Die Frage nach der Entwicklung des Internets bildet den Kern der vorliegenden Studie. Der Ausgangspunkt eines solchen Entwicklungsmodells besteht in den ausgetauschten Inhalten und nicht in primär technischen oder wirtschaftlichen Aspekten. Gesellschaftsevolutionär ist eine Entwicklung oft eng verbunden mit einem Prozess der Differenzierung. Die Differenzierungstheorie hat dabei eine lange Tradition und besteht im Grunde seit den frühen Klassikern der Soziologie. Sie weist sowohl historisch orientierte, zeitdiagnostische wie auch analytisch-abstrakte Spielarten auf. Je nach Autorin oder Autor werden verschiedene Schwerpunkte gesetzt und unterschiedliche Perspektiven eingenommen. Über alle Ansätze hinweg findet sich allerdings eine Gemeinsamkeit: Die Entwicklung von Gesellschaften ist untrennbar mit einem Übergang von gleichartigen zu verschiedenenartigen Elementen verbunden, die dann in funktionaler Abhängigkeit zueinander bestehen. Auf der Ebene gesellschaftlicher Funktionssysteme belegen die Ausbildung der Sphäre des Politischen, der Wirtschaft oder des Bildungssystems diese Entwicklung. Neben solchen makrosoziologischen Phänomenen gibt es auch so etwas wie eine Differenzierung innerhalb der gesellschaftlichen Teilsysteme. Diese Binnendifferenzierung führt schließlich die nach funktionalen Gesichtspunkten effiziente Unterteilung in allen Subsystemen fort. Für die Massenmedien beispielsweise unterscheidet Luhmann (vgl. 2009) zwischen Nachrichten, Unterhaltung und Werbung. Medien sind zudem ein besonderes Funktionssystem, da sie Realität verdoppeln. Die Verdopplung besteht demnach darin, einerseits Realität auf eine bestimmte Weise wiederzugeben und andererseits durch das eigene Handeln Realität zu erzeugen.
Will man nun die Frage beantworten, wie sich das Internet in seiner inhaltlichen Dimension entwickelt, also differenziert, liegt es nahe, die Modi gesellschaftlicher Differenzierung auf das Internet zu übertragen. Damit kann festgestellt werden, ob sich die Struktur von Gesellschaften ebenso in der Strukturierung der Kommunikationsinhalte des Internets wiederfindet. Zunächst ist offensichtlich, dass eine inhaltliche Ausdifferenzierung des Internets stattgefunden hat und noch immer stattfindet: Waren in der Frühphase aufgrund der Entstehungsgeschichte vor allem wissenschaftliche Themen vorzufinden, traten wenig später wirtschaftlich, künstlerisch oder auch politisch geprägte Inhalte dazu. Dennoch gibt es zentrale Unterschiede zwischen der gesellschaftlichen Differenzierung und der Entwicklung des Internets. So haben sich die inhaltlichen Facetten des Internets nicht aus den frühen wissenschaftlichen Inhalten heraus entwickelt. Die Funktionssysteme der Gesellschaft sind hingegen in der Tat nach und nach dem Bereich der gesellschaftlichen Gemeinschaft entsprungen. Vielmehr ist gerade der Offline-Bereich die Quelle der Differenzierung des Internets und die Mediatisierung ist das Vehikel, das diesen Prozess trägt. Aber es gibt noch weitere Unterschiede: Während die gesellschaftliche Differenzierung ein jahrhundertelanger Prozess war, der gegenwärtig in einem einigermaßen gefestigten Institutionengefüge mündet, ist die Differenzierung des Internets zum einen noch im Gange und erstreckt sich zum anderen über nur drei Jahrzehnte. Nicht zuletzt scheint die Entwicklung des Internets gewissermaßen kleinteiliger skaliert als ihr Offline-Pendant. Will man den Prozess theoretisieren, muss es darum gehen, welche spezifischen Informationen mediatisiert werden und nicht darum, wie und ob sich Subsysteme im Web von einander unterscheiden. Empirisch hingegen können auch Subsysteme, etwa im Grad ihrer Repräsentation im Web, untersucht werden.
Die klassische Differenzierungstheorie, wie sie etwa bei Luhmann (vgl. 1998: 608ff.) zu finden ist, hat für das Internet also nur eine beschränkte Erklärungskraft. Die Inhalte des Internets können zwar als segmentär, stratifikatorisch, in Zentrum und Peripherie oder funktional differenziert interpretiert werden, aber daraus lässt sich wenig über die Entwicklung des Web ablesen. Das liegt zunächst auch daran, dass die genannten Differenzierungsarten (im Unterschied zur Gesellschaft) nicht historisch aufeinander folgen, sondern zeitgleich »mitmediatisiert« werden. So lassen sich für das Internet beispielsweise Medienangebote finden, die sich in ihrer Funktion gleichen und weitestgehend hierarchiefrei nebeneinander stehen, also segmentär differenziert im weitesten Sinne sind. Solche Angebote, etwa die verschiedenen Nachrichten-Seiten des WWW, entstanden aber erst nach und nach, waren nicht der Ausgangspunkt der Entwicklung. Zu Beginn der Internetnutzung gab es hingegen nur wenige dieser Seiten. Ein ähnliches Bild ließe sich für die stratifikatorische Differenzierung zeichnen. Zwar gibt es Inhalte, die bessere Chancen als andere haben, wahrgenommen zu werden, aber ein verfestigtes Gefüge von Privilegierten und Benachteiligten lässt sich nicht feststellen. Der Niedergang des sozialen Netzwerkes Myspace hat gezeigt, dass sich eine marktbeherrschende Position innerhalb weniger Monate in Bedeutungslosigkeit wandeln kann. Für die funktionale Differenzierung wird deutlich, dass der Mediatisierungsprozess nur vor dem Hintergrund der Offline-Kommunikation sinnvoll zu interpretieren ist. So lassen sich für das Internet zwar Inhalte und Dienste feststellen, die komplementäre Funktionen einnehmen, aber sie ergeben in der Summe keineswegs einen sozialen Zusammenhang gegenseitiger Leistungserbringung. Vielmehr ist es so, dass die gesellschaftlichen Funktionssysteme auf verschiedene Weise miteinander gekoppelt sind und die Web-Kommunikation dies einerseits ermöglicht und andererseits widerspiegelt.
Der Differenzierung des Internets kommt man also nicht näher, indem der Internetkommunikation klassische Differenzierungmodi »übergestülpt« werden. Im Folgenden wird deshalb vorgeschlagen, den Prozess – analog zur Mediatisierungsthese – als eine selektive Verdoppelung der gesellschaftlichen Strukturierungsmuster des Offline-Bereichs zu konzipieren. Damit einher geht die Idee, dass Strukturen und damit immer auch Inhalte des Offline-Bereichs durch den Mediatisierungsprozess zu (großen) Teilen die Entwicklung des Internets prägen. Diese Verbindung führt aber unweigerlich dazu, dass die Internetkommunikation die Offline-Sphäre ebenso prägt. Ausgehend von diesem Doppelprozess wird hier die Annahme vertreten, dass die Entwicklung des Internets in zwei Phasen eingeteilt werden kann. Zunächst duplizieren sich im Web bekannte Kommunikationszusammenhänge und -inhalte, danach lassen sich vermehrt internetgenuine Inhalte und Strukturen finden. Mit beiden Phasen ist jeweils eine spezifische Art von Rückwirkungen auf die Gesellschaft, also auf die Offline-Kommunikation, verbunden.
Die erste Phase ist durch eine Konkurrenz um Effizienz geprägt. Das Internet wird genutzt, weil Unternehmen ihre Produkte günstiger online verkaufen können, weil Zeitungen Nachrichten im Web aktueller vermitteln können, weil Universitäten ihre Forschungsergebnisse weltweit zur Diskussion stellen können, weil Parteien junge Menschen erreichen können, weil sich Symptome bestimmter Krankheiten auch außerhalb der Sprechzeit zuordnen lassen, weil sich Menschen in sozialen Netzwerken unkomplizierter »ansprechen« lassen als auf der Straße, weil ein Skype-Anruf günstiger ist als das Auslandstelefonat, weil in den Mediatheken auch verpasste Fernsehsendungen angeschaut werden können und so fort.
Aus dieser Aufzählung lässt sich ablesen, dass es sich um eine offene Liste handelt, die nahezu beliebig ergänzt werden kann. Obwohl es unbestritten eine Tendenz zur Mediatisierung durch das Internet gibt, sind es im Grunde immer Einzelfallentscheidungen, mit welchem Medium kommuniziert wird. Es gibt beispielsweise trotz zahlreicher Plattformen noch immer schwarze Bretter, mittels derer Wohnungen vermittelt werden. Über die Einflussfaktoren, die zu einer Entscheidung für die Internetkommunikation führen, ist bisher nicht viel bekannt.32 Weiterhin zeigt sich, dass diese erste Phase zwar durch eine Mediatisierung von Offline-Kommunikation gekennzeichnet ist, die Internetentsprechungen aber in der Regel eine ganz eigene Qualität aufweisen. Wie die Gegenüberstellung von Der Spiegel und Spiegel Online in Abschnitt 3.5.9 gezeigt hat, hängen diese Unterschiede ganz wesentlich mit den Eigenschaften der Internetkommunikation zusammen.
Die zweite Phase beginnt, wenn die erste weitestgehend abgeschlossen. Ein genauer Zeitpunkt lässt sich zwar nur empirisch rekonstruieren, aber es zeichnet sich gegenwärtig ab, dass nahezu alle wichtigen Organisationen und auch ein absoluter Großteil der Bevölkerung intensiv von der Internetkommunikation Gebrauch macht. Gleichwohl gibt es zwischen beiden Phasen keine klare Grenze, vielmehr wechselt das Primat im Verhältnis von Online und Offline. War in der ersten Phase das Internet noch gewissermaßen abhängig von der Gesellschaft, wandelt sich das Verhältnis dergestalt, dass das Internet immer wichtiger und prägender für die Gesellschaft wird. Damit gibt es einen Übergang von einer Konkurrenz um Effizienz zu einem Wettbewerb um Innovationen. Im Rahmen von Internetkommunikation scheinen dabei immer häufiger maßgebliche Neuerungen zu entstehen. Beispielhaft hierfür steht die Wikipedia, die Art und Weise, wie gesellschaftlich akzeptiertes Wissen produziert und rezipiert wird, so grundlegend geändert hat, dass Offline-Wissenssammlungen binnen weniger Jahre geradezu antiquiert wirken. Aber auch die sozialen Netzwerke des Web 2.0 sind eine radikale Innovation, die – je nach Ausprägung – persönlichen Kontakten in verschiedenen Bereichen den Rang ablaufen. Nicht umsonst gewähren verschiedene Organisationen Usern Vorteile, wenn sie ein Facebook-Fan sind.
Die oben stehende Grafik darf nicht als Widerspruch zur Abbildung 1 (den Mediatisierungsdimensionen des Internets) verstanden werden. Vielmehr wird Mediatisierung hier in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. Einerseits werden die Rückwirkungen auf die Offline-Sphäre, andererseits wird der zeitliche Verlauf in die Darstellung einbezogen. Abbildung 1 hingegen bezieht sich auf die Internetvariante des klassischen Mediatisierungsverständnis. In Bezug auf den Modus, nach dem sich die Inhalte der Internetkommunikation entwickeln, beschreibt der Mediatisierungsansatz zunächst eine selektive, aber weitreichende Verdoppelung bestehender Offline-Inhalte, -Kommunikationszusammenhänge und damit auch -Strukturen. Damit wird auch die Differenzierung der Gesellschaft medial reproduziert. Wie Abbildung 2 zeigt, ist die erste Phase durch einen Doppelprozess gekennzeichnet: Die Mediatisierung der Offline-Kommunikation bewirkt unmittelbar die Differenzierung des Internets. In der zweiten Phase wechselt nicht nur das Primat der Rückwirkungen von einer Effizienz- zu eine Innovationslogik, sondern die Mediatisierung kehrt sich auch um. Wenn Inhalte und Strukturen ganz zentral im Rahmen der Online-Kommunikation entstehen und dann auf die Offline-Welt übertragen werden, findet eine gewissermaßen umgekehrte Mediatisierung statt. In diesem Prozess kann es passieren, dass Online-Kommunikation durch Offline-Medien ersetzt oder zumindest verdoppelt wird. Online-Strukturen werden in diesem Zug auf die Sphäre außerhalb des Internets übertragen. Gleichzeitig bleibt der erste Modus erhalten, verliert allerdings an Prägekraft.
Wie im oben stehenden Abschnitt ausgeführt wurde, besteht die primäre Erklärungskraft des Mediatisierungskonzepts ohne Frage darin, Internet und Gesellschaft mit Fokus auf die Entwicklung des Internets zu verknüpfen. Gleichwohl gehen damit vielfältige Rückwirkungen der Internetkommunikation auf die Gesellschaft einher. Ihre stärkste Ausprägung besteht in dem Innovationsdruck. Zudem sind aber noch vier weitere Konstellationen denkbar, die sich auf einem Kontinuum von Komplementarität nach Konkurrenz ordnen lassen.
Einerseits sind Rückwirkungen der Mediatisierung auf den Offline-Bereich bedeutsam, weil sie als integrativer Bestandteil eines dialektischen Verständnisses von On- und Offline gelten müssen und andererseits können sie eine Brücke zu internetbezogenen Fragestellungen spezieller Soziologien bilden. Letztere betrachten in der Regel genau diesen Teil der Online-Offline-Konstellation, etwa wenn aus arbeitssoziologischer Perspektive nach der Bedeutung von Teleheimarbeit im Zuge des Wandels der (Erwerbs-) Arbeit (vgl. Kleemann 2005) gefragt wird. Im Folgenden soll unter Bezugnahme auf den erarbeiteten Mediatisierungsansatz gezeigt werden, welche typischen Rückwirkungen sich finden lassen. Sie werden an Beispielen illustriert. Aus den im zweiten Kapitel angeführten Studien und theoretischen Ansätzen lassen sich bereits einige zentrale Momente ablesen. Der Stand der Forschung zeigt zudem, dass Aspekte eines Bedrohungsszenarios ein Hauptthema in der Spezifizierung des Online-Offline-Verhältnisses bilden. Im Folgenden werden diese fünf Konstellationen diskutiert (von Komplementarität nach Konkurrenz geordnet): Irrelevanz, Ergänzung, Verdoppelung, Ersetzung und Innovation. Für jede der Kategorien sind Veränderungen zu erwarten, die sich zu Teilen aus den Wesenszügen der Internetkommunikation ableiten lassen.
Irrelevanz
Irrelevant, also ohne Einfluss, ist die Mediatisierung von Kommunikation durch das Internet, wenn keinerlei Rückwirkungen auf den Offline-Bereich festzustellen sind. Es handelt sich dabei freilich um ein Extrem, das in dieser Totalität kaum zu finden sein wird. Online-Kommunikation ist vor allem dann für den zugehörigen Offline-Bereich irrelevant, wenn Mitteilungen nicht rezipiert oder nicht verstanden werden. Ein Facebook-Profil, ein Bild oder eine Webseite, die nicht angeschaut werden, haben keine Auswirkungen. Allerdings handelt es in diesen Fällen nicht um Kommunikation im engeren Sinne. Wenn hingegen Kommunikation mit allen drei Selektionen stattfindet und dies für den Offline-Bereich trotzdem nicht relevant ist, handelt es sich in der Regel um redundante Kommunikation. Erhält man also eine identische Einladung sowohl per E-Mail als auch per Post, dann ist die Mediatisierung rein inhaltlich bedeutungslos. In anderer Hinsicht erfüllt sie durchaus eine Funktion, etwa im Sinne einer Erinnerung. Um eine Internetkommunikation als irrelevant einschätzen zu können, bedarf es demnach spezifischer Kriterien. Insofern Werbe-Banner auf Webseiten den Absatz bestimmter Produkte nicht steigern, sind sie in wirtschaftlicher Hinsicht irrelevant. Gleichwohl führen sie etwa dazu, dass User das WWW weniger nutzen, weil sie sich von der Werbung gestört fühlen. Damit bleibt Irrelevanz zunächst eine hochgradig idealtypische Konstellation, die nur unter bestimmten Einschränkungen mit Inhalt gefüllt werden kann.
