Die schwere Metalltür wurde von Erik geöffnet und der rote Vorhang zur Seite geschoben. Ihr Peiniger war nur mit einer Jeans bekleidet, sein Oberkörper entblößt. So machte er es in letzter Zeit immer, wenn er Nasrin und Amira vergewaltigte. Sie konnten nur hoffen, dass der Schlüssel der Fußketten in einer seiner Taschen war. Ansonsten mussten sie bis zum nächsten Mal warten, und niemand konnte genau bestimmen, wann das sein würde.
»Hallo, meine Damen«, sagte er ganz leise und widerlich.
Zu Anfang hatte seine Redensweise Amira immer einen Angstschauer über den Rücken gejagt. Mittlerweile hatte sie keine Angst mehr. Der Ekel war nach wie vor da, aber die Lähmung und die Angst waren verschwunden. Es war seltsam und beängstigend, wie sich der menschliche Körper an die widrigsten Bedingungen im Leben anpassen konnte. Menschen waren in der Lage, bei fünfzig Grad in der Wüste zu überleben, während sie bei minus fünfzig Grad in Schnee und Eis sesshaft wurden. War es kalt, wurde der menschliche Leib größer und die Haut heller, um mehr Wärme zu speichern und mehr Sonnenlicht aufzunehmen. Bei einem kleinen Körper war die Auskühlungsgefahr sehr schnell da. Bei Hitze verhielt sich der Mensch genau andersherum. Kleiner Körper, dunkle Haut, um nicht in der Sonne zu verbrennen. Diese Eigenschaften waren über Jahrtausende entstanden. Etwas schneller verhielt es sich bei extremen Einwirkungen wie Schmerz. Waren die Vergewaltigungen zunächst unerträglich, und war Amira auch ständig bewusstlos geworden, hielt sie die Demütigungen heute wesentlich besser aus. Aber jetzt war der letzte Tag angebrochen, an dem sie ihren Körper von Erik berühren lassen musste. Heute würde sie sich befreien und den Demütigungen ein Ende setzen.
Nasrin und Amira hatten genau abgesprochen, wie sie sich beide verhalten würden, wenn er die Tür öffnete. Nasrin würde sich an ihrer Bettdecke festklammern und die Beine umschlungen halten, um Erik zu signalisieren, dass sie heute Widerstand leisten würde. Während auf der anderen Seite des Raumes Amira apathisch ins Nichts sah, um ihm zu signalisieren, sie wäre zunächst die leichtere Beute. Zwar brach Erik ihren Widerwillen jedes Mal, aber er war entspannter und freundlicher zu ihnen, wenn sie sich nicht wehrten. Er mochte es, ihnen Schmerz zuzufügen, jedoch nicht um jeden Preis. Lieber wollte er, dass sie sich ihm fügten und er sie in Ruhe quälen konnte. Dann war der Moment endlich gekommen, und er war da.
Ihr Plan schien zu funktionieren.
Erik wandte sich zu Amira, um sich später, oder vielleicht auch gar nicht, mit Nasrin beschäftigen zu müssen.
»Warst du ein artiges Mädchen?«, fragte er Amira und machte einen Schritt auf sie zu.
»Ja«, hauchte sie, um Verängstigung zu spielen.
Die Erektion in seiner Jeans war nicht zu übersehen. Der Stoff wurde nach außen ausgebeult. Wie oft schon hatte er sie mit seiner männlichen Waffe verletzt? Amira wusste es nicht mehr. Er öffnete den ersten Knopf seiner Jeans und beugte sich zu ihr herunter. Er ergriff ihre Oberschenkel und wollte sie auf den Bauch drehen, damit er sie anal vergewaltigen konnte. Eine seiner Vorlieben, wenn er genug von der vaginalen Penetration hatte.
Doch auf einmal spürte er, dass hier etwas anders war als sonst.
Erik bemerkte es zunächst nicht, aber dann wurde es ihm schlagartig bewusst. Amira benahm sich viel zu gefügig, viel zu gut. Zu gut! Zwar wehrte sie sich nicht immer, komplett nachgegeben hatte sie allerdings noch nie. Außerdem beobachtete Nasrin die beiden, was sie auch seit Monaten schon nicht mehr getan hatte. Erik kniff die Augen zusammen und blickte zu der Toilette, die ihm jetzt aufgefallen war. Die Keramik war an einer Stelle zerbrochen, und ein klaffendes Loch war zu sehen. Die passende Scherbe lag nicht auf dem Boden. In dem Moment seiner Gedankensortierung drehte sich Amira um und rammte ihm die Scherbe in den Oberschenkel. Mit einer Hand, die durch den Hieb der Keramikwaffe ebenfalls verletzt wurde, hatte er den Angriff zu seinem Bein ableiten können. Ansonsten hätte ihn Amira am Hals getroffen, was hätte sein Ende sein können.
»Du Miststück«, kreischte Erik und warf sich vor Schmerzen zur Seite.
Amira stürzte sich auf ihn, weil er versuchte, zum Ausgang zu gelangen. Sie legte ihm ihre Fußkette um seinen Hals und zog so kräftig sie konnte. Gleichzeitig griff sie mit einer Hand immer wieder zu seinen Jeanstaschen, was zur Folge hatte, dass die Zugkraft am Hals nachließ und Erik etwas Luft verschaffte. Blut sickerte aus der Wunde, in der die Scherbe tief steckte.
In seiner linken Tasche war nichts zu fühlen.
Erik bekam Luft und schlug um sich.
Amira zog wieder mit beiden Händen, sodass seine Gegenwehr nachließ.
Flink tastete sie die rechte Tasche ab. Da war etwas!
