Das vielgestaltige Internet soll im Folgenden auf zwei Aspekte zugespitzt werden: Zum einen geht es um die Technik des Internets und zum anderen um seine Nutzung als Kommunikationsmedium. So hat ein Medium stets mindestens zwei Bedeutungsebenen (vgl. etwa Kubicek 1998: 59ff.). Als Medium erster Ordnung wird die technische Kommunikationsinfrastruktur bezeichnet und als Medium zweiter Ordnung sind die verschiedenen Institutionen und gesellschaftlichen Nutzungsweisen zu verstehen. Erstere bezeichnen im Allgemeinen sachtechnische Artefakte wie bestehende Infrastrukturen (etwa das Telefonnetz oder Computernetzwerke), die eine Informationsübermittlung ermöglichen. Medien zweiter Ordnung umfassen dann spezifische Dienste und Anwendungen wie etwa eine Info-Hotline oder die E-Mail. Die Betrachtung der Technik des Internets entspricht dabei zu weiten Teilen der Konzeption als Medium erster Ordnung, wobei einige technische Aspekte (speziell die softwarebasierten Anwendungen) auch als Medien zweiter Ordnung konzipiert werden können.
Eine technikzentrierte Perspektive ist unverzichtbar, weil die artifiziellen, soft- und hardwarebedingten Eigenschaften des Internets die Nutzung maßgeblich beeinflussen. Ohne in technikdeterministische Argumentationsmuster zu verfallen, ist offenkundig, dass das Internet zum einen als Netz der Netze ein großtechnisches System darstellt und zum anderen gesellschaftlich nur im Rahmen seiner technischen Möglichkeiten bedeutsam ist. Soll eine gegenstandsferne oder gar gegenstandslose Theoretisierung vermieden werden, muss die materielle Basis mitsamt ihren praktischen, aber auch für die Theorie bedeutsamen Folgen an entsprechender Stelle Beachtung finden. Bisher findet sich diese Forschungsmaxime lediglich an wenigen Stellen. So wird etwa die grundlegende (technikbasierte) Unterscheidung in das Internet insgesamt und das Sub-Medium des World Wide Web (WWW) nicht selten übersehen. Dabei werden Einzelaspekte pauschalisiert, die ihrer technisch-historischen Entwicklung und gegenwärtigen Ausprägung nach überaus heterogen sind. So hängt etwa die zunehmend größere gesellschaftliche »Bedeutung« des Internets entscheidend mit den veränderten technischen Strukturen und dem inzwischen leichteren Zugang für Laien zusammen. Damit entsprechen die technischen Aspekte des dualen Medienbegriffs dem Potenzial eines Mediums, wohingegen die institutionellen Aspekte die selektive gesellschaftliche Aneignung beeinflussen (vgl. Neuberger 2009: 22).
Während die Betrachtung der technisch-artifiziellen Eigenschaften des Mediums in der Materialität des Gegenstandes begründet liegt, fokussiert der medientheoretische Zugang einen anderen Aspekt. Den Ausgangspunkt für dieses Komplement bildet die individuelle und gesellschaftliche Nutzung der Technologie. Nach einem ersten Blick auf die digitale Technologie wird bereits deutlich, dass das Internet nicht viel mehr als Kommunikation leisten kann. Es muss als ein technischer Zusammenhang verstanden werden, dessen grundlegende Funktion in der Rezeption, Transformation und Vermittlung von Symbolen liegt. Im Detail betrachtet, kauft man also beispielsweise nicht im Internet, sondern über das Internet. Der Unterschied ist wichtig, denn (und hier sieht man bereits, wie ausschlaggebend technische Aspekte sind) die basale 0-1-Kodierung aller Computersysteme erlaubt ausschließlich eine darauf basierende (Re-)Konstruktion symbolischer Kommunikation. Alles Gerede von Online-Kollaboration, virtuellen Welten, multiplen Identitäten oder rechtsfreien Räumen ist letztlich eine Folge spezifischer Internetkommunikation sowie deren gesellschaftliche Interpretation. Die Ursache hierfür bildet die unumgängliche Exklusion alles Materiellen sowie die weitestgehende Reduzierbarkeit des Sozialen auf Kommunikation. Ein darüber hinausgehendes »Mehr« ist bis zum heutigen Tag nicht festzustellen.
Jenseits dieser drei Konzepte ist, abgesehen von einigen zwar inspirierenden, aber wenig systematischen Ansätzen (etwa Geser 1998: Internet als weiche Sozialwelt), nicht viel an substanziellen Betrachtungen zu finden. Dementsprechend werden die beiden umrissenen Hauptstränge zur Gegenstandsbeschreibung des Internets bemüht und um ergänzende Aspekte abweichender Lesarten bereichert. Ob das Internet beispielsweise als großtechnisches oder sozio-technisches System zu konzipieren ist, hängt vom jeweiligen Erkenntnisgewinn ab und soll in den entsprechenden Abschnitten gesondert diskutiert werden.
