»Remy, ich muß dich bestimmt nicht daran erinnern, daß dies schon die dritte Episode in diesem Schuljahr ist.«
»Nein, Schwester Beatrice. Ich bin mir der Verstöße meiner Schwester gegen die Schulordnung nur allzugut bewußt.« Sie strich ihren Rock glatt – eine unwillkürliche Reuegeste aus ihrer eigenen Zeit als Internatsschülerin. »Ich gebe zu, daß Flarras Benehmen unmöglich ist.«
»Wir sind nicht nur für die Schulbildung unserer Mädchen verantwortlich«, fuhr die Nonne fort, »sondern auch für ihr Seelenleben und ihre Ausgeglichenheit. Hier in Blessed Heart nehmen wir die Aufgabe, unsere Schülerinnen in allen Lebensbereichen zu leiten, sehr ernst.«
»Genau wegen dieser hohen Maßstäbe ist Flarra ja auch bei Ihnen.«
»Trotzdem scheint sie es geradezu darauf anzulegen, gegen unsere Schulordnung zu verstoßen, die nicht nur Selbstdisziplin fördern soll, sondern auch ihrer eigenen Sicherheit dient. Kommt dergleichen wieder vor, müßten wir sie von der Schule weisen.«
»Ja, ich verstehe«, murmelte Remy, die sich selbst streng gemaßregelt fühlte.
Obwohl sie die Blessed Heart Academy schon vor zwölf Jahren verlassen hatte, waren die wenigen Strafpredigten, die sie wegen Ungehorsams oder ungenügender Leistungen über sich hatte ergehen lassen müssen, unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingegraben. Trotz aller Barmherzigkeit, zu der ihre Berufung sie verpflichtete, verstanden sich die Internatsleiterinnen darauf, Bagatellverstöße aufzublasen, bis sie als Todsünden erschienen.
»Darf ich jetzt bitte allein mit meiner Schwester reden?«
Schwester Beatrice stand auf. »Gewiß. Mein Büro steht dir eine Viertelstunde lang zur Verfügung. Richte Mr. Duvall bitte einen Gruß aus und danke ihm im Namen des Lehrkörpers für seine neuerliche Spende. Seine Großzügigkeit ist wahrhaft unerschöpflich. Der Herr wird seine Gabe segnen.«
»Ich richte es ihm aus.«
Schwester Beatrice wollte das Büro verlassen, blieb dann aber stehen und legte Remy eine Hand auf den Arm. »Wie geht es dir, Remy?«
»Sehr gut.«
»Glücklich?«
»Gewiß.«
Die Nonne hatte Remy in englischer Literatur unterrichtet, bevor sie die Leitung der Internatsschule übernommen hatte. Sie konnte bei Bedarf strikt sein, aber sie war so gütig, wie sie streng war. Ihr Leben und ihre Laufbahn waren dem Erziehungswesen gewidmet, aber sie wäre als Psychologin ebenso erfolgreich gewesen. Oder als Kriminalbeamtin. Sie betrachtete Remy mit beunruhigend scharfsichtigem Blick.
