23. Kapitel

»Hat er vor, mich umzubringen?«

Dredd fütterte Remy mit der Suppe, und als etwas Flüssigkeit danebentropfte, machte er sich umständlich daran, ihre Lippen mit einer Papierserviette abzutupfen. Brummend warf er sich seine Ungeschicklichkeit vor, ohne jedoch ihre Frage zu beantworten.

»Tun Sie nicht so, als hätten Sie mich nicht verstanden, Dredd«, sagte sie und bedeckte seine Hand mit ihrer, als er den nächsten Löffel Suppe an ihren Mund führen wollte. »Keine Angst, ich gerate nicht in Panik. Ich will’s nur wissen. Hat er vor, mich umzubringen?«

»Nein.«

Als sie in seinem Gesichtsausdruck nichts sah, was Zweifel hätte wecken können, ließ sie sich wieder in die Kissen zurücksinken, die er ihr in den Rücken gestopft hate, um sie leichter füttern zu können. Remy hatte behauptet, selbst essen zu können, aber er hatte darauf bestanden, sie zu füttern, und sie war jetzt froh, daß sie zugestimmt hatte. Die Schußwunden an ihrem Rücken waren nicht mehr so schmerzhaft wie zuvor, aber sie war nach ihrem langen, betäubten Schlaf noch immer benommen. Sie hätte nicht die Kraft gehabt, mehr als ein paar Löffel an ihren Mund zu führen, obwohl sie überraschend hungrig war. Die Suppe, die Dredd als court-bouillon bezeichnete, bestand aus Fischbrühe mit Reis, Tomaten und Zwiebeln. Sie war würzig und schmackhaft.

»Hat er es auf ein Lösegeld abgesehen?«

»Nein, chérie. Basile macht sich nicht allzuviel aus materiellen Gütern.« Dredd sah sich in seinem Schlafzimmer um, dessen Einrichtung er vom Sperrmüll geholt hatte, und fügte blinzelnd hinzu: »In dieser Beziehung sind wir zwei uns ähnlich.«

»Weshalb sonst?«

»Sie kennen die Geschichte von Basiles Freund, dem Prozeß gegen Wayne Bardo und so weiter?«

»Rache?«

Der Alte murmelte etwas auf Cajun-Französisch, aber sein vielsagendes Schulterzucken sprach Bände.

»Mein Mann bringt ihn um.«

»Das weiß er.«

Remy sah ihn fragend an.

»Basile ist es egal, ob er stirbt, wenn er nur Duvall mitnehmen kann. Ich habe heute morgen versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, aber er will nicht hören. Er wird von Dämonen getrieben.«

In der Hoffnung, ihn als Verbündeten gewinnen zu können, ergriff sie seine Hand und umklammerte sie. »Bitte, rufen Sie die Polizei an. Nicht nur für mich, Dredd, sondern auch für Mr. Basile. Er kann sich noch immer freiwillig stellen. Oder vergessen Sie die Polizei. Rufen Sie meinen Mann an. Basile kann verschwinden, bevor Pinkie hier eintrifft. Ich überrede Pinkie dazu, auf eine Anzeige zu verzichten. Bitte, Dredd.«

»Ich wäre Ihnen liebend gern behilflich, Remy, aber Burke Basile ist mein Freund. Ich würde sein Vertrauen nie enttäuschen.«

»Auch nicht, wenn es zu seinem Besten wäre?«

»Er würde es nicht so sehen, chérie.« Dredd entzog ihr behutsam seine Hand. »Für Basile ist diese Sache eine … eine Mission. Er hat sich geschworen, Kevin Stuarts Tod zu rächen. Davon kann ihn jetzt niemand mehr abbringen.«

»Sie kennen ihn wohl sehr gut?«

»So gut wie jeder andere, schätze ich. Er ist kein Mann, den man leicht kennenlernt.«

»Was für ein Mensch ist er?«

Dredd kratzte sich nachdenklich das Kinn unter dem dichten grauen Bart. »Droben in New Orleans war mal ’n Mann, der hat seine Frau und seine drei Kinder immer wieder verprügelt. Ich meine, er hat sie schlimm zugerichtet, immer wenn er betrunken war, und das war er die meiste Zeit. Aber seine verarmte weiße Familie und seine Freunde haben ihn jedesmal mit irgendwelchen Tricks aus dem Gefängnis rausgeholt, wenn er wieder mal verhaftet worden war.

