El Salado, Mexiko, 2001
Baumanns Beziehungen zu einigen der einflussreichsten Mafiaclans Siziliens reichten zurück bis in die Achtzigerjahre, und sie hatten ihre ganz eigene Geschichte. Niemand musste den Sizilianern erklären, dass ihnen Baumanns Coup mit den Narco-Dollars des Pablo Escobar ihre Geldwaschmaschine namens Banca Rasini gerettet hatte. Und damit auch das Wirtschaftsimperium ihres treuen Gefährten Silvio Berlusconi. Der Wertschätzung der Bosse konnte sich Baumann also sicher sein.
Baumanns Interesse, dem Sinaloa-Kartell die Türen zu den capi dei capi der Cosa Nostra zu öffnen und umgekehrt, hatte wiederum wenig mit Loyalität zu tun. Weder gegenüber den Italienern noch den Mexikanern, und schon gar nicht gegenüber der DEA . Es war schlicht lukrativ. Je größer der Deal, umso üppiger die Kommissionen, die er kassierte.
Schon vor längerer Zeit hatte Baumann Ismael vorgeschlagen, seine Fühler nach Sizilien auszustrecken. Ismael wusste um Baumanns ausgezeichnete Verbindungen nach Italien. Ihm war klar, dass mit den dortigen Clans viel Geld zu machen war. Aber Ismael wusste auch, dass sie nicht die Einzigen waren, die um neue Märkte in Europa kämpften.
Die größte Konkurrenz kam direkt von nebenan, aus Tijuana, vom Arellano-Felix-Kartell. Nur wollte Ismael keinen neuen Drogenkrieg vor der eigenen Haustüre riskieren. Der letzte lag noch nicht lange zurück, ein wahres Gemetzel, und der Frieden, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, war brüchig.
El Chapo aber sah den Moment gekommen, in Italien strategische Partnerschaften zu bilden. Zu lukrativ der Markt, ihre Clans mit Ablegern auf der ganzen Welt zu einflussreich, um ihn nicht zu erobern. Wenn es sein musste, auch für den Preis eines Kampfes mit dem Tijuana-Kartell. El Chapo hatte wenig Zweifel, dass sie diese Schlacht, wenn sie denn kommen sollte, auch gewinnen würden. Und El Chapos Expansionswille war Baumanns Chance. Nach achtzehn Monaten Auszeit in »Therapie« war er zurück im Geschäft. Zuvor, vor seiner Abreise aus den USA zum Haftantritt in die Schweiz, hatte Baumann mit Ismael die einfachste aller Lösungen abgesprochen: Bis zu seiner Rückkehr wird das Drogengeld erst mal gebunkert. Gewaschen wird danach.
Wieder aus der Haft entlassen, flog Baumann auf direktem Weg nach Mexiko. Ismael beglückwünschte ihn zu seiner Genesung und gab grünes Licht, mit den Sizilianern zu verhandeln – der Wunsch nach Wachstum war größer denn je.
Zurück in der Schweiz, arrangierte Baumann ein erstes Abendessen in Mailand mit einem alten Freund, von dem er wusste, dass er über die richtigen Beziehungen verfügte. In den darauffolgenden Wochen machten sich weitere Abgesandte aus Sizilien auf den Weg nach Norden. Eine Allianz mit dem Sinaloa-Kartell? Darüber konnte man gerne reden.
Für die folgende Verhandlungsrunde wurde Baumann nach Trapani beordert. Die capi luden zum Essen, schwärmten von alten Zeiten, Baumanns besonderem Talent und den Möglichkeiten, die ihnen die Zukunft bot. In den Augen der Denaro-Bosse lag das Geld – welch makabre Ironie – auf der Straße. Millionen. Und wenn sie es richtig anstellten, Milliarden.
Zum Ende des Abends war man sich einig, dass von einer Kooperation beide Seiten gleichermaßen profitieren würden. Die capi reichten Baumann die Hand: Das Sinaloa-Kartell erhielt den Zuschlag als Kokain-Lieferant der mächtigsten aller Cosa-Nostra-Familien.
Das Abkommen lag bereits einige Jahre zurück. Fünf, um genau zu sein. Und sie hatten sich nicht getäuscht: Der Markt explodierte, die Gewinne waren atemberaubend. Wie so oft weckt Erfolg Neider, und mit dem Aufstieg der kalabrischen ’Ndrangheta-Familien hatte die sizilianische Mafia mächtige Konkurrenz im eigenen Land erhalten. Die Kalabresen drängten in den Drogenmarkt, und mit ihrer Brutalität übertrafen sie selbst ihre Vettern aus Sizilien.
