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»Dies ist die Combox von David Keller. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«

So langsam zerrte die metallene Stimme an seinen Nerven. Nun schon zum fünften Mal war er auf Davids Mailbox gelandet. Moser schwor sich wie nach jedem seiner vergeblichen Anrufe, er würde nicht nur Oberst Altmann, sondern auch Keller eigenhändig erwürgen.

Wütend stopfte er sein Handy in die zu enge Hosentasche seines Anzugs und ging zurück in den Burgerratssaal des Casinos, in dem zur Feier des erfolgreichen Debütkonzerts seiner Tochter ein Empfang stattfand. Moser fühlte sich hilflos und eingepfercht zwischen all den lächelnden Abendgarderoben und den klingenden Sektgläsern, den Glückwünschen und dem feuchten Händeschütteln.

Seine Laune war mit jedem vergeblichen Anruf schlechter geworden; ein Umstand, der seiner Frau nicht entgangen war und den sie der stetig länger werdenden Liste seiner Vergehen an diesem Abend aufmerksam hinzufügte.

»Kannst du nicht einfach einmal hierbleiben? Was ist denn so verdammt wichtig?«

Moser schnitt eine gequälte Grimasse und brummte nur unverständlich. Sie hatte natürlich recht. Aber Altmanns Auftritt – und David eigenmächtiges Handeln – waren wie die wunde Stelle am Gaumen, von der man einfach nicht die Zunge lassen konnte. Also schüttelte Mosers eine Hirnhälfte weiter Hände und machte Small Talk, während die andere eine eh schon beschissene Lage analysierte, die plötzlich zu einer veritablen Bedrohung zu werden drohte, für seine Behörde, aber auch für ihn selbst, und David.

Nach dem Fiasko am Flughafen Bern Belp blieb Gonnet nicht mehr viel übrig, als eine Red Notice zu erlassen. Damit stand Baumann auf der Fahndungsliste von Interpol. Wäre es nach dem Verteidigungs- und Außenministerium gegangen – es wäre noch nicht einmal dazu gekommen. Doch Gonnet hatte sich davon nicht beeindrucken lassen, und das Justizministerium stand hinter ihr. Die Frage war nur, wie lange noch.

Die Antwort war: nicht für lange. Der Druck der Schweizer Regierung wuchs, bis die Kader von Bundespolizei und Bundesanwaltschaft schließlich ins Justizministerium einbestellt wurden. »Ihr habt euren Haftbefehl, schön. Damit ist die Angelegenheit erledigt. Die Schweiz wird nicht nach Baumann suchen«, lautete die unmissverständliche Ansage. Über das Warum, dazu konnte sich jeder seinen Teil denken.

Das, so glaubte Moser, hatte er Keller auch klargemacht. Offensichtlich nicht klar genug.

Moser war kein Träumer. Dass Baumann mehr war als nur ein Verbrecher auf der Flucht – geschenkt. Baumann zu fassen war für David zum Synonym für zumindest einen letzten Hauch von Gerechtigkeit und Anstand in seiner aus den Fugen geratenen Welt geworden. Und die offene Rechnung mit Julie – sie musste beglichen werden, auf die eine oder andere Art.

Der Mensch und Freund in Moser mochte es verstehen. Nicht aber der Vorgesetzte, der nun in Teufels Küche geraten war, mit Folgen, an die zu denken er sich im Moment noch gar nicht traute.

Keller saß demnach irgendwo in Beirut und war nicht erreichbar. Moser hatte noch keinen blassen Schimmer, wie er David von der Schweiz aus schützen sollte. Aber er würde es versuchen, seiner ganzen Wut auf ihn zum Trotz. Mit Altmann würde er schon klarkommen. Aber mit den Amerikanern?

Nervös fingerte er wieder sein Handy aus der Hosentasche.

Unauffällig griff Helen nach seinem Ärmel. »Oh nein«, zischte sie in sein Ohr. »Das lässt du jetzt mal schön bleiben, mein Lieber.«

Moser fügte sich, wenn auch mit verkniffener Miene.

