28
UM ZWANZIG VOR drei fuhr Rake nach Mozley Park, wie der mysteriöse Anrufer es von ihm verlangt hatte. Er hatte auf einen Vorteil gegenüber dem Anrufer gehofft, wenn er früher eintraf, aber er hatte kein Glück. Ein blauer Ford Pick-up wartete schon auf dem kleinen Parkplatz, seine Ladeklappe stand offen und ein breiter, überwiegend kahler Mann jenseits der fünfzig saß auf der Kante. Er trug eine Jeans-Latzhose und darunter ein weißes T-Shirt, und seine großen Augen erinnerten im Scheinwerferlicht an die einer Eule.
Die Tatsache, dass der Anrufer Rake gebeten hatte, gegen drei zu kommen, eine Stunde nach Dienstende, ließ Rake annehmen, dass der Anrufer seinen Tagesablauf kenne. Hätte er »Mitternacht« gesagt, hätte das bedeutet, dass Rake in Uniform samt Streifenwagen und Funkgerät aufgetaucht wäre. So aber hatte er vorher ausgestempelt und seine Zivilkleidung angezogen, immerhin war er schlau genug gewesen, seinen Revolver mitzubringen. Er hatte schon überlegt, ob er eine Notiz hinterlassen sollte, falls ihm etwas zustieß, damit Cassie wusste, wo er hingefahren war, doch er hatte sich dagegen entschieden.
Er parkte gegenüber dem Pick-up und stieg aus dem Wagen. »Sie sind der geheimnisvolle Anrufer?«
»Der bin ich. Schön, dass Sie es einrichten konnten.«
»Sie haben sich einen ganz schön belebten Ort für unser Gespräch ausgesucht, Mister …?« Die Leerstelle sollte der Mann ausfüllen, doch er tat es nicht.
Stattdessen hörte Rake das unverwechselbare Geräusch einer Schrotflinte, die hinter ihm entsichert wurde.
»Hände hoch, Anfänger.«
Rake nahm langsam die Hände hoch, war sich selten so dämlich vorgekommen. Sein Magen schien ein paar Zentimeter tiefer zu sacken, während der kahle Mann vom Pick-up sprang und auf ihn zukam. Er war ein paar Zentimeter kleiner als Rake, dafür aber breit wie ein Scheunentor.
»Was auch immer die Gentlemen hier veranstalten, es ist den Ärger nicht wert, der euch blüht.«
Er hörte Schritte hinter sich, als der Mann mit der Schrotflinte sich näherte. Er machte sich auf einen Schlag auf den Hinterkopf gefasst, stattdessen fühlte er Hände, die ihm den Revolver aus der Hosentasche zogen. Dann versetzte ihm der Kahle einen Schlag in die Magengrube.
Ihm blieb der Atem weg, überrascht wurde er davon aber nicht, er hatte schon Schlimmeres einstecken müssen. Als er sich mühsam wieder aufrichtete, folgte allerdings doch noch der erwartete Schlag auf den Hinterkopf und er stolperte nach vorn. Jemand sehr Großes warf sich auf ihn, und seine rechte Wange bohrte sich in den Kies, während man seine Arme auf den Rücken drehte. Er versuchte, sich herauszuwinden, doch zwei Schläge von hinten in die Rippen ließen ihn den Gedanken verwerfen. Dann hörte er ein weiteres unverwechselbares Geräusch: Dieses Mal waren es Handschellen.
Sie zogen ihn wieder hoch und stießen ihn gegen die offene Ladefläche des Fords, es war wie ein weiterer Schlag in die Magengrube. Jemand drückte ihn mit dem Kopf auf den verdreckten Metallboden der Ladefläche.
»Was zur Hölle glaubt ihr, was ihr da tut? Ich bin ein Cop.«
»Scheiße, klar bist du ein Cop. Wir wollen wissen, warum du Brian Underhill getötet hast.«
»Was?«
Der kahle Mann holte theatralisch etwas aus seiner Hosentasche. Dann hielt er Rake eine rostige Metallzange vors Gesicht. »Warum hast du ihn getötet?«
»Ich habe ihn nicht getötet!«
Rake hörte, wie der Kahle hinter ihn trat, dorthin, wo der andere ihn festhielt. Mit seinen Armen hinter dem Rücken und seinem Schwerpunkt über dem Ford konnte er sich weder herauswinden noch sich seinen Weg frei treten. Er spürte, wie sich kaltes Metall um das untere Ende seines kleinen Fingers legte. Seine eigenen Hände hatten sich noch nie so weit entfernt von seinem Körper angefühlt und gleichzeitig auf so furchtbare Weise damit verbunden.