Erik wehrte sich wieder mehr und zwang sie, erneut mit beiden Händen zu ziehen.
Sie drosch ihm das Knie an den Hinterkopf, sodass er nach vorn fiel. Es war aussichtslos, sie konnte ihn nicht erwürgen, dazu war er zu wehrhaft. Als Erik mit dem Gesicht nach vorn auf dem Teppichboden aufschlug, griff sie mit beiden Händen zu seiner rechten Tasche. Die Kette löste sich von seinem Hals, und er konnte sich aus ihren Attacken lösen, indem er nach vorn robbte.
Aber das war egal, sie hatte den Schlüssel!
Im Handumdrehen hatte Amira ihre Fessel gelöst und war auf dem Sprung zu Nasrin, als sich Erik plötzlich halb aufrichtete. Er war vor ihr bei Nasrin und warf sich auf sie.
Patt.
Amira konnte sie nicht befreien, ohne erneut einen Kampf zu führen, den sie dieses Mal sicherlich verlieren würde. Das Überraschungsmoment war nicht mehr auf ihrer Seite, und die ewig lange Gefangenschaft hatte sie geschwächt. Einem ausgewachsenen Mann, auch wenn er verletzt war, konnte sie nichts entgegenbringen. Sie blickte Nasrin an, die mit aufgerissenen Augen versuchte, Erik von sich zu drücken.
»Ich hole Hilfe!«, rief sie nur noch und stürzte in Richtung Vorhang.
Der Stoff wirbelte zur Seite, und die schwere Metalltür war lediglich angelehnt. Hinter dieser war der Raum gleißend hell, weswegen sie reflexartig die Augen mit der Hand schützen musste. Durch das Rotlicht waren diese nicht auf den Lichtwechsel vorbereitet. Es dauerte nur einen winzigen Moment, dann hatte Amira die Treppenstufen gesichtet, die aus dem Keller führten. Sie waren direkt vor ihr. Breite steinerne Stufen, die über die Jahre an den Trittflächen abgewetzt wirkten. In Windeseile sauste sie diese hoch und glaubte zu hören, wie eine Gestalt hinter ihr herhumpelte. Durch die Verletzung der Keramikscherbe war sie Erik gegenüber zumindest in diesem Moment im Vorteil. Die Treppe endete an einer Holztür, die ebenfalls nur angelehnt war. Rennend, mit beiden Händen ausgestreckt, drückte Amira sie auf und fand sich in einem Flur wieder. Sie schloss die Holztür hinter sich und drehte den Schlüssel herum, der zu ihrem Glück in dem abgenutzten Messingschloss steckte. Die Tür würde Erik natürlich nicht lange aufhalten, da sie nicht sehr stabil wirkte. Amira wandte den Blick nach links und rechts, entschied sich schlussendlich, nach links zu laufen. Sie gelangte in eine Küche, die alt und vergilbt wirkte. Nur zwei Stühle standen an einem Küchentisch, wovon der eine mit alten Zeitungen vollgestapelt war. Offensichtlich lebte Erik hier allein. Die Tapeten wirkten schmutzig, genau wie der Fußboden. All dies nahm sie nur in einem Sekundenbruchteil wahr, weil sie weiterlief und die Seitentür erreiche.
Abgeschlossen!
»Nein!«
Diese Tür war wesentlich stabiler und der Glaseinlass dick. Sie würde die Tür niemals mit Gewalt öffnen können. Der Schlüssel steckte dieses Mal nicht im Schloss.
Bam.
Jemand rammte seine Schulter gegen die Kellertreppentür. Sie hatte keine Zeit mehr, musste einen anderen Weg finden.
»Scheiße, scheiße!«, fluchte sie und rannte aus der Küche in das anliegende Wohnzimmer. Hier gab es keine Tür. Weiter in den Flur zurück und in die andere Richtung. Da war die Haustür, leider war auch sie massiv und abgeschlossen.
Bam, bam.
Amira konnte das Brechen und Knacken von Holz hören. Jeden Augenblick konnte die Barriere nachgeben, und Erik würde sie sich schnappen. Das durfte auf keinen Fall passieren.
»Was mach ich nur, was mach ich jetzt?«
Sie raufte sich die Haare, und ihr Herz raste wie wild. Mit ausholenden Schritten rannte Amira zurück in die Küche.
Der Stuhl!
Sie nahm den freien Stuhl, drehte sich in einer Pirouette um sich selbst und ließ diesen krachend gegen das Fenster über der schmutzigen Spüle fliegen. Die Scheibe bekam Tausende Risse, zersprang jedoch nicht.
Bam, bam, bam, bam.
Die Tür im Flur wurde aus den Angeln gerissen, und jemand fiel dahinter zu Boden und stöhnte vor Schmerzen.
Sie hob den Stuhl erneut auf. Ein Holzbein war abgebrochen, ansonsten war er für einen zweiten Wurf geeignet. Mit aller Kraft ließ Amira ihn wieder gegen die Scheibe donnern, und dieses Mal gab das Glas nach. Scheppernd flogen Glasscherben in alle Richtungen. Sie kletterte auf die Spüle und schlitzte sich dabei Knie und Hände böse auf. Sie war halb aus dem Fenster geschlüpft, als eine eiserne Hand sie am Knöchel griff.
»Du bleibst … hier!«, keifte Erik hinter ihr und wollte sie mit Gewalt zurückziehen.
Doch Amira trat mit einem Bein nach hinten aus und knallte ihm ihren Fuß solide gegen die Stirn, sodass ihr Peiniger durch die halbe Küche segelte und mit dem Kopf gegen den Tisch knallte.
»Fick dich!«, schrie sie ihm noch über die Schulter zu und verschwand in die Dunkelheit der Nacht.