Dem Ziel der Arbeit entsprechend bedarf die oben vorgestellte duale Konzeption, speziell mit Blick auf den Aspekt des Kommunikationsmediums, einer begrifflichen Präzisierung. Gerade die Unterscheidung zwischen Medium und Kommunikation kann helfen, das Internet und seine Nutzung präziser zu analysieren. Der zugrundeliegenden Annahme folgend, das Internet sei in erster Linie als Kommunikationsphänomen soziologisch interpretierbar, bietet sich die Bezugnahme auf eine Theorierichtung an, die Gesellschaft konsequent auf Kommunikation reduziert und unter anderem deshalb über ein äußerst elaboriertes Begriffsinstrumentarium verfügt. Die Rede ist von Niklas Luhmanns Kommunikationstheorie. Die Kehrseite seines Werks besteht in einem hohen Abstraktionsgrad sowie verschiedenen Reduktionen, die für »klassisch« soziologische Fragen und Perspektiven oft wenig Raum lassen. Am augenscheinlichsten wird dies wohl im theoretischen Ausschluss der Menschen aus der Gesellschaft. Die damit stark reduzierte Sozialdimension von Gesellschaft hat zur Folge, dass systemtheoretisch gelagerte Analysen häufig als gegenstandsfern und wenig hilfreich für konkrete gesellschaftliche Probleme erscheinen. Dementsprechend sollen die der Luhmann’schen Theorie entliehenen Begriffe um einen zweiten, weniger funktionalistischen Theoriestrang erweitert werden. Hierzu wird die Strukturationstheorie von Giddens vorgeschlagen. Die Verknüpfung beider Ansätze erfolgt anhand von (Verbreitungs-) Medien, die sowohl für Luhmann als auch für Giddens eine wichtige Rolle im Verhältnis von Sozial- und Systemintegration spielen. Ausgehend von dieser Engführung kann dann Giddens Ansatz des »disembedding« sozialer Praktiken entfaltet werden.
Zunächst jedoch sollen Kommunikation und Medium im Sinne von Luhmann erläutert werden. Grundsätzlich sind Medien die Voraussetzung für Kommunikation, steuern diese, sind aber nicht Teil des kommunikativen Austauschs. Kommunikation hingegen, die mündlich oder schriftlich erfolgen kann, besteht in der Synthese von drei Selektionen (Information, Mitteilung und Verstehen). Kommunikation realisiert sich dann, wenn der Empfänger (Ego) die Differenz zwischen den ersten beiden Selektionen versteht. Der oder die Sendende (Alter) hingegen muss zuvor eine Information und eine Mitteilung auswählen. Die Information könnte beispielsweise lauten: »Mein Computer funktioniert seit gestern nicht mehr«. Dabei soll zum Ausdruck (Mitteilung) gebracht werden, dass Ego ihm doch bei der Reparatur helfen möge. Ebenso könnte Ego aber verstehen, er solle ihm einen seiner drei Computer zeitweise leihen. Der ausgesprochene Satz ist folglich nicht an sich die Information, sondern sie konstituiert sich erst mit dem dritten Schritt (vgl. Luhmann 1984: 193ff.).
Die Einheit der Kommunikation realisiert sich, indem Kommunikation immer wieder an Kommunikation anschließt. Alter und Ego tauschen dabei ihre Rollen und vollziehen fortwährend die drei Selektionen. Anschlusskommunikation ist möglich, weil Kommunikation zum einen alles thematisieren kann und zum anderen aufgrund der ja/nein-Codierung immer eine Alternative formuliert werden kann. Reißt dieser Strang ab, endet nach Luhmanns Konstruktivismus auch die Existenz des sozialen Systems. Damit dies nicht passiert und (an sich unwahrscheinliche) Kommunikation überhaupt zustande kommt, haben sich bestimmte Medien ausgebildet, die Antworten auf einzelne Probleme (wie Verständnis, Erreichen und Annahme) geben.
Wenngleich Medien nicht als Teil der Kommunikation verstanden werden, sind sie eine unbedingte Voraussetzung hierfür. Wie bereits angesprochen, können Kommunikationsmedien verschiedene Probleme lösen und Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation reduzieren. Sie sind dementsprechend differenziert. Das basalste Medium stellt dabei die Sprache dar. Sie wird sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form genutzt. Alltagssprachlich als Medien bezeichnete Phänomene wie das Fernsehen, die Presse oder das Telefon werden von Luhmann als Verbreitungsmedien konzipiert, von denen dann noch einmal die Massenmedien unterschieden werden. Und schließlich tritt eine dritte Medienart auf den Plan, die vor allem in funktional differenzierten Gesellschaften von größerer Bedeutung ist: symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Doch zunächst sind einige Erläuterungen zum Begriff der Medien insgesamt notwendig: Medien machen Kommunikation wahrscheinlicher, indem sie Selektionen einschränken. Gleichzeitig bestehen innerhalb dieser Grenzen vielfältige Selektionsmöglichkeiten. Am Beispiel der Sprache würde dies bedeuten, dass der Wortschatz und die Grammatik das sinnbildliche Werkzeugrepertoire begrenzen, aber innerhalb dieser Grenzen alles ausgedrückt werden kann. Der Rundfunk beispielsweise ist auf mündliche Sprache beschränkt und kann dementsprechend keine Bilder verbreiten, wohl aber alle Themen behandeln (vgl. Luhmann 1997: 190ff.).
Sprache als Medium hilft, den Bereich des Wahrnehmbaren durch symbolische Generalisierungen (mittels Zeichen) zu vergrößern. Es kann (im Unterschied zu einfachen Gesten der Prä-Neandertaler) über etwas kommuniziert werden, das nicht anwesend ist. Dabei ist es möglich, jeden Inhalt als Objekt zu behandeln, womit Sprache sich auch selbst thematisieren kann. Die Kommunikation über Kommunikation ermöglicht im Sinne der Reflexion einen hohen Komplexitätsgrad, da etwa Missverständnisse ausgeräumt werden können (vgl. Luhmann 1984: 208ff.).
