte Boggs.

»Nichts. Also, ich kann mich schon daran erinnern, wie sie erzählt hat, dass sie als Dienstmädchen für seine Frau arbeitet, aber nach Details zu ihrer Arbeit im Haushalt habe ich nicht gefragt. Schätze, die ist ziemlich öde.« Um das falsche Spiel zu vollenden, grinste er jetzt auch noch vorsichtig, als handelte es sich um einen Witz, als rollten drei Männer mit den Augen, weil sie über langweilige Frauenarbeit sprachen, als hätten sie vergessen, warum sie hier waren.

»Und Sie sind absolut sicher, dass sie sonst nichts über die Arbeit dort erwähnt hat?«, fragte Boggs. Ein unmissverständlicher Rettungsring für einen Mann, der vielleicht anfing zu begreifen, dass er drohte zu ertrinken.

Hurst ergriff ihn nicht. »Tut mir leid. Und ich fürchte, ich kriege Ärger mit der Frau, wenn ich nicht wieder reingehe und ihr helfe, das Kleine zu füttern.«

Hurst stand auf, Boggs ebenfalls, nur Smith blieb ans Geländer der Veranda gelehnt.

»Sie wollten was von ihr, stimmt’s?«, sagte Smith mit einem leichten Grinsen.

Hurst erstarrte. »Bitte?«

»Sie haben mich schon verstanden.«

»Worauf wollen Sie hinaus, Officer?«

»Ich will auf gar nichts hinaus, ich denke, ich hab mich glasklar ausgedrückt. Oder soll ich Ihre Frau fragen?«

Hurst hatte bis eben eher wie ein Bücherwurm gewirkt, doch jetzt war etwas in ihm aufgelodert, und Boggs betrachtete ihn jetzt anders, vielleicht im Ansatz so, wie es die Frauen taten, als großen und gut aussehenden Mann mit markantem Kiefer und Händen, die zupacken konnten.

»Drohen Sie mir?«, sagte Hurst zu Smith.

Boggs beneidete Smith sehr um die Ruhe, die er gegenüber jemanden bewahrte, der wirkte, als könnte er jeden Moment zuschlagen.

»Mr. Hurst.« Smith lehnte immer noch wie beiläufig am Geländer. »Tragen wir eine Uniform? Steht draußen ein Streifenwagen, den Ihr Vermieter sehen könnte? Waren wir Ihnen gegenüber unfreundlich? Haben wir Ihnen Handschellen angelegt?« Er ließ die Bilder für ein paar Sekunden wirken. »Wir hätten das auch anders machen können, aber wir hatten gehofft, dass Sie uns weiterhelfen. Dass Sie kooperieren. Wenn Sie das nicht tun und uns lieber Dinge verschweigen, dann wird es Uniformen geben und einen Streifenwagen und Handschellen. Nur dass wir Ihnen die nicht anlegen. Das erledigen die weißen Cops. Cops, die noch nicht einmal wir leiden können.«

Hursts Blick wechselte eine gefühlte Ewigkeit zwischen ihnen hin und her. Zumindest so lange, dass ein Auto vorbeifahren konnte und das Baby drinnen aus einem unerfindlichen Grund anfing zu weinen.

»Sie denken, dass ich nicht ehrlich zu Ihnen war. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich nichts damit zu tun habe, was auch immer ihr zugestoßen ist.«

»Was ist ihr denn zugestoßen?«, fragte Boggs. Vielleicht lag er falsch – vielleicht waren die Situation und er selbst zu emotionsgeladen –, aber es kam ihm so vor, als wäre Hurst den Tränen nahe.

»Ich habe viel zu viel Respekt vor dieser jungen Lady«, sagte Hurst schließlich, »um Ihnen gegenüber auch nur ein weiteres Wort über sie zu verlieren.«

Ohne sie zu verabschieden oder ihnen viel Glück bei der Suche nach dem Mörder zu wünschen, öffnete er die Fliegengittertür und ließ sie stehen. Sie warteten noch einen Moment, dann gingen sie. Sie liefen auf der Westseite der Straße, um im Schatten zu bleiben.

»Das war ein Schuss ins Blaue«, sagte Smith, »aber ich schätze, wir haben ins Schwarze getroffen.«

»Du hast was getroffen, ich geb’s zu. Aber denkst du, die hatten wirklich eine Affäre, oder hätte er nur gerne eine mit ihr gehabt? Oder was anderes?« Zum einen fragte er, weil er sich selbst nicht sicher war, und zum anderen, weil Smith deutlich mehr Erfahrungen mit Affären hatte.

»Ich weiß es nicht. Aber den Kameraden behalten wir besser im Auge.«

Ein paar Schritte später sagte Boggs: »Es klang nicht so, als hätte sie etwas Falsches getan. Eher was Beschämendes.«

»Oder ihr wurde etwas Beschämendes angetan.«

*

Weniger als eine Stunde später, nach Dienstantritt, rief McInnis sie in sein Büro. Sie konnten der Versuchung widerstehen, schuldbewusste Blick zu tauschen. Ein stilles Gebet sprachen sie dennoch beide.

McInnis setzte sich an seinen Schreibtisch, seufzte und wedelte mit einer Akte in ihre Richtung, bevor er sie auf den Schreibtisch fallen ließ.

»Da ihr euch ja so brennend dafür interessiert, dachte ich, ich sag euch, dass der Ellsworth-Fall abgeschlossen ist. Es war doch der Vater. Er hat gestanden.«

Boggs war wie vom Donner gerührt. »Wem gegenüber?«

»Zwei seiner Bekannten. Er hat es ihnen gesagt und die dem Sheriff von Peacedale. Als der Sheriff ihn verhaften wollte, hat er versucht abzuhauen. Den Rest können Sie sich denken.«

Boggs und Smith waren für einen Moment still.

»Die haben ihn erschossen?«, sagte Smith dann.

»Ja, er ist tot.« McInnis machte eine Pause. »Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt, und ich weiß, dass das alles andere als einen guten Eindruck macht. Aber es ist vorbei, die Akte ist geschlossen, und wir können nichts mehr tun. Ich wollte nur … wollte, dass Sie es von mir hören und nicht von einem der anderen Cops.«

Boggs schüttelte den Kopf. Ihn schwindelte.

»Sie können den Bericht der Kollegen aus Peacedale in Ihrer Pause lesen«, sagte McInnis und tippte auf den Umschlag. »Aber jetzt brauch ich Sie auf Streife, Officers.«

»Ja, Sir«, sagte Smith, denn Boggs fehlten die Worte für das, was er empfand. Er fühlte Smiths Hand auf seinem Bizeps, wie sie ihn wegzog, bevor er etwas erwidern konnte, für das man ihn feuerte.