Der Fehdehandschuh war geworfen.
Wollte sie ihre Stellung behaupten, mussten die Bosse im Osten Siziliens reagieren. Statt eines blutigen Machtkampfs auf der Straße wählten sie die diskrete Variante eines Wirtschaftskriegs. Man wollte den Markt mit Kokain überschwemmen. Die Maßnahmen bedeuteten tiefere Preise und weniger Marge, aber das galt auch für die Kalabresen. Der Kuchen war groß genug, der Kokainhandel blieb auch so ein Milliardengeschäft. Dementsprechend fiel auch die neueste Bestellung der Sizilianer aus. Sie war nicht einfach nur groß. Sie war gigantisch: drei Tonnen, vermittelt durch Walter Baumann.
Für Ismael war nun der Moment gekommen, seinem Sohn Vicente, gerade achtundzwanzig geworden, die erste wichtige Aufgabe als künftige Nummer zwei des Sinaloa-Kartells zu übertragen. »El Vicentillo« sollte die Planung der Megalieferung an die Sizilianer übernehmen.
Sowieso hatte Vicente einen Lauf. Bei einem rauschenden Fest einige Monate zuvor hatte er Rosa Isela Guzmán geheiratet, eine Tochter El Chapo Guzmáns.
Klar war auch, ohne Baumann würde es nicht gehen, der Schweizer musste mitspielen.
»Amigo! Wie gehts? Hervorragende Arbeit, mein Glückwunsch, auch von Joaquín.«
Baumann saß auf der Terrasse seines Anwesens im Tessin. »Alles bestens, danke, Ismael. Jetzt müssen wir nur noch liefern.«
»Werden wir. Kannst du herkommen? Ich möchte etwas mit dir besprechen.«
»Natürlich. Nächste Woche, okay?«
»Je früher, desto besser. Gib Bescheid. Du kennst das Prozedere.«
Zu Baumanns Missfallen konnte ihm die Charterfirma diesmal keinen Privatjet zur Verfügung stellen, alle Maschinen waren bereits gebucht. Er war schon länger unzufrieden mit dem Service, und das nicht erst, seit sein Stammpilot Röthlisberger verstorben war. Es war an der Zeit, sich nach einem neuen Anbieter umzuschauen.
Für den Moment blieb ihm nur ein Linienflug. Baumann buchte ein First-Class-Ticket für den folgenden Montag, ließ sich ein paar Tage später mit dem Taxi nach Mailand bringen, flog nach Mexiko-Stadt, und danach weiter in die Provinz nach Culiacán.
Einer von Ismaels Leibwächtern – Baumann kannte ihn als »El Ramoncito« – holte ihn am Flughafen ab. Ein Fahrer fuhr sie in das hügelige Umland der vierzig Kilometer südlich gelegenen Kleinstadt El Salado. Auf dem Weg wechselten sie dreimal die Fahrzeuge. Wo Ismaels Hazienda genau lag, in welcher der verschiedenen Anwesen sie sich treffen würden, das wusste Baumann nicht. Es brauchte ihn auch nicht zu kümmern.
Ismael empfing ihn auf den Stufen der Veranda. Ihr letztes Treffen lag schon einige Zeit zurück, und Baumann fiel auf, dass die Nummer zwei des Sinaloa-Kartells reichlich an Gewicht zugelegt hatte. Den schwarzen Schnurrbart hielt er ordentlich gestutzt, und wie eigentlich immer trug der Mexikaner ein Paar blaue Jeans von Levi’s, ein Poloshirt von Lacoste und einen hellbraunen Sombrero im Cowboy-Stil als Schutz vor der brennenden Sonne.
»El Mayo« begrüßte ihn mit einer freundschaftlichen Umarmung. »¡Me alegro de verte! ¡Por favor tome asiento! ¿Tuviste un buen viaje?« , begrüßte er den Schweizer auf Spanisch.
»Danke, kein Grund zur Klage.«
»Deine Gesundheit? Du gehst doch regelmäßig zur Nachkontrolle?«
»Ah … ja natürlich. Ich bin kerngesund«, antwortete Baumann grinsend. Er musste noch nicht einmal die Krebslüge bedienen. Vergangene Woche erst war er für einen Gesundheitscheck beim Arzt gewesen.
»Gracias a Dios! Ich wusste es.«
»Und selbst?«, fragte Baumann nach. Nur wenige wussten, dass Ismael an Diabetes litt und auf eine Insulinbehandlung angewiesen war.
