Kapitel 40

Albert hatte vor Emines Wohnung gewartet, bis sie geduscht und sich neu eingekleidet hatte. Anschließend kaufte er auf dem Weg zur Wache Brötchen bei einer kleinen Bäckerei. Die Stimmung war auf einem Tiefpunkt, nicht nur in der gesamten Stadt, sondern natürlich auch in der Polizeibehörde. Essen war nie die Lösung aller Probleme, aber es würde sie vielleicht etwas aufheitern. Zumindest für einen Moment. Es gab Vollkorn- und Weizenbrötchen, belegt mit allen Leckereien, die die Bäckerei zu bieten hatte. Das Team sowie Peter Kleiton und drei seiner Kollegen saßen um einen runden Konferenztisch in ihrer provisorisch eingerichteten Ermittlungszentrale. Die Jalousien waren nach wie vor herabgelassen.

»Sie standen vor deiner Haustür?«, fragte Michael mit vollgestopftem Mund.

»Ja. Ich habe keine Ahnung, woher sie meine Adresse haben. Mag sein, dass mir ein Reporter gefolgt ist. Ich habe den Verdacht, dass irgendwer hier im Revier nicht die Schnauze halten kann. Spielt auch keine Rolle mehr. Beim nächsten Mal setze ich Pfefferspray ein«, sagte Albert, um die Stimmung etwas aufzulockern.

Emine schaffte gerade mal ein halbes Brötchen, trank dafür vier Tassen Kaffee mit jeder Menge Zucker. Sie beobachtete ihren Partner und hoffte, dass er nicht anfing zu zittern. Die Weinspuren der gestrigen Nacht hatte er zumindest von den Lippen bekommen. Allerdings war auch Michael Schreiber aufgefallen, dass sich Albert ziemlich oft Mineralwasser nachschenkte. Irgendwann erhoben sich Tarek und Dirk. Mit abwaschbaren Textmarkern zeichneten sie die Zeitlinien von Bettina Kemper nach. Die Uhrzeit 15:45 Uhr am Mittwoch wurde mit einem roten Kreuz gekennzeichnet.

»Konnte Carolin noch etwas sagen? So hieß sie doch, richtig?«, wollte Albert von Kleiton wissen.

»Leider nicht. Sie rief mich an, weil sie mir augenscheinlich vertraut. Sie steht unter Schock – keine Frage. Aber ich habe in Ruhe mit ihr reden können. Sie hat niemanden gesehen. Keine fremde Person, kein Fahrzeug. Gar nichts. Tut mir leid.« Peter Kleiton erhob sich und schnappte sich noch ein halbes Brötchen. »Wenn ich noch etwas tun kann, melde dich. Danke für die Brötchen, Albert.«

»Okay, Emine und ich fahren jetzt gleich im Anschluss zu Jens Kemper. Man erwartet uns dort. Wie sieht es mit den Sachen von Justus aus? Die Computer und Festplatten aus der verbrannten Wohnung?«

»Sie sind auf dem Weg hierher. Die Spurensicherung meinte, wir sollten uns mal keine Hoffnung machen. Alles wäre verbrannt, kaum etwas übrig. Und was übrig war, wurde durch Löschwasser und Schaum erledigt. Ich sehe es mir an … Aber ich denke, wir wissen alle, dass es uns nicht helfen wird. Selbst wenn ich einen Datenträger retten könnte …«, sagte Alex. »Justus war ein Freak und hat sicherlich alles so verschlüsselt, dass selbst die NSA da nicht reinkommen würde. Ich habe meine zwei besten Mitarbeiterinnen aus der IT dabei. Wir werden es zumindest versuchen.«

»Gibt es irgendwelche Erkenntnisse aus den Handy- oder Laptopdaten von Simon Fietz und Bettina Kemper?«, wollte Emine wissen.

