Vom Fenster seines Arbeitszimmers aus beobachtete Pinkie die ausgelassene Menge unten auf der Straße. Der Orpheus-Festzug war vorüber, aber die Massen drängten sich noch immer, um mit Begeisterung zu sündigen, bevor in gut vierundzwanzig Stunden die Fastenzeit begann.
Er drehte sich um, als hinter ihm die Tür geöffnet und geschlossen wurde. Bardo kam ungewöhnlich bedrückt hereingeschlichen. »Meine Männer wollen sich draußen nicht blicken lassen. Sie sagen, daß es dort noch immer von Gesetzeshütern in allen Formen wimmelt. Cops, Sheriffs, State Police, Coroner. Was man sich nur denken kann.«
»Wurde inzwischen bestätigt, daß McCuen tot ist?«
»Mausetot. Wie man hört, soll Patout ihn umgelegt haben, um Basile zu schützen.«
»Was ist mit Basile?« fragte Pinkie.
»Sie werden es nicht glauben. Patout hatte ihn festgenommen, aber Basile konnte fliehen.«
Duvall fluchte gotteslästerlich.
»Basile hat den alten Knacker überwältigt, der dort draußen Proviant und Köder verkauft.«
»Überwältigt, daß ich nicht lache!« brüllte Duvall. »Hat Patout das etwa geglaubt?«
»Weiß ich nicht.«
»Gregory hat uns doch erzählt, daß Basile und dieser alte Wie-heißt-er-gleich-Wieder die besten Freunde sind. Wenn es dort draußen wirklich von Polizei wimmelte, wäre nicht mal Sankt Basile ohne fremde Hilfe die Flucht gelungen. Und was zum Teufel ist aus Gregory und den Männern geworden, die wir ihm mitgegeben haben? Irgendwelche Neuigkeiten?«
Bardo schüttelte den Kopf. »Nichts.«
»Ich glaube nicht, daß sie je bis zu Dredds Laden gekommen sind. Sie haben uns offensichtlich verkauft.«
»Es sind zwei meiner zuverlässigsten Jungs«, widersprach Bardo. »Ich sage ihnen, was zu tun ist, und sie tun es – ohne Fragen zu stellen.«
»Gregory James stammt aus einer stinkreichen Familie. Er hat die beiden bestochen, damit sie ihn laufenlassen. Jetzt sind sie vermutlich schon in Vegas und bumsen je zwei Nutten auf einmal.«
»Die lassen sich nicht bestechen«, stellte Bardo unbeirrt fest.
»Dann erklären Sie mir mal, wo sie jetzt sind.«
Bardo zuckte mit den Schultern, und Pinkie fluchte.
Er konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals so hilflos und unfähig gefühlt zu haben. Zweimal hatte er eine ausgezeichnete Gelegenheit gehabt, Basile zu fassen, aber beide Versuche waren fehlgeschlagen. McCuen hatte offenbar die Absicht gehabt, Del Ray Jones zu umgehen und auf eigene Faust zu handeln. Dagegen hatte Duvall nichts. Er fand McCuens Initiative sogar bewundernswert. Aber es war schiefgegangen, und McCuen war tot. Danke, Douglas Patout, dachte Pinkie. Mit dem würde er sich auch noch befassen müssen.
Jedenfalls war Gregory James verschwunden und hatte zwei erfahrene Berufskiller mitgenommen. Wie zum Teufel hatte diese feige Schwuchtel das geschafft? Wo Basile auch stecken mochte, er lachte sich wahrscheinlich halbtot über diese stümperhaften Mordanschläge.