»Und jetzt lächle mal, verdammt …«

Irgendwie gelang es ihm, auch diesem ehelichen Befehl zu folgen. Aber die Gedankenmaschinerie in seinem Kopf hatte sich längst in Bewegung gesetzt.

***

Paolo presste sein Ohr gegen das Türblatt.

»Worüber reden sie?«

Der Italiener legte den Zeigefinger auf den Mund. »Schscht …«

Wen Julie da angeheuert hatte, war ihnen noch immer nicht ganz klar. Libanesen, so vermutete Paolo, eine lokale Sicherheitsfirma, die für Geld zu fast allem bereit war und wenig Fragen stellte. Aber wenn Paolo sich nicht irrte, nahmen sie diesen Auftrag jedenfalls nicht allzu ernst.

Paolos Stimmungslage hatte sich wieder erholt.

»Okay«, meinte er, als die Schritte auf dem Flur verklungen waren. »Sie sind weg. Die kommen erst morgen früh zurück.«

Keller blieb skeptisch. »Bist du dir sicher? Ich trau der Sache nicht.«

»Ich habe sie gehört, die Jungs haben einfach keine Lust mehr. Heute ist der zweite Tag des Zuckerfests. Sie wollen feiern. Glaub mir, ich kenn das!«

Eine Stunde zuvor war ihnen von einem der Männer das Abendessen in den Raum gebracht worden, Hähnchen mit Reis und eine Flasche Wasser. Eine halbe Stunde später wurde es wieder weggeräumt.

Dann hatte Paolo wegen einer Toilette gefragt. Auf dem Weg dorthin sahen sie zum ersten Mal den Ort, an dem sie gefangen gehalten wurden: eine kleine Wohnung mit einem großen Raum, zwei kleineren Zimmern, einer Küche und einem Bad. Bis auf den Tisch und die Stühle in ihrer »Zelle« stand die Wohnung leer.

Sie zählten drei Bewacher, junge, durchtrainierte Männer im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren mit Sturmhauben. Jeder von ihnen trug eine Pistole und ein Walkie-Talkie am Gürtel.

Vor allem aber waren keine Betten oder Matratzen zu sehen. Dass damit ihre Bewacher die Nacht wohl nicht in der Wohnung verbringen würden, war die erste gute Nachricht seit Langem.

Jetzt hockten sie auf dem kalten Steinboden und warteten. Nichts geschah. Nach einer Stunde noch immer kein Laut. Und auch nicht nach zwei.

Zwischendurch gingen sie auf und ab, um sich warmzuhalten.

Immer wieder stellte sich Keller an das Fenster und dachte nach. Sie befanden sich vier Stockwerke über dem Boden. Die Straßen unter ihnen lagen im Dunkeln, die Gegend schien ausgestorben. In der Ferne war das Lichtermeer Beiruts zu erkennen. Eines der hell erleuchteten Gebäude musste das Phoenicia sein.

Wahrscheinlich saß Baumann jetzt an der Hotelbar, trank einen teuren Whiskey und feierte mit dem Hisbollah-Kommandeur das Zuckerfest. Oder seinen Deal. Oder er schlief bereits, in einem bequemen, warmen Hotelbett.

Baumann war dort drüben, direkt vor ihrer Nase. Ziemlich sicher, dass Beirut ihre letzte Chance war, ihn jemals zu fassen. Aber dafür mussten sie erst mal aus ihrem verdammten Gefängnis kommen. Klar war auch, es war höllisch riskant. War eine Wache am Wohnungseingang postiert? Oder unten auf der Straße? Wenn ja, würden sie schießen? Sein Bauchgefühl sagte ihm Nein. So weit würden es die Amerikaner wohl nicht kommen lassen. Aber eine Garantie gab es auch dafür nicht.

Paolo hatte sich anderweitig warmgehalten. Er hatte sich die Möbeleinrichtung im Raum vorgenommen. So gut es eben ging, ohne Werkzeug. Was ihn interessierte, waren die Tischbeine mit den stählernen Winkelplatten. Als er fertig war, lagen vier improvisierte Stemmeisen vor ihnen.