Ismael winkte ab. »Mir geht es bestens. Lass uns lieber erst ein bisschen übers Geschäft reden, dann essen wir zu Mittag. Magst du ein Bier?« Ismael gab seinem Leibwächter ein Zeichen. »Ramón! Bring uns zwei Bier.«
Die beiden stießen an, und Ismael lehnte sich entspannt zurück.
»Die Brauerei ist von hier, aus Jalisco. Ich habe sie letztes Jahr gekauft«, meinte der Drogenbaron mit sichtlichem Stolz.
»Tatsächlich? Eine gute Entscheidung. Die Bierindustrie ist äußerst rentabel.« Baumann nahm einen kräftigen Schluck. »Schmeckt jedenfalls ausgezeichnet!«
Ismael nickte. »Ich bin ganz zufrieden. Aber wir wollen expandieren. Vielleicht komme ich auf dich zurück, wenn es so weit ist.«
»Natürlich, jederzeit gerne. Und, wie geht es Joaquín?«, wollte Baumann wissen.
Der Mexikaner lachte zufrieden. »Er genießt seine wiedergewonnene Freiheit.«
»Wer könnte es ihm verdenken!«, meinte Baumann mit einem Grinsen. »Ich hatte eigentlich gehofft, er wäre ebenfalls hier.«
»Das wäre zu riskant. Wir müssen vorsichtig sein, Walter. Aber ich werde ihm von unserem Treffen berichten. Er lässt dich grüßen. Er ist begeistert von deiner Arbeit. Und wie gut die Geschäfte mit den Italienern laufen. Großartige Arbeit! Vielleicht das nächste Mal.«
Ismael wirkte angespannter als sonst. Seit El Chapos Flucht aus Puente Grande vor knapp zwei Jahren mit den weltweiten Schlagzeilen, die sein Coup ausgelöst hatte, sah sich die bis auf die Knochen blamierte mexikanische Regierung genötigt, den Verfolgungsdruck auf das Sinaloa-Kartell zu erhöhen. Was Ismael wiederum den Schlaf raubte, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Er wollte nicht wie El Chapo für Jahre oder Jahrzehnte hinter Gittern landen. Denn Don Ismael, ein vergleichsweise leise auftretender Boss der alten Schule, war nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Joaquín. Ismael glaubte nicht daran, im Gefängnis überleben zu können. Und Baumann wusste das.
»Kein Problem. Kann ich verstehen. Aber kommen wir zum Thema. Du hast mich hergebeten. Um was gehts?«
Ismael steckte sich eine Zigarre an. »Du sollst Vicente kennenlernen. Er ist mein ältester Sohn und soll meine Nachfolge antreten. Ich will vorbereitet sein, falls ich eines Tages … na ja, nicht mehr hier bin. Ich möchte, dass du bei der Lieferung an die Sizilianer mit Vicentillo zusammenarbeitest.«
Baumann nickte. »Gut. Selbstverständlich. Ist er hier?«
»Er ist noch in Mexiko-Stadt. Er wird zum Abendessen da sein. Und du hast sicher Hunger. Lass uns etwas essen, und dann ruhst du dich erst mal aus.«
Später würde Baumann sagen, dass er es hätte wissen müssen. Dass er auf sein Gefühl hätte hören sollen, spätestens in dem Moment, als er Vicente »El Vicentillo« Zambada zum ersten Mal traf, an diesem Abend in El Salado, Mexiko.
Ismael hatte ein Barbacoa zubereiten lassen, die mexikanische Variante eines Barbecues. Die Vorbereitungen hatten bereits am späten Nachmittag begonnen. Im Hof wurde ein großer Tisch aufgestellt, und als die Nacht einbrach, versammelten sich die Gäste im Hof und ließen sich von den Bediensteten üppige Teller mit carne asada servieren, Maistortillas gefüllt mit zartem Grillfleisch. Dazu gab es reichlich Wein und Bier.
Baumann hatte keinen der Gäste vorher je getroffen. Von den freundlichen, aber belanglosen Unterhaltungen, die er führte, schloss er, dass die Anwesenden Verwandte oder Geschäftsfreunde Ismaels waren, meist auch beides.
Irgendwann fuhr ein Geländewagen auf den Hof. Aus dem Fond stiegen ein junger Mann, Baumann schätzte ihn auf knapp dreißig, begleitet von einer sehr viel jüngeren Frau, deren Kleid für Baumanns Geschmack zu wenig Saum und zu viel Ausschnitt hatte. Ismael hatte beide mit einer Umarmung in Empfang genommen, und begleitete sie zum Tisch.