Eines Abends meldet eine Nachbarin beim Notruf, daß er diesmal anscheinend seine Familie umbringt, weil das Gekreisch der Kinder in der ganzen Nachbarschaft zu hören ist. Der erste Cop am Tatort wartet nicht lange auf Verstärkung, weil die Kinder in Gefahr sind – und außerdem denkt er, er braucht keine Hilfe, um mit einem einzelnen bösartigen Betrunkenen fertig zu werden. Also geht er allein rein.

Nun, als das Geschrei vorbei ist, liegt der prügelnde Ehemann tot auf dem Küchenfußboden, und Frau und Kinder haben zum erstenmal Ruhe vor ihm. Aber gegen den Polizeibeamten, der das Schwein erschossen hat, wird ein Ermittlungsverfahren der Innenrevision eingeleitet.

Sehen Sie, ein paar Bürohengste beim New Orleans Police Department haben sich gefragt, ob der Cop es vielleicht so satt hatte, daß dieses Schwein seine Frau und die Kinder als Punchingball benützt, daß er ihn bei der nächstbesten Gelegenheit abgeknallt und danach auf Notwehr plädiert hat.

Der Besoffene ist mit einem armlangen Tranchiermesser auf den Cop losgegangen, aber solche Tatsachen haben die Innenrevision nicht interessiert. Schlechte Publicity, wenn ein Tatverdächtiger bei der Festnahme von einem Cop erschossen wird. Die Medien prangern die Polizei an. Alle stimmen das alte Lied von der Polizeibrutalität an. Jedenfalls hat keiner die Partei dieses Cops ergriffen.

Keiner außer Basile. Basile hat zu ihm gehalten, als kein anderer auch nur mit ihm reden wollte. Die anderen Cops wollten nicht mit einem Kollegen in Verbindung gebracht werden, gegen den ermittelt wird, wissen Sie, aber Basile hat ihm bewußt seine Freundschaft angeboten, als er dringend Freunde brauchte, aber keine finden konnte.«

Nachdem Dredd diese Geschichte erzählt hatte, nahm er das Tablett von ihrem Schoß und stellte es auf die Kommode neben der Tür.

»Was ist aus dem Beamten geworden?« fragte Remy.

»Der hat zwangsweise gekündigt.«

»Und in den Bayous einen Laden eröffnet.«

Er drehte sich zu ihr um. »Das ist acht Jahre her. Hab’ mich seitdem nicht mehr rasiert.« Sein Bart teilte sich und ließ ein kurzes Grinsen sehen.

»War es denn Notwehr?«

»Ja, aber das ist nicht der springende Punkt. Wichtig ist nur, daß Basile im Zweifelsfall für Officer Dredd Michoud gestimmt hat. Basile war kein hohes Tier, aber er hat offen zu mir gehalten, obwohl das unpopulär und taktisch unklug war.«

Als er ans Bett zurückkam, brachte er eine kobaltblaue Flasche mit. Er entkorkte sie und goß ein paar Tropfen aus der Flasche in eine Tasse Tee.

»So, das trinken Sie jetzt, chérie. Ich habe Sie mit all diesem Geschwätz ermüdet. Es wird Zeit, daß Sie wieder schlafen.«

»Was geben Sie mir da?« fragte sie.

»Der Name würde Ihnen nichts sagen.«

»Wahrscheinlich ist es in Wasser aufgelöstes Aspirin.« Remy blickte auf und sah den Mann, über den sie gesprochen hatten, an der offenen Tür stehen. Er fügte scherzhaft hinzu: »Aber die geheimnisvolle Flasche ist ein gutes Requisit, Dredd. Damit wirkst du wie ein echter Alchimist.«

Dredd machte ein finsteres Gesicht. »Da sieht man, daß du keine Ahnung hast. Ein Schnapsglas von diesem Zeug würde dich für ungefähr eine Woche umhauen, Klugscheißer.«

Der schon mit Dredds Fundsachen vollgestopfte Raum schien noch kleiner zu werden, als Basile sich zwischen die Kommode und das Fußende des Bettes zwängte.