Sprache bildet ebenso die Grundlage für die Entwicklung von Verbreitungsmedien. Sie erlauben es, nicht anwesende Personen zu erreichen. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Schrift zu, die als historisch erstes Verbreitungsmedium auch heutzutage hochgradig bedeutsam ist. Sie ersetzt die Laute durch Silben, die in Zeichen symbolisiert sind. Dadurch wird das Medium nicht akustisch, sondern optisch wahrgenommen. Die Nutzung der Schrift ermöglicht eine zeitliche Trennung von Mitteilung und Verstehen, wenngleich die Internetkommunikation eine gegenläufige Entwicklung forciert. Durch verschiedene technische Innovationen, die beim Buchdruck beginnen und gegenwärtig im Internet kumulieren, konnte die soziale Reichweite der Kommunikation enorm vergrößert werden. Mit den funktional differenzierten Gesellschaften entsteht eine Vielzahl an unterschiedlichen Medien der Telekommunikation (Radio, Fernsehen, Telefon und andere), wobei es gegenwärtig so aussieht, als zeichne sich eine Reintegration dieser Einzelmedien in einen singulären technischen Zusammenhang (dem Internet) ab.
Mit dem »Erfolg« der Verbreitungsmedien sind die Kommunikationsmöglichkeiten stark gewachsen. Abgesehen von dem daraus folgenden stärkeren Selektionszwang seitens der Kommunizierenden, entwickeln die Medien auch eine eigene Selektivität (vgl. Baraldi/Corsi/Esposito 1997: 201f.). Damit ist gemeint, dass bestimmte Inhalte mittels bestimmter Medien besonders gut kommuniziert werden können und andere hingegen nicht: Während wissenschaftliche Abhandlungen vorrangig in Zeitschriften publiziert werden, sind Sportereignisse besser im Fernsehen darstellbar. Für die Fragestellung dieser Arbeit, nach den Inhalten von Internetkommunikation, ist das äußerst relevant, insofern damit das Passungsverhältnis von Offline-Entitäten und den Ressourcen des Internets untersucht werden kann.
Wenngleich Luhmanns Theorie aus einer Zeit stammt, in der das Internet an sich und speziell in seiner gegenwärtigen Gestalt und Wirkungsweise, nicht absehbar war, kann die Internetnutzung mit seinen Begriffen in eine kommunikative und eine mediale Dimension differenziert. Wird im Folgenden der Wandel der gesellschaftlichen Bedeutung des Internets beschrieben und analysiert, müssen die beiden Dimensionen getrennt werden. Zum einen geht es um die Frage, was kommuniziert wird und welchen Gegenstand die drei Selektionen thematisieren: Findet Internetkommunikation also vorrangig vor einem wirtschaftlichen oder rechtlichen, privaten oder wissenschaftlichen Hintergrund statt? Zum anderen kann gefragt werden, wie kommuniziert wird. Diese Frage hat schließlich die Entwicklung und Funktionsweise der Verbreitungsmedium zum Ausgangspunkt. Zentral ist hierbei, wie die Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation, speziell unter Berücksichtigung der Erreichbarkeit von Individuen, reduziert werden können. Neben der Raumüberwindung durch das Internet ist auch anderen Charakteristika, die sowohl in der Technik als auch in der Nutzung begründet liegen, Rechnung zu tragen: Welche der einzelnen auf dem Internet basierenden Medien (WWW, E-Mail, Dateitransfer et cetera) werden in welchem Umfang und wofür genutzt?
Neben diesen Vorzügen sind auch Defizite in der Anwendung des Luhmann’schen Ansatzes auf das Internet feststellen. Drei Momente verdeutlichen, dass das Internet eine Aktualisierung von Luhmanns Medientheorie erforderlich macht. So ist erstens die mit der Trennung in mündliche Sprache und Schrift einhergehende Temporalität nur noch bedingt zutreffend. Speziell der Aspekt der Entzerrung von Mitteilung und Verstehen bei schriftlicher Kommunikation ist gewissermaßen technisch überholt. Die Nutzung von Chat-Diensten ermöglicht beispielsweise, dass jedes getippte Zeichen augenblicklich dem Gegenüber angezeigt wird. Ebenso ist die Zeitlichkeit mündlicher Kommunikation variabel, indem Sprachnachrichten auch asynchron und nicht nur zwischen zwei Teilnehmerinnen oder Teilnehmern übertragen werden können. Lange Zeit gültige Grenzen werden damit aufgebrochen und Charakteristika verschiedener Medien hybrid.