»Sei mal ein bisschen ehrlicher zu uns, Anfänger.«
»Ich sag Ihnen die Wahrheit!«
Die Zange drückte fester zu. Rake biss die Zähne zusammen.
»Letzte Chance, Rakestraw.«
»Fickt euch!«
Die Muskeln in Rakes Schultern, Armen und Fingern hätten nicht angespannter sein können, barsten geradezu vor Kraft, und doch riss es den kleinen Finger beinahe völlig heraus, er spürte das Knacken und hasste sich für seinen Schmerzensschrei.
»Nächster Versuch«, brüllte einer der Männer. »Warum hast du ihn umgebracht?«
Der Schmerz seines gebrochenen Fingers war ihm längst in die Schulter und bis in den Nacken geschossen. In den übrigen Fingern war immer noch genügend Gefühl, um ihm mitzuteilen, dass die Zange jetzt an seinem Ringfinger angesetzt wurde.
»Ich hab die Scheiße aus ihm rausgeprügelt, aber ich hab ihn verdammt noch mal nicht erschossen! Hätte ich den Hurensohn abgeknallt, würde ich es zugeben. Ich wünschte fast, ich hätte es getan, aber jemand war schneller.«
Das Gewicht auf ihm schien sich ein wenig zu verringern, und obwohl er sie nicht richtig hören konnte, spürte er die Vibration einer Stimme in dem Körper, der sich an ihn drückte.
Dann sagte einer von ihnen nur wenig lauter: »Scheiße, geht mir genauso.«
Der Druck löste sich, er hatte jetzt wieder Halt und stieß sich vom Wagen ab, kam ins Wanken und landete auf einem Knie. Jetzt konnte er sie sehen. Der Kahle hatte die Arme verschränkt, als beschäftigte ihn ein gravierendes Problem, die Zange in der einen Hand baumelnd, der andere Mann, den er bisher nicht hatte sehen können, war groß und breitschultrig, viel jünger als sein Partner und hatte zerzaustes blondes Haar. Das Erste, was Rake an ihm auffiel, war, dass er keine Schrotflinte in der Hand hatte. Rake ließ seinen Blick schweifen und sah das Gewehr ein paar Meter weiter weg auf dem Boden liegen. Der Mann mit der Glatze steckte seine Zange in die Tasche seiner Latzhose, und da er Rakes Blick auf die Schrotflinte bemerkte, holte er Rakes Revolver aus der anderen.
»Jetzt beruhige dich erst mal.«
Rake war gar nicht aufgefallen, wie laut er keuchte. Er biss wieder auf die Zähne, beschämt und dankbar, dass sie den Finger dran gelassen hatten, aber auch verflucht noch mal stocksauer.
Langsam stand er auf. Er war immer noch gefesselt, wollte sie aber nicht um einen Gefallen bitten. Jesus, tat sein Finger weh.
»Wer zum Teufel seid ihr, und was soll das hier?«, fragte er.
»Wir mussten sichergehen, dass du ihn nicht umgelegt hast«, sagte der Ältere.
»Ich bin ein Cop.«
»Das bedeutet einen Scheiß. Und wir wissen, wovon wir reden, Anfänger.«
Die Handschellen hatten sie ihm problemlos anlegen können. »Ihr seid Cops?«
»Schon seit ein paar Jahren nicht mehr«, sagte der Jüngere von beiden.
»Also habt ihr mit Underhill zusammengearbeitet?«
»Ja«, sagte der mit der Glatze. »Und er wusste, dass du ihm nachspionierst. Hat er mir erzählt; damit ich weiß, wen ich mir vorknöpfen muss, wenn ihm was zustößt.«
»Ja, ich bin ihm gefolgt. Aber wie ich bereits erwähnt habe, bin ich Polizeibeamter, und hin und wieder folgen wir Verdächtigen. Vielleicht erinnert ihr euch ja.«
»Nur, dass er kein Verdächtiger ist, und das weißt du.«
Wenn sie keine Cops mehr waren, wie konnten sie dann so sicher sein, dass Underhill nicht offiziell als Verdächtiger galt? Rake hatte genug davon, gegen Leute zu spielen, die ihm in die Karten schauen konnten.
»Also was ist mit ihm passiert?«, wollte der Ältere wissen.
