Das gestohlene Geständnis

Kugelblitz sieht auf die Uhr. Es bleibt noch Zeit für einen kurzen Spaziergang zur Puerta del Sol, dem berühmten Platz im Zentrum Madrids. Der kleine Fußweg im Schatten der Häuser der Calle Mayor wird ihm guttun. Außerdem wird er ein paar von den Kalorien verbrennen, die ihm der riesige Eisbecher verpasst hat.

Vor der Real Casa de Correos, dem Postpalast, winkt er eines der weißen Taxis mit den gelben Querstreifen heran.

Calle Luna, por favor“, sagt er und steigt ein. Er lächelt bei dem Gedanken, dass er jetzt vom „Sonnentor“ zur „Mondstraße“ fährt. Ob es dort kühler ist?

Als das Taxi vor dem Polizeipräsidium hält, kommt gerade eine Truppe Fensterputzer von der Mittagspause zurück.

¡Vamos al otro lado y seguimos con la obra en la sombra“, sagt der Meister nach einem kritischen Blick auf die Westfassade, die jetzt in der prallen Sonne liegt. Er weist seine Leute an, auf der Schattenseite weiterzuputzen. Mit einem Knopfdruck fährt er die elektrische Hebebühne herunter, auf der die Männer zuvor die Glasfront der oberen drei Stockwerke gereinigt haben.

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„Einen verdammt heißen Job haben die Jungs da!“, denkt Kugelblitz voller Mitgefühl, als er die Empfangshalle des fünfstöckigen Gebäudes betritt.

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Aber im Haus ist es auch nicht viel kühler.

„Ich habe einen Termin beim Präsidenten“, erklärt Kugelblitz dem Beamten am Empfang und gibt ihm seine Visitenkarte.

Un momento, por favor“, sagt der Beamte und greift nach dem Telefon. „Der Präsident erwartet Sie schon“, meldet er kurz darauf. „Seine Assistentin Señorita Sofia holt Sie gleich hier ab!“

¡Hace mucho calor!“, murmelt Kugelblitz und lockert den Kragen.

¡Si, hace mucho calor!“, antwortet der Mann am Empfang. „¡El aire acondicionado no funciona!

Er erzählt, dass sich die Elektriker im Keller schon seit dem Vormittag fieberhaft bemühen, die Elektronik der Klimaanlage wieder in Gang zu bringen.

„Morgens konnten wir wenigstens noch die Fenster an der Westfassade öffnen. Aber am Nachmittag steht leider die Sonne drauf …“, erklärt der Beamte.

Da kommt auch schon eine junge Dame die Treppe herunter. Sie trägt ein meerblaues Sommerkleid, das zu ihren kurzen blonden Haaren sehr apart aussieht. Es ist Leons Assistentin Sofia.

Sie begrüßt Kugelblitz auf Deutsch. „Meine Mutter stammt aus Deutschland. Von der Insel Föhr. Kennen Sie die Insel?“

„Da hab ich schon Urlaub gemacht“, antwortet Kugelblitz.

„Leider funktioniert auch der Aufzug nicht, wir müssen die Treppe in den dritten Stock hochlaufen“, bedauert Sofia. „Lassen Sie sich Zeit!“

Kugelblitz ist ziemlich außer Puste, als sie oben ankommen.

Sofia führt ihn ins Besucherzimmer gleich neben dem Sekretariat.

„Ich sag eben dem Chef Bescheid“, sagt sie und verschwindet.

Kurz darauf betritt Leo Leon den Raum. Der Big Boss. Ein großer breitschultriger Galizier, den man eher für einen Seemann gehalten hätte.

„Der sagenhafte Kommissar Kugelblitz, oder soll ich Comissari LLampec sagen?“, fragt er lachend und schüttelt KK die Hand. „So nennt man Sie doch in Barcelona, seit Sie den spektakulären Kunstraub im Picasso-Museum aufgeklärt haben? Kollege Bingo hat mich informiert, dass Sie ihn vertreten. Das freut mich sehr! Die beiden anderen Kollegen sind schon da.“

Zu seiner großen Freude trifft Kugelblitz im Sitzungszimmer auf Pierre Simili aus Paris und Commissario Limone aus Rom, die er schon von früheren internationalen Ermittlungen kennt.

