CAPTAINS LOGBUCH, STERNZEIT 50390.8:
Starfleet Command hat die Enterprise nach Chiaros IV geschickt, dem einzigen bekannten bewohnten Planeten in der ganzen Geminus-Kluft, einer Welt, deren Zukunft jetzt sehr unsicher ist. Während die chiarosanischen Wähler bald zwischen der Mitgliedschaft in der Föderation oder einem Bündnis mit dem Romulanischen Reich entscheiden sollen, greifen proromulanische Guerilla-Gruppen Regierungsinstitutionen und die zivile Infrastruktur an, um ihrer Sache Nachdruck zu verleihen. Diese brisante Situation könnte zu einem blutigen Bürgerkrieg führen, wodurch die Chiarosaner für eine Mitgliedschaft in der Föderation nicht mehr infrage kämen – die Romulaner erhielten dadurch die Kontrolle über die Geminus-Kluft.
Meine primäre Mission besteht darin, dem chiarosanischen Regierungsoberhaupt – einer Chiarosanerin namens Ruardh, die den Titel des Ersten Protektors trägt – dabei zu helfen, die Ordnung aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass die Volksabstimmung unter fairen Bedingungen stattfinden kann. Während unseres Aufenthalts im Chiaros-System wird meine Crew nach dem Föderationsschiff Slayton suchen, das vor einer Woche kurz vor Beginn seiner diplomatischen Mission in der Nähe von Chiaros IV verschwand. Ich …
Jean-Luc Picard unterbrach sich, als der Türmelder summte. »Computer, Logbucheintrag unterbrechen«, sagte er, drehte seinen Sessel und fügte hinzu: »Herein.«
Die beiden Türhälften glitten mit einem leisen Zischen auseinander und ein lächelnder Will Riker betrat den Raum. Picard deutete auf einen der Sessel vor seinem Schreibtisch. »Setzen Sie sich, Nummer Eins. Ich bin gleich damit fertig, das Logbuch auf den neuesten Stand zu bringen.«
Riker nahm Platz und Picard setzte den Eintrag fort. »Ich bin wie Starfleet der Auffassung, dass die Unruhen auf Chiaros IV nur durch Verhandlungen zwischen der Regierung und den Dissidenten beendet werden können. Weil es mir ganz offensichtlich an Erfahrung im Umgang mit solchen Dingen fehlt, hat Starfleet Command beschlossen, einen ›professionellen‹ Diplomaten zu entsenden …«
Picard zögerte erneut, als er sah, wie Rikers Lächeln zu einem breiten Grinsen wurde. Daraufhin erlaubte sich der Captain ein kurzes Schmunzeln. »Computer, Logbucheintrag unterbrechen.« Und an den Ersten Offizier gerichtet: »Sie haben Recht, Nummer Eins. Ich sollte das besser lassen. – Computer, den letzten Satz löschen.«
Der Computer bestätigte und Picard fuhr fort: »Zu diesem Zweck hat Starfleet das Kommando über die Mission einem … Experten auf dem Gebiet der interstellaren Diplomatie gegeben.
Computer, Eintrag beenden.«
Picard stand auf und strich seine Uniform glatt. Riker erhob sich ebenfalls und lächelte noch immer. »Wir sind bereit, ein Rendezvousmanöver mit der Thunderchild durchzuführen, um den ›diplomatischen Experten‹ an Bord zu nehmen, Captain. Hat Starfleet Command auf die Identität der betreffenden Person hingewiesen?«
»Nein«, erwiderte Picard und ließ sich seine Verärgerung darüber anmerken. »Aber es geschieht nicht zum ersten Mal, dass man einen Raumschiff-Kommandanten einfach übergeht.«
Er schritt zur Tür, die sich vor ihm öffnete und Zugang zur Brücke gewährte.
»Den Wandschirm aktivieren, Lieutenant Hawk«, sagte Picard und sank in den Kommandosessel. Riker nahm rechts von ihm Platz. »Sehen wir uns das andere Schiff an.«
Hawks Finger huschten über die Schaltflächen der Navigationsstation, und dabei war dem dunkelhaarigen jungen Mann sein Enthusiasmus deutlich anzusehen. Er erinnerte Picard an eine zehn Jahre jüngere Version des Ersten Offiziers.
Counselor Troi saß bereits auf der linken Seite des Captains. Der Blick ihrer dunklen Augen galt dem schnittigen, katamaranartigen Raumer, der sich auf dem großen Wandschirm zeigte.
»Die U.S.S. Thunderchild«, sagte Picard. »Die neue Akira-Klasse. Gerade erst von Starfleet entwickelt.«
»Thunderchild«, wiederholte Troi. »Ein seltsamer Name.«
Lieutenant Commander Data stand neben einer der wissenschaftlichen Stationen auf der Steuerbordseite und beobachtete das Schiff mit offensichtlicher Anerkennung. »Der Name des Schiffes geht auf die phantastische Literatur des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts auf der Erde zurück. In Krieg der Welten von H. G. Wells war die H.M.S. Thunderchild eins der Schiffe, das die britische Marine aussandte, um eine Invasion der feindlichen Marsianer abzuwehren.«
Picard hörte Hawks leises Lachen und erinnerte sich daran, dass Hawk auf dem Mars aufgewachsen war.
»Und wie kam die Crew der Thunderchild gegen die … Marsianer zurecht?«, wandte sich Troi an Data. In ihren Augen glänzte es vergnügt.
