3.5
Die medialen Eigenschaften des Internets

Im Folgenden geht es darum, die Vielzahl an Einzelbefunden zu Eigenschaften des Internets zu systematisieren. Das Ziel ist es, von gegenwärtigen Nutzungstrends unabhängige Merkmale des Internets zu destillieren. Diese Charakteristika werden zudem neutral gegenüber den einzelnen Dimensionen des Web (Technik, Gestaltung, Nutzung et cetera) formuliert. Wie bereits in den vorangegangenen Betrachtungen deutlich geworden ist, handelt es sich dabei um qualitative Kriterien, die zudem teilweise von prospektivem Charakter sind. In den nächsten Abschnitten werden hierzu die bisher gelieferten Argumente hinsichtlich gemeinsamer Zielstellungen verknüpft und zusammengefasst. Die dabei zu entwickelnden medialen Eigenschaften sind für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung, da sie in Ergänzung des zu entfaltenden Mediatisierungsansatzes gerade die Differenz zwischen Off- und Online zu erklären vermögen.

Im Folgenden wird nicht mehr zwischen Attributen unterschieden, die aus der Technik des Internets oder aus der Nutzung der einzelnen Medien resultieren, sondern die primär analytische Trennung zugunsten einer integrativen Betrachtung aufgelöst. Auf die quantitative Evidenz wird im Zuge der hiesigen Betrachtung keine Rücksicht genommen. Es ist also gleich, ob Interaktivität für mehrere Dienste und die Segmentierung des Web nur für symbolisch generalisierte Medien festgestellt wurde. Aus diesem Grund werden die Eigenschaften auch unabhängig von ihrer Herleitung, der Kontrastierung zu den Offline-Medien, formuliert.

Gleichwohl besteht das Ziel darin, das Spezifische des Internets nachzuzeichnen, weshalb grundlegende, in diesem Sinne mit den Offline-Medien geteilte Eigenschaften, nicht expliziert werden. Die Verdichtung der genannten Einzelmerkmale zu Eigenschaften ist dann auch unabhängig von Fragen der Kausalität. Es spielt demnach keine Rolle, ob die 30 Millionen Server die Entbettung von Internetkommunikation aus dem geographischen Raum ermöglichen oder ob sie eine notwendige Konsequenz dieser sind. Einem solchen Modus der Begriffsbildung liegt eine wechselseitige Beziehung zwischen Ursache und Wirkung zugrunde. Davon sind allerdings Folgen externer Qualität zu unterscheiden, die also nicht das Medium selbst betreffen.

Im Folgenden werden die Eigenschaften einzeln vorgestellt und in ihren wesentlichen Implikationen erläutert. Sie sind dabei so zu formulieren, dass sie sich möglichst deutlich voneinander unterscheiden. Darüber hinaus wird sich aber zeigen, dass zwischen den einzelnen Charakteristika gleichzeitig vielfache Verbindungen bestehen. Einige stehen sich sehr nahe, andere bedingen sich und wieder andere sind komplementär strukturiert. Diese Konstellationen gilt es im Anschluss anhand von zwei Dimensionen zu spezifizieren. Doch zunächst sollen die Merkmale an sich vorgestellt werden. Die bisherigen Einzelbefunde lassen sich in acht Komplexe integrieren und auf folgende Begriffe verdichten: Netzwerkhaftigkeit, Digitalität, Modularität, Automatisierung, Plattformfunktionalität, Bedeutungsverlust von Raum und Zeit, Offenheit sowie User-Partizipation.

3.5.1
Netzwerkhaftigkeit

Der Netzwerkcharakter des Internets referenziert nicht nur auf den Namen des großtechnischen Systems. Er liegt vielmehr in der Architektur, namentlich der Netz- und Gitterstruktur begründet. Demnach ist es Kommunikaten in Form von Datenpaketen möglich, über verschiedene Wege an das jeweilige Ziel zu gelangen. Mit diesem dezentralen Prinzip geht eine weitreichende Immunität gegenüber Störungen in der Oberfläche einher. Die Grundfunktionalitäten des Systems bleiben gewahrt, da innerhalb des Netzes jederzeit Alternativen bestehen. Für die Nutzung bedeutet die Netzwerkhaftigkeit, dass prinzipiell alle Partizipienten hierarchiefrei miteinander verbunden sind. Zudem können sich Individuen nicht nur erreichen, sondern sie können auch an offenen Projekten teilnehmen. Innerhalb des Netzes ist prinzipiell alles für jede und jeden erreichbar. Charakteristisch ist dabei, dass sich Informationen immer nur den sprichwörtlichen »Klick« entfernt befinden und es dementsprechend kein Ende oder Zentrum des Netzwerks gibt. Idealtypisch für die Vernetzung sind die Hyperlinks des WWW. Sie ermöglichen es, auf sehr einfache Weise beliebige Inhalte zu referenzieren und damit einzubinden.

Augenscheinlich bestehen zwischen einigen Angeboten stärkere Verknüpfungen als zwischen anderen und manche Dienste sind in ein dichteres Netzwerk eingebunden als andere. Gemein ist allen Komponenten, dass sie sowohl auf Hard- als auch auf Software-Ebene mindestens eine Verknüpfung aufweisen. Im Umkehrschluss reicht die Verbindung zu einer Online-Entität, um selbst Teil des Internets zu werden. Alle darüber hinausgehenden Verdichtungen oder auch Entflechtungen des Netzes hängen vorrangig von Nutzungspraxen ab. Solche Prozesse laufen (rein technisch) zu Teilen automatisiert ab und sind in ihrer Gesamtheit kognitiv nicht mehr nachvollziehbar oder umfassend darstellbar. Vielmehr kann die Komplexität nur in kleinen Ausschnitten oder anhand einzelner Kenngrößen beobachtet werden. Die netzwerkbedingte Komplexität in infrastruktureller Hinsicht, vor allem aber auch auf Ebene der Dienste hängt zentral mit der Digitalität des Gegenstands zusammen. Nur hierdurch ist ein so hohes Maß an Vernetzung möglich.

