Die vorliegende Arbeit fokussiert trotz der gebotenen analytischen Neutralität vor allem auf die Chancen und Potenziale der Internetkommunikation. Auch weil sie augenscheinlich die Gefahren und Risiken dominieren. So ist die für jede Kommunikationen unausweichliche Medienwahl in erster Linie an einer Nutzen-Kosten-Abwägung orientiert, wobei den Internetmedien eine hochgradige Effizienz zugeschrieben werden kann. Bisher wurden allenfalls Grenzen der Mediatisierungsentwicklung oder punktuelle negative Auswirkungen, etwa auf die Praxis des Rechtswesens oder die Sphäre des Politischen, benannt.
Demgegenüber steht ein gesellschaftlicher Diskurs, der die Nutzung des Internets grundlegend kritisch sieht und Orwellsche Dystopien für das wahrscheinlichere Zukunftsszenario hält. Besonders die Kombination aus den Automatisierungspotenzialen der prozessorengestützten Kommunikation und der immer tieferen Integration des Internets in den Alltag und perspektivisch auch in die Person bietet reichlich Stoff für pessimistische Diagnosen. In der Tat sind in den letzten Jahren Entwicklungen feststellbar, die zumindest das Potenzial für schwerwiegende individuelle und gesellschaftliche Nachteile haben. Allen voran stellt die »Datensammelwut« der kommerziellen Anbieterinnen und Anbieter, aber auch von staatlichen Behörden (Stichwort: Vorratsdatenspeicherung), Datenschutzrichtlinien auf eine harte Probe. Von solchen Datensätzen über das Kommunikationsverhalten und die Inhalte des Austauschs ist es letztlich nur ein kleiner Schritt hin zu einer umfassenden Überwachung der User. Begünstigt wird dies durch Monopolisierungstendenzen, wie sie gegenwärtig etwa für soziale Netzwerke, Video-Plattformen oder Suchmaschinen festzustellen sind.
Aber auch über den Datenschutz hinaus wird die Internetkommunikation vielfältig kritisiert. Speziell mit Blick auf Kinder und Jugendliche werden die Suchtpotenziale entsprechender Web-Angebote, die nur eingeschränkte Durchsetzbarkeit des Jugendschutzes oder die Gefahr digitaler Demenz (vgl. Spitzer 2012) genannt. Aber auch Erwachsene können durch Internetkommunikation an sozialer Vereinzelung oder wahlweise digitaler Vereinheitlichung (Digital Maoism) leiden. Zudem werden strukturelle Auswirkungen forcierter Internetkommunikation als negativ eingeschätzt. So wird etwa die Vielfalt im Einzelhandel oder in der Medienbranche durch dominante neue Internet-Akteure bedroht und durch die Kommunikation im Dark Net wird eine ganze Rechtsordnung effektiv umgangen. Diese Aufstellung ließe sich um viele Beispiele erweitern. Das soll hier nicht geschehen. Stattdessen soll versucht werden, die genannten Punkte etwas zu abstrahieren.
Dafür ist zunächst die Frage zentral, wer oder was eigentlich kritisiert wird oder kritikwürdig ist. Wie sich aus dem oben stehenden Absatz ablesen lässt, sind zwei Varianten denkbar. Einerseits wird das Internet an sich für negative Entwicklungen verantwortlich gemacht, andererseits sind es bestimmte Nutzungsweisen einzelner Organisationen, die gesellschaftlich nicht akzeptierte Ziele mit Hilfe des Internets umsetzen. Auch vor dem Hintergrund dieser Arbeit dürfte weitestgehend unstrittig sein, dass das Internet als Technologie als neutral einzuschätzen ist und allenfalls bestimmte Nutzungsweisen begünstigt. Solche Tendenzen sind eher als Missbrauch bestehender Möglichkeiten zu verstehen, weshalb auch niemand ernsthaft vorschlagen würde, die Potenziale des Internets (etwa hinsichtlich der Automatisierbarkeit von Kommunikation) zu beschneiden. Auch durchaus sinnvolle Lösungen, wie ein digitales Verfallsdatum für bestimmte Inhalte des Internets, konnten sich bisher nicht durchsetzen. Aufgrund der Dezentralität der User, vor allem aber der Anbieterinnen und Anbieter sowie der Anwendungen bleibt es auf absehbare Zeit ein unrealistisches Unterfangen, einheitliche Leitwerte technisch durchzusetzen. Schon die für das Funktionieren des Internets unumgängliche Standardisierung der wesentlichen technologischen Komponenten brauchte mehrere Jahrzehnte und steht immer wieder zur Debatte.