Ergänzung
Eine bestehende Offline-Kommunikation wird um mediatisierte Inhalte ergänzt, wenn ein zusätzliches Element hinzutritt, das allerdings nicht primär in einem Konkurrenzverhältnis zur ursprünglichen Kommunikation steht. Dies ist etwa der Fall, wenn die Wochenzeitschrift ZEIT auf ihrer Homepage nicht nur Artikel der Printversion zur Verfügung stellt, sondern einer Filmrezension den Video-Trailer zur Seite stellt. Hier resultiert die genannte Ergänzung aus der Möglichkeit, zusätzliche Sinneskanäle zu bedienen. Gleiches gilt, wenn auf der Homepage eines UKW-Senders ein Bild der Moderatorin zu finden ist. Die Ergänzung kann ebenso im Rahmen derselben Kategorie stattfinden, etwa wenn eine Autowerbung im Fernsehen auf ein Web-Angebot verweist, das noch andere Clips zu dem Fahrzeug bereithält. Die Erweiterung muss aber nicht rein quantitativ sein, sondern kann ebenso eine qualitative Dimension haben: Zum Beispiel, wenn Bilder einer Autowerbung in Zeitschriften auf der Homepage des Herstellers in besserer Auflösung angesehen werden können. Das Kriterium bildet hier, im Unterschied zur Verdoppelung, ein Plus an Informationen, an Möglichkeiten oder an Qualität. Eine Ergänzung um bestimmte Möglichkeiten liegt beispielsweise vor, wenn ein im Web gestreamtes Fernsehformat zeitunabhängig geschaut werden kann.
Verdoppelung
Der Wahlschein für eine Briefwahl kann per Brief, Fax oder E-Mail beantragt werden. Dabei müssen jeweils dieselben Angaben gemacht werden und das Ergebnis ist von der Form des Antrags unabhängig. Es liegt eine identische Verdopplung vor. Ein solches Vorgehen ist an vielen Stellen zu finden, unter anderem um Menschen zu erreichen, die keinen Fernseher besitzen, keine Tageszeitung im Abonnement haben oder bestimmte Informationen nur orts- und zeitunabhängig rezipieren können. Da bis auf wenige Ausnahmen inzwischen alle Medien auf der Basis digitaler Technologien operieren, ist eine Mediatisierung durch das Internet ohne zusätzlichen Aufwand zu realisieren. Während Qualität und Quantität der Kommunikation identisch sind, begründen die medialen Eigenschaften des Internets neue Möglichkeiten. Die Raum- und Zeitüberwindung wurde bereits angesprochen. Der Netzwerkcharakter und die Möglichkeit zur Automatisierung führen dazu, dass Zeitungsartikel im Internet aufeinander bezogen werden (Verlinkungen), dass sie nach Schlagworten durchsucht oder nach der Veröffentlichung noch aktualisiert werden können. Damit wird noch einmal deutlich, dass in Bezug auf die Inhalte eine unterschiedslose Verdoppelung erfolgt, aber die unhintergehbare Medialität des Internets Einfluss nimmt. Zudem hängt es vom Betrachtungsmaßstab ab, ob etwas als Verdopplung angesehen werden kann. Keine Zeitschrift stellt ihr Angebot eins zu eins ins Internet; bestimmte Teile daraus (etwa Kolumnen) hingegen schon. Entsprechend des um die Luhmann’sche Lesart differenzierten Mediatisierungskonzeptes kann man sich auf einzelne Kommuniationsakte (im Sinne der Einheit von drei Selektionen) beziehen. Dabei meint Verdoppelung aber gerade nicht, dass zwei bestimmte Individuen zweimal exakt dasselbe Gespräch (nur über verschiedene Medien) führen, sondern es bezieht sich primär auf Massenmedien und unterschiedliche Rezipientinnen und Rezipienten.
Ersetzung
Eine weitere Konstellation besteht in der Verdrängung der ursprünglichen Kommunikationsform. Alte Kommunikationsformen werden zugunsten der effizienteren Web-Anwendungen obsolet. Wie bei der Irrelevanz handelt es sich um einen Extremfall, der bisher nur selten vorzufinden ist. In sehr spezifischen Kontexten finden sich allerdings Alltagsbeispiele: Seit 2011 dürfen Unternehmen ihre Erklärungen an das Finanzamt nur noch via Internet abgeben und die Einschreibelisten an den meisten Universitäten sind inzwischen elektronisch und nicht mehr auf Papier. Das aktuelle Betriebssystem für Macintosh-Rechner kann nicht mehr im Laden auf DVD, sondern nur als Download gekauft werden. Damit wird die gegenwärtig noch relativ große Gruppe von Nicht-Usern des Internets (in Deutschland immerhin fast 15 Prozent der Bevölkerung) ausgeschlossen. Es gibt zwar teilweise Alternativen, aber für diese muss zusätzlich gezahlt werden, wie man am Beispiel von Service-Hotlines oder dem Fahrkartenkauf bei der Bahn sieht. Wie fortgeschritten der Prozess der Ersetzung eingeschätzt werden muss, hängt wiederum davon ab, welchen Maßstab man anlegt. Wenn man den Ersetzungsprozess auf singuläre Phänomene bezieht, funktioniert er nur als totales Konzept, das keine Schattierungen erlaubt. Betrachtet man stattdessen die Funktionssysteme der Gesellschaft, kann eine graduelle Ersetzung festgestellt werden. So steigt die Zahl der Voice-over-IP-User, während die Zahl der Festnetzanschlüsse sinkt. Ähnliches zeigt sich flächendeckend für die Abonnentinnen und Abonnenten von Tageszeitungen und die Nutzung von Nachrichtenseiten im Web.
Innovation
Als Innovationen sind im Kontext der Rückwirkungen von Internetkommunikation Elemente zu verstehen, die offline bisher nicht realisiert wurden oder generell nicht realisiert werden können. Im Unterschied zur Ergänzung, die wesentlich aus einer Rekombination bekannter Elemente oder der Fortschreibung erfolgreicher Strategien resultiert, lassen sich bei Innovationen gänzlich neue Spielarten finden. Im Rahmen der Web-Angebote von Printmedien ist es den Leserinnen und Lesern in der Regeln möglich, durch die Kommentarfunktion miteinander zu diskutieren. Ebenso können im Unterschied zur Offline-Sphäre beim Online-Shopping die Produkte individuell konfiguriert und entsprechend dargestellt werden. So kann ein Auto beispielsweise in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Ausstattungsmerkmalen als photorealistisches dreidimensionales Modell angezeigt werden. Ein weiteres Beispiel stellen die im Zuge des Web 2.0 entstandenen Kollaborationsmedien dar. Es ist schwer vorstellbar, dass etwas wie die Wikipedia oder wie YouTube außerhalb des Netzes entstehen könnte. Dabei richten sich solche Innovationen an ein ähnliches Publikum und verschreiben sich denselben Zielen wie ihre Offline-Pendants. Daraus entstehen neue Konkurrenzverhältnisse. Die in ihrem Angebot unbeschränkten und häufig preisgünstigeren Online-Warenhäuser bedrohen die Existenz der klassischen Kaufhäuser. Es müssen sich aber nicht zwangsläufig Organisationen des On- und Offline gegenüberstehen. Es können auch innerhalb einer Organisation Online-Entsprechungen forciert werden, die dann innovative Elemente enthalten. Gleichwohl findet eine Verlagerung von Kapital- oder Aufmerksamkeitsströmen zugunsten des Online-Bereichs statt, da die Innovationen in der Regel Vorteile bieten.
Die hier grob skizzierten fünf Typen von Wirkungskonstellationen weisen ein heterogenes Bild auf. In einigen Bereichen (wie den Massenmedien) treten die Entwicklungen besonders deutlich zu Tage, in anderen (wie der Religion) hingegen nicht. Das hat vor allem damit zu tun, dass das Internet mit den Medien des Offline-Bereichs konkurriert, da jede Kommunikation ein Medium zur Realisierung benötigt. Die genannten Kategorien können nur sehr eingeschränkt für die Beurteilung der Folgen von Internetkommunikation in konkreten Feldern herangezogen werden. Aber sie bieten aussagekräftige Anknüpfungspunkte in Form von Sekundärfolgen. Damit gemeint sind aus den fünf idealtypischen Konstellationen ableitbare Chancen und Herausforderungen. An dem bereits genannten Kontinuum von Komplementarität und Konkurrenz lässt sich ablesen, dass die hier als Internet-Innovation umschriebene Rückwirkung eher zu Anpassungsdruck als zu Verdoppelung oder zu Ergänzung führt. Darüber hinaus liefert der jeweilige Typus Aussagen zu den Funktionen, die der Internetkommunikation zugeschrieben werden. Während es im Rahmen der Verdoppelung vorrangig als zusätzlicher (Absatz- oder auch Verbreitungs-) Kanal genutzt wird, kann es beim Ergänzungstypus als Bereicherung gelten.
Die Rückwirkungen des Internets konnten hier nur in Ansätzen vorgestellt werden. Mit Blick auf den Alltag, in den das Internet inzwischen fest integriert ist, treten deutlich komplexere Folgen zu Tage: Führt Internetkommunikation tendenziell zu stärkeren Netzwerken oder zur Vereinsamung? Wird demokratisches Handeln ermöglicht oder vielmehr »digitaler Maoismus« befördert? Hat es volkswirtschaftlich positive oder eher destruktive Effekte? Egalisiert das Internet bestehende Ungleichheiten oder schreibt es sie fort? Solche Fragen sind überaus relevant, doch lassen sie sich nicht auf Basis des theoretischen Modells beantworten. Gleichwohl sind sie immer auf Kommunikationsaspekte zurückführen, insofern das Internet eine Plattform für verschiedene Medien ist. Im nachfolgenden Abschnitt soll für die wichtigen gesellschaftlichen Bereiche erläutert werden, wie groß einerseits ihr Mediatisierungspotenzial ist und welche typischen Rückwirkungen andererseits zu erwarten sind. Für Letzteres wird jeweils ein bedeutsames Fallbeispiel geschildert.
Wie die vorangegangenen Abschnitte gezeigt haben, muss die Entwicklung des Internets in inhaltlicher, aber auch technischer oder geographischer Hinsicht als rasant eingeschätzt werden. Die Frage nach den Voraussetzungen und Auswirkungen des Mediatisierungsprozesses ist demnach nicht einfach zu beantworten. Im Sinne einer ersten Annäherung ist es jedoch möglich, theoretische Anhaltspunkte und charakteristische Fallbeispiele für die wichtigsten Felder gesellschaftlicher Kommunikation zu finden.
Doch was sind die wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche? Die Vielzahl an speziellen Soziologien, man denke beispielhaft an Management-, maritime, Marken-, Markt-, Medien,- Medizin-, Migrations-, Militär- oder Musiksoziologie33, zeigt eine Differenzierung sozialer Entitäten auf ganz verschiedenen Ebenen. Weiterhin existieren strukturfunktionalistische Ansätze, die wie bei Parsons eine nahezu beliebige Skalierung zulassen. Die hier angestrebte erste Annäherung an die Frage der Kompatibilität von Zielen der Offline-Teilbereiche und den Möglichkeiten des Internets sollte jedoch nicht allzu sehr ins Detail gehen. Deshalb wird vorgeschlagen, Luhmanns Unterscheidung in Funktionssysteme zu übernehmen. Wirtschaft, Politik und Wissenschaft lassen sich als Teilbereiche der Gesellschaft recht gut voneinander abgrenzen. Darüber hinaus identifiziert Luhmann (vgl. Runkel/Burkart 2005: 7) Recht, Erziehung, Intimbeziehungen, Gesundheit, Massenmedien, Sport, Kunst und Religion. Diese zunächst willkürlich erscheinende Auflistung ist legitimiert durch einen auf Handlungen beziehbaren Code, der jedem Funktionssystem eigen ist.
Im Folgenden werden die oben genannten Bereiche jeweils kurz vorgestellt, anschließend auf ihre »Kompatibilität« zu den Eigenschaften der Internetkommunikation hin untersucht und danach werden anhand eines Fallbeispiels die Auswirkungen der Mediatisierung analysiert. Aus den vorrangig theoretischen Ausführungen zu den Funktionsbereichen können für die empirische Untersuchung des fünften Kapitels Thesen abgeleitet. Zudem werden die relevantesten gesellschaftlichen Teilbereiche, die die Grundlage des empirischen Teils bilden, einführend erläutert. Notgedrungen werden die einzelnen Subsysteme und ihre je eigene spezifische Funktion dabei verkürzt dargestellt.
Die Diskussion soll mit dem Bereich der Wirtschaft beginnen. Sie ist wesentlich für die materielle Reproduktion und die Anpassung an die Umwelt im Sinne der Nutzung ihrer Ressourcen verantwortlich. Wirtschaft ist damit für die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen im weitesten Sinne verantwortlich und setzt diese bis zum heutigen Tage am konsequentesten in einer privat-kapitalistischen Organisationsform um. Realisiert wird das operative Geschäft zu weiten Teilen durch Unternehmen, die inzwischen zunehmend als globale Konzerne organisiert sind. Sie kommunizieren über Zahlungen, die trotz verschiedener Währungen untereinander kompatibel sind und das Profitziel (die permanente Wiederbeschaffung von Geld) entscheidend ermöglichen. Historisch gesehen unterliegt das Wirtschaftssystem einer Steigerungslogik, die unter anderem durch verschiedene Rationalisierungsstufen sowie Technik- und Wissensfortschritte möglich wurde. Die Steigerungslogik zeigt sich am exponentiellen Wachstum der Wertschöpfung, des Ressourcenverbrauchs, des Umsatzes oder der Warenvielfalt.
In enger Verbindung mit dem Geldsystem besteht die grundlegende Funktion der Wirtschaft darin, Zahlungen mit der Bedürfnisbefriedigung zu verbinden. Die Anknüpfung von Zahlungen an Zahlungen, also die Geldzirkulation, führt zur Schließung des Systems. Unternehmen müssen nun bestimmte Zahlungen tätigen, um an Geld zu gelangen (vgl. Luhmann 1984b: 308ff.). Dies setzt die Verfügung über eine wie auch immer geartete Leistung voraus, die dann entsprechend ihres Tauschwertes veräußert werden kann. Dem permanenten Wachstumsstreben kann entweder durch die Verlagerung von Marktanteilen zwischen den einzelnen Unternehmen (Nullsummenspiel) oder durch die Fruchtbarmachung neuer Märkte entsprochen werden. Letzteres ist sowohl durch Innovationen, durch geographische Reichweitenvergrößerungen wie auch durch eine Kommerzialisierung ehemals marktfreier Bereiche möglich, wie sie in immer mehr privaten Zusammenhängen, etwa den haushaltsnahen Dienstleistungen zu finden ist. Für die Bezugnahme auf das Internet sind hier vor allem zwei Merkmale des Wirtschaftssystems von Interesse: die Profitsteigerungslogik und die Frage nach dem Verhältnis von Materiellem und Immateriellem.
