Kapitel 61

Diese Perspektive war neu.

Albert saß gefesselt in einer Badewanne, die bis zu seiner Hüfte mit Wasser gefüllt war. Nein, kein Wasser. Es roch nach süßlichen Dämpfen. Benzin! Füße und Hände waren mit Tape umwickelt. Seine Hüfte war mit einem ledernen Gürtel umbunden, der wiederum mit einer Kette durch eine Öse am Boden der Wanne befestigt war. Keine Chance, sich so aufzurichten. Die Wände um ihn herum bestanden aus festem Klinker mit Holzbalken im Fachwerkhausstil. Der Boden aus abgewetzten Fliesen. Die Fenster waren verhangen, und es drang kein Licht hindurch. Die Eingangstür befand sich hinter der Kamera, in die Albert starrte. Links und rechts waren Scheinwerfer platziert, die sein Entführer nun einschaltete und ausrichtete.

»Du bist wach. Schön. Ich dachte schon, ich hätte dich zu stark sediert.«

Alberts Kopf brummte und tat weh. Er wusste noch, dass er gezwungen wurde, eine Flasche mit Flüssigkeit auszutrinken. Cola. Sie war durchsetzt mit etwas Bitterem. Das war das Letzte, an das er sich erinnerte, ehe er hier aufgewacht war.

»Wirst du mich jetzt auch für Geld umbringen?«

Das Darknetkiller schloss die Kamera an seinen Laptop. Ein Lenovo Legion Slim 7i.

»Ich behalte das Geld nicht, Albert«, sagte sein Gegenspieler, der jetzt alle Trümpfe in den Händen hielt. »Ich sehe schon, du weißt immer noch nicht Bescheid. Du weißt gar nichts, oder? Das Geld leite ich weiter. Ich will keinen Cent davon. Und umbringen tue nicht ich dich, sondern die Leute vor den Bildschirmen, die Geld überweisen.«

»Rede dir das ruhig ein. Du sitzt hier in deiner arroganten Selbstgefälligkeit hinter der Kamera und entscheidest über Leben und Tod. Du stellst die Videos ins Netz. Du zerstückelst die Leichen und hinterlässt hirnverbrannte Hinweise in den geschundenen Körpern.«

»Alles richtig, Albert. Alles richtig. Doch weißt du auch wieso? Hast du eigentlich überhaupt eine Ahnung? Oder ist dein kluger Intellekt, den du definitiv einmal hattest, durch dein Gesaufe zerstört worden?«

»Erleuchte mich. Du hast bestimmt eine Wahnsinnsbegründung. Bestimmt so was wie ›Die Welt ist unfair zu mir gewesen und jetzt sind alle schuld, außer ich‹. Trifft das in etwa zu?«

»Ein Motiv hat immer einen vorlaufenden Konflikt, Albert. Sonst hätte ich ja keine Motivation für diesen ganzen Aufwand hier.«

»Sind wir schon live?«

»Nein, sonst würde ich mich ja ganz schön verrennen. Du müsstest nur meinen Namen in die Kamera rufen. Nein, das wäre kontraproduktiv. Erst muss ich noch mal nach Hause.« Er blickte auf die Uhr. »In sechzig Minuten gehst du online. Hast du dich mit deinem Umfeld schon bekannt gemacht?«

Albert sah auf seine durchtränkte Hose. Dann stieß sein linker Knöchel gegen einen Gegenstand. Eine elektrische Kochplatte. Sie lag unter der Flüssigkeitsoberfläche. Ein Kabel führte von dem Gegenstand aus der Wanne hinaus in einen Transistor, der den Stromfluss kontrollierte. Dieser war wiederum mit dem Laptop verbunden.

»Die Leute überweisen das Geld, der Transistor reguliert die Stromstärke, die Platte wird heißer und heißer, bis sich das Benzin entzündet«, sagte Albert nüchtern.

»Mann, du nimmst mir ja den ganzen Spaß. Sehr scharf analysiert. Geradezu emotionslos. Die anderen haben viel mehr geschrien und gebettelt. Willst du mich auch noch anflehen, bevor ich gleich gehe? Also ich komme wieder, keine Sorge. Ich will immer dabei sein, wenn eine meiner Investitionen seinen Zweck erfüllt.«

»Fick dich«, sagte Albert und machte es sich in der Wanne bequem, indem er demonstrativ die Hände auf seine Brust legte und die Augen schloss, als befände er sich in einem Whirlpool. Auch wenn er höllische Angst hatte, würde er diesem Geisteskranken keine Genugtuung verschaffen. Und außerdem hatte er auch noch einen Trumpf in der Hand. Einen Trumpf, für den er Emines Hilfe brauchte. Er betete, dass sie seine einzige Chance erkannte.