»Ich denke noch immer oft an dich, Remy. Und wenn ich das tue, bete ich für dich.«
»Danke, Schwester.«
»Manchmal frage ich mich …« Sie führte diesen Gedanken nicht zu Ende, sondern sagte: »Ich liebe alle jungen Damen, die Gott mir anvertraut. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Ab und zu ist eine dabei, die mein Herz besonders anrührt. Dich wird nicht überraschen, wenn ich dir sage, daß du eine dieser wenigen Auserwählten warst, Remy. Ich habe meine Vorliebe bestimmt nicht verbergen können – vor allem nicht vor dir.«
»Ja, ich habe Ihre Liebe gespürt. Ich bin Ihnen noch heute dankbar, daß Sie sich meiner angenommen haben, als ich Unterstützung nötig hatte.«
»Ich habe mir sehr gewünscht, daß du glücklich wirst. Für mich wäre es ein schrecklicher Gedanke, dein Leben habe sich nicht ganz so entwickelt, wie du es dir erhofft hast.«
»Daß ich heute etwas mißmutig wirke, liegt daran, daß ich mich über Flarras neuesten Streich ärgere.«
Schwester Beatrice betrachtete sie noch einen Augenblick länger, dann tätschelte sie ihren Arm, bevor sie ihn losließ. »Mach dir nicht allzuviel Sorgen wegen Flarra. Deine Schwester ist ein entzückendes Mädchen. Vielleicht etwas eigensinniger und impulsiver als du.«
»Oder einfach nur mutiger.«
»Vielleicht«, sagte die Nonne mit halblautem Lachen. »Du bist viel später zu uns gekommen als Flarra. Du hattest schon mehr von der Welt gesehen.«
»Was ich gesehen hatte, war nicht gerade verlockend.«
Schwester Beatrice lächelte mitfühlend. »Flarra hält ihren Mangel an Erfahrung für einen Fluch, nicht für einen Segen. Im Grunde genommen ist sie mehr neugierig als unfolgsam. Sie fühlt sich eingeengt.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Auch wenn ich sie ungern verlieren würde, wird es vielleicht Zeit, daß du dir überlegst, ob ihr sie nicht auf eine öffentliche Schule schicken wollt, in der sie Umgang mit anderen jungen Menschen hat und die Welt besser kennenlernt.«
»Ich werd’s mir überlegen.«
Schwester Beatrice zog sich langsam, elegant und beinahe lautlos zurück; die einzigen Geräusche waren das Rascheln ihrer Schwesterntracht und ein leises Klappern der Holzperlen ihres Rosenkranzes.
Im Gegensatz dazu kam Flarra hereingestürmt, knallte die Tür hinter sich zu, warf sich mit trotziger Miene in den Sessel, der Remy gegenüber stand, und starrte die ältere Schwester zornig an. »Na? Schmeißen sie mich raus? Hoffentlich!«
»Da hast du leider Pech.«
Flarras Trotz hielt nur noch wenige Sekunden an. Dann fiel ihre hochmütige Pose in sich zusammen, und ihr stiegen Tränen in die Augen. »Remy, ich halt’s hier nicht länger aus!«
»Hast du dich deshalb mit drei deiner Freundinnen rausgeschlichen?«
»Sehr weit sind wir nicht gekommen.«
Ein Polizeibeamter hatte die Mädchen gesehen, hatte befunden, daß sie in ihrem Alter nach Mitternacht nichts mehr auf der Straße zu suchen hatten, hatte sie in seinen Streifenwagen geladen und ins Internat zurückgebracht.
»Wohin wolltet ihr?« fragte Remy.
»Ins French Quarter.«
»So spät nachts? Ist dir nicht klar, wie unverantwortlich und verrückt das war, Flarra? Im French Quarter ist es nicht sicher.«
»Woher soll ich das wissen? Ich darf ja nie hin.«
»Pinkie und ich führen dich ständig dorthin aus. Du hast in den besten Restaurants gegessen, in den teuersten Boutiquen eingekauft.«
»Mit Pinkie und dir. Na toll! Das ist nicht das gleiche wie mit ein paar Freundinnen.«
Remy mußte sich eingestehen, daß ihre Schwester recht hatte, und milderte ihren strengen Tonfall ab. »Nein, natürlich nicht.«
Flarra, der diese Veränderung nicht entgangen war, starrte sie forschend an. »Hast du dich mal rausgeschlichen?«
»Einmal«, gab Remy schalkhaft lächelnd zu. »Mit einer guten Freundin. Aber wir sind nicht erwischt worden. Wir haben uns wieder reingeschlichen, bevor uns jemand vermißt hat.«
»Wenn du das Schwester Bea nachträglich beichten würdest, müßtest du wahrscheinlich Buße tun.«
»Wahrscheinlich.« Remy lachte. »Tatsächlich hatte ich weniger Angst vor ihr als davor, was Pinkie tun würde, wenn er davon erführe.«
»Wie alt warst du damals?«
»Siebzehn. Ungefähr.«
»Du hast mit siebzehn geheiratet.«
»Hmmm. Am Tag nach der Schulabschlußfeier.«
»Du hast eben einfach Glück«, maulte Flarra mit gesenktem Kopf. »Ein Mann hat sich so schrecklich in dich verliebt, daß er keinen Tag länger warten konnte. Für alle meine Freundinnen ist das die absolut romantischste Geschichte, die sie je gehört haben. Wie er dein Vormund geworden ist, deine Ausbildung hier im Internat bezahlt hat und dich anschließend sofort geheiratet hat.«
Auch Remy hatte das damals für romantisch gehalten. Pinkie war ihr wie ein Ritter in schimmernder Rüstung erschienen, der Flarra und sie vor Armut und sicherem Untergang gerettet hatte. Aber das schien ein Leben lang zurückzuliegen. Genauer gesagt: ihr Leben lang.