Die zweite Herausforderung bezieht sich auf die Bedeutung von Lauten und Silben bei Internetkommunikationen. Sie sind bei analogen Medien mit dem Mitteilungsaspekt verbunden. Zwar spielen diese Formen auch im Internet eine wichtige Rolle, aber es tritt eine neue hinzu: der Code. Ausgehend von verschiedenen Programmier- und Auszeichnungssprachen ist festzustellen, dass alle internetbasierten Medien eine neuartige Zwischenebene aufweisen. Gleich klassischen Verbreitungsmedien ist den Lauten oder Silben immer eine rein technische Grundlage eigen: Das können Schallwellen, elektrische Signale, Farbmarkierungen oder eben 0-1-codierte Impulse verschiedener Art sein. Während die Transformationsregeln analoger Medien bisweilen sehr einfach sind, wenn etwa akustische in elektrische Signale übersetzt werden, bietet Software komplexe und dynamische Regeln an. Die Übersendung der ersten Texte war beispielsweise auf 128 verschiedene Zeichen beschränkt, wodurch für viele Sprachen eine Reduzierung erfolgte. Inzwischen sind nahezu alle Sonderzeichen und Spezifika darstellbar. Der von Menschen lesbare Quellcode, der wiederum automatisch in Maschinensprache übersetzt wird, ist dabei die Voraussetzung von jeder Art der Web-Kommunikation. Soll ein Text im World Wide Web veröffentlicht werden, muss er in HTML geschrieben sein, was beispielsweise erfordert, dass zur Erzeugung eines Absatzes »<p>« eingeben werden muss. Heutzutage helfen Editoren und Content Management Systeme die Eingaben auf der Software-Ebene zu automatisieren, was aber nichts an ihrer Existenz und Bedeutung ändert.
Mit Blick auf Alters Rolle im Kommunikationsprozess wird unklar, wo genau diese Zwischenebene anzusiedeln ist. Die Selektion der Information ist zunächst unabhängig von bestimmten Medien, der Mitteilungsaspekt hingegen ist unweigerlich an die Grenzen und Möglichkeiten des genutzten Mediums gebunden. Plausibel ist nun, dass hier eine doppelte Selektivität vorliegt: Einerseits muss entschieden werden, was beispielsweise auf einer Homepage veröffentlicht werden soll und andererseits muss eine Möglichkeit gefunden werden, dies möglichst zielgerecht im Code umzusetzen. Bei der Nutzung von Brief, Telefon oder auch Rundfunk entschwindet die Zwischenebene ins Nicht-Wahrnehmbare, während nur wenige Expertinnen und Experten intuitiv Code schreiben können. Da der Mehraufwand die Kommunikation unwahrscheinlicher macht, wurden in den letzten Jahren verschiedene technische Lösungen gefunden, speziell schriftliche Kommunikation im Internet klassischen Medien anzupassen. Dennoch bleiben Restriktionen vorhanden, da es beispielsweise schwierig ist, einer E-Mail eine Handschrift zu geben oder ein Gemälde van Goghs als Pixel-Bild im Web zu präsentieren. Solche Einschränkungen mögen zwar auf alle Verbreitungsmedien zutreffen, weisen für das Internet aber eine andere Qualität auf. Die auf Software basierenden Regeln und Ressourcen sind im Rahmen der Digitalität ohne weiteres änderbar. Während sich beispielsweise das Zeichenrepertoire der Schreibmaschine oder auch analoger Druckmaschinen über die Jahrzehnte nur unwesentlich geändert haben, zeigt die Verbreitung von Emoticons (Smileys und Ähnliches) das Wandlungspotenzial beispielhaft auf.
Und drittens ist die Unterscheidung in Verbreitungsmedien und symbolisch generalisierte Medien nicht in vollem Umfang gegenstandsadäquat. Vielmehr wird durch das Internet ein Hybridtyp geschaffen. Ein Typ, der einerseits auf die Frage Bezug nimmt, ob und wie Individuen erreicht werden können und der andererseits aussagekräftig in Hinblick auf die Annahme der Kommunikation ist. Aus einer solchen Fragestellung heraus kann das Internet als Spezifizierungsmedium verstanden werden. Luhmanns Verbreitungsmedien sind vornehmlich gesellschaftsevolutionär konzipiert und dahingehend von Bedeutung, als sie Individuen über lokale Kontexte hinaus füreinander erreichbar machen. Dieses Problem ist allerdings weitestgehend gelöst. Sowohl klassische Verbreitungsmedien als auch das Internet im Speziellen sorgen für eine globale Vernetzung im Sinne der kommunikativen Weltgesellschaft. Je breiter allerdings Informationen gestreut werden und je unpersönlicher die Adressierung und Ansprache ist, desto unwahrscheinlicher wird eine positive Reaktion. So führen flächendeckende Werbeplakate keineswegs dazu, dass alle Rezipientinnen und Rezipienten auch tatsächlich Neuwagen kaufen, ebenso wenig wie eine unangeforderte E-Mail von »Dr. Fun« aus den USA jemanden dazu verleitet, Viagra zum Sonderpreis zu bestellen. Für die Herausforderung der Annahme von Kommunikation haben sich symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, wie Geld, Wahrheit oder Macht herausgebildet. Das Internet scheint aufgrund der Technizität in der Lage, das Problem zumindest partiell anders zu lösen. Im Sinne eines Spezifizierungsmediums ist es in der Lage, eine große Anzahl von Personen differenziert anzusprechen. Individualisierte Internetwerbung verdeutlicht dies exemplarisch. Dank einer Vielzahl an gesammelten Informationen bekommt jeder User seinen Vorlieben sowie bisherigen Käufen entsprechend ein anderes Werbeangebot vorgesetzt. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Kaufs. Zum einen gibt der Erfolg solchen gleichzeitig differenzierten wie auch massenhaften Ansprachen Recht, zum anderen lässt sich das Modell auf jede Internetkommunikation übertragen. Der Clou besteht darin, dass aufgrund möglichst vieler personenspezifischer Informationen Kommunikationssituationen geschaffen werden, die Face-to-Face-Interaktionen möglichst ähnlich sind.