Einige Gäste standen auf und taten es Ismael gleich. »Vicentillo, mi amor!«
Damit wusste auch Baumann, wer eingetroffen war, und als die Reihe an ihm war, erhob er sich ebenfalls.
»Señor Baumann. Mein Vater hat mir schon einiges über Sie erzählt. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits, Vicente.«
»Für Sie Señor Zambada, Señor Baumann.«
»Oh, wie Sie wünschen. Ihr Vater und ich, wir …«
»… genießen Sie den Abend, Señor Baumann«, unterbrach ihn Vicente. »Wir sprechen uns morgen.« Vicentes Mund lächelte, nicht aber seine Augen.
Baumann hatte schon Dutzende Figuren der kriminellen Halb- und Unterwelt kennengelernt. Alle hatten sie ihre ganz eigene Persönlichkeit. Rücksichtslosigkeit, auch Boshaftigkeit waren verbreitete Charakterzüge. Bei Vicente Zambada erkannte Baumann vor allem eines: Überheblichkeit. Eine Eigenschaft, die er nicht von seinem Vater geerbt haben konnte. Und sicher nicht die beste, um im Führungsgremium eines weltweit operierenden Drogenkartells einen Job zu erledigen. Zumindest keinen erfolgreichen.
Am darauffolgenden Tag hatten Baumann und Ismael ihr Frühstück bereits beendet, als Vicente auf der Veranda auftauchte. Er trug weiße Bermudashorts, dazu ein buntes Hemd und eine goldumrandete Ray-Ban-Sonnenbrille. Am Handgelenk baumelte ein ebenfalls goldener Rolex-Chronograf.
Eine Hausangestellte kam an den Tisch. »Señor?«
»Das Übliche«, antwortete Vicente mit einer flüchtigen Handbewegung.
Ismael lachte. »Hattest du eine lange Nacht?« Und zu Baumann gerichtet: »Er soll sich jetzt noch die Hörner abstoßen. Denn bald wird er dafür keine Zeit mehr haben. Stimmts, mein Sohn?«
Vicente schniefte zum wiederholten Mal und rieb sich die Nase. »Ja, ja, Papa«, murmelte Vicente sichtlich übel gelaunt, schwang sich aus dem Sessel und bellte in Richtung Küche. »Maria, verdammt! Wo bleibt das Frühstück!«
Es war eine weitere Erkenntnis, und sie gefiel Baumann genauso wenig: Ismaels Sohn hatte ein Kokainproblem, und wohl kein zu knappes.
Dass Vicente die Aussicht auf seine neue Stellung in der Organisation offensichtlich gar nicht gut bekam, war die letzte und beunruhigendste Feststellung für Baumann an diesem Tag in Ismaels Haus. Vicentes Ego schien analog zu seiner Position gewachsen zu sein, genau wie sein Kokainkonsum. Vicentillo schien besessen von der Idee, eine göttliche Macht habe nun endlich seine Genialität als Chefstratege des größten Deals des Kartells erkannt. Die Ware sollte auf mehrere Schiffe verteilt werden, über diverse Routen, das stand für Baumann außer Frage. Doch Vicente sah dafür keine Notwendigkeit. Wieso kompliziert und teuer, wenn’s auch einfach und billig ging? Wieso zehn Reedereien, zehn Zollbehörden schmieren, wenn es nur eine brauchte? Die ganze Ladung getarnt zwischen Bananenkisten auf einem Containerschiff, und das Ding war geritzt.
Irgendwann im Laufe der immer heftiger gewordenen Diskussionen hatte Baumann beschlossen, Ismaels Sohn wieder beim Vornamen zu nennen. Vicente, gleichermaßen berauscht vom Koks und sich selbst, schien es nicht einmal zu bemerken.
»Vicente, das ist verrückt ! Was, wenn alles auffliegt? Was dann? Dann sind drei Tonnen weg. DREI !«
Vicente grinste und schniefte, zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Morgen. »Wird es aber nicht, Walter! Und wenn, dann besorgen wir uns neues aus Kolumbien. Die Lager dort unten laufen über!«
Baumann ging unruhig auf der Veranda auf und ab. Vicentes Kokainproblem war ihm herzlich egal. Das war Ismaels Job. Nicht egal war ihm das Geschäft.
Wo zum Teufel war Ismael?
»Vicente, hör mir jetzt wenigstens einmal zu! Hast du überhaupt eine Ahnung, was uns das kosten würde? Was es deine Organisation kosten würde? Und die Sizilianer? Matteo würde durchdrehen, er würde unsere Leute in Europa kaltmachen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.« Kurz zuckte es durch seinen Kopf, dass er damit auch sich selbst auf eine Todesliste Messina Denaros gesetzt hatte. Ebenso rasch wischte er den Gedanken wieder beiseite.