»Eines Tages wird sich auch ein Mann schrecklich in dich verlieben«, versicherte Remy ihr.
Von den beiden Schwestern war Flarra die Hübschere. Ihre lebhaften Augen leuchteten frühlingsgrün. Ihr Haar war schwarz und glänzend wie Remys, aber Flarras üppige Naturlocken ließen sich kaum bändigen. Da sie verschiedene Väter hatten, die sie beide nicht kannten, und die Familie ihrer Mutter nichts von ihr wissen wollte, konnte niemand genau sagen, von wem sie die Locken hatte.
Flarras junger Körper war schlank, biegsam und sportlich, aber an den richtigen Stellen sanft gerundet. Die strenggeschnittene Schuluniform konnte ihre weiblichen Formen nicht ganz tarnen. Deshalb schauderte es Remy bei der Vorstellung, wie ihre unschuldige Schwester spätnachts im French Quarter unterwegs war, wo sie rüpelhaften Touristen, betrunkenen Studenten und unzähligen Schurken mit perversen Absichten in die Hände fallen konnte.
»Wie soll sich jemand in mich verlieben, wenn ich hier eingesperrt bin?« jammerte Flarra, so daß Remy sie wieder trösten mußte.
»Nur noch eineinhalb Jahre, dann hast du deinen Schulabschluß und gehst aufs College, wo du viele neue Freundschaften schließen wirst.«
»Remy …« Flarra ließ sich von ihrem Sessel gleiten und kniete sich vor ihrer Schwester auf den Boden. »Hier gehe ich noch ein. Ich habe in diesen Mauern gelebt, solange ich zurückdenken kann. Ich will neue Orte erleben. Ich will neue und interessante Menschen kennenlernen. Ich will Männer kennenlernen. Ich bin noch nie geküßt worden.«
»Du hast mir erzählt, daß dein Tanzpartner dich beim Weihnachtsball geküßt hat.«
»Das?« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Das zählt doch nicht! Er hat mich gegrapscht und seinen Mund auf meinen gedrückt, als die Nonnen nicht hergesehen haben. Plump und primitiv. Er war ganz nervös und verschwitzt. Das hat mich nicht angetörnt, sondern nur wütend gemacht.«
Sie rutschte etwas näher und senkte ihre Stimme zu einem drängenden Flüstern. »Ich rede von einem richtigen Kuß, Remy. Ich will richtig ausgehen, ohne daß Nonnen jede meiner Bewegungen beobachten. Ich will …«
»Eine Romanze erleben.«
»Nun, was ist daran schlecht?« Sie griff nach Remys Händen und drückte sie. »Bitte, bitte, bitte, laß mich bei dir und Pinkie leben und auf eine Schule für Jungen und Mädchen gehen. Wenigstens in meinem letzten Schuljahr.«
Flarra gierte danach, endlich das richtige Leben kennenzulernen. Sie war neugierig auf Männer, weil ihre Erfahrungen auf Pinkie beschränkt waren, der sie wie ein Vater behandelte – oder zumindest wie ein liebevoller Onkel. Wie bei allen Jugendlichen ihres Alters befand sich ihr Hormonhaushalt in wildem Aufruhr, was noch verschärft wurde durch Flarras angeborene Lebenslust und ihre rege Fantasie, natürliche Überschwenglichkeit und unbezähmbare Neugier.
Remy konnte die Unruhe ihrer Schwester zwar verstehen, aber nicht nachvollziehen. Sie war als Teenager ins Internat aufgenommen worden, aber es war ihr nie als eine Art Gefängnis erschienen. Sie hatte hier eine Zuflucht gefunden. Für Remy war die Blessed Heart Academy ein sauberer, ruhiger und erholsamer Zufluchtsort gewesen.
