Kapitel eins ღ
„Gut, ich bin damit einverstanden, Dave. Setz deinen Plan mit meinen frei gewordenen Assets in die Tat um und investiere die 20 Millionen wie besprochen.“ Mit diesen wenigen Worten, die in den Ohren des Asset Managers wie Musik klingen, segnet der VIP-Kunde den Megadeal ab, bevor sein Blick zum wiederholten Mal auf sein auf dem Tisch liegendes Smartphone fällt. Sie sitzen sich in einem, mit edlen Materialien ausgestatteten, großzügig bemessenen Besprechungszimmer gegenüber – die überwältigende Aussicht auf den nahen Stadtpark bleibt unbeachtet.
Davin, der meist nur Dave genannt wird, frohlockt insgeheim, bleibt äußerlich aber gelassen distanziert. Das Auftreten des sportlich trainierten Kunden und dessen falsches Lächeln verdeutlichen, für wie belanglos er diese Art von Unterredung hält. Er reicht Davin die Hand über den Tisch und besiegelt mit festem Handschlag den Millionenvertrag – die Formalitäten wird die Assistentin im Nachgang erledigen. „Fantastisch. Ich freue mich auf eine angenehme Zusammenarbeit mit dir, Paul. Damit du schnellstmöglich vom außergewöhnlichen Leverage-Effekt profitieren kannst, investiere ich noch heute die erste Tranche in das Derivat. Die Performance der Vermögensverwaltungsmandate ist …“
Dem Kunden entweicht das blasierte Lachen eines Mannes, der sich nimmt, was er will und sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhält. „Ich habe doch schon eingeschlagen, Dave. Spare dir die abgedroschenen Marketingplattitüden.“
An die unverblümte Art mancher Menschen in seinem beruflichen Umfeld musste sich Davin erst gewöhnen. Doch mittlerweile stört es ihn nicht mehr oder nur noch selten. Der Kunde steht unvermittelt auf, strafft seine Schultern und streicht seinen Maßanzug glatt.
Das Gespräch ist beendet.
Eindringlich sieht er Davin an, der sich in der Zwischenzeit ebenfalls erhoben hat – die eisige Kälte in seinen Augen, ist beängstigend. „Aber eines möchte ich dir sagen, Dave“, beginnt der Kunde derart emotionslos, dass sich eine Gänsehaut über Davins Unterarmen ausbreitet, „wenn dieses Produkt nicht hält, was es verspricht, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich.“ Der harte Gesichtsausdruck und die Kälte in seiner Stimme machen klar, dass es sich um eine ernstzunehmende Drohung handelt.
Davin schenkt Paul sein charmantestes Lächeln, während sein Gesicht die antrainierte stoische Überzeugungskraft ausstrahlt, die jeden Zweifel im Keim zu ersticken vermag. „Keine Sorge, du wirst mit unseren Anlagelösungen zufrieden sein. Das garantiere ich dir.“ Davins Stimme ist fest und klar. Eigentlich erstaunlich, denn überzeugt ist er von dem, was er hier tut, schon lange nicht mehr. Als er noch im Studium war, hatte es sich so gut angehört, Asset Manager, also Finanzjongleur, für wohlhabende Menschen zu werden und in ihrem Kielwasser ebenfalls aufzusteigen. Stets hatte er sein ganzes Herzblut in das Erreichen dieses Ziels gesteckt. Doch jetzt, da er an der Spitze seines Berufsstandes angekommen ist, wird ihm immer klarer, wie leer, unbefriedigend und sinnfrei sein Leben doch ist. Mit den Millionen anderer zu spielen, als wäre es nichts, was kann daran schon erfüllend sein?
„Das will ich hoffen. Ihr knöpft mir schließlich genug für die Verwaltung meines Vermögens ab“, entgegnet Paul jovial. Nachdem alles geklärt ist, nimmt er seine aus Krokodilleder gefertigte Aktentasche vom Stuhl und dreht sich zur Tür.