Wie angesprochen, soll die Luhmann’sche Medientheorie um einen Ansatz ergänzt werden, der sich näher an den Lebenspraktiken der Individuen verortet und gleichermaßen zu einer weiteren Präzisierung des Medienverständnisses beiträgt. Hierzu wird auf Giddens’ Strukturationstheorie, die die Dualität von Handeln und Struktur zum Thema hat, Bezug genommen. In gesellschaftsevolutionärer Hinsicht geht auch Giddens (vgl. 1984: 236ff.) von einer Abfolge drei unterscheidbarer Gesellschaftsformen aus. Basierend auf dem Verhältnis von Sozial- und Systemintegration legt er den Fokus aber nicht primär auf unterschiedliche Differenzierungsformen, sondern auf die räumliche und zeitliche Ausdehnung von Sozialbeziehungen. Eine solche Entwicklung resultiert neben anderen Faktoren aus dem sich verändernden Medienangebot.
Die Dynamik der Moderne speist sich für Giddens neben der Entkopplung von Raum und Zeit, aus der Ausbildung von Expertensystemen und aus einer zunehmenden Reflexivität. Letzteres meint dabei eine fortwährende Prüfung und Verbesserung sozialer Praktiken in Hinblick auf »neue« Informationen zu diesen Praktiken (vgl. Giddens 1996: 54ff.). So gab es zwar auch in vormodernen Gesellschaften sozialen Wandel, aber dieser verlief im Vergleich zu modernen Gesellschaften geradezu behäbig, wie die Bedeutung einer religiös geprägten Lebensweise beispielhaft zeigt. Die Entkopplung von Raum und Zeit beginnt mit der Erfindung der mechanischen Uhr und ihrer gesellschaftsweiten Verbreitung. Sie ermöglicht die Entleerung der Zeit von spezifischen Kontexten, Ereignissen oder Naturfaktoren. Dies wiederum ist Voraussetzung für die Entleerung des Raumes. Man kann sich den letztgenannten Prozess als die Differenzierung von Ort und Raum vorstellen. In vormodernen Gesellschaften fielen die Vorstellungen von beiden Begriffen noch eng zusammen. Das Raumverständnis der meisten Individuen entspricht den Schauplätzen, die selbst erfahren werden. Mit der fortschreitenden Topographierung verliert die Zentrierung der eigenen Umgebung an Bedeutung. Beide Prozesse der Entleerung führen nun dazu, dass ein »wann« nicht mehr mit einem »wo« verbunden sein muss.
Die Entbettung knüpft an diese Entwicklung an. So eröffnet das Herausheben sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen eine alternative soziologische Perspektive: Während Differenzierungsansätze und damit verbundene Analysen funktionaler Differenzierung oft mit evolutionstheoretischen Einstellungen verknüpft sind und das Grenzproblem gesellschaftlicher Systeme außer Acht lassen, kann der Entbettungsansatz die wechselnde Ausrichtung von Raum und Zeit besser in den Blick nehmen (vgl. Giddens 1996: 33f.). Wenngleich Luhmanns Theorie beispielsweise mit dem Begriff der Weltgesellschaft auf Basis kommunikativer Erreichbarkeit durchaus für die räumliche Entbettung sensibel ist, nimmt sozialer Wandel eher eine randständige Position ein. Giddens präzisiert die Entbettung durch die Unterscheidung von zwei Mechanismen: symbolische Zeichen und Expertensysteme, wobei Letztere hier ignoriert werden können. Unter symbolischen Zeichen versteht er Medien, die ausgetauscht werden. Im Unterschied zu systemtheoretischen Ansätzen, die keine Hierarchisierung zwischen verschiedenen Medien vornehmen, ist das Geld im Hinblick auf die Entbettung ein Primärmedium. Sprache oder Macht hingegen haben diesbezüglich keine so große Bedeutung. Geld ermöglicht, wie kein zweites Medium, Transaktionenen zwischen Individuen, die in Raum und Zeit weit voneinander entfernt sein können. Da das Medium als solches ein spezifisches Vertrauen erfährt, ermöglicht es Zahlungen zwischen nicht Anwesenden sowie zu in der Zukunft liegenden Zeitpunkten (vgl. Giddens 1996: 42f.).
Für moderne Gesellschaften identifiziert Giddens verschiedene Komplexe von Strukturen, die mit der Kapazität ausgestattet sind, soziale Interaktionen über räumliche und zeitliche Distanzen zu transportieren und Muster einer solchen Vernetzung zu verändern (vgl. Lamla 2003: 72f.). Bedeutsam sind hier vor allem Kommunikations- und Transportmittel: Kommunikationsmedien, wie Telefon, Brief oder Internet, schöpfen ihre Mediationsfähigkeit aus einer Kombination von Regeln und Ressourcen, was der dualen Konzeption des Medienbegriffs entspricht. Die Regeln bestehen dabei beispielsweise in grammatikalischen Determinanten oder dem Wortschatz, die Ressourcen hingegen in den materiellen Grundlagen, speziell der Technik. Mit der Emergenz elektronischer Medien wurde vor allem die zeitliche Beschränkung der Kommunikation überwunden. Zwar konnten auch Briefe große räumliche Distanzen überwinden, benötigten dafür aber verhältnismäßig viel Zeit. Die Interaktion zwischen Abwesenden unterschied sich damit deutlich von der unter Anwesenden. Mit Medien echtzeitlicher Kommunikation können die Begrenzungen in der zeitlichen Dimension nahezu egalisiert werden, was nach Giddens (vgl. 1981: 38) zu einer »time-space convergence« führt. Speziell das Internet leistet hier einen wichtigen Beitrag, da es verschiedene Kanäle gleichzeitig, echtzeitlich und polydirektional übertragen kann.