»Sie waren … nicht unbedingt erfolgreich. Aber das betreffende literarische Genre neigte oft zu Spekulationen, bis weit ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein. Viele Werke jener Art enthielten Ungenauigkeiten in Hinsicht auf Fakten und Tatsachen.«
»Wie zum Beispiel die Existenz von blutrünstigen, tentakelbewehrten Marsianern«, sagte Riker.
Data nickte. »Ja, Commander.«
Picard hatte Krieg der Welten während seiner Kindheit in Labarre, Frankreich, mehrmals gelesen. An der Starfleet-Akademie hatte er sich das Buch erneut vorgenommen, dann noch einmal Jahre später an Bord der Stargazer. Er konnte nur hoffen, dass der aktuellen Thunderchild eine Krise von dem Ausmaß, wie sie im Buch beschrieben wurde, erspart blieb.
»Wir sind jetzt in Transporterreichweite«, meldete Data.
Eine junge, schlanke Skorr – ihre mit goldenen Federn besetzten Schwingen waren auf dem Rücken zusammengefaltet – wandte sich halb von einer Kommunikationskonsole ab und dem Kommandobereich der Brücke zu. »Das Schiff setzt sich mit uns in Verbindung, Captain«, sagte die Vogelfrau.
»Danke, Fähnrich Rixa«, sagte Picard und stand auf. »Thunderchild, hier spricht Captain Jean-Luc Picard von der Enterprise.«
Das Bild auf dem Wandschirm wechselte und zeigte die Brücke der Thunderchild, wo ein halbes Dutzend Starfleet-Offiziere verschiedenen Aufgaben nachging. Im Kommandosessel saß eine uniformierte, menschliche Frau, gut fünfzig Jahre alt. Rechts von ihr hatte ein Mann in mittleren Jahren Platz genommen. Er trug einen zivilen grauen Anzug mit hohem Kragen und Picard konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals zuvor gesehen zu haben. Auf der anderen Seite des Captains sah Picard eine zart gebaute, grauhaarige Frau, die eine Starfleet-Uniform mit den Rangabzeichen eines Admirals trug.
Er erkannte sie sofort. Wenn sein Herz nicht künstlich gewesen wäre, hätte es jetzt vielleicht einen Schlag ausgesetzt. Er fühlte Trois Blick auf sich ruhen – ihre gewölbten Brauen wiesen auf eine unausgesprochene Frage hin.
»Captain Picard«, sagte die Kommandantin der Thunderchild, »ich bin Captain Evelyn Hoffman. Bitte erlauben Sie mir, Ihnen den speziellen Gesandten der Föderation vorzustellen, Botschafter Aubin Tabor.«
Der Zivilist neben Hoffman lächelte und nickte, sah dabei Picard an. Ihn umgab eine Aura der Autorität, die fast Arroganz gleichkam. Er sprach mit knappen, präzise formulierten Worten.
»Ich freue mich darauf, mit Ihnen und Ihrer Crew zusammenzuarbeiten, Captain Picard.«
An den Schläfen des Mannes bemerkte Picard eine graue Sprenkelung, die den Mann als einen telepathischen Ullianer auswies. Sofort war er froh darüber, dass er seinen ursprünglichen Ärger darüber, nicht mit der diplomatischen Mission beauftragt worden zu sein, beiseite geschoben hatte. Telepathische Fähigkeiten boten bei den bevorstehenden Verhandlungen sicher einen großen Vorteil.
»Die Freude ist ganz meinerseits, Mr. Tabor«, erwiderte Picard und neigte andeutungsweise den Kopf.
»Dies ist Vizeadmiral Marta Batanides«, sagte Hoffman, woraufhin die grauhaarige Frau lächelte und aufstand. Picard staunte darüber, wie wenig sie sich während der vergangenen gut vierzig Jahre verändert hatte, seit damals, als sie sich zum letzten Mal in der Starbase Earhart gegenübergetreten waren. Sicher, ihre Haarfarbe hatte sich verändert und sie bekleidete jetzt einen wesentlich höheren Rang. Hinzu kamen kleine Falten an den Augenwinkeln. Aber die Augen selbst und das gewinnende Lächeln brachten ihn geradewegs in seine turbulente Akademiezeit zurück.
»Captain …«, sagte sie nur. Ihre Stimme klang neutral, aber das Lächeln erschien ihm schelmisch.
Picards Kehle schien plötzlich so trocken zu sein wie die Wüsten von Lambda Paz. »Admiral … Wir beamen Sie und den Botschafter an Bord, sobald Sie soweit sind.«
»Wir sind jetzt bereit, Captain«, sagte Tabor und schritt in Richtung eines Turbolifts. »Je eher wir aufbrechen, desto besser. Ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie eine Besprechung anberaumen würden, damit ich Ihnen und Ihren Führungsoffizieren die Probleme erläutern kann, die uns vermutlich erwarten. In dreißig Minuten?«
»Selbstverständlich, Botschafter. Unterdessen wird mein Erster Offizier dafür sorgen, dass Sie angemessene Quartiere erhalten.«
Tabor nickte zufrieden und trat zusammen mit der Admiralin in den Turbolift. Captain Hoffman unterbrach die Kom-Verbindung und der Wandschirm zeigte wieder das andere Raumschiff. »Ich nehme sie im Transporterraum Drei in Empfang«, sagte Riker und verließ die Brücke, als mehrere Offiziere der Beta-Wache hereinkamen, um ihre Kollegen vom Alpha-Team abzulösen.