Davin begleitet ihn zum Fahrstuhl und mustert den großgewachsenen Mann unauffällig von der Seite: Die grau melierten Schläfen, das kantige Kinn und seine vor Kraft strotzende Figur machen ihn zu einer eindrucksvollen Erscheinung. Doch Davin kann ihm trotzdem nichts abgewinnen. Trotz seiner Aversion verabschiedet sich der Asset Manager überschwänglich von seinem Kunden und wartet, bis sich die schweren Türen des Aufzugs schließen. Erst dann entspannt er seine Gesichtsmuskulatur und legt das festgefrorene Verkäuferlächeln ab.
Ein tiefer, müder Seufzer entweicht ihm.
Lautstark lässt er seine Nackenwirbel knacken, während er ins Besprechungszimmer zurückkehrt, um seine Unterlagen einzusammeln. 20 Millionen: Ein lukratives Geschäft, sowohl für den Auftraggeber, als auch für Davin und seine Firma. Der Kundenberater öffnet das Fenster, lässt frische Luft in den Raum strömen und nimmt sich einen Moment, um die spätwinterliche Landschaft zu genießen. Schnee gibt es an der kalifornischen Pazifikküste eigentlich nie, dafür ist es viel zu mild, und dennoch hält die Natur gebannt den Atem an, bis die ersten warmen Sonnenstrahlen auf die Erde treffen. Davin mag alle Jahreszeiten, aber am liebsten hat er Wärme, Sonne und das Wasser, mit ein Grund, weshalb es ihn nach San Francisco verschlagen hat. Milde Winter, heiße Sommer und Strände in unmittelbarer Nähe.
Revitalisiert schließt er das Fenster.
Die Verkaufsdokumentation mit den eindrucksvollen Grafiken, den Schlüsselinformationen sowie den wichtigsten Zahlen befördert er in seine, im Vergleich zu der des Kunden minderwertig wirkende, Ledermappe. Kurzerhand klemmt er sie sich unter den Arm und verlässt den Raum in Richtung seines Arbeitsplatzes. Auf dem Weg durch die lichtdurchfluteten Flure begegnet er diversen Kollegen. Die Männer wirken ausgebrannt und durch die vielen Jahre in dieser harten Branche abgestumpft. Ihr schütteres Haupthaar und ihre drahtigen Silhouetten sind bezeichnend für die Finanzindustrie.
Davin hat sich stets geschworen, nie so zu werden.
Dennoch ist er auf dem besten Weg dahin, denn der Druck, der auf ihm lastet, ist immens. Jeder nicht getätigte Geschäftsabschluss kann die Konkurrenz derart beflügeln, dass der eigene Arbeitgeber im Strudel der Finanzmärkte untergeht. Jede Sekunde eines jeden Arbeitstages ist pure Hektik.
Zeit zur Erholung? Fehlanzeige.
Zahlen und der stetige Druck begleiten die Berater ins Privatleben, ja sogar bis in die Träume. Das setzt jedem Menschen auf Dauer zu, egal wie stark er ist.
Als Davin an den Toilettenanlagen vorbeikommt, hält er kurz inne, bevor er das Männerklo betritt, in dem es nie wirklich frisch riecht. Gedankenverloren legt er die Mappe auf die Ablage oberhalb des Waschtisches und schließt sich in einer Kabine ein. Mit dem Rücken gegen die Kabinenwand stehend, schlägt er seinen Kopf mehrmals sacht gegen die Plastikkonstruktion und hält seine Augen geschlossen. Einige Male atmet er tief durch, ohne Erleichterung zu verspüren oder seinen Stresslevel minimieren zu können. Also fischt er eine kleine Plastiktüte mit weißlichem Pulver, eine Rasierklinge und eine Banknote aus seinem anthrazitfarbenen Jackett. Er wollte der Kahlköpfigkeit und der Emotionslosigkeit trotzen, sich schlicht seine Menschlichkeit bewahren.