»Nein. Ihre GPS-Spuren verlieren sich genau zum Zeitpunkt ihres Verschwindens. Die SIM-Karte wird entfernt worden sein, die Geräte zerstört. Die privaten Laptops und der Laptop aus Frau Kempers Steuerkanzlei wurden von mir ausgewertet. Darauf gab es keine geheimen Chatprotokolle oder andere Daten, die darauf schließen ließen, dass sich die beiden kannten oder Kontakt zu einem Dritten hatten, der die beiden kannte. Simon Fietz hatte nicht mal Pornoseiten besucht, was in diesem Fall schon das Auffälligste an Informationen war. Lupenreiner Internetverlauf. Auch gab es von Kemper und Fietz keine Übereinstimmung, was das Surfen im Netz anging. Sie war, wenn überhaupt, auf Modeseiten unterwegs, er interessierte sich überwiegend für Sport- und Gartenutensilien bei Amazon«, meinte Alex.

»Ich koordiniere weiterhin die Suche am Dieksee. Wir haben im Umkreis von drei Kilometern alles abgesperrt. Jede Mülltonne, jedes Gebüsch und jedes Feld werden untersucht. Auch ein Taucherteam aus Oldenburg kommt her. Sie werden den See absuchen. Dennoch vermute ich, ich werde dieselbe Ausbeute wie Alex machen. Keine«, sagte Dirk Sauer.

»Kommt schon, Leute. Wir können ja wohl nicht aufgeben, bevor wir angefangen haben«, meinte Michael. »Ich habe außerdem ein bisschen Sorge mit der Presse. Keine Interviews bitte. Bezieht euch auf die laufende Ermittlungsarbeit und redet mit niemandem.«

Ist schon klar. Du willst keine schlechte Presse, weil du deine Karriere in Gefahr siehst , dachte Albert, nickte aber bloß.

Tarek fuhr fort. »Zwei Dinge. Ich habe veranlasst, dass wir Aufrufe per Social Media bezüglich Zeugenaussagen gestartet haben. Wer hat was beim See gesehen? Wir haben auch direkt Anrufer gehabt, die drei Autos gemeldet haben, die dort geparkt hatten. Ich habe die Überprüfung persönlich vorgenommen. Ein Wagen gehört einem Angler, den ich umgehend telefonisch erreichen konnte. Er war mit seinen Söhnen auf der anderen Seite des Sees. Dreizehn und fünfzehn Jahre alt. Er hat weder jemanden gesehen noch steht er meiner Meinung nach unter Verdacht. Er hat einen gültigen Angelschein und ist wohl fast jeden Tag dort. Seine Angaben waren schlüssig, und seinen Namen habe ich in unsere Zeugenliste aufgenommen. Er wäre jederzeit bereit auszusagen. Auch wenn er nichts aussagen kann. Das zweite Auto gehörte einem jungen Mann, der die ganze Nacht bei seiner Freundin war. Diese sowie ihre Eltern haben es mir bestätigt. Die beiden haben per Amazon Prime einen Film angesehen. Ihnen ist nichts aufgefallen. Aufgenommen in die Zeugenliste. Das dritte Auto gilt als gestohlen und steht dort seit mehr als drei Monaten. Kennzeichen aus Bottrop. Warum es vorher niemandem aufgefallen ist, weiß ich nicht. Den Besitzer des Wagens, ein gewisser Karsten Schnöing, konnte ich ebenfalls sprechen. Er wusste sogar, dass es sein Sohn – Lars – war, der den Wagen gestohlen hatte. Dieser hat Drogenprobleme und wollte die Karre zu Geld machen. Spritmangel zwang ihn dazu, das Auto dort abzustellen. Lars sitzt in der Geschlossenen, weil er zu Fuß hundertzehn Kilometer weiter in Holland aufgeschnappt wurde. Karsten Schnöing holt den Wagen ab beziehungsweise lässt ihn von einem Unternehmen abholen.«

»Und die zweite Sache?«, fragte Emine.