3.5.2
Digitalität

Kommunikation in Form binärer Codes ist für das Internet selbstverständlich und alternativlos. Nichtsdestotrotz ist dieses Attribut von hoher Aussagekraft. Es definiert den Gegenstandsbereich des Web, indem es Aktionen auf Basis materiellen Austauschs ausschließt. Aus der Digitalität folgt eine konsequente Entmaterialisierung und Entdinglichung (Faßler 1993: 113f.). Möglich sind nur solche Kommunikationsformen, die sich digitalisieren lassen. Dies umfasst alle Variationen symbolischer Kommunikationen und allgemeiner: visuell und akustisch, nicht aber olfaktorische, gustatorisch oder haptisch wahrnehmbare Reize. Während für erstere kontinuierlich neue Anwendungen gefunden werden, sind materiell gebundene Gegenstände nur mittelbar über das Internet transportierbar. In Form verschiedener Dateien können von Spezialmaschinen erhobene Informationen von geeigneten Ausgabegeräten repliziert werden. Dabei übernimmt das Internet eine reine Transport- oder Speicherfunktion, ist jedoch nicht in der Lage, die Informationen darzustellen. Gegenwärtig breiten sich entsprechende Technologien zwar aus, aber im Unterschied zu visueller und akustischer Kommunikation, die seit den Kindertagen mit dem Internet verknüpft sind, besteht momentan weder eine ausreichend große Nachfrage noch das Angebot für die entsprechende Hardware.

In dieser Hinsicht bleibt die Internetkommunikation immer reduktionistisch. Die Kanalbegrenzung führt zu »Kommunikation pur«, indem die Tiefe und damit die qualitativen Aspekte des Austauschs abgeschnitten werden. Die Beschränkung der Ausdrucksbandbreite führt unweigerlich zu einer Vereinfachung. Insofern bilden Computertechnologien nicht primär die Wirklichkeit ab, sondern sie erzeugen eigene Wirklichkeiten, die »streng geordnet« sind (vgl. Winter/Eckert 1990: 113f.). Die mit der Digitalität zusammenhängende Zentrierung auf immaterielle Gegenstände geht außerdem mit einer gewandelten Input-Output-Relation einher. In qualitativer Hinsicht meint dies eine grundsätzliche Transformierbarkeit unterschiedlicher Erscheinungsformen von symbolischen Zeichen (bis hin zu diversen digitalen Manifestationen der Bits und Bytes). Bezogen auf die Quantität hingegen bringt der digitale Code ein gänzlich neues Verständnis mit sich. Aufgrund der unbeschränkten Replizierbarkeit digitaler Informationen wird Singularität zu einer antiquierten Kategorie. Jeder Inhalt des Internets ist nahezu ohne Aufwand vervielfältigbar. Damit können Kommunikate umstandslos an eine größere Gruppe von Usern adressiert oder Informationen kopiert werden. Kopie und Original unterscheiden sich in ihrer Qualität nicht voneinander.

Die fehlende Abnutzung bei Gebrauch stellt eine weitere Besonderheit dar: Digitale Codes, Programme oder Dienste verschleißen durch ihre Verwendung nicht. Der Nutzung ist kein natürliches Ende gesetzt, allein die Datenträger sind in ihrer Lebensdauer begrenzt. Server, Datenleitungen, Router und schließlich auch Internetendgeräte sind als Infrastruktur des Internets in ihrer Materialität schadensanfällig, aber ebenso hochgradig austauschbar. Die sukzessive Evolution der Hardware verweist bereits darauf, dass digitaler Code und damit auch alle Inhalte des Internets kein festes Zuhause haben. Die Daten sind bis auf Minimalstandards unabhängig von einem bestimmten Träger, was eine hohe zeitliche Kontinuität von Inhalten des Web garantiert. Zudem ermöglicht die Digitalität eine hochgradig effiziente Verarbeitung. Moderne Rechner und Server können mehrere Millionen Operationen pro Sekunde ausführen. In Kombination mit den 0-1-codierten Daten sind hohe Aktualisierungsraten, eine schnelle Veränderbarkeit und eine effektive Durchsuchbarkeit gewährleistet. Diese Art von Leistungsfähigkeit ist auch durch die Dekonstruierbarkeit digitaler Kommunikation in kleine Teile begünstigt.

3.5.3
Modularität

Das Netz ist auf mehreren Ebenen durch Modularität im Sinne einer Verknüpfung einzelner Elemente gekennzeichnet. Auf der Ebene der Infrastruktur bedeutet dies eine grundlegende Offenheit für neue Komponenten und vor allem auch für Netze, wodurch das Netz der Netze erst entstehen konnte und es bis heute weiter wächst. Innerhalb des Gesamtnetzes sind Komponenten sowie die einzelnen Waben, abgesehen vom Start- und Endnetz, zudem austauschbar. Daten können bei Bedarf abweichende Routen zu ihrem Ziel nehmen. Die Internetkommunikation wird in den seltensten Fällen über eine Standleitung zwischen zwei Kommunizierenden ermöglicht. Vielmehr ist der Austausch paketvermittelt organisiert, was so weit geht, dass Informationen in sehr kleine Einheiten zerlegt werden. Solche Datenpakete sind zwar verschiedenen Inhaltes, aber immer gleicher Struktur. Die entsprechenden Protokolle schränken die Größe der Datei nicht ein, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sehr viele Pakete addiert werden können. Damit ist die Gesamtgröße von zu transportierenden oder zu speichernden Informationen grundsätzlich unbeschränkt. Durch die Paketversendung wird zudem die vorhandene Infrastruktur möglichst effizient genutzt, da weder überlastete noch unfreiwillig unterforderte Datenkapazitäten entstehen. Die modulare Architektur gewährleistet folglich den schnellstmöglichen Transport.