Und was ist daraus geworden? Nichts.
Vorsichtig hockt er sich auf den Boden vor die Toilette, gibt einen Teil des Pulvers auf den Deckel, zerkleinert es mit der Rasierklinge zu feinem Staub und zieht zwei Linien. Gierig beugt er sich hinunter und zieht die erste Line durch die zusammengerollte 1-Dollar-Note in seine Nase, bevor er das Prozedere auf der anderen Seite wiederholt. Dann legt er den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Das leichte Kitzeln auf der Nasenschleimhaut, nimmt er nicht mehr wahr. Sein Körper hat sich bereits zu sehr an die Droge gewöhnt.
Davin setzt sich auf den Boden, lehnt sich mit geschlossenen Augen gegen die Wand und wartet auf den Rausch. Immer wieder zieht er die Nase hoch, damit sich das Pulver an den richtigen Stellen verteilt. Nach ein paar Minuten beginnen seine Gedanken zu rasen. Die auf ihn einstürzenden Sinneseindrücke fühlen sich unheimlich gut an und er spürt, wie unbändiger Lebensmut die Dunkelheit in seinem Innern hinwegfegt.
Aber wie lange wird dieses Hochgefühl andauern?
Beschwingt und voller Tatendrang steht Davin auf, wischt die Überreste des Kokains auf den Boden, verstaut die Banknote, die Tüte und die Klinge wieder in seiner Jacketttasche, bevor er die Kabine verlässt. Am Waschbecken wäscht er sich die Hände und kontrolliert seine Nase auf Pulverreste. Eine Weile betrachtet er sich im Spiegel.
Meine Güte, wie konnte ich nur zu so einem Menschen werden? Ich bin auf dem besten Weg ebenso zu werden wie alle anderen herzlosen Banker. Schlimm.
Mit einem Schwung kalten Wassers erfrischt er sich, schnappt sich seine Unterlagen und verlässt mit dem drogenindizierten Gefühl, einfach alles zu schaffen die Toiletten. Auf dem Flur grüßt er die vorbeieilende Assistentin seines schärfsten Rivalen und geht weiter.
Mach mir diese zwanzig Millionen erst mal nach!
„Davin, kann ich dich bitte kurz in meinem Büro sprechen?“
Die charismatische Stimme seines Vorgesetzten lässt ihn abrupt innehalten. „Ja, natürlich, Peter.“ Nach höflichem Klopfen an der bereits geöffneten Tür, betritt er den weiten Raum. Die Aussicht seines Chefs ist noch exklusiver als jene aus dem Besprechungszimmer, denn sein Büro verfügt über einen Meerblick.
„Nimm Platz, Davin.“ Peter Stockman raunt die Worte in Davins Richtung, während er weiter ungerührt die Akten auf seinem Schreibtisch durchstöbert. Leise fluchend nimmt er den Telefonhörer in die Hand und drückt hastig eine Taste. „Stefanie, wo sind die Zahlen von Davins Abschlüssen?“
Noch vor einem Jahr hätte ihn diese Situation belastet, doch dank der schnellen Wirkung des Kokains sieht er der spontanen Unterredung gelassen entgegen. Seine geweiteten Pupillen scheinen noch niemandem aufgefallen zu sein.
Sein Gegenüber horcht, nickt, dreht sich zur Fensterfront um und findet schließlich die gesuchten Papiere, die fein säuberlich in einer Mappe zusammengefasst sind. „Gefunden, danke, Stefanie.“ Stockman beendet das Gespräch mit seiner vor der Tür sitzenden Sekretärin, überfliegt kurz das vorhandene Zahlenmaterial und sieht zu seinem Angestellten auf. „Davin, du hast in diesem Jahr einen sehr guten Job gemacht.“
„Vielen Dank, Paul.“
„Konntest du Mendosa gewinnen?“
Davin sieht kurz betreten auf seine Hände, steigert damit die Spannung, bevor er zufrieden lächelt und nickt. „Zwanzig Millionen in unsere Vermögensverwaltung mit Derivat-Schwerpunkt“, lässt er stolz verlauten.