Bardo unterbrach seine finsteren Gedanken. »Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich jetzt was sage.«
Pinkie starrte ihn erbost an, aber Bardo sprach weiter, ohne sich einschüchtern zu lassen. »Basile könnte Mrs. Duvall gleich am ersten Tag umgebracht und ihre Leiche in den Sümpfen versenkt haben. Sie könnte längst tot sein. Oder …«
»Nun? Oder was?«
»Oder … Teufel, denken Sie doch mal darüber nach, Pinkie. Wenn sie seit fast einer Woche mit Basile zusammen ist, hat sie vielleicht … Sie wissen schon … Vielleicht macht sie es so interessant für ihn, daß er seinen Rachefeldzug vergessen hat. Oder er rächt sich jetzt auf andere Weise.«
Pinkies Blick wurde gefährlich kalt und finster. »Sie meinen also, daß meine Frau entweder tot ist oder sich mit Basile dumm und dämlich bumst?«
Bardo breitete beredt die Arme aus. »Sie kennen doch die Weiber. Die sind nicht viel anders als Hunde. Solange man sie füttert und ihnen manchmal den Kopf tätschelt, lieben sie einen. Hab’ ich recht?«
»Keine Ahnung.«
Bardo schien nicht zu merken, daß sein Boß sich nur mit äußerster Willensanstrengung beherrschte. Undiplomatischerweise fuhr er fort: »Ich habe ein wirklich schlechtes Gefühl bei dieser Sache. Von Anfang an ist es schiefgelaufen. Alles hat sich gegen uns verschworen.«
»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum. Was wollen Sie sagen?«
Bardo steckte eine Hand in die Hosentasche, klimperte mit Kleingeld. Machte eine arrogante Bewegung mit den Schultern.« Ich steige aus, Pinkie.«
»Den Teufel tun Sie!«
»Hören Sie, ich will nicht umgelegt werden, vor allem nicht wegen einem Weibsbild, das ich nie gekriegt habe.«
Pinkie sah rot, war mit einem Satz bei Bardo und packte ihn am Revers seines Zweitausenddollaranzugs. Remy mochte seine beleidigenden Äußerungen verdient haben, aber er bestimmt nicht. Aus seinen Diensten schied keiner aus, nur weil er gerade Lust dazu hatte. Woher nahm Wayne Bardo die Frechheit, sich einzubilden, er könne einfach gehen?
»Sie tun, was ich Ihnen sage, sonst erzähle ich Littrell ein bißchen über Wayne Bardos Leben und Abenteuer.«
»Sie sind mein Anwalt. Sie können dem Staatsanwalt nichts erzählen, ohne Ihre Zulassung zu verlieren.«
»Ganz recht«, bestätigte Pinkie in jenem betrügerisch sanften Tonfall, in dem er vor Gericht seine Fragen stellte, von denen er wußte, daß sie einen Zeugen diskreditieren würden. Ein hiesiger Journalist, der Pinkie bewunderte, hatte sie einmal mit einem Hammer im Samtfutteral verglichen.
»Ich darf keine vertraulichen Informationen weitergeben, aber ich kann jemanden beauftragen, es an meiner Stelle zu tun. Jede Menge Leute wären sofort bereit, mir diesen kleinen Gefallen zu tun. Bevor Sie auch nur blinzeln könnten. Und dann wären Sie erledigt, Wayne. Da, wo man Sie dann reinsteckt, gibt’s keine Weiber. Sie müßten Ihren Schmuck, Ihre schnellen Wagen und Ihre eleganten Anzüge zurücklassen. Sie würden so weit weggesperrt, daß Sie von Glück sagen könnten, wenn Sie sich einmal im Monat duschen und rasieren dürfen.«
Ohne Bardo Zeit zu einer Erwiderung zu lassen, trat Pinkie noch dichter an ihn heran, bis ihre Nasenspitzen nur mehr eine Handbreit voneinander entfernt waren. »Diese Sache, bei der Sie ein schlechtes Gefühl haben, ist erst abgeschlossen, wenn Basile tot ist. Ist das klar?«
Er beschloß, das, was er mit Remy vorhatte, vorläufig für sich zu behalten. Bardo hatte gewiß keine Skrupel, wenn es darum ging, Frauen zu ermorden, aber Pinkie wollte seinen Appetit nicht zu früh wecken.
»Vorerst habe ich einen anderen Auftrag für Sie.« Pinkie ließ Bardo los, strich sein Revers glatt und tätschelte ihm freundlich die Wange. »Das wird Ihnen Spaß machen.«
»Pinkie hat sich geweigert, sich kirchlich trauen zu lassen. Wenn die Kirche unsere Ehe nicht anerkennt, kann ich’s auch nicht.« Remy fügte flüsternd hinzu: »Also bin ich wohl wirklich eine Nutte, wie du mir vorgeworfen hast.«
Burke streichelte ihre Wange. »Nein, nein, du bist keine Nutte.«
Die beiden hielten sich mit einer Leidenschaft umklammert, in die sich Verzweiflung mischte. Burke hatte sie nur lange genug freigegeben, um aufzustehen und sich ganz auszuziehen. Sie rieb ihre Wange an seiner behaarten Brust. »Was wird aus uns, Burke?«
Die Selbstverständlichkeit, mit der sie seinen Namen benützte, entlockte ihm ein Lächeln. Aber ihre Frage war ernüchternd. »Keine Ahnung«, antwortete er seufzend.