Ein solches Medienverständnis geht bis hierhin nicht über die Ausführungen zu Luhmann hinaus. Dies ändert sich, stellt man den Bezug zu Giddens Gesamtwerk her. Hierzu soll der Entbettungsaspekt um einige theoretische Facetten erweitert werden. Den Ausgangspunkt bildet ein sich aus der Theorielandschaft speisender Mangel hinsichtlich der Integration von Struktur und Handeln. Die von Marx inspirierte Grundidee besteht in der Annahme, Gesellschaft sei offen und gestaltbar, aber nicht strukturlos oder frei von objektiven Regelmäßigkeiten. Giddens’ Theorie der Strukturierung fokussiert dementsprechend das permanent rekursive Wechselverhältnis von individuellem Handeln und gesellschaftlichen Strukturen im Sinne einer Dualität. Der theoretische Ansatz konzipiert soziale Praktiken als Analyseeinheit. Sie entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern immer auf vorhandene Strukturen Bezug nehmen, wie beispielsweise grammatikalische Regeln, Gesetze oder Rollenbilder. Handeln und Struktur müssen demnach gemeinsam gedacht werden. Dies impliziert, dass die strukturellen Momente der Gesellschaft von handelnden Subjekten gestaltet werden.
Im Rahmen von Alltagspraktiken bestehen in der Regel gewisse Wahlfreiheiten, da Strukturen nicht nur begrenzende, sondern auch ermöglichende Funktionen haben. Sie stellen neben Regeln auch Ressourcen dar. Indem Individuen aus verschiedenen Optionen wählen und ihre Handlungen anpassen, verändern sie unweigerlich (und oft unbewusst) Strukturen. Man denke dabei etwa an die Umgangsformen in E-Mails: Während zu Beginn der 1990er Jahre ein durchweg lockerer Ton gepflegt wurde, sind förmliche Ansprache, Signaturen und eine »seriöse« Adresse heutzutage zum Mindeststandard avanciert. Etabliert hat sich dieses Set an formellen Anforderungen aus dem Verhalten der User und nicht als Anforderung einer weisungsberechtigten Instanz. Strukturen sind damit als Werkzeuge zu verstehen, die jenseits von totalen Institutionen und Ähnlichem die Ausbildung von Subjektivität geradezu erzwingen, indem sie verschiedene Möglichkeiten des Handelns offerieren. Das feinmaschige Netz an Regeln der Straßenverkehrsordnung ermöglicht in ihrer Anwendung einen durchaus individuellen Fahrstil.
Für eine Verknüpfung von Giddens Strukturationsansatz mit der intendierten Internetbetrachtung können zwei Facetten des Internets betrachtet werden: die Eigenschaften als struktureller Baustein der Gesellschaft einerseits und die Wirkung als Entbettungsmechanismus sozialer Praktiken andererseits. Damit wird auf die Wirkung des Web als Struktur und Handlungsrahmen sowie das konstitutive Zusammenspiel beider geschlossen.
Die Technik stellt gewissermaßen die Ressourcenseite des Internets dar und umfasst die Hardwarekomponenten sowie die zugehörige Software. Sie ermöglichen die Nutzung, schränken sie aber zugleich ein. Das Internet ist nun in technischer Hinsicht ein sehr wandlungsfähiges Medium, womit die strukturellen Eigenschaften immer auf bestimmte Zeiträume beschränkt sind. Ein Basisset an Architekturprinzipien blieb zwar über die Zeit hinweg konstant, gleichzeitig traten unzählige Funktionen hinzu und das technische System breitete sich enorm aus. Software spielt insofern eine besondere Rolle, als sie sowohl eine technische Komponente darstellt als auch normierend wirkt. Die Möglichkeit mittels eines Upload-Assistenten auf einer Web-Plattform etwa ein Video bereitzustellen, kann grundsätzlich als Ressource verstanden werden. Wenn aber gleichzeitig softwareseitig eine Prüfung erfolgt, ob nicht etwa eine Urheberrechtsverletzung mit dem Upload einhergeht, wirkt dies regulierend. Die viel umschriebene Transformation zum Web 2.0 kann aus dieser Perspektive als eine Reduktion der Regeln angesehen werden, die ein erhöhtes Maß an Partizipation und Integration ermöglicht (vgl. Maier 2008: 204).