»Wie geht’s ihr?«

»Warum fragst du sie das nicht selbst?«

Tatsächlich war Remy froh, daß Basile sie nicht direkt angesprochen hatte. Sie wollte ihn lieber ignorieren. »Von wem haben Sie gelernt, Kranke zu pflegen, Dredd?«

»Von meiner Großmutter. Wissen Sie, was ein traiteur ist?«

»Ein Heiler?«

»Sie sprechen Französisch?«

Die Frage kam von Basile, der überrascht zu sein schien. »Und Spanisch«, antwortete sie ruhig, bevor sie sich wieder an Dredd wandte. »Der Cajun-Dialekt unterscheidet sich sehr vom Schulfranzösischen, nicht wahr?«

»Das kann man wohl sagen!« kicherte er. »Wenn wir miteinander reden, bekommen Außenstehende kein Wort mit. Und genau das gefällt uns.«

»Wie war Ihre Großmutter?«

»Unheimlich wie der Teufel. Sie war schon ziemlich alt, als ich als Sohn ihres jüngsten Sohns auf die Welt gekommen bin. Aus irgendeinem Grund, den ich nie verstanden habe, hat die alte Dame einen Narren an mir gefressen. Sie hat mich oft in die Sümpfe mitgenommen, wenn sie Kräuter und Wurzeln für ihre Elixiere gesammelt hat. Sie hat Dutzende davon hergestellt. Die Leute sind zu ihr gekommen, um sich Mittel gegen alles von Gelbsucht bis Eifersucht zu holen.«

»Sie scheint eine faszinierende Frau gewesen zu sein.«

Sein graues Haupt nickte nachdrücklich. »Heilkundige hat’s bei den Cajuns schon immer gegeben. Manche Leute halten sie für Hexen, die Schwarze Magie praktizieren. In Wirklichkeit sind es Frauen mit besonderen Heilfähigkeiten, die sich auf Kräutermedizin verstehen.«

»Frauen?«

»Meistens. Ich bin eine Ausnahme«, sagte er fast prahlerisch. »Ich habe nicht alles gelernt, was Großmutter Michoud wußte, bei weitem nicht, aber nachdem ich mich hier angesiedelt hatte, habe ich angefangen, einige ihrer weniger komplizierten Tränke herzustellen.«

»Eines Tages wirst du noch jemanden vergiften«, behauptete Basile.

»Aber nicht heute abend«, widersprach Dredd. Wie um Basile in seine Schranken zu verweisen, drückte er die Teetasse an Remys Lippen. »Trinken Sie nur, chérie.«

Möglicherweise hatte Basile recht. Der Tee konnte vergiftet sein und sie so tief schlafen lassen, daß sie nie wieder aufwachte. Aber sie vertraute Dredd instinktiv, deshalb trank sie die Tasse aus. Er stellte sie mit aufs Tablett und trug es zur Tür. Dort blieb er stehen und knurrte Basile an: »Laß sie in Ruhe, ja?«

Als sie allein waren, vermied Remy es, ihn anzusehen. Basile erschien ihr bedrohlicher als der Alligatorschädel auf der Kommode hinter ihm oder die fast zwei Meter lange Schlangenhaut, die an die mit Zeitungen tapezierte Wand gepinnt war. Tatsächlich war sie lieber mit Dredds makabren Dekorationsstücken allein als mit Basile. Sie empfand bereits eine willkommene Schläfrigkeit, aber sie fühlte sich verwundbar, wenn sie mit geschlossenen Augen dalag, während er sie anstarrte. Ihre Schultern über der schmuddeligen Bettdecke waren nackt. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie es gekommen war, daß sie nichts mehr anhatte. Sie wollte es auch gar nicht wissen.