Das Internet bietet nun vor allem in räumlicher Hinsicht Potenziale, die Profitinteressen zu befriedigen. Seine Kommunikationsmedien tragen dazu bei, dass Geschäftshandlungen über die ganze Welt hinweg nahezu ohne zeitliche Verzögerungen geführt werden können. Der immer wichtigere Finanzmarkt zeigt eindrucksvoll die Rolle der technischen Kommunikation. Das mobile Internet ermöglicht zudem Kontakt zu Konsumentinnen und Konsumenten in verschiedensten Situationen. Der Alltag wird für Kommunikation im wirtschaftlichem Sinne geöffnet, indem beispielsweise jederzeit und an allen Orten gekauft oder auch für etwas geworben werden kann. Es steht mit dem Internet ein neuer Vertriebskanal bereit, der über die genannten Aspekte hinaus zudem kostengünstig ist. Der Innovationszwang der Wirtschaft findet im Veränderungspotenzial der Web-Kommunikation eine produktive Entsprechung. Virales Marketing, Kunden-Rezensionen oder Marken-Referenzen in sozialen Netzwerken lassen daran keinen Zweifel. Jenseits des reinen Verkaufsaspektes werden über das Internet zentrale Bestandteile der notwendigen Logistik umgesetzt; etwa im Rahmen des in Entwicklung befindlichen Internet der Dinge. Bedingt durch eine globalisierte Produktion und zunehmend diversifizierte Produkte besteht ein erhöhter Bedarf an Koordination. Das Web hält somit vielfältige Ressourcen zur Realisierung wirtschaftlicher Erfordernisse bereit, birgt für Unternehmen aber auch Risiken.
Beispielsweise werden immer wieder Unternehmensinterna öffentlich gemacht und unternehmens- oder produktkritische Informationen verbreitet. Ersteres wird begünstigt durch die Digitalität von Daten, die unproblematisch kopiert und verteilt werden können und äußert sich etwa in immer wieder auftauchenden Design-Skizzen neuer Automodelle, die eigentlich nur dem Patent- und Markenamt vorliegen sollten, oder geheimen Firmendokumenten, mit denen sich unter anderem WikiLeaks einen Namen machte. Diese unfreiwillige Transparenz läuft den Unternehmensinteressen in der Regel zuwider. Wirklich neu ist vor allem die Wirkungsmacht solcher ungewollten Informationen, da der Kreis der Sendenden im Vergleich zu klassischen Medien größer ist. Der zweite Risikofaktor knüpft hier unmittelbar an: So wie mit Hilfe des Internets Kundenbindung erzeugt werden kann, kann auch gegen bestimmte wirtschaftliche Organisationen mobilisiert werden. Web-Kampagnen sind zwar meist von kurzer Dauer, erreichen aber eine unglaubliche Dynamik und überschreiten, wiederum entsprechend den Web-Charakteristika, verschiedenen Grenzen. Zu spüren bekam dies beispielsweise das Unternehmen BP für seine Rolle im Zuge der Ölpest im Golf von Mexiko 2010. Damit wird deutlich, dass Wirtschaftsakteure nicht nur die umsatzsteigernden Facetten des Web im Auge haben sollten, sondern einer Medienkompetenz bedürfen, die schadhafte Entwicklungen verhindert. Aus diesem Grund beschäftigen viele Unternehmen inzwischen sogenannte Social Media-Managerinnen und -Manager.
Zwischen den Zielen des Wirtschaftssystems und den Potenzialen des Internets besteht also ein günstiges Passungsverhältnis. Geht man zudem von so etwas wie einer Kultur spezifischer Subsysteme aus, so bestünde diese für das Wirtschaftssystem gerade in Flexibilität, Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit sowie Innovationsdrang, was für eine Internetnutzung spricht. Somit wäre zu erwarten, dass Unternehmen aufgrund der Kostenvorteile in der Kommunikation und den verbesserten Vertriebsmöglichkeiten auf bestehenden wie auch neuen Märkten stark auf Internetkommunikation setzen. Gleichwohl müssen sie beachten, dass die Internetkommunikation über sie nicht zu negativ ausfällt. Bereits kleinere Nachlässigkeiten (wie schlecht übersetzte Gebrauchsanleitungen) können zu einem großen Imageverlust führen.
So knapp diese Einschätzung auch ist, lässt sie dennoch vermuten, dass ein zunehmend größerer Teil wirtschaftsrelevanter Kommunikation über das Internet realisiert wird, wodurch bestehende Macht- und Marktverhältnisse in Wanken geraten. Solche Veränderungen, im Sinne von Rückwirkungen der Internetkommunikation auf die Gesellschaft, lassen sich besonders gut am Einzelhandel beobachten. Seit Mitte der 1990er Jahre entstehen zunehmend mehr Online-Shops, die entweder das Angebot eines konventionellen Ladens im Internet verfügbar machen oder reine Online-Shops sind. Zudem finden sich an vielen Stellen Plattform-Modelle, auf denen verschiedene Händler verkaufen können. Für den klassischen Einzelhandel sind diese Internet-Shops in der Regel eine Bedrohung (Logik der Ersetzung), da sie in vielen Branchen zu einem Umsatzrückgang führen. Besonders für Buchläden ist die Mediatisierung des Kaufaktes problematisch, weil über das Internet zum einen nahezu alle Titel binnen 24 Stunden verfügbar sind und weil zum anderen die an Bedeutung gewinnenden eBooks fast ausnahmslos online vertrieben werden.
Dennoch lässt sich für andere Branchen das Gegenteil feststellen: Die Unmenge an online erworbenen Büchern und sonstigen Waren muss auch zu den Kundinnen und Kunden gelangen. Dies geschieht in der Regel mit Paketzustelldiensten. Diese Logistik- und Postunternehmen haben in den letzten Jahren einen veritablen Aufschwung erlebt und profitieren maßgeblich vom Internethandel. An diesem kleinen Beispiel wird deutlich, dass bestimmte »Offline-Branchen« profitieren, wohingegen andere unter Druck geraten. Dabei hat es den Anschein, als würden gerade nicht mediatisierbare, aber notwendige Leistungen begünstigt. Im übertragenen Sinn arbeiten die Paketdienste dem Internethandel wesentliche Teile der Distribution zu. Ähnlich wichtige Funktionen übernehmen die Internetprovider und -hardwarehersteller. Aber auch gänzlich neue Arbeitsfelder entstehen. Noch vor zehn Jahren gab es das Community Management nicht, heute ist es ein wichtiges Betätigungsfeld. Online-Redakteure, Internetpolizistinnen oder Online-Reputations-Managerinnen und -Manager, die unliebsame Bilder oder Texte aus dem Netz löschen, sind neue Berufsbilder, die erst mit dem Internet entstanden sind.
Politik bildet den zweiten Bereich, der hinsichtlich der Realisierungschancen seiner wesentlichen Ziele durch Internetkommunikation diskutiert werden soll. Aus einer funktionalstrukturalistischer Perspektive ist Politik vor allem durch die Funktion charakterisiert, kollektiv bindende Entscheidungen herzustellen und durchzusetzen. Dazu muss ein hohes Maß an Komplexität, besonders in Form von Konflikten, absorbiert und prozessiert werden können. Die Komplexität politischer Ansprüche entsteht dabei wesentlich in der Peripherie, während das Zentrum politischen Handelns (speziell die Regierung) verbindliche Entscheidungen trifft (vgl. Hellmann 2005: 15ff.). Das Mittel zur Durchsetzung von verbindlichen Entscheidungen besteht in legitimer Macht. Macht funktioniert vor allem, weil beide Seiten (Machtausübende und -unterworfene) die faktische Machtausübung vermeiden wollen. Diese negativen Sanktionen (in der Regel Konsequenzandrohungen) stellen nicht nur Gefahren für Delinquenten dar, sondern auch für politische Akteure. Denn eine verfehlte oder fehlgeschlagene (praktische) Sanktionierung kann schnell zur Delegitimierung des politischen Systems führen. Dementsprechend sollte Macht immer ein hohes Maß an Potentialität besitzen, jedoch möglichst wenig Aktualität (vgl. Luhmann 2002: 18ff.). Der Gegenstandsbereich der Politik besteht in jeder Kommunikation, die sich auf die Unterscheidung von Regierung und Opposition beziehen kann. Idealtypisch geschieht dies in fünf Funktionsbereichen, die die Binnendifferenzierung des politischen Systems angeben: das Publikum, die öffentliche Meinung, die politischen Parteien, das parlamentarische System und die politische Verwaltung. Die einzelnen Zuständigkeiten unterscheiden sich bei Luhmann nicht dramatisch von dem, was gemeinhin als Parlament oder Partei verstanden wird, weshalb hier auf eine Explikation verzichtet werden kann.
Löst man sich nun etwas von der abstrakten Betrachtung und fragt nach dem Zusammenhang zwischen Internetkommunikation und dem politischen System, dann kristallisieren sich zwei zentrale Aspekte heraus. Wie beim Wirtschaftssystem auch, ist zunächst die Realisierung der systemspezifischen Operation beziehungsweise des Mediums (Macht) von Bedeutung. Zweitens sind die Vor- und Nachteile semantischer Kommunikation zu erörtern, die über das Internet verwirklicht wird und auf Politik bezogen ist. Inwiefern verändert sich der Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Politik durch das neue Medium? Spielt das Web für die Bearbeitung von Themen sowohl in der internen wie auch in der nach außen gerichteten Kommunikation eine Rolle? Können Debatten und Entscheidungen des Parlamentes transparenter und die Umsetzung von Gesetzen durch die Verwaltung effektiver gestaltet werden? Für die oben genannten fünf Bereiche kann in vereinfachter Form so etwas wie ein idealtypischer Verlauf angenommen werden. Als erstes werden durch das Publikum relevante Themen auf die Agenda gesetzt, die dann durch Massenmedien und damit auch über das Internet katalysiert werden.
Beide Stufen werden durch Kommunikation im engeren Sinne umgesetzt. Wenn sich also beispielsweise Bürgerinitiativen formieren, Petitionen vorbereitet werden oder schlicht Missstände ans Licht gebracht werden sollen, liegt es nahe, möglichst viele verschiedene Medien zu nutzen. Das Internet ist dabei ein besonders geeignetes Medium, Gleichgesinnte zu erreichen und gemeinsame Aktionen zu koordinieren. Da es sich beim Internet um einen Komplex von Medien handelt, die zudem viele Funktionen und Eigenschaften klassischer Medien umfassen, liegt hier tendenziell eine gute Passung vor. Die ersten beiden Stufen sind aber eher im Vorfeld des »Kerngeschäfts«, der Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen, anzusiedeln. Welche Bedeutung kann also dem Internet für die Arbeit von Parteien zugeschrieben werden? Die Prozessierung von Inputs aus der Bevölkerung erfordert ein hohes Maß an Koordination und Abstimmung, wenn am Ende Anträge mit möglichst großen Erfolgschancen in parlamentarische Debatten eingebracht werden sollen. Der zukünftige Wahlerfolg von Parteien hängt auch davon ab, dem Publikum Entscheidungen zu plausibilisieren. Da sich Parteien immer im wettbewerbsorientierten Spannungsfeld zwischen Opposition und Regierung befinden, bedarf es bestimmter Strategien, um sich gegen die widerstrebenden Interessen anderer Parteien durchsetzen zu können. Der an sich wenig demokratische Fraktionszwang oder die professionalisierte Darstellung interner Diskussionen durch Pressesprecherinnen und -sprecher sind Beispiele hierfür.
Im Zuge neuer medialer Phänomene können solche bisher erfolgreichen Mechanismen aufbrechen. Das ist der Fall, wenn E-Mails sorglos weitergeleitet werden, unsichere Internetverbindungen genutzt oder »unglückliche« Twitter-Nachrichten versendet werden. Häufig wird die Dynamik unterschätzt, mit der sich Nachrichten im Netzwerk lawinenartig verbreiten. Fast naturgesetzlich entwickeln einmal vorhandene Informationen eine Eigendynamik, die für eine flächendeckende und unwiderrufliche Verbreitung sorgen. Das gilt auch für falsche, aber interessante Informationen. Dementsprechend ist zumindest für die (partei-) interne Kommunikation ein gewisse Zurückhaltung zu erwarten. Da politische Macht vor allem in ihrer Potenzialität wirken soll, bedarf es einer kommunikativen Vermittlung. Es müssen beispielsweise Sanktionen angedroht werden. Eine solche Kommunikation ist in der Regel hierarchisch strukturiert und geht meist mit der für Massenmedien typischen Rollentrennung einher. Dieses Gefüge wird nun im Rahmen der Internetkommunikation teilweise aufgebrochen und damit die Macht der politischen Akteure geschwächt. Vor allem auf Basis argumentativer Auseinandersetzungen werden Entscheidungen delegitimiert oder politische Programme kritisiert. Damit sinkt in der Regel die Unterstützung der Bevölkerung. Das internetbasierte Beteiligungsforum Campact, das gegenwärtig über 600.000 Mitglieder zählt, organisiert beispielsweise politischen Protest über das Web. Die Mitglieder sind vor allem Menschen, denen sonst die Zeit fehlt, zu Versammlungen oder Demonstrationen zu gehen. Diese »Politik to go« funktioniert. So wurde unter maßgeblichem Einfluss von Campact unter anderem eine Veröffentlichungspflicht der Nebeneinkünfte für Abgeordnete erreicht.
Die verbindlichen Entscheidungen, zumeist in Form von Gesetzen, werden im Parlament getroffen. Dem sind Debatten und Aussprachen vorausgegangen. Abgesehen von geheimen Wahlen besteht ein wichtiges Ziel der Parlamentsarbeit gerade im Herstellen einer Öffentlichkeit, denn Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein, damit sie akzeptiert werden. Die Folge ist, dass Debatten heute als Stream übertragen werden, Protokolle werden zum Download angeboten und Verfahren werden auf der jeweiligen Homepage erklärt. Wie oben angedeutet, ist das Ergebnis solcher Kommunikation zunächst offen und hängt von den Inhalten ab. Die strukturellen Eigenschaften des Kommunikationsmediums ermöglichen die (schnellere) Formierung einer kritischen Öffentlichkeit. Sogar Demonstrationen und Proteste werden inzwischen länderübergreifend ganz zentral durch das Internet organisiert. Damit bleibt für das politische System, trotz seiner zentral auf Kommunikation basierenden Verfasstheit, ein ambivalentes Verhältnis von Chancen und Risiken festzustellen.
Die möglichen Auswirkungen der Mediatisierung politischer Kommunikation sollen wieder anhand eines Beispiels umrissen werden. Klassischerweise entwickeln Bürgerinnen und Bürger ihr Präferenz für die nächste Wahl neben der Sozialisation und dem bisherigen Abstimmungsverhalten aus dem Auftreten der Kandidatinnen und Kandidaten, Fernsehduellen, Flugblättern, Informationsständen, Podiumsdiskussionen oder Wahlprogrammen. Vor allem Erstwählerinnen und -wähler gelten als beeinflussbar. Allerdings ist in den letzten Jahren eine neue »Entscheidungshilfe« in den Fokus gerückt. Sogenannte Wahl-O-Maten haben in verschiedenen Ländern und bei verschiedenen Wahlen ein große Nutzung erfahren. Zur Bundestagswahl 2009 wurde der Web-Dienst fast sieben Millionen mal genutzt. Wahl-O-Maten sind Programme, die über Homepages erreichbar sind und die helfen sollen, die eigene Präferenz zu ermitteln. Dazu müssen zunächst 30 Thesen bestätigt oder abgelehnt werden. Diese Thesen stammen aus den Wahlprogrammen der Parteien und sind entsprechend codiert. Aus den Antworten ermittelt die Software dann die Übereinstimmung mit den einzelnen Parteien.