Auf der Anwendungsebene zeigt sich, dass zum einen Dienste baukastenartig ergänzt werden können und zum anderen Kommunikation an sich fragmentiert wird. So kann die Vielzahl an nutzbaren Kommunikationswegen auf Basis des Internets nahezu beliebig miteinander kombiniert werden. Es gibt keine Formate, die sich aufgrund technischer Restriktionen ausschließen. Gerade die Möglichkeiten des modularen Aufbaus von Web-Angeboten, also das Einbetten von Videos, das Einbinden von Bildergalerien oder die Nutzung von Hyperlinks begünstigt eine Tendenz zur Hybridisierung des Gesamtprojekts. Für Anwenderinnen und Anwender ist konkrete Kommunikation modular, da sie nicht an einem Strang verlaufen muss, sondern an beliebigen Stellen unterbrochen und wieder aufgenommen werden kann. Die automatische Dokumentation von Inhalten begünstigt speziell für den schriftsprachlichen Bereich eine Fragmentierung entlang zeitlicher Restriktionen. Damit werden bisher entweder kognitiv oder praktisch nicht leistbare gleichzeitige Kommunikationen mit verschiedenen Personen realisierbar. Auch die Medienangebote selbst sind kleinteilig strukturiert. Es sind viele gleichartige, aber auch verschiedenartige Dienste festzustellen, die hierarchiefrei koexistieren. User müssen immer eine Wahl treffen, es gibt nahezu keine Möglichkeit zu einer linearen Konsumtion, was Folgen für einzelne Angebote hat. Im Speziellen resultiert daraus eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne und damit ein tendenziell wechselhaftes Wesen der Konsumtion. Die Verantwortlichen der Dienste reagieren darauf mit schneller und einfacher zu rezipierenden Inhalten, die dann nicht selten einen noch kleinteiligeren Charakter aufweisen.

Komplementärfunktional zur Netzwerkhaftigkeit des Web ist eine Segmentierung in Form von Communitys festzustellen. Verschiedene Funktionen lassen sich durch Teilöffentlichkeiten und gerade ohne Anonymitätswahrung umsetzen. Entgegen der prinzipiellen Erreichbarkeit von allen und allem werden zugangsbeschränkte Gemeinschaften gebildet, die in das Netzwerk eingebunden sind, aber auf der Anwendungsebene ein geschlossenes Modul im Sinne einer teilautonomen Einheit bilden. Der Aspekt der Schließung wird im Folgenden im Zuge der Diskussion zur Offenheit der Internetkommunikation noch einmal aufgegriffen.

3.5.4
Automatisierung

Trotz des verhältnismäßig simplen, modularen Aufbaus stellt das Internet in Gänze ein komplexes System dar. Es ist mit gegenwärtigen Methoden und Techniken schwer abzubilden. Die Komplexität resultiert neben der Größe mitsamt der vielfältigen Vernetzungen aus Prozessen der softwareseitigen Automatisierung von Kommunikationen. Spezielle Meta-Programme ermöglichen es, kontinuierlich und ohne aufwendiges menschliches Zutun Inhalte zu erfassen, zu kategorisieren, zu vergleichen oder zu vernetzen. Aufgrund der hohen Leistungsfähigkeit von Mikroprozessoren finden diese Operationen auch im Offline-Bereich statt, stellen also insofern nichts Außergewöhnliches dar. Interessant wird die Fähigkeit zur Automatisierung aber dann, wenn entsprechende Programme auf die riesige Datenmenge des Internets treffen. Im Resultat können in der Kombination aus Soft- und Hardware individuelle Kommunikationsangebote gemacht werden, die aber weniger auf eine wie auch immer geartete Intelligenz der Technologie schließen lassen, sondern schlicht das Ergebnis der Automatisierung von Kumulierung und Neuverknüpfung einzelner Nutzungsdaten sind.

Auf der anderen Seite macht Automatisierung gerade die Reduktion von Komplexität möglich, indem Suchmaschinen (als augenscheinlichste Variante) einen zumeist sehr komfortablen Weg durch das Informationsdickicht schlagen.25 Prinzipiell kann auf Basis leistungsfähiger Software jeder digitale Austausch durch mehr oder minder simple Regeln von menschlichen Initiativen entbunden werden. Der alltägliche Einsatz von Maschinen ist immer an den Stellen sozial bedeutsam, wo es innovative Elemente für einen relevanten Teil der Bevölkerung bereithält. In dieser Hinsicht ist das Internet aufgrund der bisher genannten Merkmale äußerst potent. Dass Automatisierungsprozesse zugleich Komplexität im Sinne technisch-kommunikativer Leisungsfähigkeit produzieren und dass sie in der Lage sind, Komplexität im Sinne von Vereinfachung der Nutzung zu reduzieren, hat weitreichende Folgen. Auf der Ebene von Organisationen sind gerade die Komplexitätproduzierer aufgrund ihres Know-Hows und ihrer Ressourcen zum Gegenteil, der Reduktion von Vielfalt, in der Lage, was Prozesse der Machtkonzentration in verschiedenen Dimensionen begünstigen kann.