»Wenn ich es wirklich für möglich hielte, er könnte Sie vergiften, hätte ich Sie nicht zu ihm gebracht.«

Obwohl er ruhig sprach, klang seine Stimme in dem kleinen Raum so unnatürlich laut, daß Remy die Schallwellen körperlich spürte. Wahrscheinlicher war, daß Dredds selbstgebrauter Schlaftrunk ihren Verstand betäubt, aber alle ihre Sinne geschärft hatte.

Sie kämpfte gegen den Impuls an, ihn anzusehen, aber ihr Blick wurde unwiderstehlich zum Fußende des Betts hingezogen. Seine Hände umfaßten das eiserne Querrohr des Bettgestells. Er schien es regelrecht zu umklammern, stützte sich sogar darauf, als fürchtete er, das Bettgestell könnte plötzlich zu schweben beginnen.

»Was hätten Sie mit mir getan, Mr. Basile, wenn Sie mich nicht hierhergebracht hätten? Mich irgendwo am Straßenrand ausgesetzt?«

»Ich habe nie gewollt, daß Sie verletzt werden.«

»Nun, es ist aber passiert.« Er schwieg hartnäckig, aber daß er sich nicht entschuldigte, überraschte sie nicht. »Ihre Tarnung war sehr gut.«

»Danke.«

»Ist Pater Gregory echt?«

»Nein. Er ist ein Schauspieler, den ich dazu erpreßt habe, mir bei dieser Sache zu helfen. Es war seine Schuld, daß Sie verletzt wurden. Sie und ich hätten das Crossroads allein verlassen sollen.«

»Was haben Sie mit ihm gemacht?«

»Überhaupt nichts«, knurrte er. »Als ich heute morgen aufgewacht bin, war er verschwunden. Er ist irgendwann vor Tagesanbruch heimlich abgehauen.«

Sie wußte nicht recht, ob sie ihm das glauben sollte, aber andererseits hätte er Pater Gregory schon gestern beseitigen können, als er so wütend auf ihn gewesen war. »Mit dieser Sache kommen Sie nie durch, Mr. Basile.«

»Das erwarte ich auch nicht.«

»Was erhoffen Sie sich dann davon?«

»Seelenfrieden.«

»Mehr nicht?«

»Das ist schon viel.«

Sie musterte ihn prüfend, ohne seine Miene deuten zu können. »Was wird aus mir?«

»Sie werden’s überleben.«

»Pinkie bringt Sie um.«

Er verließ seinen Platz am Fußende und trat neben das Bett. Seine Hand, auf der sich noch immer die tiefen Kratzer abzeichneten, die ihre Fingernägel hinterlassen hatten, griff nach ihr.

»Nein!« schrie sie. Trotz ihrer Mattigkeit packte sie sein Handgelenk.

»Lassen Sie los.«

»Was haben Sie vor? Bitte, tun Sie mir nichts.«

»Lassen Sie los«, wiederholte er.

Sie ließ die Hand sinken, weil sie nicht die Kraft hatte, sich wirklich gegen ihn zu wehren. Ihr Blick verfolgte ängstlich, wie seine Hand neben ihrem Kopf verschwand. Seine Finger berührten ihr Haar.

Dann zog er die Hand wieder zurück, und Remy sah, was er zwischen Daumen und Zeigefinger drehte, eine weiße, flaumige, leicht gekrümmte Daunenfeder aus Dredds modrigem Kopfkissen.

»Haben Sie Angst vor mir?«

Ihre Augen fixierten die sich langsam drehende Feder, als werde sie hypnotisiert. Sie hob langsam den Blick und sah zu ihm auf. »Ja.«

Er nahm ihre Antwort zur Kenntnis, ohne ihr jedoch hastig zu versichern, sie habe keinen Grund, sich vor ihm zu fürchten. »Haben Sie Schmerzen?«

Ihre Augen schlossen sich, als hätte seine Frage sie daran erinnert, daß Dredd ihr ein Beruhigungsmittel gegeben hatte. »Nein.«

»Irgendwo?«

»Nein.«

»Tut die Stelle weh, wo Sie sich auf die Lippe gebissen haben?«

»Hab’ ich das getan?«

»Gestern abend hat die Stelle geblutet.«

»Ach, jetzt erinnere ich mich. Nein, sie tut nicht weh.«

»Wird Ihnen von Dredds Medizin schlecht?«

»Überhaupt nicht.«

»Ich habe überlegt, ob es nicht vielleicht besser wäre, Sie würden dieses Zeug nicht trinken. Vielleicht ist es nicht gut für … Also, ich meine, soll ich ihm von dem Baby erzählen, das Sie verloren haben?«

»Wenn ich noch schwanger wäre, vielleicht, aber …« Der Schock ließ sie zusammenfahren, aber ihre Augen öffneten sich nur langsam, und selbst danach mußte sie darum kämpfen, Burke Basile deutlich zu sehen.

