38 – Die Entscheidung

Als ich am Mittwochmorgen von der Bushaltestelle zur Uni gehe, merke ich deutlich, dass Weihnachten näher rückt. Am Morgen habe ich meinen dicken Wollschal aus dem Schrank geholt und auch meine rote Mütze, die ich mir letztes Jahr gekauft habe und noch nicht oft aufsetzen konnte.

Als die Uni zu Ende ist und ich mich wieder auf den Weg nach Hause mache, sehe ich vom Bus aus ein Plakat, das den Beginn des Weihnachtsmarktes winter wonderland im Hyde Park ankündigt. Seit gestern ist er eröffnet und nach vier Stunden voller zäher Vorlesungen bin ich mehr als angetan von dem Gedanken, auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Ich steige aus dem Bus und während ich in meine Straße einbiege, rufe ich Liam an.

»Hey«, begrüßt er mich, als er nach dem zweiten Klingeln schon abnimmt.

»Hey. Sag mal, hast du heute schon was vor?«, frage ich ihn und schließe die Haustür auf. Ich schlüpfe gerade ins Innere, als ich Liam seufzen höre.

»Was hast du jetzt wieder ausgefressen?«

Empört schnappe ich nach Luft. »Ich habe gar nicht ausgefressen!«, protestiere ich, während ich die Treppen hochsteige.

Liam lacht auf. »Okay, okay. Nein, ich habe heute nichts vor.«

»Dann gehen wir heute in den Hyde Park«, sage ich grinsend.

»Du willst auf den Weihnachtsmarkt?«, hakt Liam skeptisch nach.

Ich lasse die Schultern sinken. »Ja. Willst du nicht mitkommen?«, frage ich und bin mittlerweile bei der Wohnung angekommen. Ich fische den Schlüssel aus meiner Manteltasche und schließe die Tür auf.

»Ich würde schon, aber wenn du auf irgendwelche Fahrgeschäfte willst, bin ich raus. Da wird mir nur schlecht«, sagt er, während ich die Wohnung betrete und meinen dicken Mantel ausziehe. Sofort fühle ich mich zwei Kilo leichter.

Ich ziehe belustigt eine Augenbraue hoch. Wir waren zwar schon zusammen auf dem London Eye, aber da dieser Tag nicht so gut endete, verkneife ich mir eine Bemerkung darüber. 

»Ich will sowieso nichts fahren. Aber wir können essen«, erwidere ich stattdessen grinsend.

Sein warmes Lachen tönt aus dem Handy. »Okay, überzeugt.«

Ich stoße einen kleinen Freudenschrei aus, woraufhin Liam mich auslacht.

Nachdem wir uns für fünf Uhr verabredet haben, lege ich auf und gehe in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Dort sitzt Nick und schaut ein Video auf seinem Handy.

»Wieso bist du denn so happy?«, fragt er und pausiert das Video.

»Ich gehe später mit Liam auf den Weihnachtsmarkt«, erkläre ich, während ich nach dem Pfefferminztee im Schrank suche.

»Dann viel Spaß euch beiden. Falls es gleich klingelt, könntest du aufmachen? Ich will schnell duschen gehen und Nolan kommt zum Lernen vorbei«, sagt Nick, während er Richtung Badezimmer geht. Fragend zieht er eine Augenbraue hoch und ich muss mich aus der Starre lösen, in die ich verfallen bin, als Nolans Namen gefallen ist. 

»Klar«, bestätige ich ihm, doch nachdem Nick verschwunden ist, beeile ich mich meinen Tee zu machen und verschwinde dann in meinem Zimmer. Dort setze ich mich an den Schreibtisch, denn wenn ich verhindern will, dass ich nach unserem Weihnachtsmarktbesuch lernen muss, sollte ich das jetzt erledigen. Ich nehme mein Handy, stecke die Kopfhörer rein, schalte Musik an und nehme mir meine Bücher vor.

 

Nach einer Stunde ziehe ich mir die Kopfhörer aus den Ohren. Sofort höre ich das Lachen der Jungs aus dem Wohnzimmer, die wohl anstatt zu lernen lieber PlayStation spielen.

Ich sehe auf meinem Handy eine Nachricht von Liam aufblitzen. Er ist vor zwanzig Minuten losgegangen, dann sollte ich mich fertig machen.

Gerade als ich aufstehe, klingelt es. Als ich am Wohnzimmer vorbeigehe, um die Tür zu öffnen, sehe ich, dass die Jungs gerade ihr Spiel beenden. Irgendwie ist mir nicht wohl dabei Liam und Nolan gemeinsam hier zu wissen, doch das kann ich jetzt nicht ändern. Ich öffne die Tür und Liam strahlt mich an.

»Hey«, sagen wir gleichzeitig, dann beuge ich mich zu Liam, um ihn zu küssen. Er grinst mich an, als er reinkommt.

»Ich hole kurz meine Sachen, dann können wir los«, sage ich und gehe in mein Zimmer, um mein Handy und mein Portemonnaie zu holen. Als ich wieder in den Flur gehe, treffe ich auf Nick, Nolan und Liam.

»Nina, schön dich wiederzusehen«, sagt Nolan, als er mich entdeckt.

Ich lächle. »Hallo Nolan.«

Dann wendet er sich Liam zu. »Abgefahrenes Gefährt, das du da hast«, sagt er grinsend und hat einen Pluspunkt, da er weder Mitleid durchblicken lässt, noch die beschissenste Frage stellt, auch wenn es nicht die beste Herangehensweise ist, jemanden sofort auf seinen Rollstuhl anzusprechen.

»Ich würde es dir ja mal ausleihen, aber ich hänge leider sehr daran«, witzelt Liam. Nolan lacht auf. Er hat ein raues Lachen, was gar nicht zu seiner warmen Stimme passt. »Außerdem mag Nina mich ohne ihn vielleicht nicht mehr«, sagt Liam und schaut mich mit übertrieben großen Augen an.

Ich ziehe mir gerade meine Jacke über und schüttle nur den Kopf. »Spinner.«

Nolan schaut interessiert von mir zu Liam und scheint eins und eins zusammenzuzählen. »Ihr seid zusammen?«, fragt er und schaut mich an.

Ich will gerade antworten, als Liam sagt: »Ja.« Er hört sich stolz, aber auch herausfordernd an. Ich schaue belustigt zu ihm und fange Nicks Blick auf, der dasselbe zu denken scheint, denn er zieht grinsend eine Augenbraue hoch.

»Okay, wir können los«, sage ich und schnappe mir meine Tasche. Liam setzt sich in Bewegung und verabschiedet sich von den beiden.

»Bis später«, sage ich zu Nick. »Tschüss Nolan.«

Nolan erwidert es und lächelt mich sanft an.

Auch wenn ich Liam ohne Zweifel liebe, geht an mir nicht vorbei, wie unglaublich gut Nolan mit diesem Lächeln aussieht. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, folge ich Liam.

Als wir im Fahrstuhl stehen und nach unten fahren, frage ich: »Und? Bereit für Weihnachtsmarkt?«

Er verzieht das Gesicht gespielt freudig. »Muss ich doch. Ich werde ja gezwungen.«

Ich verdrehe die Augen. »Idiot.«