Für User haben diese Entwicklungen zudem ambivalente Folgen. Die mit der Automatisierung in Zusammenhang stehende Komplexität wirkt unweigerlich als Einstiegsbarriere. Es bedarf eines nicht unwesentlichen Wissens, um an dem digitalen Medium teilhaben zu können. Wenngleich die vorrangig generationale Ungleichheitsdimension in Anbetracht der Digital Natives auf einen historisch kurzen Zeitraum beschränkt bleiben wird, ist sie heutzutage sehr einflussreich. Nur wer ausreichend Medienkompetenz einbringen kann, wird die häufig zeitsparenden oder anderweitig vorteilhaften Automatisierungen auch nutzen können. Der bisher stabil hohe Innovationsgrad in Bezug auf neue Anwendungen führt zudem zu einer schnellen Entwertung spezifischen Wissens, wodurch sich User permanent auf einer schrägen Ebene befinden. Wer stehen bleibt, rutscht langsam ab und wer kontinuierlich vorwärts geht, behält seine Position. Um rennen zu können, muss man hingegen sportlich veranlagt sein oder täglich trainieren.

Die Automatisierung begünstigt darüber hinaus ein völlig neues Leistungsniveau der Informationsverarbeitung. Menschen sind als symbolische Zeichen interpretierende Wesen die Grenzen ihrer kognitiven Fähigkeiten auferlegt. Hat die mechanische Kraft der Industrialisierung noch die physischen Beschränkungen der Menschen überwunden, haben die elektronischen Medien der Nachkriegszeit die Reichweite ihre Sinne verbessert, so stellt das Internet zu Teilen eine Outsourcing-Möglichkeit für Gehirnleistungen dar. Man muss inzwischen vieles nicht mehr wissen oder können, sondern man muss wissen, wo es steht (vgl. Sparrow/Liu/Wegner 2011). Die gegenwärtige Arbeit am Semantic Web zeigt, dass zukünftig Kommunikationsinhalte durch Software nicht nur auslesbar, sondern in Ansätzen interpretierbar und damit »sinnvoll« verknüpfbar sein werden. Dabei werden nicht nur schriftsprachliche Medien, sondern auch bildliche einbezogen.

Die Automatisierung setzt zudem ein bestimmtes Maß an Standardisierung voraus. Gleich anderen großen technischen Systemen kann eine umfassende Kooperation nur auf Basis partieller Homogenisierung der Grundlagen realisiert werden. Die Vielfalt an der Oberfläche ist nur möglich durch ein Minimum an einheitlicher Technik. Vor diesem Hintergrund ist die enorme Leistungsfähigkeit des Internets überhaupt erst plausibel. Die automatische Versendung und Durchleitung der einzelnen Datenpakete, die bei einem funktionierenden System keine Steuerung, sondern nur Wartung erfordert, kann nur aufgrund des gemeinsam genutzten Internet Protocols und daran anknüpfenden Regelungen erfolgen. Die Automatisierung hat bis heute ein Maß erreicht, das auch dynamische Veränderungen ermöglicht und damit (auch im Vergleich zu analogen Medien) hochgradig komplex ist.

3.5.5
Plattformfunktionalität

Das Internet fungiert als Plattform für unterschiedliche Dienste, Anwendungen und Medien. Die Digitalisierbarkeit der Informationen vorausgesetzt, können speziell klassische Verbreitungsmedien die technische Infrastruktur des Web nutzen (vgl. Henten/Tadayoni 2008: 45). Im Grunde gibt es dabei zwei Möglichkeiten: Sie nutzen das großtechnische System erster Ordnung im Sinne der reinen Infrastruktur oder sie integrieren sich in bestehende Systeme zweiter Ordnung, wie etwa diverse Printmedien in das WWW. Wichtig ist, dass das Internet insgesamt eine Plattform zur Integration verschiedener Dienste bietet. Einige stellen dazu auf digitale Kommunikation um, andere arbeiten schon länger jenseits analoger Signale. Darüber hinaus lassen sich Dienste nach ihrem Ursprung unterscheiden: Das Webradio entspringt in seiner Funktion und Struktur recht eindeutig dem klassischen Rundfunk, wohingegen das WWW internetoriginär ist. Für eine systematische Betrachtung aus dieser Perspektive müssten Kriterien angegeben werden, die über funktionale Äquivalenz oder den Innovativitätsgrad hinausgehen müssten. Die Erkenntnis allerdings wäre nicht unerheblich, insofern sich ein System von Abhängigkeiten oder auch Konkurrenzen erarbeiten ließe.

In Anschluss daran und mit Bezug auf den Aspekt der Digitalisierung kann gefragt werden, ob das Internet hinsichtlich »externer« Dienste anpassungsfähig ist oder sich gewissermaßen autonom und selbstbezüglich entwickelt. Das dominante Muster besteht in der Anpassung seitens bisher offline realisierter Dienste an das Netz. Der Grund hierfür liegt in den höheren Freiheitsgraden beziehungsweise in der umfassenderen Struktur. Gleichwohl wird die Plattformfunktion gerade durch Anpassungen seitens der Protokolle ermöglicht. Auf einen Nenner gebracht meint dies, die Grundstruktur und -funktionalität des Internets bleibt unverändert, während im Zuge unausweichlicher Weiterentwicklungen wichtige Dienste durch integrative Schnittstellen berücksichtigt werden. Die Evolution des Web realisiert sich insgesamt wenig zentral oder zielgerichtet, sondern mit einem einheitlichen Fokus auf Leistungsfähigkeit.

