Kapitel neun ღ
Unmittelbar nach dem reichhaltigen Frühstück beginnt die Fahrt mit dem Schnellboot Richtung Vong Vieng, einem der schwimmenden Dörfer, die sich zwischen den Felsinseln ausgebreitet haben. Zäher Dunst hängt über der Region und verleiht den Inseln einen mystischen Touch.
„Der Legende nach hat an diesem Ort ein riesiger Drache mit den Menschen gegen Eindringlinge gekämpft, dabei hat er mit seinem Schwanz das Land zerfurcht. Als er starb und im Wasser unterging, stieg der Meeresspiegel und das Land wurde umspült“, gibt Thian eine der zahlreichen Sagen wieder, die sich um die Halong Bucht ranken. „Darum heißt dieses Gebiet übersetzt, Bucht des untertauchenden Drachen
.“
„Hast du dich im Internet informiert oder bringt man euch so etwas in der Schule bei?“ Davin genießt die geschichtlichen Inputs sehr, die er von Thian erhält, weil er so das Gefühl bekommt, stärker mit diesem Land verbunden zu sein.
„Das hat mir meine Großmutter erzählt.“
„Hinter vielen Sagen steckt auch immer ein Körnchen Wahrheit. Ich finde solche Geschichten sehr interessant und würde gerne noch weitere hören.“ Davin kratzt sich durch den Stoff seines T-Shirts sachte die Schulter und verzieht leicht das Gesicht.
„Tut es sehr weh?“, erkundigt sich Thian und deutet auf die entsprechende Stelle.
„Nein, zum Glück war die Verbrennung nicht so schlimm, aber ab sofort muss ich mich unbedingt besser schützen. Das werde ich ein paar Tage spüren.“ Davin seufzt, bevor ihm etwas in den Sinn kommt. „Ach ja, da fällt mir ein: Bao hat mir das Okay gegeben, dass wir das Dorf heute auf eigene Faust erkunden können. Wir müssen einfach darauf achten, dass wir uns um 16 Uhr wieder beim Ausgangspunkt einfinden, damit man uns zurück zur Dschunke nimmt.“
„Das hört sich super an.“
„Denkst du, dass uns die Leute etwas von ihrem Leben erzählen, wenn wir einfach mit einem Kajak daher gerudert kommen?“
„Natürlich, die Vietnamesen sind ein sehr freundliches Volk und wenn sich ein Tourist für ihr Leben interessiert, dann werden sie sicher aus dem Nähkästchen plaudern.“
„Ich bin gespannt.“
Der Dunst sorgt dafür, dass die Luft relativ kühl ist. Davin und Thian sind froh, dass sich die Fahrt nicht in die Länge zieht, zumal beide der Jahreszeit entsprechend leicht bekleidet sind. Nach zehn Minuten taucht hinter einem Felsen in einer kleinen Bucht ein schwimmendes Besucherzentrum auf, Ausgangspunkt für die Erkundung des Dorfes.
Davins Blick fällt auf Thians T-Shirt und seine Hose, die er für eine Weile kritisch mustert. Er fasst sich ein Herz und spricht das heikle Thema an, das ihm seit gestern schwer auf dem Herzen liegt. „Thian, äh, ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber trägst du heute wieder das gleiche wie die letzten Tage?“
Thian senkt ertappt den Blick und sieht auf seine Hände. „Ja. Ich habe nicht so viele Klamotten, dass ich jeden Tag etwas anderes anziehen könnte.“
„Verstehe, aber entschuldige, dass ich noch einmal nachhake, die Kleider scheinen sauber zu sein, wie hast du das …“
„Wie ich das geschafft habe?“, beendet Thian seinen Satz. „Ich habe von der Crew die Erlaubnis bekommen, die Schiffswaschküche zu benutzen, also habe ich meine Sachen selbst gewaschen.“
Davin sieht Thian für eine Weile einfach nur an, ohne etwas darauf zu erwidern. In seinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Zum einen drängt sich ihm das Bild vom schwitzenden Thian am Waschbrett auf, das sein Blut in Wallung bringt, andererseits wird er von Schuldgefühlen heimgesucht.
Hätte ich Thian Kleider kaufen sollen? Hätte es mir schon früher auffallen müssen? War es richtig, ihn mitzunehmen? Ja, natürlich ist es richtig. Er hätte auch was sagen können.