Welche Auswirkungen hat die Verbreitung von solch interaktiven Wahlinformationen für die Politik? Zunächst ist augenscheinlich, dass die inhaltlichen Positionen in ihrem Einfluss auf die Wahlentscheidung etwa gegenüber dem Charisma von Politikerinnen und Politikern gestärkt werden. Zudem werden Wahlprogramme auf wenige einfache Ja-Nein-Thesen und die Komplexität der Koalitionsdemokratie wird auf Wunschvorstellungen und Absichtenkundungen reduziert. Für die Parteien bedeutet dies nun, dass ihre Wahlprogramme möglichst so formuliert sein sollten, dass sie mit Wahl-O-Mat gut abbildbar sind, will man durch das vornehmlich von jungen Menschen genutzte Angebot keine Stimmeinbußen erleiden. Zur Bundestagswahl 2013 verzichteten die Sozialdemokraten eigens auf das geplante Kurzwahlprogramm, stattdessen gab es ein ausführliches Programm, das zu allen Thesen eindeutige Positionen bereithält. Damit werden, zumindest in kleinem Rahmen, die Inhalte dem Medium angepasst. Legt man zugrunde, dass Wahl-O-Maten Einfluss auf die Wahlentscheidungen haben, ist darüber hinaus problematisch, dass der Wahlerfolg direkt von der Softwarekonfiguration abhängt. Die Operationalisierung der Parteiprogramme ist aufgrund deren Komplexität und Unterschiedlichkeit nicht einfach zu realisieren und führt zwangsläufig zu Ungereimtheiten. Noch ist nicht abzusehen, ob solche Online-Anwendungen einen grundlegenden Einfluss auf das politische Zeigeschehen haben. Allerdings gibt es neben dem genannten Dienst auch diverse Kampagnen-Seiten, Online-Petitionen oder abgeordnetenwatch.de, die in ihrer Summe zumindest dazu führen, dass Parteien als maßgebliche Akteure ihre Kommunikationsformen reformieren müssen.
Die grundlegende Aufgabe von allen Wissenschaften ist die »Produktion« und Bereitstellung von Wissen. Wissen kann dabei gemeinhin mit Wahrheit gleichgesetzt werden. Ermöglicht wird dies durch verschiedene Verifizierungsmechanismen, die es der Wissenschaft erlauben, bestimmtes Wissen aus einiger Distanz als wahr oder unwahr zu kategorisieren. Das Medium Wahrheit basiert immer auf einer Beobachtung zweiter Ordnung. Zum Beispiel muss die Entdeckung einer neuen Spezies mit Hilfe von Theorien und Methoden geprüft werden, um einen Irrtum auszuschließen. Theorien und Methoden werden allerdings auch ausgehandelt und sind damit wandelbar. Wahrheit ist also, im Unterschied zu Wahrnehmung, Kommunikation. Gleichermaßen kann in Kommunikation auch auf Wahrheit Bezug genommen werden, um bestimmte Forderungen zu untermauern (vgl. Luhmann 1992: 167ff.). So ist es leichter, jemanden von einer gesunden Lebensweise zu überzeugen, wenn wissenschaftliche Studien die Vorteile belegen können. Praktisch werden (temporäre) Wahrheiten an Forschungseinrichtungen wie Universitäten oder Instituten erarbeitet. Diese Organisationen unterscheiden sich in unzählige Disziplinen, die jeweils bestimmte Aspekte (Programme) durch den Lehrbetrieb reproduzieren, in vielfältige Richtungen forschen und die Ergebnisse primär durch Publikationen oder Vorträge vermitteln.
In Bezug auf das Internet muss für die Wissenschaft nicht zwingend zwischen dem Wahrheitsmedium und der klassischen symbolischen Kommunikation unterschieden werden, da Wissen nahezu ausschließlich sprachlich vermittelt wird. Insgesamt ist zwischen der Wissenschaft und dem Internet ein gutes Passungsverhältnis festzustellen. Da Wahrheit immer nur vorläufige Gültigkeit beanspruchen kann, ist es vorteilhaft, wenn Studien, Theorien und Untersuchungen verfügbar sind. So können die Erkenntnisse angewendet, überprüft und schließlich auch falsifiziert werden. Das Netz eignet sich hervorragend dazu, dezentrale Datenbanken, Online-Bibliotheken oder wissenschaftliche Diskussionsportale anzulegen. Die Digitalisierung des Bibliothekswesens und die damit verbundene Anbindung an das Internet stellt eine markante Zäsur dar. Aber auch die beteiligten Individuen stellen mit Hilfe verschiedener Kommunikationskanäle des Netzes Forschungsergebnisse bereit. Dafür gibt es einen handfesten Grund: Wissenschaftlicher Erfolg wird in Reputation gemessen, die ihrerseits von den Arbeitsergebnissen abhängt. Sie können aber nur rezipiert werden, wenn sie auch gefunden werden. Sowohl individuelle berufliche Ziele als auch das Gesamtziel der Wissenschaft können d mit Hilfe des Internets besser umgesetzt werden (vgl. auch Marcinkowski/Schrott 2004: 175ff.).
Neben der asynchronen Kommunikation wird aber auch der direkte Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen befördert. Bedeutsam ist dabei die Vielfalt an übertragbaren Informationen, die den einzelnen Wissenschaften zugute kommt. So können beispielsweise Roboter für Experimente von anderen Instituten (wo kein entsprechendes Labor zur Verfügung steht) aus ferngesteuert werden oder Interviews mit Testpersonen via Videotelefonie geführt werden. Auch der Austausch an sich ist leichter möglich, da die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Regel Kontaktinformationen im Internet bereithalten, wodurch nicht nur bereits bekannte Personen kontaktiert werden können. Durch Meta-Dienste, wie Netzwerke oder Suchmaschinen, sind auch unbekannte Personen leicht auffindbar. Damit entsteht zumindest tendenziell eine hierarchielose Kommunikationsmöglichkeit, da Statusunterschiede in der Web-Kommunikation an Bedeutung verlieren. Dem wissenschaftlichen Ziel der Wahrheitsfindung ist es natürlich zuträglich, wenn Sachaspekte in den Vordergrund rücken. Im Resultat zeigt sich, dass es wohl kein historischer Zufall war, dass das Internet aus dem Wissenschaftssystem entsprungen ist und in der ersten Zeit von seinen Erfindern und Erfinderinnen genutzt wurde.
Der Prozess der Mediatisierung hat unweigerlich Auswirkungen auf das Wissenschaftssystem, was sich unter anderem an der gegenwärtigen Diskussion zu Big Data zeigt. Bisher wurden die für die Forschung notwendigen Daten in der Regel in Experimenten, durch Befragungen oder Beobachtungen gewonnen. In einigen Fällen konnten aber auch ohnehin bestehende Daten ausgewertet werden, etwa die Auflistung von Eheschließungen in historischen Kirchenbüchern. Hieran schließt die Analyse von Big Data an. Die großen Datenmengen entstehen in Gesellschaften fortwährend und sind aufgrund der Digitalisierung der Technik jetzt unmittelbar zugänglich. So geben die verbauten Navigationssysteme Auskunft darüber, wo gerade Staus sind, Mobiltelefone können zur Erstellung von Bewegungsprofilen genutzt werden, Daten von Ärztinnen und Ärzten zeigen, wie sich Grippewellen ausbreiten, die Kumulation der Google-Suchanfragen gibt Hinweise darauf, welche Themen gerade gesellschaftlich interessant sind und die Auswertung von Profilen in sozialen Netzwerken bietet die Möglichkeit, die Mobilität der User zu untersuchen. Diese Liste ließe sich beliebig erweitern. Gegenwärtig ist noch unklar, wem solche Daten »gehören«, weshalb Unternehmen immer wieder in die Kritik geraten, den Datenschutz zu missachten.
Für die Wissenschaft kann die Verfügbarkeit solcher Daten mehrere Änderungen hervorrufen. So kann diese direkte Form der Datenerhebung belastbarere Ergebnisse erzeugen als die Simulation von Realität in Fragebögen oder Experimenten. Weiterhin wird eine nahezu echtzeitliche Forschung möglich und die Veränderungen im Zeitverlauf werden sichtbar, da entsprechend digitale Informationen schon vorliegen. Daraus folgt vor allem aber, dass sich in bestimmten Bereichen die Art der Wissensgenerierung ändern wird. Big Data umfasst riesige Volumen, die nur mittels (neuer) hochspezialisierter Hard- und Software und damit losgelöst vom Erfahrungswissen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verarbeitet werden können. Problematisch ist dabei, dass die neuen Daten aufgrund ihrer Komplexität und Größe fast naturgegeben Geltung beanspruchen, obwohl die Auswertungsverfahren keineswegs etabliert sind. Zudem fehlt es an theoretischen Wissen zu den in der Regel globalen Entwicklungen, weshalb etwa Kausalitäten nur unzureichend verifiziert werden können. An die Stelle von Kausalitäten treten dann bloße Korrelationen. Das Werkzeugrepertoire (und die ethischen Standards) der Wissenschaft müssen also aktualisiert werden, um mit einer neuen Art von Daten eine neue Qualität von Ergebnissen zu gewinnen.
Das Rechtssystem unterscheidet grundlegend zwischen Recht und Unrecht, wobei die entsprechenden Kriterien durch die zugehörigen Institutionen (beispielsweise durch Verfassungsgerichte) selbst verhandelt werden. Recht ist in dieser Hinsicht zuallererst förmliches Recht, das durch Gerichte realisiert wird. Ebenso spielt die Androhung von Sanktionen durch Agentinnen und Agenten, die mit Verhandlungsmacht ausgestattet sind (Anwältinnen und Anwälte etwa), eine wichtige Rolle. Anhand dieses symbolischen Instrumentariums kann festgelegt werden, ob bestimmte Kommunikationen oder Handlungen rechtskonform sind. Dabei wirkt Recht aber nicht nur einschränkend (im Sinn von Verboten), sondern auch ermöglichend, indem beispielsweise auf Basis des Privatrechts Gegenstände erworben werden können. Es gewährleistet damit eine gewisse Sicherheit, indem Erwartungen objektiviert werden. Die unumgängliche Grundlage dafür bildet aber Vertrauen, das durchaus dynamisch ist und vielleicht durch das Web beeinflusst wird. Vertrauen in die jeweiligen Institutionen und die Gültigkeit der Gesetze ist die Bedingung für alle Ebenen und Bereiche des Rechtssystems. Entsprechende Studien verweisen darauf, dass 40 Prozent der Deutschen sich »im Internet« unsicher fühlen und beispielsweise dem Datenschutz oder Finanztransaktionen nicht vertrauen (vgl. DIVSI 2012: online). Moralische Fragen sind für das Rechtssystem nicht von Interesse, da ein Diebstahl beispielsweise nicht durch eine »Robin-Hood«-Argumentation zu rechtfertigen ist. Die Funktion des Rechts besteht schließlich zusammenfassend in der Verhaltenssteuerung und in der Konfliktlösung (vgl. Luhmann 1995: 124ff.). Dass Konflikte durch Gesetze gelöst werden, zeigt die Verbundenheit (im Sinne einer strukturellen Kopplung) mit dem politischen System an.
Weiter oben wurde bereits gezeigt, dass die internetbezogene Rechtspraxis mit mehr Problemen behaftet ist als im Offline-Bereich, auch weil soziales Handelns via Internet nicht an nationale Grenzen gebunden ist. Wenn Gesetzesübertretungen im Rahmen von Internetkommunikation nur unzureichend sanktioniert werden können, sinkt sowohl das Vertrauen in die staatlich Organisationen als auch in Interaktionen an sich. Solchen Tendenzen sowie dem Anstieg der Kriminalität (vgl. Klopp 2009: online) wird entgegnet, indem gezielt Behörden (etwa das an das Bundeskriminalamt angegliederte Technische Servicezentrum Informations- und Kommunikationstechnologien) gegründet werden oder übernationale Kooperationen wie die »Budapester Konvention gegen Datennetzkriminalität« vereinbart werden. Die vielschichtige Dynamik des Internets bildet dabei eine bisher ungeahnte Herausforderung für das Rechtssystem. Diese partielle und wahrscheinlich auch temporäre Schwäche hat selbstverständlich einen negativen Einfluss auf das Ziel der Verhaltensnormierung: Wenn Raubkopien und Ähnliches nur unzureichend sanktioniert werden, werden sie von den Usern nicht als Straftaten wahrgenommen. Es bleibt also ein Defizit im Bereich der Verhaltensregelung festzustellen, das unter anderem durch neue »Agenten« des Rechtssystem behoben werden muss. Initiativen, wie Netzverweis.de34, versuchen zunehmend direkt via Internetkommunikation auf Verstöße und Ähnliches zu reagieren und damit eine Entsprechung im Online-Bereich zu schaffen. Das Internet stellt aus dieser Perspektive also in erster Linie eine Herausforderung für das Rechtssystem dar. Abgesehen von den Effizienzvorteilen der Daten- und Informationsübertragung, die wohl für alle Bereiche der Gesellschaft einen großen Gewinn bedeuten, sind für das Recht in seiner bisherigen Form auch andere Positiva festzuhalten.
Dabei handelt es sich um zwei Punkte: Einerseits sind heute wesentlich mehr Informationen verfügbar. Das rührt daher, dass Gesetzestexte, bestimmte Urteile (und deren Begründung) oder Erfahrungen Betroffener frei zugänglich sind. Tendenziell haben »Laien« durch die neue Qualität an Informationen die Möglichkeit, sich zu emanzipieren. Eine Ausweitung der Wissensbasis zugunsten der »Betroffenen«, ist der Realisierung von Recht durchaus förderlich. Andererseits stehen den Bürgerinnen und Bürgern heutzutage neue Interaktionsangebote zur Verfügung. So können nicht lediglich Informationen, die bisher vielleicht auch in Printform verfügbar waren, leichter gefunden werden, sondern es bestehen neue Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Kanzleien stellen beispielsweise kurze Erstberatungen (natürlich nicht uneigennützig) über das Internet zur Verfügung. Das kann in Foren, Chats oder per Videotelefonie geschehen. Auch Verbraucherschutzzentralen und andere Verbände ermöglichen die Kontaktaufnahme für Klientinnen und Klienten ohne große Barrieren. Durch die Raumüberwindung wird der Zugang zu spezialisierten Anwältinnen oder Anwälten einfacher. In weniger dringenden Fälle erleichtern zum Beispiel die Online-Anzeige im Rahmen des E-Government beiden »Seiten« die Arbeit und gestaltet damit das Gesamtsystem leistungsfähiger. Das Internet kann die Voraussetzungen für Konfliktlösungen und Verhaltensregelungen durch das Recht, wenn auch in kleinem Maßstab verbessern.