»Lange genug gewartet. Versuchen wir’s!« Paolo fasste das erste Tischbein wie einen Baseballschläger und rammte die Winkelplatte wuchtig in den Spalt zwischen Türe und Türrahmen.

Nach der absoluten Stille zuvor hörte sich der Knall umso erschreckender an. Blitzschnell duckten sie sich an die Wand und lauschten angespannt. Eine Minute verging, fünf Minuten. Aber Totenstille, nichts regte sich.

»Sag ich’s doch!« Paolo schnappte sich wieder sein Werkzeug und hämmerte gegen die Zarge, diesmal noch härter. Zwei Tischbeine überlebten die Tortur nicht. Aber beim dritten brach der Rahmen, die Türe stand offen.

Vorsichtig steckte Paolo den Kopf durch die Öffnung und zuckte gleich wieder zurück. Aus der Küche links von ihnen drang ein schwacher Lichtschein.

»Licht«, flüsterte er leise. Er drückte Keller ein Tischbein in die Hand. »Nimm das!«

Paolo griff sich das letzte verbliebene, schob die Türe auf und machte drei schnelle Schritte bis zur Küche. Vorsichtig lugte er um die Ecke.

Niemand da, die Küche war leer. Jemand aus Julies Mannschaft hatte ein Licht brennen lassen, eine kleine batteriebetriebene Tischleuchte.

Paolo hob den Daumen, ließ sich gegen die Wand fallen und atmete einmal tief durch.

Keller deutete auf die Tischleuchte. »Wie nett.«

»Nimm sie. Damit schauen wir uns erst mal um.«

Sie gingen einmal durch die Wohnung. Die Wohnungstüre war aus Stahl, darüber brauchten sie erst gar nicht nachzudenken. Einen Balkon gab es auch nicht. Blieben noch die Fenster. An der Außenfassade neben dem Badezimmerfenster verlief eine Regenrinne. Und soweit sie sehen konnten, war es die Einzige. Es blieb ihnen nur dieser eine Ausweg.

Keller saß auf dem Klodeckel und blickte verzweifelt zur Decke hoch. »Verdammte Scheiße, Paolo! Vier Stockwerke … das sind über zehn Meter!«

Paolo zuckte mit den Schultern. »Hab im Militär schon dümmere Sachen gemacht.«

»Aber nicht an einem Haus gebaut im Libanon, Himmel noch mal!«

»Stimmt. Noch schlimmer. Gebaut in Italien.«

Paolo ging zum Fenster und zog am Rohr. Es bewegte sich leicht, Mörtel brach aus der Wand. Einen allzu stabilen Eindruck machte es nicht.

»Alles bestens. Hält wie eine Eins. Los David, jetzt oder nie!«

Keller sah mit gequältem Blick zu Paolo. »Wenn ich sterbe, versprich mir eines: Julie bekommt keine Einladung zur Beerdigung.«

»Versprochen. Wirst du aber nicht. Ich helfe dir raus. Sobald du kannst, spring einfach. Und nicht runterschauen, kapiert?«

Keller zog sich am Fenster hoch und schob den Oberkörper über die Kante. Unten verlief eine kleine Straße, vermutlich nicht asphaltiert. Mehr konnte er nicht erkennen.

»Gütiger Gott«, murmelte Keller und schloss die Augen.

»Verdammt, David! Los jetzt!«

Keller bekam das Rohr zu fassen, umklammerte es und zog die Beine nach.

Zitternd und die Augen geschlossen, löste er seinen Griff und ließ sich ein Stück nach unten gleiten.

»Geht doch, weiter so!«, rief Paolo leise von oben.

Mörtel bröselte auf Kellers Kopf, dann ein Ruck. Die Rinne hatte sich nach außen gebogen. Kellers Herz raste, verzweifelt schaute er nach oben.

Paolo gestikulierte wild. »Alles okay! Weiter!«

Stück für Stück, Meter um Meter hangelte sich Keller nach unten, keuchend vor Anstrengung. Sein Mund füllte sich mit Verputz, der als stetes Rinnsal auf ihn niederbröselte.