Als ob Thian Davins Gedanken lesen könnte, legt er ihm die Hand auf den Unterarm und lächelt. „Mach dir bitte keinen Kopf. Ich kenne es nicht anders und wasche meine Wäsche seit Jahren selbst.“
Mit einem sanften Rucken legt das Schnellboot an dem schwimmenden Besucherzentrum an, das sie zuvor in der Ferne gesehen haben. Wie kopflose Hühner in einem Wettrennen, drängen die Passagiere auf das Floß.
„Wann hast du das gemacht?“
„Wie?“
„Wann hast du gewaschen?“, konkretisiert Davin, als er Thian hilft, das Boot zu verlassen, und selbst auf die rutschigen Holzplanken tritt. „Ich meine, ich verstehe alles, was du gesagt hast, aber vielleicht hätte ich dir etwas borgen oder beim Waschen helfen können. Du hast nie etwas erwähnt. Also, wann hast du deine Klamotten gewaschen?“
„Heute Nacht, während du geschlafen hast“, gibt Thian kleinlaut zu. „Ich wollte dich nicht stören und da …“
„Du hast es mir schlicht verheimlicht? Was denkst du, hätte ich getan, wenn ich es gewusst hätte? Hm? Dich ausgelacht? Bemitleidet? Verstoßen?“
„Ich weiß es doch nicht!“, stößt Thian verzweifelt hervor. „Für mich war es kein großes Ding und daher dachte ich, dass du das auch nicht zu wissen brauchst.“
Die Passagiere der Pearl of the bay
haben sich mittlerweile als lockerer Halbkreis um Bao geschart und hören ihm aufmerksam zu, während ihre Blicke neugierig in alle Richtungen huschen.
„Wenn es kein großes Ding wäre, hättest du es mir gesagt. Ich hätte dir beim Waschen geholfen, aber nein, du machst es heimlich und …“
„Es war mir peinlich. Okay?!“, platzt es aus Thian heraus, der selbst überrascht von seinem plötzlichen Ausbruch zu sein scheint. „Du, mit deinem riesigen Koffer und den unzähligen Klamotten. Du, der mein Land bereisen kann ohne auf das Geld zu schauen. Du, aus den USA, einem Land, in dem du alle Möglichkeiten hast.“ Verlegen wendet er sich ab, stellt sich an den Rand des schwimmenden Floßes und starrt über das heute eher gräuliche Wasser in die Ferne.
Aufgerüttelt von Thians Worten, braucht Davin ein paar Sekunden, um zu reagieren. Mit einem schuldbewussten Lächeln stellt er sich neben ihn und legt ihm behutsam den Arm um die Schulter. „Es tut mir leid, dass du so darüber denkst. Aber glaub mir, du kannst mir alles sagen und musst dich für nichts schämen. Natürlich kommen wir aus komplett verschiedenen Welten, aber ich glaube, dass wir uns wunderbar zusammen arrangiert haben. Oder siehst du das anders? Ich für meinen Teil schätze dich als Mensch und da spielt es für mich keine Rolle, wie viele Kleider du besitzt. Ich wollte es einfach ansprechen, weil es mich interessierte.“ Sachte berührt er Thian am Arm, damit ihn dieser ansieht. „Ich hoffe doch sehr, dass du mich auch magst und es dir egal ist, dass ich ein paar mehr Klamotten besitze?“ Das bringt Thian zum Lachen, ein Geräusch, das Davin sehr gerne hört, weil es ihn zufrieden und glücklich macht.
Verlegen lächelnd nickt Thian. „Natürlich ist mir das egal. Nur, in deiner Nähe fühle ich mich manchmal etwas … na ja … unzureichend. Nicht immer, nur ab und zu.“
Davin nimmt Thians Hände in die seinen und dreht den Vietnamesen zu sich, damit sie sich in die Augen sehen können. „Niemals sollst du das denken, verstehst du? Mir kommt es nicht darauf an, was ein Mensch besitzt, sondern wie ein Mensch tief im Innern ist. Du bist großherzig, gütig, lustig, charmant und deine Lebenslust ist absolut ansteckend. Du bist immer positiv und hast einen Plan für dein Leben. Das fasziniert mich. Von dir kann ich viel lernen und das ist es, was mich an dir begeistert.“
„So siehst du mich wirklich? Aber du kennst mich doch kaum.“
„Manchmal reichen ein paar Augenblicke, um jemanden zu ergründen, um zu wissen, dass man einen ganz besonderen Menschen gefunden hat. Wenn du mir die Gelegenheit gibst, würde ich dich gern noch besser kennen lernen.“
Thian nickt, ein feuchter Schimmer legt sich über seine Augen und er umarmt Davin. „Nichts würde mich glücklicher machen, als Zeit mit dir zu verbringen. Ich fühle nämlich ähnlich. Für mich ist es, als ob wir uns schon ewig kennen, als wären wir Seelenverwandte.“
Ungeachtet der vielen Leute, die in ihrer Nähe stehen und diese Zärtlichkeit ohne Zweifel mitbekommen werden, sehen sie sich tief in die Augen, bevor sich ihre Lippen zu einem sanften Kuss vereinen.