»Die Sizilianer?« Vicente lachte hysterisch auf. »Wenn sie Eier hätten, würden sie hierherkommen und mir ihr Problem ins Gesicht sagen! Haben sie aber nicht. Sie wissen, sie würden es nicht einmal bis Culiacán schaffen. Sie wären schon in Mexiko-Stadt tot.«
Vicente steckte sich eine Zigarette an, auch schon seine x-te an diesem Morgen, und sah Baumann mit triumphierendem Blick an. »Wir sind grade dabei, unsere eigene Cargo-Airline zu gründen.«
Baumann, eben noch in dunkle Gedanken versunken, hob überrascht den Kopf. »Eine Cargo-Airline ? Und was heißt wir?«
»Wir heißt: das Sinaloa-Kartell, Walter. Schon vergessen, wo du bist? Ich habe Jesusito in Mexiko-Stadt getroffen. Wir brauchen dich. Für den ganzen Finanzierungskram. Alles muss perfekt sein.«
»Jesús, El Chapos Sohn?«
»Yep.«
»Und was zum Teufel wollt ihr mit einer Cargo-Airline?«, fragte Baumann vorsichtig, wobei er bereits ahnte, was die Antwort sein würde.
Vicente gackerte vor Vergnügen. »Damit fliegen wir das Kokain von Kolumbien direkt hierher nach Mexiko. Wir haben auch schon einen Partner in Spanien. Und einen Namen: Air Cargo Lines.«
Baumann drehte sich um und sah über Ismaels weitläufige Hazienda und die grünen Hügel, die sich dahinter entlangzogen. Eine eigene Airline? Es war verrückt, größenwahnsinnig. Aber er kannte die Mexikaner, und er kannte die Kolumbianer. Vermutlich meinten sie es tatsächlich ernst. Dass dabei eine ganze Liste staatlicher Behörden in beiden Ländern mit drin hingen, lag auf der Hand.
Ein verstohlenes Lächeln huschte über Baumanns Gesicht. Jemand an der US -Ostküste wird begeistert sein, wenn er von dieser letzten Neuigkeit hört.
»Na wunderbar. Immerhin habt ihr schon mal einen Namen. Aber für mich alles noch Zukunftsmusik, Vicente. Jetzt sollten wir uns besser mit der Gegenwart beschäftigen, den Sizilianern.« Baumann schaute sich um. »Wo ist dein Vater?«
Vicente trug wieder denselben überheblichen Blick wie am Abend zuvor. Er hatte seine Ray-Ban abgesetzt, seine Pupillen waren dunkel und weit, die Augen rot unterlaufen. Wieder kicherte er wie ein kleines Kind und schüttelte belustigt den Kopf.
»Ach Gott, Walter. Mein Vater ist ein wichtiger Mann. Und wichtige Männer haben wichtige Besprechungen. Was immer du auf dem Herzen hast – sag es mir.«
In Baumann wuchs allmählich die Verzweiflung. Dem Schweizer war nur allzu klar, was es bedeuten würde, sollte mit der Lieferung etwas schieflaufen. Er war der Vermittler des Geschäfts. Sein Name stand ganz zuoberst auf Messina Denaros Liste der Verantwortlichen.
»Vicente, verflucht noch mal! So läuft das nicht! Ich kann nicht glauben, dass dein Vater mit deinem gottverdammten Plan einverstanden ist. Ich muss ihn sprechen. JETZT !« Baumann wandte sich ab und ging zum gegenüberliegenden Ende der Veranda, möglichst weit weg von Vicente. Er konnte ihn und sein hysterisches Gehabe nicht länger ertragen. Er sah hinaus auf die grüne Hügellandschaft, die El Mayos Hazienda umgab, im Herzen dieses Königreichs namens Sinaloa. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass dies für lange Zeit sein letzter Besuch am Hof seiner Herrscher war.
Ismael saß da bereits bei El Chapo. Der Boss des Sinaloa-Kartells ließ sich darüber unterrichten, dass Planung und Umsetzung der Lieferung in besten Händen lagen: bei Walter Baumann.
So wie immer.
War die Ware erst mal bei den Sizilianern, hatte Ismael alle Zeit der Welt, den Monsterdeal in eine Erfolgsgeschichte von Zambada junior und senior umzuschreiben – El Chapos verlässliche Weggefährten auf dem Weg in den Olymp des Drogenhandels.
Und falls doch was schiefging, nun ja …