Der in der Software eingeschriebene Code ist damit so etwas wie die Grammatik und der Wortschatz des Mediums zugleich; allerdings mit der Besonderheit, dass es sich nicht um ein rein technisches System handelt, sondern das Internet als Plattform für gesellschaftliche Kommunikation genutzt wird. Damit unterliegt die Nutzung also weitergehenden (sozialen) Regeln. Diese sind so vielfältig wie im Offline-Bereich auch, in mancher Hinsicht vielleicht sogar komplexer, weil die raumübergreifende Kommunikation kulturelle und politische, wirtschaftliche und soziale Kontexte miteinander verbindet. Davon sind soziale Umgangsformen und Alltagspraktiken betroffen, ebenso juristische Regelungen wie etwa landesspezifische Jugend- oder Verfassungsschutzregularien. Hinzu kommt eine weitere Dimension: das Wechselverhältnis von On- und Offline.
Demnach sind hinsichtlich des Regelaspektes der Strukturkomponente für das Internet Fragen der bidirektionalen Beeinflussung zu diskutieren. Im Detail kann dies an einer so frühen Stelle noch nicht geklärt werden. Offensichtlich ist jedoch, dass sich das Internet aus der Offline-Welt heraus entwickelt (und damit ausdifferenziert) hat. Dementsprechend wird es von dieser beeinflusst, bildet eigene kommunikative und inhaltsbezogene Qualitäten aus und hat zudem drastische Auswirkungen auf seine Umwelt. Dieser durchaus simple und dennoch bisher nicht konsequent ausgearbeitete Analyserahmen lässt sich am Beispiel des Urheberrechts illustrieren: Die aus dem Offline-Bereich bekannten Regularien wurden auch auf das Internet angewendet. Das konnte, unter anderem aufgrund der neuartigen und absoluten Immaterialität, nicht in vollem Umfang, jedoch zu wesentlichen Teilen geschehen. Allerdings entwickelte sich im Rahmen der Internetkommunikation Ende der 1990er Jahre ein neues Verständnis von geistigem Eigentum, das in der Open Source- und Creative Commons-Bewegung einen nachhaltigen Ausdruck findet. Die Grundlage besteht darin, digitale Güter als Allmende bereitzustellen und damit eine Alternative zur kapitalistischen Marktlogik im Internet anzubieten. Gleichzeitig bildete sich eine illegale Download-Kultur ungeahnten Ausmaßes heraus, die eine zweite effiziente Möglichkeit darstellt, das Urheberrecht außer Kraft zu setzen. Als Antwort darauf fand wiederum eine Reformierung des Urheberrechts statt und es entstanden neue Schutzverfahren für Musik, Software oder Filme.
Wie gezeigt, konzipiert Giddens Handeln als soziale Praktik, dem eine Raum-Zeit-Verortung zugeschrieben werden kann. Mit Bezug auf das Internet ist hier vor allem solches Handeln von Interesse, das von bestehenden Routinen abweicht oder bestehende Distanzen überwindet. Augenscheinlich ist das Internet das bisher leistungsfähigste Medium der echtzeitlichen Raumüberwindung. Dementsprechend zeichnet es sich für die Ermöglichung und in der Folge auch partielle Etablierung (geografisch) weitreichender Sozialbeziehungen verantwortlich. Der eng mit der Globalisierung zusammenhängende Prozess führt etwa dazu, dass Verhaltensweisen, die von im Internet dominant vertretenen Gesellschaften praktiziert werden, relativ schnell adaptiert werden. Es soll dabei keinem platten Kulturimperialismus das Wort geredet werden, aber es ist sicher auch kein Zufall, dass viele Erfolgsprojekte wie Wikipedia, YouTube, eBay oder Flickr nordamerikanischer Provenienz sind. Darüber hinaus ist die Nutzung der entsprechenden Angebote entscheidend. Und hier zeigt sich, dass Internetkommunikation, man denke etwa an das Bereitstellen wissenschaftlicher Artikel, zum einem in der Tat entbettend wirkt, indem beispielsweise auch am anderen Ende der Welt Forschungsstrategien angepasst werden müssen. Zum anderen bleiben Praktiken nicht auf bestimmte Kontexte begrenzt. Dies war zwar schon immer so, aber im Rahmen von Internetkommunikation geht ein solcher Ausweitungsprozess besonders schnell vonstatten, da das Medium in mehrfacher Hinsicht sehr leistungsfähig ist. So ist auch erklärbar, warum sich auf YouTube so viele Videos finden oder zu jedem Produkt inzwischen Bewertungen von Kundinnen und Kunden online stehen. Eine daraus abgeleitete These müsste lauten, dass soziale Praktiken in ihrer Bedeutung einen zunehmend schnelleren Wandel erfahren. Demgemäß ändern sich auch Strukturen.
Versucht man nun den Strukturationsansatz auf das Zusammenspiel von On- und Offline zu beziehen, lässt sich folgendes Gesamtbild zeichnen. Dem Internet muss eine doppelte Rolle zugesprochen werden: Es ist gleichermaßen eine sich verändernde sowie andere Strukturen verändernde Struktur. Mit dem Ziel größtmöglicher analytischer Schärfe ist das Internet deshalb aus einer Doppelperspektive zu betrachten. Zum einen muss es als mediales Strukturelement, das auf Basis individuellen Handelns Veränderung erfährt und gleichermaßen Handlungen beeinflusst, analysiert werden. Dabei darf das Internet nicht als geschlossener Kosmos angesehen werden, so es doch vielfältige Schnittstellen zwischen der On- und Offline-Sphäre gibt. Fokussiert man zunächst das Internet, muss gefragt werden, inwiefern Handlungen beider Bereiche die Regeln und Ressourcen des Web beeinflussen. Beschränkt man sich dabei auf die maßgeblichen Entwicklungen, wären beispielsweise der massive Ausbau der Infrastruktur oder die Änderungen im Telemediengesetz in der einen Sphäre und die Erstellung neuer Hyperlinks in der anderen zu beachten. Gleiches gilt natürlich für die begrenzende und ermöglichende Funktion der Struktur. Zum anderen fungiert das Internet als (Entbettungs-) Medium, das soziale Praktiken über Raum und Zeit hinweg mediatisieren kann. In dieser Funktion muss zwischen On- und Offline-Bereich unterschieden werden.