Unschuldig, rein und doch so viel mehr.
Ein Räuspern lässt sie auseinander schrecken. „Bitte entschuldigen Sie, ich nur wollte sagen, dass das Kajak für Sie bereit steht.“ Bao ist neben sie getreten und macht mit den offenen Händen eine Geste zu den im Wasser vor sich hin schwankenden Booten.
„Danke, Bao. Also dann um 16 Uhr wieder hier?“, erkundigt sich Davin, der sich wieder gefangen hat und den vietnamesischen Reiseleiter freundlich anlächelt.
„Genau, damit wir Sie mitnehmen auf Hotelschiff.“
Die Männer verabschieden sich von Bao und treten zu ihrem blauen Plastikschiffchen, das an einer Leine sacht in den Wogen des Meeres schaukelt. Mitarbeiter des Bootsverleihs helfen Davin und Thian, sich in das Kajak zu setzen und reichen ihnen die Doppelpaddel, mit denen sie sich schon beim gestrigen Ausflug vertraut gemacht haben. Die restlichen Touristen hat man in größere Boote gesetzt, die von einem Ruderer an dem schwimmenden Dorf vorbeigeführt werden, bevor es für sie erneut an einen Strand geht.
„Versprichst du mir, dass du es mir in Zukunft sagst, wenn du dich unzureichend fühlst? Das ist nämlich das Letzte, was ich möchte. Aber auch für mich ist es schwierig, weil ich bisher noch nie in einer ähnlichen Situation war“, eröffnet Davin das Gespräch, während beide Männer das Kajak mithilfe ihrer Paddel vorantreiben. Sie haben Mühe den größeren Ruderbooten zu folgen, denn die Ruderer mit dem überdimensionalen Paddel benötigen nur einen Zug, um das Boot mehrere Meter über das Meerwasser befördern zu können.
„Versprochen. Offen und ehrlich?“
„Offen und ehrlich.“
Nach zehnminütigem Paddeln entdecken die Männer in der Ferne das Ziel ihres heutigen Ausflugs: Diverse, auf schwimmenden Planken stehende Häuser ankern in einigem Abstand zueinander in der von hohen Kalksteininseln umrahmten Bucht.
Vong Vieng.
Als sie das erste Anwesen erreichen, reißt der Himmel auf und die ersten Sonnenstrahlen des Tages fluten die Bucht und die schwimmende Siedlung, verleihen der Szenerie einen besonderen Glanz. „Wow, sieh dir das an. Richtige kleine Oasen mit Gärten und allem.“ Davin ist begeistert als er sich die Besitztümer ansieht, auf denen die Bewohner in Pflanzkästen sogar Gemüse und Obst anbauen.
„Faszinierend. Das hätte ich auch nicht gedacht. Guck mal da, die haben sogar einen Hund“, ruft Thian aus und deutet auf die Promenadenmischung, die bellend über die Planken wetzt, um das Grundstück gegen Unbefugte zu verteidigen.
Die kleinen, aus dünnem Holz gefertigten Häuser strahlen in allen möglichen Farben, sind bunt und oftmals kitschig, aber genau das macht den einzigartigen Charme dieses doch sehr speziellen Ortes aus. Blaue Plastikfässer dienen als Schwimmhilfe und tragen das Gewicht der Anwesen. Vor den Gebäuden sind hölzerne Ruder- und Motorboote befestigt, mit denen sich die Bewohner eine gewisse Mobilität ermöglichen. Noch immer fasziniert über die skurrile, wasserbasierte Parallelwelt in der sie gelandet sind, schauen sie sich alles genau an. An einem Haus mit angrenzenden im Wasser eingelassenen Gehegen, halten sie erneut an und erfahren vom Besitzer, dass es sich hier um eine Krokodilfarm handelt.