Picard sah zur Navigationsstation. »Mr. Hawk, wir fliegen mit Höchstgeschwindigkeit nach Chiaros IV, sobald unsere Gäste an Bord sind.«
»Aye, Sir. Geschätzte Ankunftszeit: in dreiundzwanzig Stunden.«
»Mr. Data, Sie haben das Kommando«, sagte Picard und ging zu seinem Bereitschaftsraum.
Marta, dachte er. Wie hast du all die Jahre verbracht?
Die Tür des Bereitschaftsraums schloss sich hinter ihm, aber er spürte noch immer Trois neugierigen Blick – er schien ein Loch in seinen Hinterkopf zu bohren.
Voller Erinnerungen strich Picard mit dem Zeigefinger über die Warpgondeln des Modells der Stargazer, als der Türmelder des Bereitschaftsraums summte.
»Herein«, sagte er, drehte sich zur Tür um und zog kurz am Saum der Uniformjacke. Die beiden Türhälften glitten auseinander und Vizeadmiral Marta Batanides trat ein.
Hinter ihr schloss sich die Tür. Sie waren allein.
Die Admiralin lächelte. »Johnny … Es ist lange her.«
»Ja, Marta«, erwiderte Picard. Mehr brachte er einfach nicht hervor.
Die Frau trat ihm entgegen und streckte ihre Arme aus. »Willst du eine alte Freundin nicht umarmen?«
Er sah sie an. Nach all den Jahren zeichnete sie sich noch immer durch jene elfenhafte Anmut aus, die er während der Akademiezeit so reizend gefunden hatte. Aber er nahm auch noch etwas anderes wahr, eine gewisse Zähigkeit, die nur nach langen Jahren der Erfahrung entstehen konnte. Ein wenig unbeholfen ließ er sich auf eine feste und doch keusche Umarmung ein.
Wenige Sekunden später wichen sie einen Schritt zurück und musterten sich gegenseitig in einem Schweigen, das keiner von ihnen als Last empfand. Wie Picard hatte Batanides die Ausbildung an der Starfleet-Akademie im Jahr 2327 beendet. Während der vergangenen Jahrzehnte war viel geschehen, aber gelegentlich hatte Picard Zeit gefunden, sich an die relativ sorglosen Zeiten zu erinnern, als die Kadetten Jean-Luc Picard, Marta Batanides und Cortin Zweller unzertrennlich gewesen waren. Er vermutete, dass jene Zeiten einen ebenso nachhaltigen Eindruck auf Marta hinterlassen hatten. Zwar waren sie mehr gewesen als enge Freunde, aber Picard wusste: Er würde sich immer fragen, was aus Marta und ihm geworden wäre, wenn der Starfleet-Dienst ihre Wege nicht getrennt hätte.
Und wenn wir nicht so ängstlich gewesen wären, dachte Picard reumütig. Aber jenes Schiff segelte vor langer Zeit fort.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte Picard schließlich und beendete damit das lange Schweigen.
Batanides lächelte. »Ich nehme das, was du nimmst.«
Er stand auf und lachte leise, als er zum Replikator ging. »Ich fürchte, mein Geschmack ist seit unserer letzten Begegnung ein wenig … zahmer geworden. Computer, Tee, Earl Grey, heiß. Zwei Tassen.« Der Replikator summte, und die beiden Tassen materialisierten.
Batanides nahm vor dem Schreibtisch Platz, als Picard zwei dampfende Tassen absetzte. Sie ergriff eine und nippte daran.
Picard ließ sich in seinen Sessel sinken, hielt die eigene Tasse in der Hand und wartete darauf, dass ihr Inhalt ein wenig abkühlte. »Ich muss feststellen, dass du schneller Karriere gemacht hast als ich. Du bist bereits Admiral.«
Sie lachte kurz, ein angenehmes, melodisches Geräusch. »Es ist nicht annähernd so angenehm, wie du vielleicht glaubst, Jean-Luc. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Hab es mit deiner nächsten Beförderung nicht zu eilig.«
»Da besteht keine Gefahr, glaub mir«, erwiderte er und trank einen Schluck Tee. »Ich bin mit meiner gegenwärtigen Position vollauf zufrieden.«
»Dazu hast du auch allen Grund«, sagte Batanides über den Rand der Tasse hinweg. »Ich habe deine berufliche Laufbahn seit damals verfolgt. Du hast dir schnell einen Namen gemacht. Die Rettung des Botschafters auf Milika III. Deine Jahre an Bord der Stargazer. Anschließend das Kommando über zwei Flaggschiffe der Föderation. Sehr eindrucksvoll.«
Picard spürte einen Anflug von Verlegenheit. »Leider muss ich gestehen, dass ich nicht annähernd so gut über deine Karriere Bescheid weiß, Marta.«
Batanides stellte ihre Tasse auf den Schreibtisch. »Mach dir deshalb keine Vorwürfe, Johnny. Wenn man für den Starfleet-Geheimdienst arbeitet, tritt man nicht oft an die Öffentlichkeit.«
Picard versuchte, seine Überraschung zu verbergen, aber offenbar gelang es ihm nicht ganz. Das Gesicht der Admiralin wies darauf hin, dass sie seine Reaktion bemerkt hatte.