Er stand immer noch an ihrer Seite, völlig reglos bis auf die rechte Hand, die er streckte und zur Faust ballte. Unverwandt blickte er ihr in die Augen, fast als könnte er ihre Gedanken lesen und in ihr Herz sehen.

»Woher wissen Sie von meinem Baby?«

 

Douglas Patout war nicht überrascht, bei seiner Rückkehr Pinkie Duvall in seinem Dienstzimmer vorzufinden. Bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging Duvall bereits in die Offensive. »Wo haben Sie den ganzen Tag gesteckt?«

Patout, der die Stimmung seines Gast richtig deutete und den Grund dafür kannte, verzichtete auf die üblichen Höflichkeitsfloskeln. Er schlüpfte aus seiner Jacke, hängte sie auf und setzte sich hinter den Schreibtisch. »Im Jefferson Parish. Seltsamerweise ist dort in letzter Zeit verdammt viel los. Wie ich höre, waren Sie gestern abend auch draußen.«

»Dann wissen Sie also, was passiert ist.«

»Ja. Aber ich weiß nicht, warum Sie diesen Zirkus mit dem Sheriff aufgeführt haben. Warum haben Sie den Fall nicht der Polizei überlassen, solange die Spur noch heiß war?«

»Ich löse meine Probleme auf meine Art.«

»Hier geht’s um mehr als nur ein Problem, Duvall.«

»Sie waren außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs, Patout. Wie sind Sie mit diesen Hinterwäldlern verblieben?«

»Nicht anders als Sie, aber ich habe ein paar Stunden im Büro des Sheriff zugebracht. Als Gefallen unter Kollegen durfte ich die Niederschriften der Zeugenaussagen lesen. Und ich habe mit den Deputies gesprochen, die als erste am Tatort waren. Auch wenn Sie den Sheriff und seine Leute davon überzeugt haben, der Vorfall sei nichts weiter als eine bizarre Abfolge falsch interpretierter Ereignisse gewesen, steht für mich fest, daß Ihre Frau entführt wurde.« Er fügte unwirsch hinzu: »Halten Sie es nicht allmählich für ratsam, das FBI einzuschalten?«

»Nein. Wenn ich Burke Basile erwische, bringe ich ihn eigenhändig um.«

Seine Arroganz verstörte und verärgerte Douglas Patout. »Sie haben vielleicht Nerven – platzen hier rein und stellen solche Behauptungen auf!« Er riß die unterste Schublade seines Schreibtischs auf und nahm eine Flasche Jack Daniel’s heraus. Dann kippte er den öligen Rest seines Morgenkaffees in den Müllbeutel, mit dem sein Papierkorb ausgekleidet war, und goß einen Schuß Whiskey in den Becher. »Im Regal dort drüben steht irgendwo ein zweiter Becher.«

»Nein, danke. Ich trinke nicht mit Cops.«

»Arroganz und Beleidigungen.« Patout hob seinen Becher, wie um Duvall zuzutrinken, stärkte sich mit einem Schluck Whiskey, schenkte nach, trank noch mal und wandte sich dann an den einflußreichsten Anwalt der Stadt, der eben unmißverständlich angekündigt hatte, er werde den Cop – den ehemaligen Cop –, der seine Frau entführt hatte, eigenhändig umbringen.