Der Zusammenhang von Recht und Internet ist also vor allem im Hinblick auf die scheinbare nicht Sanktionierbarkeit bestimmter (digitaler) Straftaten interessant. Dementsprechend soll auf die Auswirkungen der mediatisierten Kommunikation anhand einiger Ausführungen zum sogenannten Darknet darauf Bezug genommen werden. Das Darknet besteht aus verschiedenen Peer-to-Peer-Netzwerken des Internets, die nur äußerst schwer zu identifizieren sind. Diese stellen gewissermaßen das Gegenteil des WWW dar, das über Suchmaschinen inzwischen recht gut zu erkunden ist. Der Zugang zum Darknet ist in der Regel an Einladungen oder sonstige nicht offizielle Zugänge gebunden. Mit Hilfe eines Tor-Netzwerkes ist es überdies sehr einfach möglich, einen hohen Grad an Anonymität zu erreichen. Die Daten werden über verschiedene Server so verschlüsselt übertragen, dass die User nur mit größtem Aufwand identifiziert werden können. Bisher ist das kaum gelungen. Im Darknet finden sich neben Filesharing-Diensten auch andere Medien des Internets wie Wikis (das Hidden Wiki etwa) oder wie Marktplätze (beispielsweise Silk Road). Allerdings bestehen solche Anwendung in nicht unerheblichem Maße aus Kommunikationen, die illegal sind. So finden sich große Angebote kinderpornographischer Bilder oder es werden Drogen, Waffen, Schwarzgeld und Ähnliches verkauft.
Internettechnologien können also dazu genutzt werden, sich dem Rechtssystem zu entziehen. Der Cyberkriminalität des Darknet wird auch perspektivisch nicht beizukommen zu sein, da die entsprechenden Ermittlungsorgane den aktuellen Entwicklungen immer hinterherlaufen. Es gibt dementsprechend keinen direkten Zugang auf derart mediatisierte Kommunikation. Das hat zur Folge, dass sich auf Voraussetzungen und Auswirkungen einer solchen Kommunikation konzentriert werden muss, während der eigentlich Akt unsichtbar bleibt. Dies kann einerseits ein auffälliger Daten-Traffic sein oder es können auch Abbuchungen mit gefälschten Kreditkarten sein, die über das Darknet maßkonfiguriert bestellt werden können. Gesetzesänderungen, die anonymes Surfen verhindern sollen (wie der neu eingeführte Personalausweis mit Internetfunktion), sind bisher hochgradig erfolglos und bringen neue rechtliche Probleme, etwa des Datenschutzes, mit sich.
Im Folgenden soll ein Bereich der Gesellschaft betrachtet werden, der bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist. Es handelt sich dabei um das Erziehungssystem. In Anlehnung an einige Gedanken, die Luhmann (vgl. 2002b: 13ff.) pointiert, wenn auch insgesamt an nicht wenigen Stellen fragmentarisch und zumeist provokant formuliert hat, soll der Zusammenhang zwischen dem Erziehungssystem und dem Internet betrachtet werden (vgl. von Saldern 2005: 155ff.). Erziehung ist zunächst von Sozialisation zu unterscheiden, da sie absichtsvoll geschieht. Damit geht in der Regel ein Hierarchiegefüge sowie eine teleologische Anlage einher. Idealtypisch geschieht dies bei Kindern in Form von Kindertagesstätten und Schulen. Familien und Universitäten sind ebenfalls Orte der Erziehung. Im Detail wird die Erziehung in Interaktionssystemen, speziell dem Unterricht realisiert. Eine Schulklasse stellt dabei ein Interaktionssystem unter Anwesenden dar, das durch die Gleichzeitigkeit von Beobachten und Verhalten gekennzeichnet ist. Für das Web hingegen ist die räumliche Abwesenheit charakteristisch. Worin genau der »Erziehungserfolg« besteht, ist kulturell und historisch sehr verschieden. Grundlegend geht es aber immer um die Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne der Ausbildung des Charakters und angemessener Verhaltensweisen. Die Vermittlung von Wissen und Können soll einen gesellschaftlich aussichtsreichen Lebenslauf ermöglichen.
Der Erfolg von Erziehung besteht für die Gesellschaft in einem Zugewinn an Komplexität. Indem Wissen und Werte an Heranwachsende vermittelt werden, wird Intransparenz und Ungewissheit vermindert. Das moderne Bildungssystem versucht sich vom bisher prägenden Einfluss der Herkunft zu lösen und durch Chancengleichheit Karrieren zu ermöglichen, die zudem eine möglichst gute Passung zur funktional differenzierten Gesellschaft aufweisen. Das Erziehungssystem greift dabei auf Erkenntnisse der Wissenschaft als Ressource zurück und etabliert selbst bürokratische Strukturen. Individuelle Leistungen werden als Zensuren objektiviert und diese sind zahlenförmig fixiert über die Zeit hinweg verfügbar. Über die Unterscheidung zwischen bestanden und nicht bestanden und über die feineren Abstufung zwischen guten und schlechten Noten werden dann biographische Möglichkeiten eröffnet oder geschlossen.
In Zusammenhang mit dem Internet müssen nun die beiden wesentlichen Elemente der Erziehung, die Vermittlung von Wissen sowie die Interaktion im Unterricht, auf ihre Online-Kompatibilität hin überprüft werden. Wenngleich beide in der Realität bisher nahezu ausschließlich miteinander einhergehen, ist eine analytische Trennung sinnvoll, da das Internet eine Entkopplung bewirken könnte. Erziehung durch Wissensvermittlung meint beispielsweise, dass auf Grundlage differenzierter Informationen zum Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit ein geringerer Zuckerkonsum erreicht wird. Entsprechend den vorangegangen Betrachtungen bietet das Web hier eine Vielzahl an Informationen, Meinungen und Materialien, die in dieser Hinsicht förderlich sein sollten. Im Unterschied zum Bildungswesen unterliegen diese aber keinem Kanon und gehen in positiver wie auch negativer Hinsicht über Lehrpläne oder Studienordnungen hinaus. Gleichwohl kann über entsprechende Plattformen auch gezielt Wissen bereitgestellt werden. Dies passiert etwa im Rahmen eines Fernstudiums, was aber nur bis zu einem bestimmten Grad funktioniert. Die Notenvergabe (durch Klausuren oder Prüfungen) erfordert selbstverständlich persönliche Anwesenheit. Zudem liegen die Abbruchquoten an Fernuniversitäten um ein Vielfaches über denen klassischer Bildungseinrichtungen. Dabei sind sicher Selektionseffekte im Spiel, aber auch die fehlende soziale Integration hat negativen Einfluss auf die Abbruchquote. Das Prinzip des E-Learnings kann hingegen aufgrund der Multimedialität durchaus effektiver sein als klassische Klassenraummodelle. Einzelne Schulen streben überdies den Einsatz neuer Medien im Unterricht bereits an. So werden spezielle Lern-Apps, soziale Netzwerke, Wikis oder auch Microblogging-Dienste genutzt. Unter günstigen Bedingungen kann über das Internet besser Wissen vermittelt werden, wohingegen die Interaktion problembehaftet bleibt. Darüber hinaus gibt es so etwas wie ein Social Learning (vgl. Eigner/Nausner 2003: 52ff.). Hierbei werden beispielsweise die Texte des Netzes immer wieder gelesen und geändert, was User in ihrem Lernen prägen soll.
Erziehung wirkt aufgrund der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Das Wissen um die Tatsache, ständig unter Beobachtung zu stehen und Kommunikation nicht ausweichen zu können, erzeugt Aufmerksamkeit und wird durch besondere Regeln (etwa Melden durch Handzeichen) gestützt. Dabei werden Normen und Verhaltensweisen praktisch vermittelt, die theoretisch nur ungenügend verinnerlicht werden können. Nichtsdestotrotz finden sich verschiedene Online-Entsprechungen solcher Interaktionen. Beim sogenannten moderierten Web based Training werden Lerneinheiten im Internet bereitgestellt und Dozentinnen oder Dozenten können per Chat oder E-Mail kontaktiert werden. Mit Hilfe von Videokonferenzen oder gar durch Avatare in virtuellen Welten können zudem Vorträge gehalten werden, bei denen auch Zwischenfragen und Ähnliches möglich sind.
Denkbar sind damit Lehrformen, die räumliche Distanz überwinden. Bei entsprechender IT-Infrastruktur könnten so in weniger dicht besiedelten Gegenden trotzdem vielfältige Bildungsangebote realisiert werden. Allerdings gibt es gerade auf diesem Feld bedeutsame Unterschiede zwischen Face-to-Face-Kommunikation und medienvermitteltem Austausch. Abgesehen von ohnehin »körperlichen« Fächern wie Sport, Musik oder Kunst ist eine Gruppendynamik und eine über optische und akustische Reize hinausgehende Kommunikation unwahrscheinlich beziehungsweise unmöglich. Kontroll- sowie Zwangselemente werden in Freiheiten der zu Erziehenden transformiert, wenn die Anwesenheit, die Zusammensetzung der Gruppe oder auch nur die Lautstärkenvarianz des Sprechens variabel werden. So ist es auch wenig verwunderlich, dass Internate und Hauslehrerinnen sowie -lehrer noch nicht von Online-Schulen abgelöst wurden. Je stärker also der Erziehungsaspekt den Wissensaspekt dominiert, desto unwahrscheinlicher wird die Nutzung des Web. In der Erwachsenenbildung wird das Internet dementsprechend am häufigsten vorzufinden.
Die Art und Weise, wie wir lernen wird aber durch die Internetkommunikation noch auf eine ganze andere Art verändert, nämlich durch den Einsatz von Apps auf mobilen Endgeräten. Unterschiedliche historische Phasen des Unterrichts sind immer auch durch eine verschiedenartige Hardware geprägt. So ist eine Entwicklung von Schiefertafeln, zu Heften und Büchern, Projektoren und Whiteboards, Rechnern und Beamern bis hin zu mobilen Internetendgeräten festzustellen. Letztere kommen gerade massiv in Bildungseinrichtungen an. So gibt es bereits Klassen, Seminare und ganze Jahrgänge, die mit Smartphones und vor allem mit Tablet PCs arbeiten. Auf diesen Tablets werden im Grunde sämtliche Funktionen der oben genannten Hardware durch Apps technisch integriert oder simuliert: Man kann auf ihnen zeichnen und schreiben, rechnen und Musik machen, Bücher lesen und dazu noch recherchieren, interagieren und kommunizieren. Die Geräte und Apps sind in aller Regel online oder zumindest über lokale Netzwerke miteinander verbunden.
Der Einsatz solcher Geräte hat großen Einfluss auf die Interaktion im Klassen- oder Seminarraum. Die grundlegenden Merkmale der Internetkommunikation finden sich fast unverändert wieder. Damit einhergehen neue Konzeptionen von Unterricht; der bisherige Frontal- und Gruppenunterricht weicht dabei der Online-Kollaboration. So können Vokabeln beispielsweise in spielerischen Apps gelernt werden. Lehrerin oder der Lehrer sieht jeweils den Fortschritt einzelner Schülerinnen und Schüler, die sich untereinander helfen können, den Kontakt zu Muttersprachlerinnen und -sprachlern aufnehmen können oder Audio-Files mit den korrekten Aussprachen anhören können. Wenn die Lehrenden dann nachmittags noch einen hilfreichen Text finden, können sie ihn per Mail verschicken oder im Video-Chat ganz individuell bei den Hausaufgaben helfen. Damit wird Schule und Erziehung insgesamt aus den gewohnten raumzeitlichen Rahmenbedingungen entgrenzt und passt vielleicht besser zu den Lebens- und Lernrhythmen der beteiligten Menschen. Dies setzt eine hohe Medienkompetenz der Lehrenden und ein neues Verständnis von Unterricht voraus. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass Lernen mit Apps für die Kinder und Jugendlichen viele positive Effekte hat.
Für das System der Intimbeziehungen ist es kompliziert, soziologisch fundierte Merkmale mit Bezug auf Liebe und Sexualität abzuleiten. Das Verhältnis zwischen ihnen hat sich zudem historisch grundlegend verändert. Liebe und Sexualität entkoppeln sich, während Sexualität in Intimbeziehungen anscheinend wichtiger wird. Darüber hinaus wandelt sich auch die Bedeutung zugehöriger Institutionen, wie sich am Beispiel der Ehe zeigen lässt. Liebe ist noch immer die Grundlage für Paarbeziehungen und Intimität, wenngleich sie zunehmend an Relevanz verliert. Liebe bleibt jedoch weiterhin frei von äußeren Zwängen. So spielen Familiendynastien oder wirtschaftliche Erwägungen eigentlich keine Rolle mehr für Liebesbeziehungen. In modernen Gesellschaften, die in vielerlei Hinsicht individualisiert sind, ist es schwierig, auch nur die Vorstellung einer Intimbeziehung zum Ausdruck zu bringen. Liebe und Sexualität ist für das Internet auch deshalb ein wichtiges Thema, weil in Chats, Foren oder Netzwerken »ungezwungen« über Probleme, Bedürfnisse oder Fragen geschrieben werden kann. Das Verständnis von Liebe ist dabei weitestgehend sozialisiert oder erzogen. Während romantische Ideale sich als zum Scheitern verurteilte Projekte herausgestellt haben, sind Lebensabschnittsgemeinschaften anscheinend eine adäquate Problemlösung. Die mediale Darstellung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Sie legitimiert innovative Modelle (etwa offen gelebte homosexuelle Partnerschaften) und vermittelt Liebe als ein gesellschaftliches Schema (vgl. Luhmann 1994: 21ff.).
Im Unterschied zu den übrigen Subsystemen spielen Organisationen für die Imtimbeziehungen keine große Rolle, da die Interaktion zwischen Individuen im Zentrum steht. Die gesellschaftliche Funktion der Intimbeziehungen liegt in der Reproduktion von Personen, aber auch in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Organisationen, wie Heiratsvermittlungen oder ehetherapeutische Praxen, müssen primär ergänzende Funktionen zugesprochen werden. Liebe und Passion stehen zudem in Gegensatz zur Vernunft, wodurch subjektive Dispositionen maßgeblich werden (vgl. Runkel 2005: 129f.). Intimbeziehungen beinhalten in den meisten Fällen eine körperliche Komponente, die sich in Zärtlichkeiten oder Sexualität äußern kann. Aufgrund der Immaterialität kann dies nicht internetvermittelt geschehen. Nichtsprachliche Kommunikation kann nur teilweise, Berührungen können gar nicht übermittelt werden, die Körperlichkeit droht zu Verschwinden.
Der Weg zu einer Paarbeziehung allerdings ist nicht an körperlichen Austausch gebunden. Die als schwierig angesehene Frage der Initiierung intimer Kommunikation in der Öffentlichkeit, die unweigerlich die Grundlage einer Beziehung bildet, kann durch Internetkommunikation entlastet werden. In Online-Partnerbörsen kann der Grad der Öffentlichkeit selbst gesteuert werden. Hier ist es möglich, sich als suchend auszugeben und dabei entweder private oder teilöffentliche Kommunikationskanäle zu nutzen, ohne das Gegenüber kennen zu müssen. So fällt vielmals die »Ansprache« deutlich leichter als in Offline-Kontexten. Gleichermaßen ist sie unverbindlicher und seltener von Emotionen begleitet. Gestützt durch automatisierte Matching-Prozesse werden »passende« Personen einander empfohlen. Damit entsteht ein erleichterter Zugang zu bestimmten Personengruppen, alles Weiterführende hingegen ändert sich nicht sonderlich. Es gibt aber auch noch andere Aspekte von Intimbeziehungen, zu denen das Internet Bezug hat. Werden Schemata, wie eine Beziehung auszusehen hat, über Medien vermittelt, kann dies auch durch das Web geschehen. Während klassische Massenmedien über einen stillen Konsens in Bezug auf vermittelte Modelle verfügen, bietet das Internet Platz für Nischen (vgl. Runkel 2005: 144). Diese können sowohl fundamentalistisch als auch liberal besetzt werden. Bedeutsam ist jedenfalls, dass es die Vielfalt fördert, wobei über reale Auswirkungen hier nur spekuliert werden kann.
