»Was soll das heißen, er ist verschwunden?«
Bardo zuckte mit den Schultern. »Nichts anderes, als ich gesagt habe, Pinkie. Er ist abgetaucht. Als ich in die Bruchbude zurückgekommen bin, in der er sich einquartiert hatte, war er ausgezogen. Ich hab’ mir den Hausherrn vorgeknöpft, aber der schwört, daß Basile irgendwann nachts abgehauen ist. Hat ihm Miete und Schlüssel in den Briefkasten geworfen. Eine Nachsendeadresse hat er natürlich nicht angegeben. Seither ist er spurlos verschwunden. Einer unserer Leute bei der Polizei hat ein bißchen herumgeschnüffelt. Er sagt, daß niemand mehr von Basile gehört hat, seit er seine Plakette abgegeben hat.«
»Sie hätten ihn beschatten lassen müssen.«
»Stimmt, aber wer hätte das gedacht?«
Basiles scheinbares Verschwinden bereitete Pinkie Unbehagen. Basile hatte den angebotenen Job nicht mit den Worten abgelehnt: »Nein, aber Ihr Angebot ehrt mich.« Er hatte ihn auf eine Art abgelehnt, die keinen Spielraum für Verhandlungen ließ. Das störte Pinkie aus zwei wichtigen Gründen.
Erstens war er sauer, weil diese Null von einem Excop sein gutgemeintes Angebot mit beleidigenden Ausdrücken zurückgewiesen hatte. Dies war Pinkies erster Versuch gewesen, Basile zu einem Frontwechsel zu bewegen, aber nicht das erstemal, daß er daran gedacht hatte, einen Köder auszuwerfen, um zu sehen, ob Basile anbeißen würde. Gab es eine bessere Methode, einen Feind zu eliminieren, als ihn ins eigene Lager zu locken?
Und Basile war ein Feind. Als er noch im Drogendezernat gearbeitet hatte, war er ein ständiges Ärgernis gewesen, hatte darauf bestanden, daß jeder Einsatz – ob erfolgreich oder nicht – genau analysiert wurde. Er war ein Idealist, der gefordert hatte, klar herauszuarbeiten, wer für etwaige Fehler verantwortlich war und warum und weshalb Einsätze schiefgegangen waren. Er war die unermüdliche Stimme des Gewissens gewesen, die das Dezernat einigermaßen ehrlich erhalten hatte – wenn auch nicht ganz.
Noch schlimmer war, daß er anscheinend unbestechlich war. Pinkie hatte Spezialisten für alle möglichen Laster auf ihn angesetzt, damit sie die schwache Stelle in Basiles moralischem Panzer aufspürten. Keiner war erfolgreich gewesen – weder die Buchmacher noch die Drogendealer, noch die Frauen. Alle hatten versucht, ihn zu kompromittieren; alle hatten versagt.
So hatte Basile über Jahre hinweg Pinkie Duvalls Drogenhandel behindert. Er war ein selbsternannter General im Krieg gegen Drogen, und er besaß die Fähigkeit, seine Truppe zu motivieren. Seit Kevin Stuarts Tod war daraus eine Privatfehde geworden. Basile war wegen dieser Sache noch immer verbittert und dachte trotz des Freispruchs für Bardo gar nicht daran, das Kriegsbeil zu begraben. Er würde nicht ruhen, bis er Stuarts Tod gerächt hatte. Sein Ausscheiden aus dem New Orleans Police Department hatte seine wahren Absichten verschleiern sollen.
Das brachte Pinkie auf den zweiten Grund, aus dem er gehofft hatte, Basile werde bei ihm anheuern: Als einen seiner Angestellten hätte er ihn genauer überwachen können. Solange Basile bei der Polizei gewesen war, hatten sich seine Aktivitäten leicht überwachen lassen. Jetzt war er verschwunden, und niemand schien zu wissen, wo er sich aufhielt und was er vorhatte. Das gefiel Pinkie nicht.