Hinter den mit Efeu bewachsenen Schulmauern hatte sie ein bis dahin unvorstellbares Gefühl von Sicherheit und heiterer Zufriedenheit empfunden. Musik beschränkte sich auf die Kirchenlieder, die bei den Morgen- und Abendandachten gesungen wurden, denn hier gab es keine Radios, die Tag und Nacht Schlager plärrten. Keine finsteren Gestalten näherten sich der Nische, in der sie schlief. Es gab keine lüsternen Blicke, die man fürchten und denen man ausweichen mußte, keine Tobsuchtsanfälle im Drogenrausch, keine zotigen Redensarten, keinen hektischen Sex auf ungemachten Betten oder anderen horizontalen Flächen, die gerade frei waren. Es gab keinen Hunger und kein weinendes Baby, für das sie allein verantwortlich war.
Remy zog zärtlich an einer von Flarras elastischen Locken, während sie sich liebevoll an das kränkliche, weinende Baby erinnerte, dem sie alles hatte geben müssen – Nahrung, Kleidung, Liebe und Schutz –, als sie selbst noch ein kleines Mädchen gewesen war. Trotz ihres kümmerlichen ersten Lebensjahrs war Flarra zu einer unglaublich intelligenten und schönen jungen Frau herangewachsen. Remy hatte ihre kleine Schwester als Neugeborene vor Schaden bewahrt und würde sie weiter schützen, solange sie lebte.
»Gut, ich rede mit Pinkie.«
»Versprochen?«
»Ich verspreche dir, mit ihm zu reden«, unterstrich Remy. »Ich verspreche dir nicht, daß unsere Entscheidung in deinem Sinn ausfällt.«
»Pinkie hätte nichts dagegen, mich bei euch wohnen zu lassen, stimmt’s?«
»Seine Lieblingsschwägerin?« spöttelte Remy.
Pinkie war tatsächlich dagegen gewesen, daß sie Flarra nach ihrer Hochzeit zu sich holten. Sie hatte in einem Pflegeheim gelebt, während Remy hier im Internat gewesen war; er hatte gesagt, es wäre grausam, die Kleine schon wieder aus ihrer Umgebung herauszureißen. Das war der Grund gewesen, den er ihr gegenüber genannt hatte. Aber Remy wußte, daß er in Wirklichkeit nur keine Lust gehabt hatte, sich Remys Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung mit ihrer kleinen Schwester teilen zu müssen.
Als Flarra ins schulpflichtige Alter gekommen war, hatte er sie in der Blessed Heart Academy untergebracht, nachdem er Remy davon überzeugt hatte, das Internat garantiere ihr die beste Ausbildung. Remy war nichts anderes übriggeblieben, als seine Entscheidung zu billigen, und wenn sie auf ihre Ehe mit Pinkie Duvall zurückblickte, erkannte sie, daß das tatsächlich die beste Lösung für alle Beteiligten gewesen war.
Vielleicht hatte Pinkie inzwischen seine Meinung über ein Zusammenleben mit Flarra geändert. Remy wußte es nicht. Sie hatte ihn nie danach gefragt, denn unterdessen war sie dagegen, daß Flarra unter ihrem Dach lebte. Gott behüte, daß ihre leicht zu beeindruckende und impulsive Schwester in Berührung mit Pinkies übelbeleumdeten Partnern kam – mit Männern wie Wayne Bardo.
Flarras Wunsch zu erfüllen kam nicht in Frage, aber das konnte sie ihr nicht sagen, ohne eine Auseinandersetzung zu provozieren. Sie konnte Flarra auch nicht erklären, warum sie gegen ihr Vorhaben war, oder mit ihr über Dinge zu sprechen, die sie nicht verstand.
Sie konnte mit Flarra nicht über Galveston reden.