Dementsprechend offen gibt sich das Internet für neue Dienste. Es war mit seinem Entstehen und ebenso in der Phase der exponentiellen Ausbreitung keineswegs auf bestimmte Anwendungen oder Funktionen beschränkt. Vielmehr bietet der Plattformcharakter über die Zeit hinweg Spielraum für unterschiedliche Anwendungen. Einige von ihnen haben sich etabliert, andere hingegen sind in Nischen verschwunden. Perspektivisch werden interneteigene Dienste an Bedeutung gewinnen, insofern klassische Verbreitungsmedien ihre Mediatisierung bereits vollzogen haben. Zweifellos stellen bisher vorrangig analoge Medien in sich sehr heterogene und dynamische Gebilde dar, die demnach weder vollständig noch gleichzeitig Internetleistungen in Anspruch nehmen werden, aber in Relation zu reinen Internetdiensten ist hier tendenziell eine Sättigung zu erwarten. Überdies schafft die Nutzung einer gemeinsamen Plattform ganz neue Möglichkeiten. Die Grundlegung verbindlicher Standards und Strukturen schafft Gemeinsamkeiten, die den Austausch zwischen Systemen zweiter Ordnung möglich machen. Crossmedia-Projekte und sogenannte Mashups werden durch geteilte Schnittstellen und einheitliche Kanäle enorm befördert. Um die technisch möglichen medienübergreifenden Angebote verbreiten zu können, müssen Akteure entsprechend multimedial denken und handeln, was vielerorts einschneidende Wandlungsprozesse auslösen wird, indem Professionsgrenzen an Bedeutung verlieren. In einer anderen Hinsicht sind Entgrenzungsphänomene offensichtlicher; etwa Raum und Zeit betreffend.

3.5.6
Bedeutungsverlust von Raum und Zeit

Die Entkopplung von Raum und Zeit sowie die Entbettung sozialer Institutionen aus diesen Zusammenhängen stellen eine zentrale Dynamik der Modernisierung von Gesellschaften dar (vgl. Giddens 1996: 28ff.). Sie ist dabei an technische Artefakte (oft Medien) gebunden, die menschliche Beschränkungen überwinden und in vielerlei Hinsicht Maßverhältnisse in Raum und Zeit verändern (vgl. Köster 2009: 23ff.). Eine dahingehend besonders leistungsfähige Technologie stellt das Internet dar. In Bezug auf die Raum-Variable wirkt es mehrfach expansiv und entgrenzend. Am augenscheinlichsten ist wohl die Überwindung geographischer Entfernungen. Das Internet stellt damit einen Motor der Globalisierung dar und hat in diesem Sinne auch ganz reale Auswirkungen, geht es etwa um die Integration von Peripherien (vgl. Frey 2001: 92f.). Die Untersuchung von Halavais (vgl. 2000) zeigt allerdings, dass die Potenziale zur Grenzüberwindung nur partiell genutzt werden, da soziale Grenzen zunächst bestehen bleiben und sich vorrangig geographisch nahe Webangebote verlinken und vernetzen. Auf Basis einer inzwischen sehr ausdifferenzierten und über alle Kontinente verbreiteten technischen Infrastruktur ist allerdings Austausch über die ganze Welt möglich. Speziell aufgrund politischer und wirtschaftlicher Restriktionen ist der tatsächliche Zugang zum Web in den einzelnen Teilen der Welt noch immer ungleich, rein technisch gesehen ist aber jedes Land online (vgl. Stegbauer 2008: 6f.). Die Wirkungsmächtigkeit einer Technologie globalen Ausmaßes resultiert zudem wesentlich aus der Möglichkeit zur echtzeitlichen Kommunikation. In räumlicher Hinsicht ist neben der Expansion in die Breite auch ein Vordringen in die Tiefe festzustellen.

Zum einen wird das Netz dabei immer dichter, zum anderen dringt es in immer mehr gesellschaftliche Zusammenhänge vor. Beide Prozesse begünstigen sich gegenseitig, sind aber in ihrer Entwicklung unabhängig voneinander. Ersteres zielt auf eine zunehmende Anzahl von Knoten- und Endpunkten ab. Damit werden bei einer gleichbleibenden Gesamtfläche die Abstände zwischen den einzelnen Komponenten geringer, was sich unter anderem in einer höheren Zahl an verfügbaren Zugangsmöglichkeiten zeigt. Daneben wächst die Leistungsfähigkeit sowie die Ausfallsicherheit. Der zweite Aspekt beschreibt eine wachsende Bedeutung des Internets in zunehmend mehr gesellschaftlichen Sphären und Lebensbereichen. Bedeutsam ist dieser Prozess vor allem in lebensweltlichen, also primär privaten Zusammenhängen. Für das Netz hingegen bedeutet das Vordringen in immer mehr Bereiche der Gesellschaft eine faktische Ausweitung des Einflusses. Dabei verlieren auch Unterscheidungen entlang klassischer sozialstruktureller Faktoren an Bedeutung. Im Ergebnis resultiert aus diesen Faktoren eine Tendenz zur Ubiquität des Internets.

Darüber hinaus ist in räumlicher Hinsicht noch hervorzuheben, dass durch die zunehmende Virtualisierung von Hardwarekomponenten komplexe Funktionen genutzt werden können, ohne dass viel mehr als ein schneller Anschluss und ein durchschnittliches Endgerät benötigt wird. Damit werden bisher an bestimmte Orte gebundene Funktionen universell, insofern die größten Datensammlungen durch Deskop Remote verfügbar und aufwendige Operationen über Cloud Computing auslagerbar werden. Hier findet ein Übergang statt, der dem vom Festnetztelefon zum Handy gleicht, nur dass die SIM-Karte nicht mehr an ein bestimmtes Gerät gebunden und überdies auf Login-Daten zusammen geschrumpft ist. Stichweh (2000) findet für solche Konstellationen den treffenden Ausdruck der »Ortsunabhängigkeit von Adressen«. Internetkommunikation zeichnet sich darüber hinaus durch einen multiplen Raumbezug aus (vgl. Schroer 2003: 217ff.), der mindestens drei Komponenten umfasst. Die Interagierenden befinden sich jeweils in einem spezifischen räumlichen Zusammenhang und das Internet stellt als Quasi-Raum einen gemeinsamen Bezugspunkt her, indem auf hier vorfindliche Kommunikationen Bezug genommen werden kann. Alle drei Faktoren beeinflussen die Kommunikation, wobei diese wiederum ihre Umwelt prägt. Das Netz ist zugleich ein Speicher- und Transportmedium, was die Frage der Zeitlichkeit aufwirft.