Die Machtposition, die Pinkie sich erkämpft hatte, erlangte man nicht, ohne sich auf dem Weg nach oben eine Legion von Feinden zu machen. Die realen oder indirekten Drohungen, mit denen er im Lauf der Jahre konfrontiert worden war, waren zahllos. Er gab viel Geld für Schutz vor Leuten aus, die ihm etwas nachtrugen. Er fühlte sich sicher. Trotzdem war er clever genug, um zu wissen, daß es trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen niemals hundertprozentig wirksamen Schutz gab. Niemand – nicht einmal ein Staatsoberhaupt – war unverwundbar.
Burke Basile war irgendwo dort draußen: ein schießwütiger Kerl mit cholerischem Temperament, der Pinkie Duvall abgrundtief haßte. Er wäre ein Dummkopf gewesen, wenn ihn das nicht etwas nervös gemacht hätte.
Das System, auf das Basile vertraut hatte, hatte ihn enttäuscht, deshalb hatte er sich von ihm abgewandt. Seine jetzigen Aktivitäten richteten sich nicht mehr nach Gesetzen und den Vorschriften für den Polizeidienst. Das machte ihn doppelt gefährlich.
Gewiß, Basile konnte ihm nicht schaden, ohne selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden, aber das war kein richtiger Trost. Wie verrückt war dieser Mann eigentlich? Wie weit würde er gehen, um sich zu rächen? Was hatte er zu verlieren? Keine Karriere. Weder Frau noch Familie. Keine materiellen Besitztümer. Nicht einmal seine Integrität oder seinen guten Ruf, denn den hatten die Medien bereits zertrampelt.
Das beunruhigte Pinkie am meisten, denn er wußte aus Erfahrung, daß Menschen um so gefährlicher waren, je weniger sie zu verlieren hatten.
»Ich verlange, daß er aufgespürt wird«, erklärte er Bardo nachdrücklich.
»Was tue ich, wenn ich ihn gefunden habe?«
Pinkies Antwort bestand aus einem vielsagenden Blick.
Bardo nickte grinsend. »Wird mir ein Vergnügen sein.«
Pinkies Sekretärin klopfte an. »Entschuldigen Sie, daß ich störe, Mr. Duvall, aber Sie wollten diese Informationen haben, sobald ich sie bekäme.«
Da Bardo seinen Auftrag bereits hatte, entließ Pinkie ihn und griff nach dem getippten Bericht über Jenny’s House, den seine Sekretärin ihm hinlegte. Als er gestern abend heimgekommen war, hatte Remy fast wieder so unbefangen wie früher gewirkt. Sie hatte aufgeregt von der Wohltätigkeitsorganisation berichtet, die dieser Pater Gregory leitete, und von seiner Einladung, das zukünftige Kinderheim zu besichtigen. Pinkie hatte ihr versprochen, darüber nachzudenken. Die Sache schien harmlos zu sein – und sogar nützlich, wenn sie Remy aus dem Stimmungstief holen konnte, in dem sie in letzter Zeit steckte.
Er hatte Errol eingehend nach dem Besuch des Geistlichen befragt und zu seiner Überraschung erfahren, daß zwei Priester an der Besprechung teilgenommen hatten. Einer, hörte er, war älter und geschäftsmäßiger gewesen. Der jüngere Priester hatte gut ausgesehen, war aber nach Errols Einschätzung schwul. Dieser Pater Gregory hatte den größten Teil der Unterhaltung bestritten. Errol berichtete, er sei während ihres Besuchs im Wintergarten geblieben und die beiden Geistlichen hätten über nichts anderes als über ihr Heim für obdachlose Kinder gesprochen.