Die Entkopplung von Liebe und Sexualität findet zudem eine fruchtbare Online-Entsprechung, da verschiedene Social Networks darauf spezialisiert sind, Sexualkontakte zu vermitteln. Während die Entkopplung der beiden Phänomene in der »käuflichen Liebe« ihre vorläufige Perfektion gefunden hat, wird Liebe und Sexualität zunehmend auch jenseits professioneller Arrangements getrennt. Gegenwärtig scheint ein solches Unterfangen nicht mehrheitsfähig zu sein, weshalb die gefühlte Anonymität (neben den Netzwerkeffekten) das Internet attraktiv macht. Die Verbreitung von legaler und illegaler Pornographie im WWW passt insofern zu dieser Annahme, als ursprünglich sehr intime Handlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und auch umfassend rezipiert werden. Die Schnittstelle zwischen Internet und Liebe zeigt, dass die Funktion der Partnerwahl nur sehr eingeschränkt von Online-Kommunikation profitiert. Vielmehr sorgt die Nutzung der Medien in diesem Sinne für Irritationen und befördert neue Entwicklungen. Dass für Intimbeziehungen Organisationen eine untergeordnete Rolle spielen und eine geringe Schnittmenge mit Internetanwendungen besteht, ist kein Zufall. Das Funktionssystem der Intimbeziehungen befindet sich trotz des angebbaren Codes und der gesellschaftlichen Funktion außerhalb der Reihe, da es zum einen die Reproduktion der Menschheit regelt und zum anderen ganz zentral auf Körperlichkeit rekurriert.
Trotz dessen gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Internet und Sexualität, wobei Pornographie hierbei im Mittelpunkt zu stehen scheint. Mit den zahlreichen Plattformenmodellen, die länderübergreifend zu den am stärksten besuchten Homepages gehören, werden pornographische Inhalte jeder Art unkompliziert, kostenfrei und in unglaublicher Menge konsumierbar. Und dies hat anscheinend Einfluss auf die tatsächliche, körperliche Sexualität der Video- und Bilderkonsumenten. In Anlehnung an das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom wird für übermäßigen Pornokonsum zunehmend die sogenannte Sexual Attention Deficit Disorder diagnostiziert. Dahinter steht die These des Sexualtherapeuten Ian Kerner, dass im Speziellen Männer aufgrund der intensiven und extravaganten Bildreize in ihrer sexuellen Erregbarkeit abstumpfen und als Folge daraus Probleme bei körperlichem Geschlechtsverkehr bekommen. Unabhängig von der bisher noch fehlenden wissenschaftlichen Untermauerung der These ist plausibel, dass mediatisierte Kommunikation nicht nur kognitive, sondern auch emotionale und körperliche Effekte hat.
Ein weiteres Funktionssystem, das die Lösung eines gesellschaftlichen Problems zur Aufgabe hat, ist das Gesundheitswesen. Es ist auf den Körper und die Psyche von Menschen bezogen und unterscheidet dafür zwischen krank und gesund. Das Ziel besteht in der Vermeidung von Krankheit, weshalb sich jede Kommunikation mit der Frage, ob sie der Genesung zuträglich ist, legitimieren lässt. Gesundheit hingegen ist ein Zustand, bei dem nichts zu tun ist. Im Laufe der Zeit greifen gesellschaftliche Konstruktionen immer stärker in Körperprozesse ein, sei es durch Schönheitsideale oder Operationen. Praktisch umgesetzt werden Therapien, Operationen oder Heilung in Arztpraxen, Rehabilitationszentren oder Krankenhäusern, wobei diese nicht nur dem Gesundsheitssystem zuzuordnen sind, sondern als Privatkliniken auch eine verstärkt wirtschaftliche Rolle spielen können (vgl. Schmidt 2005: 410ff.). Das Gesundheitssystem ist im Besonderen auf nichtkommunikative Aspekte angewiesen, da Körperlichkeit eine wichtige Rolle spielt. Dementsprechend sind die Schnittmengen zum Internet per se als eher gering einzuschätzen.
Gleichwohl sind in den letzten Jahren immaterielle Elemente für das Gesundheitssystem immer wichtiger geworden: Wie in anderen Bereichen auch ist zunächst der effiziente Informationsaustausch von Vorteil. Indem beispielsweise Fachärzte besonders spezialisierte Kolleginnen und Kollegen jenseits von Überweisungen oder Anrufen kontaktieren können, besteht die Chance auf präzisere Diagnosen oder andere Therapieansätze. Patientinnen und Patienten finden im Internet viele Informationen zu den angebotenen Leistungen. Darüber hinaus wird in einzelnen Bereichen begonnen, zunächst regionale Datenbanken aufzubauen. Damit können beispielsweise für chronische Erkrankungen alle beteiligten Akteure die üblichen Behandlungsweisen und die damit verbundenen Erfolgschancen einsehen. Die Verläufe lassen sich vergleichen. In Hessen sind bereits virtuelle Räume eingerichtet, in denen sich behandelnde Ärztinnen und Ärzte via Chat über die einzelnen Behandlungsschritte abstimmen können. Mit der Umstellung von Krankenakten auf Softwarelösungen können in beliebigem Maßstab Datenbanken eingerichtet und gepflegt werden, deren Erkenntnisgewinn jenseits klassischer Studien dem Heilungserfolg insgesamt zuträglich ist.
Für das Gesundheitssystem sind noch zwei weitere Faktoren von Bedeutung. Zum einen ist die Zunahme psychischer Erkrankungen zu Teilen unabhängig von körperlicher Anwesenheit therapierbar, zum anderen gilt dies auch für die Sensibilisierung, um Krankheiten vorbeugen zu können. Ein Trend der westlichen Welt ist vor allem, die Gesundheit zu erhalten, indem man aktiv und bewusst versucht, Krankheiten zu vermeiden. Prophylaxe erfordert aber in der Regel Instruktionen durch fachkundige Personen. Das Internet kann in diesem Sinne als potente Kommunikationstechnologie unabhängig von Raum und Zeit wichtige Informationen bereitstellen. Allerdings müssen Modi entwickelt werden, die Informationen zu verifizieren. Telepsychatrie hingegen wird vorrangig da eingesetzt, wo zu wenig Fachpersonal verfügbar ist oder eine besonders zeitnahe Behandlung erforderlich ist. Nicht alle para- und nonsprachlichen Kommunikationselemente können dabei, wie erwähnt, übermittelt werden, aber die Video- und Audioübertragung ist wesentlich leistungsfähiger als bisher genutzte Telefondienste. Davon unabhängig sind auch Anwendungen vorzufinden, die in direktem Zusammenhang mit physischen Erkrankungen stehen. So sind alle Verfahren, die mit digitaler Technik arbeiten, grundsätzlich über das Internet von entfernten Orten ausführbar. Eine solche Telemedizin kann dabei chirurgische Eingriffe, aber auch Radiologie oder Diagnostik umfassen. Damit zeigt sich, dass Handlungen innerhalb des Gesundheitssystems dann über das Web realisiert werden können, wenn sie entweder in Kommunikation bestehen oder aufgrund der Nutzung technischer Artefakte digitalisierbar sind. Das trifft eher auf die Minderheit zu, womit das »Kerngeschäft« des Gesundheitswesen weiterhin in analoger Weise vonstatten gehen wird, auch wenn eine Tendenz zugunsten mediatisierter Kommunikation nicht von der Hand zu weisen ist.
Das Gesundheitssystem wird durch mediatisierte Kommunikation trotzdem herausgefordert. Auch weil es inzwischen virtuelle Arztpraxen gibt, die rezeptpflichtige Medikamente verschreiben. In Deutschland hat vor allem der Netz-Arzt-Dienst DrEd.com für Diskussionen gesorgt. Internet-User mit gesundheitlichen Problemen nehmen hierbei an einer virtuellen Sprechstunde teil, die im wesentlich aus einem Fragebogen besteht. Daraufhin bekommen sie einen Therapievorschlag, der bei Akzeptanz dazu führt, dass die vorgeschlagene Medikation über eine Online-Apotheke zur Patientin oder zum Patienten geliefert wird. Da eine solche Ferndiagnose in Deutschland nicht zulässig ist, sitzt die Praxis in London. Ohne den direkten Kontakt und ohne die körperliche Untersuchung kann es zu erheblichen Fehldiagnosen kommen, so die Kritik.
Positiv wird hingegen hervorgehoben, dass aufgrund der unpersönlichen Situation Erkrankungen behandelt werden, die aus Scham der Betroffenen bisher gar nicht zur Sprache kamen. Mit diesem Modell geraten klassische Behandlungswege unter Druck. Lange Wartezeiten und eine unfreundliche oder zumindest unzufriedenstellende Behandlung kann dazu führen, dass sukzessiv immer mehr Kranke den unkomplizierten Weg der Online-Praxis wählen. Dieser Weg ist nun aber dadurch gekennzeichnet, dass routinierte Patientinnen und Patienten im Grunde eine Eigendiagnose in den Fragebogen einfließen lassen und die Medikamente erhalten, die sie gern hätten. Damit wird die Erfahrung und die umfangreiche Ausbildung von Ärzten und Ärztinnen schlicht umgangen. Noch sind aufgrund der Neuartigkeit keine negativen gesellschaftlichen Folgen bekannt. Klassische Praxen müssen aber dringend abwägen, ob die Anamnese und eine Einschätzung der Gefährlichkeit nicht unter den Bedingungen der Internetkommunikation durchgeführt werden kann und danach eine Face-to-Face-Untersuchung erfolgt. Zumindest müssen niedergelassene Ärzte und Ärztinnen auf entsprechend Bedarfe in einer angemessenen Weise reagieren.
Für den Bereich der Massenmedien genügt eine kurze Darstellung, da bereits in Kapitel 3.4 Verbreitungs- und Massenmedien auf das Internet bezogen wurden. Massenmedien stellen Informationen bereit, die Innovationswert besitzen sollten. Ihre gesellschaftliche Funktion besteht darin, Realität zu konstruieren (vgl. Berghaus 2005: 195ff.). In Bezug auf diesen Aspekt sind digitale Medien sehr leistungsfähig. Darüber hinaus wurde bereits an mehreren Stellen deutlich, dass zentrale Funktionselemente durch die Internetnutzung optimiert werden können. Das gilt insbesondere für elektronische Medien, wie etwa Rundfunk und Fernsehen, aber auch für stärker physisch gebundene Medien. So müssen Zeitungen weiterhin gedruckt werden, aber alle vorgängigen Prozesse laufen in digitaler Form zumeist über das Internet ab. Anhand von Zeitungen ist zudem ersichtlich, dass diese nicht mehr nur als Printversion, sondern auch digital angeboten werden. Ein solcher Crossmedia-Trend zeigt sich beispielsweise ebenfalls in Form von E-Books. Generell bietet die aus der Hybridförmigkeit des Internets abgeleitete Plattformfunktionalität beste Bedingungen für eine Nutzung durch Akteure aus dem Bereich der Massenmedien. Das Internet selbst ist bis hierhin als Plattform für Medien umschrieben wurden, weshalb eine gute Passung zwischen Massenmedien und Internet wenig überraschend ist. Gleichwohl kann das Internet nicht auf die massenmediale Wirkung reduziert werden.
Die Digitalisierung in der Produktion, aber inzwischen auch Distribution und Konsumtion von Massenmedien hat Folgen für selbige. Wie sich am Beispiel von Google Books ablesen lässt sind das zunächst rechtliche Konsequenzen. Google Books scannte bereits mehrere Millionen von papierenen Büchern, die dann in Auszügen über das Web verfügbar sind. Da es sich nicht ausschließlich um urheberrechtsfreie Bücher handelt, gab es eine große Diskussion, ob Google hier nicht die Rechte Dritter verletzt. Inzwischen wurde mit den meisten Verlagen und Autorinnen beziehungsweise Autoren eine Einigung erzielt. Interessant ist aber vor allem, dass die Nutzung von Google Books den Umgang mit geschriebenen Texten grundlegend zu ändern scheint. Suchkataloge von Universitäten, Klappen- und Verlagstexte, Inhaltsverzeichnisse und Verlagsreputationen verlieren ihren Einfluss zugunsten von Volltextsuchen, bestimmten Vorschlagsalgorithmen, Aspekten der Selektion oder Recommendation-Engines. Es zeichnet sich ein System der Massenmedien ab, in dem beispielsweise die Rezeption von Büchern stark davon abhängt, ob und wie einfach sie auf entsprechenden Plattformen gefunden werden. Die Ergebnisse für Suchanfragen sind aber im Unterschied zu klassischen Katalogen von den jeweiligen Prämissen der Anbieter beeinflusst. Sucht man also ein Fachbuch zum Thema »Internet und Gesellschaft« werden nur die Bücher angezeigt, die tatsächlich digitalisiert sind und eventuell nur diejenigen, die gewisse Schlagworte enthalten und bereits häufig gelesen und positiv bewertet wurden. Dieses Vorgehen ist an vielen Stellen sicher hocheffizient, kann aber gerade bei Büchern zu einer Homogenisierung führen, deren Opfer irgendwie randständige oder alternative Arbeiten sind. Dabei besteht eine Stärke der Internetkommunikation eigentlich gerade darin, ausreichend Platz für Nischenthemen oder -produkte zu bieten. Die Aufmerksamkeitsströme allerdings scheinen wenig differenziert. Werden E-Books mit entsprechenden Readern und Tablets gelesen, ist zudem genau nachvollziehbar, auf welchen Seiten Lesezeichen gesetzt wurden, welche Kapitel überblättert wurden und welche Abschnitte besonders intensiv oder mehrfach gelesen wurden. Diese neuartigen Daten werden ganz selbstverständlich in Neuauflagen und auch in gänzlich neue Bücher einfließen.
Das Funktionssystem Sport ist aus seiner Tradition heraus viel stärker an körperliche Aktivitäten gebunden als es die Massenmedien sind. Handlungen sind dem Sport zuordenbar, wenn sie nach Sieg und Niederlage unterschieden werden können, wenngleich jenseits des Leistungssports die Dichotomie von Leisten und Nicht-Leisten (vgl. Stichweh 1990: 386) gehaltvoller erscheint. Die Bedeutung von Sieg und Niederlage ist also zwischen Fun-, Breiten- oder Leistungssport sehr unterschiedlich. Außerdem gibt es deutliche Unterschiede im Ausmaß des körperlichen Einsatzes, vergleicht man etwa Rugby, Tischtennis und Schach. Der gemeinsame Bezugspunkt bleibt der Wettbewerb, sei es gegen andere Mannschaften oder mit Bezug auf eigene Leistungen und Rekorde. Klassische Sportarten finden in der Regel zentralisiert statt. Theoretisch könnte eine Weltmeisterschaft im Turnen bei entsprechender Organisation und Techniknutzung auch in den Trainingshallen der Qualifizierten stattfinden. Dann entstünde allerdings keine direkte Wettkampfsituation und die für alle Sportarten bedeutsame passive Teilnahme in Form des Zuschauens würde geschwächt. Bei vielen Sportarten wird das Publikum allerdings zunehmend durch Massenmedien erreicht. Hier knüpft die Bedeutung des Internets an die obigen Ausführungen an, was immer auch mit Sponsoren- und Werbegeldern zu tun hat. Wenn jedes Subsystem Antworten auf ein gesellschaftliches Problem parat hält und damit seine Ausdifferenzierung rechtfertigt, welche Aufgabe kommt dann dem Sport zu? Die Funktion des Sports besteht in der Projektion von Leistungserwartungen aus anderen gesellschaftlichen Feldern. Aus dem Erziehungs- und Politiksystem werden beispielsweise Regelkonformität oder Leistungswille, aus dem Bereich des Militärwesens Durchhaltevermögen und Disziplin projiziert (vgl. Schimank 1988: 198).