»Johnny?«
Er zögerte kurz. »Entschuldige bitte, Marty, aber vom Starfleet-Geheimdienst bin ich nicht sonderlich begeistert.«
»Wie meinst du das?«
»Vor drei Jahren fand ich heraus, dass deine Abteilung einen illegalen Test mit einer Tarnvorrichtung vertuscht hat. Dem damaligen Zwischenfall wäre fast der beste Erste Offizier zum Opfer gefallen, den ich je hatte.«
Batanides nickte betroffen. »Die Sache mit der Pegasus. Dazu kam es kurz vor meiner Beförderung zum Admiral. Wir nannten sie ›Ranars Torheit‹. Sie schadete dem Ruf des Geheimdienstes und so etwas wird sich nicht wiederholen, solange ich diese Rangabzeichen trage.«
Picard wusste, dass er den Pegasus-Zwischenfall nie vergessen oder verzeihen konnte, aber er verdrängte seinen Ärger. Abgesehen von dieser Angelegenheit hatte er noch weitere unbeantwortete Fragen in Hinsicht auf den Geheimdienst und seine Aktivitäten.
»Ich schätze, deine Anwesenheit ist ein Hinweis darauf, dass der Starfleet-Geheimdienst mehr als nur ein bisschen an der chiarosanischen Situation interessiert ist. Ich muss mich fragen, ob man in deiner Abteilung etwas weiß, über das ich nicht informiert bin. Hat die Geminus-Kluft vielleicht größere strategische Bedeutung, als man nach den offiziellen Berichten glauben könnte?«
»Dann wäre diese ganze Sache viel einfacher, nicht wahr?«, erwiderte Batanides und lächelte schief. »Aber soweit der Geheimdienst weiß, ist die Geminus-Kluft tatsächlich nichts wert. Sie besteht aus einer kaum bewohnbaren Welt, Dutzenden von leblosen Sonnensystemen, einigen Subraum-Anomalien, bei denen es sich vielleicht nur um Messfehler der Sensoren handelt, und etwa Sechsundsechzigtausend Kubikparsec ungewöhnlich langweiligem All.«
Mit dieser Antwort wollte sich Picard nicht zufrieden geben. »Aber die Romulaner zeigen großes Interesse an dem ›langweiligen All‹.«
»Aus Gründen, die vermutlich mehr mit romulanischen Fehlinformationen zu tun haben als mit dem echten Wert der Geminus-Kluft«, erwiderte Batanides und zuckte mit den Schultern.
Picard dachte einige Sekunden lang über ihre Worte nach. Wenn sie die gemeinsame Akademiezeit ebenso sehr zu schätzen wusste wie er – und das schien der Fall zu sein –, so konnte er ziemlich sicher sein, dass sie ihm die Wahrheit sagte. Er beschloss, von einer solchen Annahme auszugehen.
»Na schön, Marta. Du schließt die Einfach-aber-falsch-Antwort aus. Was ist mit der Kompliziert-aber-richtig-Antwort?«
Batanides warf einen Blick über die Schulter, als befürchtete sie, dass jemand zuhörte. Dann sah sie Picard direkt in die Augen. »Wir haben Grund zu glauben, dass die chiarosanischen Rebellen Starfleet-Waffen verwenden. Waffen, die sie vielleicht von dem vermissten Raumschiff bekommen haben, der Slayton. Wenn das stimmt, geriet das Schiff in eine Falle.«
Das verblüffte Picard. Wenn die Rebellen wirklich Starfleet-Material bei ihrem Guerillakampf verwendeten, dann war die Föderation vielleicht indirekt für den Ausbruch eines Bürgerkriegs verantwortlich. Eine solche Entwicklung rechtfertigte zweifellos die Aufmerksamkeit der höchsten Ränge des Starfleet-Geheimdienstes.
Aber warum brachte er einen ranghohen Offizier in Lebensgefahr, indem er Admiral Batanides einer so heiklen Situation aussetzte?
»Entschuldige bitte meine Offenheit, Marta«, sagte Picard vorsichtig, »aber ich glaube, du hast mir noch immer nicht alles gesagt.«
Sie zeigte ein Poker-Lächeln. »Das stimmt. Und ich bin auch nicht befugt, dir alles zu sagen, was du sicher verstehst. Aber ich kann dir dies mitteilen: Corey Zweller war der wissenschaftliche Offizier der Slayton.«
Picard fühlte sich so, als hätte er einen Schlag in die Magengrube erhalten. Ruckartig und hörbar setzte er seine Tasse auf den Schreibtisch und versuchte, die Fassung zu wahren. »Marta«, sagte er, nachdem er einige Sekunden lang seine Gedanken gesammelt hatte, »bist du ganz sicher, dass dein Interesse an dieser Sache nicht … persönlicher Natur ist?«
Sie stand langsam auf und blieb äußerlich gelassen, aber in ihren Augen loderte es. »Es ist eine persönliche Sache, Johnny, da hast du verdammt Recht. Und glücklicherweise genießt man gewisse Privilegien, wenn man einen hohen Rang bekleidet. Deshalb sind Aubin und ich an Bord deines Schiffes. Das ist kein Zufall, sondern eine ganz bewusste Entscheidung.«
Es überraschte Picard ein wenig, dass Batanides den Vornamen des Botschafters benutzte. Er war ihm recht unnahbar entschieden.
Er begegnete dem Blick der Admiralin. »Ich versichere dir, Marta: Ich werde alles versuchen, um die Wahrheit über die Ereignisse auf Chiaros IV herauszufinden. Und um Corey zurückzuholen, falls er noch lebt. Er würde ebenfalls alles daransetzen, um mir zu helfen.«
Batanides entspannte sich und lächelte. »Danke, Jean-Luc. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann. Wir sehen uns bei der Einsatzbesprechung.« Sie drehte sich um und verließ den Raum.
Wozu sind Freunde da?, dachte Picard und sein Blick glitt dabei aus dem Fenster zu den fernen Sternen.
Commander Will Riker verließ sein Quartier mit einem Handcomputer und sah Data, der gerade um die Korridorecke kam.