Pinkie spielte mit der Visitenkarte, die Remy von einem der Priester bekommen hatte, und fragte seine Sekretärin, ob sie die darauf angegebene Nummer angerufen habe. »Ja, Sir. Am Telefon hat sich eine Frau gemeldet.«
»Mit welchen Worten?«
»Jenny’s House.«
»Der Laden ist also in Ordnung?«
»Oh, ganz sicher, Mr. Duvall. Ich habe Pater Gregory verlangt. Sie hat geantwortet, weder er noch Pater Kevin seien im Haus, aber sie sei gern bereit, ihnen etwas auszurichten.«
Die Sekretärin lachte. »Sie hat geglaubt, ich riefe an, weil ich vorhabe, dem Heim etwas zu spenden. Sie hat mir viel mehr erzählt, als ich eigentlich wissen wollte. Ich habe nicht alles wörtlich mitgeschrieben, aber wie Sie sehen, habe ich mir ausführlich Notizen gemacht.«
»Klasse gemacht, Dixie.« Burke nahm der jungen Frau den Hörer aus der Hand und legte auf. Das Münztelefon hing auf dem Flur im ersten Stock einer billigen Absteige, in der es nach schlechter Sanitärinstallation stank.
»Das ist vierzig Dollar wert gewesen.«
Obwohl Burke im voraus gezahlt hatte, folgte Dixie ihm in das Zimmer, in dem er sich unter falschem Namen eingemietet hatte. Sie stieg aufs Bett, wobei sich die Bleistiftabsätze ihrer weißen Lacklederstiefel in die schmuddelige Tagesdecke gruben. Wenn sie wie jetzt lächelte, sah er den Klumpen apfelgrünen Kaugummis zwischen ihren Backenzähnen. »Findest du echt, daß ich wie ’ne Nonne geredet habe?«
»Ich wäre darauf reingefallen. Was zu trinken?«
»Klar doch.«
Burke angelte eine Limonadendose aus der Styroporkühlbox – hier gab es keinen Kühlschrank – und gab sie ihr.
»Ich hab’ gedacht, du meinst ’nen richtigen Drink …«
»Nichts da. In deinem Alter darfst du noch keinen Alkohol trinken.«
Sie fand das sehr witzig, riß die Dose auf und schlürfte einen Schluck Limonade. »War das vorhin dein Ernst?«
»Was denn?«
»Daß ich wie ’ne Nonne geredet hab’. Vielleicht hab’ ich den Beruf verfehlt.«
»Vielleicht.«
»Aber wenn man darüber nachdenkt, bin ich eigentlich wie ’ne Nonne.«
Burke zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
Dixie stützte sich auf beide Ellbogen. In dieser Stellung quoll ihr Busen fast aus dem tief ausgeschnittenen schwarzen Spitzenbüstenhalter unter ihrer offenen Jeansjacke. »Ich mein’s ernst!«
»Nonnen tragen keine knallroten Miniröcke aus Kunstleder und schweres Parfüm, Dixie.« Der Gardenienduft war ihr Markenzeichen. Wenn das Sittendezernat sie suchte, brauchten die Beamten nur ihrer Nase zu folgen. In dem kleinen Raum, in dem bestimmt schon tausend anrüchige Transaktionen stattgefunden hatten, lag der süßliche Duft dick wie Sirup und erregte bei Burke leichte Übelkeit.
»Nonnen dienen ihren Mitmenschen. Das tue ich doch auch?«
»Ich glaube, daß der Unterschied darin liegt, wie man ihnen dient.«
»Na ja, klar, wenn du es so genau nimmst …« Sie schlürfte ihre Limonade. »Bist du katholisch, Burke?«
»Jedenfalls so aufgewachsen.«
»Schwer, sich vorzustellen, wie du betest und so weiter.«
»Das ist schon lange her«, murmelte er.
Selbstverständlich würde Pinkie Informationen über Jenny’s House einholen – zumal seine Frau um Erlaubnis gebeten hatte, es besuchen zu dürfen. Von dieser Annahme ausgehend, hatte Burke einem notleidenden Künstler zwanzig Dollar für den Entwurf eines Logos für das nichtexistierende Kinderheim gezahlt. Damit war er in eine Schnelldruckerei mit Selbstbedienung gegangen und hatte sich ein Dutzend Visitenkarten mit diesem Logo und der Nummer des Münztelefons auf dem Flur gegenüber seinem Zimmer gedruckt. Eine dieser Karten hatte er dann Mrs. Duvall gegeben.