»Jan Dorsten hat alle Morde gestanden.«

Ein Stöhnen ging durch den Raum. Nur Emine blickte verdutzt drein. »Was soll das bedeuten?«

Tarek hob beruhigend die Hände. »Jan Dorsten meldet sich alle paar Wochen hier im Präsidium, um jegliche Verbrechen zu gestehen, die in Lingen so begangen werden. Überfall auf einen Drogeriemarkt – Jan Dorsten war es. Sachbeschädigung am Bahnhof – Jan Dorsten. Diebstahl auf dem Altstadtfest – Jan Dorsten. Er ist ein Trottel, der irgendwann einmal die falsche Abfahrt genommen hat.«

»Er war in Afghanistan stationiert. 2009. Hat dort einen Panzerdeckel auf den Kopf bekommen, als er einsteigen wollte. Trug keinen Helm«, ergänzte Albert.

»Ausgeschlossen, dass er es war?«, sagte Emine.

»Als er unten am Schalter die Morde gestanden hat, fragte ihn die diensthabende Kollegin, warum er denn die Lippen der Opfer mit Lippenstift bemalt habe. Seine Antwort war, dass ihm ein Zwerg, der in seiner Jacke wohnt, das befohlen hatte.«

»Gut, sperrt ihn für vierundzwanzig Stunden ein, weil er unsere Ermittlungsarbeiten behindert und Ressourcen verschwendet. Vielleicht ist er anschließend wieder nüchtern«, sagte Michael.

Tarek nickte. »Schon erledigt. Es ist allerdings Klebstoff, den der arme Kerl schnüffelt. Albert, ich würde gern ein Sonderteam zusammenstellen. Die zwei Damen aus Oldenburg, die Alex erwähnt hat. Mit Alex‘ und deren Hilfe können wir die aufgenommenen Mordvideos genauer unter die Lupe nehmen. Das haben wir zwar schon ein Dutzend Mal, aber Alex meinte, dieses Duo kann vielleicht mehr erreichen. Die einzelnen Frames aufhellen und nach Hinweisen untersuchen. Vielleicht erkennen wir etwas, was wir bisher übersehen haben. Irgendeinen Anhaltspunkt.«

»Sicher. Mach das.«

»Die Hinweise an und in den Körpern von Fietz und Kemper. Was haben wir da?«, fragte Michael.

»Sie ergeben nicht wirklich Sinn. Ich lasse dennoch Jan Schröter und Sabrina Tjarks alles über Pferde, Päpste und Särge recherchieren, die mit den Nummern in Zusammenhang stehen könnten«, sagte Albert. »Die arbeiten beim Staatsschutz. Ich habe sie angefordert, um uns zu helfen.« Das warf er nach, weil Michael keine Ahnung hatte, wer die beiden waren.

»Dann haben jetzt alle ihre Aufgaben. Wir bleiben in Kontakt.«

 

Auf dem Parkplatz des Präsidiums blieben Emine und Albert kurz stehen, um die Sonnenstrahlen zu genießen, die durch dicke graue Quellwolken hervorbrachen.

Emine musterte ihn und hob die Augenbrauen, weil sie fand, dass er nicht gut aussah. »Hast du einen Kater?«

»Mir geht’s gut.«

»Das war nicht meine Frage.«

»Ich bin daran gewöhnt, und außerdem bist du nicht mein Vormund.«

Es entstand eine kurze, unangenehme Pause. Albert seufzte und legte sich die Hand aufs Gesicht, um sich mit dem Daumen und den Fingern die Schläfen zu massieren. »Ich werde mich bessern. Nur jetzt haben wir diesen Fall, und ich kann es mir nicht leisten, eine andere Baustelle zu eröffnen. Das verstehst du doch sicherlich.«

Sie tätschelte seinen Arm und nickte. »Okay.«

Die beiden Ermittler wollten gerade in Alberts Auto steigen, als eine junge Frau die Einfahrt des Parkplatzes betrat. Das fahrbare Edelstahltor versperrte ihr den Weg, aber die Augen der jungen Frau waren starr auf sie gerichtet.

