Die schwere schwarze Metalltür öffnete sich wie in Zeitlupe. Sie kreischte förmlich in ihren alten Angeln und Amira drückte sich ängstlich auf ihrer Matratze gegen die hintere Wand. In dem Ausgang erkannte sie nur einen ausgestreckten Arm, der die Tür aufgeschoben hatte. Der Arm ragte aus einem gefalteten dunkelroten Vorhang hervor, in der Mitte geteilt, wie man ihn aus einem Kino kannte. Die Sicht auf den nächsten Raum dahinter wurde durch ihn verborgen. Der schwere, staubige Stoff wurde zur Seite geschoben und eine Gestalt schlüpfte hindurch.
Ein Mann mittleren Alters, groß, breite Schultern, hervorstehende Wangenknochen, kalte blaue Augen. Amira sagte das Auftreten eine Sache: Er zeigte ihnen sein Gesicht, was bedeutete, er wusste, dass sie niemals die Polizei benachrichtigen könnten, um ein Phantombild anfertigen zu lassen. Sie kamen hier nie wieder raus.
Nicht lebend.
»So«, sagte der fremde Mann. »Nasrin. Du kennst meine Hausregeln.«
Hausregeln!
Sie waren also bei ihm zu Hause.
Er fuhr fort: »Ich gebe euch alles, was ihr braucht. Unterkunft, Essen, fließend Wasser, ein Bett, Kleidung. Und ihr? Ihr verspottet mich nur. Das muss Konsequenzen haben.«
Nasrin wimmerte und hielt weiterhin ihre Beine umklammert. Der Mann schritt auf sie zu, blieb in der Mitte von ihnen stehen und überlegte, was er als Nächstes tat. Er sah Amira in die Augen, und ein Lächeln flog über seine Lippen. Ganz kurz, mehr eine Andeutung.
»Ich sehe Trotz in deinen Augen. Das habe ich bei vielen Mädchen gesehen. Das habe ich auch bei ihr gesehen.«
Er deutete mit den Daumen auf Nasrin.
»Er wird vergehen. Versprochen.«
»Fick dich!«, schrie Amira.
Sie wollte sich aufrichten, aber die Kette war zu stramm zurückgezogen.
»Tz, tz. So geht das nicht. Ich werde dir eine Lektion erteilen müssen«, meinte der Kerl eiskalt. Er wandte sich ab, schlug Nasrin ins Gesicht und fing an, ihre Kleidung herunterzureißen.
»Hör auf, du Dreckschwein!«, kreischte Amira, doch der Mann ließ sich nicht abbringen. »Lass sie in Frieden!«
Er sah sich nur kurz zu ihr um. »Ich heiße Erik. Ich bin dein neuer Mann. Dein Gebieter, dein Gott, deine Wirklichkeit und dein Untergang. Alles, was du in deinem lächerlichen Leben noch hast. Merk dir das.«
Nasrin war mittlerweile ganz entkleidet. Sie wehrte sich nicht einmal mehr. Amira wurde bewusst, dass dies vermutlich nicht das erste Mal war. Ein Martyrium, das ihr offenbar vertraut war.
»Nein, bitte. Ich war es, die sich falsch verhalten hat.«
Erik zog seine Hose herunter und sie sah seinen erigierten Penis. Groß, voller Adern und Narben. Er richtete sich auf und ging auf Amira zu. Sie drückte sich mit aller Kraft gegen die Wand, aber sie konnte ihm nicht entgehen. Erik zog den Plastikvorhang langsam zu, sodass dieser Amiras Matratze umschloss und ihr die Sicht nahm.
»Nein! Nein, lass sie in Ruhe!«
Amira konnte nicht mehr sehen, was Erik Nasrin antat. Dessen ungeachtet hörte sie es.
Erst langsam, dann schneller. Das Wimmern, das Klatschen von Körper auf Körper, seine widerliche Stimme, sein Stöhnen, lauter, schneller, und seine Schreie. Wieder und wieder. Insgesamt über zwei Stunden. Amira weinte, flehte, trat mit ihrem freien Fuß gegen den Vorhang, sie schrie, bettelte um Gnade, wurde leiser, gab auf, versuchte nicht zuzuhören.
Es gelang ihr nicht.
Irgendwann wurde ihr Vorhang aufgezogen. Amira konnte nicht hinsehen. Sie wollte es nicht sehen.
»War dir das eine Lehre? Achte meine Hausregeln. Du verlässt deine Matratze nur für die Toilette, Zähne putzen, duschen. Morgens, mittags, abends. Essen bringe ich euch an das Bett.«
Erik zog sich seine Kleidung wieder an, trat an das Waschbecken und wusch sich seine Hände und das Gesicht. Er warf einen letzten Blick auf die beiden verängstigten Frauen und ging lächelnd davon. Die schwere schwarze Metalltür kreischte. Kein Schloss, das einrastete. Er brauchte keines.
»Es tut mir so leid«, hauchte sie und sah zu Nasrin.
Diese hatte sich bereits ihre Kleidung wieder angezogen und lag in Fötusstellung, mit dem Rücken zu Amira gekehrt, in ihrer Ecke.
»Schon gut, ich habe es verdient. Ich hätte dich aufhalten müssen.«
»Was redest du denn da?«, fragte Amira ungläubig.
»Schlaf jetzt, Amira. Wir sollten ihn nicht noch mal verärgern.«
Das rote Licht wurde wie aufs Stichwort abgeschaltet, und sie sah und hörte wieder nichts. Nur das leise Weinen von Nasrin und das Tropfen des Wasserhahns.
»Wie lange bist du schon hier unten?«
Nasrin gab erst keine Antwort, dann hörte sie, wie sie sich umdrehte.
»Sehr lange. Zu Anfang habe ich die Tage noch gezählt. Auf Rettung gehofft. Nach zwei Jahren wusste ich, es kommt niemand. Und seitdem … Ich habe sehr viel Zeit hier unten verbracht.«
Amira fand keine Worte. Sie saß einfach nur da und starrte in die tiefe Finsternis.