Heute morgen hatte er sich auf die Suche nach einer »Sekretärin« gemacht und war dabei auf Dixie gestoßen. Sie war eine gute Nutte und eine noch bessere Informantin. Was ihre Fähigkeiten im Bett betraf, hatte er keine persönlichen Erfahrungen, aber er hatte sie schon mehrmals für Tips bezahlt, die sich immer als zutreffend erwiesen hatten. Dixie arbeitete seit ihrem dreizehnten Lebensjahr als Straßenmädchen. Burke erschien es fast wie ein Wunder, daß sie das reife Alter von siebzehn Jahren erreicht hatte.
»Weißt du, ich hab’ dich heute morgen kaum wiedererkannt«, stellte sie fest, während sie mit dem kalten Dosenrand über ihre stark geschminkten Lippen fuhr. »Seit wann hast du keinen Schnurrbart mehr?«
»Seit ein paar Tagen.«
»Warum hast du ihn abrasiert?«
»Er hat mir nicht mehr gefallen.«
»Arbeitest du jetzt als verdeckter Ermittler?«
»Könnte man sagen.«
»Die Kuh am Telefon hat mir erklärt, daß sie im Auftrag von Pinkie Duvall anruft. Wie kommt das?«
»Das brauchst du nicht zu wissen.«
»Mein Gott, sei doch nicht so zugeknöpft.«
»Ich hab’ nur keine Lust, mich zu unterhalten, Dixie.« Er streckte sich neben ihr auf dem Bett aus und schob das flache Kissen unter seinem Kopf zusammen.
Dixie wälzte sich zu ihm hinüber und legte ein Bein über seine. »Das ist mir auch recht, Schätzchen. Wir brauchen nicht zu reden.«
Ihre Hand glitt über seine Brust zu seiner Gürtelschnalle hinunter und machte sich daran, sie zu öffnen. Er bedeckte ihre Hand mit seiner. »Nein, das hab’ ich nicht gemeint. Du hast dir deine vierzig Dollar schon verdient, und ich muß mein Geld zusammenhalten.«
Sie dachte kurz nach. Dann fuhr sie mit einem langen Fingernagel über seine glattrasierte Oberlippe. »Hol’s der Teufel, du kriegst es als kostenlose Dreingabe.«
»Danke, lieber nicht.«
»Warum nicht? Bist du der letzte treue Ehemann der Welt?«
»Nicht mehr.«
»Du bist nicht mehr treu?«
»Ich bin nicht mehr verheiratet.«
»Wo liegt denn das Problem? Los, komm schon, Burke! Ich hab’ schon andere Cops gehabt. Dutzende. Du bist der letzte Standhafte, und ich muß auf meinen Ruf achten. Kannst du ehrlich behaupten, daß du noch nie Lust hattest, mich zu bumsen?«
Er sah lächelnd zu ihr auf. »Dixie, du bist ein verdammt hübsches Mädchen. Es wäre sicher ein ganz besonderes Vergnügen, dich zu bumsen. Aber ich könnte eine Tochter in deinem Alter haben.«
»Was hat denn dein oder mein Alter damit zu tun?«
»Im Augenblick alles. Ich bin müde und muß schlafen.«
»Mitten am Tag?«
»Ich war nachts lange unterwegs.«
»Um so mehr Grund, sich zu entspannen und zu genießen. Die Arbeit übernehme ich.« Ihre Hand tastete sich erneut zu seiner Gürtelschnalle vor.