»Kennst du sie?«, erkundigte Emine sich.

Albert schüttelte den Kopf. Sie gingen auf das Tor zu und hoben zum Gruß die Hände.

»Können wir Ihnen helfen?«, rief Albert, als sie noch einige Meter vom Tor entfernt waren.

Die junge Frau hielt eine Dose Jim Beam Cola in der Hand, und aus ihrem Mundwinkel ragte eine fast aufgerauchte Zigarette. Sie hatte geweint, das erkannte Albert sofort. Ihr Lidschatten war ganz leicht verschmiert, so als hätte sie ihn mit dem Handrücken abgewischt.

»Ich … Tut mir leid. Ich muss mit den Polizisten sprechen, die den Darknetkiller-Fall … Die dafür verantwortlich sind … Scheiße noch mal«, fluchte sie, zog an ihrer Zigarette und pustete den Qualm aus.

Emine ließ das Rolltor zur Seite gleiten, indem sie ihre Karte vor den Magnetschalter hielt. Ihre Besucherin hatte rotes langes Haar, das sie zu einem Dutt hochgesteckt hatte. Ihre Haut wirkte ungewöhnlich blass. Sonderbar waren auch ihre Augenbrauen, die farblich verschieden waren. Ihre rechte war naturell rot, die linke offensichtlich blau gefärbt. Sie wirkte zierlich und gleichzeitig energiegeladen. In ihrem Nasenflügel klemmte ein goldener Ring, und in ihren Ohrläppchen steckten weiße Fleshtunnel. Ihre Finger wirkten lang und knochig. Sie trug einen ausgefransten Pullover, löchrige Jeans, eine grüne Lederumhängetasche und schwarze Boots, die ihr zwei Nummern zu groß schienen.

»Wie heißen Sie?«, fragte Albert. Er war sich unsicher, ob er das Mädchen duzen oder siezen sollte. Wie bei Emine, war das Alter schwer zu erkennen.

»Ich heiße Konstanze, nennen Sie mich gern Blizz.«

Emine sagte: »Du bist bei uns ganz richtig. Möchtest du, dass wir mit dir hineingehen? Wir könnten …«

»Nein. Ich will nicht da rein. Mein Vater wurde von einem Polizisten vor Jahren mit einem Schild schwer am Kopf getroffen. Seitdem kann er sich nicht erinnern, eine Tochter zu haben. Ich bin also nur hier, solange es nötig ist. Und ich habe auch gar nicht sonderlich viel zu sagen.«

Alberts Körperhaltung änderte sich. Sie wirkte auf einmal vertrauensvoll, und seine Gesichtszüge strahlten Verständnis und Mitleid aus. Emine war von ihm beeindruckt. Er war ein Wrack, ja. Aber er konnte Menschen allein durch seine Präsenz auffangen und ihnen Vertrauen schenken. Konstanze alias Blizz entspannte sich und wirkte wieder etwas zutraulicher.

»Wie können wir dir helfen?«, fragte Albert im sanften Ton. Er war zum Du übergegangen.

»Ich kann Ihnen helfen. Zumindest hoffe ich das.« Auch wenn Blizz nicht ebenfalls zum Du übergegangen war, war die Vertrauensphase dennoch abgeschlossen.

Sie leerte ihre Dose und warf sie in eine der schwarzen Mülltonnen, die am Rand der Einfahrt aufgestellt waren. »Tut mir leid. Aber ich brauchte ein bisschen Alkohol. Justus war mein Freund.«

Emine und Albert sahen sich vielsagend an. Diese Frau kannte Justus? Woher? Albert schlug vor, dass sie hier nicht auf der Straße stehen, sondern lieber in den Diner auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehen sollten. Blizz stimmte zu – wenn auch zögerlich.