„Der hält in diesem rostigen Gittergehege ein Krokodil?“ Davin ist schlicht entsetzt. „Da genügt ein kleiner Windstoß und das Tier ist frei. Außerdem ist das doch keine artgerechte Haltung.“
Thian unterhält sich weiter mit dem Vietnamesen, bevor er zu übersetzen beginnt. „Das Krokodil ist seine Einnahmequelle. Die Menschen kommen hierher, um das Tier zu sehen, trinken einen Tee und zahlen dem Besitzer einen kleinen Betrag. So hält er sich über Wasser.“
„Unvorstellbar.“ An diesem Ort, diesem schwimmenden Dorf zwischen den schroffen Felsen, wird Davin wieder einmal so richtig bewusst, wie komplett anders sich das Leben in diesem Land im Vergleich zu den USA doch darstellt. Armut und eine einfachste Lebensweise herrschen hier vor und doch schaffen es die Vietnamesen irgendwie, sich ein schönes Leben aufzubauen. Innerlich applaudiert er ihnen. Auch wenn er mit der Haltung des Tiers hier nicht einverstanden ist.
„Phong, so heißt das Krokodil, sei auch schon ein paar Mal ausgebüxt. Dann mussten sämtliche Fischer des Dorfes zur Hilfe geholt werden, um ihn wieder einzufangen“, übersetzt Thian die voller Begeisterung vorgetragene Erzählung des Grundstückbesitzers.
Nachdem Davin dem Mann ein Trinkgeld zugesteckt hat, geht die Fahrt mit dem Kajak weiter. Sie kommen vorbei an einer schwimmenden Schule, dem baufälligen Gemeindehaus und einem Kahn, den die Fischer aus dem Dorf einmal alle zwei Tage mit ihren Fängen beladen. So können sie die Fische, Krabben, Austern und sonstigen Meeresfrüchte an den Häfen der Region verkaufen.
Zum Mittagessen sind sie bei einer Familie eingeladen, deren Haus Davin und Thian bestaunt haben. Die Mutter hat die Männer in ihrem Paddelboot entdeckt und kurzerhand hereingebeten. Obwohl sich Davin nicht gerne aufdrängt, genießt er die Zeit mit der Familie. Der kleine Huy, ein ungefähr siebenjähriger Junge mit breitem Lächeln, redet ohne auch nur einmal Luft zu holen, in einer Tour von der Schule und wie er seinem Vater beim Fischen hilft.
Thian kommt kaum mit dem Übersetzen nach, geschweige denn dazu, die Nudelsuppe zu essen, die ihnen die Mutter Ahn aufgetischt hat.
„Das ist total lecker“, schwärmt Davin und deutet mit einem dankbaren Lächeln auf seine Suppenschüssel. „Bitte bedanke dich noch einmal bei Ahn für die Einladung.“ Die Suppe wurde nicht mit Fleisch, sondern mit Fisch zubereitet, und ist äußerst bekömmlich. Besonders überrascht ist Davin über die vielen Zutaten und Kräuter, die man aus der klaren Brühe herausschmecken kann.
Ein überdimensionales Lächeln zeigt sich auf Ahns Gesicht, nachdem ihr Thian den Dank auf Vietnamesisch übersetzt hat. Sie nickt, steht auf und bietet Davin einen weiteren Teller Suppe an. Dabei fällt diesem sowohl die Reaktion des kleinen Huy, als auch die von Tuyen, dem Vater, auf. Ein kaum merkliches Zucken geht durch ihre Gesichter, bevor sie sofort wieder ein Lächeln aufsetzen und ihrem Gast auffordernd zunicken.
„Kann es sein, dass das alles ist, was die Familie heute zu essen bekommt?“, erkundigt sich Davin leise bei Thian, als ob ihn die anderen Vietnamesen verstehen könnten.