Burke hielt sie wieder fest. »Nein, nicht jetzt.«
Dixies Atem duftete nach grünen Äpfeln, als sie enttäuscht die Luft ausstieß. »Okay«, sagte sie widerwillig. »Kann ich dann einfach ’ne Zeitlang neben dir liegen und mich ausruhen?«
Sein Blick glitt von ihrem roten Schmollmund zu ihrem Busen, der aus den schwarzen Büstenhalterschalen hervorquoll. »Ich glaube nicht, daß ich viel Ruhe finden würde.«
Sie grinste lausbübisch. »Ich törne dich also doch an.«
»Hau ab, Dixie. Laß mich in Ruhe ein Nickerchen machen.«
Als er sie mit sanfter Gewalt von sich wegschob, krabbelte sie vom Bett. »Okay, ich hab’s jedenfalls versucht.« Sie blieb an der Tür stehen und stemmte einen Arm in die Hüfte, während ihre andere Hand auf dem Türknauf lag. »Wer sich in Pinkie Duvalls Angelegenheiten mischt, kriegt bloß Schwierigkeiten.«
»Ja, ich weiß.«
»Anständige Kerle wie dich gibt’s selten, Burke. Paß gut auf dich auf, okay?«
»Und du auf dich, Dixie.«
Gerade als sie die Tür öffnete, klingelte das Münztelefon im Flur. Burke sprang blitzschnell auf. »Los, meld dich«, wies er Dixie an und schob sie vor sich her über den Flur. »Genau wie vorher.«
Die Prostituierte sprach wie eine ausgebildete Sekretärin, als sie beim dritten Klingeln den Hörer abnahm. »Jenny’s House, guten Tag.« Nachdem sie kurz zugehört hatte, sagte sie: »Augenblick, bitte.«
Sie bedeckte die Sprechmuschel mit einer Hand und flüsterte: »Sie will Pater Gregory sprechen.«
»Wer? Die Frau von vorhin?«
»Nein, ihre Stimme klingt anders.«
»Sag ihr, daß Pater Gregory nicht im Haus ist. Frag sie, ob sie Pater Kevin sprechen möchte.«
»Und der wäre …?«
»Ich.«
Dixie warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, aber sie gab die Nachricht weiter. »Du bist dran, Padre«, flüsterte sie im nächsten Augenblick und hielt ihm den Hörer hin.
»Hallo. Hier ist Pater Kevin.«
»Hallo, Pater. Ich bin’s – Remy Duvall.«
Er schloß kurz die Augen. Bisher klappte alles wie am Schnürchen. »Oh, natürlich. Hallo. Wie geht’s, Mrs. Duvall?«
»Danke, gut. Gilt Ihre Einladung, Jenny’s House zu besichtigen, noch immer?«
»Gewiß. Wann hätten Sie denn Zeit?«
»Übermorgen? Nach dem Mittagessen?«
Übermorgen. Nach dem Mittagessen. In knapp achtundvierzig Stunden. Ließen sich bis dahin alle Vorbereitungen treffen? »Gern«, hörte er sich sagen. »Um drei Uhr?«
»Perfekt. Geben Sie mir noch die Adresse?«
»Äh, das Haus ist nicht leicht zu finden, wissen Sie? Deshalb wär’s einfacher, wenn Pater Gregory und ich Sie abholen und hinfahren.«
»Oh. Ich weiß nicht recht …«
Als er ihr Zögern spürte, sagte er: »Ihre Spende war ein Geschenk Gottes für uns. Wir haben uns einen dringend benötigten Kleinbus angeschafft. Den möchten wir Ihnen vorführen.« Dixie kaute eifrig auf ihrem Kaugummi herum und beobachtete Burke amüsiert und neugierig.
»Ich freue mich, daß unsere Spende gute Verwendung gefunden hat«, sagte Remy Duvall.