Dabei ist auffällig, dass in diesem Fall eine gewisse Diskrepanz zwischen den Zielen der Organisationen (Erfolge/Siege zu erringen) und der gesellschaftlichen Funktion des Sports besteht. Der Frage nach der Internetaffinität des Sports muss deshalb mit einer zweiteiligen Antwort entsprochen werden. Für die Organisationen gestaltet sich dies nicht sonderlich kompliziert: Das vorrangige Ziel der Vereine besteht im sportlichen Erfolg. Dafür müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, die auch durch das Internet erreicht werden. Mitglieder müssen geworben werden, eine geeignete mediale Darstellung muss geschaffen werden und wettkampfrelevante Informationen müssen bereitgestellt werden. Verschiedene Vereine sind bereits an der Börse dotiert oder in Form einer Aktiengesellschaft organisiert, womit sie ähnlichen Anforderungen wie Wirtschaftsunternehmen unterliegen. Ihr Produkt ist der Erfolg und die Rolle der bestbezahlten Fachkräfte übernehmen die Spielerinnen und Spieler. Breitensport hingegen, der nicht zwangsläufig vereinsförmig organisiert sein muss, ist weniger vermarkwirtschaftlicht. Hier bestehen die Vorteile der Internetnutzung eher in der medialen Verteilung von Informationen, die die Interessen der Vereine unterstützen sollen. Unstrittig ist dabei, dass selbst »körperlose« Sportarten wie Schach noch immer unter den Bedingungen räumlicher Anwesenheit gespielt werden. Neben solchen assoziierten Handlungen gibt es neue Sportarten, die mit dem Computer erst entstanden sind und durch das Internet zum Durchbruch gelangten. Sogenannte E-Sports bestehen aus Wettbewerben im Rahmen von Computerspielen. Voraussetzung ist hier die Option des Mehrspielermodus, wobei dieser sowohl durch das Internet als auch über LAN realisiert werden kann. Die vorrangig logisches Denken und die Hand-Auge-Koordination fördernden E-Sports professionalisieren sich zunehmend, womit auch der Leistungsgedanke sowie die Gewinnorientierung in den Mittelpunkt rücken.
Der Aspekt der Projektion von Leistungserwartungen in Bezug auf das Internet ist schwerer zu beurteilen, auch weil die Übertragung nur indirekt und diskret erfolgt. Hilfreich kann eine Internetnutzung bei der Reflexion solcher Vorgänge sein, indem es ähnlich wie in der Sphäre der Gesundheit ein Plus an Informationen und Foren gibt. Am Beispiel der Ächtung des Dopings zeigt sich, dass Gerechtigkeitsvorstellungen eines freien und fairen Wettbewerbs im Rahmen von Sportwettkämpfen entwickelt werden. Auch das Bild des Profi-Fußballspielers hat sich beispielsweise vom Lebemann der 1970er Jahren zum wortgewandten Vorbild gewandelt. Das Funktionssystem des Sport bleibt aufgrund der Körpergebundenheit mit gewissen Vorbehalten hinsichtlich der Internetaffinität behaftet.
E-Sports, wie verschiedene Renn-, Strategie-, Fantasie- oder Shooting-Spiele, haben sich in den letzten Jahren von einem privaten Hobby zu durchaus organisierten Strukturen entwickelt. Vor allem in Südostasien, aber inzwischen auch in westlichen Ländern, gibt es jeweils mehrere Millionen organisierter Spielerinnen und Spieler, die regelmäßig an Wettbewerben teilnehmen und zum Teil Mitgliedschaften in Mannschaften aufweisen. In nicht wenigen Ländern (einschließlich Deutschland) ist es nun aber so, dass E-Sport von den etablierten Verbänden nicht als Sport anerkannt wird. Das wesentliche Argument besteht dabei in der fehlenden eigenmotorischen Aktivität. Dabei ist nicht nur aufgrund der Anerkennung von Schach als Sportart offensichtlich, dass dieses Argument vorgeschoben ist. Vielmehr scheint der Fall zu sein, dass körperliche Sportarten sich in ihrem Geltungsmonopol, etwa hinsichtlich der Projektion von Leistungserwartungen, bedroht sehen. Die Leistungsherausforderungen des E-Sport sind zwar auch körperlicher, aber nicht primär in muskulärer Art, sondern beziehen sich eher auf die kognitive Verarbeitung und feinmotorisches Geschick an den Eingabegeräten. Hier ließen sich interessante Parallelen zum Wandel der Arbeit im Rahmen von Informationsgesellschaften ziehen. Auch aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Digitalisierungstendenz wird sich die ablehnende Haltung nicht mehr lange aufrecht erhalten lassen. Damit muss nicht zwangsläufig ein Bedeutungsverlust klassischer Sportarten einhergehen, unter anderem weil vielen E-Sportarten Ball-, Sommer- oder auch Wintersportarten imitieren.
Es ist immer schwierig, Religion soziologisch zu bestimmen. Seit den Arbeiten von Max Weber zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen entstand trotzdem eine Vielzahl von Ansätzen und Studien. Eine Religionssoziologie wird meistens von der Frage des Transzendenten aus gedacht, also von etwas das Immanente (oder Diesseits) Überschreitendem. In der Regel ist von Kommunikation dann zu sprechen, wenn beide Sphären aufeinander bezogen werden, wenn also Immanentes unter dem Gesichtspunkt des Transzendenten betrachtet wird (vgl. Luhmann 2000: 63ff.). Das Theodizee-Problem der Weltreligionen ist hierfür ein gutes Beispiel. Wie Wohlrab-Sahr (vgl. 2005: 71ff.) zeigt, sind allerdings begrifflich komplexe Theoriemodelle immer mit Problemen hinsichtlich der empirischen Umsetzung der Thesen behaftet. Aber zurück zur theoretischen Konzeption: Religion befindet sich an der Grenze des Beobachtbaren und Unbeobachtbaren. Und noch viel mehr: Sie macht diese Grenzziehung sichtbar, indem es dafür eine Form findet. Wenn Sakrales von anderem unterschieden wird, kann Realität erst konstituiert werden und von Imaginärem abgegrenzt werden. Religion hält somit die Möglichkeit bereit, den blinden Fleck sichtbar zu machen, indem das Unvermeidliche nicht lediglich hingenommen, sondern reflektiert wird.
Die Funktion der Religion besteht danach nicht in einem sinnstiftenden Moment. Was wäre sonst mit der zunehmend großen Zahl an Ungläubigen? Wenn immer weniger Menschen ein religiös geprägtes Leben führen, dann wird die Unterscheidung zwischen beiden Sphären deutlicher und Religion damit »aussagekräftiger«. Gleichwohl verliert Religion ihre Deutungshoheit, insofern sie selbst beobachtet wird und in Kultur übergeht (vgl. Helmstetter 2002: online). Konstant bleibt hingegen die Bedeutung des Glaubens als das zentrale Medium. Er bildet so etwas wie den gemeinsamen Nenner, auf den immer wieder aufgebaut werden kann. Glaube realisiert sich in Organisationen (wie etwa Glaubensgemeinschaften), die dann aber nicht nach Transzendenz und Immanenz unterscheiden, sondern mit Ja-Nein-Entscheidungen operieren. Damit wird deutlich, dass die Frage der Bedeutung des Internets immer aus organisationaler und eben inhaltlicher Perspektive beantwortet werden kann. In der Zusammenfassung der Einflussfaktoren ist dementsprechend zu prüfen, ob für Organisationen, die ja in allen Subsystemen außer den Intimbeziehungen von größter Bedeutung sind, die gleichen Argumente gültig sind. Religion hat nach Luhmann (vgl. 2000: 127ff.) also keine spezifische Funktion, die mit den anderen Subsystemen der Gesellschaft vergleichbar wäre, sondern versucht die unbeantwortbare Frage nach der Einheit aller Unterschiede anzugehen.
Wie verhält es sich nun mit dem Zusammenhang zwischen Religion und Internetnutzung, inwiefern ist die Realitätsverdopplung (indem etwas Irdisches mit einer zweiten, höheren Bedeutung versehen wird) onlinefähig? Internet und Religion sind vielleicht gar nicht so verschieden wie es zunächst scheint. Beide lassen das Materielle hinter sich und begründen so etwas wie eine zweite Realität. Schließlich ist nicht immer ganz klar, was eine Schöpfung des »Cyberspace« ist und was reale Bezüge hat (denkt man etwa an Avatare oder auch bestimmte Profile in Social Networks). Beide Phänomene dienen ferner unweigerlich auch der Reflexion, insofern das Web auch aus einer Utopie heraus entstand. Jesus hat mehrere »eigene« Homepages, Allah vielleicht auch und Online-Kirchen gibt es sowieso. Aber was passiert da eigentlich? Es werden Informationen präsentiert, Kontaktangebote vermittelt, es wird zu politischen Themen Stellung bezogen und das jeweilige Selbstbild vermittelt. Von Transzendentem, von Realitätsverdoppelung oder von der Beobachtung des Unbeobachtbaren ist im Rahmen von Internetkommunikation nicht viel zu sehen. Vielmehr scheint es so, als wäre der Glaube an direkte Interaktion gebunden. Trotz der zumindest weitestgehenden Körperungebundenheit sind beispielsweise sakrale Gebäude oder Würdenträger einer langen Tradition verpflichtet und lassen sich nicht auf Texte oder digitale Bilder reduzieren. Es gibt also auch gewisse Inhalte, die trotz ihrer technischen Mediatisierbarkeit aus sachlichen Gründen (etwa Konservatismus oder Hierarchiegebot) weniger online kommuniziert werden als andere. Aus einer kurzen Betrachtung beliebiger Webangebote geht immer wieder hervor, dass gerade das Allgemeinverständnis von Religion gefördert wird. Fragen zur Lebensführung werden durchaus diskutiert, aber das entspricht nicht dem oben ausgeführten komplexeren soziologischen Verständnis von Religion. Dementsprechend wäre zu eruieren, inwiefern solche Kommunikation auch unterhalb der Oberfläche dem Prinzip der Mediatisierung entspricht. Das gilt im Übrigen für alle Subsysteme: Ein Webshop, der nie etwas verkauft, trägt wenig zur Realisierung der Ziele des Wirtschaftssystems bei.
Für den Bereich der Medien ist trotz der an sich guten Passung damit tendenziell eine zurückhaltende Mediatisierung zu erwarten, was zentral mit sozialen Aspekten zusammenhängt, wie etwa der Gegenläufigkeit der vielfältigen Offenheit des Internets und der oft hierarchischen Kommunikationspolitik. Erst als Reaktion auf heterodoxe Positionen im Web begannen die Orthodoxien eigene Homepages zu schalten, um den jüngeren Organisationen nicht das Internet zu »überlassen« (vgl. Ahn 2001: 36ff.). Christliche Organisationen in den USA nutzen inzwischen zu einem großen Teil Twitter, YouTube oder Facebook, wenngleich dies auch Widerspruch hervorruft. So wird von konservativen Gläubigen geäußert, das Internet erhöhe das Risiko von Ehebruch und führe zu weniger Kirchenbesuchen. An diesen Beispielen zeigt sich bereits eine Haltung, die zwischen Skepsis und Notwendigkeit zu verorten ist. Verschiedene Internetdienste bleiben wohl mittelfristig eher Experimentierfelder als integrale Bestandteile religiöser Kommunikation. Vor einem religiösen Hintergrund wird damit gleichzeitig die Dringlichkeit der Nutzung des Mediums in einer »modernen« Welt und das hohe Gefahrenpotenzial (im Sinne eines Gegenarguments) reflektiert (vgl. etwa Henning 2003).
Dabei sind durchaus ambitionierte Dienste wie God Tube festzustellen. »The Christian Video Sharing Site« ist eine Videoplattform, die ausschließlich christliche Inhalte anbietet. God Tube als bekannteste religiös gebundene Web 2.0-Plattform musste mehrfach wegen Erfolglosigkeit seine Strategie ändern und führt bis heute ein trostloses Online-Dasein. So gibt es zur Zeit nur zehn Videos, die über eine Million mal geschaut wurden, wohingegen die irrwitzigsten Themen auf YouTube millionenfach angeschaut wurden. Dies scheint daran zu liegen, dass praktizierte Religion noch immer ganz zentral an Interaktionen unter Anwesenden gebunden ist. Dementsprechend interessieren die im Web eingestellten Predigten von Pfarrern niemanden. Daraus folgt zum einen, dass mediatisierte Kommunikation nur einen geringen Einfluss die Religion zu haben scheint und dass zum anderen in der Mediatisierung des Religiösen noch große Potenziale für Glaubensgemeinschaften liegen. Allerdings müssen hierfür passende Medien gefunden werden.
Kunst ist zunächst das, was das Kunstsystem dafür hält (vgl. Mast 2005: 89f.). Etwas stärker inhaltlich fokussiert, besteht die Funktion der Kunst darin, etwas zu kommunizieren, das die Wirklichkeit überschreitet. Kunst leistet überdies aber auch noch mehr. Sie begründet ein neues Verhältnis von Kommunikation und Wahrnehmung. Beide werden außerhalb von standardisierten Formen der Kommunikation (wie etwa Sprache) integriert, da ein Kunstwerk mit den Sinnen wahrgenommen wird, aber eine bestimmte Aussage vermitteln soll. Gerade dass in einem künstlerischen Objekt oder einer Performance Kommunikation und Wahrnehmung irritierend und unkonventionell gekoppelt sind, macht die Kunst spannend und eine entsprechende Wirkung möglich. Damit dies funktionieren kann, werden Medien genutzt. Im Falle der Kunst können das verschiedene Trägermedien wie Leinwände, CDs oder Filme sein. Zudem müssen Formen definiert werden, die Kunst als solche erkennbar machen. Ein Roman muss sich also deutlich von einer wissenschaftlichen Abhandlung unterscheiden. Dabei ist unter anderem die unkonventionelle Kombination von Wahrnehmung und Kommunikation hilfreich. Kunst kommuniziert hierfür ausschließlich mit Kunstwerken.
