Die Entwicklung des Internets ist trotz seiner großen gesellschaftlichen Bedeutung bisher nur unzureichend erforscht worden. Dieser Befund bezieht sich speziell auf die sozialwissenschaftliche Forschung, während die Deskription und Analyse in technischer Hinsicht weitestgehend dem Gegenstand angemessen sind. Für die Frage nach der Wechselbeziehung zwischen gesellschaftlichen Prozessen und der Emergenz des neuen Mediums stehen hingegen keine belastbaren theoretischen Ansätze bereit. Es findet sich eine Vielfalt an Untersuchungen zu Einzelphänomenen, zu qualitativen und quantitativen Veränderungen im Verhalten der User oder auch zu Interdependenzen mit anderen Medien, während ein integrativer Ansatz fehlt. Dieser müsste einerseits abstrakt genug konzipiert sein, um das Gesamtphänomen in den Blick nehmen zu können und sollte andererseits empirisch anwendbar sein.
Wie im zweiten Kapitel gezeigt wurde, ist der Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Internet nach Hofkirchner (vgl. 2007: 64ff.) auf mindestens vier verschiedene Arten interpretierbar. Die von ihm genannten vorrangig raumtheoretischen Argumente sollen nachfolgend auf das Internet insgesamt übertragen werden. Ausgehend von einer Krise des sozialen Raums, die auch mit der Globalisierungswirkung des Internets begründet wird, kann das Verhältnis von Kontinuität und Bruch diskutiert werden. Die Grundannahme lautet, dass es vier »große« Denkmöglichkeiten gibt, zwei Entitäten in Verbindung zu bringen: Reduktionismus, Projektionismus, Dualismus und Dialektik. Für die vorliegende Fragestellung würde die reduktionistische Lesart bedeuten, dass das Internet ein Abbild bestimmter Teile der Offline-Welt wäre. Das Neue am Internet würde damit auf das Bestehende außerhalb des Mediums eingeebnet. Die projektionstische Variante geht hingegen davon aus, dass die Möglichkeiten des Internets bereits Offline vorhanden waren, da es sich um ein symbolisches Medium handele. Dieses kann folgerichtig nur bestehende Bedeutungen mitteilen oder verteilen. Eine Interpretation von Internet und Gesellschaft als Dualismus gründet in der Gegenüberstellung von Virtualität und Realität (als zwei getrennte Sphären), die für beide Bereiche zu kurz greift. Die dialektische Lesart hingegen nimmt an, das Internet gehe aus der Gesellschaft hervor, bliebe an diese gebunden und beeinflusse sie. Das Neue baut demnach auf dem Alten auf. Das Internet kann ohne die »Offline-Gesellschaft« nicht existieren; schon weil ohne körperliche Individuen keine Kommunikation mehr stattfinden kann. Gleichermaßen prägt und beeinflusst das Internet den Offline-Raum, überlagert diesen sogar, wird sich jedoch niemals von ihm trennen können (vgl. Hofkirchner 2007: 75).
Hofkirchner plädiert für das vierte und komplexeste Modell. Es entspricht zum einen dem gängigen soziologischen Verständnis, wie es etwa in der Strukturationstheorie von Giddens (1984) zum Ausdruck kommt, eine einseitige Betrachtung sei unweigerlich verkürzt. Und zum anderen ist es gegenstandsadäquat, insofern es vorhandene Verknüpfungen zwischen On- und Offline nicht ausblendet, sondern gerade thematisiert. Interessant ist nun, wie sich beide Sphären im Sinne der vorliegenden Arbeit verbinden lassen. Ausgehend von dem kommunikationstheoretischen Ansatz und der Frage, wie sich das Internet entwickelt (hat), soll hierzu das Konzept der Mediatisierung eingeführt werden. Es beschreibt gemeinhin einen Prozess, in dem bisher raum- und zeitgebundene Interaktionen durch verschiedene Medien ersetzt oder bereichert werden. Die konzeptionellen Details werden in den folgenden Abschnitten diskutiert. Der vor allem von Krotz (vgl. 2001) erarbeitete Mediatisierungsansatz soll für die hier zu entfaltende These um eine internetspezifische Lesart erweitert werden. Zudem wird der Ansatz mit Hilfe der in Kapitel 3.1 eingeführten begrifflichen und theoretischen Differenzierungen von Luhmann und Giddens präzisiert.
Im folgenden Abschnitt wird damit begonnen, anhand des Begriffes und seinen Wandlungen die seit gut zehn Jahren dominante Verwendung als medienwissenschaftlicher Erklärungsansatz zu erschließen. Daraufhin erfolgt eine Nachzeichnung der zunehmend elaborierten konzeptionellen Arbeiten zum Thema. Die vorliegenden empirischen Untersuchungen zum Thema sind im nächsten Abschnitt dahingehend zu diskutieren, ob das jeweilige Vorgehen Anknüpfungspunkte zur Operationalisierung einer breiter gefassten These der Mediatisierung von Offline-Kommunikation als Entwicklungsmoment des Internets bereithält. Ferner ist eine Validierung des Konzeptes an sich von Interesse.
Das nachfolgende Teilkapitel widmet sich einer internetspezifischen Variante der Meditisierungsthese. Dabei werden sowohl Anknüpfungsmöglichkeiten als auch Fehlstellen für das hiesige Thema beleuchtet, um anschließend ein eigenes Konzept zu formulieren und dieses in seinen Eigenschaften und Dimensionen zu diskutieren. Das Kapitel schließt mit der Anwendung des Mediatisierungsansatz auf die Differenzierung des Internets. Hierbei ist auch zu diskutieren, welcher Modus der Differenzierung vorzufinden ist und welcher off- und onlinespezifischen Logik sie folgt. Es werden sowohl begünstigende als auch hemmende Elemente für einzelne gesellschaftliche Funktionssysteme angeführt und jeweils ein charakteristisches Beispiel für die Rückwirkung der Internetkommunikation ausgeführt.