»Sollen wir Sie also abholen?«
»Nun, dagegen wäre nichts einzuwenden, glaube ich.« Dann fügte sie entschlossener hinzu: »Ja, holen Sie uns hier ab.«
»Uns?«
»Mich und meinen … äh … Errol. Er kommt mit.«
»Kein Problem.«
»Gut, dann bis übermorgen um drei Uhr.«
Burke bestätigte den Tag und die Uhrzeit. Dann hängte er ein, ließ den Hörer jedoch nicht gleich los. Er stand da und schien ins Leere zu starren, aber sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Erst nach einiger Zeit merkte er, daß Dixie noch da war, mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und ihn forschend anstarrte. »Was hast du, Burke?«
»Wie meinst du das?«
»Du siehst wie ein Schuljunge aus, dem die Ballkönigin eben ein Rendezvous versprochen hat – aufgeregt und ein bißchen ängstlich.«
»Wohl kaum ein Rendezvous, Dixie«, sagte er geistesabwesend. Dann gab er sich einen Ruck und bedankte sich nochmals für ihre Hilfe. »Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.«
»Was denn eigentlich?«
»Schon gut.« Impulsiv klopfte er seine Taschen nach einem Zettel ab, auf den er etwas schreiben konnte. »Paß auf, ich gebe dir eine Adresse. Heb sie gut auf. Falls du jemals einen sicheren Zufluchtsort brauchst, geh dorthin.«
In einer Hosentasche fand er eine alte Tankrechnung, auf die er eine Adresse kritzelte. Dixie warf nur einen flüchtigen Blick darauf, bevor sie den Zettel in eine ihrer Jackentaschen steckte. »Zufluchtsort? Mir passiert nichts.«
»Red keinen Stuß. Mädchen wie du haben keine hohe Lebenserwartung. « Er tippte auf die Tasche, in die sie den Zettel gesteckt hatte. »Nicht vergessen!«
Burke lehnte den Kopf an die Kopfstütze seines neuen Wagens. Na ja, nicht gerade neu, bloß anders als der Wagen, den er bisher gefahren hatte. Obwohl ihm das schwerfiel, widerstand er der Versuchung, kurz die Augen zu schließen. Hätte er das getan, wäre er vielleicht vor Erschöpfung eingeschlafen und hätte irgend etwas verpaßt.
Nach all der Mühe, die es gekostet hatte, die Wanze anzubringen, konnte er nur hoffen, daß das verdammte Ding funktionierte.
Duvall ließ sein Haus vermutlich regelmäßig nach Abhörmikrofonen absuchen, und obwohl er nicht ahnen konnte, daß Burke Basile diese winzige Wanze unter seinem Nachttisch angebracht hatte, würden die beiden geistlichen Besucher zu den Verdächtigen gehören.
Da hochmoderne Geräte teuer waren und Burke sparen mußte, hatte er sich an einen Cop gewandt, der im Asservatenraum arbeitete und ihm einen Gefallen schuldig war. Der Sohn dieses Polizeibeamten war vor einigen Jahren in schlechte Gesellschaft geraten und von Burkes Leuten wegen Drogenbesitzes verhaftet worden. Mit Einverständnis des Vaters hatte Burke sich den Jungen vorgeknöpft und ihm derartig Angst eingejagt, daß er auf den rechten Weg zurückfand. Dafür waren ihm die Angehörigen noch heute dankbar.
Das winzige Abhörmikrofon war bei einer Durchsuchungsaktion beschlagnahmt worden; niemand würde es vermissen, deshalb hatte der Cop es mitgehen lassen. Basile und er hatten es ausprobiert. Das Ding funktionierte, aber die Tonqualität war nicht überragend.
Heute abend hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, das Gerät zu testen. Nach eineinhalb Stunden Überwachung war es im Schlafzimmer der Duvalls immer noch dunkel. Er sah auf seine Armbanduhr: 23.12 Uhr. Wie lange konnte er noch warten? Er war völlig übermüdet. Seit Mrs. Duvall heute ihren Besuch angekündigt hatte, war er sehr beschäftigt gewesen.
»Vater Kevin« hatte keine Mühe gehabt, Duvalls Barscheck bei der bezogenen Bank einzulösen. Mit diesem Geld hatte er einen preiswerten Kleinbus gekauft, den ein Privatmann in einer Anzeige angeboten hatte. Den Bus hatte er sofort in eine Hinterhofwerkstatt mit Lackiererei gefahren, um einen Eilauftrag zu erteilen, der bis morgen mittag ausgeführt wäre. Dann war er in seine Zimmer zurückgekehrt und hatte eine Pappschablone zurechtgeschnitten, mit der er die Türen des frischlackierten Busses mit dem Logo von Jenny’s House verzieren konnte.
Die Limousine glitt an ihm vorbei.
Bis Burke merkte, daß der Wagen den Duvalls gehörte, hatte er bereits die Schlußleuchten vor sich. Er hielt den Atem an, bis die Limousine durch das Tor der rückwärtigen Grundstückseinfahrt gerollt war. Wenig später wurde im Schlafzimmer der Duvalls Licht gemacht.
Er setzte den Kopfhörer auf und hörte sofort Stimmen.