Sein Vorgesetzter steht auf, neigt sich leicht über den Tisch und klopft Davin auf die Schulter. „Fantastisch. Du hast es echt drauf. Glückwunsch.“ Stockman reibt sich die Hände. „Ich bin angetan von deinen Leistungen, Davin.“ Lächelnd entnimmt er der Aktenmappe einen Scheck und reicht ihn seinem Angestellten über den Tisch.
Dieser nimmt das Papier entgegen, wirft einen flüchtigen Blick darauf, schluckt trocken und schaut genauer hin. Die vielen Nullen wirken surreal und dennoch beschleunigt sich Davins Puls beinahe augenblicklich.
„Setz es gut ein, Junge.“
„Vielen Dank, Peter, das ist wirklich eine Überraschung.“
„Keine falsche Bescheidenheit, Dave. Du hast es dir verdient. Und jetzt geh und leg Mendosas Kohle an.“
Davin steht nickend auf, verabschiedet sich von seinem Boss und verlässt dessen Büro – den Scheck hat er sich in die Brusttasche gesteckt. Beschwingt, sowohl von dem hohen Betrag auf dem Wertpapier, als auch von der anhaltenden Wirkung der Drogen, setzt er sich an seinen Schreibtisch. Kurz atmet er tief durch, bevor er seine Mappe aufschlägt und seiner Assistentin die Dokumente über die Tische hinweg reicht. „Daniela, könntest du mir hierzu bitte den Vertrag ausarbeiten und ihn von Mendosa unterzeichnen lassen?“
„Hast du ihn an Land gezogen?“ Die zierliche Frau, die seit zwei Jahren Davins rechte Hand ist und ihn in dieser Zeit tatkräftig unterstützt hat, sieht ihn interessiert an, während sie ihren Blick über die Papiere gleiten lässt.
„Selbstverständlich, was denkst du denn?“ Sie springt auf und umrundet sowohl ihren als auch Davins Schreibtisch, um ihn zu umarmen. Mittlerweile hat er sich an ihre Überschwänglichkeit gewöhnt, auch wenn es eine Weile gedauert hat.
„Das freut mich so sehr für dich.“
„Danke dir, Daniela. Einfach war es nicht, aber hey, am Schluss habe ich den Typen derart um den Finger gewickelt, dass er eingewilligt hat. Gut, diesem Kerl bedeutet Geld sowieso nichts.“
„Das ist doch bei den meisten unserer Kunden so, oder? Aber sag mal Davin, du wirkst seltsam aufgekratzt und dennoch habe ich das Gefühl, dass du damit etwas überspielst. Was ist los?“
„Bei mir ist alles in Ordnung“, tut er ganz erstaunt und deutet auf die Papiere auf ihrem Tisch. „Würdest du mir den Gefallen tun und dich einfach um die Verträge kümmern? Das ist wichtig. Ganz im Gegensatz zu meiner Gefühlswelt, die dich eigentlich nichts angeht.“
„Jawohl, Chef.“ Mit einem traurigen Lächeln setzt sie sich zurück an ihren Schreibtisch und starrt auf den Bildschirm.
Auch Davin setzt sich wieder und beginnt über das online basierte Programm, das die Firma seit Jahren verwendet, Börsenkäufe zu tätigen und befristete Trades zu erfassen. Seine Gedanken wandern immer wieder zu Danielas Worten.
Natürlich hat sie recht, aber mein Gott, das will ich jetzt nicht wirklich mit ihr diskutieren.
Der ganz normale Arbeitswahnsinn nimmt seinen Lauf: Danielas Telefon klingelt beinahe ununterbrochen und im Minutentakt landen von ihr geschriebene Mails mit Kundenwünschen in Davins Postfach. Gewissenhaft arbeitet er einen nach dem anderen ab, telefoniert mit Händlern und Kunden, holt Informationen ein und setzt Börsentrades im Wert von mehreren Millionen Dollar um.