Er hatte das Rohr mit dem linken Arm umklammert, den rechten bereit zum nächsten Griff. Ein greller Schmerz durchfuhr ihn, die Hand zuckte zurück. Scheiße! Warmes Blut rann über seinen Arm. Eine Schraube, ein Draht, irgendetwas Spitzes hatte sich in seine Hand gebohrt.

Keller schaute nach unten. Wieder versuchte er, das Rohr zu umklammern, aber immer wieder glitt die blutige Hand vom Metall ab. Nun hing sein ganzes Gewicht am linken Arm, eingeklemmt zwischen der Fassade und einer scharfkantigen Halterung.

Wieder blickte er nach unten. Vielleicht noch vier Meter bis zum Boden. Die Halterung bohrte sich immer tiefer in sein Fleisch.

Er musste sich fallen lassen.

Der Aufprall war brutal. Sein Gesicht schlug gegen die Knie, die Wucht stauchte ihn zusammen wie einen Klappstuhl und nahm ihm für einen fürchterlichen Moment die Luft. Benommen blieb er liegen, dann rollte er sich zur Seite und kroch ein Stück weg von der Wand. Aus seiner Nase floss Blut. Schon wieder Blut. Egal. Er tastete vorsichtig seine schmerzenden Arme und Beine ab. Anscheinend war nichts gebrochen, nichts verstaucht, keine Sehne gerissen. Er lebte.

Keller presste die Hand unter seine pochende Nase und schaute nach oben. Paolos Umrisse waren zu erkennen, wie er sich vorsichtig nach unten arbeitete. Momente später ein hässliches Knirschen, dann ein Knall. Langsam bog sich die Rinne erst seitlich, dann immer schneller nach unten. Paolo schlang Arme und Beine um das Rohr, und zusammen segelten sie immer schneller in die Tiefe. Augenblicke später schlug er dumpf auf dem Boden auf.

Geduckt eilte Keller zu Paolo. »Heilige Scheiße! Hast du dir wehgetan?«, flüsterte er.

Paolo verzog das Gesicht und hielt sich den Rücken. »Porca puttana …«

»Kannst du aufstehen?«

Der Italiener nickte. »Geht schon … Wie gehts dir? Du blutest.«

»Halb so wild. Ging mir noch nie besser.« Keller half dem Italiener auf die Beine. »Ich glaub, wir sind alleine. Jetzt bloß weg von hier! Welche Richtung?«

Paolo blickte sich um. »Da lang.«

Von ihrem Platz aus konnten sie über ganz Beirut blicken. Paolo vermutete, dass sie sich in Baabda befanden, einem ärmlichen Stadtviertel im Südosten von Beirut. Das Zentrum lag etwa zehn Kilometer vor ihnen. In ihrem Rücken lag die syrische Grenze, dazwischen bergiges Waldgebiet und das Bekaa-Tal.

Das Quartier lag komplett im Dunkeln.

»Stromausfall«, meinte Paolo. »Wie fast jede Nacht.«

Sie waren eine halbe Stunde gegangen, bevor sie beschlossen hatten, bis zum Tagesanbruch zu warten. Es ergab wenig Sinn weiterzulaufen, ohne Licht, ohne Mobiltelefone. Jetzt, da sie es aus dem Haus geschafft hatten, wollten sie nicht irgendwelchen Straßengangs oder der Polizei in die Hände fallen.

Kellers Nase war vermutlich gebrochen, hatte aber aufgehört zu bluten. Die rechte Hand machte ihm mehr Sorgen. Er hatte sie mit einem Stück Hemdstoff umwickelt. Die Wunde war tief und wollte nicht gerinnen. Und Paolos Rücken würde diesen noch eine Weile beschäftigen. Aber sie hatten es lebend aus dem Haus geschafft, die Schmerzen waren ein akzeptabler Preis dafür.