„Hi Isy!“, ruft Simili und schüttelt KK lachend die Hand. „Als ich hörte, dass du anstelle von Bingo kommst, hab ich behauptet, dass nun die Aufklärung des Falls kugelblitzschnell vorangeht.“

„Was auch stimmt“, mischt sich Limone ein. „Denn heute Morgen hat ein Mitglied des Korruptions-Netzwerks Einzelheiten über die Organisation verraten, die unglaublich sind.“

¡Eso es! So ist es!“, bestätigt Leon stolz. „Da wird es selbst Ministern an den Kragen gehen! Der Mann übergab uns außerdem eine CD mit Bankdaten. Auf der ist festgehalten, wer Bestechungsgelder für die Regierungsaufträge in der Bauwirtschaft bekommen hat. Neu gebaute Autobahnkilometer wurden zum Beispiel zum doppelten Preis abgerechnet. Die Differenz teilte sich die Bande. Millionen von Europa-Fördergeldern sind auf diese Weise in die falschen Taschen gewandert.“

„Dazu kommen Drogengeschäfte und Grundstücksspekulationen. Hinter dem spanischen Netzwerk steckt ein Zweig der neapolitanischen Mafia“, ergänzt Simili. „Die versuchen auch in Paris Fuß zu fassen.“

„Die Topolino-Bande. Ihr Gründer Tiberio Topo hält sich im Moment vermutlich in Andalusien auf“, ergänzt Limone. „Jedenfalls ist er vor einiger Zeit von Neapel nach Marbella geflogen.“

„Wir haben die Aussagen des Zeugen mit dem voice recorder aufgenommen“, berichtet Leon weiter. „Er nannte Namen bekannter Politiker, Gewerkschaftsbosse, Banker und Beamten und die von anderen Prominenten, die man sonst nur aus den Klatschspalten der Zeitungen kennt. Sie werden staunen, wenn Sie das gleich hören, liebe Kollegen …“

In diesem Augenblick hört man einen entsetzten Schrei aus dem Nebenzimmer. Leons Assistentin kommt völlig aufgelöst hereingelaufen. „Die Unterlagen sind weg! Die Sprachaufnahme, die CD mit den Bankdaten, alles!“ Sofia kämpft mit den Tränen. „Ich hab sie nach dem Verhör heute Morgen auf den Tisch im Konferenzzimmer gelegt, wie Sie es gesagt haben! Die Tür hab ich abgeschlossen. Um die Mittagszeit, als ich gelüftet und die Blumen gegossen habe, lag alles noch da.“

¡Qué desastre!“, stöhnt der Polizeichef.

„Haben Sie keine Kopie auf dem Computer?“, fragt KK.

Leon schüttelt den Kopf. „Aus Sicherheitsgründen haben wir dort nichts hinterlegt. Leider hatten wir kürzlich Hacker im System. Deshalb sind wir in dieser Sache übervorsichtig.“

„Es muss mittags passiert sein, als ich gegenüber im Restaurant Patata dorada ein paar Tapas gegessen habe …“, grübelt Leon. „Die Topolino-Bande arbeitet mit allen Tricks. Bestimmt haben sie den Verräter, der die Aussage machte, beschattet.“

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Die vier Kommissare rätseln: Wie kann die Akte aus dem Konferenzzimmer verschwunden sein? Die Tür zum Flur war abgeschlossen. Die zweite Tür des Raumes führt ins Zimmer des Polizeipräsidenten. Von dort aus gelangt man ins Vorzimmer zu seiner Assistentin.

„An mir kommt keiner vorbei!“, versichert Sofia. „Ich war die ganze Zeit im Vorzimmer und habe heute nicht einmal Mittagspause gemacht. Und als ich unseren Gast unten abholte, war der Chef bereits in seinem Zimmer.“

„Ich kann mir vorstellen, wie der Dieb in der Mittagszeit an die Akten gelangt ist, obwohl die Türen verschlossen waren!“, sagt Kugelblitz nachdenklich.

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Frage an alle Detektive, die auch in flirrender Mittagshitze einen kühlen Kopf behalten:

Wie konnte der Dieb an die Unterlagen gelangen, obwohl die Assistentin mit Adleraugen die Tür zum Büro ihres Chefs und damit auch den Zugang zum angrenzenden Konferenzzimmer bewachte?