Ein grundlegendes Charakteristikum der Temporalität besteht in der Integration von synchroner und asynchroner Kommunikation, die sowohl für den schriftlichen als auch für den mündlichen Austausch besteht. Ob echtzeitlich oder ungleichzeitig kommuniziert wird, obliegt in vielen Fällen der Wahl der Partizipienten. Diese Alternativen sind Ergebnis einerseits der Geschwindigkeit digitaler Signale und anderseits der notwendigen (Zwischen-) Speicherung des Codes. Letzteres führt dazu, dass echtzeitliche Kommunikation auch über den Moment hinaus verfügbar ist. Prinzipiell ist jedes Bit, das einen Rechner verlässt oder Router passiert, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt nachvollziehbar und sein Kontext rekonstruierbar. Unter anderem aus Gründen des Datenschutzes und einer effizienten Ressourcennutzung wird dies nicht bei allen Diensten tatsächlich praktiziert. Darüber hinaus forciert die Speicherung und Überschreibung der Daten eine Öffnung zur Vergangenheit. Bis zu einem gewissen Grad können nach dem gängigen Verständnis gelöschte Daten wiederhergestellt oder Veränderungen rückgängig gemacht werden. Im Bereich digitaler Medien besteht in vielen Fällen eine praktikable Möglichkeit, Geschehenes ungeschehen zu machen. Zudem hat das Internet in zeitlicher Dimension noch subtilere Auswirkungen auf das gesellschaftliche Handeln. Es begünstigt Synchronisationstendenzen.

Damit ist gemeint, dass aufgrund der raumüberwindenden und echtzeitlichen Kommunikation Informationen gleich welcher Art in verschiedenen Kontexten simultan bereitgehalten werden können. Das Medium verbindet damit Zentralität und Dezentralität in Form von Zeit und Raum, wodurch die Wirkung bisheriger Medien dramatisch gesteigert wird. Synchronisation ist dann eine soziale Folge von Informationsgleichheit, insofern identische Ziele vorliegen. Ferner ist das Medium durch eine spezifische Taktung geprägt. Es weist, begünstigt durch die dezentrale Architektur, eine bisher nicht erreichte Aktualisierungsrate auf, da Informationen zeitgleich produziert und veröffentlicht werden können und die Anzahl der Senderinnen und Sender nicht begrenzt ist. Die Aktualisierung umfasst dabei nicht nur das Einfügen neuer Informationen, sondern auch das Ändern bestehender. Am anderen Ende des Taktungsspektrums steht die Eigenschaft, auf ältere Informationen Bezug nehmen zu können. Ein hohes Maß an Additivität, gerade über längere Zeiträume hinweg, lässt sich durch Meta-Informationen erreichen, die in digitalen Codes ohnehin vorhanden sind. Dementsprechend wächst die Komplexität der Kommunikation, da nicht nur inhaltliche, sondern auch formelle Bezüge hergestellt werden: Es sind sowohl Verbindungen in diachroner Hinsicht als auch synchrone Verknüpfungen möglich, womit anstelle der Pfad- eine Netzwerkstruktur entstehen kann.

3.5.7
Offenheit

Offenheit meint Zugangsoffenheit in mehrerer Hinsicht. Als Netz der Netze ist das Internet selbstredend offen für alle technisch kompatiblen Systeme. Es liegen keine organisatorischen, politischen oder wirtschaftlichen Beschränkungen vor, sodass verschiedene Netze ohne Autorisierung anknüpfen können. Damit wird einerseits ein hohes Wachstum garantiert und andererseits wird die Dezentralität gestärkt. Der Zugang für Endgeräte stellt sich noch einfacher dar. Insofern sie mit entsprechender Hardware versehen sind, können sie sich über einen Zugangspunkt einwählen. Die Normierung erfolgt rein über technische Standards, die aber nur partiell zentral vorgegeben werden. Jenseits der technischen Komponenten ist die Integrationsfähigkeit für Subjekte bedeutsamer. Das Internet kann unabhängig von individuellen Kontexten und Eigenschaften von allen Menschen gleichermaßen genutzt werden. Bestehende sozialstrukturelle und geographische Unterschiede verlieren rasant an Bedeutung, wodurch eine Tendenz zur Egalisierung des Zugangs und der Nutzung entsteht.

Offenheit steht in diesem Zusammenhang aber nicht nur für die Nutzbarkeit, sondern darüber hinaus für die Möglichkeit der Gestaltung. User werden zu Produzentinnen und Produzenten von Inhalten, die dann gleichberechtigt neben professionell erarbeitetem Content stehen. Laien können aber nicht nur Inhalte innerhalb vorgegebener Anwendungen veröffentlichen, sondern eigene Anwendungen und Dienste im Internet anbieten. Teile der Innovationskraft des Web speisen sich aus diesen Quellen. Offenheit zeigt sich zudem in Interaktionen, indem Individuen auch jenseits bereits bestehender Kontakte kommunizieren. Neuere Entwicklungen zum Web 2.0 sind geradezu darauf ausgelegt, Gemeinsamkeiten auf Basis entsprechender Anwendungen zu entdecken und auszuleben (vgl. Fleck/Kirchhoff 2008: 189ff.).