»Du mußt mich gehen lassen. Ich muß zu ihm zurück.«
Er schüttelte den Kopf.
»Aber …«
Er hob den Kopf, um ihr in die Augen sehen zu können. »Nein!« Dann küßte er sie besitzergreifend.
Später fragte Remy ihn nach seiner Ehe mit Barbara. »Wodurch ist sie auseinandergegangen?«
»Ich habe sie nicht glücklich machen können.«
»Hat sie dich glücklich gemacht?«
»Nein«, sagte er und erkannte erstmals, daß ihre Ehe nicht allein durch seine Schuld unglücklich gewesen war. Barbara hatte sich auch nicht sonderlich viel Mühe gegeben, ihm Erfüllung zu schenken. »Wir haben uns mit einer partnerschaftlichen Beziehung zufriedengegeben. Das tun wohl die meisten Ehepaare.«
»Aber das sollten sie nicht tun müssen.«
»Nein, das sollten sie nicht tun müssen.« Er betrachtete sie einige Augenblicke lang, zeichnete mit einem Finger die Umrisse ihres Gesichts nach. »Nehmen wir mal an, du könntest tun oder sein, was du willst – was würdest du dann machen?«
»Du meinst, wenn Pinkie keine Bedingungen stellen würde?« Er nickte. »Ich würde in einer Galerie arbeiten«, antwortete sie sofort. »Ich habe mich mit Kunstgeschichte befaßt und verstehe viel von moderner Kunst. Ich wäre sehr gut.«
»Das wärst du bestimmt«, sagte er ernsthaft.
Sie schob beide Hände auf dem Kopfkissen unter ihre Wange und betrachtete ihn versonnen. »Was wäre wohl geschehen, wenn wir uns unter normalen Umständen zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort begegnet wären?« fragte sie nachdenklich. »Nehmen wir mal an, ich hätte in einer der exklusiven Galerien in der Royal Street gearbeitet, und du wärst zufällig reingekommen und hättest mich gesehen.«
»Ich hätte gar nicht das Geld, um mir überhaupt leisten zu können, eine der Galerien in der Royal Street zu betreten.«
»Wir tun doch nur so als ob, Burke. Da kann alles passieren.«
»Okay. Ich komme rein und sehe dich, stimmt’s?« Sie nickte. »Nun, sobald ich die Sprache wiedergefunden hätte, würde ich wahrscheinlich all meinen Mut zusammenkratzen, um dich anzusprechen.«
Sie lachte. »Du würdest ein Gespräch mit mir anfangen. Das ist gut. Und dann?«
»Und dann nichts. Du würdest sofort merken, daß ich hoffnungslos ungebildet bin.«
»Warum?«
»Bei einer Gegenüberstellung könnte ich vermutlich die Mona Lisa identifizieren, aber damit sind meine Kunstkenntnisse praktisch erschöpft. Du würdest mich schnellstens hinauskomplimentieren.«
»Das bezweifle ich.« Schüchtern lächelnd gestand sie leise: »Jedenfalls hat Pater Kevin einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.«
»Dieser humorlose Priester?« fragte er spöttisch.
»Er war recht ernst, ja, aber ich habe viel über ihn nachgedacht.«
»Was hast du gedacht, wenn du über ihn nachgedacht hast?«
»Unartige Dinge.«
»Nein!«
»Mh-hm. Ich habe mir gedacht, daß er eine Versuchung für jede Frau in seiner Gemeinde sein müßte.«
»Unsinn!«
»Das stimmt aber«, beteuerte sie. »Für einen heiligen Mann kam er mir viel zu attraktiv vor.«
»Ich bin kein heiliger Mann.«
»Aber das habe ich damals noch nicht gewußt. Ich habe gedacht, er besitzt unglaublichen Sex-Appeal.«
»Wirklich?«
»Ja. Und das war, bevor ich gewußt habe, daß er Sommersprossen auf den Schultern hat.«
Burke lachte, weil er ihre Aufmerksamkeit, ihr Flirten genoß. »Hab’ ich nicht.«
Remy stimmte in sein Lachen ein. »Doch, hast du schon.«
Sie verbrachten noch mehrere Stunden damit zu schmusen, sich zu küssen und ihre Körper mit jener reizvollen Neugier zu erforschen, die neuen Liebenden vorbehalten bleibt, die von jeder Entdeckung begeistert sind.