Der Diner war neu und wirkte noch glänzend und unangetastet wie ein Buch, das noch in seiner Klarsichthülle verpackt war. Der amerikanische Touch gefiel Emine, als sie die Tür öffnete und sich einen Überblick verschaffen konnte. Kunststofftische, ein breiter dunkler Tresen am Ende des Lokals, dunkelroter Linoleumfußboden und beige Sitznischen, deren Rückenlehnen so hochragten, dass man ungestört von seinen Tischnachbarn speisen und reden konnte. An der hinteren Seite des Diners ragte die Frontseite eines alten schwarzen Chevrolet Camaro aus der Wand. Auf der Motorhaube war ein riesiger Flachbildschirm montiert, auf dem – wie sollte es auch anders ein – soeben ein Football-Match lief. Es roch nach Frittierfett, aber keinesfalls unangenehm.

Die drei rutschten in die erstbeste Nische. Emine und Albert nebeneinander, Blizz ihnen gegenüber. Die Bedienung kam – ein junger Mann, der versuchte, einen leichten texanischen Akzent zu imitieren, was Emine lächerlich fand –, und sie gaben ihre Bestellungen auf. Weil die beiden Beamten gerade schon gefrühstückt hatten, bestellte Albert Mineralwasser und Emine Kaffee mit Milch und extra Zucker. Blizz entschied sich für Pfannkuchen mit Sirup und einen Erdbeermilchshake.

»Woher kanntest du Justus?«, fragte Emine geradeheraus.

Blizz sah durch die breite Fensterfront zur Straße und rieb sich unbewusst mit einer Hand die Schulter.

»Er hat mir aus der Patsche geholfen, als ich mich … Das Gespräch hier bleibt vertraulich, richtig?«

»Natürlich«, bestätigte Albert.

»Ich habe mich mit einem Autokonzern angelegt. Und er stand mir bei. Mehr muss ich ja nicht erzählen. Seitdem waren wir im ständigen Kontakt. Er hat mich verstanden. Sprach meine Sprache. Menschen wie wir fliehen ins Netz, weil die Welt um uns herum zu fremdartig ist.« Sie strich sich ihr rotes Haar hinter die Ohren. »Das Netz bringt viele Vorteile. Zwischenmenschlich bleibt dafür einiges auf der Strecke. Mit Jupiter …«

»Jupiter?«, hakte Emine ein.

»So nannte er sich. Wie ich eben Blizz heiße. Er war ja ziemlich kräftig, und er fand es wohl witzig, sich nach dem fettesten Planeten im Sonnensystem zu benennen. Er hat immer versucht, seinen Mitmenschen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er sich als dick und fett bezeichnete. Er machte sich über sich selbst lustig, damit andere ihm nicht zuvorkamen oder es letztlich zumindest nicht mehr so wehtat, wenn sie in seine Selbstgeißelung mit einstiegen. Er war … verloren. Aber auf der anderen Seite auch nicht. O Gott, ich kann es nicht glauben. Er wurde ganz sicher ermordet.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Albert sanft.

»Na, ich weiß schon, dass Jupiter Ihnen geholfen hat. Trinity. Sein Suchprogramm. Ich war die Einzige, die darüber Bescheid wusste. Ich habe ihn gewarnt. Aber er wollte unbedingt Sherlock spielen.«

Die Getränke und das Essen kamen. Emine war neidisch auf die saftigen Pfannkuchen, die auf einem großen weißen Teller serviert wurden. Ihr halbes Brötchen hatte bei Weitem nicht gereicht. Der Sirup wurde in einem dunklen Horn aus falschem Elfenbein serviert. Blizz kippte alles über ihren Turm aus gebackenem Teig. Der Erdbeermilchshake befand sich in einem großen länglichen Glas und hatte als Topping eine Sahnekrone mit Erdbeerstückchen. Der Kaffee wurde in einer großen breiten Tasse serviert, und in Alberts länglichem Wasserglas schwamm eine Zitronenscheibe, die er mit seinen Fingern sofort herausangelte.