»Commander!«, rief der Androide. »Darf ich Sie zur Besprechung begleiten?«
Riker drehte sich um und lächelte gut gelaunt. »Na sicher.« Er wartete, bis Data zu ihm aufgeschlossen hatte, bevor er den Weg fortsetzte. »Wie laufen die Dinge?«
Der Androide schien sich inzwischen an die oft vage Ausdrucksweise der Menschen gewöhnt zu haben. Er ließ sich davon nicht mehr verwirren. »Mit ›Dinge‹ meinen Sie vermutlich, wie die einzelnen Elemente meines Tages zueinander passen. Ich nehme nicht an, dass Ihre Frage dem Status von Schiff oder Crew gilt, oder? Nun, die Dinge laufen gut. Bevor ich heute Morgen den Dienst antrat, habe ich noch einmal die Hälfte des vollständigen Werks von Stephen King gelesen, in dem Versuch, das Konzept der Furcht zu verstehen. Während ich im Sessel saß, überraschte mich plötzlich meine Katze, indem sie einen besonders seltsamen Moment für die Entscheidung wählte, mir das Haar zu zerzausen. Einen Moment lang hat mir ihr Verhalten einen größeren Schrecken eingejagt als der Text, den ich las.«
Riker lachte leise, als er sich Data vorstellte, wie er mit dem Pelzbündel auf seinem Kopf rang. »Nun, manchmal zeigen Tiere ein sehr sonderbares Verhalten. Es lässt sich kaum feststellen, warum sie gewisse Dinge anstellen.«
Für ein oder zwei Sekunden wirkte Data verwirrt. »Ich bin sicher, dass Tiere – wie alle Geschöpfe – Motivationen für ihr Verhalten haben. Ob sie sich ihrer bewusst sind, ist allerdings eine Frage, die noch genauer untersucht werden muss.«
Riker bemerkte zwei Männer, die ihnen durch den Korridor entgegenkamen. Der kleinere von ihnen war Lieutenant Sean Hawk, der noch nicht lange zur Crew der Enterprise gehörte, den Riker aber schon zu schätzen gelernt hatte. Hawk zeichnete sich durch unglaublich schnelle Reflex aus, und abgesehen von Data wurde er dadurch zum besten Navigator, den Riker kannte. Außerdem verfügte er über ein ausgezeichnetes Gedächtnis und war ein angenehmer Gesprächspartner.
Der Mann an seiner Seite, Lieutenant Commander Ranul Keru, leitete die Abteilung Stellare Kartographie. Er war ein regelrechter Riese, breitschultrig und gutmütig. Wie Riker trug er einen Bart, allerdings einen altmodischen buschigen Schnurrbart. Angesichts des zurückweichenden Haaransatzes ließen sich die charakteristischen Trill-Flecken deutlich erkennen. Riker kannte ihn kaum, war allerdings mehrmals bei Spielen gegen ihn angetreten, bei denen es auf Geschwindigkeit ankam.
»Guten Tag, Commander, Lieutenant«, sagte Data freundlich.
»Commander Data, Commander Riker, freut mich, Sie zu sehen«, erwiderte Keru.
»Hallo, Sir.« Hawk nickte Riker zu. »Hallo, Commander Data.«
»Wohin sind Sie beide unterwegs?«, fragte Riker.
»Wir haben es endlich geschafft, unsere Dienstzeiten einigermaßen aufeinander abzustimmen. Wir wollen uns einen Drink im Aufenthaltsraum genehmigen und dann ein Holodeck-Abenteuer unternehmen.« Hawk lächelte ein wenig verlegen.
»Was mit Piraten?«, fragte Riker. Als er Hawks Überraschung bemerkte, deutete er auf Keru und lächelte. »Bei einem unserer Spiele hat mir Ranul von Ihren Captain-Blood-Szenarien erzählt. Sie scheinen recht interessant zu sein.«
Keru blickte auf Riker hinab und in seinen Augen funkelte es amüsiert. »Soweit ich weiß, rufen Sie und der Captain manchmal ein Programm auf, bei dem es um ein altes Segelschiff namens Enterprise geht. Wie ich hörte, fand dort Lieutenant Commander Worfs letzte Beförderung statt.«
Riker lachte, als er sich an den Plankenlauf von Worf und Dr. Crusher erinnerte, kurz vor der letzten Mission der Enterprise-D. »Wir sollten das Programm zu neuem holographischem Leben erwecken, wenn – falls – Sean die Rangabzeichen eines Lieutenant Commander bekommt.«
»Ich glaube, Ihnen beiden steht bald eine andere Feier bevor«, sagte Data. »Nächste Woche ist Ihr zweiter Jahrestag, nicht wahr?«
Riker bedachte das ungleiche Paar mit einem fragenden Blick. Keru lächelte unter seinem Schnurrbart, legte den Arm um den kleineren Hawk und drückte ihn kurz an sich. »Das stimmt. Zwei Jahre sind seit dem schicksalhaften Tag auf Risa vergangen.«
»Ich war in den Kristallhöhlen unterwegs und verlor das Gleichgewicht«, sagte Hawk. »Ich fiel von einem Vorsprung und landete ziemlich unsanft. Zum Glück erforschte Ranul die gleichen Höhlen – er kletterte zu mir herunter und rettete mich.«
»Er hatte sich das Bein gebrochen«, erklärte Keru. »Ich warf ihn mir wie einen Sack andorianische Curm'esh über die Schulter, verließ die Höhlen und brachte ihn zu einem Arzt.«
»Er wartete vor dem Behandlungsraum auf mich und lud mich anschließend zum Abendessen ein«, sagte Hawk. »Seitdem sind wir zusammen. Wir haben uns beide zur Enterprise-E versetzen lassen, unmittelbar bevor sie in Dienst gestellt wurde.«
»Und da können wir alle von Glück sagen.« Riker klopfte Keru auf die Hand, solange sie noch auf Hawks Schulter ruhte, und nickte. »Man erwartet uns bei einer Besprechung, aber wenn Sie gestatten, spendiere ich Ihnen nächste Woche einen Drink für Ihren Jahrestag.«
»Danke, Commander«, entgegnete Keru. »Das wäre sehr nett von Ihnen.«
»Auf Wiedersehen, meine Herren«, sagte Data.
