Kurze Zeit später sind Kugelblitz und Anna wieder in Dannys Tauchschule und erfahren zu ihrem Schreck, was passiert ist.
„Ich habe gleich die Polizei angerufen. Comisario Calva hat sofort die Küstenwache benachrichtigt. Die haben schnelle Boote und werden sie verfolgen!“, beendet Danny seinen Bericht.
„Da bin ich nicht so sicher“, murmelt Kugelblitz und macht ein sorgenvolles Gesicht. „Die Nummer der Küstenwache, bitte!“
Sein Verdacht bestätigt sich: Die Küstenwache, die der Guardia Civil untersteht und nicht der Ortspolizei, ist von Calva nicht benachrichtigt worden! Die Sache ist klar: Calva steckt also mit den Entführern unter einer Decke!
Da hält Kugelblitz den Augenblick für gekommen, über El Tuerto Leo Leon in Madrid selbst die Guardia Civil einzuschalten.
Inzwischen tuckert das Motorboot mit den beiden Kindern an der Küste entlang. Die Männer haben Isabella und Martin mit zusammengeknoteten Seemannshemden die Augen verbunden und sie an Händen und Füßen mit Kabelbindern gefesselt.
„Hast du ’ne Ahnung, was die mit uns vorhaben?“, fragt Martin leise.
„Hoffentlich werfen die Mistkerle uns nicht irgendwo ins Meer!“, antwortet Isabella.
Etwa eine Viertelstunde später legt das Boot an.
Die beiden Kinder sehen wie wandelnde Mumien aus, als sie in weißes Segeltuch gehüllt ein ganzes Stück barfuß bergauf laufen müssen. Dann haben sie offenbar ihr Ziel erreicht. Eine Tür öffnet sich knarrend. Sie werden in einen Raum gestoßen, in dem es feucht und modrig riecht.
„So. Hier seid ihr fürs Erste gut aufgehoben“, knurrt eine unangenehme Stimme.
Die Tür quietscht in den Angeln. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss. Dann sind die beiden allein.
„Hast du eine Idee, wo wir sein könnten?“, fragt Martin. Er schnüffelt. „Riecht nach alten Mauern!“
„Wir sind eine ganze Weile einen Sandweg bergauf gelaufen“, überlegt Isabella. „So einer führt von einer Anlegestelle unter halb der Burg zu der alten Ruine hinauf.“
Sie befühlt die Wand mit den zusammengebundenen Füßen, die unten aus dem Segeltuch ragen.
„Felsgestein. Aber mit Mauerfugen“, sagt sie. „Könnte passen.“
„Vielleicht sind wir in einem der alten Burgverliese? Da findet uns keiner“, befürchtet Martin.
„Ronny und Danny werden die Polizei verständigen. Die wird das Boot orten. Es hat GPS“, sagt Isabella zuversichtlich.
„Das wird nicht viel nützen“, murmelt Martin. „Hörst du das Motorengeräusch? Das Boot fährt gerade weg …“
„Maldito sea – verdammt“, flucht Isabella. „Was machen wir jetzt?“
„Alles, bloß nicht die Hoffnung aufgeben“, murmelt Martin.
Plötzlich klingelt es.
„Mein Handy!“, sagt Martin. „Und ich kann nicht dran. Es ist in meiner Hosentasche. Mann, in den Krimis gelingt es den Gefangenen immer, sich irgendwie aus den Fesseln zu befreien.“ „Aber diese Schurken wollten wohl auf Nummer sicher gehen und haben uns noch in Segeltuch gewickelt und verschnürt wie Kohlrouladen“ , knurrt Isabella.
Wieder klingelt das Telefon. Und Martin kommt nicht dran …
„Verflixter Mist!“, flucht Martin. „Wir sitzen in der Falle.“
Während sich bei Martin und Isabella im feuchten Keller der alten Maurenfestung Verzweiflung breitmacht, herrscht in ein paar hundert Metern Entfernung am Berghang über ihnen, im Salon der weißen Villa, Fröhlichkeit und Aufbruchstimmung.