Stress pur, keine Zeit, um zu verschnaufen.
Davin merkt, wie ihm dieses enorme Arbeitspensum immer stärker zusetzt und die Wirkung des Kokains bereits wieder nachlässt. Mit Mitte Dreißig fällt es ihm nicht mehr so leicht, mit dem Stress seines Jobs umzugehen. Noch einmal an diesem Nachmittag zieht er sich in die Toiletten zurück, um sich mit dem weißlichen Pulver wieder aufzuputschen. Nur so schafft er es überhaupt, den Tag einigermaßen unbeschadet und motiviert zu überstehen. In seinem Innern herrscht eine Anspannung und Rastlosigkeit, die ihn zu zerreißen droht, immer mehr von seinem Geist einnimmt und das letzte Fünkchen Freude aus seinem Körper presst. Zurück bleibt nur der Druck. Die vielen Kundenanfragen und sein Chef, der sich dauernd nach dem Stand der Investition des neuen Vermögens erkundigt, das alles belastet ihn. Als er das nächste Mal von seinem Computerbildschirm aufsieht, ist das Büro leer und draußen ist es dunkel.
„Scheiße.“
Davin hat nicht mitbekommen, wie die anderen gegangen sind, nur von Daniela hat er sich verabschiedet. Er fährt den Rechner herunter und steht müde auf. Als er sich die Jacke überzieht und Richtung Ausgang schlendert, überschlagen sich in seinem Kopf die Gedanken. Das hier, das war mal sein Traum, der Ort, an dem er unbedingt arbeiten wollte. Gelder anlegen, immer neue Rekordinvestitionssummen an Land ziehen und zu einem der besten Asset Manager aufsteigen, die es gibt. Das war lange Jahre sein Ziel. Jetzt, da er seine Träume verwirklicht hat, wird ihm klar, wie hohl dieses Streben doch war.
Außer seiner Arbeit hat er nichts. Keinen Partner, kein schönes Zuhause, kaum noch Kontakt zu Freunden und Familie. Faktisch hat sich sein Leben in den letzten fünf Jahren in ein einsames, trauriges Loch verwandelt. Hohl, leer und freudlos. Weder die Vermögenswerte seiner Kunden, noch die hohen Boni, die er einstreicht, wärmen ihn nachts. Eine Gewissheit, die Davin in den letzten Wochen und Monaten erst so richtig klar geworden ist und ihn seither beinahe erdrückt.
Kopfschüttelnd lässt er die gläserne Tür hinter sich ins Schloss fallen und macht sich auf den Weg in eine nahegelegene Bar, in der er sich in den vergangenen Monaten schon ein paar Mal auf andere Gedanken bringen ließ. Sex ist in der schwulen Community nie wirklich weit, sofern man einigermaßen gut aussieht und den Normen entspricht. Denn obwohl die LGBT-Gemeinde Toleranz und Akzeptanz für sich einfordert, sind gewisse Vertreter ziemlich kleinkariert. Wer nicht schlank und trainiert ist, eine Brille trägt oder zu feminin auftritt, hat oft kaum Chancen auf eine schnelle Nummer. Mit dem Aufzug fährt er in die großzügige Lobby, verabschiedet sich vom Nacht-Portier, bevor er auf die Straße tritt. Die Kälte kriecht ihm unter seine Designer-Klamotten und lässt ihn frösteln. Mit den Händen in den Jackentaschen und aufgestelltem Kragen, macht er sich auf den Weg. Als er die Kneipe betritt, verstummen einige Gespräche und unzählige Augenpaare wandern in seine Richtung. Davins Äußeres – groß, trainiert, definierte Muskelpartien, kantiges Gesicht – entspricht genau dem gängigen schwulen Beuteschema. Die gierigen Blicke ignorierend, setzt er sich an den Tresen, nickt dem Barkeeper zu und bestellt. „Whiskey, pur.“