Andererseits sehen sich bestimmte Organisationen im Unterschied zu Einzelpersonen der Kritik ausgesetzt. Die Aktivitäten von Internetbetrügerinnen oder -betrüger und ähnlichen Figuren werden, wie in anderen Bereichen auch, hingegen als »normale« Kriminalität angesehen. In diesem Zusammenhang ist dann interessant, dass sich die Kritik an entsprechenden Organisationen gerade auf Handeln im Rahmen des Legalen bezieht. Es geht also nicht primär darum, dass Gesetze durch die Internetkommunikation missachtet werden (wenngleich das auch vorkommt), sondern dass die Vorstellung von einer »guten Gesellschaft« untergraben wird. Erst in der Folge werden dann Gesetze verabschiedet, die die entsprechenden Vorstellungen protegieren sollen. Das Gesetz zum Leistungsschutzrecht in Deutschland oder der Stop Online Piracy Act in den USA (der schließlich ein Vorhaben blieb) zeigen, dass zudem Gesetze nicht immer den gesellschaftlichen Forderungen und Vorstellungen entsprechen. Dies liegt auch daran, dass es natürlich nie einen gesellschaftlichen oder gar globalen Konsens darüber gibt, welches Handeln moralisch ist und welches nicht.
Die Kritik an bestimmten Formen und Inhalten der Internetkommunikation bleibt auch deshalb so wirkungslos, weil es in der Regel (noch) keinen objektivierbaren Schaden und keine eindeutig Geschädigten gibt, geht man davon aus, dass das Hauptproblem im Spannungsfeld zwischen Datenschutz, Überwachung und dem Schutz der Privatsphäre liegt. Wenn also riesige Datenmengen von Usern gespeichert werden, ist das zunächst weder ein gesellschaftliches noch ein individuelles Problem. Im Gegenteil: Je mehr Konzerne, Werbetreibende, Provider oder Behörden über ihre Klienten, Konsumenten oder gar Patienten erfahren, desto komfortabler ist es in der Regel für Letztere: Die persönlichen Daten müssen nicht erst eingegeben werden, es werden nur Produkte und Dienstleistungen angeboten, die zu einem passen, man kann sehen, welche Präferenzen Freunde und Bekannte haben und es gibt sogar noch einen kleinen Rabatt, wenn man die Bonus-Card in Anspruch nimmt oder die entsprechende App nutzt.
Viele User wissen oder ahnen zumindest, dass sie den Komfort solcher Internetkommunikationen mit ihren Daten bezahlen. Sie wissen aber nicht um den Wert dieser Daten und um die möglichen Konsequenzen. Worin bestehen also die negativen Potenziale des Internets, was ist der Kern der Kritik? Ein wichtiger Punkt besteht darin, dass Internetkommunikation zu weiten Teilen irreversibel ist. Dahinter steckt die Annahme, dass Internet vergesse nichts oder anders formuliert: Einmal verbreitete Informationen befinden sich unter Umständen nicht mehr in der Kontrolle der Urheber, insofern sie auf fremden Servern als Kopie gespeichert wurden. Dann kann es für User schwierig werden, unliebsame Kommentare oder Bilder wieder aus dem Web zu entfernen. Bedeutsamer ist die Irreversibilität allerdings für die Gesamtheit an Kommunikaten. Sind die Daten, seien es die Unmenge an E-Mails, die vielen personenbezogenen Informationen, die Verknüpfungen zwischen Usern, die online gezahlten Produkte, die Facebook-Likes, die in Suchmaschinen eingegebenen Anfragen oder die Ortsdaten der mobilen Internetnutzung, einmal digital versendet, befinden sich die Informationen unwiderruflich und oft auch unintendiert in der Hand von Organisationen, die im Einzelfall gar nicht in Erscheinung treten. Wie diese Informationen auch immer genutzt werden: Sind sie einmal preisgegeben, gibt es kein Zurück.
Ein zweiter wesentlicher Punkt besteht in der Tatsache, dass die möglichen negativen Effekte zunehmender Internetkommunikation sich sukzessive verstärken. Die Risiken nehmen demnach nicht linear, sondern exponentiell zu. Es handelt sich dabei um einen sich selbst verstärkenden Prozess, denn je mehr Informationen in die Datenbanken gelangen, desto wertvoller ist jede einzelne Information. Während es also anfänglich relativ unproblematisch war, persönliche Informationen ungeschützt mitzuteilen, hat sich dies genau ins Gegenteil verkehrt: Da die Daten, etwa im Sinne von Big Data, miteinander verbunden werden können, bildet jede neue Kommunikation ein weiteres Teil zur Vervollständigung eines großen Puzzles.