„Die Aktion ist gut gelaufen. Die Ware ist bei den Kunden. Die Höhle ist leer. Alle Spuren sind beseitigt“, berichtet Omega stolz.
„Die Kinder können uns nicht mehr gefährlich werden. Falls später Anzeige erstattet wird, wird Calva das als Kinderfantasien abtun, nicht wahr, amigo mío?“, sagt Saltamonte und legt Comisario Calva freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
„Jetzt sind die beiden erst einmal sicher weggeschlossen! Einer meiner Männer hat mir soeben den Schlüssel gebracht. Der zweite Mann bringt das Boot weg und zerstört den GPS-Sender.“
Saltamonte befestigt den rostigen Schlüssel an dem silbernen Schlüsselring, der seitlich an seinem Gürtel baumelt.
„Und was passiert mit den Kindern?“, fragt Señora Mariposa. „Ich möchte nicht, dass ihnen – nun ja – etwas Schlimmes geschieht.“
„Keine Sorge. Die behalten wir nur ein paar Tage. Anna Molino wird nach dem Schock das Hotel sicher verkaufen. Ich habe sie fast so weit“, berichtet der Anwalt.
„Die Kinder werden meine tüchtigen Assistenten Comino und Albahaca in ein paar Tagen nach einem Hinweis aus der Bevölkerung rein zufällig entdecken. Ich denke, dass man Schuhe oder Ähnliches in der Nähe des Verlieses findet.“ Comisario Calva grinst listig. „Wir werden die beiden Entführer – oder Leute, die ihnen ähnlich sehen – zum Schein verhaften und dann wegen Mangels an Beweisen wieder freilassen. Das hat schon mehrfach gut funktioniert.“
„Mir ist egal, was danach passiert“, sagt der Conde. „Ich segle mit meinem Freund Ben Bol in den Orient. Eine Geschäftsreise. Wir haben eine neue günstige Quelle für Opium aufgetan. Ein Nomadenstamm transportiert es für uns durch die Wüste.“ Er grinst. „Das Geld aus dem letzten Deal überweist Samy inzwischen auf mein italienisches Konto, wie üblich.“
Da meldet ein arabischer Diener mit Turban Besuch für den Conde.
„Besuch für mich? Es hat sich niemand angemeldet! Schick ihn fort. Falls es wichtig ist, soll er mit meinem Büro einen Termin vereinbaren in – äh, sagen wir – fünf Wochen. Ich muss heute noch verreisen“, antwortet der Conde von oben herab.
„Die Herren lassen sich nicht abweisen“, beharrt der Diener. „Sie sind von der Guardia Civil.“
Der Conde starrt auf die breite Flügeltür, in deren Rahmen jetzt die uniformierten Beamten der Guardia Civil sichtbar werden. Angeführt von El Tuerto, dem Einäugigen.
Der geht auf El Conde zu und sagt: „Das Spiel ist aus, Tiberio Topo! Ich bin Comisario Rodriguez von der Guardia Civil in Madrid.“
Der Conde wird leichenblass.
„Bitte folgen Sie uns! Wir müssen Sie wegen Verdachts der organisierten Bandenkriminalität verhaften.“ Er greift nach seinem Handgelenk.
„Calva! So tu doch etwas. Das kann der doch nicht einfach machen“, kreischt Carmen Mariposa schrill.
„Ja, das ist – das ist Amtsanmaßung“, ruft Comisario Calva und springt empört auf. „Lassen Sie meinen Freund los! Für Recht und Ordnung in Torremoros bin immer noch ich zuständig …“
„… gewesen“, unterbricht ihn El Tuerto alias Comisario Rodriguez.
„Hier ist Ihre Entlassungsurkunde.“ Er zeigt Calva seine Dienstmarke und gibt ihm den Briefumschlag mit den Entlassungspapieren.
Alle reden durcheinander. Tiberio Topo versucht, die allgemeine Aufregung zu nutzen und durch eine schmale Tür in einen Nebenraum zu entwischen.
