3.2
Die Technik des Internets – drei bedeutsame Entwicklungen

Im Folgenden geht es darum, die technischen Grundlagen des Internets näher zu bestimmen. Gerade in Anbetracht des stark theoretisierenden Vorgehens darf ein Mindestmaß an informationstechnischen Kenntnissen über die Bestandteile und vor allem die Funktionsweise des Mediums nicht außer Acht gelassen werden. Anderenfalls setzt man sich unnötigerweise der Kritik eines gegenstandsfernen Soziologisierens realer Phänomene aus. Denn speziell die technischen Eigenschaften des Mediums haben Einfluss auf die soziale Bedeutung des Internets.

Die technische Basis des Internets setzt sich aus der Hardware und der Software zusammen. Zur Hardware gehören Server, Router, Datenkabel, Modems, Switches und eine Vielzahl an sogenannten Endgeräten der Internetnutzung. Diese umfassen natürlich PCs und Laptops, Smartphones und Tablets, aber auch Autos und Haushaltsgeräte, Spielkonsolen und Kameras oder Navigationsgeräte und Radios. Die internetbezogene Software besteht aus verschiedenen Protokollen und Anwendungen, etwa dem Internet Protocol und dem Hypertext Transfer Protocol, dem File Transfer Protocol und der Hypertext Markup Language, aus unzähligen Chat-Programmen und Browsern, zunehmend mehr Cloud computing-Services und aus Anwendungssoftware. Software und Hardware unterliegen nicht erst seit Beginn der Internetnutzung einem rasanten Wandel. Dementsprechend ist es unmöglich, eine vollständige oder auch nur systematische Auflistung zu erstellen. Gleichwohl ist die Technik des Internets, wie oben erläutert, ein wichtiger Baustein für ein soziologisches Verständnis dieser (nicht mehr ganz) neuartigen Art des Kommunizierens. Deshalb wird im Folgenden versucht, die wichtigsten Stränge der gegenwärtigen technischen Entwicklung zu umreißen. Es handelt sich dabei um die IP-fizierung mannigfaltiger Geräte, um eine tendenzielle Ubiquität sowie um hochgradige Mobilität.

Unter dem bisher nicht sehr weit verbreiteten Begriff der IP-fizierung (Bullinger/ten Hompel 2008: 64) ist ein erster Entwicklungsstrang zu verstehen, der die Integration einer wachsenden Zahl von technischen Geräten durch die Vergabe einer eindeutigen IP-Adresse ins Internet beschreibt. Bedeutsam an diesem Prozess ist die Ausweitung von Internetfunktionalitäten auf nicht originäre Internetkomponenten. Ähnlich wie die seit den 1980er Jahren forcierte Informatisierung gesellschaftlicher Teilbereiche durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien, stellt auch die IP-fizierung zunächst eine Expansion einer speziellen technischen Logik dar. Die Kombination aus hoher Funktionalität und verhältnismäßig geringen Kosten garantiert dabei eine schnelle Verbreitung. Im Falle des Internets besteht zudem ein anspruchsvolles Passungsverhältnis: Einerseits ist seit dem ausklingenden 19. Jahrhundert eine schier unaufhaltsame Durchdringung technischer Artefakte mit Elektrotechnik festzustellen und andererseits ist das Internet in seiner Struktur offen, integrativ und wandlungsfähig. Wie bereits angedeutet, können alle mit Mikroprozessoren oder auch nur Transistoren bestückten Geräte auch über das Internet angesteuert werden. Dazu gehören dann Uhren und Telefone, Fernseher und Kühlschränke, Produktionsmaschinen, Ticketautomaten und vieles mehr. Es gibt also Millionen von Technologien und Geräten, die in das Datennetz integrierbar sind. Dass dies auch geschieht, kann an der Diversifizierung der Endgeräte exemplarisch abgelesen werden. Die Entwicklung vom grauen Desktop-PC zur schicken Mittelklasselimousine steht fast sinnbildlich für Ausweitung der Internetfähigigkeit von technischen Geräten. Die IP-fizierung verschiedener Technologien wird dabei durch die Informatisierung, den wachsenden Bedarf an Vernetzung und durch die Überwindung räumlicher Distanzen mit Hilfe des Internets ermöglicht.