»Ich bin ihm nachts zu einer alten Fabrik in Pittsburgh gefolgt. Er war da wohl mit jemandem verabredet. Aber wer auch immer dort auf ihn gewartet hat, hatte eine böse Überraschung für ihn.«
Die beiden Ex-Cops tauschten Blicke aus. Rake fuhr fort: »Bevor das passiert ist, waren da nur er und ich. Er hat mich zuerst erwischt, dann haben wir uns ein bisschen geprügelt. Er wollte nichts sagen, egal, wie hart ich ausgeteilt hab. Vielleicht hätte ich ihm auch seinen gottverdammten Finger mit einer Zange brechen sollen. Wir haben gekämpft, bis keiner mehr konnte, und als mir klar wurde, dass er nichts mehr ausspuckt, bin ich abgehauen.«
»Underhill hält dicht«, grinste der Jüngere. »Jeder, der 44 dabei war, hätte dir das sagen können.«
»1944 war ich ziemlich beschäftigt. Gab da einen Krieg. Nehme an, ihr habt Klumpfüße? Oder wurdet wegen fehlender Eier ausgemustert?«
Der Jüngere machte eine Bewegung, und Rake versuchte, sich zwischen einem Kopfstoß und einem Tritt in die fehlenden Eier zu entscheiden, schließlich hatte er die Arme nicht frei. Da sagte der Ältere: »Gott noch mal, Chet, du beißt ja schneller an als ein ausgehungerter Barsch. Halt doch einfach die Fresse und lass ihn seine Geschichte zu Ende bringen.«
Chet verzog keine Miene. »Dann bring deine verdammte Geschichte zu Ende.«
Rake wartete einen Moment, um klarzustellen, dass er nicht den Befehlen dieses Idioten Folge leistete, sondern seine Geschichte freiwillig erzählte.
»Ich war noch nicht mal beim Wagen, als ich zwei Schüsse gehört hab. Ich bin zurückgerannt, und da lag er.«
»Wir haben zu früh mit der Zange aufgehört«, sagte Chet.
»Nimm mir die Handschellen ab und schau, wie weit du dann kommst.«
»’dammt noch mal, Chet. Ich hab doch gesagt, dass ich ihm glaube. Einen Scheißdreck weiß der.«
»Der weiß mehr, als mir recht sein kann.«
»Euch beide hat man gleichzeitig bei der Polizei rausgeworfen, stimmt’s?«, spekulierte Rake.
Ihre kalten Blicke bestätigten ihn. Die Pistole in der Hand des Älteren war immer noch auf den Boden gerichtet. Die Schrotflinte lag ein paar Meter hinter ihnen.
»Also seid ihr seine Freunde, und er hat gesagt, er glaubt, dass es jemand auf ihn abgesehen hat? Wer?«
Die beiden Ex-Cops sahen sich erneut an.
Rake ließ nicht nach. »Ich weiß, dass er das schwarze Mädchen umgebracht hat, und ich möchte wetten, dass der, der hinter ihm her war, auch etwas damit zu tun hatte.«
»Er hat sie nicht umgebracht«, sagte der Ältere. »Wir sind keine beschissenen Meuchelmörder.«
»Eher so was wie die Müllabfuhr«, sagte Chet und trat gegen einen Stein.
»Verdammt richtig.«
Rake wartete ab. Er war zuversichtlich, dass sie ihm mehr erzählen würden, aber wenn er sie zu direkt fragte, nervte er sie nur, und sie würden verstummen.
Der Ältere von beiden fing wieder an zu reden, und dieses Mal steckte er den Revolver in seine Tasche. Das allein reichte Rake, um sich ein bisschen weiter aufzurichten, seine gekrümmte Schutzhaltung aufzugeben. Das reichte wiederum Chet, um einen Schritt zur Seite zu machen, als wollte er jeden Moment in seinen Pick-up springen und wegfahren.
»Wir glauben, dass Underhill wegen eines Jobs getötet wurde, den er vor Kurzem erledigt hat. Das Übliche, nichts, was schlimmer oder größer wäre als die Jobs, die sie uns heutzutage geben. Doch aus irgendeinem Grund hat jemand – er hat uns nicht verraten, wer – kalte Füße gekriegt.«
»Jobs? Welche Jobs?«
»Er hat nur die Sauerei weggemacht.«
»Sie wollen mir sagen, jemand anderes hat sie getötet, und es war seine Aufgabe, die Leiche verschwinden zu lassen?«
»Hey, gib dem Jungen eine Zigarre.«
»Und wer?«
»Wir wissen nur, dass er gesagt hat, er wird dafür bezahlt, eine Sauerei wegzumachen. Das ist nicht allzu unüblich, mein Sohn. Dafür gibt’s die gottverdammte Rust Division. Wir machen die Drecksarbeit, für die sie sich zu schade sind.«
»Rust Division?«
»Dachte, du hättest wenigstens mal davon gehört. Bist wirklich noch ein bisschen grün hinter den Ohren. Rust Division nennen sie die, die man 44 entlassen hat. Wir sind die Sündenböcke für das, was fast jeder verdammte Cop in der Stadt getan hat. Deshalb erbarmen sich manche bei der Truppe und bieten uns Jobs an, die vielleicht nicht ganz den gesetzlichen Standards von Polizeiarbeit entsprechen. Wir sind keine offizielle Abteilung, und es gibt noch nicht mal ein offizielles Wir. Nur sechs Ex-Cops, denen man hin und wieder einen Knochen hinwirft.«
»Jetzt sind’s leider nur noch fünf«, sagte Chet und warf Rake einen Blick zu, der ihn wissen ließ, dass er ihm immer noch nicht ganz über den Weg traute.