Die beiden Männer gingen in Richtung Aufenthaltsraum, während Riker und Data zum nächsten Turbolift eilten.
Dr. Beverly Crusher war in den Bereitschaftsraum gekommen, um den Medo-Bericht über die Crew abzuliefern. Wenige Minuten später fand sich Picard mit ihr und Counselor Troi im Turbolift wieder.
»Sind Sie bereits dem Botschafter begegnet?«, fragte Picard.
»Ich habe ihn getroffen, nachdem Commander Riker ihm und der Admiralin die Quartiere gezeigt hat«, sagte Troi.
»Welchen Eindruck haben Sie von ihm gewonnen?«
Deanna schüttelte den Kopf. »Das ullianische Bewusstsein bleibt selbst für volle Betazoiden undurchdringlich, deshalb bin ich nicht besser dran als Sie, Captain. Aber ich habe gespürt, dass Admiral Batanides versuchte, etwas zu verbergen.«
Geheimagenten, dachte Picard und fragte sich, was sie vor ihm versteckte, trotz des nostalgischen Bands zwischen ihnen.
»Was könnte sie Ihrer Meinung nach verbergen?«, erkundigte sich Crusher.
Troi wirkte nachdenklich, als sie antwortete: »Nun, zunächst einmal möchte sie vermeiden, dass jemand die Beziehung zwischen ihr und Botschafter Tabor entdeckt.«
»Was?«, entfuhr es Picard. Zu spät begriff er, dass er viel lauter als beabsichtigt gesprochen hatte.
Beverly Crushers Lippen formten ein verschmitztes Lächeln. »Die Admiralin ist doch eine alte Freundin von dir, nicht wahr, Jean-Luc?«
»Ja, Doktor. Aber mehr steckte nie dahinter. Und es liegt Jahrzehnte zurück.«
Die Bordärztin hob die Hände zu einer übertriebenen Geste der Beschwichtigung. »Entschuldigung, Captain.« Sie wandte sich an Deanna und fügte mit lautem Flüstern hinzu: »Deanna, ich glaube, Sie sollten einen Gesprächstermin vereinbaren.«
»Danke, Doktor«, sagte Picard und versuchte, nicht zu lächeln. Heiterkeit strahlte im Gesicht der Counselor.
Jetzt weiß ich wenigstens, warum Marta den Vornamen des Botschafters verwendet, dachte Picard. Er vermutete, dass sie die Beziehung aus professionellen Gründen nicht erwähnt hatte.
Der Turbolift hielt an. Das Trio betrat einen leeren Korridor und schritt zum vorderen Bereich des Decks. Kurz bevor sie das bugwärtige Beobachtungszimmer betraten, hörte Picard, wie Crusher Troi mitteilte, dass sie schon vor ihr von dem Verhältnis zwischen der Admiralin und dem Botschafter gewusst hatte – der Umstand, dass ihnen Will Riker das gleiche Gästequartier zuteilte, war ihr Hinweis genug gewesen.
Im Beobachtungsraum stellte Picard fest, dass die übrigen Führungsoffiziere bereits am Konferenztisch Platz genommen hatten. Aubin Tabor wirkte wie ein Professor, als er mit auf den Rücken gelegten Händen vor dem Panoramafenster stand. Es beeindruckte den Captain, dass der Botschafter alle mit dem Namen begrüßte, ohne dabei einen Handcomputer zu Rate zu ziehen.
Oder entnimmt er die erforderlichen Informationen einfach dem Selbst der betreffenden Personen?
Als alle saßen, rief Tabor die Versammlung zur Ordnung.
»Um das Volk zu verstehen, das wir in die Föderation bringen wollen, müssen wir die Welt verstehen, die es hervorgebracht hat«, sagte der Botschafter.
Er griff nach einer kleinen Fernbedienung und aktivierte damit eine holographische Darstellung des Planeten, die sich langsam über dem Konferenztisch drehte. Die eine Hälfte der Welt war dunkel, tintenschwarz, die andere hell, von unwirtlich wirkenden rostroten und schwefelgelben Tönen geprägt. Picard fühlte sich an ein Werk von Milton erinnert.