Den zweiten Entwicklungsstrang stellt eine Tendenz zur Ubiquität des Internets dar (vgl. für Computer Weiser bereits 1991: 78). Wiederum wesentlich durch neue drahtlose Übertragungstechnologien und die Veränderung der Endgeräte getragen, kommt es zu einem Trend der Allgegenwart von Computern (»Ubiquitous« oder »Pervasive« Computing) und damit auch im Besonderen des Internets. Anknüpfend an die Diagnose der IP-fizierung, verändert sich mit der Anzahl an Endgeräten auch deren Nutzungsbereich. Waren Internet-Komponenten lange Zeit entweder am Arbeitsplatz, in der heimischen »Computer-Ecke« oder in speziellen Internet-Cafés zu finden, sind sie inzwischen nicht mehr auf bestimmte gesellschaftliche oder räumliche Aspekte begrenzt. Im Gegenteil: Die Miniaturisierung der Technik ermöglicht die Nutzung des Internets nahezu überall: im Restaurant, in der Bibliothek, auf der Couch, in der Schule, auf dem Bahnhof, im Supermarkt und so weiter. Durch die Kombination der WLAN- und UMTS-Technologie ist die spannendere Frage inzwischen, an welchen Orten es keinen Internetzugang gibt. Abgesehen von wenigen abgelegenen Punkten im ländlichen Bereich ist das Internet in westlichen Ländern überall nutzbar.

Daran anschließend beschreibt der dritte Aspekt eine Steigerung der Raumunabhängigkeit des Internets im Offline-Bereich; eine Mobilisierung des Zugangs zum Netz. Speziell durch Geräte und Komponenten, die auf dem Mobilfunk aufbauende Zugänge nutzbar machen, wird immer häufiger »unterwegs« auf das Internet zugegriffen (vgl. ARD/ZDF-Onlinestudie 2011a: Online). Ermöglichen WLAN-fähige Endgeräte nur eine begrenzte Ausweitung, können UMTS-Geräte eine wesentlich größere Reichweite entfalten. Durch den Aufbau eines inzwischen größere Teile der Welt abdeckenden Funknetzes kann nahezu überall auf Daten zugegriffen werden. Es gibt also perspektivisch keine Orte mehr, an denen das Internet nicht verfügbar oder präsent wäre und es gibt auch keine Lebenssituationen mehr, die nicht durch das Internet unterstützt (oder gestört) werden können. Bisher ist noch kaum Kritik gegen eine solche Technisierung zu hören. Im Folgenden wird von einer Wertung abgesehen und stattdessen gezeigt, dass diese Entwicklungen für das Internet eine dreifache Veränderung bedeuten.

Erstens expandiert das Internet damit geographisch-quantitativ, zweitens kommt es zu einer Verdichtung des Netzes an sich und drittens ist eine Intensivierung im Sinne eines vertieften Eindringens in gesellschaftliche Bereiche festzustellen.4 Spricht man vom Internet, geschieht dies zumeist vor einem anglo-amerikanischen oder kontinental-europäischen Hintergrund. Während im asiatischen Kulturraum in den letzten Jahren ein enormer Zuwachs bei den Internetzugängen zu verzeichnen ist, sind die meisten afrikanischen und südamerikanischen Regionen digitale Nachzügler. Es bestehen also noch große Potentiale hinsichtlich der geographischen Ausbreitung. Um diese zu realisieren, bedarf es einer entsprechenden Nachfrage und eines komplementären Angebotes, das in erster Linie technisch sein muss. Grob kategorisiert, wird die Nutzung des Internets durch einerseits eine unternehmensseitige Bereitstellung der Infrastruktur (DSL, UMTS und Ähnliches) und anderseits durch die Verfügung über entsprechende Endgeräte durch User ermöglicht.

Zwar sind Computer und Laptops in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern noch immer nahezu unerschwinglich, das Mobiltelefon hat sich aber vom Luxusgut zur Grundausstattung gewandelt. In Kenia beispielsweise verfügt inzwischen der Großteil der Bevölkerung über ein Handy (vgl. International Telecommunication Union 2011: Online). Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht ist die mobile Kommunikation bei einem hohen Anteil an Kleinbauern eine große Hilfe: Durch das Plus an Informationen werden sie zu souveränen Marktteilnehmerinnen und -teilnehmern und müssen Erzeugnisse nicht mehr unter Wert verkaufen. Die erhöhte Anzahl an internetfähigen Endgeräten führt dazu, dass auch bisher weniger technisierte Gegenden der Welt erschlossen werden. Damit kommt es zwangsläufig zu einer Ausweitung des Wirkungsbereichs von Internet-Diensten. Aber auch innerhalb fortgeschrittener Gesellschaften wird durch die Vielzahl an internetfähigen Geräten der Stadt-Land-Unterschied in der Nutzung der neuen Technologie abgebaut. Einen wichtigen Mechanismus bildet hierbei die Eingliederung bisheriger Dienste und Technologien in das Internet. Ist es möglich, über das Netz kostenfrei zu telefonieren und Zeitungen auf dem Weg zur Arbeit online zu lesen, steigt die Attraktivität und damit die Nutzung der Dienste.