In der Summe resultieren die einzelnen Dimensionen der Offenheit aus Entscheidungen in der frühen Geschichte des Web. Wie bereits erläutert, wurde es gerade als partizipatives und nicht als expertenzentriertes Projekt angelegt. Bis heute wurde diese Maxime beibehalten und erfuhr auf verschiedenen Ebenen eine spezifische Ausarbeitung, wenngleich große Teile der Infrastruktur von wirtschaftlichen Akteuren abhängig bleiben. Neben der diskursiven und praktischen Offenheit, die sich auf das Verhandeln beziehungsweise auf das Nutzen von Standards beziehen, gibt es ebenso eine Rückseite. Sie besteht im Falle von Dezentralität und Transparenz in Schließung. Speziell wo Vertrauen, Geheimhaltung, Autorität oder Authentizität gefragt sind, bilden sich gegenstandsadäquate Communitys (vgl. Baym 1998: 35ff.). Sie ermöglichen im Sinne einer sektoralen Differenzierung die Umsetzung besonderer Erfordernisse, wie die Virtualisierung symbolischer Kommunikation anhand von Geld, Macht, Recht und anderen, ohne die Gesamtarchitektur zu verändern. Die Offenheit besteht demnach auch darin, ausdrücklich nicht offene (geschlossene) Anwendungen und Dienste zu integrieren, die ihrerseits wichtige Komplementärfunktionen innehaben. Über das Verhältnis von geschlossenen und offenen Angeboten im Internet insgesamt wurden bisher keine Aussagen getroffen. Plausibel ist aber gerade auf Ebene der Anwendungen, das dass WWW aufgrund seiner Hegemonialstellung in quantitativer Hinsicht eher überschätzt wird. Gerade im Bereich des Dateitransfers, der wesentlich stärker »im Verborgenen« stattfindet, sind viele geschlossene Systeme zu finden, die öffentlich nicht wahrgenommen werden. Im Unterschied zur Infrastruktur findet sich für die Dienste auch eine relevante Anzahl an geschlossenen Communitys.

3.5.8
User-Partizipation

Im Zuge der Offenheit des Internets wurde bereits gezeigt, dass potenziell jede und jeder User werden kann und damit Inhalte »verbreiten« kann. Beim Hochladen eines Bildes oder dem Verfassen eines Kommentars ist von einer bewusst Handlung auszugehen, es kann aber auch indirekt geschehen, indem beispielsweise das Surfverhalten im WWW protokolliert und in anonymisierter Form anderen User bereitgestellt wird. Nicht selten ist der Erfolg eines Dienstes vom Engagement der User abhängig, sodass diese immer häufiger jenseits ergänzender Tätigkeiten aktiv werden. Die Nutzerinnen und Nutzer sind dabei mit bisher professionell gerahmten Arbeitsleistungen betraut und erfüllen darüber hinaus Aufgaben, die entweder durch Einzelpersonen nicht zu bewältigen oder auf Maschinen nicht zu übertragen sind. Unter anderem aufgrund der Modularität der einzelnen Bestandteile kann die Masse der User nicht nur Leistungen erbringen, zu denen Software noch nicht in Lage ist, sondern auch kommunikative Zusammenhänge erstellen, die zwar nachgefragt aber nicht ausreichend (kosten-) effizient durch professionelle Kräfte bereitgestellt werden.

User-Partizipation in der Rezeption von Inhalten hingegen lässt sich mit Interaktivität auf einen Begriff bringen (vgl. Schelhowe 1997: 158ff.). Für viele, aber nicht alle Kommunikationsformen ist festzustellen, dass eine lineare Konsumtion entweder nicht möglich ist oder umgangen werden kann. Es bestehen erhöhte Wahlmöglichkeiten und es kann auf Medienangebote mehr Einfluss genommen werden, was unter anderem mit der zeitlichen Entgrenzung in Zusammenhang steht. Interaktivität bezieht sich aber nie lediglich auf die Rezeption vorhandener Inhalte, sondern immer auch auf den Austausch mit anderen Usern. Hier hält das Netz aufgrund der Vielzahl an Kommunikationskanälen entsprechende Potenziale parat, die sich in Kombination der Dienste potenzieren. Trotz der Technizität und vielzähliger automatisierter Abläufe stellt das Internet eine riesige Plattform für individuelle Kommunikation und Massenkommunikation zwischen Menschen dar, was viel zu seiner gegenwärtigen Bedeutung beiträgt. Durch die schlichte Nutzung als Kommunikationsmedium wächst das Internet, indem immer mehr Content und Dateien verfügbar werden, die noch mehr Anschluss- oder auch Meta-Kommunikation ermöglichen und erfordern. Durch das folglich größere Angebot wird die Teilnahme attraktiver und damit wahrscheinlicher. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass die Dynamik ins Stocken gerät, da vielfältige Wege der Ordnung und Vereinfachung existieren.

3.5.9
Der Unterschied zwischen Online- und Offline-Medien: Ein Fallbeispiel

Die acht vorgestellten Eigenschaften der Internetkommunikation dienen einerseits dazu, das Internet als Ganzes zu charakterisieren, andererseits helfen sie, spezifische Phänomene besser zu verstehen. Diese zweite Bedeutungsebene ist im Folgenden von Interesse, wenn danach gefragt wird, worin die Unterschiede zwischen klassischen Print-Journalismus und der relativ jungen Online-Variante bestehen. An der beispielhaften Gegenüberstellung des Wochenmagazins Der Spiegel und der Webseite Spiegel Online kann gezeigt werden, welche Wirkung die medialen Eigenschaften der Internetkommunikation im Detail (und in Kombination) entfalten können. Auf welche Weise prägen die abstrakten Merkmale also die tägliche Nutzung des Mediums?

Der Spiegel macht sich selbst Konkurrenz. Über lange Jahre war die Wochenzeitschrift das Leitmedium in Deutschland. 1994, also überaus früh im Vergleich zu den Mitbewerbern, entschloss sich der Konzern ein Web-Angebot zu initiieren, das nicht nur das Online-Leitmedium wurde, sondern darüber hinaus zur Referenz für eine ganze Branche avancierte. Der Journalismus ist sicher einer der ersten gesellschaftlichen Bereiche, in dem das Primat von der Offline-Welt zur Online-Kommunikation übergeht. Die Besonderheit, dass das Online- und das langjährige Offline-Leitmedium aus einem Verlagshaus kommen, ermöglicht eine Gegenüberstellung mit Fokus auf die acht erarbeiteten Merkmale unter möglichst identischen Randbedingungen.