Gegen halb fünf begann die Nacht dem Tag zu weichen. Sie verließen ihren Unterschlupf unter einem dichten Feigenstrauch und machten sich auf die Suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Paolo hatte noch ein paar Geldscheine in seinen Hosentaschen, für die sich die Wachen nicht interessiert hatten.

Die Gegend wirkte wie ausgestorben, weit und breit war niemand zu sehen.

Doch Hoffnung nahte – ein Bauer auf seinem Eselskarren tauchte am Horizont auf. Als das Gefährt auf ihrer Höhe war, stellte sich Paolo auf die Straße, winkte und bat den alten Mann, sie für ein paar Dollar in Richtung Stadt mitzunehmen.

Der Bauer nickte, zeigte lachend seinen zahnlosen Mund, steckte die Scheine ein und gab das Zeichen aufzusteigen.

Paolo erkundigte sich: Hatte der Bauer zufällig ein Telefon?

Ein Telefon? Nein. Wofür?

Langsam, aber sicher lief ihnen die Zeit davon.

Wo mochte Baumann jetzt sein? Noch im Hotel? Unterwegs zu einem weiteren Treffen mit der Hisbollah? Sie mussten in die Stadt, und das auf schnellstem Weg.

Nach einer holprigen Fahrt über staubige, verlassene Straßen erreichten sie endlich städtische Umgebung. Der Bauer hatte sie zu einem Marktplatz gefahren. Es herrschte reges Treiben, die Sonne war aufgegangen, die Stadt erwachte aus dem Schlaf.

Ein junger Mann, braun gebranntes Gesicht und Wollmütze auf dem Kopf, schob einen Handkarren über den Platz, die beliebten Taschenbrote mit dem seitlichen Loch kunstvoll auf der Auslage zu Säulen aufgeschichtet.

»Kaak! Kaak!« Seine helle Stimme übertönte die Rufe der Männer und Frauen an den Ständen. Innerhalb von Minuten war der Wagen umringt, die frisch gebackenen Brote gingen weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.

Paolo kniff die Augen zusammen. »Hat der Junge da ein Mobiltelefon?«

»Dann sollten wir mal hin.«

Sie eilten über den Platz und drängten sich zwischen den Leuten hindurch. Paolo zog einen Fünf-Dollar-Schein aus der Tasche.

»Salam. Wie heißt du?«, fragte er auf Arabisch.

»Ahmed.«

»Ahmed. Hier sind fünf Dollar. Würdest du mir kurz dein Telefon leihen?«

Der Junge runzelte die Stirn. »Amerikaner?«

»Nein, nicht Amerikaner. Italiener!«

Das Gesicht des Jungen erhellte sich. »Francesco Totti«, lachte er und zeigte mit dem Daumen nach oben.

Paolo lachte ebenfalls und hob den Daumen. »Ja, Francesco Totti. Toller Spieler! Nun, was meinst du, dürfte ich dein Telefon, nur ganz kurz?«

Jemand streckte ein paar Münzen über den Wagen und bekam vier Kaak überreicht.

»Inzaghi!«, rief der Junge als Nächstes, als er mit der Bedienung fertig war.

Paolo lachte gequält. »Ja, ja, Pippo Inzaghi. Nur ein bisschen außer Form, der Gute …« Er deutete auf das Handy. »Dein Telefon. Es ist sehr wichtig.«

Der Junge nickte und lachte. »Gigi Buffon!«

Paolo verdrehte die Augen. »Dio Santo!« Er warf einen weiteren Fünf-Dollar-Schein auf den Wagen. Es war sein letzter. »Hier! Das sind zehn Dollar! Gibst du mir jetzt dein verdammtes Telefon?«

Der Kaak-Verkäufer schob das Gerät über die Auslage.

»Brasilien top!« Sein Lachen war noch breiter geworden.

Paolo hob kopfschüttelnd den Daumen. »Ja, ja. Schon okay … Zwei Minuten!«

Rafik musste neben dem Telefon gesessen haben. Er war sofort dran.