Thian nickt und deutet auf die Suppenschüssel. „Ja, das glaube ich auch. Das hätte wahrscheinlich auch noch für heute Abend reichen sollen.“
Bevor Davin reagieren kann, hat ihm Ahn einen zweiten Teller mit Suppe gefüllt und hingestellt. Freundlich lächelnd bedankt er sich, während er krampfhaft überlegt, wie er sich bei der Familie bedanken soll. „Hast du gesehen, ob es hier im Ort einen Supermarkt gibt?“
„Ja, ich glaube, dass ich da hinten was gesehen habe. Warum? Was hast du vor?“
„So wie ich die Familie einschätze, würden sie wie du kein Geld für ihre Gastfreundschaft annehmen, oder?“
Thian schüttelt den Kopf. „Nein, wie du sagst, das ist ihre Art von Respekt gegenüber den Fremden.“
Davin beginnt zu essen und bedankt sich erneut herzlich. Währenddessen zerbricht er sich den Kopf darüber, wie er ihnen ihre Gastlichkeit danken und dafür sorgen kann, dass ihre Bäuche auch am Abend gefüllt sein werden. Als Nachspeise reicht Familie Peng Früchte und Tee, die sie alle auf der Veranda einnehmen. Eine Stunde später machen sich Davin und Thian mit ihrem Kajak auf den Weg zum kleinen Supermarkt des Dorfes, der ebenfalls schwimmend, mitten in den Wohnhäusern auf Kundschaft wartet. Die vom verdunstenden Salzwasser rostig gewordenen Regale in dem dunklen Raum geben ein trauriges Bild ab. Vor allem, weil sie nur spärlich gefüllt sind.
„Der Ladenbesitzer sagt, dass morgen Nachschub vom Festland kommt. Außerdem musst du bedenken, dass sich die Familien selbst mit Fisch versorgen und hier nur den Rest einkaufen.“
„Da hast du auch wieder recht. Gut, dann nehme ich Reis, Gemüse, getrocknete Kräuter, Früchte und das Fleisch, das er noch hat.“ Thian übersetzt Davins Wunsch und sieht zu, wie der Besitzer zu strahlen beginnt. Freundlich nickend legt er alles, was Davin kaufen will, in Plastikbeutel. Wie ein Blitz sprintet er in seinem Laden hin und her, um die Wünsche des Fremden zu erfüllen. Etwas unsicher nennt er Thian die Summe, die der Einkauf kosten soll.
„150.000 Dong will er dafür.“
Davin reicht dem Mann das Geld und bittet ihn, die Einkäufe zu Familie Peng zu liefern. Dieser nickt und beginnt sofort damit, die Lebensmittel in sein motorbetriebenes kleines Boot zu laden.
„Du bist ein guter Mensch“, murmelt Thian, als sie wieder in ihrem Kajak sitzen und zurück Richtung Ausgangspunkt ihrer heutigen Erkundungstour paddeln.
Davin lächelt, obwohl er weiß, dass Thian ihn nicht sehen kann, da er den vorderen der beiden Plätze besetzt. „Danke, aber weißt du, ich fühle mich dennoch hilflos. War das richtig, was ich getan habe, oder habe ich sie damit beleidigt? Ist es fair, dass nun die anderen Bewohner auf die nächste Ladung warten müssen, bevor sie sich wieder Lebensmittel kaufen können? Ich weiß einfach nicht, ob ich jetzt richtig gehandelt habe.“
Thian hört mit dem Paddeln auf und dreht sich so weit wie möglich zu Davin um, um ihn anzusehen. „Du hast das Richtige getan und ich finde dich einfach wundervoll. Du bist gütig und sanft, das gefällt mir sehr an dir.“
Von Weitem hören sie einen Freudenschrei und blicken beinahe automatisch in die Richtung des Familiengrundstücks, auf dem sie zu Mittag gegessen haben. Die gesamte Familie Peng steht auf ihrer Veranda und selbst von dieser Distanz ist klar, dass sie erstaunt und begeistert sind.
„Siehst du, sie freuen sich.“
Davin und Thian paddeln weiter, weil sie schon etwas zu spät sind, um sich am Treffpunkt einzufinden. Als sie um die nächste Insel gleiten, entdecken sie das schwimmende Besucherzentrum, das sie mit ein paar weiteren Paddelzügen erreichen. Bao und seine Gruppe sind noch nicht eingetroffen, weshalb sich die Männer auf eine Bank setzen, um sich die Bucht anzusehen.
