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B elgien, Oktober 2002

Die Reise der SELINA endete am Churchill-Dock, Liegeplatz 402. Sie war ein bereits in die Jahre gekommener Massengutfrachter, in den Siebzigern in Dienst gestellt und mit dem einen oder anderen Rostfleck zu viel auf dem stählernen Rumpf. Ein neuer Anstrich wäre ihr sicher gut bekommen. Aber auch das hätte nichts daran geändert, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft als rostiges, trostloses Skelett auf einem Schiffsfriedhof enden würde.

Die Überfahrt verlief ohne Zwischenfälle, von Venezuela nach Belgien, einmal quer über den Nordatlantik, achtundzwanzig Tage, sechstausendzweihundert Seemeilen.

Für Pieter Van Woudt bedeutete Churchill-Dock, dass seine Schicht an diesem nasskalten Oktobermorgen mit einer längeren Dienstfahrt beginnen würde. Es war vier Uhr dreißig, um fünf Uhr wollte er bei der SELINA sein. Für den Hundeführer der Zollfahndung am Antwerpener Containerhafen blieben noch ein paar Minuten Zeit, sich einen Becher heißen Milchkaffee aus dem Automaten zu besorgen. Leila, seine deutsche Schäferhündin, wartete bereits ungeduldig im Heck des Transporters.

Ihre Fahrt führte um das westliche Hafenbecken des Albert-Docks einen Kilometer nach Norden, und dann nach links über eine enge Zufahrtsbrücke, an deren Ende das Eingangstor zum Churchill-Dock lag. Zähe Nebelschwaden hingen zwischen den turmhohen Flutlichtmasten, deren Scheinwerfer das weitläufige Gelände in gelbliches Licht tauchten.

Der Zollfahnder parkte sein Fahrzeug am Fuß der Gangway, nahm die letzten Schlucke aus dem Pappbecher und überflog nochmals die wichtigsten Angaben auf seinem Klemmbrett:

Reiseroute: Maracaibo -> Antwerpen, nonstop

Oberdeck: 34 Container Früchte, Gemüse, Gewürze

Laderaum: 12.240 Tonnen Zinnerz

Die Aufmerksamkeit der belgischen Zollfahndung hatte die SELINA nicht wegen des Zinnerzes in ihrem Bauch auf sich gezogen. Ihr Interesse galt dem Inhalt der Container auf dem Oberdeck.

Pieter Van Woudt meldete sich über Funk beim wachhabenden Brückenoffizier, entließ die ungeduldige Leila ins Freie und ging mit ihr an Bord des Frachters. Beladematrosen wurden aus dem Schlaf geholt und angewiesen, die mittschiffs gestapelten Container zu öffnen.

Beim sechsten Container schlug Leila an. Aufgeregt kletterte sie von Kiste zu Kiste, sprang kreuz und quer durch den Laderaum. Derart aus dem Häuschen hatte Pieter Van Woudt die Hündin nur selten erlebt.

Der Zollfahnder wusste, etwas musste hier faul sein, und das kaum der geladenen Früchte wegen. Van Woudt stieg seiner Leila hinterher, und sogleich schlug ihm ein süßlicher Gestank entgegen. Der Container war nur zu etwa zwei Dritteln beladen. Im Lichtkegel der Handleuchte erschienen übereinandergestapelte Kartons, gefüllt mit Bananen, und wie der Gestank schon vermuten ließ, die allermeisten verrottet. Es dürfte schwierig sein, dafür noch einen Abnehmer zu finden.

Van Woudt griff zu einer ersten, einer zweiten und einer dritten Kiste und schüttete den Inhalt auf den Boden. Vor seinen Füßen lagen verdorbene Bananen – und ziegelsteingroße, in Plastik und Paketband eingewickelte Päckchen.

Das Entladen und Zählen dauerte bis in den späten Morgen. Bei Schichtende standen Pieter Van Woudt und seine Kollegen der Zollfahndung Antwerpen vor einem Turm von 3.065 Paketen aus reinstem Kokain – jedes auf das Gramm genau ein Kilo schwer.