Deswegen äußerte Remy sich zunächst ausweichend. »Viel hängt davon ab, wie du dich im laufenden Schuljahr beträgst. Versprichst du mir, dich anständig zu benehmen?«
Die Sechzehnjährige begriff das als klares Vielleicht. Sie sprang auf und drehte eine graziöse Pirouette. »Ich verspreche es bei meiner Jungfräulichkeit.«
»Flarra!«
»Du brauchst nicht gleich auszuflippen. Das ist alles, was mit meiner Jungfräulichkeit passiert. Was ist mit Mardi Gras?«
»Was soll damit sein?«
»Letztes Jahr hast du gesagt, daß ich vielleicht zu eurer Party kommen darf.«
»Richtig – ich habe vielleicht gesagt.«
»Remy!«
»Darüber muß ich mit Pinkie sprechen, Flarra. Du hast eigentlich kein Recht, irgendwelche Bitten zu äußern.«
»Aber du fragst ihn?« drängte das Mädchen.
»Ich frage ihn.«
Flarra ergriff Remys Hände und zog sie an sich, um sie zu umarmen. »Danke, Schwesterherz. Ich liebe dich.«
Remy drückte sie an sich und flüsterte: »Ich liebe dich auch.«
Als sie sich trennten, war Flarras Miene trübselig geworden. »Was würde sie wohl von mir denken? Von uns beiden?«
Damit konnte Flarra nur ihre Mutter meinen. »Wer weiß? Ich denke nie an sie«, log Remy.
»Ich auch nicht.«
Flarra log ebenfalls. Natürlich dachten sie an die Frau, die sie geboren und ohne eine Spur von Bedauern fortgegeben hatte. Andererseits, wenn sie es nicht getan hätte, wäre Flarra vermutlich vor ihrem zweiten Geburtstag gestorben. Und was Remy betraf, wußte sie nur allzugut, was aus ihr geworden wäre.
»Ich muß gehen«, sagte Remy. Sie bewegte sich in Richtung Tür. »Pinkie kommt bald nach Hause.«
»Schlaft ihr jede Nacht miteinander?«
»Das geht dich nichts an.«
»Wir – meine Freundinnen und ich – glauben, daß ihr es tut. Völlig nackt und bei Licht. Haben wir recht?«
»Solltest du nicht lieber Geometrie lernen, statt über mein Sexualleben zu spekulieren?«
»Remy, ist mit dir alles in Ordnung?«
Flarra hatte die Angewohnheit, blitzschnell von einem Thema zum anderen zu springen. Diesmal erwischte sie Remy unvorbereitet. »Ob mit mir alles in Ordnung ist? Klar. Wieso fragst du?«
»Bei deinen letzten Besuchen hast du irgendwie, ich weiß nicht, müde ausgesehen.«
»Ja, ich bin ein bißchen müde. Vorgestern abend haben wir eine große Party gegeben. Ich war sehr lange auf.« Um die Spuren von Bardos Berührung abzuschrubben, fügte sie im stillen hinzu.
»Wenn du krank bist, darfst du mich nicht anlügen.«
»Ich bin nicht krank.«
Flarras Miene hellte sich auf, als sie flüsternd fragte: »Bist du vielleicht schwanger?«
»Nein, ich bin nicht schwanger.«
»Verdammt. Ich dachte, daß du vielleicht …« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Du hast doch nicht etwa Krebs oder so, nicht wahr, Remy?«
»Nein! Natürlich nicht, Flarra, ich schwöre dir, mir fehlt nichts.«
»Aber wenn du etwas hättest, etwas Schreckliches hättest, würdest du es mir sagen?«
»Ich würde es dir sagen.«
»Ich bin nämlich kein Kind mehr.«
»Das weiß ich.«
»Wenn ich dich verlieren würde…« Sie schluckte schwer. »Ich könnte dich nicht verlieren, Remy.«
»Keine Angst, ich bin immer für dich da«, versicherte Remy ihr mit sanftem Nachdruck. »Wenn etwas nicht in Ordnung wäre, würde ich’s dir sagen, aber es ist alles in bester Ordnung, also brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Okay?«
Flarra atmete erleichtert auf und lächelte ihr bezauberndes Lächeln. »Okay. Dann sehen wir uns am Freitag abend.«
»Nein. Wir werden dich nicht wie geplant zum Abendessen ausführen.«
»Warum nicht?«
Remy drehte sich an der Tür von Schwester Beatrices Büro zu der niedergeschlagenen Flarra um. »Diese Vergünstigung hast du dir durch dein nächtliches Abenteuer verspielt.«