„Das war ein sehr schöner Ausflug, heute.“ Thian sieht Davin an und lächeln sanft. „Ich bin so glücklich, weil ich endlich etwas von meinem Land entdecken konnte und nicht nur immer in Hanoi sitze, um zu arbeiten.“
„Du lebst in einem sehr schönen Land, Thian.“ Seufzend lässt Davin seinen Blick in die Ferne schweifen. „Es macht mich traurig, dass du dich unzulänglich fühlst in meiner Gegenwart.“
„Doch nicht immer“, verteidigt sich Thian.
„Ich weiß, aber trotzdem. Wie kann ich dir nur klar machen, dass du so viel reicher bist, als mich Geld jemals machen kann. Du genießt dein Leben, versprühst Energie und unbändige Lebenslust. Das ist einzigartig und inspiriert mich.“
„Wirklich?“
„Ja, natürlich.“ Davin nimmt Thians Hände in die seinen. „Verlier niemals diesen Funken, der dich ausmacht. Versprichst du mir das?“
Thian nickt etwas verlegen. „Versprochen.“
Ein paar Minuten später taucht das Beiboot der Pearl of the bay
in der Ferne auf und hält auf sie zu. Fast gleichzeitig nehmen sie ein Motorengeräusch war und drehen sich zu einem näherkommenden Boot um. Darin sitzen die gesamte Familie Peng und der Ladenbesitzer, dem Davin zuvor das halbe Geschäft leer gekauft hat. Ahn, Tuyen und Huy winken aufgeregt, sie strahlen den Männern mit lachenden Gesichtern entgegen. Noch bevor der Ladeninhaber sein Boot überhaupt zum Stehen gebracht hat, klettert der Junge auf die Planken des schwimmenden Besucherzentrums und rennt auf Davin zu. Der Kleine hat seine dürren Ärmchen ausgestreckt und lacht übers ganze Gesicht.
Davin kniet sich zu ihm hin und lässt sich von ihm umarmen.
„Er bedankt sich tausendmal für die vielen guten Lebensmittel, die du ihnen hast bringen lassen“, beginnt Thian zu übersetzen. In der Zwischenzeit haben es auch Huys Eltern geschafft und stehen daneben. Auch Ahn umarmt Davin und Thian, bevor sie Davin eine aus massivem Holz geschnitzte Rikscha überreicht. „Das ist für dich, als Dank für deine Großzügigkeit“, lässt Thian verlauten, während er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischt. „Sie danken dir sehr.“
Gerührt von der Situation, wischt sich auch Davin eine Träne von der Wange, bevor er sich die Rikscha etwas genauer ansieht. Das Kunstwerk gleicht derjenigen von Thian beinahe auf den Punkt, die Detailtreue ist faszinierend. „Vielen Dank“, entgegnet Davin und drückt die Rikscha als Zeichen seiner Dankbarkeit an seine Brust.
In der Zwischenzeit sind auch Bao und die anderen Passagiere am Sammelpunkt eingetroffen. Thian und Davin steigen ein und winken Familie Peng zu, bis sie mit dem Schnellboot um die nächste Kalksteinfelseninsel fahren und den Blickkontakt verlieren.
„Das war berührend“, murmelt Davin in die Ferne blickend, als er Thian seinen Arm über die Schulter legt und ihn an sich zieht. Zu seiner Überraschung lehnt sich Thian an ihn und genießt die Zärtlichkeit sichtlich.
Endlich taust du auf, Thian, das freut mich. Oder ist es vielleicht nur, weil wir hier von Touristen und nicht von Einheimischen umgeben sind? Hm … eigentlich völlig egal, ich finde es einfach schön.
Das Wichtigste ist, dass sie beide zufrieden und glücklich sind. Davin genießt jede Sekunde, die er mit diesem Mann mit den schwarzen Haaren, den unergründlich tiefen Augen und dem bezaubernden Lächeln verbringen kann. Ihn zu spüren, seine Wärme wahrzunehmen, das ist das Schönste, das sich Davin im Moment vorstellen kann.
Ein perfekter Moment.
Gleich nach der Rückkehr der Tagesausflügler auf das Hotelschiff, lässt der Kapitän den Anker einholen und sticht mit seiner Dschunke in See. Die Fahrt zurück nach Halong, dem Ausgangspunkt ihrer Reise, steht an und wird voraussichtlich die ganze Nacht dauern.
Davin und Thian haben es sich mit Snacks und Getränken aus dem Lounge-Bereich auf ihrem Mini-Balkon gemütlich gemacht und sehen sich den letzten Sonnenuntergang in der Bucht der tausend Inseln an.