»Rafik, ich bin’s.«

»Boss! Was ist passiert? Wo seid ihr?«

»Lange Geschichte. Später. Wo bist du?«

»Zu Hause.«

»Hör gut zu! David und ich sind am Haret-Hreik-Markt. Fahr ins Büro, nimm den Volvo und hol uns hier ab. Dann fahren wir zum Phoenicia. Und hoffen, dass wir Baumann noch antreffen.«

»Okay, Boss.«

»Wir brauchen ein neues Handy und drei Funkgeräte. Und den Erste-Hilfe-Koffer.«

»Verstanden. Ist wer verletzt?«

»Alles gut. Und beeil dich!«

Sie setzten sich neben den Kaak-Wagen auf die Bordsteinkante und warteten.

»Wie lange braucht Rafik? Zwanzig Minuten?«, fragte Keller.

»So Gott will. Hoffen wir nicht länger.«

Keller überlegte. »Der Junge hier, du hast ihm zehn Dollar gegeben?«

»Ja.«

»Dann ist ja noch etwas Guthaben übrig.«

Keller stellte sich zum Kaak-Verkäufer, zeigte sein bestes Lächeln und deutete auf das Telefon.

»Könnte ich auch mal? Ganz kurz?«, fragte er auf Englisch.

Ahmed schob seine Wollmütze nach hinten und blickte misstrauisch.

»Telefon? Schon wieder?« Ein paar Brocken Englisch sprach er wohl.

»Genau. Nur ganz kurz.«

Ahmed zögerte. »Deutschland?«

»Beinahe. Schweiz.«

»Ah, Schweiz!« Ahmeds Miene erhellte sich. »Roger Federer! Wimbledon!«

Keller hob den Daumen. »Ja! Federer. Hat Wimbledon gewonnen. Ich weiß.«

Ahmed grinste. »Schweiz, Federer, Hingis – Tennis gut!« Dann schüttelte er betrübt den Kopf. »Fußball nicht gut.«

»Tja, leider.« Kellers Blick ging zum Telefon. »Also? Eine Minute?« Er bekam das Handy und wählte Pius Mosers Nummer. »Pius, ich bin’s.«

»Hört, hört«, antwortete Moser mit gepresster Stimme.

»Ich muss mich kurzfassen …«

»Hast du den Verstand verloren, David?«, fuhr Moser wütend dazwischen.

»Ich wollte dich gestern anrufen. Kam dann leider etwas dazwischen«, antwortete Keller ruhig.

»Dumm gelaufen, oder was? Hast du auch nur die geringste Ahnung, was für ein Chaos du mit deiner verfluchten Aktion angestellt hast? Altmann ist auf hundertachtzig, die Amis auf zweihundert. Ich sag es nochmals, und das ist ein Befehl: Du brichst ab und kommst zurück!«

»Dass die Amis angepisst sind, haben auch wir mitbekommen. Ich wollte dich da nicht mit reinziehen. Tut mir leid, Pius.«

»Himmel, Arsch und … Was hast du dir bloß dabei gedacht?«

»Du kannst dich beruhigen. Ich bin schon fast am Flughafen. Hatte nie vor, länger zu bleiben. Hab sogar schon das Rückflugticket. Hat die CIA bezahlt.«

Keller konnte Pius förmlich aus dem Bett springen hören. Dem Geräusch nach zu urteilen war ihm das Telefon entglitten. »Wie war das noch mal?«

»Wir sind Julie über den Weg gelaufen. War ganz nett. Sie hatte eine Nachricht für uns, und zwei Tickets. Eines für mich, eines für meinen italienischen Kollegen.«

»Deine Julie?«

»Nein. Unsere Julie. Schon vergessen, wer sie in die Abteilung geholt hat? Nochmals: Ich komm nach Hause. Mit Baumann.«

»David …«

»’tschuldige, ich muss jetzt auflegen. Nur eins noch. Du wolltest wissen, was ich mir dabei gedacht habe? Ich mache einfach meinen verdammten Job, Pius. Ich bring Baumann zurück. Wir beide tun es, Pius. Dafür werden wir bezahlt. Für nichts anderes.«