„Kommt sofort.“
Als der Barmann das mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllte Glas vor ihm abstellt, kippt er den Inhalt in einem einzigen Zug hinunter. Der Alkohol brennt in seiner Kehle und beinahe augenblicklich stellt sich dieses wohlige Gefühl im Innern seines Körpers ein, das ihn für ein paar Stunden vergessen lässt, in was für einem Leben er gefangen ist. Es ist Segen und Fluch zugleich. Ein Teufelskreis. Nachdem er sich vier weitere hochprozentige Drinks genehmigt hat, spürt er eine Hand auf seinem Knie. Langsam dreht er sich in die Richtung des Flirtwilligen, sieht ihm tief in die Augen, bevor er seinen Blick über dessen Körper gleiten lässt. Ob der junge Mann wirklich derart attraktiv ist oder ob diese Sinneswahrnehmung auf den Alkohol zurückzuführen ist, vermag Davin nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Auf jeden Fall ist der Typ groß, schlank und das verschmitzte Lächeln auf seinen Lippen wirkt anziehend.
„Na, alles klar?“, schnurrt ihm der junge Mann entgegen, während er so nah an Davin heranrückt, dass sich ihre Knie berühren. Seine Hand legt sich auf Davins Oberschenkel.
„Hi“, antwortet Davin mit einem unverbindlichen Lächeln. „Geht so, und bei dir?“ Die Hand des Mannes wandert höher und somit in die Region von Davins Schritt. „Was wird das?“
„Das weißt du ganz genau. Du gefällst mir und da dachte ich, dass ich aufs Ganze gehen muss“, flüstert der Blonde, während er noch einmal näher rückt und Davin einen Kuss auf die Wange haucht.
„Verbrenn dir nicht die Finger, Junge. Ich bin kein Spielzeug und du bist mir offensichtlich nicht gewachsen.“ Seine Stimme trieft vor Selbstüberschätzung und Arroganz. Dem jungen Kerl entweicht ein heiseres Lachen, bevor er Davins Schwanz durch die Hose hindurch massiert.
„Oh, ich denke, damit kann ich umgehen. Ich will dich mit meiner Zunge so lange verwöhnen bis du darum bettelst, mich ficken zu dürfen.“ Unvermittelt küsst er Davin auf den Mund. Die Zärtlichkeit ist flüchtig, hat nichts zu bedeuten und dennoch kocht die Lust in Davins Lenden schlagartig hoch. „Na, was sagst du dazu?“
Ein breites Grinsen zieht sich über Davins Gesicht. Eigentlich ist der junge Mann überhaupt nicht sein Typ, aber das ist ihm im Moment auch egal. Seine Selbstsicherheit kennt keine Grenzen. Er könnte jeden haben. Und mit diesem Typen hier würde er anfangen. Sein Verlangen nach körperlicher Nähe ist schier unendlich.
„Das hört sich nach einem guten Plan an. Lass uns gehen.“ Schwerfällig erhebt sich der Asset Manager und fällt dabei beinahe über seine eigenen Füße. Der Blonde steht ebenfalls auf, legt sich Davins Arm über die Schulter und hilft ihm dabei, die Bar zu verlassen. Draußen beginnt Davin sofort, den Hals des jungen Mannes zu küssen, sich dicht an ihn zu schmiegen und die Hände auf Wanderschaft zu schicken. Auf dem Weg zum Taxi prallen sie mit einem vorbeieilenden Mann zusammen, der lautstark zu fluchen beginnt.
Ich kenne diese Stimme, aber im Moment habe ich keine Ahnung, wo ich sie einordnen muss. Aber irgendwie kommt es mir so vor, als ob ich heute … oh, nein!
