Die folgende Auswahl konzentriert sich auf wegweisende Publikationen und Ereignisse aus der ersten Generation der Kognitionswissenschaft und ihrer historischen Grundlegung; die wichtigsten Werke und Ereignisse der zweiten Generation sind im Haupttext und der kommentierten Bibliografie dokumentiert.
1879 |
G. Frege: Begriffsschrift, Halle 1879. Gottlob Frege entwickelt mit der formalen Logik und der Vorstellung, dass regelgeleitete Symboltransformationen semantische Merkmale abbilden können, die Grundlage der modernen Informatik. |
1936 |
A. Turing: On Computable Numbers, Proceedings of the London Mathematical Society 42 (1936), 230–265. Alan Turing führt den formalen Begriff der Turingberechenbarkeit ein und mutmaßt, dass genau die intuitiv berechenbaren Funktionen turingberechenbar sind (die »Church-Turing-These«), sodass eine universelle Turingmaschine alle vom Menschen algorithmisch berechenbaren Funktionen berechnen kann. |
1943 |
W. McCulloch / W. Pitts, A Logical Calculus of Ideas Immanent in Nervous Activity, Bulletin of Mathematical Biophysics 5 (1943), 115–133. Warren McCulloch und Walter Pitts legen mit ihren Koppelungen einfacher binärer Neuronenmodelle (sogenannte McCulloch-Pitts-Zellen) den Grundstein sowohl für den Kognitivismus als auch für den Konnektionismus. |
1945 |
John von Neumann beschreibt in einem internen Arbeitsbericht der Universität Pennsylvania zu »First Draft of a Report on the EDVAC« (Electronic Discrete Variable Automatic Computer) die Architektur moderner Computer. |
1948 |
N. Wiener, Cybernetics, or Control and Communication in the Animal and the Machine, New York 1948. [145] Norbert Wiener etabliert den Ausdruck »cybernetics« für die Untersuchung von Steuerungsprozessen in Menschen und sogenannten mechanoelektrischen Systemen und antizipiert dabei viele Themen der modernen Kognitionswissenschaft. |
1949 |
D. Hebb, The Organization of Behavior: A Neuropsychologial Theory, New York 1949. Donald Hebb versucht den Brückenschlag zwischen Neurobiologie und Psychologie und formuliert die sogenannte Hebb-Regel, die besagt, dass die synaptische Verbindung zwischen wiederholt gleichzeitig aktiven Neuronen verstärkt wird, und ihn schließlich zum Entdecker der synaptischen Plastizität werden lässt. |
1950 |
A. Turing, Computing Machinery and Intelligence, Mind 59 (1950), 433–460. Turing schlägt vor, einer Maschine dann Intelligenz zuzusprechen, wenn ein Mensch nicht zuverlässig entscheiden kann, ob er über Tastatur und Bildschirm mit der Maschine oder einem Menschen kommuniziert (= Turingtest). |
1956 |
Am Dartmouth College findet die erste, von John McCarthy, Marvin Minsky, Nathan Rochester und Claude Shannon organisierte Konferenz zu artificial intelligence statt – ein Begriff, den Minsky im Jahr 1955 geprägt hat. |
1958 |
F. Rosenblatt, The Perceptron, Psychological Review 65 (1958), 386–408. Frank Rosenblatt erweitert mit seinem Perzeptron die Funktionalität einfacher McCulloch-Pitts-Zellen um flexiblere Gewichtungen der Eingabesignale und ermöglicht so Netze, die anhand von Beispieldaten Gewichtungsvektoren lernen. |
1959 |
N. Chomsky, Verbal Behavior, by B. F. Skinner, Language 35 (1959), 26–58. Noam Chomskys Besprechung von Skinners Verbal Behavior leitet das Ende des radikalen Behaviorismus im Sinne von John Watson und Burrhus Skinner und den Beginn der wissenschaftlichen Erforschung innerer [146] kognitiver Prozesse ein, was später als »kognitive Wende« bezeichnet wird. |
1967 |
U. Neisser, Cognitive Psychology, Englewood Cliffs 1967. Ulric Neisser prägt den Ausdruck »kognitive Psychologie« und trägt entscheidend zu ihrer Etablierung als eigenständiger Disziplin mit kognitiven Prozessen als zentralem Forschungsgegenstand bei. |
1969 |
M. Minsky / S. Papert, Perceptrons, Cambridge (Mass.) 1969. Marvin Minsky und Seymour Papert zeigen, dass Perzeptronen Einschränkungen unterliegen, woraufhin bis zur (Wieder-)Entdeckung mehrschichtiger Netze in den 1980er-Jahren die Fördermittel für den Konnektionismus versiegen. |
1975/1978 |
Die offizielle Geburtsstunde der Kognitionswissenschaft: Die Alfred P. Sloan Foundation fördert 1975 unter dem Stichwort »cognitive science« die Suche nach einer interdisziplinären begrifflichen und theoretischen Grundlage für die Erforschung geistiger Leistungen. Ihr Bericht 1978 stellt fest: »What has brought the field into existence is a common research objective: to discover the representational and computational capacities of the mind and their structural and functional representation in the brain.« |
1982 |
D. Marr, Vision, San Francisco 1982. David Marr formuliert mit seiner Theorie visueller Wahrnehmung ein Paradebeispiel kognitivistischer Modellierung und liefert mit seiner Unterscheidung von Rechen-, Algorithmus- und Implementationsebene ein (mit Einschränkungen) nach wie vor gültiges Modell der Analyse kognitiver Systeme. |
1983 |
J. Anderson, The Architecture of Cognition, Cambridge (Mass.) 1983. Anderson stellt mit seiner ACT-Architektur (Adaptive Control of Thought) ein klassisches kognitivistisches Modell menschlicher Kognition vor, das vollständig auf konditionalen Regeln der Form »Wenn A, dann B.« aufbaut. |
1986 |
D. Rumelhart / J. McClelland / PDP Research Group, [147] Parallel Distributed Processing, 2 Bde., Cambridge (Mass.) 1986. Die beiden PDP-Bände zeigen, wie erfolgreich mehrschichtige neuronale Netze in vielen Bereichen sind, und leiten so die Wiedergeburt des Konnektionismus ein. |