Sie spannen ihr Spiel weiter aus, sie hätten sich zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort getroffen und könnten unbefangen lachen und all ihren Launen aus schierem Vergnügen nachgeben. Sie neckten sich viel, aber zwischendurch gab es auch lange Pausen, in denen sie sich nur ansahen.
»Du bist so schön«, sagte Burke irgendwann. »Ich kann noch immer nicht glauben, daß wir hier zusammen sind.«
»Ich mag dein Gesicht«, antwortete Remy flüsternd. »Es ist so ehrlich, aber …«
»Aber was?«
»Hinter deinen Augen liegt etwas Dunkles, Burke.« Sie musterte ihn prüfend. »Was verbirgst du dort?«
»Alle meine Sünden und Fehler.«
»Das können nicht so viele sein.«
»Du würdest staunen. Oder vielleicht auch nicht«, fügte er leise lachend hinzu.
Sie fuhr mit einer Fingerspitze über seine Lippen. »Du lächelst hier, aber nicht mit deinen Augen. Wie kommt das? Was hat dich so unglücklich gemacht?«
Es war etwas beunruhigend, daß sie ihn so durchschaute, aber zugleich beeindruckte ihn, daß sie dazu imstande war und den Wunsch hatte, den ganzen Mann zu kennen. Er wollte ihr sagen, wieviel ihm das bedeutete.
»Remy …« Er betrachtete ihr Gesicht, sah ihr tief in die Augen und fand nicht die richtigen Worte. Also küßte er sie statt dessen, drückte sie an sich und erklärte ihr widerstrebend, sie müßten jetzt versuchen, etwas zu schlafen.
Burke drehte sie auf die Seite, so daß sie ihm den Rücken zuwandte, schob einen Arm unter ihrer Taille hindurch und zog Remy an sich, bis ihr Gesäß an seinem Bauch lag. Er hatte ehrlich geglaubt, in dieser Umarmung einschlafen zu können, aber es dauerte nicht lange, bis er wieder erregt war.
Bald versuchte seine Erektion, sich Zugang zu schaffen, seine Hand tastete nach einer Brust und streichelte sie, bis ihre Spitze hart wurde und sich aufrichtete. Er küßte ihren Nacken, schob seine Hüften nach vorn, fand sie weich und offen, drängte sich gegen sie und murmelte ihren Namen, als ihre feuchte Hitze ihn wieder umgab.
Er begann zu stoßen und verlor sich fast in seinem Rhythmus, als ein leiser Laut aus ihrer Kehle ihn aus seinem erotischen Rausch riß.
Er glitt aus ihr heraus und drehte sie auf den Rücken. Sie weinte. Er wischte ihr behutsam die Tränen ab. »Entschuldige Remy. Ich höre auf. Jetzt ist es wieder gut.«
»Ich wollte nicht, daß du aufhörst.«
Er schluckte angestreckt. »Was hast du denn?«
Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. »Du weißt, wie mein Leben mit Pinkie gewesen ist. Du weißt, warum er mich zu sich genommen hat, was er aus mir gemacht hat und was ich in all diesen Jahren für ihn gewesen bin.«
Was sie damit ausdrücken wollte, stand außer Zweifel. Er nickte ernst.
»Ich habe auf Befehl für ihn funktioniert«, sagte sie eindringlich, damit er sie nur ja richtig verstand.
»Das weiß ich.«
Sie holte keuchend tief Luft. »Und du willst mich noch immer?«
»Ob ich dich will?« wiederholte er verstört. »Ob ich dich will?«
Er wälzte sich über sie und drang wieder in sie ein – alles mit einer einzigen fließenden Bewegung. Seine Finger glitten durch ihr Haar und umfaßten zärtlich ihren Kopf, während er mit halblauter, drängender Stimme auf sie einsprach. »Vielleicht sterbe ich, bevor ich diese Sache zu Ende gebracht habe. Vielleicht muß ich auch für den Rest meines Lebens hinter Gitter. Beides macht mir nicht viel aus.«
Plötzlich stieß er tiefer in sie hinein. »Aber ich könnte nicht ertragen, daß du zu ihm zurückgehst. Alles andere habe ich verdient und bin bereit, es zu akzeptieren.« Er kniff die Augen zusammen und legte seine Stirn an ihre. »Aber du darfst nicht zu Duvall zurück. Du darfst einfach nicht. Alles, nur das nicht.«