Ein Beispiel soll den Ansatz verdeutlichen: Seit dem Jahr 2000 finden immer wieder, aus politischem, wirtschaftlichen oder anderen Gründen sogenannte Flashmobs statt. Die kurzweiligen Zusammenkünfte von hunderten Menschen kommen inzwischen in unterschiedlichen Teilen der Welt zu Stande – vor allem aber in solchen Ländern, die sich durch eine starke Internetnutzung auszeichnen. Die Gründe liegen auf der Hand: Videos und Berichte der ersten Flashmobs wurden im Web bereitgestellt, woraufhin sich viele Nachahmer fanden. Es wurden also Strukturen der Offline-Sphäre über das Internet in andere Offline-Kontexte transportiert. Gleichzeitig bewirkt die Darstellung im Web aber eine Genese von Strukturen innerhalb des Mediums, indem beispielsweise die Plattform www.flash-mob.de entstand. Darüber hinaus stehen zwei weitere logische Konstellationen zur Verfügung, die ihren Ausgangspunkt in der Online-Sphäre haben. Eine Verbreitung internetgenuiner Strukturen auf Offline-Kontexte findet etwa statt, wenn Individuen sich in virtuellen sozialen Netzwerken kennenlernen und austauschen, um anschließend eine ganz »gewöhnliche« Verabredung zu haben. Die aufgrund verschiedener Exzesse in die Schlagzeilen geratenen Facebook-Partys sind ein weiteres Beispiel, das zudem darauf verweist, dass die Transformation zwischen beiden Sphären nicht unbedingt berechenbar und konfliktfrei verlaufen muss. Einschränkend muss konstatiert werden, dass die hier als Online-Strukturen bezeichneten verfestigten sozialen Praktiken sich zwar ausschließlich über das Medium Internet realisieren, jedoch die Trennung in zwei Sphären problematisch erscheinen lassen. So bleibt Internetkommunikation immer an die analoge Welt rückgebunden, indem Menschen vor Computern sitzen und Tasten drücken.
Es kann demnach kein reines »online« geben, sondern auf der Basis von qualitativen Entscheidungen müssen Handlungen als (überwiegend) online-zentriert eingeschätzt werden. In praktischer Hinsicht bildet die bewusste oder auch unbewusste Nutzung des Mediums ein handhabbares Kriterium, das auf die analytische Betrachtung übertragen werden kann, insofern man sich einer stofflichen Rückbindung jeder Internetkommunikation bewusst bleibt. Der vierte Fall ist ebenfalls eine Besonderheit, da er nicht logisch erscheint. Angenommen werden müsste, dass Strukturen online bestehen und vermittelt über das Internet eine bestimmte Wirkung in der Online-Sphäre realisieren. Mit anderen Worten: Das Internet mediatisiert sich in dieser Hinsicht selbst, was natürlich unsinnig erscheint. In einer anderen Lesart allerdings wäre es möglich, den vierten Fall in die obige Betrachtung des Internets als sich veränderndes strukturelles Element zu integrieren. Demgemäß ist die Veränderung des Web durch seine Nutzung ein wichtiger Aspekt des Wandels.
Tabelle 2: Vier Varianten der Entbettung von Strukturen durch Internetkommunikation mit Beispiel.
Die vier genannten Konstellationen resultieren aus der Kreuztabellierung von On- und Offline in einer Ausgangs- sowie Zieldimension. Hinzu kommt, wie beschrieben, die Betrachtung des Internets selbst als eine Struktur. Für die vorliegende Arbeit sind nun nicht alle vier Felder gleichermaßen bedeutsam. Der Transfer von Strukturen aus dem Offline-Bereich in das Internet ist von besonderem Interesse, da der Fokus auf dem Internet selbst liegt und deshalb angenommen werden kann, dass dieser Typus die Entwicklung des Web am stärksten beeinflusst. Da Strukturen aber nicht losgelöst von ihrer (Re-)Produktion durch individuelles Handeln analysiert werden können, müssen die sozialen Praktiken im engeren Sinne ebenfalls eine Rolle spielen. Für das Internet handelt es sich dabei ausschließlich um kommunikatives Handeln, woraus sich auch die Bezugnahme auf Luhmanns Medientheorie im oberen Teil ableitet. Thesenartig zusammengefasst stellt sich die Bezugnahme vereinzelter Teile Luhmanns und Giddens Theorie mit Blick auf das Internet wie folgt dar:
Daran wird ersichtlich, dass es nicht darum geht, die beiden Theorien umfassend einzubinden, sondern einzelne Versatzstücke gegenstandsadäquat zu bemühen. Das Ziel war, Instrumente zu finden, die für die nachfolgende Analyse des Internets und schließlich auch für den zu elaborierenden Mediatisierungsansatz eine Schärfung der Perspektive erreichen können.