Rake hatte noch nie von einer Rust Division gehört, abgesehen von den paar Wortfetzen zwischen Underhill und Dunlow vor ein paar Nächten. »Also wurde Underhill von einem Cop beauftragt, eine Leiche zu beseitigen und damit ein Verbrechen zu vertuschen?«
»Was ich damit meine, ist, dass ich eins und eins zusammenzählen kann, und mit ein wenig guten Willen solltest du das auch hinbekommen.«
»Warum sollte Underhill so was tun?«
»Weil sie ihn gut bezahlt haben.«
»Wer sind sie?«
»Wissen wir nicht. Wir wissen noch nicht einmal, wer das Mädchen war. Er wollte nicht, dass wir es wissen.«
Von Boggs wusste Rake, dass das Mädchen für den Kongressabgeordneten Prescott gearbeitet hatte. So jemand konnte es sich mit Sicherheit leisten, auf diese Weise Diskretion zu wahren. Hatte Prescott sein Dienstmädchen auf dem Gewissen? Doch laut Boggs und Smith war sie noch am Leben und in Gesellschaft Underhills gewesen in der Nacht ihres Todes. Man ruft niemanden an und bittet ihn, eine Leiche verschwinden zu lassen, wenn die zugehörige Person noch keine Leiche ist. Das wäre Auftragsmord.
Er dachte darüber nach, den Kongressabgeordneten zu erwähnen, ließ es jedoch bleiben. Er behielt diese Information lieber für sich. Sollte es nötig werden, konnte er sie später damit konfrontieren. Falls er dann noch am Leben war.
»Er hat uns immer noch nicht erklärt, warum er Underhill gefolgt ist«, sagte Chet.
»Mach ich gerne. Ich bin ihm gefolgt, weil ich ihn für den Mörder eines Mädchens namens Lily Ellsworth gehalten habe. Und weil sich niemand darum gerissen hat, den Fall zu lösen, dachte ich, ich versuch’s mal.« Beinahe hätte er den nächsten Satz weggelassen, aber er wollte ihre Reaktion hören. »Und ich wollte rauskriegen, in welcher Verbindung er zu Dunlow stand.«
»Dunlow?« Der Kahle warf Rake einen fast mitleidigen Blick zu. »Dunlow ist die Scheiße im Arsch eines Esels nicht wert. Konnte den Bastard noch nie leiden.«
»Ich weiß, dass er gut mit Underhill konnte«, sagte Rake, »und dass er keine moralischen Bedenken hat, ein bisschen was nebenbei zu verdienen.«
»Der ist zu blöd, um zu kapieren, dass der ganze Sinn der Rust Division darin besteht, dass es Ex-Cops sind; wenn sie uns jemals bei was erwischen, dann nageln sie uns ans Kreuz und nicht das Department«, sagte der mit der Glatze. »Selbst wenn einer von uns auspackt – die würden uns nie glauben, denn wir sind gottverdammte Verbrecher. Wir sind das perfekte Schutzschild für die. Dunlow ist immer noch ein Cop – was ein verdammtes Wunder ist, nebenbei gesagt –, also wenn der denkt, er kann sich für Geld bei einem Job einklinken, dann ist er ein verdammter Idiot.«
»Die wenigen, die über uns Bescheid wissen«, sagte Chet, »denken, wir sind zu beneiden. Oder sie haben Angst vor uns. Als wären wir ein böser Geist, der nur auftaucht, um die Drecksarbeit zu machen. Weißt du, was ich eigentlich bin? Ich bin ein beschissener Wachmann, der die Nachtschicht in einer Stahlfabrik macht. Das bin ich, dank diesem beschissenen Schlag gegen die Lotterien.«
»Wir wollen einfach nur über die Runden kommen«, sagte sein Partner. »Dunlow ist ein Idiot, wenn er glaubt, wir wären eine Art Gangstertruppe, mit der er reich werden kann. Der kriegt wenigstens seine Pension.«
»Warum erzählt ihr mir das?« Rakes Hände waren immer noch gefesselt. »Was erwartet ihr von mir?«