Mit Blick auf den Mediatisierungsaspekt fällt zunächst zweierlei auf: Zum einen ist zu klären, inwiefern das Internet ein Medium für die Kunst sein kann und zum anderen ist zu fragen, ob Kunst durch das Internet für potenzielle Rezipientinnen und Rezipienten besser zugänglich wird. Für den ersten Aspekt kann in zwei Richtungen argumentiert werden: Das Internet kann selbst als innovatives Medium für Kunst verstanden werden und es kann eine Plattform für bekannte Formate bilden. Gerade bei Kunst, die zentral mit sinnlicher Wahrnehmung zu tun hat, ist nicht die reine Digitalisierbarkeit das Kriterium, sondern die Qualität ist entscheidend. Wie in Kapitel 3.4.4 gezeigt wurde, besteht zwischen einem gemalten Bild und dessen digitalem Abbild unter Umständen ein großer Unterschied. Dementsprechend sind nur diejenigen Kunstwerke und -produktionen ohne Abstriche onlinefähig, die bereits digital hergestellt werden, wie etwa Musik oder Filme seit inzwischen fast zwei Jahrzehnten. Bildende Kunst oder eine Performance ist auf die direkte Betrachtung angewiesen. Über das Web können zwar Videos oder Beschreibungen solcher Projekte vermittelt werden, aber die Intensität geht verloren geht, wenn die räumliche Nähe zum Werk verändert wird, die Größenverhältnisse nicht mehr stimmen oder die natürliche Beleuchtung durch Kunstlicht ersetzt wird. Trotzdem findet man von nahezu allen einigermaßen bekannten Künstlerinnen und Künstlern Bilder ihrer Werke im Netz. Die Ursache hierfür liegt aber weniger im Kunstsystem begründet, sondern speist sich aus den Interessen anderer gesellschaftlicher Bereiche.
So sind verschiedene Kunstwerke etwa für die Erziehung (Bildung), die Wissenschaft, die Massenmedien oder auch für die Wirtschaft relevant. Die zweite Argumentationslinie umfasst Kunst, die erst durch das Internet möglich wird. Das wären dann Exponate, die über die neuen Internetmedien kommunizieren. Darunter zu fassen sind beispielsweise interaktive Webseiten oder auch folgendes Projekt: Die Künstlergruppe Ubermorgen.com hat unter dem Namen Google will eat itself mehrere Webseiten eingerichtet, auf denen Werbung über einen Google-Dienst platziert ist. Mit jedem Klick bekommt das Projekt Geld aus Werbeeinnahmen von Google (über das AdSense-Programm) gezahlt. Von diesem Geld werden dann Aktien des Suchmaschinen-Betreibers gekauft. Dies soll solange erfolgen bis Google sich selbst aufgegessen hat. Je populärer die Webseite ist, desto schneller geht es. Ohne das Internet wäre das Projekt nicht denkbar. Solche Internetinnovationen liegen jedoch abseits des Kernverständnisses von Mediatisierung und sollen in dieser Arbeit nur am Rande eine Rolle spielen. Die Organisationen des Kunstsystems, etwa Galerien, Künstlervereinigungen oder Vereine stehen in der Realität vielfältigen Aufgaben gegenüber, die über eine kritische Reflexionsfunktion hinausgehen. Dementsprechend ist eine Bestimmung des Mediatisierungsgrades auch hier mit qualitativen Methoden zu fundieren. Ein Befund, dass zwei Drittel aller Künstlergruppen eine eigene Homepage betreiben, wäre zwar ein wichtiger Anfang, ließe aber nur bedingt Rückschlüsse über die Mediatisierung des gesellschaftlichen Bereichs zu. Vor allem ein Aspekt ist dabei für das Handeln von Organisationen dieses Bereichs prägend: das Publikum, im Sinne von Kunstkonsumentinnen und -konsumenten. Wenn Kunst nicht rezipiert wird, entfaltet sie ihre Wirkung nicht. Darüber hinaus bestehen vielfache Verknüpfungen zwischen den Produzierenden und den Konsumierenden, etwa in motivationaler und zunehmend auch in finanzieller Perspektive.
Aus dem oben genannten Projekt wird ersichtlich, dass einerseits mit dem Internet neue Medien für Kunst entstehen, dass aber andererseits etablierte Kunstformen nur marginal berührt werden. Die Auswirkungen der Mediatisierung auf den Kunstbetrieb sind damit eher als gering einzuschätzen. Gerade die da, wo es auf Qualität, auf besondere Farben und dreidimensionale Formen ankommt, gerät die digitale Reproduktion an ihre Grenzen. Das gilt auch für andere Bereiche. So können zwar die Inhalte von Büchern, wie beschrieben, auch im Web abgebildet werden, aber das Leseerlebnis mit rascheldem Papier oder die Wirkung eines ganzen Bücherregals mit Exemplaren der edition suhrkamp liegen auf einer ganz anderen Ebene und könne eben nicht medial nachgebildet werden.
Die vorangegangenen Abschnitte zu den wichtigsten Funktionssystemen der Gesellschaft erlauben es einerseits, einige Aussagen über das Passungsverhältnis der Ressourcendimension des Internets und der Ziel- beziehungsweise Bedürfnisdimension der Organisationen und der Individuen zu treffen und bestätigen andererseits die idealtypischen Rückwirkungen auf die Gesellschaft. Die Beobachtungen bilden dabei allenfalls erste Anhaltspunkte, sind also keineswegs als den Mediatisierungsprozess determinierende Variablen zu verstehen. Stellt man ähnliche Fragen aus einer subjektzentrierten Perspektive (vgl. etwa Lamla 2011), zeigen sich individuell hochgradig verschiedene Dispositionen, Motivationen oder auch Hemmnisse. Zu der oben verwendeten funktionalistischen Perspektive, der ein implizites Nutzen-Kosten-Modell zugrunde liegt, sind viele Alternativen denkbar. Die Frage, welche Kommunikationen internetvermittelt stattfinden, könnte ebenso unter Rückgriff auf kulturelle Aspekte beantwortet werden. So ist es in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft auch unterschiedlich wichtig, dem (technischen) Zeitgeist zu entsprechen. Die oben stehenden Ausführungen entsprechen nun vorrangig exemplarischen Einzelfallargumentationen, ermöglichen aber ebenso den Blick auf einige bereichsübergreifende Kriterien. Für das Passungsverhältnis beziehungsweise die Onlineaffinität verschiedener gesellschaftlicher Bereiche scheinen folgende Kriterien von Bedeutung zu sein: Materiegebundenheit, Koordinationsbedarf, Innovationsoffenheit, Publikumsabhängigkeit sowie der Stellenwert impliziter Ziele. Unter impliziten Zielen sind vor allem wirtschaftliche Ziele zu verstehen, die notwendig sind, um die eigentlichen, expliziten Ziele zu erfüllen. In der Regel handelt es sich dabei um Leistungen anderer gesellschaftlicher Teilbereiche, die unter den Bedingungen der Internetkommunikation zu günstigeren Konditionen bereitgestellt werden können. Sportvereine beispielsweise benötigen ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln, um an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Die fünf übergeordneten Kriterien sollen im Folgenden nicht systematisch auf alle genannten Subsysteme bezogen werden. Vielmehr sind sie an einigen Beispielen zu erläutern, um dann im Zuge der empirischen Untersuchung als Ausgangspunkt der Thesenbildung zu dienen.
Das erste Kriterium, die Gebundenheit an Materie, ist recht einfach zu umschreiben. So ist anzunehmen, dass in Anbetracht der Digitalität von Internetkommunikation, die immer auch Immaterialität meint, diejenigen Bereiche der Gesellschaft weniger Schnittmengen mit den Möglichkeiten des Internets haben, die an Stoffliches gebunden sind. Das können zum einen körperliche Aspekte darstellen, wie im Fall der Intimbeziehungen oder des Gesundheitssystems, können zum anderen aber auch sämtliche Elemente der physischen Welt sein. Die Einschätzung folgt dabei natürlich keiner Entweder-Oder-Logik, sondern für alle fünf Aspekte liegt ein Kontinuum vor, dessen Pole unbesetzt bleiben.
Das Kriterium des Koordinationsbedarfs zielt auf das Maß an organisatorisch notwendiger Kommunikation ab. Die Annahme besteht darin, dass das Internet aufgrund seiner Eigenschaften nicht nur ein verhältnismäßig kostengünstiges, sondern auch ein schnelles und vielseitiges und damit attraktives Medium ist. Das Kriterium ist aber nur dann sinnvoll, wenn es Unterscheidungen zwischen den einzelnen Bereichen ermöglicht. Der Koordinationsbedarf ist beispielsweise hoch, wenn räumliche Distanzen zwischen Unternehmensteilen überwunden werden müssen, Zuständigkeiten zwischen über- und untergeordneten Gerichtsbarkeiten abgestimmt oder Forschungsstränge koordiniert werden müssen. Ein geringer Bedarf an Medienkommunikation kann dort angenommen werden, wo Organisationen tendenziell kleiner sind (etwa in der Kunst) und der primäre Modus in direkter Interaktion besteht (Gesundheit und Erziehung beispielsweise).
Innovationsoffenheit beschreibt eine Bereitschaft zur Veränderung. Sie ist dann gegeben, wenn eine Nutzung verschiedener Dienste des Internets forciert wird, auch wenn nicht eindeutig abschätzbar ist, in welchem Verhältnis Chancen und Risiken sich befinden. Der Spiegel schaltete beispielsweise 1994, als erstes Nachrichtenmagazin, eine Online-Entsprechung im Netz, was eine gewisse Innovationsoffenheit zeigte und in nachhaltigem Erfolg des zu diesem Zeitpunkt unwirtschaftlichen Magazins mündete. Sind solche Unterschiede nun auch für Subsysteme festzustellen? Wer hat Pioniergeist? Wo herrscht eine »konservative Strategie«? Zwar ist für alle Bereiche eine Binnendifferenzierung festzustellen, aber ebenso gibt es verbindende Momente, die schließlich auch eine Kategorisierung rechtfertigen. Neben den jeweils spezifisch zu lösenden Problemen, finden sich in den Programmen der Organisationen Prämissen und Strategien, wie die Ziele zu erreichen sind. So lässt sich feststellen, dass beispielsweise Kunst ihre Wirkung gerade durch Irritation erreicht, sich fortwährend neu erfinden muss und die Wirtschaft zur Aufrechterhaltung des notwendigen Wachstums neue (Absatz-) Märkte finden und fortwährend Bereiche kommerzialisieren muss. Für Religion und Politik hingegen sind Kontinuität und Stabilität wichtig, um Machterhalt und Deutungshoheit zu sichern.
Die Publikumsabhängigkeit von Organisationen steht im engen Zusammenhang mit der Netzwerkhaftigkeit und Offenheit des Internets. Das Web ermöglicht es, mit verhältnismäßig einfachen Mitteln eine potenziell sehr große Öffentlichkeit herzustellen. Publikumsrollen sind dabei wiederum in allen gesellschaftlichen Bereichen vorzufinden, wenn auch in verschiedener Ausprägung; beispielsweise als obligatorische (Konsument) oder als optionale Rolle (Zuschauer eines Sportereignisses) (vgl. Burzan/Lökenhoff/Schimank/Schöneck 2008). Publikumsrollen sind als Komplement zu Leistungsrollen von ebenso großer Bedeutung. Die Rolle der Konsumentin und des Konsumenten ist besonders wichtig, da für alle Subsysteme der Verkauf von Waren oder Dienstleistungen unabkömmlich ist. Patientinnen zahlen für eine Behandlung, Schüler für einen Sprachkurs und Gläubige für die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Ein wesentlicher Unterschied für dieses Kriterium könnte darin liegen, ob es sich in der Regel eher um eine spezifische oder unspezifische Ansprache handelt. Das Internet weist für die Adressierung einer unbekannten Masse besondere Stärken auf.
Das letzte Kriterium knüpft an die Publikumsfrage an, insofern es von einer Verknüpfung zwischen den gesellschaftlichen Teilbereichen ausgeht. Die (strukturelle) Kopplung von Leistungen besteht grundlegend zwischen allen Bereichen, die Kopplungen im Rahmen des Wirtschaftssystems sind nur am offensichtlichsten. Wenn nun beispielsweise bestimmte politische Organisationen zur Machterhaltung auf wissenschaftliche Erkenntnisse wie Umfragen oder Milieu-Studien angewiesen sind und sich diese effektiv über das Web generieren lassen, liegt ein höherer Mediatisierungsgrad nahe. Indem das Passungsverhältnis des einen Bereichs das eines anderen Bereichs beeinflusst, wird die Komplexität einer solchen Analyse enorm gesteigert. Deshalb sei hier noch einmal betont, dass es sich bei den Ausführungen weder um eine anspruchsvolle Theorie noch um ohne weiteres prüfbare Thesen, sondern um eine erste Skizze von Einfussvariablen handelt. So ließen sich zwar Operationalisierungen finden, aber sie müssten auf einzelne Bereiche beschränkt bleiben und könnten unmöglich das komplexe Gefüge der Mediatisierung gesellschaftlicher Realität abbilden. Gezeigt werden sollte hingegen, dass sich die Mediatisierungsgegenstände hinsichtlich des Passungsverhältnis zu den Ressourcen des Internets voneinander unterscheiden.
Die Gedanken der letzten Abschnitte sind aus einer makrosoziologischen Perspektive heraus formuliert, weshalb die Argumentation an vielen Stellen grob und abstrakt bleibt. Betrachtet man das Verhältnis von Internet und Gesellschaft auf anderen Ebenen, zeigen sich auch andere Einflussvariablen. So sind neben dem Passungsverhältnis zwischen Offline-Zielen und Ressourcen des Internets sozialstrukturelle Merkmale sowie biographische Dispositionen, aber auch die Unterscheidung in die Sphären »Arbeit« und »Freizeit« von Bedeutung. Mit der letztgenannten Unterscheidung geht die nicht unrelevante Frage der Freiwilligkeit der Internetnutzung einher.
Da Mediatisierung immer und ausschließlich von Individuen realisiert wird, können letztlich ganz subjektive Präferenzen und Alltagsorientierungen für die Akzeptanz eines Mediums ausschlaggebend sein. Ob das Internet für finanzielle Transaktionen genutzt wird, ist durchaus von bisher individuellen Erfahrungen, etwa im Hinblick auf Finanzbetrügereien, abhängig und wird ebenso von den Zeitstrukturen des individuellen Alltags beeinflusst. So kann es ganz verschiedene Budgets für die Mediennutzung geben und divergierende Notwendigkeiten etwa zeit- und raumungebundenes Banking in Anspruch zu nehmen.
Interessant ist zudem, Merkmale herauszuarbeiten, mit denen man Mediatisierungsprozesse auf dem Kontinuum von Freiwilligkeit bis Zwang verorten kann. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob Individuen aufgrund vorrangig intrinsischer oder extrinsischer »Motivation« das Internet nutzen. Ist es Neugier, Technikinteresse oder sind die Kosten für andere Medien zu hoch oder ist es die Monopolstellung verschiedener Aspekte der Internetkommunikation oder gibt es so etwas wie »Konformitätsdruck«, der die User mobilisiert, gerade das Internet zu nutzen? Wenn also bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Informationen nur über Internetmedien konsumierbar sind, dann spricht dies für eine Mediatisierung des entsprechenden Bereichs. Strukturelle Zwänge können ebenso von Organisationen ausgeübt werden, wenn diese ihre Mitglieder entsprechend anweisen. Hier geht es aber zunächst darum, zu zeigen, dass es neben den subsystemspezifischen Präferenzen andere Aspekte gibt, die Einfluss auf den Mediatisierungsgrad bestimmter Inhalte haben. Die gegenwärtig Forschung ist weit davon entfernt, die Vielschichtigkeit der Einflussfaktoren jenseits von Partikularphänomenen zu erfassen. Auch in dieser Arbeit werden zunächst die groben Linien gezogen, jedoch nicht ohne den Blick nach links und rechts zu wenden. Die im nachfolgenden Kapitel zu leistende und an den Funktionssystemen orientierte Empirie ist dementsprechend als ein erster Ankerpunkt zu verstehen.