Ein erster, augenscheinlicher Unterschied zwischen den beiden Medien besteht in der Beschränktheit der Print-Version auf statische Texte und Bilder. Dementsprechend wird ein neues Musikalbum durch ein Bild des Covers und einen Text zum Genre, zur Stimmung oder zu den Inhalten besprochen. Aufgrund der Plattformfunktionalität des Internets sieht dies bei Spiegel Online anders aus: Die Multimedialität führt dazu, dass neben der textbasierten Rezension zu einem Album in der Regel ein Audio-Player steht, der Ausschnitte aus der entsprechenden Platte abspielt. Darüber hinaus sind natürlich auch die Musikvideos der Single-Auskopplungen als Video unter dem Artikel anzuschauen. Direkt daneben findet sich eine Verlinkungen zu Napster. Klickt man den Link an, wird es möglich, die auf Spiegel Online rezensierten Album (gegen eine Gebühr) in voller Länge als Stream zu hören. Solche Netzwerkeffekte zeigen sich aber auch im Text, etwa indem eine Besprechung des vorhergehenden Albums auf der Seite verlinkt ist. Im gedruckten Spiegel sind hingegen allenfalls Referenzierung à la »Wir berichteten ausführlich in Aufgabe 12/2012 zu diesem Thema« möglich. Damit bleibt nur der Gang zur Altpapierkiste oder ins Archiv. Schaut man sich weiter auf der Seite um, findet man unter dem Artikel ein kleines Forum, das aus Diskussionbeiträgen der Leserinnen und Leser besteht. Sie beschweren sich entweder über die Auswahl an Musik, pflichten der Autorin bei oder schreiben ihre Meinung zu dem musikalischen Werk nieder. Diese User-Partizipation entspricht im Grunde der Logik von Leserbriefen. Allerdings finden diese in klassischen Zeitungen in der Regel nur wenig Platz, während Beiträge von Leserinnen und Lesern im Online-Journalismus zu jedem Artikel gehören. Interessanterweise wird diese Offenheit gerahmt von der Notwendigkeit, ein Log-in anzulegen. Man muss sich also zunächst mit einem Profil, persönlichen Daten und einem (fiktiven) Namen registrieren, um schreiben zu dürfen. Hier sind sich die beiden Medien dann wieder recht nah: Die Redaktion behält sich vor, wer schreiben darf und was veröffentlicht wird.

Ein deutlicher Unterschied besteht hingegen in der räumlichen und zeitlichen Geltung. Dass Internetmedien in ihrer Aktualität unschlagbar sind, ist inzwischen unbestritten. Aber ein zentraler Vorteil besteht auch in der weltweiten Zugänglichkeit. So kann mit UMTS-Handys und aufgrund der Globalität des WWW auch in entfernten Gegenden der Welt nachgelesen werden, in welcher Phase sich der Wahlkampf in Deutschland gerade befindet. Eine weitere Besonderheit von Spiegel Online besteht in einem unscheinbaren Eingabefeld auf der Startseite. Hier ist es möglich, alle jemals erschienen Artikel nach Stichworten zu durchsuchen. Dabei kann zwischen Volltext und Überschrift unterschieden und der Zeitraum eingegrenzt werden. Print-Magazine hingegen müssen sich mit einem Inhaltsverzeichnis begnügen. Die Digitalität der Informationen des Internets hingegen erlaubt es, riesige Datenbanken in einem Augenblick zu durchsuchen. Mit der Digitalität geht weiterhin einher, dass ganz verschiedene Bausteine dem journalistischen Teil ergänzt werden können. So finden sich am unteren Ende der Startseite »Service-Angebote von Spiegel Online-Partnern«. Die Attraktivität des Web-Angebotes soll also erhöht werden, indem verschiedene Module ergänzt werden. Dazu gehören beispielsweise ein Gehaltsrechner, ein Benzinpreisvergleich, ein Partnersucheportal oder ein Währungsrechner. Die Einbindung solcher Dienste ist für klassische Print-Medien völlig ausgeschlossen. Zwar können entsprechende Dienste in Annoncen beworben werden, aber im Rahmen von Online-Kommunikation sind sie in der Tat nur einen Klick entfernt.

Damit wird deutlich, dass bezogen auf dieses Beispiel sowohl Kontinuitäten als scharfe Brüche festzustellen sind. Einerseits wird die Logik der Offline-Medien unter den neuen technischen Bedingungen fortgeführt, andererseits treten neue Möglichkeiten hinzu, die die Produktion aber auch der Rezeption von journalistischen Inhalten völlig verändert. Wenngleich an vielen Stellen von Vorteilen der Online-Medien gegenüber ihrer klassischen Vorbildern die Rede war, kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass erste »besser« sind. Das aus dem Rückgang der Abonnements sowie der Eruption des Annoncengeschäftes resultierende Zeitungssterben deutet auf eine unterschiedliche Konkurrenzfähigkeit hin, sagt jedoch wenig über die Qualität im engeren Sinne aus. Es ist zu vermuten, dass zukünftig ein kleinerer Kreis an Medienhäusern hochwertigstem (gedruckten) Journalismus einer großen Menge an tagesaktuellem und wenig tiefgründigem Onlinemedien gegenübersteht. Für die acht Merkmale hingegen hat sich gezeigt, dass sie zentrale Unterschiede zwischen On- und Offline erklären können und in diesem Sinne Internetkommunikation sinnvoll rahmen.