»Das mit der Rust Division geht jetzt schon eine ganze Weile. Und wir dachten, dass es so was wie gegenseitigen Respekt gibt. Dass denen, die immer noch im Department sitzen, klar ist, wie viel Glück sie hatten und wie viel Pech wir hatten, weil wir rausgeflogen sind. Dass sie Gott danken können, dass sie noch da sind, und uns ein paar Knochen zuwerfen können. Aber was auch immer Underhills letzter Auftrag war, jemand scheint ihn umgelegt zu haben, damit er sein Maul hält. Das ist kein gegenseitiger Respekt mehr.«
Rake versuchte das zu entwirren. »Warum sollten die ihn umbringen? Wenn sie ihn benutzen, um nicht für einen Mord belangt zu werden, warum dann einen zweiten begehen?«
»Wissen wir nicht. Aber das versuchen wir ja verflucht noch mal rauszufinden. Von außen. Vielleicht kannst du dich ja innen ein bisschen umhören.«
Damit griff der Glatzkopf in seine Tasche und holte die Zange heraus. »Hier, ich mach dir die Handschellen ab.«
»Wie wär’s mit einem Schlüssel?«
»Hab ich nicht. Jetzt heul nicht rum.«
Er hörte Metall auf Metall und spürte den Ruck, als der Mann die Handschellen auseinanderzog, und einen weiteren, kurz bevor sie zu Boden fielen. Rake bemühte sich, nicht zu offensichtlich vor Erleichterung zu seufzen.
»Danke«, sagte er. Dann trat er nach vorn und versetzte Chet mit seiner unverletzten Linken einen Hieb auf die Nase.
Rake schnellte herum, wollte dem Glatzkopf auch eine verpassen, doch der war bereits zurückgewichen und hatte die Zange zugunsten des Revolvers fallen lassen. Mit dem Daumen zog er den Hahn zurück.
»Was ist denn jetzt in dich gefahren?«, fragte der Ex-Cop.
Rake blickte auf Chet, der bewusstlos am Boden lag und heftig aus der Nase blutete. »Das war für den Finger. Jetzt sind wir quitt.«
»Wenn er wieder aufwacht, wird er anderer Meinung sein.«
»Er kann gerne bei mir vorbeischauen. Aber dieses Mal seh ich den Hurensohn kommen.«
»Du bist eine Marke, Rakestraw. Du überlebst diesen Job ja vielleicht sogar.« Er blickte auf Chet und schüttelte den Kopf. Blut schoss aus Chets Nase, aber er schien noch zu atmen.
»Wenn Sie so freundlich wären, die Waffe nicht mehr auf mich zu richten«, bat Rake.
»Warum? Damit du mir einen Finger brechen kannst, um auch mit mir quitt zu sein?«
»Keine Sorge, ich mag Sie lieber als ihn.«
Der Kerl entspannte den Hahn und nahm den Revolver runter, behielt ihn aber in der Hand. Dann ging er hinüber zur Schrotflinte und hob sie auf. Schwerer bewaffnet als vorhin lief er zu Rakes Auto und legte den Revolver auf den Beifahrersitz.
»Also«, sagte Rake, »wo finde ich Sie, wenn ich etwas herausfinde, was Sie interessieren könnte?«
»Du fährst rauf nach Norcross und fragst in der Second Baptist nach mir.«
»Damit wir während des Gesangs Notizen austauschen können?«
»Vorsicht. Ich bin mittlerweile ein Mann Gottes. Ich predige da.«
»Ernsthaft?«
»Ja. Ich bin ein geweihter Pastor und hab mit dem Mist aus meiner Vergangenheit abgeschlossen.«
Rake hob die Hand. »Sie haben mir eben meinen verdammten Finger gebrochen.«
»Ich werde heute Abend Gott um Vergebung bitten. Aber manche Dinge müssen eben sein.« Er nickte in Richtung Chet. »Los jetzt, hilf mir, ihn in den Truck zu schaffen.«
»Zur Hölle. Tun Sie’s selbst, Reverend. Und verschwenden Sie Ihre Gebete nicht an mich.«
Rake lief zurück zu seinem Auto und dachte darüber nach, in welche Notaufnahme er fahren sollte, um seinen Finger wieder einzurenken.
»Keine Sorge, das werde ich nicht«, sagte der Reverend.