Blitzschnell sieht er auf und starrt in das entsetzte Gesicht von Paul Mendosa, seinem neuen, superreichen Kunden mit der Krokodilledermappe und dem teuren Anzug, mit dem er heute einen Millionen-Deal abgeschlossen hat. „Paul, äh, schön zu sehen dich“, lallt Davin, bevor er das Gleichgewicht verliert und beinahe zu Boden stürzt.
In letzter Sekunde fängt ihn sein Begleiter jedoch auf, stützt ihn und lacht verlegen. „Hoppla. Keine Angst, dich legen wir nachher schön aufs Bett, dann musst du dich nicht mehr bewegen, sondern nur noch genießen.“
Davin beginnt zu kichern, bevor er seine Hände Richtung Schritt seines Dates wandern lässt, ihm über die beachtliche Beule streicht, die sich unter dessen Jeans abzeichnet. „Das wird nichts, mein Süßer. Du bist der einzige, der sich stöhnend vor Lust winden wird. Darauf freue ich mich. Na, Mendosa, auch Bock auf ein bisschen Spaß? Ich bin sicher, dass es dir auch gefallen wird, mit meinem Freund hier … wie ist eigentlich dein Name?“
„Nils.“
„Davin“, erwidert dieser, bevor er fortfährt. „Ich bin sicher, dass Nils es sich von uns beiden besorgen lässt.“
Mit schockgeweiteten Augen und voller Abscheu sieht ihn Paul an, strafft seine Schultern und nimmt Haltung an. „Das ist eine bodenlose Frechheit. Was fällt dir ein, Dave?“
„Wer ist der Alte?“, grummelt Nils, während er Davin ins Innere des Taxis folgt. „Der ist ne totale Spaßbremse, den kannst du selbst blasen.“
„Geld, er hat Geld, aber blasen würde ich ihn nicht mal für 20 Millionen“, lacht Davin, bevor er die Tür zuzieht und den Taxifahrer anweist, loszufahren. Das Ruckeln des Fahrzeugs lässt ihn nur noch aufgekratzter werden. Er will endlich loslegen und nicht mehr warten. Die Lichter der Stadt wirken greller und der warme Körper, auf dem er halb liegt und die feuchten Lippen, die er küsst versetzen ihn in einen Rausch, wie er ihn schon lange nicht mehr verspürt hat. Eng umschlungen taumeln die Männer über den Gehweg Richtung Haus, in dem Nils eine Wohnung gemietet hat.
„Willst du auch?“. Davin hält Nils die Tüte mit dem Kokain unter die Nase.
„Für mich nicht, danke. Willst du ein Bier?“
„Ja, hol mir Bier, ich mache bereit alles.“ Davins Sprachzentrum ist aufgrund des Alkoholkonsums derart in Mitleidenschaft gezogen, dass er kaum noch einen Satz formulieren kann, ohne sich mehrfach zu unterbrechen. Schwerfällig lässt er sich auf die Couch fallen und versucht, auf dem Beistelltisch zwei gerade Lines mit Kokain zu formen, scheitert jedoch kläglich. Wiederholt und ohne erkennbaren Grund kichert er vor sich hin, bevor er flucht und schließlich aufgibt.
„Warte, ich helfe dir.“ Nils reicht ihm das Bier und macht sich daran, das weiße Pulver vorzubereiten, damit Davin es sich durch die Nase ziehen kann. Nachdem die Droge ihre wohltuende Wirkung im Körper des Mittdreißigers entfaltet hat, ergreift ein weiterer rasender Bewegungsdrang seinen Körper. Wie paralysiert fällt er über Nils her. Sein Körper funktioniert stoisch wie eine Maschine. Alle Gefühle sind ausgeschaltet und er bekommt nichts mehr mit. Alles verschwimmt vor seinen Augen, sein Geist hat sich längst abgekapselt.
Eine Kakophonie voller Einsamkeit, sexuellen Hochgefühlen, Angst und dem Wunsch, einfach alles zu beenden, umfängt ihn.