»Meine Damen und Herren, das ist Chiaros IV«, sagte Tabor. »Da die Rotationsperiode genau dem Sternjahr entspricht, ist immer die gleiche Seite des Planeten der Sonne zugewandt. Mit anderen Worten: Auf der einen Hälfte der Welt herrscht ewiger, brütend heißer Tag, auf der anderen immerwährende eiskalte Nacht. Dadurch ist nur ein schmaler Streifen bewohnbar, der so genannte ›Zwielichtmeridian‹, der von Pol zu Pol und wieder zurück reicht. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass Chiaros IV ein Ort erstaunlicher Kontraste ist.«
»Wirklich bemerkenswert«, sagte Troi. »Allein durch ihre Existenz scheint diese Welt allen Wahrscheinlichkeiten zu trotzen.«
»Eigentlich sind solche orbitalen Konfigurationen gar nicht so selten«, warf Data ein. »So hat zum Beispiel die Erde einen natürlichen Satelliten, der sie auf die gleiche Weise umkreist, ihr immer dieselbe Seite zeigt.«
Tabor bedachte den Androiden mit einem nachsichtigen Lächeln. »Eigentlich halte ich den Kommentar der Counselor für durchaus angemessen, Mr. Data«, sagte er, wandte sich auch an die übrigen Anwesenden und fuhr fort: »Abgesehen von den besonderen Wetterbedingungen auf Chiaros IV muss auch noch die starke Strahlung der Sonne berücksichtigt werden. Ohne den Schutz durch das sehr starke planetare Magnetfeld könnte dort überhaupt kein Leben existieren. Auf der Tagseite hat die Hitze alles flüssige Wasser schon vor langer Zeit verdampfen lassen und damit bleiben den Chiarosanern nur zwei Möglichkeiten: Entweder pumpen sie es Dutzende von Kilometern tief aus dem an Nährstoffen armen Boden oder sie sammeln Eis auf der Nachtseite. Letzteres ist nicht nur schwierig, sondern auch gefährlich. Auf Chiaros IV trotzt das Leben selbst aller Wahrscheinlichkeit, ganz zu schweigen von der chiarosanischen Zivilisation, die es bis zur Warptechnik geschafft hat. Nun, die Chiarosaner haben gelernt zu überleben. Sie sind daran gewöhnt, sich immer wieder gegen schlechte Chancen durchzusetzen.«
Crusher schüttelte den Kopf. »Es ist schwer zu verstehen, wieso es einer Gesellschaft, die über Warptechnik verfügt, so schwer fällt, alle Bürger zu ernähren.«
»Nein, eigentlich nicht, Doktor«, widersprach Batanides. »Die Chiarosaner haben im Umkreis von zehn Parsec keine Handelspartner. Außerdem wurde die überlichtschnelle Raumfahrt erst vor einer Generation entwickelt. Zefram Cochranes erste Warpexperimente führten uns nicht über Nacht zu Asteroidenminen und Nahrungsmittel-Replikatoren. Bis zum Beginn des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts, als in der Oortschen Wolke der Abbau von Rohstoffen begann, war die ökonomische Situation auf der Erde recht angespannt.«
Tabor nickte der Admiralin zu und fuhr dann fort: »Inzwischen wissen Sie alle, dass die Chiarosaner vor einer Wahl stehen, die für sie ebenso wichtig ist wie die Entwicklung der Warptechnik. In knapp fünf Tagen entscheiden sie, ob ihre Welt provisorisches Mitglied der Föderation wird oder ein weiterer Vasall des Romulanischen Reiches.«
»Wenn sich die Chiarosaner auf ein Bündnis mit den Romulanern einlassen, so kontrolliert das Reich die ganze Geminus-Kluft«, sagte Batanides.
Picard musterte die neutralen Mienen seiner Führungsoffiziere – niemand von ihnen schien von den Worten der Admiralin übermäßig beeindruckt zu sein. Lieutenant Commander LaForge, Chefingenieur der Enterprise, sprach das aus, was ihnen allen durch den Kopf ging.
»Ich habe Berichte darüber gelesen, was sich in der Kluft befindet. Oder besser gesagt: was sich nicht in ihr befindet, zumindest in Hinsicht auf Ressourcen. Um es vorsichtig auszudrücken: Warum machen wir uns solche Sorgen darüber, ob die Romulaner die Kluft bekommen oder nicht?«
»Abgesehen von schlichtem Altruismus fällt mir nur eine Antwort ein«, sagte Riker. »Wir machen uns deshalb solche Sorgen, weil sich die Romulaner solche Sorgen darüber machen, ob wir die Kluft bekommen oder nicht.«
Tabor nickte. »Und weil die planetare Regierung des Ersten Protektors Ruardh die Föderation offiziell eingeladen hat, zur Ratifizierung der von den Wählern getroffenen Entscheidung.«
»Außerdem gibt es da noch die Sache mit der Slayton«, sagte Batanides. »Die chiarosanische Regierung behauptet, dass die Slayton einen diplomatischen Shuttle in Richtung Planet auf die Reise schickte, bevor das Schiff auf geheimnisvolle Weise verschwand. Doch das diplomatische Team der Slayton traf nie in der chiarosanischen Hauptstadt ein. Wir brauchen Zugang zu Chiaros IV und zum planetennahen All, um mit einer gründlichen Suche zu beginnen. Aber wenn das Romulanische Reich die Föderation zwingt, die Geminus-Kluft zu verlassen … Dann bekommen wir kaum Gelegenheit, die Wahrheit zu entdecken.«
Oder Corey zu finden, dachte Picard. »Admiral, glauben Sie, dass die Romulaner etwas mit dem Verschwinden der Slayton zu tun haben?« Er hielt es für angebracht, Marta Batanides in Anwesenheit der übrigen Offiziere zu siezen.