Noch ein dritter Punkt prägt die Risiken der Internetkommunikation in diesem Zusammenhang. Das Internet und seine Datenbanken sind so riesig und komplex, dass der Informationsfluss von Usern und auch von Informatikerinnen und Informatikern in seiner Gesamtheit nicht mehr nachvollzogen werden kann. Niemand versteht also wirklich, was da vor sich geht und folglich ist auch unklar, wer den Prozess steuert beziehungsweise ob er überhaupt gesteuert werden kann. Eine Ausnahme gibt es allerdings, wenngleich sie nicht sehr optimistisch stimmt: Die Personen, die die Algorithmen für entsprechende Datenbanken und Anwendungen erstellen, haben gewissermaßen die Macht über die Datenakkumulation und -vernetzung. Diese »Algorithmiker« sind in der Regel hoch qualifizierte Informatikerinnen und Informatiker, von denen aber nicht bekannt ist, nach welchen moralischen Standards sie arbeiten und welche Interessen sie verfolgen.
Nach all diesen Aspekten scheinen zwei Fragen relevant: Wie sieht die digitale Katastrophe aus und was kann man tun, um das Risiko dieser zu minimieren? Das Horrorszenario besteht ohne Frage darin, dass ein absoluter Großteil aller Daten der Menschheit im Internet unter nicht mehr kontrollierbaren Bedingungen verbreitet wird (oder: sich verbreitet). Die User haben dann keine Idee mehr davon, wer über das Internet welche Informationen tauscht, verkauft, bündelt oder verknüpft. Dabei kann es sich dann auch um sensible Daten handeln, etwa Kenngrößen der Gesundheit, die inzwischen über Smart Objects und zugehörige Apps problemlos erhoben werden können. Wenn in Zukunft beispielsweise Krankenkassen eine bestimmte Leistung ablehnen, kann dies darauf zurückzuführen sein, dass sie sich Informationen zu Gesundheit und Lebensweise ihrer Klienten beschafft hat. Wenn erst einmal ausreichend viele Kommunikationen, Messwerte und Daten online verfügbar sind, werden diese vielfältigste Auswirkungen auf die Offline-Welt haben. Man denke nur daran, was in der Kombination aus den Daten der sozialen Netzwerke, dem mobilen Internet und der Gesichtserkennung für ein soziales Miteinander resultierte. Von nahezu jedem, der einem auf der Straße begegnet, wären das Alter, der Familienstatus, die Hobbys, der Freundeskreis, die musikalischen oder filmischen Vorlieben unmittelbar einsehbar.
Eine so weitreichende Technisierung der Kommunikation, an der verschiedene Konzerne seit Längerem eifrig arbeiten, muss aber nicht Realität werden. Verschiedene Argumente sprechen dagegen, dass die Internetnutzung, anders als bisher, bedeutsame negative Effekte mit sich bringt. Die Entscheidung, welche Informationen mit welchen Medien und unter welchen Schutzvorkehrungen via Internet ausgetauscht werden, obliegt immer den Usern. Und es ist anzunehmen, dass diese das Internet zunehmend reflektierter nutzen. So scheint die Phase der naiven und euphorischen Partizipation an allen möglichen Webangeboten langsam zu Ende zu gehen. Dies liegt auch daran, dass Kritik nicht nur von Personen mit einer grundlegend ablehnenden Haltung, sondern auch von Netz-Enthusiasten formuliert wird. Letztere tun dies aber auf konstruktive Weise und arbeiten an Möglichkeiten zum sicheren Surfen, entwickeln verschlüsselte E-Mails oder programmieren soziale Netzwerke nach Open Source-Prinzipien. Momentan handelt es sich noch um absolut randständige Phänomene, aber der Mozilla Firefox-Browser oder die Wikipedia haben gezeigt, dass sich antikommerzielle oder datenschutzsensible Projekte durchsetzen können. Für die Online-Sphäre ist erwartbar, dass analog zur Umweltbewegung vor gut drei Jahrzehnten ein umfassendes Bewusstsein für die Nachteile der Mediatisierung von Kommunikation durch das Internet entsteht. Als Konsequenz daraus wird nicht das Internet in seiner bestehenden Form an sich abgelehnt werden, sondern es muss ganz im Sinne der beiden Schwerpunkte dieser Arbeit konsequent entschieden werden, welche Medien genutzt werden und welche Inhalte übermittelt werden. Die Eigenschaften der Internetkommunikation, etwa die Offenheit für neue Dienste und Anwendungen, helfen gerade, Alternativen zu viel kritisierten Medien oder Organisationen zu etablieren.