Kapitel 69

Nachdem Marie in Lingen angekommen war, wich sie ihrem Vater nicht mehr von der Seite. Sie umklammerte ihn förmlich, als sie ihn in der Notaufnahme fand. Beinahe wäre sie gar nicht zu ihm durchgedrungen, weil unzählige Reporter und Schaulustige vor dem Krankenhaus ausharrten, in das »der überlebende Held« – so nannte ihn Deutschlands größte Zeitung – eingeliefert worden war, dort beteten und Kerzen aufstellten. Nur indem sie von Dirk Sauer und Tarek Arikan eskortiert wurde, konnte sie sich Zutritt verschaffen. Die Verbrennungen an Alberts Bein waren schwer, zum Glück jedoch nicht lebensgefährlich. Die Ärzte meinten, er würde Narben behalten. Ein paar Grad mehr, und das Benzin wäre in Flammen aufgegangen, da waren sich alle sicher. Wegen der giftigen Benzindämpfe und der Betäubung in seinem Mund sollte er ein paar Tage zur Beobachtung bleiben. Albert entließ sich selbst zwölf Stunden später.

 

Zwei Wochen nach dem Vorfall hatte die Polizeidienststelle das Koschinski für eine private Veranstaltung gemietet, um den Ausgang dieses unglaublichen Falles zu feiern. Erst wollte Albert nicht kommen, doch Emine und Marie zwangen ihn förmlich dazu. Er sollte diese Ereignisse als Neuanfang sehen, und es gehörte dazu, mit den Kolleginnen und Kollegen zu feiern.

»Nur durch die herausragenden Ermittlungsarbeiten seiner Kollegen konnte der Standort von Albert Z. ausfindig gemacht werden«, las Alex von seinem Handy vor und zitierte einen Zeitungsartikel. Die Kollegen um ihn herum grölten zustimmend.

Die Soko Video hatte Stillschweigen darüber vereinbart, dass Emine und Tarek Albert nur ausfindig machen konnten, weil er den Ring seiner Tochter an seinem kleinen Finger trug, der mit einem GPS-Tracker ausgestattet war. Einen GPS-Tracker, der einst für die Überwachung seiner Tochter gedacht war. Diese Information hätte Alberts Ansehen mehr als geschadet. Jetzt, wo er doch endlich mal in den Genuss kam, nicht der Buhmann zu sein.

Albert sah auf sein Handy und grinste. Vor zwanzig Minuten hatte Emine ihm geschrieben, dass sie nicht wüsste, was sie anziehen sollte und deswegen zu spät käme.

»Etwas Besseres hätte dir nicht passieren können«, sagte Marie neben ihm und stieß mit ihrem Weinglas gegen Alberts Cola.

»Was meinst du?«

»Emine. Sie scheint sehr clever zu sein. Nur sie ist auf deine Handzeichen gekommen, weil du auf meinen Ring aufmerksam machen wolltest. Und gut, dass du dein Passwort immer griffbereit an deinem Computerbildschirm hast. Deswegen konnte sie dich von deinem PC aus orten. Sie scheint dich sehr zu mögen, weißt du?«

»Denkst du das?«

»Papa, versau es nicht. Versprichst du’s mir?« Marie sah ihn mit großen braunen Augen an und grinste.

»Ich gebe mir Mühe«, antwortete Albert.

»Das reicht mir nicht!«

»Okay, ich verspreche es.«

»Albert, ein Bier?«, fragte Michael Schreiber und legte ihm seine Hand auf die Schulter.

»Da ist ja unser Held!«, warf Joachim Braunperle ein und sah ihn dabei an. »Ich wusste, du bist der beste Mann! Komm, trinken wir auf das gute Ende dieser Scheiße.«

»Ich würde gern noch kurz mit meiner Tochter allein sein.«

»Ist das okay?«, versuchte sich Albert von seinem Boss und dem Staatsanwalt zu lösen.

»Natürlich«, meinte Michael. »Aber eins noch.« Er hielt Albert am Arm fest. »Ich habe mit dem Oberarzt aus dem Krankenhaus gesprochen. Gretchen wird voraussichtlich morgen aus dem künstlichen Koma geholt. Ihre Genesung schreitet voran, und sie sind sehr zuversichtlich.«

»Das sind gute Nachrichten«, meinte Albert.