„Halt, hiergeblieben!“, ruft Comisario Rodriguez laut. „Keiner verlässt den Raum! Sie alle stehen im Verdacht, Mitglieder der kriminellen Bande zu sein, deren Anführer El Conde alias Tiberio Topo ist: ein polizeibekanntes Mitglied der neapolitanischen Mafia und Gründer der spanischen Topolino-Bande!“
„Das müssen Sie erst vor Gericht beweisen“, sagt der Anwalt Circuela und ringt nach Fassung.
„Es wird mir ein Vergnügen sein“, antwortet El Tuerto. Dann wendet er sich an die Bürgermeisterin: „Und wo sind die Kinder, Señora Mariposa?“
„Welche Kinder?“, antwortet die Bürgermeisterin mit einem scheinheiligen Lächeln.
„Ja, welche Kinder?“, wiederholt Anwalt Circuela.
„Nun, die Kinder, die die Schmuggelaktion an der Piratenhöhle beobachtet haben“, erklärt El Tuerto.
„Keine Ahnung, was Sie meinen“, sagt die Bürgermeisterin.
„Von den beiden Kindern wissen wir nichts“, versichert Carlo Circuela nachdrücklich.
Diese Worte hört der kleine rundliche Mann, der jetzt an der Salontür auftaucht.
Er wird von den Ortspolizisten Albahaca und Comino und zwei weiteren Beamten der Guardia Civil begleitet.
„Das glaub ich jetzt nicht“, haucht der Anwalt, als er in Kugelblitz den Mann erkennt, der Anna Molina bei den Bankgesprächen begleitet hat. Das kann nichts Gutes bedeuten! Er sinkt auf einen Stuhl.
„Wir haben die entführten Kinder gefunden. Durch GPS-Signale!“, sagt der Mann, zu dem jetzt alle hinsehen und der sich als Kommissar Kugelblitz aus Alemania vorstellt.
„Durch GPS-Signale? Das kann nicht sein. Das Boot ist doch nicht mehr da …“, entfährt es Saltamonte.
„Die Kinder waren gar nicht weit von hier in einem Verlies der alten Festung eingesperrt. Wir haben das Schloss aufgebrochen, und es würde mich nicht wundern, wenn Sie den Schlüssel dazu am Gürtel hängen hätten, Señor Saltamonte!“, sagt Kugelblitz.
Instinktiv greift Samy Saltamonte nach dem Schlüsselbund.
„Außerdem haben Sie und Señor Circuela sich durch einige unvorsichtige Bemerkungen verraten.“ Dann befiehlt Kugelblitz: „Albahaca, Comino! ¡Las esposas!“
Die Handschellen schnappen zu. Sechs Mal.
„Disculpe“, sagt Comino, als er seinem Chef die stählernen Armbänder anlegt.
„Perdone“, sagt sein Zwillingsbruder, als er das Gleiche bei der Bürgermeisterin tut.
Während die Polizisten der Guardia Civil die sechs Bandenmitglieder abführen, wendet sich El Tuerto an Kugelblitz und fragt besorgt: „Und wo sind die Kinder jetzt?“
„Sie sind bei Anna auf dem Polizeiboot in Sicherheit. Ich wollte ihnen den Anblick dieser Gaunerbande ersparen! Anna ist überglücklich, dass die Kinder unversehrt sind und dass das Komplott der Topolino-Bande gegen sie aufgedeckt wurde. Sie lädt alle, auch Comino, Albahaca und die Kollegen aus Madrid, die an der Verhaftung beteiligt waren, heute Abend zu einem Festessen ins Hotel Torre Molino ein! Sie kommen doch?“
„Mit dem größten Vergnügen!“, sagt El Tuerto und nimmt die Augenbinde ab. Er hat sie nur zur Tarnung getragen …
Und jetzt die letzten Fragen an alle Detektive:
1. Wodurch haben Circuela und Saltamonte verraten, dass sie hinter der Entführung der Kinder stecken?
2. Was meint Kugelblitz, wenn er sagt, er habe die Kinder durch GPS-Ortung gefunden?
3. Was ist das deutsche Wort für esposas?