»Was hatte Mrs. Duvall mit diesen angeblichen Geistlichen zu schaffen?«

Duvall berichtete, was er über den Schwindel mit Jenny’s House in Erfahrung gebracht hatte, und schilderte seine eigenen Nachforschungen, die ihn zu der schäbigen Absteige geführt hatten. Patout lächelte humorlos, als er von dem Hinweis auf dem Friedhof Lafayette hörte. »Typisch Basile! Damit dürfte auch sein Tatmotiv klar sein.« Er schüttelte den Kopf und murmelte bedauernd: »Gott, er muß übergeschnappt sein.«

»Nein, ist er nicht«, widersprach Duvall. »Wenn er verrückt wäre, hätte ich vielleicht Mitleid mit ihm und würde ihn schnell umbringen. Aber er ist ein verschlagener Kerl und weiß genau, was er tut, deswegen reiße ich ihm bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust.«

»Beherrschen Sie sich gefälligst, Duvall. Überlegen Sie, wo Sie sind.«

»Ich weiß genau, wo ich bin, aber das ist mir scheißegal. Was ich hier sage, bleibt unter uns. Sie wollen so wenig wie ich, daß dieser begriffsstutzige Sheriff oder das FBI sich in den Fall einmischen, weil Sie den Ruf des New Orleans Police Departments und Ihres Freundes Basile schützen wollen.«

»Basile hat den Dienst quittiert. Er ist nicht mehr bei der Polizei, also bin ich nicht mehr für ihn verantwortlich.«

»Offiziell vielleicht nicht. Aber wenn er schon bald nach seinem Ausscheiden so verrückte Dinge tut, werden die Leute sich fragen, warum denn niemand die ersten Anzeichen erkannt hat, bevor er übergeschnappt ist. Warum hat man ihn nicht in Therapie geschickt, nachdem er Stuart erschossen hatte? Warum hat der Chef des Drogen- und Sittendezernats seine Gemütsveränderung nicht bemerkt? Sie sehen, worauf ich hinauswill, Patout? Wenn ich Basile nicht aufspüre, bevor die Polizei ihn schnappt, stecken Sie verdammt tief in der Scheiße.«

»Hören Sie auf, mir zu drohen, Duvall!«

»Ich erzähle Ihnen nur, wie die Dinge stehen.«

»Wenn Basile sich strafbar gemacht hat, wird er dafür zur Rechenschaft gezogen.«

»Da haben Sie verdammt recht, das wird er!«

Patout wünschte sich, Burke wäre hier. Es hätte ihn gefreut, daß er Pinkie Duvall so weit gebracht hatte, einen ganz gewöhnlichen Wutanfall zu bekommen. Patout genoß es wirklich, Duvall so aufgelöst zu erleben. Im stillen gratulierte er seinem Freund dazu.

»Vielleicht ist es schwieriger, Basile umzubringen, als Sie denken«, sagte er. »Sind Sie sich darüber im klaren, mit was für einem Menschen Sie es da zu tun haben? Basile trieft geradezu vor Integrität. Ehre ist sein zweiter Vorname.«

»Wirklich?« Duvall schnaubte verächtlich. »Sie kennen ihn anscheinend nicht so gut, wie Sie glauben.«

»Vielleicht nicht«, gestand Patout ein. »Ich hätte nicht gedacht, daß er alles auf eine Karte setzen und etwas so Dramatisches tun würde, aber er hat’s getan, was die Situation für Sie noch gefährlicher macht. Basile rechnet mit keiner friedlichen Lösung. Er tut Ihrer Frau nichts. Um ihre Sicherheit mache ich mir keine Sorgen. Aber ich bin sehr um Ihre besorgt.«

»Ich habe keine Angst vor diesem ausgebrannten Excop, der sich als Priester ausgibt, verdammt noch mal!«

»Das sollten Sie aber. Basile ist clever. Weit cleverer als ich und vielleicht sogar cleverer als Sie, Duvall – auch wenn Sie das für unmöglich halten. Und sein Motiv ist Rache. Das ist sein starkes Motiv. Es ist töricht, ihn nicht zu fürchten.«

Duvall funkelte ihn an, protestierte aber weder gegen die Beleidigung noch gegen das Charakterbild, das Patout von Basile entwarf. »Wer war der andere Kerl?«