»… in der Oper … hab’ sie gehört … und null Talent.« Das war Pinkie.
Burke rückte seinen Kopfhörer zurecht und hörte Mrs. Duvall sagen: »… beide stolz darauf, daß sie übers Probesingen hinausgekommen ist. Sie ist ihre einzige Tochter.«
»Ich hab’ mich verdammt gelangweilt. Hier drin ist es viel zu heiß. Dreh doch mal die Heizung runter.«
Danach war einige Minuten lang nichts mehr zu hören, und Burke vermutete, daß die beiden sich in ihren getrennten Ankleideräumen bettfertig machten. Schließlich sagte Mrs. Duvall: »Ich schreibe ihnen morgen ein paar Zeilen und bedanke mich für die Einladung.«
»Meinetwegen. Zieh das verdammte Ding aus.«
Das Licht wurde ausgeknipst. Aus dem Kopfhörer kamen Geräusche, die unschwer zu deuten waren: Bettwäsche raschelte, Körper veränderten ihre Haltung, Pinkie rückte näher an seine nackte Frau heran und streichelte die Haut, die nach Körperpuder aus einer Dose mit Silberdeckel duftete.
Burke schloß die Augen.
»Alle Männer, die heute abend da waren, haben meine schöne Frau bewundert.«
»Oh, danke.«
Burke ermahnte sich, nicht länger zu lauschen. Die beiden würden nicht über Duvalls Drogengeschäfte sprechen. Er würde nichts Wissenswertes erfahren, wenn er dieses Privatgespräch noch länger belauschte. Aber er hörte trotzdem weiter zu.
»Den alten Salley habe ich dabei erwischt, wie er deine Titten angestarrt hat. Ich habe ihm einen bösen Blick zugeworfen. Er ist bis unter sein Toupet rot geworden.« Duvall lachte halblaut. »Bis es die Nachspeise gegeben hat, haben er und alle anderen Männer am Tisch ihre Servietten gebraucht, um ihren Steifen zu tarnen.«
»Sag das nicht.«
»Warum nicht? Es ist wahr.«
»Das glaube ich nicht.«
»Glaub’s ruhig, Remy. Wenn ein Mann dich ansieht, kann er nur ans Vögeln denken.« Wieder ein Rascheln, die Bewegungen von Gliedmaßen. »Merkst du, was ich meine?«
Sie murmelte etwas mit so leiser Stimme, daß das Mikrofon ihre Worte nicht auffing.
Was sie sagte, gefiel Duvall jedenfalls, denn er lachte, als gratulierte er sich selbst. »Du weißt, was man damit machen kann, Süße.«
Im nächsten Augenblick grunzte Duvall zufrieden.
Burke senkte den Kopf und rieb sich kräftig die Augen.
Nach einiger Zeit, die Burke wie eine Ewigkeit erschien, stöhnte Duvall: »O mein Gott, das macht mich verrückt. Komm her!« Dann fragte er: »He, was ist mit dir los? Warum bist du nicht feucht?«
»Laß mich aufstehen, dann hole ich etwas.«
»Schon gut. Ziehe deine Knie … ja, genauso. Wie Pinkie es dir beigebracht hat.«
Burke preßte den Hinterkopf an die Kopfstütze. Er hörte weiter zu. Er hörte die obszönen Ausdrücke, die Duvall hervorstieß, er hörte sein Ächzen und Stöhnen. Er hörte sich alles an, bis Duvall keuchend und fluchend den Höhepunkt erreichte.
Danach kam nichts mehr aus seinem Kopfhörer als ein leises Rauschen. Burke horchte noch einige Minuten lang angestrengt. Als sein Unterkiefer zu schmerzen begann, merkte er, daß er die Zähne fest zusammengebissen hatte. Seine Finger umklammerten das Lenkrad so angestrengt, daß sie weiß waren. Er löste sie langsam. Dann setzte er den Kopfhörer ab und warf ihn gereizt auf den leeren Beifahrersitz. Er fuhr sich mit einem Ärmel über die schweißnasse Stirn.
Nach einiger Zeit ließ er den Motor an und fuhr davon.