Durch die ständige Vervielfachung der Endgeräte werden nicht nur (überdies der Entwicklung des Kapitalismus sehr ähnlich) weiße Flecken auf der Landkarte gesucht und gefunden, sondern das Netzwerk verdichtet sich fortwährend. Zum einen sind innerhalb geographischer Einheiten immer mehr Menschen online, zum anderen entfallen auf diese auch immer mehr Geräte. Gerade durch die zunehmende IP-fizierung wird das Netz immer feinmaschiger, die Anzahl der Knoten höher, der (räumliche) Abstand zwischen Usern immer kleiner und die Handlungsoptionen werden vielfältiger. Im Rahmen des Cloud Computing zeigt sich bereits, dass entsprechende Vernetzungspotenziale nachgefragt werden. Geht es etwa darum, in einem Restaurant in Erfahrung zu bringen, ob für die abendliche Kinovorstellung noch Karten verfügbar sind, kann es sich als hilfreich erweisen, dass möglichst viele Systeme miteinander vernetzt sind. Ebenso ist die Netzdichte von Vorteil, wenn Wegdaten von Fahrzeugen kumuliert und dadurch Stauprognosen erstellt werden. Für das Netz bedeutet eine Zunahme der Dichte zwar immer einen erhöhten Ressourcenbedarf, gleichzeitig jedoch auch eine höhere Effizienz.

In infrastrukturschwachen Regionen können dementsprechend mittels sogenannter Mesh-Netzwerke (vgl. Khan/Loo/Mauri 2011) Internetzugänge unabhängiger von Providern gestaltet werden. Endgeräte haben in der Regel einen Radius von wenigen Metern, innerhalb dessen sie Daten empfangen und versenden können. Ist die Dichte jedoch hoch genug, reichen diese geringen Distanzen, um entfernte User an das Internet anbinden zu können. Praktisch sieht so ein Mesh-Netzwerk wie folgt aus: Ein einzelnes Gerät, beispielsweise der Laptop im Büro der Verwaltung, ist an das Internet angeschlossen und besitzt eine Funktechnologie (in der Regel WLAN). Mit dieser werden die Daten weitergesendet. Im Nachbarhaus befindet sich auch ein WLAN-Gerät, das zwar nicht an das Netz angeschlossen ist, aber über entsprechende Software verfügt, von dem Laptop Daten zu empfangen. Alle mit der Software ausgestatteten Geräte können nun von dem singulären Anschluss profitieren, insofern sie sich in Reichweite eines mit dem Internet verbundenen Gerätes befinden. Das Prinzip entspricht also dem einer Löschkette vom Brunnen zum Brand, wobei nicht zwangsläufig eine lineare Struktur eingehalten werden muss. Jenseits dieser Einzelbeispiele bleibt also festzuhalten, dass eine zunehmende Dichte an Netzwerkkomponenten vor allem die Attraktivität des Internets für die User steigert.

Eine weitere Entwicklungstendenz stellt die zunehmende Durchdringung aller Lebensbereiche mit internetfähigen Geräten dar. An der Diversifizierung der Endgeräte kann dabei abgelesen werden, dass die Funktionalität des Internets keine natürlichen Refugien kennt, sondern gleich der Mikroelektronik auch in höchst private Lebenszusammenhänge vordringt. Internetbasierte Technologien verschieben dabei soziale Grenzen. Hier sollen zunächst keine Fragen des Datenschutzes und der Sicherheit von Daten diskutiert werden, der Anwendungsbereich der Endgeräte hat sich jedoch von der Sphäre der Öffentlichkeit und Wirtschaft deutlich in das Private verschoben. Damit steht auch für das Internet eine ganz neue Qualität von Daten zur Verfügung, deren Nutzung bisher kaum absehbar ist. In der Gegenperspektive wird jede und jeder in zunehmenden Maße abhängig vom Funktionieren der Online-Dienste. Sind demnach Autos, Handys und Haushaltsgeräte mit dem Web verbunden, befinden sich Firmendaten, Adressbücher oder Kalendereinträge nur noch auf Servern, wird Internetkommunikation auch »außerhalb« des Web überaus bedeutsam.