Sein Handy vibrierte wieder in seiner Tasche.

»Du darfst gern mit deinen Leuten was trinken, wenn du das möchtest«, meinte Marie.

»Nein, ich bleibe alkoholfrei. Ich will in Zukunft alle meine Versprechen halten«, sagte er und zwinkerte seiner Tochter zu.

»Guter Mann! Albert, mein Freund. Wir müssen über dich und Emine Laub sprechen. Ich denke an eine Art Sondergruppe, die ihr aufbauen sollt, bevor du in ein paar Monaten in den Ruhestand gehst. Vielleicht kannst du anschließend sogar als eine Art Berater für die Kriminalpolizei weiterarbeiten. Was meinst du? Zu Hause wird dir doch sowieso nur langweilig. Jetzt haben wir gerade die öffentliche Meinung auf unserer Seite. Das müssen wir ausnutzen, um finanzielle Mittel zu erhalten«, meinte Michael.

Albert wiegelte ab und sagte, dass heute nicht mehr über Dienstliches gesprochen werden solle.

Erneut vibrierte sein Handy in der Tasche. Jetzt zog er es heraus, um vermutlich eine Mitteilung von Emine zu lesen, die wohl immer noch nichts zum Anziehen gefunden hatte.

Seinen Fingern entglitt das Glas Cola. Es fiel zu Boden und zersprang in tausend Teile. Er hatte zwei Nachrichten von Emine erhalten. In der ersten Nachricht stand:

Ich zeige mich zum Schluss.

 

Die zweite Nachricht war eine Fotoaufnahme.

Sie zeigte einen verbrannten Teddybären.

 

Die Haustür von Emine war nur angelehnt. Albert rannte voran und stieß sie auf, dicht gefolgt von unzähligen Kollegen. Er rannte die Treppenstufen hinauf und sah das verbrannte Plüschtier vor einer Tür liegen. Hinter der Tür lag das Schlafzimmer, aber von Emine fehlte jede Spur. Albert sah sofort die Notiz auf dem gemachten Bett.

Lieber Albert,

ich zeige mich zum Schluss. Es blieb stets abzuwarten, ob du und ich noch einmal ein gemeinsames Abenteuer erleben. Vor allen Dingen, als du so kurz davor warst, diese Welt zu verlassen. Spannend. Glaube mir, wenn es nach mir ginge, wäre unser gemeinsamer Weg schon lange zu Ende. Du hast nie aufgegeben, nicht wahr? Deine Kollegin war sehr aufgebracht, als ich sie besucht habe. Noch geht es ihr gut. Aber du weißt ja, wie meine Verabredungen stets enden. Ehrlich gesagt, weiß es niemand besser als du, oder?

Du hättest loslassen sollen, Albert.

 

Auf dem Blatt Papier war ein Teilstück eines Zeitungsartikels aufgeklebt, der eine blonde Reporterin mit einer lila Jacke und künstlich wirkenden Augenbrauen zeigte. Sie berichtete in dem Artikel, dass die neue Arbeitskollegin von Kriminalhauptkommissar Albert Zeiler bestätigte, mit ihrem Partner zusammen die Ermittlungen im Feuerteufel-Fall wieder aufzunehmen.

Albert erinnerte sich an die Reporterin. Sie hatte mit der Meute zusammen vor seinem Haus gewartet, als das reinste Chaos ausgebrochen war.

Ich habe mich entschieden, mein Freund. Ich kehre zurück. Danke, dass du mich aus meinem Winterschlaf geholt hast.

Auf Wiedersehen, Albert.

PS: Ich soll dir liebe Grüße von Emine ausrichten.

 

Albert ließ das Blatt fallen, ging die Treppenstufen hinunter und in die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht.

 

 

Alle Personen in diesem Buch sind meiner Fantasie entsprungen. Vieles, was mit adoptierten Kindern, Pflegefamilien und Heimen zu tun hat, habe ich mir ausgedacht und beruht nur oberflächlich auf Fakten. Jegliche Meinungen von meinen Protagonisten dienen der Unterhaltung.

Alberts und Emines Geschichte ist hier nicht zu Ende …