Blizz fuhr fort. »Er hat sich in Gefahr gebracht, weil er den Mörder dieser zwei Menschen schnappen wollte. Keine Ahnung, was ihn geritten hat. Seine Suchmaschine war eine Betaversion, das wissen Sie ja sicher. Es ist denkbar, dass der Darknetkiller Justus auf umgekehrtem Weg aufgespürt haben könnte. Oder vielleicht überwacht er Sie und hat einfach gesehen, dass Justus bei Ihnen war. Wie auch immer. Nun ist er tot, und ich wette, es war kein Kabelbrand. Ich habe die Feuerwehrleute reden hören. Die Leichen von ihm und seiner Omi liegen im Leichenschauhaus. Bestimmt werden sie forensisch untersucht, und dann wird man sehen, dass es kein Unfall war.«

»Wir glauben das auch nicht«, meinte Albert. »Es tut uns wahnsinnig leid, dass das geschehen ist. Justus wollte Polizeischutz haben, und den hätte er auch bekommen.«

»Wohl zu spät, was?«, meinte Blizz zynisch und stopfte sich ein Pfannkuchenstück nach dem nächsten in den Rachen. »Andengen an Jufiter«, nuschelte sie mit vollem Mund. »Das hätte er vermutlich so gemacht, wenn er noch da wäre. Sich vollgestopft.«

Sie trank ihren Shake zur Hälfte leer und schob den noch halb vollen Teller zur Seite. Anschließend zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und zeigte ihnen ein Bild von einem Laptop.

»Das ist ein Lenovo Legion Slim 7i. Mit diesem Laptop hat der Killer seine Sachen ins Netz hochgeladen. Die Videos mit seinen Todeskandidaten. Das konnte ich herausfinden, weil Justus mir Folgendes geschrieben hat.« Sie setzte sich gerade auf und räusperte sich. »GoT S6 F4 liebe dich«, las sie vor. »Das bedeutet Game of Thrones , Staffel sechs, Folge vier. Sein Handy war mit Trinity verbunden, sodass er mir einen Teil der Metadaten hinter dieser Nachricht mitgeschickt hat. Vermutlich wurde er kurz darauf getötet. Sonst hätte er die Nachricht nicht so kurz verfasst. Er hatte wohl kaum Zeit dafür.«

Albert und Emine blickten Blizz stumm an. Sie mussten gar keine Fragen stellen, weil Blizz bereits das Wichtigste mitteilte.

»Die Metadaten waren unvollständig und ungenau. Aber sie konnten nicht nur anzeigen, dass der Darknetkiller Game of Thrones mag, sondern auch zurückverfolgen, welches Laptopmodell er benutzt hat. Mehr war daraus nicht zu holen. Leider keine IP-Adresse oder Wohnanschrift. Doch das ist ja schon mal etwas. Suchen Sie nach einem Kerl, der dieses Modell in den letzten sechs Monaten gekauft hat. Seitdem ist es auf dem Markt. Hat er es bar in irgendeinem MediaMarkt gekauft, hilft das nicht. Zumindest müssten Sie Tausende Kunden per Kamera bei jedem Händler im Umkreis von hundert Kilometer sichten. Falls er nicht so schlau war und sich das Ding zum Beispiel aus einem anderen Bundesland geholt hat. Und die Videoaufzeichnungen bei diesen Läden müssen laut Datenschutzverordnung nach vierzehn Tagen gelöscht werden. Also eine Sackgasse. Vielleicht hat er es direkt beim Hersteller bestellt. Dann haben Sie die Namen und Adressen der Käufer.« Blizz stand mit diesen Worten auf und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich hoffe, das war es wert. Dass Justus nicht umsonst gestorben ist. Sie werden mich nicht wiedersehen, ich tauche unter. Ich lasse mich sicher nicht umbringen, aber geholfen habe ich Ihnen, weil Justus es so gewollt hätte. Danke fürs Frühstück.«

Sie zog sich eine weitere Dose Jim Beam Cola aus ihrer grünen Umhängetasche und verschwand durch die Tür.