»Ich kann es nicht beweisen«, erwiderte sie. »Aber ich würde ihnen so etwas durchaus zutrauen.«
Picard blieb skeptisch und versuchte, seinen Einwand so diplomatisch wie möglich zu formulieren. »Admiral, selbst aus romulanischer Sicht scheint es nicht viel Sinn zu ergeben, wegen drei leerer Raumsektoren einen Krieg gegen die Föderation zu riskieren.«
»Ja«, pflichtete ihm Batanides bei. »Aber die Logik der Romulaner lässt sich nur schwer einschätzen, solange wir kaum etwas über ihre hiesigen Absichten wissen.«
Crusher runzelte nachdenklich die Stirn. »Von den Romulanern einmal abgesehen … Wie schwierig kann unsere Mission auf Chiaros IV sein? Die Regierung des Planeten wurde von den Chiarosanern rechtmäßig gewählt, nicht wahr?«
»Natürlich«, bestätigte Tabor und wölbte eine Braue. »Andernfalls käme die Welt überhaupt nicht für eine Föderationsmitgliedschaft infrage.«
»Ja, genau«, sagte Crusher. »Nun, wenn die rechtmäßige Regierung von Chiaros IV uns haben möchte und die Romulaner nicht – dann müssten wir uns sehr bemühen, um bei unserer Mission keinen Erfolg zu erzielen.«
Tabor wiederholte sein nachsichtiges Lächeln. »Ich fürchte, so einfach ist es nicht, Doktor. Zwar haben die Chiarosaner bewiesen, dass sie sich auf eine gemeinsame Regierung einigen können, aber die soziale Struktur besteht auch weiterhin aus einem Durcheinander von Clanen und Familien und zwischen manchen von ihnen bestehen uralte Rivalitäten. Es ist eine sehr instabile Koalition, die jederzeit durch Ressourcenstreitigkeiten infrage gestellt werden kann. Oder durch externe Bündnisse einiger Clanoberhäupter.
Eine proromulanische Dissidentengruppe, geleitet von einem Mann namens Falhain, führt Guerilla-Angriffe auf die Infrastruktur der Regierung durch. Ruardhs Regierung glaubt, dass die Rebellen bei ihren Aktionen von der Slayton stammende Föderationswaffen verwenden. Die chiarosanische Bürgerschaft spricht natürlich darüber. Ob die Behauptungen der Wahrheit entsprechen oder nicht: Die Vorstellung, dass die Rebellen Föderationswaffen in die Hände bekommen haben, lässt bei Ruardhs Anhängern Zweifel darüber aufkommen, ob ein Bündnis mit uns wirklich klug ist.«
»Die Romulaner sehen dadurch immer mehr wie die bessere Alternative aus«, sagte Picard ernst und betrachtete dabei den sich langsam drehenden holographischen Globus.
»Und wir sind verantwortlich dafür, den Schlamassel in Ordnung zu bringen, den unsere eigenen Waffen angerichtet haben«, fügte Riker hinzu.
»In der Tat, Commander. Captain, meine Mission – und deshalb auch Ihre Mission – besteht darin, Ruardh und Falhain dabei zu helfen, ihre alte Feindschaft zu überwinden und eine Übereinkunft zu erreichen, damit Chiaros IV zu einem Mitglied der Föderation werden kann.« Der Botschafter hob die Fernbedienung und die holographische Darstellung des Planeten verschwand. Einige Sekunden lang herrschte Stille, als die Offiziere über die Bedeutung der Dinge nachdachten, die sie gerade gehört hatten.
Batanides stand auf und gab damit zu erkennen, dass die Besprechung beendet war. »Die Enterprise erreicht das Chiaros-System in etwa zweiundzwanzig Stunden. Captain Picard wird eine Gruppe zusammenstellen, die Botschafter Tabor zur chiarosanischen Hauptstadt begleitet, wo erste Friedensgespräche zwischen Ruardh und Falhain stattfinden sollen.«
Unsere Aufgabe dürfte vor allem darin bestehen, das Überleben aller Gesprächsteilnehmer zu gewährleisten, dachte Picard.
Nachdem seine Offiziere gegangen waren, blieb er allein mit Batanides und Tabor im Beobachtungsraum zurück.
Tabor griff nach Batanides Hand. »Ich bin in unserem Quartier, meine Liebe. Es wartet noch viel Arbeit auf mich – ich muss gut vorbereitet sein, wenn morgen die Verhandlungen beginnen.« Er wandte sich an Picard. »Captain, Sie und Marta sind alte Freunde, soweit ich weiß. Wir Ullianer ehren die Freundschaft sehr. Ich schlage vor, Sie nutzen die Gelegenheit, um über die ›alten Zeiten‹ zu sprechen, wie es bei Ihnen heißt.«
Batanides neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schien über den Vorschlag nachzudenken. Dann bedachte sie Picard mit einem schelmischen Lächeln.
Picards Verlegenheit wuchs. »Marta, ich habe volles Verständnis dafür, wenn du zu beschäftigt bist …«
Tabor unterbrach ihn. »Bitte, Captain. Ich bestehe darauf.« Damit ging er zur Tür und verließ den Raum. Picard und Batanides standen nebeneinander am Fenster und blickten hinaus ins All.
»Ich glaube, ich kann einige Stunden erübrigen«, sagte die Admiralin munter. »Mal sehen, ob du dich noch immer darauf verstehst, eine Dame zu unterhalten, Johnny. Wie wär's mit einem holographischen Ausflug zum Bonestell-Freizeitzentrum? Wir könnten dort vor dem Essen ein wenig Dom-Jot spielen.«
Picard lächelte. »Einverstanden«, sagte er. »Aber wir bitten den Kellner, diesmal keine Nausicaaner hereinzulassen, in Ordnung?«
Batanides erwiderte das Lächeln und griff nach seinem Arm.
Was soll ich Beverly morgen beim Frühstück erzählen?, dachte er, als sie den Beobachtungsraum gemeinsam verließen.