»Der zweite Geistliche? Keine Ahnung.«

»Wo soll ich mit der Suche nach Basile anfangen?«

»Das weiß ich auch nicht. Aber mit diesem Kleinbus kommt er nicht weit. Der Beschreibung nach muß er leicht zu erkennen sein.«

»Der Bus ist bereits gefunden.«

Das verblüffte Patout. »Wo? Wer hat ihn gefunden?«

»Ich habe ein paar Leute losgeschickt, damit sie ihn suchen. Sie haben ihn vor zwei Stunden gefunden – verlassen und halb im Wasser eines Bayous zwischen hier und Houma versunken.«

»Wo ist er jetzt?«

»Das erfahren Sie nie.«

»Duvall, ich bestehe darauf, daß er als Beweismittel der Polizei übergeben wird.«

»Sie bestehen darauf?« fragte Duvall spöttisch. »Vergessen Sie’s, Patout. Selbst wenn Sie darauf bestehen, ist der Bus jetzt verschwunden.«

Patout starrte Duvall an, dann schüttelte er verständnislos den Kopf. »Sie sind so verrückt wie Basile. Ich kann nicht zulassen, daß das so weitergeht.« Er griff nach seinem Telefon, aber Duvall schlug ihm den Hörer aus der Hand.

Patout sprang auf und funkelte den Anwalt wütend an. »Das lasse ich mir nicht bieten, Duvall, auch nicht von Ihnen! Ich muß das FBI benachrichten.«

»Pinkie Duvall braucht das FBI nicht.«

»Braucht es nicht oder will es nicht?« Patouts Zeigefinger bohrte sich in Duvalls Brust. »Sie wollen nicht, daß das FBI sich mit diesem Fall beschäftigt, weil Sie zuviel zu verbergen haben. Würde es sich erst mal mit Ihren Angelegenheiten befassen, könnte es die Entführung Ihrer Frau als nebensächlich betrachten und anfangen, wegen der wirklich großen Sachen zu ermitteln.«

Obwohl Patout sich darüber im klaren war, daß er ein Ungeheuer ohne Gewissen vor sich hatte, grinste das Ungeheuer jetzt. Duvalls Stimme klang gelassen, einschmeichelnd und bedrohlich. »Vorsicht, Patout. Sie wollen doch nicht, daß ich mich aufrege, stimmt’s?«

Er schob Patouts Hand beiseite. »Ich weiß, wie gut Ihnen Ihre gegenwärtige Position gefällt. Und ich weiß, daß Sie leidenschaftlich gern Superintendent werden möchten. Deshalb schlage ich vor, daß Sie sofort anfangen, nach unserem Freund Basile zu fahnden, und nicht aufhören, bis Sie ihn gefunden haben, wenn Sie Ihre Beförderungschancen nicht restlos abschreiben wollen.«

Bei Patout drehte sich alles um seine Karriere. Er hatte frühzeitig erkannt, daß sein beruflicher Ehrgeiz und ein glückliches Familienleben nicht zusammenpaßten; deshalb hatte er auf Ehe und Familie verzichtet, lebte allein und widmete sich ausschließlich seiner Arbeit. Er hatte seine Karriere zum Mittelpunkt seines Lebens gemacht und diese Entscheidung nie bedauert. Unter keinen Umständen wollte er sie beendet sehen.

Da er wußte, daß Duvall beste Verbindungen hatte, konnte er seine Drohungen nicht mit einem Lachen abtun. Er wußte auch, daß hinter jeder Drohung, die Duvall aussprach, ein Dutzend unausgesprochener stand, und diese unausgesprochenen Warnungen beunruhigten ihn am meisten.

»Wenn ich die beiden finde«, sagte Patout langsam, »und wenn Basile zustimmt, diese irrwitzige Vendetta auf der Stelle zu beenden, müssen Sie mir Ihr Wort geben, ihm nichts anzutun.«

Duvall überlegte kurz, dann griff er über den Schreibtisch und schüttelte Patout die Hand, als hätten sie eine Vereinbarung getroffen. Aber er sagte dabei: »Ausgeschlossen, Patout. Der Dreckskerl hat meine Frau entführt. Dafür stirbt er.«